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Regen, Feuer ...

und dazwischen ein Krieg [SW 2o19 für Cherry_Pie]
von

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Regen, Feuer ...


 

Regen, Feuer ...

und dazwischen ein Krieg
 

SÜNDER!
 

Für Sünder gibt es keine Heilung, keine Gnade, keine Hoffnung.

Worte des Bettelns, des Betens, verhallen im Rauch, im Qualm der brennenden Seelen und im hämischen, gierenden Lachen der Dämonen.

Und Dean Winchester wusste, wie es war, gepeinigt, zerfleischt und wieder zusammengeflickt zu werden, nur um all das Elend, das Leid, den Schmerz immer wieder spüren zu müssen.
 

„Du quälst dich also immer noch.“ Es war keine Frage, es war das simple Aneinanderreihen von Buchstaben, die sich zu Worten formten und den Mund des Engels verließen.

„Lass mich in Ruhe!“ Ein knurrender Laut entkam dem gebeutelten, jungen Mann. Auch wenn sich Dean mit der Anwesenheit des Engels abgefunden hatte, glich es beinahe der süßen Genugtuung, diesem Soldaten des Herren jenen Schmerz entgegenzubringen, den man ihm hatte angedeihen lassen. Doch war sein Versuch kläglich, beinahe peinlich und lächerlich zugleich.

„Ich will dir helfen.“ Castiel – Er ließ einfach nicht locker.

„Nein“, schnaubte Dean und wandte den Kopf, „willst du nicht. Ich meine, klar, du benutzt Worte, die an meine Pflicht appellieren sollen, aber weißt du was? Ich habe die Schnauze voll davon.“
 

Regen. Tropfen, die wie Kugeln auf mich niedergehen.
 

Das Gesicht zum Himmel gereckt, die Augen fest geschlossen und den Duft des Regens tief einatmend, erlag Dean dem Vorhaben, für einen kurzen Moment, einen Wimpernschlag lang, den Feuern der Hölle entkommen zu können.

Wie lang schon hatte er sich gequält? Und sich weiterhin quälen lassen?

Noch immer konnte er das Feuer spüren, fühlte das Reißen seiner Haut, die Klauen dieser Kreaturen, die mit aller Wonne ihrem Werk nachgingen.

Hörte das Lachen des Dämon, des Foltermeisters, und war bemüht, dessen Angebot zu widerstehen.

Er war doch nur ein Mensch, schwach, anfällig und doch war etwas in ihm zerbrochen.

Aus dem Leid, dem Schmerz, wurde unaussprechliche Freude, selbst Qual zuzufügen.
 

Gefallen kommt von Fallen, oder nicht?
 

„Es kann auch für Vergnügen stehen, Dean Winchester.“

Dean zuckte bei dem Aufblitzen der Erinnerung zusammen. Die Stimme Alastairs hatte ihn über Monate hinweg verfolgt, kroch ihm durch die Eingeweide und labte sich an kümmerlichen Rest, der einst ein junger, aufstrebender Jäger gewesen war.

„Rache ist keine Lösung.“ Die melodische, beruhigende Stimme des Engels erschien ihm wie eine eiserne Faust, nicht zart, nicht schützend.

„Wenn du nicht willst, dass ich dir auf deinen Trenchcoat kotze, Castiel, dann verschwindest du besser!“ Die Drohung war für den Engel Anlass genug, dem Zorn des Schützlings mit Wohlwollen zu begegnen.

Noch immer war die Luft erfüllt vom ruhigen Trommeln, das gleichmäßig seinen Weg zur Erde suchte.
 

Ich habe eine Aufgabe.
 

„Ein kleines, unbedeutendes Sandkorn im Getriebe des Universums.“ Ein schäbiges Bett im Rücken, in einem schäbigen Motelzimmer. Immer unterwegs. Kein Zuhause. Kein Ort, um Rast zu machen, auszuruhen, zu erholen.

„Tja, sieht so aus, als wäre das mein Job, für den Rest meines armseligen Lebens“, seufzend starrte er an die Zimmerdecke. Flecken von Wasserschäden und eine Tapete, die sich zu kräuseln begann.

Das Leben wäre um so vieles leichter, wäre er nie mit all dem in Berührung gekommen. Doch das Schicksal, dieses miese Miststück, wollte es anders.

Sammy hatte sich dem Grauen entzogen, hatte Pläne, wollte ein anderes Leben. Und beinahe wäre es ihm gelungen.

Immer hatte er seinen kleinen Bruder beschützen wollen, wollte es auch jetzt noch. Das war es, was sein Vater ihm aufgetragen hatte. Ein Ziel, wenn auch unmöglich zu erreichen.

Ein Schatten legte sich über sein Gesicht. Deans Blick wanderte von der Decke herab auf die Gestalt, die leise, kaum hörbar, aber immer in seiner Nähe verharrte. Schutzengel?, beinahe hätte er aufgelacht.

