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Der einundzwanzigste Geburtstag

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Der einundzwanzigste Geburtstag

Als Stiles Peter begegnete, da war er sich sicher gewesen, den Hauptgewinn gelandet zu haben. Damals war er bloß ein ahnungsloser, dürrer, unschuldiger Achtzehnjähriger gewesen und er hatte überhaupt nicht begreifen können, was einer wie Peter bloß in ihm sehen mochte?
 

Peter war aufregend, faszinierend, lieb und dennoch ein wenig gefährlich, unwahrscheinlich charmant, gutaussehend, lebenserfahren und vor allem höllisch sexy!
 

Stiles hingegen war damals soeben frisch mit der Schule fertig gewesen, hatte noch nichts von der Welt gesehen, außer der Kleinstadt in der er aufgewachsen war, war gerade erst zum Studieren nach Los Angeles gezogen, überwältigt von der riesigen, lauten, bunten Großstadt.

Und der allererste Mensch dem er dort begegnete, war ausgerechnet Peter gewesen.
 

Ihr Zusammentreffen war so unglaublich banal und beinahe schon ein wenig lächerlich gewesen, gemessen an der mächtigen Auswirkung, die sie von da an auf Stiles Leben haben sollte.

Stiles hatte sein winziges Apartment in West-Hollywood praktisch eben erst bezogen. Das Wenige was er besaß; ein paar Kleider, Bücher, seinen Laptop, Krimskrams, von dem er geglaubt hatte, ohne ihn in seinem neuen Leben nicht auskommen zu können, seine Lacrosse-Ausrüstung, weil er darüber nachdachte, sich in seiner neuen Heimat wieder eine Mannschaft zu suchen, obwohl er in dem Spiel nie sonderlich gut gewesen war; all das hatte Stiles in seinem mintgrünen Jeep hierher gekarrt und dann bei 38 Grad im Schatten die vier Etagen hinauf in seine winzige, möblierte Wohnung geschleppt. Nun war er vollkommen verschwitzt, eklig, zerzaust, hungrig und durstig, doch sein Kühlschrank war natürlich noch immer leer und so half es alles nichts, er musste in den Supermarkt um die Ecke zum Einkaufen gehen, so wie er eben gerade war.
 

Und ausgerechnet an jenem Tag, als aussah wie der letzte Mensch, rannte er in den aufregendsten Mann, den er bis zu diesem Augenblick zu Gesicht bekommen hatte und das war sogar die wortwörtliche Wahrheit, denn er war erschöpft und ausgehungert, achtete deshalb kein Stück auf das was vor ihm lag, sondern hatte ausschließlich Augen für die Waren in den Regalen, die er regelrecht mit dem Blick verschlang, bis er mit seinem riesigen Einkaufswagen mitten in den eines anderen Kunden krachte.

Auch wenn es absolut Stiles eigene Schuld gewesen war, war er, erschöpft und übellaunig, wie er sich in diesem Moment eben fühlte bereits im Begriff, sein Opfer für dessen angebliche Ungeschicklichkeit in Grund und Boden zu brüllen. Er holte hierfür tief Luft und wandte sich dem Besitzer des gegnerischen Einkaufswagens zu, doch als er ihm in dieses schelmisch grinsende, attraktive Gesicht blickte, nahm es Stiles schlagartig den Wind aus den Segeln. Das einzige, was er herausbrachte, war ein gestottertes:

„Oh... uhm... Sorry, Mann! H-hi!“

Und dann, obwohl niemand danach gefragt hatte, fügte er noch hinzu:

„Ich bin neu in der Stadt.“
 

Das Lächeln des gutaussehenden Älteren wurde breiter und... oh Mann, was war das für ein Lächeln! Es war entwaffnend und fantastisch und Stiles konnte gar nicht fassen, dass es tatsächlich ihm gelten sollte? Und dann sagte der Fremde auch noch:

„Na, dann bin ich wohl das Willkommenskommitée, wie es aussieht.“
 

Die beiden kamen ins Gespräch, auch wenn Stiles immer noch nicht glauben konnte, dass einer wie dieser unglaublich schöne, unglaublich erwachsene Mann ihn auch nur eines zweiten Blickes würdigte. Und als sie gemeinsam den Supermarkt verließen, da wollte er nicht, dass ihre Begegnung jetzt schon endete und so lud er den Fremden, der sich ihm als Peter Hale vorstellte kurzerhand zu sich nachhause ein, weil er doch praktischerweise ganz in der Nähe wohne, wie er erklärte. Vor seinem geistigen Auge sah Stiles das sorgenvolle Gesicht seines Vaters, der sich sicherlich die Haare gerauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass sein leichtsinniger Sohn einfach so wildfremde, ältere Männer in seine Wohnung mitnahm.
 

Peter war seiner Einladung damals gefolgt und damit hatte das Schicksal seinen Lauf genommen.
 

Stiles blickte sich unzufrieden in seiner winzigen, chaotischen Bude um, deutete auf die herumstehenden Kisten und Taschen und erklärte:

„Ich bin neu in der Stadt.“
 

„Das sagtest du bereits.“ lachte der Ältere, ließ sich auf dem altersschwachen Ledersofa nieder und klopfte auf den Platz neben sich: „Scheiß´ drauf, Kleiner! Mich stört das nicht. Mach´s dir gemütlich!“
 

Es war eigentlich nicht Stiles Art, einfach so widerspruchslos zu gehorchen, wenn jemand etwas von ihm wollte, doch irgendwie war er wie hypnotisiert von den funkelnden, blauen Augen seines Gegenübers und so hockte er sich klaglos neben ihn, auch wenn ihm peinlich genau bewusst war, dass er stank, wie ein Hirsch und aussah, wie ein Lump. Zu allem Überfluss zwang ihn das weiche Sofa auch noch dazu, näher an Peter heran zu rutschen, als er eigentlich vorgehabt hatte, weil dessen Mitte bereits so arg durchgesessen war.

