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Fremder Feind

von

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Ein Jahr später

Leicht gelangweilt blickte Shuichi Akai aus einem der Fenster seines Büros. Die Büroräume waren einfach gehalten – zwei große Schreibtische, passende Stühle und für jeden Agenten ein Laptop sowie zwei Gästestühle für notwendige Befragungen. Meistens war das Büro durch ein Agententeam besetzt. Selten agierten sie alleine oder blieben für sich.

Mit seinem neuen Partner kam Akai relativ gut zurecht. Er war ebenfalls schweigsam und verrichtete seine Arbeit ordnungsgemäß. Wenn er mal später kam oder sich doch etwas Unvorhergesehenes ergab, meldete er sich über das Handy. Wenn es sein musste, arbeiteten sie zusammen, aber Shuichi blieb lieber für sich alleine.

Alleine.

Shuichi hatte sich wieder an die Einsamkeit gewöhnt. Sein gesamter Alltag war auf Gleichgültigkeit aufgebaut und jeder Tag hielt das gleiche für ihn bereit. Er stand morgens auf, fuhr zur Arbeit, arbeitete, fuhr wieder nach Hause und legte sich irgendwann schlafen. Am Samstag tätigte er seinen Wocheneinkauf und fuhr danach ins Büro. Selbst an den Sonntagen lenkte er sich mit Arbeit ab. Viele würden sagen, dass er kein Leben mehr hatte, aber für ihn war es das Richtige.

Der FBI Agent hasste Nachmittag wie diese. Tage, an denen er fast nichts zu tun hatte, sodass sich seine Gedanken selbstständig machen konnten. Er hatte bereits alles getan, was er konnte: Akten bearbeitet, Berichte geschrieben, Berichte korrigiert oder vom Schreibtisch aus recherchiert. Handlungen die er eigentlich nicht mochte, die aber notwendig waren. Doch jetzt wo mit allem fertig war, bekam wieder das drückende Gefühl in der Brust.

Nicht einmal die Organisation ließ sich blicken. Shuichi verengte die Augen. Die Organisation. Sie waren skrupellose Monster, die jeden benutzten den sie in die Finger bekamen. Er erinnerte sich, als wäre es erst gestern gewesen. Er, dem die ganze Welt offen zu stehen schien. Eigentlich hatte es seinen Anfang wegen seinem Vater genommen…

Vor etwa 17 Jahren wurde dieser in einen Mordfall verwickelt und danach nie wieder gesehen. Lediglich seine Mutter erhielt eine Abschiedsnachricht und die Bitte ins Ausland zu fliehen. Kurz darauf hatte die Familie England verlassen und sich in Japan ein neues Leben aufgebaut. Aber Japan konnte ihn nicht lange halten und schon bald begann er sein Studium in den Staaten. Aber insgeheim hatte er schon immer den Plan verfolgt beim FBI aufgenommen zu werden und das Verschwinden seines Vaters aufzuklären. Egal wie – selbst wenn es mit dem Fund seiner Leiche enden würde.

Selbst den Kontakt zu seiner Familie hatte er fast gänzlich abgebrochen. Das letzte Mal hatte er sie vor einigen Jahren bei einem gemeinsamen Urlaub in Japan getroffen: Seinen kleinen Bruder Shukichi, der noch immer zu ihm aufsah und seine kleine Schwester Masumi – das Mädchen, das er erst dort kennen lernte und das ihn die ganze Zeit über nur zum Lächeln bringen wollte. Und dann war da noch seine Mutter Mary. Sie war von seinen Plänen alles andere als begeistert und hatte mit schlagfertigen Argumenten gekontert. Sie hätte ihn lieber zu Hause bei der Familie gesehen – als eine Art Ersatzvater für ihre anderen beiden Kinder. Aber alles was sie sagte, hatte nichts gebracht. Wäre er ihrem Wunsch gefolgt, hätte dies sein Unglück bedeutet – zumindest damals.

Dennoch ließ er sie auch nach all der Zeit nicht aus den Augen. Seine Mutter und seine Schwester lebten wieder in England. Sein Bruder Shukichi hingegen war in Japan geblieben und wurde Shogi-Spieler.

Und seine anderen Verwandten? Das letzte Mal, dass er von Akemi und Shiho hörte, war lange her. Shiho hatte er selbst nie kennen gelernt, aber er wusste, dass sie eine große Rolle für die Organisation spielte. Sie war Wissenschaftlerin und bekam aufgrund eines Durchbruches mehr Forschungsgelder und ihr Arbeitsstandort wurde nach Aomori verlegt. Akemi hatte damals nicht lange gezögert und war mit ihrer jüngeren Schwester mitgegangen. Seitdem er die Organisation fluchtartig hatte verlassen müssen, hatte er nichts mehr von den Beiden gehört. Und das war auch gut so. Niemand sollte auf die Idee kommen, dass die Schwestern wissentlich etwas mit seinem Einstieg in der Organisation zu tun hatten.

Sein Leben hatte mit seinem ersten großen Auftrag eine ordentliche Wendung bekommen. Die Männer in Schwarz wie sie die Operation damals noch nannten. Aber schon bald wurde ihm bewusst, dass er gegen eine große Organisation ermittelte – im Ausland.