„Ich sehe dich“, knurrte Dean, doch verlor sich sein Unfrieden im Quietschen der rostigen Federn des Bettes, sobald er sich aufsetzte.

„Ich wollte, dass du mich siehst“, erklärte der Engel.

„Wie schön für dich“, bissiger, als beabsichtigt, kamen ihm die Worte über die Lippen.

„Ich verstehe deinen Unmut, Dean“, hob Castiel und neigte den Kopf, um seinen Schützling zu betrachten.

„So? Tust du das?“ Auch wenn es der Engel nicht verdiente, so schwelte noch immer Zorn in ihm.

„Dein Gram ist greifbar, sogar für mich“, berichtete sein Gegenüber.

„Das ist kein Gram“, widersprach Dean.

„Dann bist du wütend?“ Erstaunen spiegelte sich in den Augen der menschlichen Hülle, derer sich der Bote Gottes bediente.

„Gut geraten, Sherlock“, gab Dean mit einem unfeinen, grunzenden Laut zurück. Murrend fuhr er sich mit den Händen über das, vom letzten Kampf, gebeutelte Gesicht. Schrammen, Narben, Schmutz, Blut …
 

Ein Krieg, so endlos. Warum ich? Warum wir?
 

„Ich bin eine Hülle.“ Das Antlitz im Badezimmerspiegel verzerrte sich zu einer Dämonen-gleichen Fratze. „Ein Gefäß, Dean.“ Sein Versuch, die ruhige, tiefe Stimme Castiels zu imitieren, gelang ihm überraschend gut.

Dass jener Engel ihm eine Pause gönnte, hatte er sich verdient.

Obschon Castiel ihn aus der Hölle befreite, war er nur ein weiteres Teil des gigantischen Puzzles, über das die Engel gebeugt versuchten, die Ecken und Kanten an die richtigen Positionen zu schieben.

Menschen, als Spielball von Luzifer und Michael. Der Eine liebte zu sehr, der Andere verstand nicht. Abermals schnaubte Dean auf, wandte den Kopf. Brüder, Schwestern, Väter, Mütter. Immer ging es um die Familie. Man konnte nicht mit ihr, und auch nicht ohne sie.

Dämonen waren nur ein Nebenprodukt, doch genossen sie es, diesen Kreaturen, die zwischen Himmel und Hölle ihre kümmerlichen Leben fristeten, Pein und Schrecken zuzufügen. Nichts war umsonst, weder die Gunst einer dämonischen Figur, noch die Herrlichkeit der Putten, die auf ihren Wattewölkchen saßen.
 

Menschen gehen, verglühen, wie Sterne in der unendlichen Weite.
 

„Gleich kriege ich wirklich das Kotzen“, erbrach sich Dean abfällig, während sein Blick an der Schnulze hängen blieb, die munter vor sich hin flimmerte, sowie er das Bad verließ und wieder ins Zimmer trat. „Sammy? Sam? Warst du das?!“

„Sam ist fort.“ Auf dem Bett seines Bruders saß der Engel im Trenchcoat.

„Ich hätte es wissen müssen“, knurrte Dean, die Augen verdrehend. „Na schön, Cass, wo ist er?“

„Er wollte einer Spur nachgehen“, erklärte Castiel bereitwillig.

Leise schnaubte Dean. Dieser Kerl hatte keine Ahnung vom Menschsein. Diese Naivität konnte belustigend sein, bürge sie nicht die ständige Gefahr, von einem Fettnapf in den nächsten zu stolpern.

„Eure Erfindungen sind bemerkenswert.“ Gebannt verfolgte der Himmelsbote das laufende Programm.

„Du sagtest etwas von einer Spur“, hob der Jäger an. „Eine Spur von … Lilith?“

„Das weiß ich nicht“, gestand Castiel.

„Wie? Was? Dann ...“, Dean machte eine scheuchende Bewegung, „flieg los und … tu', was auch immer nötig ist, um -“

Mit einem Klicken drehte sich der Knauf der Tür. Dean hielt in seinem kleinen Befehlsschwall inne. „Verdammt noch mal, Sammy! Wo kommst du her?“

„Einkaufen“, verdutzt blinzelte Sam, in den Armen zwei Papiertüten haltend. „Ich habe eine Spur.“

„Sagte ich doch“, meinte der Engel, Anstalten machend, sich vom Bett zu erheben.

„Hallo Castiel“, grüßte der hochgewachsene, junge Mann und hievte die Lebensmittel auf den runden Tisch.

„Sam“, erwiderte Castiel nickend und verließ die Brüder so lautlos, wie er erschienen war.

„Oh, eine Spur?“, höhnte Dean, den Abgang des Engels im Augenwinkel registrierend.

„Ja“, gebot Sam ihm.

„Soll ich dir alles aus der Nase ziehen?“ Allmählich schien es noch schlechter um seine Geduld bestellt.