Zum Glück schien Peter sich auch daran nicht zu stören. Sie redeten eine Weile, bedienten sich von der Limonade, den Nüssen und den Crackern, die Stiles im Supermarkt erbeutet hatte und irgendwann fragte Peter einfach so aus heiterem Himmel:
 

„Ich würde dich gern küssen, Stiles. Darf ich?“
 

Stiles verschluckte sich beinahe und nickte dann ein wenig überrumpelt.

Diesen Mann küssen? Und wie er das wollte!

Aber sein Herz schlug ihm bis zum Hals!

Ob dieser Peter wohl merken würde, dass er noch ungeküsst war?

Sicherlich würde er das merken und dann würde er sicherlich ganz schnell das Interesse an der kleinen Jungfrau verlieren!
 

Während Stiles sich noch ausgiebig in neurotischer Selbstgeißelung erging, hatte Peter unterdessen bereits die Initiative ergriffen, verschloss ihrer beider Lippen, legte die Arme um Stiles schmalen Körper, zog ihn sanft näher an sich heran und bat mit der Zunge um Einlass.

Und weil Stiles nun einmal von nichts eine Ahnung hatte, überließ er Peter kurzerhand das Steuer.

Seltsamerweise schien dem Älteren das zu gefallen.
 

Peter war ein grandioser Küsser, doch wie Stiles im Laufe der Zeit noch herausfinden sollte, war er eigentlich in allem was er tat überragend gut.
 

Irgendwann versuchte Peter Stiles dann das T-Shirt auszuziehen, was den Jüngeren, der in Sachen Liebe ja noch völlig ahnungslos war, innerlich augenblicklich in Panik versetzte, auch wenn er bemüht war, äußerlich den Anschein von Souveränität aufrecht zu halten:
 

„Alles in Ordnung bei dir?“ fragte Peter, der Stiles Unruhe dennoch gespürt haben musste:
 

„Ich... ich muss duschen. Das Wetter, die Autofahrt und der Umzug...“ murmelte Stiles unbehaglich:
 

„Willst du vielleicht, dass ich mitkomme? Ich könnte dir ein wenig den Rücken waschen, was hältst du davon, Stiles?“ wollte der Ältere wissen.
 

Und Stiles, dem gerade zwar der Arsch auf Grundeis ging, der aber dennoch immer schon ein unglaublich loses Mundwerk gehabt hatte, antwortete darauf:

„Ich glaube, das lassen wir wohl lieber. Ich bin so ungeschickt. Am Ende lasse ich noch die Seife fallen und was machen wir dann?“
 

Peter grinste wieder auf diese gewinnende, charmante, hinreißende Art und versichert:

„Da fällt uns schon etwas ein.“
 

Stiles hatte sich mittlerweile erhoben, ließ ein wenig den Kopf hängen und verschränkte nun die Arme vor der Brust:

„Weißt du, Peter... ich bin nicht so ein Junge! Es tut mir leid, wenn ich den falschen Eindruck erweckt habe.“
 

„Du bist noch Jungfrau, richtig?“ schloss Peter haarscharf.

Es klang alles andere als unfreundlich.
 

Stiles wurde rot, wie eine überreife Kirsche:

„Ist das so offensichtlich?“ fragte er unglücklich:
 

„Hey Kleiner, ist doch okay!“ erwiderte Peter sanft: „Wir haben doch alle mal angefangen! Kein Grund sich zu schämen. Du hast eben diesen unschuldigen Kleinstadtjungen-Charme, der dich verraten hat und ich finde das offen gesagt bezaubernd! Aber willst du vielleicht lieber, dass ich nun gehe?“
 

Stiles schüttelte heftig mit dem Kopf:

„Nein, ich möchte gern, das du bleibst. Bitte bleib, Peter! Ich dusche nur rasch und dann bin ich wieder bei dir, ja? Wartest du hier auf mich?“
 

„Einverstanden!“ versicherte Peter und zwinkerte Stiles aufmunternd zu.
 

Und Peter hielt Wort, er war an diesem Tag bei Stiles geblieben. Die Zwei waren damals sogar doch noch irgendwie im Bett gelandet, doch Peter hatte sich als der perfekte Gentleman erwiesen. Sie hatten sich wieder geküsst, ein bisschen rumgemacht und es war toll gewesen, aber ihre Hosen waren zu geblieben.

Auch wenn ein Teil von Stiles sich Peter am liebsten auf der Stelle mit Haut und Haar hingegeben hätte, so wusste der Ältere doch genau, dass er noch nicht so weit war und scheinbar hatte er auch keine Eile, was dazu führte, dass Stiles sich bei ihm auf der Stelle wohl und aufgehoben fühlte und später in der Nacht sogar friedlich in Peters Armen einschlief.
 

Von diesem Tag an waren sie irgendwie so etwas wie ein Paar.

Erst sehr viel später erfuhr Stiles, dass dies auch für Peter eine Premiere war, weil er sich in seinen achtunddreißig Lebensjahren tatsächlich noch nie auf eine, wie auch immer geartete, längere Bindung zu einem anderen Menschen eingelassen hatte. In seinem bisherigen Leben hatte er stets von einem One-Night-Stand zu nächsten gelebt und das war ihm auch stets genug gewesen. Hätte man Peter gefragt, was sich nun plötzlich geändert hatte, so hätte er wahrscheinlich nicht gewusst, wie er darauf antworten sollte.
 

Peter war zu Stiles von Anfang an ehrlich gewesen, hatte erklärt, dass er es schön fand mit ihm, dass er sich jedoch schnell langweile, weswegen eine monogame Beziehung für ihn nicht in Betracht kam. Wenn sie zusammen wären, dann würde er auch mit anderen schlafen und Stiles müsse entscheiden, ob er damit zurechtkäme.
 

Stiles war jung und verliebt und er wollte, dass diese Sache funktionierte. Er versicherte, dass es ihn nicht stören würde und war sich in diesem Moment sogar vollkommen sicher, dass er die Wahrheit sagte. Er könne für sie beide treu sein und sie würden das schon schaffen, erklärte er feierlich.
 

