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Götterdämmerung

von

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Déjà-vu

Nach einem unruhigen Schlaf wachte Aska auf ihrem Bett, auf dem sie am vorigen Tag bereits zu sich kam, auf. Ihr Kopf schmerzte von den irrsinnigen Gedankengängen, die sie selbst in der Nacht nicht in Ruhe ließen. Unter der Wolldecke war es warm und die Felle, auf denen sie lag, waren weich und gemütlich. Geborgenheit! Sie setzte sich auf die Bettkante und zog sich die schwarzen Stiefel über. Die Wunden an ihren Gelenken schmerzten dabei. Sie biss ihre Zähne zusammen und atmete zischend ein, als sie aufstand. Aska fühlte sich deutlich kräftiger als am Tag zuvor, aber immer noch gerädert. Das warme Bad, das köstliche Mal und der lange Schlaf haben sie zu Kräften kommen lassen, so dass sie nicht mehr wankte. Aska beschloss nach den anderen zu suchen. Sie wollte sich für die freundliche Fürsorge der jungen Leute bedanken. Sie öffnete die quietschende Tür und atmete die frische Morgenluft ein. Es schien ein schöner Tag zu werden. Die Sonne trat zwischen den Nebelschwaden hervor und der Himmel klarte auf. Sie zog sich die Kapuze wieder über den Kopf, da das helle Licht sie blendete. Aska ließ ihren Blick hinüber zu den anderen Hütten schweifen. Etwas Großes landete lautlos vor ihr, als wäre es gerade vom Himmel gefallen. Aber nicht plump wie ein toter Seevogel, sondern anmutig, wie auf Samtpfoten. Doch das waren keine Pfoten. Das waren große Klauen und sie gehörten nicht zu einer großen Raubkatze, sondern zu einem schwarzen, schuppigen Echsentier, das ihr aus seinem zahnlosen Maul mit fischigem Atem entgegen gurrte. Aska stieß einen spitzen Schrei aus und schlug die Tür gerade wieder hinter sich zu. Nein! Sie schlief noch und träumte weiter ihre wirren Gedanken. Sie schlug sich mit der flachen Hand gegen die noch immer schmerzende Stirn, was den Schmerz nicht unbedingt linderte, sie aber um einiges wacher werden ließ. Sie atmete tief durch und öffnete entschlossen noch einmal die Tür, in der Hoffnung, dass das schwarze Wesen nicht da sein würde und sich nur als Hirngespinst einer noch schläfrigen jungen Frau entpuppte. Doch Aska wurde dieser Gefallen nicht getan. Das schwarze Untier kotzte ihr förmlich einen übelriechenden Brei aus Gräten und Fischinnereien vor die Füße. Sie war gerade dabei dasselbe zu tun, als hinter der Riesenechse ein brauner Schopf hervor lugte. „Guten Morgen!“, rief Hicks. Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf und grinste peinlich berührt. „Tut mir leid! Er will nur nett sein. Ohnezahn, Aska möchte bestimmt etwas weniger Fischiges zum Frühstück. Aber Danke, mein Freund.“ Hicks tätschelte den flachen Schädel des Wesens. Dieses streckte den Kopf und gurrte wieder. Es schien fast so, als würde es lachen. Dann drehte es sich um, spreizte weite lederne Schwingen und hüpfte davon. Aska glotzte der Echse ungläubig hinterher. „Das war Ohnezahn, mein Drache.“, sprach Hicks zu ihr. „Drache!?!“, rutschte es Aska nur monoton heraus. Sie sah weiterhin in die Richtung, in die das Wesen verschwunden war. Dann sah sie abwechselnd zu Hicks und den halbverdauten Überresten eines Fisches. Nach dem Schreck war sie erstaunlich ruhig. Zu ruhig für jemanden, der das erste Mal in seinem Leben einen Drachen gesehen hatte. „Hast du noch nie einen Nachtschatten gesehen?“, fragte Hicks. „Einen was?“, entgegnete Aska verwirrt. „Das ist nicht verwunderlich. Ohnezahn scheint weit und breit der einzige seiner Art zu sein.“ Aska sah in seine grünen Augen, um festzustellen, ob nicht sie, sondern der Einbeinige verwirrt war. „Du meinst, er ist der einzige Drache?“, fragte sie ihn. „Äh, nein. Der einzige Nachtschatten. Von Drachen wimmelt es hier nur so.“, lachte Hicks unsicher. „Lass mich raten, du scheinst noch nie einen Drachen gesehen zu haben?