Unglücklicherweise verstieß das FBI damit gegen das Gesetz, denn sie durften nur im Inland agieren. Aus diesem Grund wurde die Operation auch geheim gehalten. Akai bekam nur eine Woche um sich auf seinen neuen Auftrag vorzubereiten und lernte die Hintergründe zu seiner neuen Identität – Dai Moroboshi kennen. Mit Dai hatte der Agent einige Gemeinsamkeit. Sie hatten beinahe die gleichen Vorlieben und Abneigungen. Dai war wie er 28 Jahre alt, ein guter Schütze und trank gerne Bourbon. Aber die Unterschiede waren gravierender. Dai besaß keine Geschwister und auch keine intakten Familienverhältnisse. Er war Einzelkind – soweit er wusste und im Kinderheim aufgewachsen. Über seine leiblichen Eltern war nichts bekannt. Er hatte sich aber auch nie für diese interessiert. Zudem besaß Dai nur die japanische Staatsangehörigkeit, war aber schon mehrfach im Ausland gewesen. Dai hatte nur eine normale Schulbildung genossen – kein Studium, keine Weiterbildungen. Sein weiteres Wissen hatte er sich angelesen. Zudem hatte Dai seit er 16 Jahre alt war verschiedene Nebenjobs durchgeführt - vom Tellerwäscher bis zum Maler und noch vieles mehr. An Erfahrung mangelte es ihm somit nicht. Zudem war Dai kein Kind von Traurigkeit. Dispute regelte er gern mit seinen Fäusten. Wurde jemand auf ihn aufmerksam, verschwand er oder ließ das Opfer als Sündenbock dastehen. Später wurde Dai Moroboshi von den Selbstverteidigungsstreitkräften angeworben. Diese stellten die japanischen Streitkräfte dar, die nach Ende des zweiten Weltkrieges und nach der Besatzungszeit aufgebaut wurden. Gemäß Artikel 9 des Verfassungsgesetzes war es Japan untersagt eine Armee zu unterhalten, da diese auf Krieg als ein Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten verzichten müssen. Allerdings durften die Japaner bewaffnete Streitkräfte zur Selbstverteidigung ihres Landes rekrutieren. Dai war mehrere Jahre für die Streitkräfte tätig, ehe er sich für den Ausstieg entschied. Es war seine eigene Entscheidung und offiziell war ihm die defensive Haltung der Streitkräfte ein Dorn im Auge. Seit diesem Zeitpunkt hielt sich Dai mal hier, mal da auf. Er blieb nie lange an einem Ort und wenn es ihm langweilig wurde, verschwand er. Sein Lebenslauf war löchrig und mit weiteren Nebenjobs gespickt. Vorwiegend hielt er sich auf dem Schießübungsplatz auf und arbeitete an seiner Treffsicherheit.

Es dauerte nicht lange bis er auf Akemi traf und einen Weg in die Organisation fand. Und dann wurde ihm Jodie vorgestellt. Mit ihr absolvierte er einige Aufträge um sich das Vertrauen der Organisation zu sichern. Gerade als aus ihm und Jodie langsam mehr wurde, fand sie seine wahre Identität heraus. Anstatt ihn umzubringen, hatte sie seiner Geschichte gelauscht und wollte sich mit seinem Boss treffen. Dass sie die Tochter eines FBI Agenten war und vor Jahren entführt wurde – trug ebenfalls dazu bei. Leider hatte auch Vermouth die Wahrheit erfahren und ihnen eine Falle gestellt. Jodie hatte das Treffen nicht überlebt und niemand wusste, was aus ihrer Leiche geworden war.

Shuichi seufzte leise auf. Allein die Erinnerung an jenen Abend machte ihn unglaublich wütend. Er hatte auf ganzer Linie versagt und konnte nur noch die Flucht antreten. Dennoch musste er gute Miene zum bösen Spiel machen. Vor dem FBI tat er so, als würde es ihm gut gehen und als hätte er den Kampf gegen die Organisation aufgegeben. Nach seiner Rückkehr in die Staaten hatte das FBI alle Akten zur Organisation geschlossen und den Auftrag von der Agenda gestrichen. Black versuchte zwar immer wieder den alten Fall erneut aufzurollen, stieß dabei aber immer auf taube Ohren. Für Shuichi war es nicht einfach gewesen, seine Ermittlungen im Geheimen fortzuführen. Nur Agent Camel – der aufgrund der Ereignisse ein schlechtes Gewissen hatte – unterstützte ihn dabei.

Auch wenn er jeden Tag das gleiche Pensum hatte, war sein Leben nicht mehr ruhig. Seit sein Einsatz bei der Organisation aufflog war er dort die Persona non grata – unerwünscht und lästig. Er wurde zur offenen Jagd ausgeschrieben und musste oftmals um sein Leben kämpfen. Aber wer auch geschickt wurde, hatte nichts auf dem Kasten. Er hatte sie alle in die Enge getrieben und immer wenn er dachte, dass es vorbei war, erschossen sie sich. Wieder gab es niemanden, der gegen die Organisation aussagen konnte. Wieder war alles umsonst gewesen.