Peter hatte ein wenig gelacht, ihm gesagt, dass er unglaublich süß sei, doch dann versichert:

„Du musst dich an dieses Versprechen nicht gebunden fühlen, Baby. Du bist jung und hast noch nicht viel Erfahrung, aber du wirst sehen, dass auch du früher oder später ein wenig Abwechslung wollen wirst. Wir sind Männer, so sind wir eben! Du bist frei zu tun was immer du möchtest. Und wir beide sind zusammen, weil wir es wollen und nicht, weil wir uns ein Versprechen gegeben haben, oder uns verpflichtet fühlen. Verstehst du, was ich damit sagen will.“
 

Stiles hatte dazu genickt und sich sehr jung gefühlt.

Dennoch nagte in ihm ein kleiner Zweifel, ob Peter mit seinen Worten Recht hatte?

Und tatsächlich hatte er in den drei Jahren ihrer Beziehung niemals etwas mit einem anderen Mann angefangen und er vermisste auch nichts.

Männer waren offenbar eben doch nicht alle gleich?
 

Es war immer schön mit Peter. Er war diese unglaubliche Mischung aus Humor, Lebensfreude, Unverwüstlichkeit, Gerissenheit und Energie. Sex mochte die Triebfeder in seinem Leben sein, doch er war irgendwie auch ein Freund der großen, romantischen Gesten, ob er nun ein ganzes Restaurant mietete, um mit Stiles allein zu speisen, oder ihre gesamte Wohnung aus einer spontanen Laune heraus mit Baccara-Rosen füllte, die Stiles am Abend empfingen, wenn er nachhause kam. Dies war offensichtlich Peters Art „Ich liebe dich!“ zu sagen, denn die Worte selbst vielen kein einziges Mal, weswegen auch Stiles selbst sehr bald aufhörte, sie zu sagen, denn die Stille, die daraufhin jedes Mal entstand ertrug er einfach nicht.
 

An Peters Seite war das Leben ein Abenteuer. Er kannte die interessantesten, verrücktesten Leute, wurde zu den aufregendsten Partys eingeladen und kannte die spannendsten Orte.

Sie reisten viel, lebten zeitweise auch in anderen Städten; in New York, London, Amsterdam, Paris, Berlin, Florenz und sogar ein paar Monate in Tokyo. Peter wurde es nun einmal in allen Bereichen des Lebens schnell langweilig und so passte Stiles sich eben an, richtete sein Leben darauf ein, ließ sein Studium schleifen, oder machte hier und da ein Auslandssemester, wann immer es eben möglich war. Was machte es schon, wenn Stiles dadurch nicht allzu schnell zu einem Abschluss kam. An Peter Seite lernte er am Ende soviel mehr, so war er sich sicher.
 

Peter kümmerte sich um Stiles, sorgte für ihn auch in finanzieller Hinsicht, denn sein Lebenswandel war ziemlich teuer. Dennoch ließ Stiles es sich nie ganz nehmen, mit Aushilfsjobs wenigstens einen kleinen Teil zum gemeinsamen Lebensunterhalt beizusteuern, auch wenn Peter beteuerte, dass dies überhaupt nicht notwendig sei, weil er genug Geld für sie beide habe.
 

Auch emotional schien Peter oft zu wissen, was Stiles gerade brauchte. Nachdem dieser sich zum ersten Mal von ihm hatte ficken lassen, hatte er anschließend furchtbar zu weinen und zu zittern begonnen. Es war nicht deswegen, weil ihm währenddessen etwas wehgetan hätte, oder weil es nicht schön gewesen wäre, im Gegenteil, es war der absolute Wahnsinn, doch es war auch eine mächtige emotionale Erfahrung, die Stiles ganz einfach überwältigt hatte. Seine Tränen hatten nichts mit Traurigkeit zu tun, sondern lediglich mit Spannungsabfuhr, aber es war ihm damals wahnsinnig peinlich und er machte immer wieder zum Scheitern verurteilte Versuche, sich dem Älteren zu erklären, doch Peter hatte ihn auch so verstanden, hatte versichert: „Es ist okay, Stiles!“ und dann hatte er ihn einfach nur gehalten und ganz sacht gewiegt, bis Stiles sich wieder vollständig beruhigt hatte.

Dieses erste Mal und Peters liebevolle Reaktion auf das, was danach geschehen war, blieb Stiles im Gedächtnis haften, als eine dieser besonderen Erinnerungen, die alles andere überstrahlten. Sie war auch der Klebstoff, der ihn an Peter band in ihren dunkleren Zeiten.
 

Denn so schön es auch war, wenn er und Peter zusammen waren, so furchtbar war es auch, wenn dieser einmal fort war und Stiles eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte, was er gerade tat. Manchmal kam Peter dann tagelang nicht heim, rief nicht an und ging auch nicht ans Telefon, wenn Stiles es bei ihm probierte.

Stiles litt in diesen Zeiten wie ein Hund. Am schlimmsten war es immer dann, wenn sie mal wieder in irgendeinem fremden Land waren, wo Stiles niemanden kannte und auch die Sprache nicht beherrschte.

Er hätte niemals geglaubt, dass man sich wirklich so allein auf der Welt fühlen konnte?
 

Dennoch hatte er sich ja freiwillig darauf eingelassen, weswegen er sich auch nicht beschwerte. Und wenn Peter dann wiederkam, war auch sofort alles wieder in bester Ordnung.

Ein bisschen Einsamkeit und Verzweiflung zwischendurch waren nur ein kleiner Preis für das Glück, welches er an Peters Seite erfuhr.
 

Jedenfalls war das eine lange Zeit so gewesen. Die Veränderung setzte so langsam ein, dass Stiles sie anfänglich nicht einmal selbst richtig bemerkte, doch aus körperlichen Erscheinungen, wie gelegentlichen Bauch- und Kopfschmerzen, seltsamem Juckreiz am ganzem Körper, oder einer bleiernen Müdigkeit, die manchmal tagelang anhalten konnte, wurde nach und nach ein anhaltendes Gefühl der Unzufriedenheit.