„Ganz ruhig. Es geht nicht um Lilith, es ...“, hob Sam an und verstummt jäh, als er den fordernden, zornigen Blick seines Bruders bemerkte. Sam seufzte gedehnt und murmelte etwas davon, erst einmal die Einkäufe wegräumen zu wollen, ehe er Dean einen Burger zuwarf, in der Hoffnung, dass jener Imbiss ihn ruhigstellen möge.
 

Es gibt immer irgendwo einen Fall, den es zu lösen gilt, denn Ruhe ist trügerisch.
 

Sam nicht aus den Augen lassend, vertilgte Dean den letzten Rest des Burgers. Sein Blick glitt zum Laptop, den Sam bereits seit drei Minuten für sich vereinnahmte und mit geschmeidigen Bewegungen die Finger über die Tasten fliegen ließ. Dass Sam eher in solch technischen Dingen bewandert war, machte Dean wenig aus. Dennoch erleichterten das Surfen und Hacken ihre Arbeit immens.

Sam war überlegter, einfühlsamer und kein „Haudrauf“, wie es sich Dean seit Jahren zu eigen gemacht hatte. Erst schießen – dann fragen, die Maxime, die ihn überleben ließ.

„Hier“, sagte Sam und drehte den kleinen, tragbaren Computer in Deans Richtung.

Dieser kniff die Augen zusammen, um den Zeitungsartikel zu entziffern, der auf dem Display aufblinkte. Ein schnaubender Laut entwich ihm. „Ein Geist? Sammy, ernsthaft?“

„Na ja, immerhin eine Spur“, erklärte sich Sam abermals.

„Ja, aber keine, die uns zu Lilith führt“, erwiderte Dean mit Nachdruck.

Abermals seufzte Sam. „Dean, was? Was soll ich tun? Mit den Fingern schnippen und … wusch, taucht der nächste Hinweis auf? Momentan hält sie sich bedeckt, oder bist du so scharf darauf, dass sie wieder Städte terrorisiert und -“

„Du redest dich ja richtig in Rage“, bemerkte Dean, nun merklich ruhiger.

„Hör zu: Ich will dir helfen, das will ich wirklich, aber so lange, wie -“, abermals versuchte Sam, das Gespräch auf den eigentlich Kern des Ganzen zu lenken:

Deans unbändiger Drang, Lilith auszuschalten und die Siegel zu schützen. Ein Auftrag, dem die Brüder, oder auch die anderen Jäger, wohl nie und nimmer gewachsen waren, denn es gab hunderte – und diese Dämonin musste nur 66 der Siegel brechen.

Doch die Worte blieben dem jüngsten Winchester im Halse stecken, denn Dean verstand sich hervorragend darauf, wichtige, oder gar nervige Themen mit einem saloppen Wink, einem Schulterzucken oder gar einer unpassenden Bemerkung, die zwielichtige Einsicht bedeutete, abzuwenden, als ging ihn all das nichts an.

Sam schnaufte, während sich Dean über die Informationen hermachte und ihre Mission festlegte.
 

Geheimnisse dienen dem Schutz und dem Verrat gleichermaßen.
 

Zweifel und Kummer zierten sein Gesicht, als Sam einen Seitenblick auf Dean warf, der konzentriert auf den leeren Highway starrte und den Impala vorantrieb. Nicht selten überkam Sam das Gefühl, als seien er und sein Bruder die Einzigen auf dieser Erde, die quer durch die Bundesstaaten Nordamerikas fuhren, um dem Bösen Einhalt zu gebieten. Dass seine Gedanken völlig absurd waren, bewies sich anhand der Hilfsbereitschaft anderer Jäger.

Sie waren Verbündete, Freunde, Familie oder wurden, durch unglücklich verkettete Umstände, zu Feinden. Und doch hatte jeder von ihnen ein Schicksal, das ihm anhaftete. Manche waren in diese Branche hineingeboren, andere wurden durch den Verlust geliebter Menschen dazu gebracht, dem Unvorstellbaren gegenüberzutreten.

„Woran denkst du?“ Fortwährend waren seine Augen auf den Weg gerichtet, als Dean jene Frage an ihn richtete.

„An – an nichts“, gab Sam zurück. „An nichts.“
 

Die Täuschung ist das Gleitgel der Intrige.
 

Mit erhobener Augenbraue beäugte Dean, den Wagen langsam auf den kleinen Parkplatz vor die Polizeistation rollend, das Ambiente.

„So knapp vor der großen, leuchtenden, stinkenden und vor Berühmtheiten strotzenden Stadt“, seufzte er und stellte den Motor ab. „The Silver City also, ja?“

Der Weg hatte sie nach Osten geführt, in den Staate New York. Das kleine, verschlafene Örtchen machte nicht viel her. Dass es hier einen Sheriff gab, musste wohl einem Wunder nahekommen.

