Zum Inhalt der Seite

Fremder Feind

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Wiedersehen

Sie stand ihm gegenüber.

Ihm.

Shuichi Akai.

Dem FBI Agenten, der ihre Familie auf dem Gewissen hatte.

Ihrer Zielperson.

Und es war genau das passiert, was nie hätte passieren dürfen. Sie waren einander begegnet. Sie hatte das Überraschungsmoment vergeigt. Möglicherweise wäre er ihnen jetzt einen Schritt voraus und auch wenn Jodie wusste, dass sie jetzt handeln musste, konnte sie sich nicht bewegen. Sie war verwirrt und sofort flammten neue Bilder vor ihrem geistigen Auge auf.

Akai lag auf dem Boden und sah Jodie irritiert an. „Jodie?“ Er hatte sich etwas aufgerichtet. „Ist alles in Ordnung bei dir?“

Sie blickte ihn an. Verletzt und wütend. Ehe sie sich versah, war ihre Fassade eingestürzt und Jodie saß rittlings auf ihm. Aus ihrem Knöchelholster zog sie die kleine Waffe – ihre Colt Model 1908 Vest Pocket – und richtete diese auf das Gesicht des Agenten.

Akai schluckte. „Jodie“, begann er ruhig. „Was soll das?“, wollte er wissen.

„Halt den Mund“, schrie sie. „Alles was du sagst, ist eine Lüge. Alles…“

Shuichi atmete ruhig ein und aus. Er zeigte keine Angst.

„Das hier ist kein Test, Dai“, entgegnete die Amerikanerin. „Ich kenne die Wahrheit. Ich weiß, dass du die Organisation infiltriert hast, um sie zu zerstören. Ich weiß, dass du ein Agent bist und ich weiß auch, wer dein Kontaktmann ist. Aber nicht mit mir. Du glaubst, du mir was vormachen? Nein…ganz und gar nicht. Ich werde…ich werde…“

„Was wirst du, Jodie?“, fragte der FBI Agent.

Jodie schluckte. „Du fühlst dich sicher, weil mir keiner glauben wird. Aber das macht nichts“, erklärte sie. „Ich werde mich jetzt um dich kümmern und wenn ich dich erschießen muss, dann ist das kein Problem. Du vergisst wer ich bin, ich weiß, wie ich deine Leiche verschwinden lassen kann.“

„Du wirst mich nicht erschießen“, sagte der Agent wieder mit ruhiger Stimme.

„Ach ja? Das glaubst auch nur du“, kam es sofort von Jodie. „Du wirst gleich sehen, dass ich das mache…ich mache es….ich mache es…“

Akai schüttelte den Kopf. „Und warum weinst du dann?“, wollte er wissen.

„Ich weine nicht“, gab Jodie von sich. „Ich weine nicht…“

Shuichi legte seine Hand an ihre Wange und wischte die Tränen weg.

„Lass das…“, wisperte sie. „Ich weine…nicht…ich…“

„Lass uns in Ruhe über alles reden, ja?“, fragte Akai.

Jodie schüttelte den Kopf. „Ich kann das nicht“, murmelte sie und stand langsam auf. „Ich kann…nicht…ich…“

„Jodie, das…“ Shuichi erhob sich ebenfalls.

„Sei still“, schrie sie ihm entgegen. Sie schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Als sie sie wieder öffnete und in das Gesicht des Agenten blickte, machte sie einen Schritt nach hinten. „N..nein…“, fügte sie leise hinzu und lief aus dem Zimmer und aus der Wohnung.

Die gebürtige Amerikanerin schluckte. Hatte sie es tatsächlich gewusst? War sie eine Mitwisserin? Hatte sie es dann ihren Eltern erzählt? Jodie konnte nicht mehr geradeaus denken. Was war damals nur passiert? Warum hatte sie gekniffen? Warum konnte sie ihn nicht erschießen und alles verhindern?

Jodie weitete ihre Augen. Sie hatte Mitschuld am Tod ihrer Eltern.