Die Organisation und ihre Mitglieder hielten sich versteckt im Schatten auf. Sie waren nicht mehr nur in Japan tätig, auch in den Staaten konnten sie mittlerweile einige Mitglieder verzeichnen. Und es waren jene, die auf ihre Chance nur so lauerten. An Orten an denen man sie nicht vermutete, schlugen sie zu – aber eines blieb immer gleich: Die Dunkelheit.

Bisher hatte ihn nichts außer Gefecht setzen können. Er war immer noch am Leben, aber das Glücksgefühl war nur von kurzer Dauer. Akai hob den Kugelschreiber auf und ließ ihn in seiner linken Hand rotieren. Langsam wurde es dunkel und Zeit bald aufzubrechen. Heute würde er nicht direkt nach Hause fahren, sondern sein Schießtraining fortführen und seine Fertigkeiten verbessern.

Als es an der Tür klopfte, blickte Akai dorthin. „Herein.“

Agent Black betrat den Raum und sah sich um. „Agent Akai“, fing er ruhig an.

Shuichi legte den Kugelschreiber wieder hin. „Gibt es Neuigkeiten wegen dem Antrag?“, wollte er wissen.

Black seufzte leise auf. „Leider ja und es sind leider keine guten Nachrichten“, sagte er. „Es tut mir leid, aber sie haben die Wiederaufnahme erneut abgelehnt.“

Shuichi ballte die Faust.

„Wir können Widerspruch einlegen und es in einem Monat erneut versuchen. Wenn wir mehr Fakten auf den Tisch legen können, können wir den Fall wieder aufrollen. Allerdings…müssen wir Beide bis dahin die Füße still halten.“

Akai biss sich auf die Unterlippe. „Sie wollen neue Fakten, wenn wir nichts tun dürfen?“ Er schnaubte verächtlich. „Also sammeln Sie weiterhin nur die Anzahl der Anschläge auf mich.“

Black nickte. „Ich weiß, mir gefällt es auch nicht. Wie lange ist der letzte Anschlag auf Sie her? Eine Woche?“

„9 Tage“, antwortete Shuichi ruhig. „Also werden sie es in einigen Tagen wieder versuchen. Vielleicht lauern Sie mir auch schon heute Abend auf.“

„Sie nehmen das ganze viel zu locker“, murmelte James.

Shuichi schmunzelte. „Je mehr ich von ihnen erledigen kann, umso weniger Mitglieder hat die Organisation. Irgendwann schaffe ich es noch, dass sie sich nicht selbst umbringen und einen Deal mit uns eingehen.“ Shuichi verschränkte die Arme vor der Brust. „Wahrscheinlich machen sie das, um bei der Befragung nicht wie die Vögelchen zu singen.“

„Das ist möglich. Dennoch sollten Sie die Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen. Kaum dass wir zurück in den Staaten waren, hat es die Organisation auf Sie abgesehen.“

„Jaja…ich kenn die Leier. Ich soll vorsichtig sein, weil sie mich sonst erwischen könnten“, gab der Agent von sich und fuhr den Computer runter. „Aber wissen Sie was? Das ist mir egal. Sollen sie doch nur kommen.“

„Agent Akai.“ Black atmete tief durch.

„Wenn Sie nur gekommen sind um mich zu belehren, können Sie gleich wieder gehen. Ich weiß, was ich tue und was ich mir zumuten kann.“

Black beobachtete ihn. „Manchmal vergeht die Zeit in Windeseile und wir werden gezwungen erwachsen zu werden. Manchmal landen wir auch im Hass oder geben uns auf. Aber eines bleibt gleich: Heute denken wir, dass wir alles schaffen können, aber morgen…morgen kann alles anders aussehen. Und egal was wir auch tun, die Zeit bleibt nicht stehen“, sprach der Ältere. „Der Tag jährt sich bald. Es wird der Erste von vielen sein.“

Akai verengte die Augen. In einer Woche würde Jodies Todestag sein. Und er konnte nicht einmal ein Grab besuchen. „Das müssen Sie mir nicht sagen.“ Shuichi stand auf.

„Akai“, Black brach ab. Auch ihn schmerzte die Erinnerung an damals. Das FBI hatte nichts tun können. Sie waren zu spät gekommen und auf einen Trick von Vermouth reingefallen. Jetzt waren nicht nur sein damaliger Partner und dessen Frau tot, auch für ihre Tochter kam jede Hilfe zu spät. Die Organisation hatte nur zu gut aufgeräumt und keine Spuren hinterlassen. Was auch immer sie mit Jodie gemacht hatten, sie konnte es nicht überlebt haben.

Shuichi kam ihm entgegen. „Bitte sorgen Sie dafür, dass ich wieder in dem Fall ermitteln kann. Es gibt nicht vieles, was ich noch für Jodie tun kann, aber…“ Er öffnete die Tür. „…ich muss die Organisation zu Fall bringen. Sie dürfen keine weiteren Leben nehmen und davon kommen.“ Er ging nach draußen.



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