„So knapp?“, schnaubte Sam belustigt. „Bis New York City sind es noch mindestens 262 Meilen.“

„Wie du meinst, Besserwisser“, gab Dean zurück und wühlte auf der Rückbank umher. „Ah!“

„Und, wer sind wir dieses Mal?“, verlangte Sam zu wissen, rückte seine Krawatte zurecht.

Grinsend hielt ihm Dean die neuen, gefälschten FBI-Ausweise unter die Nase.

„Dean, im Ernst?“ Entrüstet ließ Sam Blick über die neue Identität gleiten. „Was ist aus Sambora geworden?“

„Du kannst nicht immer Richie spielen, Sammy!“, grinste Dean. „Außerdem ...“

„Ja, du magst Bon Jovi nicht, ich weiß“, erwiderte Sam murmelnd.

„Das ist Weibermusik!“, erwiderte Dean, schraubte sich mit einer galanten Bewegung aus dem Sitz und schlug die Fahrertür zu, sobald seine Füße den nassen Asphalt berührten.

„Ja, weil sich damit Mädchen herumkriegen lassen“, fassungslos schüttelte Sam den Kopf.

Dean lachte auf. „Hör' auf, zu meckern. Los, holen wir uns Casper!“

„Muss das sein?“, murrte Sam und entstieg dem Impala. „The Police?“

„Hey“, empörte sich Dean, „das sind Götter, Sam!“
 

Das Grauen lauert überall. Und Menschen sind das Schlimmste.
 

Gemeinsam betraten sie das Revier. Sämtliche Beamte, die sich in jenen Räumlichkeiten aufhielten, sahen von ihrer Arbeit auf oder unterbrachen die zuvor geführten Gespräche.

Lässig lehnte der Kleinere gegen den Empfangstresen Gladys O'Learys, die vom Computer aufsah und in den Genuss eines verschmitzten, flirtenden Grinsens kam.

„Willkommen in Sherrill, wie kann ich Ihnen helfen?“ Ihre Begrüßung war, nach all den Jahren im Beruf, geübt und freundlich. Dennoch schoben sich ihr, für den Hauch einer Sekunde, die Augenbrauen sorgenvoll und skeptisch zusammen. Es war offensichtlich, dass Gladys O'Leary sich fragte, was das Federeal Bureau of Investigation in ihrem Städtchen zu suchen hatte.

„Hallo“, erneut zupfte ein Zahnpastalächeln an seinen Mundwinkeln. „Agent Sumner und Copeland.“ Überflüssigerweise verwies der Agent auf seinen Partner und sich.

Schweigend nahm Gladys die Vorstellungsrunde zur Kenntnis.

„Wir sind hier, wegen der Vorfälle. Ist Ihr Sheriff möglicherweise zu sprechen? Und wenn nicht er, dann vielleicht jemand, der mit uns über die Vorfälle reden kann?“, fragte Agent Sumner und ließ, kaum merklich, den Blick schweifen.

„Vorfälle?“ Gladys blinzelte. „Nun, momentan befinden sich zwölf Officer im Dienst, Sir, und Robert Miller ist der zuständige Sheriff für Oneida County. Allerdings ist dem armen Mann nur schwer habhaft zu werden. Es gibt viel zu tun, im County, wenn Sie verstehen.“

„Wir verstehen“, grinste Agent Copeland und nickte dankend.

Erleichterung erfasst die Frau mittleren Alters, als sie die Stimme Kenny Knoxvilles vernahm, der die Szenerie mit Argwohn verfolgt hatte. „Entschuldigen Sie“, hob er an. „FBI wenn ich richtig verstanden habe?“

Schweigend nickten die Beamten.

„Man hat Sie völlig umsonst aus D.C. hierher beordert, meine Herren“, sagte Officer Knoxville, nachdem er sich ihrer Personalien versicherte. Nickend tat er die ihm vorgehaltenen Ausweise ab. „Es gibt hier keine Vorfälle, und uns liegen auch keinerlei Informationen aus Washington vor.“

„Wir bedauern, dass man Sie noch nicht informiert hat, Officer … Knoxville“, erwiderte Agent Sumner. „Wir halten uns lediglich an die Vorschriften und Anweisungen.“

„Hier gibt es nichts für Sie zu tun, Agents. Alles, was hier geschieht, liegt im Bereich unserer Kompetenz. Was auch immer Sie gehört haben, muss eine Fehlermeldung gewesen sein.“ Officer Knoxville machte ihnen unmissverständlich klar, dass es nichts für sie zu holen gab.

Sowie die feuchte Luft des Nachmittags ihre Nasen umwehte, stieß Dean einen Fluch aus. „Wir werden verarscht!“

„Erzähl' mir was Neues“, seufzte Sam.
 

Wenn die Verschwiegenheit bricht, zerfällt die Ehrlichkeit.
 

„Eine eingeschworene Gemeinschaft, die nichts preisgeben will“, knurrte Dean. Seine Bewegungen waren die eines Tigers im Käfig nicht unähnlich. „Und wenn du dich verlesen hast?“

„Dean“, Sam sah vom Bildschirm auf, „du hast den Artikel doch selbst gelesen. Drei Mal.“

„Hey, ich wollte gründlich sein“, gab dieser pikiert zurück und gönnte sich einen kräftigen Zug aus der Flasche.