Das Haus ihrer Eltern brannte. Hell und lichterloh. Jodie weitete ihre Augen. Etwas Schlimmes musste passierte sein, aber sie konnte sich keinen Millimeter bewegen. Dann sah sie einen Schatten auf sich zukommen und…hielt ihre Hand auf den Bauch gedrückt. Dennoch sickerte Blut aus der Wunde. Ihr tat alles weh. Hilfesuchend sah sie nach hinten, versuchte einen Blick durch die Scheibe zu erhaschen und merkte dann aber den Blick auf ihren Körper. FBI Special Agent Shuichi Akai musterte sie mit seinen tiefgrünen Augen.

An Jodies Händen klebte Blut: ihres und das ihrer Eltern. Und auch wenn sie selbst dem FBI Agenten zum Opfer fiel, fühlte sie sich nicht besser.

Wie in einem schlimmen Traum drehte sich der Wagen auf dem Asphalt und landete letzten Endes auf dem Dach. Der Airbag hatte Jodie auf ihren Sitz gepresst und fiel Sekunden später in sich zusammen. Allein durch den Sicherheitsgurt hing sie kopfüber auf dem Platz.

„Mhm…“, gab Jodie leise von sich. Sie stöhnte schmerzerfüllt auf. Langsam öffnete sie ihre Augen und brauchte einen Moment um die Situation zu erfassen. Nicht nur ihr Kopf, auch ihr gesamter Körper schmerzte. „Was…was ist…passiert?“, wollte sie leise wissen.

„Der Wagen hat sich überschlagen“, erklärte Akai.

Kurz darauf humpelte Jodie alleine vom Unfallort weg. Die Anstrengung war ihr ins Gesicht geschrieben und wenige Sekunden später wurde der Ort durch das Scheinwerferlicht eines anderen Fahrzeuges erhellt. Vermouth – Chris Vineyard – stieg aus.

Endlich nahm sie ein vertrautes Gesicht wahr. Dennoch ahnte Jodie, dass Gefahr in der Luft lag. Wo war der fremde Mann? Hatte er sich nur versteckt und wartete auf seine Chance? Jodie machte einen Schritt nach hinten. Ein Schuss fiel. Sie taumelte und als der zweite Schuss fiel, ging Jodie zu Boden. Jodie sah nach oben in den Himmel. War das ihr Ende? Sie atmete schwer und hatte keine Kraft mehr um aufzustehen oder um zu kämpfen.

Jodie hustete Blut.

„Der Unfall ist nicht spurlos an dir vorbei gegangen. Wahrscheinlich hast du innere Blutungen…“

Jodie beobachtete Vermouth.

„Er ist weg.“

Vermouth sah nach hinten zu Calvados. „Hast du auch alles gründlich durchsucht?“

„Selbstverständlich. In Anbetracht an den Unfall und die Zeit, die er weg ist, habe ich den Suchradius berechnet. Die quietschten Reifen die ich gehört habe, passen zu einer Flucht.“

„Ich verstehe. Er hat Jodie ihrem Schicksal überlassen.“

Unweigerlich lief ihr eine Träne über die Wange.

„Jetzt wein doch nicht“, sagte Vermouth. Sie kniete sich zu ihr runter. „Deine Wunden werden versorgt werden.“

Jodie legte sich die Hand über den Mund. Sie zitterte.

Shuichi hatte sich keinen Millimeter bewegt.

„Was willst du eigentlich von mir, Dai?“, fragte die Amerikanerin etwas lauter. „Du tauchst auf dem Parkplatz auf und spielst dich als mein Retter auf. Und dann diese merkwürdigen Fragen.“ Jodie verengte die Augen und bugsierte ihn zum Sofa. Sie stieß ihn darauf und stützte sich mit dem Knie zwischen seinen Beinen ab. Sie stand über ihn gebeugt und beobachtete ihn skeptisch. „Wer bist du wirklich, Dai? Spionierst du uns aus? Arbeitest du für die Polizei? Die Sicherheitspolizei? Brauchst du belastbares Material?“, wollte sie wissen und riss in einem Ruck sein Hemd auf. Sie erwartete ein Abhörgerät, fand aber nichts vor.