Stiles sprach mit Peter nicht darüber und versuchte nach Kräften, es seinen Geliebten auch nicht spüren zu lassen. Es war ja auch überhaupt nicht dessen Schuld! Stiles wusste schließlich von Anfang an, worauf er sich eingelassen hatte.

Und obwohl Stiles das wusste, konnte er es nicht verhindern, dass diese Unzufriedenheit irgendwann die nächste Eskalationsstufe erreichte und das war Aggression.

Ihm war klar, dass er etwas unternehmen musste und so fing er mit Sport an; Boxen, Krafttraining, Karate; alles was ihm half, seine Wut abzubauen, um am Abend wieder gut gelaunt zu Peter zurückzukehren und die Zeit mit ihm genießen zu können.
 

Und dann kam Stiles einundzwanzigster Geburtstag. Irgendwie hatte er sich gewünscht, dass Peter sich für diesen Tag etwas Besonderes für ihn ausdenken würde, eine Party für ihn geben, mit ihm ausgehen an einen besonderen Ort, oder einfach irgendetwas Schönes nur für sie beide, doch nach dem Frühstück sagte Peter einfach nur schlicht:

„Ich verschwinde gleich, Süßer. Warte nicht mit dem Abendessen auf mich, ich komme heute nicht wieder.“
 

„Ach so.“ erwiderte Stiles so gleichgültig und beiläufig, wie es ihm möglich war, während er gleichzeitig in seinem Inneren etwas wahrzunehmen glaubte, dass wie zerbrochenes Kristall klang, kein lautes Scheppern, nur ein zartes „Pling“, das war alles.
 

Peter stellte sein Geschirr und sein Besteck in die Spülmaschine und wandte sich dann in Richtung Tür. Dann hielt er noch einmal inne, wendete sich zu Stiles um und stellte fest:

„Also sowas! Jetzt hätte ich es doch beinahe vergessen!“
 

Stiles schöpfte törichter Weise Hoffnung.
 

Peter fuhr fort:

„Happy Birthday, Kleiner!“ Er zog seine Brieftasche hervor, legte fünf Hundertdollarscheine vor Stiles hin und forderte: „Kauf´ dir bitte etwas Cooles, ja? Irgendwas, was du dir schon lange wünschst, eine von diesen Spielekonsolen, die du so liebst, oder eine Zuckerwatte-Maschine, oder was immer du willst. Hab´ Spaß! Bis Bald, Baby!“

Er beugte sich zu Stiles herunter und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.
 

Dieser starrte einfach bloß fassungslos auf das Geld auf dem Frühstückstisch und schaffte es lediglich aufgrund seiner guten Erziehung ein knappes: „Dankeschön!“ hervorzubringen.

Er blickte Peter hinterher und hörte wenig später die Wohnungstür ins Schloss fallen.
 

Stiles blieb noch lange so sitzen, regungslos und den Blick in jene Richtung geneigt, in welche Peter verschwunden war. Die Zeit schien irgendwie stillzustehen und auch Stiles selbst fühlte sich wie in einer Art Schockstarre gefangen.

Was sollte er denn jetzt nur tun? Sollte er den Tisch abdecken? Sollte er den angebissenen Bagel auf seinem Teller zuerst aufessen? Aber irgendwie war sein Magen momentan wie verschlossen? Er wusste einfach nicht weiter!

In seinem Kopf herrschte gerade so ein Rauschen, welches das Fassen eines sinnvollen Gedankens vollkommen unmöglich machte. Stattdessen purzelten die unterschiedlichsten Überlegungen wild und wenig sinnvoll durcheinander:

Er war so furchtbar enttäuscht, aber hatte er dazu denn überhaupt ein Recht? Peter wusste doch gar nicht, dass es Stiles wichtig gewesen wäre, diesen Tag mit ihm zu verbringen, denn er hatte es ihm ja nicht gesagt.

Und ein dummer Geburtstag war doch auch bloß ein Tag, wie jeder andere, auch wenn es die Volljährigkeit betraf, also wieso deswegen ein Aufhebens machen?

Aber wäre Peter wohl geblieben, wenn Stiles ihn darum gebeten hätte? Sein Freund, der immer nur das tat, was er selbst auch wirklich wollte? Und wenn sein Penis ihm eben befahl heute cruisen zu gehen, dann würde Peter das gewiss nicht Stiles zuliebe auf Morgen verschieben, denn so war er eben nicht!

Aber warum verdammt nochmal? Warum war er nicht so?

Warum konnte sich Peter eigentlich nicht ein einziges Mal an Stiles anpassen? Stiles selbst hatte es doch schließlich bereits unzählige Male für ihn getan, oder etwa nicht?

Andererseits hatte Peter dies niemals von ihm verlangt. Stiles hatte das lediglich getan, weil ihm die Alternative nicht gefallen hatte, die da lautete nicht mit Peter zusammen sein zu können und ihn am Ende vielleicht sogar zu verlieren.

Also hatte Stiles es doch auch nur aus Eigennutz getan, richtig?
 

Stiles wurde das Durcheinander in seinem Kopf irgendwann zu viel. Er erhob sich, packte seine Sporttasche und verließ das Apartment.
 

Er schuftete mehrere Stunden im Fitnessstudio, viel härter als sonst, kämpfte sich allen Frust, alle Traurigkeit und alle Verzweiflung mit Gewalt aus dem Leib.

Als er irgendwann einfach nicht mehr konnte, setzte er sich an die Saftbar in Sichtweite des Geräteraums und erfrischte sich an einem dieser überteuertem Grünkohl-Mango-Spirulina-Eiweißshakes.
 

Er starrte einfach so sinnlos vor sich hin, dankbar dafür, dass die Stimmen in seinem Inneren vorerst verstummt waren, als er irgendwann bemerkte, dass er angestarrt wurde. Ein Typ mit schwarzen Haaren, großen, ernsten grünen Augen, Dreitagebart und einem Körper wie aus Marmor gehauen hatte ihn fest ins Visier genommen.