Ein energisches, kurzes Klopfen an der Tür ließ sie von ihrem kleinen Disput Abstand nehmen.

„Castiel?“, fragte Sam, doch Dean schüttelte den Kopf.

„Der klopft nicht, nein. Der taucht einfach überall auf“, zischte er, zog die Pistole hinter seinem Rücken hervor und langte nach dem Knauf. Mit einem Ruck wurde die Tür geöffnet. „Wer sind Sie?“, bellte Dean, doch die junge Frau, die auf der Schwelle zu ihrem Zimmer stand, zuckte nicht einmal mit der Wimper.

„Shawna O'Leary“, erklärte sie sich unumwunden und schob sich an dem Jäger vorbei in den Raum.

„O'Leary?“ Sam hatte sich erhoben und den Laptop, der Sicherheit halber, zugeklappt.

„Die vom Empfang“, gab Dean zurück.

„Die vom Empfang ist meine Tante und Sie, meine Herren, sind keine Agents.“ Die forsche Behauptung taten die Jäger mit einem überraschten Blinzeln ab. „Ich habe Freunde in Capital City.“

„Wie schön für Sie.“ Dean versuchte sich an einem schnippischen Grinsen.

„Haben Sie nicht“, erwiderte Sam, die Frau prüfend betrachtend.

Diese verengte die Augen, doch etwas Nervöses ließ ihr die Hände beben. „Gut, Sie haben mich ertappt.“

„Also keine Freunde in D.C.?“, fragte Dean, während Shawna zerknirscht verneinte.

„Dennoch sind Sie keine Beamten!“, erwiderte sie aufgebracht.

„Woher wollen Sie das wissen?“ Sam machte einen Schritt in den Raum hinein.

„Meine Tante ist durchaus misstrauisch, vor allem dann, wenn Fremde in diese Stadt kommen“, erklärte die junge Frau und ließ die beiden Männer nicht aus den Augen.

„Und deshalb hat sie Sie auf uns angesetzt?“ Dean lachte auf. „Ich sehe keine Fackeln und Forken.“

„Wir heben uns das Hinausjagen von Störenfrieden gern für einen späteren Zeitpunkt auf. Der Teer ist noch nicht heiß genug und so viele Hühner gibt es hier nicht, die man rupfen könnte“, fauchte Shawna.

„He, ganz ruhig!“, versuchte Sam die erhitzte Situation einzudämmen. „Gut, Sie haben recht. Wir sind nicht vom FBI.“

Unweigerlich sah sich der hochgewachsene Sam dem bohrenden Blick der kleinen Frau ausgesetzt. „Wer sind Sie dann? Schaulustige? Gaffer?“

„Für diese Art der Argumentation müsste hier etwas vorgefallen sein, doch nach der Aussage Ihrer Tante, und des Officers -“, begann Dean und wurde jäh unterbrochen.

„Welches Officers?“, verlangte Shawna zu wissen.

„Knoxville“, gab Sam zurück und bemerkte, wie Shawna die Augen verdrehte.

„Ein ganz lustiger Typ“, warf Dean ein, ehe ihm ein knappes Räuspern entfloh. „Sie sagten uns, hier gäbe es keinerlei Vorkommnisse.“

Misstrauen glomm in ihren Augen auf, dennoch zerfiel die Anspannung in ihren Schultern. „Aber wegen irgendeiner Spur müssen Sie hier sein! Wer hat Sie geschickt?“

„Es ist kompliziert“, nuschelte Sam.

„Das bezweifle ich.“ Shawna verschränkte die Arme vor der Brust, während ihr Blick mehr Informationen forderte.

„Hey, wir sind die, die hier die Fragen stellen“, fuhr Dean dazwischen.

„Dean“, mahnte Sam.

„Gut, fragen Sie. Aber hören Sie zuerst auf, mit diesem Ding vor meiner Nase herumzufuchteln!“ Der Forderung kam Dean nur widerwillig nach, ehe er die Pistole wegsteckte.

„Wir lassen uns nicht gern überfallen“, knurrte dieser.

„Ich habe Sie nicht überfallen“, gebot Shawna ihm und ließ sich, ohne Bitten, auf einen der Stühle sinken, die um den kleinen Runden Tisch standen.

„Sie sind hier reingeplatzt, als wollten Sie -“, erhob Sam die Stimme.

„Es tut mir leid. Wir werden … nervös, wenn sich Fremde in unsere Angelegenheiten einmischen.“ Mit großen Augen blickte die Fremde zu ihnen auf.

„Sie meinen solche, die keine sind, aber dann irgendwie doch welche zu sein scheinen, über die man hier jedoch Stillschweigen bewahrt?“ Anerkennend hob Sam eine Augenbraue, auf die schlussfolgernden Worte Deans hin.