“ Aska kniff die Augen zusammen und biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte bereits von Drachen gehört. „Nein! Gesehen habe ich noch nie einen. Glaube ich zumindest. Man erzählt sich aber, dass meine Urgroßmutter einen jungen verletzten Drachen gefunden hätte, als sie noch ein kleines Mädchen war.“ Hicks schaute sie nachdenklich an. „Hey! Du erinnerst dich an etwas. Du hast also noch nie einen Drachen gesehen? Das ist seltsam. Denn seit Generationen gehören die Drachen zu unserem Leben dazu. Ich kenne in unseren Gewässern niemanden, der nicht schon einmal versucht hätte, sie wieder loszuwerden.“ Jetzt legte Aska ihre Stirn in Falten. „Wieso loswerden? Dieser Drache – Ohnezahn, richtig? – schien sich doch bestens mit dir zu verstehen. Dir fast schon zu gehorchen.“ Wieder kratzte sich Hicks verlegen am Kopf: „Ja, fast gehorchen trifft es ganz gut. Er hat seinen eigenen Kopf, aber dennoch sind wir richtige Freunde und können uns aufeinander verlassen.“ Er wurde wieder ernst. „Früher waren die Drachen eine Plage und wir bekämpften sie. Doch dann lernten wir mit ihnen umzugehen und konnten sie sogar zähmen. Jetzt leben wir mit ihnen gemeinsam. Sie helfen uns sogar bei unserem alltäglichen Leben. Leider trifft das nicht auf alle Stämme in unseren Reichweiten zu. Es gibt noch immer genügend Menschen, die die Drachen jagen, korrupte Geschäfte mit ihnen machen und sie sogar töten. Daher wundert es mich, dass du noch nie einen Drachen gesehen hast.“ Jetzt grinste er wieder. „Das ist hier einfach unmöglich.“ Aska sah in der Ferne Fischbein, der auf einer Art rundem Felsbrocken saß, dem an der Vorderseite eine zähe, rötliche Flüssigkeit herauslief. Plötzlich vibrierte der Felsbrocken und winzige Flügelchen trugen Fischbein, samt dem Brocken mit schnellem Flügelschlag in die Lüfte. Hicks forderte Aska auf, mitzukommen. Fischbein kam ihnen auf seinem glupschäugigen Felsen entgegengeflogen. „Guten Mogen! Du bist heute deutlich stabiler auf den Beinen.“, freute sich Fischbein und rutschte von seinem Ungetüm. „Das ist Fleischklops, eine Gronkeldame und das liebste Schätzchen auf der ganzen Welt, nicht wahr, Engelchen?“ Er streichelte das rundliche Wesen mit der dicken steinartigen Haut. „Auch ein Drache?“, wandte sich Aska zu Hicks. Dieser nickte lächelnd und sprach zu Fischbein: „Sie hat noch nie Drachen gesehen.“ Verwundert zog Fischbein beide Augenbrauen hoch. „Was? Wie kann das sein? Sie muss von sehr weit weg kommen. Alle Gebiete, die wir auf den Karten eingezeichnet haben, sind Drachengebiete.“ Nun lächelte Fischbein Aska an: „Aber nun wirst du sie kennen lernen. Sie sind wunderbare Geschöpfe. Und mit Hicks und mir hast du die Drachenprofis direkt an der Hand.“ „Hat da jemand nach uns verlangt? Die Drachenprofis sind direkt zur Stelle.“ Die Zwillinge Raffnuss und Taffnuss thronten hoch oben auf zwei Köpfen. Die Köpfe hatten lange, spitze Zähne, große Augen, spitze Hörner und einen roten Stachelkamm auf ihren grünen langen Hälsen, die in einem Körper endeten. Aska wusste noch nicht so genau, wer von den Geschwistern welchen Namen trug. Generell schienen hier alle etwas eigenartige Namen zu haben. Aber tatsächlich wunderte Aska das schon gar nicht mehr so sehr. Hier kam ihr mittlerweile vieles surreal vor. „Gestatten? Kotz und Würg.“ Als wäre es eine Aufforderung gewesen, spie der Kopf auf dem das Mädchen saß, grünes Gas aus. Der andere Kopf, auf dem ihr Bruder mit einem selbstgefälligen Grinsen hockte, spuckte Funken und das Gasgemisch explodierte. Aska zuckte zusammen. Toll, Drachen schienen es mit dem Erbrechen von übelriechenden Konsistenzen zu haben. „Kotz und Würg. Sehr treffend.“, fand Aska. Ein Zischen drang durch die Luft. Ein Feuerball kam auf die Gruppe zugeschossen. „Nicht schon wieder, du dumme Echse. Hakenzahn!