Stiles kannte den Fremden vom Sehen. Er trainierte bereits seit einigen Monaten hier und innerlich hatte Stiles ihn ein wenig einfallslos im Stillen für sich „Adonis“ getauft, denn selbst gemessen an den ganzen gutaussehenden Männern, die hier in diesem Studio in West-Hollywood trainierten, war dieser Kerl eine Ausnahmeerscheinung. Er trainierte gerade ausgiebig an der Bauchmuskelmaschine; etwas das „Mr. Sixpack“ im Grunde gar nicht mehr nötig hatte, soweit Stiles von hier aus beurteilen konnte und schaute dabei zu ihm hinüber. Die Frage war bloß WIESO? Bisher hatte „Black-Beauty“ Stiles jedenfalls noch nie eines Blickes gewürdigt, warum also heute? Was war an diesem Tag anders als sonst?
 

Stiles wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, denn sicherlich hatte er einen wahnsinnig peinlichen Grünkohl-Bart. Er blickte anschließend verstohlen auf seine Hand hinab, doch dort zeigten sich keine verdächtigen Spuren.

Er blickte an sich hinab, denn möglicherweise war ja auch etwas anderes nicht mit ihm in Ordnung, doch im Grunde musste er sich selbst zugestehen, dass er eigentlich recht gut aussah. Von dem vielen Training hatte er in letzter Zeit ziemlich an Muskulatur zugelegt und hatte sich bereits vor geraumer Zeit getraut, den schlabberigen Jogginganzug seiner Anfangszeit gegen eine kurze Sporthose und ein enges Funktionsshirt einzutauschen.

Und eine hässliche Fresse hatte er ja nun auch nicht gerade, also vielleicht gefiel diesem Kerl ja auch einfach bloß das, was er sah? So etwas konnte ja durchaus mal vorkommen, oder?

ODER?
 

Aber im Grunde war es auch vollkommen gleichgültig, denn Stiles hatte Peter und brauchte deshalb auch keinen Adonis in seinem Leben!
 

Das schien der Gott der Schönheit und der Vegetation jedoch anders zu sehen, denn er erhob sich nun, strubbelte sich mit seinem Handtuch, welches er dabei hatte noch einmal über das Gesicht und durch die Haare, welche danach selbstverständlich immer noch aussahen, als käme er direkt vom Friseur und dann hielt er genau auf Stiles zu, setzte sich auf den Hocker neben ihn, bestellte sich einen isotonischen Eiweiß-Gurkenwasser-Drink und sagte an Stiles gerichtet:

„Verdammt heiß heute, was? Manchmal frage ich mich, warum wir uns diese ganze Quälerei überhaupt antun? Warum nicht einfach fett werden und das Leben genießen? Wann hattest du dein letztes Stück Pizza? Ich weiß nicht einmal mehr, wie so etwas schmeckt!“
 

„Ich hatte gestern eine Pizza.“ erwiderte Stiles, den die Ansprache durch den Fremden unerwartet traf:
 

„Eine ganze Pizza? Du allein? So wie du aussiehst?“ fragte dieser fassungslos und fügte dann lachend hinzu: „Ich schätze, ich hasse dich!“
 

„Sorry!“ erwiderte Stiles mit einem schiefen Grinsen: „Ich war schon immer ein Hungerhaken und über Ernährung mache ich mir wenig Gedanken. Aber Mann... du siehst unglaublich aus, weißt du das denn nicht? Eine Pizza hin und wieder wird dir mit Sicherheit nicht schaden. Warum nicht gleich jetzt? Mittagszeit ist schon beinahe durch, du hast trainiert, also los, gönn´ dir was!“
 

„Du bist böse, weißt du das? Ein echter Verführer! Also gut, wo gehen wir hin?“ wollte der schöne Fremde wissen.
 

Stiles glotzte ihn einen Moment an, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Seine Worte waren eigentlich gar nicht als Einladung gedacht gewesen, sondern er wollte diesen Fremden im Grunde bloß ermutigen, mal ein wenig locker zu lassen, weil seine Worte den Eindruck erweckten, dass dieser sich wohl grundsätzlich selbst zu sehr an der kurzen Leine hielt. Und Stiles, der dieses Problem leider nur allzu gut kannte, jedoch an Peters Seite gelernt hatte ein wenig loszulassen und das Leben zu genießen, wollte diese Erkenntnis nun gern teilen.
 

Er beabsichtigte zunächst das Missverständnis aufzuklären, doch dann sagte er sich: `Warum eigentlich nicht?´ Peter befand sich vermutlich gerade inmitten einer wüsten Orgie altrömischen Ausmaßes, aber er selbst durfte nicht einmal eine Pizza mit einem sympathischen Kerl essen, den er soeben kennengelernt hatte?
 

Vielleicht war er ja doch nicht ganz der richtige Kandidat, um anderen Leuten Ratschläge in Sachen `Joie de vivre´ zu geben, wenn er sich selbst derartige Verbote auferlegte? Zumal Peter und er ja rein theoretisch eine offene Beziehung führten, auch wenn Stiles selbst hiervon niemals Gebrauch gemacht hatte. Wenn er wollte, dann könnte er doch sogar mit dem schönen Kerl neben sich nett ein bisschen vögeln und es wäre in Ordnung, also warum nicht wenigstens eine kleine Pizza genießen, ein wenig quatschen, vielleicht eine neue Freundschaft schließen... Da war doch nichts dabei!

„Ich weiß, wo es die beste Pizza der Stadt gibt.“ erklärte Stiles also, reichte dem Unbekannten die Hand und fügte hinzu: „Ich bin übrigens Stiles! Freut mich, dich kennenzulernen.“
 

„Ich bin Derek! Es freut mich auch.“ erwiderte sein Gegenüber und dann lächelte er.

Dieser Derek hatte ein spektakuläres Lächeln, welches ein beinahe vollkommenes perlweißes Gebiss entblößte, bis auf die beiden Zähne oben in der Mitte, die ein wenig länger waren, als ihre Nachbarn.