„Genau“, langsam nickte Shawna das Gehörte ab und strich sich die wirren Strähnen ihres Haares aus dem Gesicht.
 

Es gibt so viel mehr, als dass ein Einzelner es je ganz begreifen könnte.
 

Die Minuten vergingen. Schweigend hatte Shawna den Erklärungen gelauscht, die man ihr auftischte.

„Jäger“, schnaubte sie kopfschüttelnd. „Was sollte an euch anders sein, als an denen, die lange vor euch hier waren?“

„Also kommen Jäger hier vorbei?“, fragte Sam.

„Nicht oft“, gab Shawna zu. „Ihr seid die ersten, auf die ich treffe. Allerdings erzählt mir meine Tante dann und wann, dass es zu Begegnungen kam. Immer, wenn – Wie seid ihr auf Sherrill aufmerksam geworden?“

„Ein Artikel, im Internet“, eröffnete Sam ihr.

Wieder gab Shawna ein spöttisches Lachen von sich. „Jetzt sind sie also auch schon im Zeitalter der digitalen und regen Kommunikation. Sehr schlau.“

Dean stand, die Arme verschränkt, in Nähe des Tisches und betrachtete die junge Frau mit gesunder Skepsis. Nachdem die Winchesters ihr erzählten, womit sie sich die Zeit vertrieben, schien Shawna O'Leary weder verängstigt, noch besorgt. Es schien sogar, als seien ihr solche Phänomene vertraut.

„Und was ist mit Ihnen? Raus mit der Sprache! Jeder normal denkende Mensch wäre bei dem, was wir Ihnen gerade berichtet haben, schreiend aus dem Zimmer gerannt.“ Dean stieß sich von der Wand ab, an der er gelehnt hatte, und marschierte ungeduldig im Zimmer auf und ab.

Ein tiefer, schwerer Seufzer entkam ihren Lippen, ehe Shawna zu sprechen begann: „Wir sind Hexen.“

„Ich hab's dir gesagt“, ereiferte sich Dean, marschierte auf Sam zu und pikste ihm in die Schulter.

„Hast du nicht“, verteidigte sich Sam, „Hexen sind nur immer das Erste, woran du denkst!“

„Wir beherrschen das Feuer“, erklärte Shawna, ohne auf den kleinen Zwist der Brüder einzugehen.

„Das würde auch die roten Haare erklären“, lachte Dean auf, doch Sam schüttelte nur beschämt den Kopf.

„Nein, meine – unsere Vorfahren kamen aus Irland hier her in dieses Land, vor langer Zeit“, fuhr Shawna fort und erhob sich von dem Stuhl um, ähnlich wie Dean zuvor, durch das kleine Hotelzimmer zu streichen. „Meine Familie, die Kings, die Murphys und die MacKennas halfen beim Aufbau dieser Stadt. Sie wollten einen ruhigen Ort, einen Platz, an dem sie ungestört ihre Magie praktizieren durften, ohne davongejagt, verstoßen oder getötet zu werden.“

„Und was hat das mit dem Artikel zu tun?“, verlangte Dean zu wissen.

„Scheinbar -“, mischte sich Sam ein, hielt mit dem Einhacken auf den Laptop inne, „reicht ihre Magie, um sich das Internet nutzbar zu machen. Aber das, was wir fanden, ließ nichts von einem Hexenkult erkennen, oder Okkultismus.“

Shawna blinzelte und ließ sich die besagten Informationen zukommen. „Ist das die einzige Seite, die etwas berichtet?“

„Ja, andere Zeitungen, die ihre Artikel durch das Internet zugänglich machen, schrieben nichts davon“, erklärte Sam und sah, wie sich die Miene der jungen Frau veränderte.

„Mom“, ein leises Krächzen begleitete das kleine Wort, das ihren Lippen entkam.

„Wie bitte, was? Mom?“, echote Dean und trat auf das Duo zu, das nunmehr über den kleinen Computer gebeugt verharrte.

„Meine Mom – sie hat euch diesen Hinweis geschickt.“ Tränen liefen ihr stumm über die Wangen.

Zweifelnd schob Sam die Augenbrauen zusammen.

„Ich verstehe kein Wort“, gab Dean zurück. „Diese Meldung beinhaltet den Tod einer jungen Frau, die vor Jahrzehnten starb und nun diese Stadt heimsucht.“

„Ihr sagtet, dass es nirgendwo sonst Anzeichen gab, die sich mit unserer Stadt befassen, richtig?“, fragte Shawna und deutete auf die schwarz-weiß Fotografie der Frau, die auf dem Display zusehen war.