Akai richtete sich leicht nach vorne. Sein Gesicht kam ihrem immer näher und irgendwann spürte sie seinen warmen Atem neben ihrem Ohr. „Wenn ich ein Spion wäre, würde ich mich besser anstellen“, hauchte er ihr zu. Dann begann er sie leidenschaftlich zu küssen. Und sie erwiderte.

Es hatte bereits vorher zwischen ihnen geknistert. Ein Moment hier. Einen Moment dort. Und wenn er sie aus einer anderen Perspektive beobachten konnte, wirkte sie traurig und verletzlich. Auch wenn sie sich selbst als Mitglied der Organisation sah, wollte sie nur ein normales Leben führen. Ein Leben ohne fragwürdige Dienste. Und er wollte ihr zu diesem Leben verhelfen und sie retten. Aber als es schließlich soweit war, war alles schief gegangen. Er hatte sie gehen lassen müssen.

„An ihrem Lagerhaus werden sie uns…vielleicht erwarten. Am besten ist es, wenn du…wenn du die Wege zwischen den Lagerhäusern und Containern…nimmst. Geh nicht immer geradeaus…lauf Umwege, dann kommst du zur Straße.“

„Wir“, entgegnete Akai und legte seine Hände an ihre Schultern. „Du glaubst doch nicht, dass ich dich hier allein zurücklasse. Ich weiß, dass unsere Chancen sehr gering sind und je länger wir hier bleiben und nichts tun, desto schneller finden sie uns“, fügte der Agent hinzu. „Also? Wohin gehen wir?“

Jodie lächelte. „Dai“, sprach sie leise.

„Shuichi“, antwortete er. „Nenn mich, Shuichi.“

Sie nickte. „Ich…ich hab dich vorhin angelogen“, begann sie leise. „Die Kugel hat mich nicht nur gestreift…Ich bin dir jetzt…“

„Schh…“ Er legte seinen Zeigefinger auf ihre Lippen. „Das hab ich doch bemerkt“, fügte er hinzu und brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen. Als er ihn wenige Sekunden später löste, strich er ihr über die Wange. „Ich lass dich sicher nicht zurück.“

„Du musst“, gab Jodie von sich. „Ansonsten überlebt keiner von uns. Dai…nein, Shuichi…du hast bessere Chancen als ich. Und…vielleicht schaffe ich es auch raus. Aber…dafür müssen wir uns für die Flucht trennen. Wenn wir unterschiedliche Richtungen einschlagen…“

Akai schluckte. „Du versprichst mir, dass du nicht hier bleibst und dich opferst, ja? Ich will, dass du ebenfalls versuchst zu entkommen.“

Jodie nickte. „Natürlich“, fing sie an. „Ich nehme einen anderen Weg. Auch wenn meine Wunde schmerzt…ich werde mich in einem der Lagerhäuser verschanzen und dort warten, bis die Luft rein ist. Wenn ich…sicher bin, dass hier keiner mehr ist, melde ich mich bei dir. Ansonsten musst du morgen früh herkommen…dann beginnen wieder die Arbeiten und…sie werden nicht zuschlagen…“

„Warum habe ich nur das Gefühl, dass du mir gerade Lebewohl sagst?“, wollte er wissen.

Jodie schüttelte den Kopf. „Mach dir darum keine Sorgen…wir werden uns wiedersehen. Und jetzt geh. Sie werden bald hier sein.“

Shuichi löste sich von ihr. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache, aber Jodie hatte Recht. Gingen sie zusammen, hatten sie keine Chance. „Ich tu das wirklich nicht gerne…“

„Ich weiß“, murmelte die Amerikanerin. „Geh jetzt…bitte…sonst…“

Der Agent machte ein paar Schritte nach hinten, dann lief er auf ein Lagerhaus zu. Ehe er in dem Gang zwischen den Häusern verschwand, blickte er sich zu Jodie um, lief dann aber weiter.