Stiles, der als Kind Kaninchen gehabt hatte, fand es bezaubernd und urteilte, dass ebenjener kleine, vermeintliche Makel der ganzen Vollkommenheit erst den letzten Schliff verlieh.
 

Die beiden Männer gingen als zu den Duschen, zogen sich ihre Straßenkleidung an und machten sich auf dem Weg zum Parkplatz. Stiles, welcher zu Fuß gekommen war beschrieb Derek den Weg zur Pizzeria und schlüpfte neben ihn in dessen schwarzen, sexy Camaro, welcher sich daraufhin mit einer raubtierhaft-schnurrenden Motor in Bewegung setzte.
 

Derek bestellte sich tatsächlich seine ersehnte Pizza, wenn auch lediglich eine Verdura mit Grillgemüse und wenig Käse, dennoch schien er sie zu genießen, als handele es sich dabei um Ambrosia, die Speise der Götter.
 

Stiles, der diese Art Zurückhaltung nicht kannte bestellte sich eine Fleischfresser-Spezial mit Bacon, Hackfleisch, Rindfleischstreifen und dreifach Käse, von der er Derek ein Stückchen probieren ließ. Als dieser diese Geste erwidern wollte, lehnte Stiles dankend jedoch ab.

Am Ende bekam er womöglich noch eine Vitaminvergiftung!
 

Die Männer kamen mühelos ins Gespräch, lachten viel, auch wenn Stiles den Eindruck nicht loswurde, dass dieser Derek im Grunde ein eher ernster Typ war.

Stiles erzählte von den Reisen, die er in den letzten Jahren unternommen hatte und von den Orten, die er gesehen hatte.

Über Peter sprach er dabei nicht.
 

Derek hingegen redete viel über seinen Partner Isaac und ihr gemeinsames Leben in den letzten Jahren und er wirkte glücklich bei seinen lebhaften Schilderungen.

Erst kurz bevor die beiden zahlen wollten, ließ er Stiles wissen:

„Isaac ist vor eineinhalb Jahren ganz unerwartet gestorben; ein Unfall weißt du? Es war schwer, zu begreifen, was da überhaupt geschehen ist und einigermaßen darüber hinweg zu kommen. Erst jetzt fange ich langsam an zu begreifen, dass ich nicht mit ihm gestorben bin und dass das Leben irgendwie weitergehen muss, ob ich nun will, oder nicht.“
 

Dereks Stimmung war so plötzlich, unerwartet und mit solch einer Wucht umgeschlagen, dass Stiles zunächst gar nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte?

„Oh Mann... das... das tut mir echt leid!“ murmelte er schließlich.
 

Derek schenkte ihm ein melancholisches Lächeln:

„Ich danke dir. Und... es tut mir auch leid! Ich hatte nicht gewollt, dass sich unser Gespräch so entwickelt. Ich schätze, ich kann diese Gefühle noch immer nicht so gut steuern. Ich wollte dich nicht runterziehen, ehrlich.“
 

Stiles lächelte warm:

„Ist in Ordnung. Diese Dinge gehören eben genauso zum Leben, wie die schönen Ereignisse. Ich habe meine Mutter verloren, als ich neun war, weißt du? Es ist auch ganz plötzlich passiert. Sie wurde von heute auf morgen schwer krank und dann ist sie innerhalb eines Jahres von einer jungen gesunden Frau zu einer Person geworden, die niemanden mehr von uns erkannt hat. Ich habe eine Ewigkeit gebraucht, um das zu erfassen und einigermaßen zu verwinden. Manchmal muss ich heute noch weinen, wenn ich an sie denke, oder wenn sich ihr Geburts- oder Todestag mal wieder jähren. Ich glaube, das ist vollkommen normal. Und dass es schwer ist liegt eben daran, dass man den Menschen so sehr geliebt hat.“
 

„Danke!“ sagte Derek noch einmal und fügte lächelnd hinzu: „Ich fand es sehr schön heute mit dir zu essen. Vielleicht wiederholen wir das ja irgendwann einmal?“
 

Stiles wurde ein wenig mulmig zumute. Bis gerade eben hatte er noch gedacht, dass er möglicherweise sogar mit Derek nachhause gehen würde, wenn dieser ihn gefragt hätte. Vielleicht hätten sie dann netten, bedeutungslosen Sex gehabt, zwei Jungs, die eigentlich eine anderweitige Beziehung hatten und dennoch Lust auf einander hatten. So machte Peter es schließlich auch immer.

Und Stiles wäre dann zu seinem Freund nachhause gegangen mit dem Gefühl, es ihm in gewisser Weise heimgezahlt zu haben. Er hätte es ihm vermutlich sogar erzählt, auch wenn es Peter wohl nicht weiter gekratzt hätte. Er hätte ihm vielleicht sogar dazu gratuliert? Das sähe Peter jedenfalls ähnlich.
 

Doch durch das Ende ihrer Unterhaltung erschien Derek plötzlich in einem ganz anderen Licht. Er war keine hübsche Trophäe, sondern ein empfindsamer, verletzter Mann, der sehr viel mehr verdiente, als Stiles gekränktes Ego aufzupolieren.

Und so versicherte Stiles:

„Wir können das sehr gern wieder einmal machen. Ich fand es auch schön. Aber eine Sache solltest du wissen: Ich habe einen Freund! Wir leben zwar nicht monogam und außerdem läuft es momentan nicht so toll, aber ich finde, du solltest das dennoch wissen.“
 

„Ich verstehe!“ beteuerte Derek: „Das ist nicht schlimm. Ich gebe dir einfach meine Telefonnummer und du rufst mich an, wenn du Lust hast, etwas zu unternehmen, essen zu gehen, oder was auch immer. Und wenn nicht, dann ist das auch okay. Ich fand´s jedenfalls toll, mit dir eine Pizza zu essen. Ohne dich hätte ich mir das wohl nie gegönnt. Danke dafür!“
 

Die beiden verabschiedeten sich und Stiles Leben ging weiter wie bisher. Er ging in die Uni, verbrachte wunderschöne Stunden mit Peter und ganz furchtbare ohne ihn und manchmal, wenn er wieder einmal allein war, dann drehte Stiles den Zettel mit Dereks Telefonnummer in Händen, ohne ihn je anzurufen.

Er hoffte jedes Mal, wenn er ins Fitnessstudio ging, Derek dort zufällig in die Arme zu laufen, denn dann wäre es schließlich so etwas wie Schicksal gewesen und er hätte nicht aktiv den Kontakt zu ihm aufgenommen, doch bedauerlicherweise passierte das einfach nicht.
 

Und eines Tages, als er wieder einmal allein zuhause saß und Peter irgendwo einen anderen fickte, da wählte Stiles schließlich doch noch die Nummer auf dem mittlerweile ganz schmuddeligen und zerknüllten Stück Papier.
 

Derek ging bereits beim ersten Klingeln ran und zu Stiles Erleichterung schien er überhaupt nicht böse zu sein, dass es so lange gedauert hatte. Sie verabredeten sich gleich für den nächsten Tag.
 

Ihre zweite Begegnung war ebenso angenehm gewesen, wie ihr erstes, zufälliges Zusammentreffen und von da an verabredeten sich Stiles und Derek öfter, unternahmen Dinge miteinander, trainierten gemeinsam, gingen an den Strand, ins Kino, ins Restaurant und einmal sogar zum bowlen.

Sobald Stiles ein wenig Vertrauen gefasst hatte, begann er auch ein wenig von seiner Beziehung zu erzählen, von den schönen Dingen, aber auch von den traurigen. Derek hörte sich das alles an, doch er war seltsam zurückhaltend darin, etwas dazu zu sagen.

Stiles störte sich nicht daran. Er war einfach nur froh, sich diese Dinge einmal von der Seele reden zu können.
 

Und eines Abends, nach einem guten Essen in einem teuren Restaurant mit anschließendem Mondscheinspaziergang an der Strandpromenade fragte Derek ihn:

„Willst du vielleicht mit zu mir kommen, Stiles?“
 

Und Stiles sagte Ja.
 

Der Sex mit Derek hatte sich ganz und gar nicht wie ein unbeschwerter One-Night-Stand angefühlt. Vielmehr war es intim, liebevoll, vertraut und großartig und Stiles blieb über Nacht.
 

Der Katzenjammer holte ihn erst am kommenden Morgen ein, denn im sonnigen Tageslicht, welches durch Dereks Fenster ins Schlafzimmer schien, konnte Stiles sich nichts mehr darüber vormachen, was in letzter Zeit mit ihm passiert war:

Er hatte sich in Derek verliebt!
 

„Guten Morgen! Ist alles in Ordnung bei dir?“ fragte Derek stirnrunzelnd, welcher soeben ebenfalls die Augen aufgeschlagen hatte.
 

Stiles schüttelte heftig den Kopf, schlüpfte eilig in seine Boxershorts, floh dann aus dem Bett und begann in Dereks Schlafzimmer auf und ab zu marschieren, wie ein eingesperrtes Tier:

„Fuck, fuck, fuck! Was habe ich bloß gemacht?“ murmelte er vor sich hin.
 

Derek zog sich ebenfalls etwas an, stand auf und hielt Stiles vorsichtig, mit ausgestreckten Armen fest, um ihn daran zu hindern weiter herumzuwandern:

„Hey Stiles, beruhige dich! Es ist doch weiter gar nichts Schlimmes passiert? Ich dachte, dein Freund und du, ihr führt eine offene Beziehung? Und wenn es wegen mir ist, dann mach´ dir bitte keine Sorgen! Ich erwarte überhaupt nichts von dir, hörst du.“
 

Doch die beruhigenden Worte drangen gar nicht erst zu Stiles durch, denn in diesem Augenblick fühlte er etwas Mächtiges anrollen, etwas was er bereits seit Schulzeiten nicht mehr erlebt hatte: Er bekam eine Panikattacke und begann zu zittern und zu hyperventilieren, wie ein überfordertes Kind.
 

Derek schien zu wissen, was zu tun war. Vielleicht hatte sein verstorbener Freund so etwas ja auch manchmal gehabt?

Er führte Stiles zum Fenster, öffnete es, damit frische Luft herein kam, legte von hinten die Arme um ihn und murmelte ihm beruhigende Worte in den Nacken.
 

Nach einer Weile ebbte die Attacke tatsächlich ab und die beiden Männer nahmen auf dem Bett Platz. Stiles war es ein dringendes Bedürfnis zu erklären, was in ihm vorging. Er sprach lange und es war nicht ganz einfach, ihm zu folgen, weil sein Bericht ziemlich durcheinander ging, doch Derek hörte sich das alles geduldig an. Und schließlich sprach Stiles die Worte aus, vor denen er sich am meisten fürchtete:

„Ich bin nicht mehr glücklich mit meinem Freund. Ich muss es beenden, weil das hier einfach nicht fair ist!“

Als das gesagt war, brach er in Tränen aus.
 

Derek zog ihn in seine Arme und wiegte ihn sanft, bis auch das letzte Schluchzen restlos verklungen war.

Schließlich putzte sich Stiles die Nase, tupfte sich die Augen trocken und erklärte dann entschlossen:

„Ich muss es ihm sagen. Jetzt sofort!“
 

„Bist du sicher?“ fragte Derek besorgt: „Willst du es dir nicht vielleicht noch einmal durch den Kopf gehen lassen, oder noch ein bisschen warten, oder so? Du bist gerade immerhin ziemlich aufgewühlt.“
 

Stiles schüttelte den Kopf:

„Nein, ich bin mir ganz sicher. Und mach dir keine Sorgen, Derek! Ich erwarte nicht, dass wir von nun an zusammen sind, auch wenn ich mir das wünschen würde. Dich trifft keine Schuld an dieser Trennung und du sollst dich nicht für mich verantwortlich fühlen, oder was auch immer.“
 

Da blickte Derek ihn ganz eigenartig an und fragte leise:

„Aber wenn ich das gern wollen würde? Was wenn ich mich gern für dich verantwortlich fühlen möchte? Ist das erlaubt? Ich mag dich, Stiles; sehr sogar. Ich hätte niemals gedacht, dass ich mich im Leben noch einmal verlieben könnte, doch das habe ich.“
 

Stiles lächelte unsicher zu ihm hinüber und dann zog er ihn zu einem Kuss zu sich heran.
 

Eigentlich hatte Stiles allein zu Peter fahren wollen, doch Derek erinnerte ihn daran, wie er vorhin noch in Panik ausgebrochen war und dass er bei diesem schweren Gespräch sicher ein wenig Rückendeckung gut brauchen konnte, also waren sie zusammen aufgebrochen.

Stiles hatte Peter am Telefon vorgewarnt, dass er etwas Ernstes mit ihm bereden wollte und dieser hatte eigenartigerweise überhaupt nicht nachgefragt, um was es wohl gehen mochte.
 

Eine halbe Stunde später drehte Stiles den Schlüssel im Schloss ihrem gemeinsamen Apartment herum und als die Tür aufschwang, stand Peter bereits dahinter. Stiles hatte sein Gesicht noch niemals derart ernst und blass gesehen. Dann trat Derek hinter ihm ein und Peters Miene änderte sich und zeigte vollkommene Verblüffung:

„Derek?“ fragte er fassungslos: „Seit wann bist du denn wieder in L.A.?“
 

„Peter?“ tönte es hinter Stiles: „DU bist das?“
 

„Ihr kennt euch? Aber... wie?“ fragte Stiles erschrocken.
 

Peter fand als erstes seine Stimme wieder:

„Derek ist mein Neffe, Süßer. Kommt doch erst mal rein. Setzen wir uns.“

Er machte eine einladende Geste in Richtung Wohnzimmer.
 

Die drei Männer nahmen auf dem Sofas und Sesseln Platz, doch es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis einer von ihnen etwas sagen konnte:
 

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass ihr beide miteinander verwandt seid!“ durchbrach Stiles schließlich das Schweigen.
 

Peter zuckte mit den Schultern und Derek saß einfach nur da, als sei er versteinert.
 

„Ich glaube, wir müssen allein sprechen, Peter.“ bat Stiles leise.
 

Der Ältere nickte. Sie verschwanden im Schlafzimmer und ließen Derek im Wohnzimmer zurück.
 

„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Es ist so schwer.“ begann Stiles mit brüchiger Stimme:
 

„Ist in Ordnung, Süßer, du musst mir nichts erklären! Ich weiß es doch längst. Ich spüre es seit Wochen.“
 

„Es tut mir so leid!“ flüsterte Stiles beklommen:
 

„Du weißt doch, wie ich über Entschuldigungen denke, Baby. Sie sind Bullshit!“ gab Peter sanft zurück: „Und es gibt auch nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest. Du hast nichts falsch gemacht. Denkst du, ich hatte nicht mitbekommen, wie unglücklich du in letzter Zeit gewesen bist? Und das hast du eben einen Anderen kennengelernt. So ist das Leben! Wie wird es nun weitergehen, Stiles?“
 

„Ich... ich hole meine Sachen in ein paar Tagen ab. Ist das in Ordnung?“ fragte Stiles unsicher:
 

„Das ist in Ordnung.“ bestätigte Peter.
 

Stiles blinzelte nervös:

„Aber bist du mir denn gar nicht böse?“ wollte er wissen: „Wir hatten so wunderbare Jahre miteinander. Ich habe so viel von dir gelernt, du hast mir so vieles geschenkt... An deiner Seite bin ich erwachsen geworden. Ich fühle mich furchtbar so gemein und egoistisch! Ich will dir nicht wehtun, Peter, wirklich nicht!“
 

„Ich verstehe es, Stiles. Ich wusste schon lange, dass das mit uns eines Tages so ausgehen würde, auch wenn ich gehofft hatte, es würde vielleicht noch ein wenig länger dauern, bis du es merkst. Merkst du was? Ich bin der, der egoistisch ist!“ Peter lachte kurz auf, auch wenn es hart und freudlos klang: „Ich kann dir nicht alles geben, was du brauchst, aber ich bin sicher, dass Derek es kann. Er ist eine treue Seele und er wird gut zu dir sein, das weiß ich.“

Peter Lächeln war so zuversichtlich und lieb, als er das sagte.
 

In Stiles Kehle bildete sich ein dicker, schmerzhafter Kloß, der das Atmen erschwerte:
 

„Ach Süßer, nun schau mich doch nicht so an. Es ist in Ordnung, wirklich! Ich komme klar. Du weißt doch: Schlechten Leuten geht es immer gut!“

Dann sagte Peter etwas, dass Stiles endgültig den Rest gab:

„Ich wünsche dir alles Glück der Welt, Stiles! Ich liebe dich! Habe ich immer, werde ich immer!“
 

Ein Damm brach und bei Stiles flossen weiteres Mal an diesem Tag in Tränen aus. Wie sehr hatte er sich in den letzten drei Jahren nach diesen drei kleinen Worten verzehrt, doch nun, wo er sie hörte, da kamen sie zu spät.

Es tat weh!

Es tat so verdammt weh!
 

Peter seine Arme um Stiles und tröstete ihn. Dann küssten sie sich noch ein letztes Mal, ehe Stiles ganz einfach ging.
 

Peter trat ans Fenster und blickte hinunter auf die Straße. Er brauchte ganz einfach dieses Bild; dieses allerletzte Bild von Stiles, wie er zu Derek in den Wagen stieg und aus seinem Leben verschwand, damit er begriff, dass er ihn endgültig verloren hatte.

Und selbst als der schwarze Sportwagen mit den beiden Männern darin längst aus seinem Blickfeld verschwunden war, starrte er noch lange hinaus.
 

Irgendwann riss er sich los, wandte sich um und begann, wie ein Besessener auf die weiße Schlafzimmerwand einzudreschen, bis der Putz flog, seine Knöchel dick anschwollen und sich blutige Spuren an der Wand zeigten.



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