“, schrie es aus dem Gewirr aus Feuer, Flügeln und Klauen nur noch hervor. Mit einem harten Aufprall landete ein gigantischer Drache mit langen Hörnern vor ihnen. Er stand komplett in Flammen und ein jammernder Rotzbakke sprang von ihm herunter und schlug sich sein kokelndes Hinterteil aus. Die Zwillinge lachten sich schlapp und auch die zwei Köpfe des Drachen schienen sich zu amüsieren. Hicks und Fischbein dagegen verdrehten nur die Augen. Rotzbakke schritt auf Aska zu, wobei ihm immer noch eine Rauchschwade folgte. Mit stolzgeschwellter Brust und einem Gesichtsausdruck, als wäre ihm soeben nicht etwas Peinliches wiederfahren, setzte er zu Reden an, wurde jedoch von Astrid unterbrochen, die zwischen ihm und Aska auf einem stacheligen, bläulichen Drachen landete. „Wir kommen gerade von der Patrouille.“ „Und?“, fragte sie Rotzbakke, genervt darüber, dass er in seiner Lobesrede auf sich selbst, unterbrochen wurde. „Außer deinem brennenden Hintern war weit und breit nichts zu sehen.“, sagte Astrid spöttisch zu ihm und schob Aska in Richtung der Hütte, in der sie bereits gestern gegessen hatten. „Was war denn das? Die ist ja nur eifersüchtig! Sie kann es einfach nicht ertragen, wenn ich mit anderen Frauen spreche!“, hörte man Rotzbakke hinter ihnen maulen. Die anderen ignorierten ihn und folgten den beiden Mädchen. Aska war froh, dass Astrid sich wieder ihrer annahm. Sie bewunderte die junge Wikingerin, mit ihrem goldenen Haar, der durchtrainierten Figur und ihrem Selbstbewusstsein. „War das dein Drache?“, fragte Aska leise. Astrid nickte freundlich und schob ihr Haferbrei in einer Schüssel entgegen. So langsam dämmerte es dem bleichen Mädchen, wie Astrid den schweren Badezuber erhitzt haben musste, ohne ihn von einer Feuerstelle zu heben. Hicks und Fischbein gesellten sich zu ihnen. Die Zwillinge stritten sich um Irgendetwas und Rotzbakke setzte sich schmollend an das andere Ende des großen Tisches. Drachen! Da sie sonst keine großen Erinnerungen hegte, schien sie diese Tatsache nicht wirklich zu überfordern. Stattdessen dachte Aska darüber nach, wer ihr von ihrer Urgroßmutter und ihrem Drachen erzählt haben könnte. Gedankenversunken löffelte sie ihren Brei, während Hicks, Astrid und Fischbein von ihr wegrückten, ihre Köpfe zusammen steckten und flüsterten. Aska

nahm nur einzelne Fetzen des Gesprächs wahr. Immer wieder grinsten die Drei verlegen, wenn sie sich bei ihrem Gespräch von Aska ertappt fühlten. „Vertraust du ihr? Denke damals an Heidrun. Verrat. Freundin. Sie braucht unsere Hilfe. Keine Geheimnisse über die Drachen.“ Die Drei steckten wohl in einer hitzigen Diskussion über sie. Den Namen Heidrun hatte Aska bereits gestern Abend gehört. Hatte nicht Fischbein erwähnt, dass er das Rezept von einer Heidrun hatte? Er sprach ihren Namen beinahe schon wehmütig aus. Er musste diese Heidrun sehr gerne haben. Aska versuchte genauer hinzuhören, aber nicht mehr in ihre Richtung zu schauen, um die Drei in Sicherheit zu wiegen. „Glaubst du ihr denn diese Geschichte mit der verlorenen Erinnerung?“, hörte sie Astrid Hicks fragen. „Du hast sie doch gesehen. Sie war Verzweifelt und voller Angst. Das kann man so gut nicht spielen. Und ihre Wunden an den Gelenken? Die kann sie sich wohl kaum selbst zugefügt haben.“ Hicks war einfach ein echt liebenswerter Kerl und er stand auf Askas Seite. Astrid hingegen schien skeptisch zu sein, was Aska einen leichten Stich versetzte. „Mal angenommen, sie hat sich diese Wunden wirklich nicht selbst zugefügt, wer könnte das aus welchen Gründen getan haben? Ja, vielleicht war sie eine Gefangene. Aber vielleicht auch zurecht? Wir wissen nichts über sie. Sie könnte gefährlich sein, eine Spionin. Es wäre möglich, dass sie gefangen wurde, weil sie etwas Schlimmes getan hat.“, hörte sie Astrid argumentieren. Und Aska musste ihr insgeheim zustimmen. Niemand wusste wer sie war, nicht einmal sie selbst. Was wäre, wenn Astrids Befürchtungen zutrafen? War sie tatsächlich gefährlich? Gefährlich für diese netten Leute, die ihr das Leben gerettet und sie so freundlich aufgenommen hatten? Aska spürte einen Klos im Hals. „Schau sie dir doch mal an, Astrid. Hast du wirklich den Eindruck, dieses dünne, fast gestorbene Mädchen könnte gefährlich sein? Was könnte sie schon anrichten?“ Astrid sah zu Aska herüber, die ihren Kopf mit einer Hand stützte und mit der anderen in ihrem Brei stocherte. Dieses Mädchen, mit den dünnen Armen und Beinen und diesen todtraurigen Augen würde ihr mit Sicherheit nichts anhaben können. Dafür war die Wikingerin einfach zu stark und zu schlau. „Ja, Hicks. Ich sehe es auch so, dass sie unsere Hilfe braucht. Aber dennoch sollten wir nicht zu Leichtgläubig sein und sie beobachten. Zumindest solange, bis wir herausgefunden haben, wer sie ist. Wir sollten ihr nicht gleich alle Geheimnisse der Drachenklippe verraten und sie nicht mit den Drachen alleine lassen. Nichts für Ungut, Fischbein, aber Heidrun hatte uns auch zuerst ganz schön an der Nase herumgeführt.“, sagte Astrid in sanftem Ton. „Das ist richtig. Dennoch seid ihr zwei nun die besten Freundinnen.“, zwinkerte Fischbein ihr zu. Astrid musste bei dem Gedanken lächeln. Sie seufzte. Hicks berührte ihre Hand. „Du wirst sehen, es wird alles nicht so schlimm sein. Dennoch wäre es mir recht, wenn du sie in deine Obhut nimmst. Sie scheint dich zu mögen und du könntest sie so im Auge behalten. Und wir gehen sicher, dass unsere Chaostruppe nicht irgendeinen Unfug mit ihr anstellt.“ Mit diesen Worten nickte Hicks in Richtung Rotzbakke, der immer noch eingeschnappt mit einem Löffel in seiner Schüssel herumrührte und zu den Zwillingen, die sich wohl wieder vertragen hatten, aber es dennoch bevorzugten, sich gegenseitig in die Bäuche zu boxen. Nun wusste Aska, woran sie bei den Bewohnern der Drachenklippe war. Sie hatte vollstes Verständnis für die Vorkehrungen, die zum Schutz der Drachenreiter von Astrid vorgenommen wurden. Wenn Astrid sie im Auge behielt, würde sie ihnen nichts anhaben können, selbst wenn sie tatsächlich eine Gefahr sein sollte. Außerdem bestand die Chance, noch einiges von Astrid zu lernen.
 

Am Nachmittag machten sich die Drachenreiter auf zu einer Arena. Dort trainierten sie mit ihren Drachen und auch den Nahkampf mit Waffen. Aska schaute aus sicherer Entfernung zu, denn die ein oder andere Attacke der Zwillinge schien des Öfteren daneben zu gehen. Auch Rotzbakke hatte augenscheinlich Schwierigkeiten, Hakenzahn seinen Kommandos folgen zu lassen. Immer wieder roch es nach versengter Kleidung. Fischbein und seine Drachendame Fleischklops flogen gemütlich einen kleinen Parcours und Astrid lies ihren Drachen Sturmpfeil präzise ihre Stacheln, wie Wurfdolche auf die Ziele niederprasseln. Aska war schwer beeindruckt. Noch beeindruckender fand sie jedoch den schwarzen Drachen von Hicks. Ohnezahn flog waghalsige Manöver und das in einer enormen Geschwindigkeit. Er war wendiger als die anderen Drachen. Hicks schien dem Drachen Hilfen über eine Art Gestänge zu geben, welches vom Sattel ausgehend mit der Schwanzflosse des Nachtschattens verbunden war. Der Drache trug tatsächlich eine mechanische Flügelprothese. Wie sein Reiter! Was da wohl passiert war? Aska sah den beiden bei ihren grazilen Kunststücken noch eine Weile zu. Astrid spaltete gerade einen Schild mit ihrer Wurfaxt und Raffnuss – Aska konnte die beiden nun auch namentlich auseinander halten - rannte mit dem Helm voraus gegen einen weiteren Schild. Tatsächlich zerbarst dieser. Dümmlich grinsend kippte sie zur Seite und brabbelte „1 zu 0 für Team Thorston“ während ihr ein Speichelfaden aus dem Mundwinkel baumelte. „Willst du auch mal?“, rief ihr Bruder zu Aska hinauf, die dem ganzen Spektakel mit schmerzverzerrtem Gesicht zugesehen hatte. Womöglich verspürte sie tatsächlich mehr Schmerzen beim bloßen Zusehen, als Raff, die bereits wieder wankend aufstand. Taffnuss streckte den leicht verbeulten Helm seiner Schwester, der entsetzt dreinblickenden Aska entgegen. „Ja, vielleicht wäre es gar nicht verkehrt, wenn du auch ein wenig trainierst. Zuschauen muss doch auf Dauer langweilig sein.“, meinte Fischbein, der mit Klöpschen neben ihr auf der Tribüne landete. Die Holzbank knirschte verdächtig. Astrid winkte sie zu sich herunter in die Arena. Zögerlich kletterte sie hinunter und etwas unbeholfen griff Aska nach der ihr gereichten Axt. „Versuch sie mal auf den Schild da drüben zu werfen“, motivierte Astrid sie. Aska hob die schwere Axt mit beiden Händen an und konnte sie kaum über ihre Schulter schwingen, geschweige denn damit ausholen. „Vielleicht versuchen wir es doch mit einer leichteren Waffe.“ Astrid gab ihr einen Speer. Dieser war etwas leichter, aber für das zierliche Mädchen auch nicht wirklich händelbar. Immerhin konnte sie mit dem Speer ausholen und ihn….nicht werfen. Der Speer fiel ihr mehr aus den Händen, als dass er flog. „Öhm, naja. Wenn der Angreifer nah genug ist, könntest du den Speer immerhin zielsicher vor seine Füße werfen. Mit etwas Glück stolpert er darüber.“, meinte Taffnuss mit fachkundiger Miene. Hicks übergab ihr ein leichtes Schwert. „Es ist aus Gronkeleisen. Dadurch ist es sehr leicht, aber viel stärker als Stahl. Versuch es damit.“ Aufmunternd nickte er Aska zu. Er erinnerte sich nur zu gut an seine ersten Versuche, mit den starken Waffen der Wikinger umzugehen und hatte etwas Mitleid mit dem zarten Mädchen. Fischbein schob eine Puppe aus Stroh in die Mitte der Arena, die als potenzieller Angreifer dienen sollte. Entschlossen griff das Mädchen das mit Leder umwickelte Heft des Schwertes und holte zu einem festen Hieb aus. „Gag Gaahg.“ Schrilles Geschrei. Federn wirbelten auf. Tja, das Schwert tat das, was der Speer nicht tat. Es flog und verfehlte das Hühnchen nur knapp. Verdutzt blickten alle dem vor Empörung gackernden Federvieh hinter her. Beschämt sah Aska auf ihre Stiefel. „Eine Disziplin haben wir ja noch. Die Königsdisziplin.“, strahlte Hicks und tätschelte seinen Drachen, doch Astrid trat vor ihn und sagte hastig: „Genau. Selbstverteidigung mit vollem Körpereinsatz.“ Leicht verärgert sah sie kurz zu Hicks. Der hob nur entschuldigend die Arme. „Ja, lasst mich ihre Gegnerin sein.“ Raffnuss hob begeistert ihre Hand, blickte allerdings eindeutig an Aska vorbei. Sie schien von dem Aufprall immer noch etwas zu schielen. „Ok. Aber reis dich ein wenig zusammen. Und keine unfairen Tricks, Raff!“, ermahnte sie Hicks. Aska war es sichtlich unangenehm gegen jemanden anzutreten, der anscheinend einen Schädel aus Stahl hatte. Raffnuss war zwar ähnlich dürr wie sie selbst, aber um einiges größer und in ihren blauen Augen blitzte die Kampfeslust, auch wenn sie immer noch in verschiedene Richtungen schauten. Aska wollte jedoch nicht wie ein Feigling dastehen, schon gar nicht wenn Astrid und Hicks sich so viel Mühe gaben, eine geeignete Disziplin für sie zu finden. Sie musste es wenigstens probieren. Fischbein mimte den Schiedsrichter und läutete die erste Runde des Zweikampfes ein. Beim ersten Haken konnte Aska noch ausweichen, bei der Geraden, die direkt darauf folgte jedoch nicht mehr und sie ging zu Boden. Raffnuss hatte anscheinend der Ehrgeiz gepackt, denn sie stieß einen gellenden Schrei aus und stürzte auf das weißhaarige Mädchen. Angesteckt von dem Schrei, stürmte plötzlich auch ihr Bruder los und sprang mit lautem Wikingergebrüll auf die raufenden Mädchen. „Stopp. Sofort aufhören. Was macht ihr Hirnis da?!“ Hicks lies Ohnezahn einen violetten Strahl speien, der das Kampfgetümmel abrupt beendete. Taffs gehörnter Helm hatte sich in den Zöpfen seiner Schwester verheddert und Raffnuss hatte sich in seinem Bein verbissen. Unter ihnen begraben, kauerte ein zitternder Haufen, der hysterisch schluchzte. Astrid stürzte zu dem weinenden Mädchen, das mit dünnen Fingern versuchte, seinen Kopf zu schützen. „Hast du dich verletzt?“ Sie schlang ihre Arme um die bebenden Schultern und versuchte Aska zu beruhigen. Sie strich ihr vorsichtig die verheulten Strähnen aus dem Gesicht und untersuchte sie oberflächlich nach Verletzungen. In ihren grauen, weit aufgerissenen Augen stand das blanke Entsetzen. Die Wikingerin erkannte die Todesangst in ihrem Ausdruck. Die Zwillinge kassierten in der Zeit einen heftigen Anpfiff von Hicks und schauten bedröppelt und beschämt drein. „Ich eile meiner Schwester immer zur Hilfe. Das weist du doch. Wir sind doch das Thorston-Team.“, versuchte sich Taffnuss zu entschuldigen. „Ihr mistet zur Strafe die nächsten zwei Wochen ganz allein den Stall aus!“, herrschte Hicks die beiden an. Bei der Aussicht darauf, in der nächsten Zeit keinen stinkigen Drachendung schippen zu müssen, grinste Rotzbakke zufrieden. Er hatte das Spektakel vom Rücken seines Riesenhaften Alptraums aus angesehen. Astrid und Fischbein kümmerten sich indes um das traumatisierte Mädchen und brachten sie zurück in die Hütte. Außer einer Beule an der Stirn, schien sie jedoch unverletzt zu sein. Aska hatte aufgehört zu zittern und zu schluchzen, in die Augen schauen konnte sie Astrid allerdings immer noch nicht. Nicht mehr vor Angst, sondern vor Scham. „Es tut mir furchtbar leid was passiert ist.“, entschuldigte sich Astrid bei ihr. „Ich hätte wissen müssen, dass die Zwillinge sich nicht im Griff haben.“ Aska schüttelte heftig ihre silbrigen Locken. „Nein. Du kannst nichts dafür. Auch die Zwillinge nicht. Ich habe nur….“ Sie verstummte. Es dauerte einen kurzen Moment, dann atmete sie noch einmal tief durch und begann von vorne. „Ich habe nur … eine Art Déjà-vu gehabt. So als hätte ich so etwas schon einmal erlebt. Ich bin mir nicht sicher, ob es sich um die Erinnerung eines Traums handelt, oder tatsächlich geschehen ist.“ Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen und sie musste kräftig Schlucken. „Ich habe allerdings das Gefühl, dass es Realität war.“ Aska hatte in dem Moment, als sie auf dem Boden lag und die Geschwister auf sie zu stürmten, Schmerzen am ganzen Körper. Es fühlte sich an, als würden ihr wieder stumpfe Gegenstände über die Gliedmaßen geprügelt werden. In einem Traum verspürt man keine echten Schmerzen. „Ich glaube … ich wurde ….“ Astrid sah sie entsetzt an. „Du wurdest misshandelt?“ Der Anblick Askas, der sich der jungen Wikingerin bot, erübrigte eine Antwort. Fischbein saß kreidebleich auf einem Hocker und hörte angespannt zu. Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen und Rotzbakke trat gemeinsam mit Hicks in die wohlig warme Hütte. Es war bereits Dunkel geworden. „Ich begleite dich noch zu deiner Hütte. Du solltest dich ausruhen!“ Astrid warf Hicks vielsagende Blicke zu und nickte in Richtung Fischbein, der mit ernster Miene heißen Met in Becher füllte. Während Astrid und Aska in die Nacht verschwanden, berichtete er den anderen, was das Mädchen ihnen soeben offenbart hatte. In dieser Nacht schliefen alle sehr unruhig. Fischbein rollte sich unter unangenehmen Träumen in seinem Bett hin und her. Nur der üppige Korpus seines Drachen, der zwischen Bett und Kamin schlummerte, verhinderte sein Herausplumpsen. Astrid blieb noch eine Weile bei Hicks. Eng umschlungen schauten sie schweigend in die kleiner werdenden Flammen, bis sie Arm in Arm einschliefen. Rotzbakke träumte von schreienden Mädchen und brüllenden Zwillingen, bis er zwischendurch aufwachte und merkte, dass es sich um sein eigenes lautes Schnarchen handelte. Die Zwillinge plagte das schlechte Gewissen und Raffnuss noch zusätzlich Kopfschmerzen.
 


 

Früh am Morgen stapften zwei Paar gleichgroße Stiefel über die dünne Frostschicht, die sich auf dem Boden über Nacht gebildet hatte. Es klopfte. Aska schrak hoch. Sie hatte noch sehr lange wach gelegen und über das Erlebte gegrübelt. Dementsprechend müde war sie noch. Es klopfte erneut. Aska schlüpfte aus dem Bett und tapste mit nackten Füßen über den rauen Holzboden. Die Zwillinge standen vor ihr und trugen einen großen Korb in ihrer Mitte. „Wir wollen uns bei dir entschuldigen!“, sagte Raffnuss mit ihrer krächzenden Stimme, in der echtes Bedauern mitschwang. „Wir haben dir ein Frühstück vorbereitet. Raff hat sogar ein Brot gebacken. Gut, Kotz und Würg haben ihr dabei geholfen, aber sie haben es mit ihren Tatzen – Raff natürlich mit ihren Händen…“ „Und mit meinen Füßen.“, fügte die Schwester noch hinzu. „...und mit ganz viel Liebe geknetet.“, beendete Taffnuss seine Lobpreisung. Sie traten an Aska vorbei, stellten den Korb neben den Tisch und fingen an, die mitgebrachten Sachen auszupacken. Taff zog sogar ein, etwas in Mitleidenschaft geratenes Sträußchen erfrorener Blumen zwischen den Schüsseln und Töpfen hervor. „Für dich! Ich weiß, das ist nur ein schwacher Trost, aber …“, setzte er bedeutungsschwer an, „das Beste kommt noch! Weil wir das alles wirklich wieder gut machen wollen und du eine echt schlechte Kriegerin bist – nichts für ungut – haben wir uns beide entschlossen, von nun an deine Leibgarde zu sein!“ Aska brachte aufgrund ihrer Verschlafenheit und auch wegen der unerwarteten Überraschung nur ein „Hm“ heraus. Etwas leiser fügte Taffnuss, der anscheinend einen überschwänglichen Freudentanz erwartet hatte, hinzu: „Das ist leider älles was wir dir geben können. Es tut uns wirklich sehr leid!“ Er hatte kurzzeitig enorme Ähnlichkeit mit dem zerknickten Sträußchen, das er bei seiner Ansprache vor seine Brust gehalten hatte. Aska versuchte ihre Müdigkeit zu vertreiben und auf die Entschuldigung der Zwillinge angemessen zu reagieren. Sie nahm das traurige Sträußchen entgegen und schaute Taff in die Augen. Die Geschwister mussten sich doch gar nicht entschuldigen, sie hatten schließlich nicht geahnt, was ihre Aktion in ihr auslösen würde. Klar, sie waren ungestüm und dachten erst nach, wenn es schon zu spät war, aber sie hatten ihr Herz am rechten Fleck. Und sie besaßen etwas, was viele Menschen nicht besitzen. Die Fähigkeit sich Fehler einzugestehen und sich dafür zu entschuldigen. Sie lächelte. Das erste Mal seit Langem. Taffnuss schien sichtlich erleichtert und lächelte zurück. „Ähm, wollen wir vielleicht mit dem Frühstück beginnen?“, unterbrach Raffnuss die beiden Grinsebacken. Die Drei setzten sich um den Tisch und machten sich über die Leckereien her. Ja, die Speisen kamen bei weitem nicht an die Yakkoteletts von Fischbein heran, aber sie kamen von Herzen, was ihnen eine besondere Note verlieh und Aska war sich sicher, dass sie schon deutlich schlechter gegessen haben musste. Nur das Brot rührte sie vorsichtshalber nicht an. Es klopfte wieder an der Tür. Astrid stand auf der Türschwelle. „Ach, hier steckt ihr.“, stellte sie mit leichter Verwunderung fest. „Ihr habt doch nicht schon wieder etwas total Bescheuertes ausgeheckt?“, fragte sie mit deutlichem Argwohn an die Zwillinge gerichtet. „Nein! Wir entschuldigen uns nur mit einem selbstgemachten Frühstück bei Aska!“, entgegnete Raffnuss kauend. „Das ist ja tatsächlich … sehr nett.“, stellte Astrid verblüfft fest. „Und wir sind ab heute ihre persönliche Leibgarde.“ Stolz verkündete Taff die, für Astrid eher unter „total bescheuert“ fallende Neuigkeit. Aska zuckte nur unschuldig lächelnd mit den Schultern. „Hey, was ist denn hier los?“ Hicks kam mit Fischbein und Rotzbakke im Schlepptau durch die Tür. „Frühstück. Setzt euch doch zu uns.“ Die kleine Hütte, die ursprünglich als Lagerhaus diente, füllte sich. Nicht nur mit Menschen und dem Geruch von Essen, sondern auch mit dem wohligen Gefühl von Leichtigkeit und Freude. Vergessen war der Schrecken vom Vortag und die Drachenreiter brachten das traurige Mädchen mit ihren Anekdoten zum Lachen. So vergingen mehrere Tage, in denen Aska einiges über die Drachen lernte, die Geschichte von Ohnezahn und Hicks erfuhr, wilde Erzählungen über Berserker und Flügelmädchen hörte und in den Kampfkünsten unterrichtet wurde. Natürlich wurde darauf geachtet, dass sie nie zu viele Geheimnisse um die Drachen erfuhr, aber das störte das Mädchen nicht. Sie wusste schließlich aus dem heimlich belauschten Gespräch, was die Beweggründe dafür waren und diese leuchteten ihr durchaus ein. Trotz der Waffenkunde und des Trainings wurde aus ihr in dieser kurzen Zeit keine sonderlich gute Kämpferin. Taff und Raff schworen jedoch auch bei jeder Gelegenheit, sie bis auf das Bitterste zu verteidigen, Thorston-Ehrensache, versteht sich. Sie mochte die Drachenreiter. Hicks, der von Anfang an sehr freundlich zu ihr war. Fischbein, der unheimlich viel über Drachen wusste, prima kochte und einfach gutmütig war. Astrid, die sich um sie kümmerte und dennoch stets im Auge behielt, wie eine große Schwester. Sogar der Hitzkopf Rotzbakke, der anscheinend ein Egoproblem hatte, aber niemandem wirklich etwas Böses wollte. Die Zwillinge verfolgten sie nun fast schon auf Schritt und Tritt, was zeitweise sehr anstrengend sein konnte, insbesondere, wenn sie sich mal wieder stritten oder gegenseitig kleine Gemeinheiten an sich erprobten. Aska nahm ihre Anwesenheit mit Humor, schließlich brachten die beiden sie tatsächlich oft zum Lachen, was meist an ihren doch wirren Konversationen und ihrer blühenden Fantasie lag. Auch an die Drachen hatte sie sich gewöhnt. Sogar der strenge Geruch machte ihr nichts mehr aus. Sie hatte erkannt, dass diese Echsenwesen wirklich sehr freundlich und loyal waren. Auch fühlte Aska sich durch sie beschützt. Insgesamt war es ein wirklich schönes Leben auf der Drachenklippe und das Mädchen, das vor wenigen Tagen mehr tot als lebendig war, verspürte jeden Tag Dankbarkeit und Zufriedenheit. Aber ihre Melancholie verlor sie auch in den nächsten Tagen nicht, obwohl der erste Schnee fiel und das Jubeln und Lachen der Reiter, die mit den Drachen lustige Rutschpartien veranstalteten, die eisige Luft füllte. Immer wieder überkamen sie in der Nacht Angst und Verzweiflung. Obwohl sie ständig darüber nachdachte, wer sie war und woher sie kam, sogar Buch über ihre bisherigen Erinnerungen führte, kam sie der Wahrheit keinen Schritt näher. Oft wachte sie aus Alpträumen auf. Vermummte Gestalten verfolgten sie, fesselten ihre Arme und Beine, schlugen auf sie ein. Dann ein kleines Mädchen mit silbrigen Haaren, das ihr sehr ähnlich sah. Sie hatte einen kleinen pechschwarzen Drachen auf dem Schoß. Dann wieder Stille. Rauschen. Stille. Die, an raue See erinnernden blaugrauen Augen, denen sie ihr Leben verdankte. Taffs Augen. Sie hatte zwar Allen bereits mehrfach gedankt, aber bei ihm hatte sie sich tatsächlich noch nicht direkt für die Rettung bedankt. Dabei fing das friedliche und geborgene Leben mit ihm an und ihr Leid endete. Sie beschloss, dies bei einer guten Gelegenheit endlich nachzuholen.



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