Als der erste Schuss fiel, blieb Akai stehen. Der Schuss hallte in seinem Kopf nach und seine Augen waren geweitet. Er machte sich sofort auf den Weg zurück. Als er dem Unfallort immer näher kam, wurde er langsamer. Auch wenn seine Sorge um Jodie groß war, musste er sich an den Feind heranpirschen und nicht überstürzt handeln.

Akai zog seine Waffe heraus. Der Lauf war durch den Unfall etwas gebogen, doch es stellte kein Problem dar, wenn er den neuen Flugwinkel der Kugel miteinkalkulierte. Dann würde seine Waffe ihren Dienst nicht versagen.

Für Shuichi verging eine gefühlte Ewigkeit, ehe er am Unfallort wieder ankam. Er drückte sich gegen die Wand des Lagerhauses und sah den beiden Frauen zu. Akai biss sich auf die Unterlippe. Gerade als er seine letzten Reserven mobilisierte, fiel der zweite Schuss und Jodie ging zu Boden. Shuichi sah dem Szenario geschockt zu. Es lief wie in Zeitlupe ab und er hatte das Gefühl, sich nicht bewegen zu können.

Shuichi schüttelte den Kopf und versuchte die Erinnerungen an seine Jodie zu verdrängen. Denn er war sich sicher, die Frau, die vor ihm stand, war jemand anderes. Jemand, der von der Organisation geschickt wurde, um ihn umzubringen. Akai biss sich auf die Unterlippe. Sie zogen sämtliche Register und schickten die Frau, die seine Schwachstelle war. Und das konnte nur heißen, dass er ihr gegenüberstand: Vermouth.

„Was willst du hier?“, fragte er kühl. Doch er spürte, dass seine Stimme bei jedem Wort zitterte. Der Anblick von Jodie traf ihn tief ins Mark.

Jodie kämpfte gegen ihre Tränen und machte einen Schritt nach hinten. „D…dai…“, wisperte sie. „Du bist…Dai…Shuichi…“

„Was?“ Shuichi sah sie schockiert an. „Hör auf damit“, fügte er an. Er ging auf sie zu und ballte die Faust. „Hör auf so zu tun, als wärst du Jodie. Hör auf, Chris Vineyard!“

Jodie schüttelte den Kopf. „Ich kann das nicht…“, flüsterte sie, drehte sich um und lief los. Auch wenn sie nicht wusste, wie sie wieder zum Hotel kam, wollte sie nur noch weg. Und sie musste Amuro finden.

Akai weitete seine Augen. Hatte er sich geirrt? War das gar nicht Vermouth? Konnte es sich bei der Frau tatsächlich um seine Jodie handeln? Hatte sie jenen Abend vor einem Jahr wirklich überlebt und nach ihm gesucht? Aber warum ausgerechnet jetzt? Und warum floh sie vor ihm? Ohne weiter darüber nachzudenken, setzte er sich in Bewegung. „Jodie“, rief er ihren Namen. „Bitte warte.“ Selbst wenn er in eine Falle der Organisation lief, musste er ihr einfach hinterher. Er wollte sie noch einmal berühren, sie im Arm halten und mit ihr reden. Er wollte sich bei ihr für damals entschuldigen und – wenn sie sich immer noch in den Klauen der Organisation befand – sie retten.

Shuichi stoppte und sah sich um. Der Central Park im Zentrum von Manhattan war groß und bot die Möglichkeit über verschiedene Ein- und Ausgänge unbemerkt zu verschwinden. Und wenn das nicht der Fall war, konnte man sich inmitten der Menschenmenge tarnen und untertauchen. „Wo bist du?“, fragte der FBI Agent. Auf einmal drehte sich alles und sein Kopf schien zu explodieren, sodass er auf die Knie gehen musste.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück