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Fremder Feind

von

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Überlebt

Es wunderte die Schauspielerin nicht, dass Jodie ihre Verkleidung nach wenigen Minuten durchschaut hatte. Immerhin war sie diejenige, die einen Teil ihres Wissens an die junge Amerikanerin weitergab. Zwar nicht alles, aber genug damit Jodie in einer brenzligen Situation schnell zwischen Freund und Feind unterscheiden konnte. Dass Jodie dies tatsächlich musste, bewiesen ihre ersten Aufträge und hin und wieder auch Aufträge, die für sie viel zu groß waren.

Und auch wenn Jodie derzeit ihr Feind war, war es umso erstaunlicher wie ruhig sie blieb und Antworten auf ihre zahlreichen Fragen forderte. Alleine daran konnte das geübte Auge erkennen, dass Jodie ihre gesamte Kindheit bei der Organisation verbrachte und auch jetzt noch dieser angehörte. In zahlreichen Trainings, Missionen und eigenen Angriffen hatten sie ihr abgewöhnt Angst zu empfinden und bereiteten sie darauf vor, auch in kritischen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Jetzt zeigte sich, dass die Erziehung Früchte trug.

Mit dem Wissen, dass Jodie die Nacht eh nicht überleben würde, hatte Vermouth ihr bereitwillig alle Fragen beantwortet. Sie hatte sogar ihren eigenen Schmerz von damals kurzfristig zugegeben und sich wieder an die schlimmen Begebenheiten erinnert. Dennoch tat sie es, als wäre bereits viel Gras über die Sache gewachsen und als hätte sie keine Empfindungen mehr. Umso wichtig war es, Jodies Reaktion auf die Wahrheit zu sehen. Genau wie die Tatsache, dass sie wahrheitsgemäße Antworten gab und ihre Fassade für einen kurzen Augenblick fallen ließ. Im Restaurant hätte sie alles machen können, was sie nur wollte, aber sie musste wieder zum Wesentlichen kommen.

Selbstverständlich hatte sie von Anfang an eine Begleitung gedacht. Calvados. Er himmelte sie an, druckste herum, wenn sie mit ihm sprach und wurde immer rot, sobald sie seinen Arm berührte. Er wäre das perfekte Bauernopfer, wenn ihr Plan zum Scheitern verurteilt war. Außerdem war er ihre Absicherung, falls es im Restaurant bereits zur Auseinandersetzung kam, sowie das Druckmittel um Jodie und ihren Agenten in Gewahrsam nehmen zu können.

Allerdings hatte sie eine Sache nicht einkalkuliert: Dais schnelle Reaktion. Selbstverständlich hatte sie von seinen Fähigkeiten gehört, aber sie direkt zu erleben, hatte einen bitten Beigeschmack. Er hatte die Situation blitzschnell analysiert und ohne Umschweife gehandelt. Er hatte ihr sogar in ihr wunderschönes Gesicht geschlagen, was auch trotz der Maske ordentlich Schmerzen verursachte. Er würde nie klein beigeben. Dennoch hatte die Jagd auch gewisse Vorzüge. Sie fühlte sich wieder so jung, wie schon lange nicht mehr.

Aber Vermouth wäre nicht Vermouth, wenn sie die Situation nicht wieder unter Kontrolle brächte. Sofort hatte sie das Feuer auf Jodie eröffnet und sich von Calvados abholen lassen. Am Ende war es eh eine Frage der Zeit bis das Schicksal ihr in die Hände spielte. Was machten dann schon zehn Minuten mehr aus? Mit dem Peilsender in Dais Jackentasche würden sie sowieso nicht entkommen können. Der Peilsender war zu offensichtlich, als das sie ihn sofort finden würden.

Aber Jodie war immer noch für eine Überraschung gut. Mit dem Hafen hatte die Schauspielerin nicht gerechnet, aber sie stellte sich schnell auf die neue Situation ein. Zum Glück war Vermouth auch eine gute Schützin und brachte den Wagen auf ihre eigene Art und Weise zum Stillstand. Dass er sich überschlug war ein Kollateralschaden, den sie nur gerne in Kauf nahm.

Langsam kam sie am Unfallort an. Das Scheinwerferlicht erhellte den anderen Wagen und war direkt auf Jodie gerichtet. Sie humpelte von der Unglücksstelle fort. Vermouth legte ihre Maske ab und lud ihre Waffe neu. In der Zwischenzeit stieg auch Calvados aus dem Wagen und marschierte los.

Vermouth schmunzelte. „Jetzt geht es zu Ende“, sagte sie zu sich selbst und stieg aus dem Wagen.

„Du bist hier ja ganz allein.“ Vermouth sah sich um.

Jodie schluckte. „Wenn…wenn du mich erschießen willst, dann tu es. Ich hab keine Angst.“

„Natürlich hast du keine Angst. Du bist schließlich bei uns aufgewachsen“, gab die Schauspielerin von sich. „Und wenn ich einen falschen Schritt mache, erschießt mich dann dein FBI Agent oder hat er dich hier allein gelassen?“

„Er wird…die Organisation vernichten. Du und die anderen…ihr werdet eure gerechte Strafe erhalten.“

Vermouth lachte. „Das hat bisher keiner geschafft. Warum glaubst du, dass ausgerechnet er es schaffen kann?“ Dass Calvados ganz in der Nähe war, spürte sie und als auf einmal der rote Punkt auf Jodies Brustbereich auftauchte, war ihr klar wo er sich verschanzte. Calvados war zwar ein guter Scharfschütze, aber der Laserpunkt verriet sein wahres Können.

Jodie machte einen Schritt nach hinten. Calvados drückte ab. Der Schuss peitschte gegen den Wind. Kurz darauf fiel der zweite Schuss und Jodie ging zu Boden.

„Sayonara.“

Vermouth sah nach oben. „Thank you, Calvados“, rief sie ihm zu. „Du kannst dich jetzt auf die Suche nach dem FBI Agenten machen. Wenn er den Schuss gehört hat, wird er sich schon bald auf den Weg hierher machen.“

Die Schauspielerin sah wieder zu Jodie. Sie stockte. Jodies Brustkorb bewegte sich. Ist sie gar nicht…?, ging es ihr durch den Kopf. Sofort verstärkte sie den Griff um ihre eigene Waffe und lief zu Jodie.

Jodies Augen waren geöffnet und sie atmete schwer. Bitte…sie dürfen…ihn nicht…finden…, sprach sie zu sich selbst. Irgendwann hatten ihre Beine einfach nachgegeben und sie war auf dem Boden gelandet. Und jetzt hatte sie keine Kraft mehr um aufzustehen oder um zu kämpfen. Jodie wartete auf ihr Ende und wie sie Vermouth kannte, würde diese es in die Länge ziehen und genießen. Jodie keuchte leise auf, als sie einen Druck an ihrem Bein spürte. Sie wandte den Blick zu Vermouth.

„Du bist ja noch tatsächlich am Leben…wer hätte das gedacht“, sagte die Schauspielerin ruhig und kniete sich hin. „Oh, tschuldige, hab ich dich etwa versehentlich getreten?“ Sie musterte die Verräterin. Jodie hatte eine Bauchwunde durch den Schusswechsel, mehrere Kratzer und Schrammen durch den Autounfall, aber es befand sich kein Blut auf der Stelle wo gezielt wurde. Sie hatte es tatsächlich überlebt.

„Das….das…“, wisperte sie.

„Das werde ich bereuen?“ Vermouth verdrehte die Augen. „Das haben schon so viele gesagt“, fügte sie hinzu. „Aber ich bin neugierig. Bist du den Schüssen ausgewichen oder hattest du keine Kraft mehr um zu stehen?“

Jodie hustete Blut.

Die Schauspielerin sah auf den Wagen. „Verstehe…der Unfall ist nicht spurlos an dir vorbei gegangen. Wahrscheinlich hast du innere Blutungen und bist eh auf dem Weg dahin zu scheiden. Wie schade aber auch.“ Vermouth überlegte. „Das wird Calvados sicherlich nicht freuen. Du weißt doch wie Scharfschützen sind. Die geben sich immer so viel Mühe und wollen alles perfekt machen.“

„Fahr…fahr…zur…Hölle…“

„Danke, aber kein Interesse“, gab die Schauspielerin von sich. „Weißt du…ich bin gar nicht so böse, wie du jetzt denkst. Erinner dich doch mal zurück, ich war immer nett zu dir und wir waren so etwas wie Freundinnen.“

„Freundinnen“, wisperte sie. „Freundinnen…würden einander…das nicht antun…“, fügte sie hinzu. „Du hattest…Angst um dein Leben…und hast mich ausspioniert. Wenn wir…Freundinnen gewesen…wären, hättest du…mit mir darüber…gesprochen. Wir sind…keine Freundinnen…“

„Dann sind wir halte keine Freundinnen“, kam es theatralisch von ihr. „Spar dir deine Kräfte oder auch nicht. Ich hatte eigentlich alles anders geplant, aber dein FBI Agent musste mir ja in die Quere kommen.“

„Was…wolltest du…“, wisperte sie leise.

„Was ich tun wollte?“ Vermouth schmunzelte. „Ach, ich kann es dir ja sagen, du überlebst die Nacht so oder so nicht“, fügte sie hinzu. „Und falls du mich zum Reden bringen willst, damit er aus dem Hinterhalt agieren kann, vergiss es. Eigentlich warte ich nur darauf, dass Calvados ihn erwischt und du seinen Tod mitbekommst. Daher erzählte ich dir jetzt, einfach die Wahrheit. Mein eigentlicher Plan sah vor, dass ich euch beide in eine von deinen Wohnungen bringe und zuerst dich und dann ihn umbringe. Es sollte so aussehen, als seist du hinter seine wahre Identität gekommen, weswegen du ihn überführen wolltest. Daraufhin hat er sich gewehrt und dich tödlich verwundet. Schließlich hast du mich mit deiner letzten Kraft kontaktiert, aber ich konnte das Schlimmste nicht mehr verhindern.“ Vermouth schluchzte gespielt. „Weil er auch mich erschießen wollte, habe ich ihn erschossen. Du siehst, du wärst als Heldin gestorben.“

„N…nein…“, sagte Jodie. „Wann…wann hast du…“

„Wann ich entschieden habe, dass ich dich töte?“ Sie überlegte. „Das ist ein paar Tage her.“ Sie erinnerte sich noch gut daran.

Vermouth saß an ihrem Küchentisch und aß einen Keks. Sie legte ihre Kopfhörer vor sich hin und schrieb eine Notiz auf einen Zettel. Die Schauspielerin schmunzelte. „Jetzt bin ich gespannt was du als Nächstes tust, Jodie“, sagte sie ruhig und schloss die Augen. Sie dachte an die Vergangenheit.

Minuten später leckte sich Vermouth über die Lippen, als ihr Telefon klingelte. Sie nahm das Gespräch entgegen. „Chris hier“, sprach sie.

„Hast du Neuigkeiten für mich?“

Der Boss. „Alles wie immer“, entgegnete Vermouth. „Sie haben Jodie noch immer nicht gefunden“, log sie.

„Sehr gut“, entgegnete der Boss ruhig. „Behalte sie trotzdem im Auge. Ich möchte kein Risiko eingehen. Mein Informant in den Staaten hat bestätigt, dass das FBI auch in diesem Jahr nach ihr gesucht hat. Dieser Black lässt einfach nicht locker.“

„Das dachte ich mir“, sagte Chris ruhig. „Durch die Pressekonferenz und meiner Ankündigung mit der Schauspielerei aufzuhören, habe ich sie überrascht. Ein paar Agenten stehen immer noch vor dem Haus, wo ich angeblich wohne“, fügte sie an. „Machen Sie sich keine Sorgen, ich habe alles unter Kontrolle. Wenn sie Jodie hier finden, werde ich mich höchstpersönlich darum kümmern.“

„Ich möchte dieses Mal, dass du keine Fehler machst.“

Vermouth verdrehte die Augen.

„Du weißt was ich meine“, gab er von sich. „Du hättest das Kind damals nicht mitnehmen dürfen. Sie ist ein Risikofaktor.“

„Und doch hat sie einige Aufträge für uns erledigt.“

„Sollte etwas schief gehen, bin ich bereit ihr Leben ohne mit der Wimper zu zucken, zu opfern.“

„Natürlich“, entgegnete Chris.

„Wir sprechen uns ein anderes Mal.“ Er beendete das Gespräch.

„Ich habe für meinen Plan sogar den Boss angelogen. Das FBI lässt regelmäßig nach dir suchen und selbstverständlich haben wir unsere Informanten in den Staaten. Du wurdest langsam zu einem größeren Risiko als zunächst gedacht. Und als ich hörte, dass Dai ein FBI Agent ist, war mir klar, dass die Anderen auch schon sehr bald hier einfallen würden. Ich konnte nicht zulassen, dass es eine solche Wendung gibt. Dai hatte Black bereits kontaktiert und ihm von dir erzählt. Damit war alles was wir uns in den letzten Jahren aufgebaut hatten, für die Katz gewesen. Du verstehst doch sicher, dass ich das nicht so einfach zu lassen konnte. Außerdem ist mir mein Leben noch lieb.“

„Er ist weg.“

Vermouth sah nach hinten zu Calvados. „Hast du auch alles gründlich durchsucht?“

„Selbstverständlich“, stammelte das Mitglied. „In Anbetracht an den Unfall und die Zeit, die er weg ist, habe ich den Suchradius berechnet. Entweder er verschanzt sich in einem der Lagerhäuser oder er ist tatsächlich abgehauen. Die quietschenden Reifen die ich gehört habe, passen zur Flucht. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass er noch in der Lage war zu fahren.“

„Ich verstehe. Dai hat Jodie ihrem Schicksal überlassen?“

Jodie lief eine Träne über die Wange.

„Jetzt wein doch nicht. Du hast noch Glück und erkannt, dass es die Männer einfach nicht Wert sind. Sie lassen dich immer im Stich.“

Jodie schüttelte den Kopf.

„Nein? Und wo ist dein geliebter Dai jetzt?“, sagte die Schauspielerin. „Tja…dann lasse ich dich nicht länger leiden, meine Kleine.“

Jodie schluckte. Shuichi…hoffentlich…bist du entkommen…es tut mir so leid… Sie schloss ihre Augen und wartete.

Vermouths Handy klingelte und unterbrach die Stille. „Ich glaube, das nennt man Pech. Weißt du wer das ist?“, wollte sie wissen. „Der Boss. Ich muss also ran gehen und gebe dir noch ein paar Minuten Zeit um weiterzuleben.“

Jodie hustete erneut Blut.

Vermouth zog ihr Handy aus der Jackentasche und sah auf das Display. Sie hatte den Klingelton bereits vorab erkannt und verengte die Augen. Warum rief er ausgerechnet jetzt an? Hatte er irgendwas erfahren? Die Schauspielerin atmete tief durch. „Am besten du bist jetzt still“, sprach sie zu Jodie und nahm den Anruf entgegen. „Ja?“

„Wie es scheint, habe ich dir zu freie Hand gelassen“, begann er.

Vermouth biss sich auf die Unterlippe. Woher wusste der Boss davon? Sie sah zu Calvados. Hatte er ihre Pläne verraten?

„Ich versteh nicht ganz…“, begann sie.

„Erzähl mir ganz genau was passiert ist.“



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