Schweigend nickte Sam. „Nur diese Zeitung, allerdings ist der Artikel bereits fünf Tage alt.“

Ein flüchtiges Lächeln huschte ihr über das Gesicht, als Shawna erneut das Bild betrachtete. „Sie starb bei meiner Geburt. Tante Gladys und meine Grandma haben sich um mich gekümmert.“

Flink haschte sie nach ihrer Handtasche und wühlte in den Untiefen dieser nach ihrem Portemonnaie. Sowie ihre Finger das geschmeidige Leder erfassten, und die Geldbörse das Tageslicht erblickte, brauchte Shawna nicht lang, um das Foto zu präsentieren.

„Ich hüte es, wie meinen Augapfel“, murmelte sie sanft.

„Klingt gruselig, wenn eine Hexe das sagt“, durchbrach Dean diesen rührseligen Moment.

Shawna ignorierte diese unpassende Bemerkung. „Sie hätte nicht nach euch geschickt, wenn sie sich nicht sicher wäre, dass ihr uns helfen könnt.“

„Helfen, wobei?“, fragte Sam.

„Das Gleichgewicht wiederherzustellen“, sagte Shawna.
 

Die Feuer der Hölle brennen heiß.
 

Dean schnaubte belustigt. „Das Gleichgewicht?“

„Unsere Familien beherrschen die Zauberkunst. Jedoch haben wir uns der Natur verschrieben, den Elementen. Jede Sippe hütet diese Geheimnisse und stellt ihre Fähigkeiten zur Verfügung“, erläuterte Shawna. „Man kann behaupten, wir sind ein ziemlich großer Ast der Hexerei, nicht bloß ein mickeriger Zweig.“

„Shawna, du … willst uns also sagen, dass deine verstorbene Mutter Kontakt zu uns aufgenommen hat, und dass wir … euch dabei behilflich sein sollen, ihren Tod zu rächen?“, fasste Sam das Gehörte zusammen.

„Nein, nicht rächen. Obwohl -?“ Grübelnd strich die junge Hexe mit dem Zeigefinger über ihr Kinn.

„Da steckt doch mehr dahinter“, erhob Dean seine Stimme. „Dieser Artikel, das Benehmen der Bewohner – ihr tut so, als wäre hier alles in Ordnung.“

„Ist es auch, oberflächlich betrachtet“, stimmte Shawna zu.

Dean stieß einen frustrierten Laut aus. „Um was – genau – geht es hier? Familiäre Streitereien? Sind Leute zu Schaden gekommen? Tote?“

„Bis auf meine Mutter“, gebot sie ihm.

„Was soll dieser ganze Quatsch? Sam, wir gehen! Sollen sich diese Hexen und Zauberer doch die Köpfe einschlagen! Letztendlich bleiben wir diejenigen, die dumm aus der Wäsche glotzen und um ihr Leben fürchten müssen!“, ereiferte sich der Jäger, stapfte zum Bett und war eifrig dabei, seine Sachen in den alten Rucksack zu werfen.

„Dean, was ist los mit dir?“ Sorge zierte Sams Gesicht, als er das Treiben seines Bruders erlebte.

„Das hier hat nichts mit Lilith zu tun“, fauchte Dean, erbost darüber, dass er sich dazu hatte verleiten lassen, einer toten Hexe beim Lösen ihrer Probleme behilflich zu sein. „Das ist Zeitverschwendung!“

„Und es geht los“, murmelte Sam und erhob sich ebenso von seinem Platz. Er erlag dem Versuch, beschwichtigend auf Dean einzuwirken.

Während beide Jäger in einem erneuten Streit aufeinander loszugehen drohten, besah sich Shawna abermals den Artikel, den das Internet – den ihre Mutter – den jungen Männern vorgesetzt hatte.

Sie schnippte zwei Mal mit den Fingern ihrer rechten Hand, ehe Flammen auf den Fingerspitzen erschienen. Erst der sanfte Feuerschein ließ Dean in seiner Schimpftirade innehalten.

„Sam“, warnte er, sodass dieser sich ebenso zu der Hexe umwandte. „Zu einem Song, bei dem man im Takt schnippen muss, wäre sie die leibhaftige, brennende Fackel.“

Sam schluckte kaum merklich, als die Flammen, ausgehend von den Fingern, Shawnas Arm hinauftanzten.

„Das wäre ein guter Partytrick“, verkündete Dean halbherzig lachend.

Abrupt erstarb das Feuer. Shawna wandte sich zu ihnen um. „Wir tun Gutes. Wir verhalten uns ruhig, unauffällig. Wir sind um Frieden bemüht, Rechtschaffenheit. Wir helfen, obwohl uns niemand darum bittet, doch Mord bleibt Mord.“

„Mord?“, fragend schoben sich Sam die Augenbrauen zusammen. „Ich dachte, deine Mutter sei eines natürlichen -“

„Nicht meine Mutter“, sagte Shawna leise. „Meine Freundin.“
 

Glühende Ketten der Rache versengen alles und vergessen nicht.
 

Schweigend rührte die junge Frau in dem Becher. Das Trio hatte sich in das einzige Café zurückgezogen, das sich in Sherrill finden ließ. Es stand außer Frage, dass in so einem kleinen Ort jeder jeden kannte. Und man Fremde sofort als solche identifizierte.

Dass sich die Jäger zum Bleiben überreden ließen, war nicht ihrer Magie geschuldet. Mehr als ein Mal hatte Shawna ihnen ihre Dankbarkeit bekundet und nun saßen die Drei einander gegenüber und warteten darauf, dass Gladys O'Leary eintraf.

Wie ihre Nichte, hatte auch die Dame flammend rotes Haar. Etwas blitzte in den Augen der Frau auf, sobald sie an den Tisch trat und sich neben Shawna sinken ließ. Gladys schwieg, während sie die Jäger betrachtete.

„Fehlt nur noch eine“, sagte sie.

„Geegee“, mahnte Shawna.

„Sie hat euch also erzählt, was hier vor sich geht?“ Gladys Worte schossen ihr wie ein Feuerball über die Lippen.

„Wir wissen, was sie sind. Wir wissen nur nicht, wie wir helfen können“, sagte Dean und begnügte sich mit dem stillen Machtkampf, den Gladys angezettelt hatte, indem sie ihn auffällig taxierte.

„Erde, Luft und Feuer“, sagte Gladys, wandte sich zu der Bedienung um und orderte einen Brandy.

„Die Elemente“, sagte Sam und erntete ein schwaches Lächeln.

„Kluger Junge. Etwas langsam, aber sehr um Haltung und Anstand bemüht“, fuhr Gladys fort, sowie sie ihren Fokus wieder auf die Anwesenden gerichtet hatte. „Aber etwas fehlt.“

„Ein zweiter Brandy“, sagte Dean und gab der Tresenkraft zu verstehen, ebenso Interesse an jenem Getränk zu äußern.

„Wasser“, murmelte Sam.

„Zum Brandy? Sammy, du hast keinen Geschmack“, lachte Dean auf und rieb sich bereits Hände beim Gedanken daran, um drei Uhr Nachmittags dem Alkohol zu frönen.

„Nein, du Holzkopf“, zischte Gladys, die Augen verdrehend. „Typisch ...“

„Hey, Lady, wollen Sie mich beleidigen?“ Dean schmälerte den Blick.

„Das hat sie gerade“, erklärte Sam, während sich Shawna das Lachen verkniff.

„Meine Freundin … Sie ist das Wasser. Also, ein Abkömmling derer, die sich jenes Element zu Eigen machen.“ Shawna spürte, wie Gladys nach ihrer Hand griff und diese knapp und flüchtig drückte.

„Haben Sie hier eine Bibliothek? Wir würden gern mehr über die Geschehnisse herausfinden. Über ihre Familien und wie all das zusammenhängt“, fragte Sam.

„Die haben wir“, sagte Gladys, „allerdings wird Ihnen der alte Bau nicht viel nützen.“

Die Dame schwieg, sobald die Getränke an Tisch gebracht wurden. „Danke, Collin.“

Dean begegnete dem jungen Mann mit vorsichtigem Blick.

„Collin King“, erklärte Shawna, als sei der Junge eine Berühmtheit. „Er gehört zu den Kellys, allerdings praktiziert er nicht.“

„Praktiziert?“, hakte Sam nach.

„Magie“, gebot Gladys ihm. „Die Zauberkunst wird nur an die weiblichen Vertreter der Familien weitergegeben. Auch wenn wir uns den Elementen und der Natur bedienen, haben wir keinen Einfluss auf die Nachkommen.“

„Soll heißen?“, fragte Dean und gönnte sich einen Schluck des Drinks.

„Wenn die Kings und Kellys weiterhin nur Stammhalter zeugen, stirbt ihre Macht aus.“ Gladys fixierte den jungen Jäger mit amüsiertem Grinsen.

„Also sind die Kings und Kellys miteinander verwandt?“ Sam hatte sich, altmodischerweise, eines Schreibblocks und eines Stifts bedient, um die ersten Notizen zu vermerken.

„Sie sind ein- und derselbe Zweig. Nur dass die Kellys, mit Alma, ihre letzte, weibliche Ahnin vorweisen können“, erklärte Gladys und leerte ihr Glas in einem Zug. „Und die gute Frau ist immerhin einundneunzig Jahre.“

„Nie hatte sich eine der Familien Sorge um ihr Fortbestehen machen müssen“, hob Shawna an. „Seit ein paar Jahrzehnten jedoch, wird nicht nur der Erd-Zweig bedroht.“

Sam verengte grübelnd die Augen. „So ganz fehlen mir noch die Zusammenhänge. Hätten Sie vielleicht einen Stammbaum, oder so etwas, damit wir uns -“

„Sam, inwieweit ist das für unseren Fall relevant?“ Deans Ungeduld war ihm anzusehen.

Gladys seufzte. „Kommt heute Abend zu mir nach Hause. Dann erkläre ich euch alles.“
 

Wer ein Minenfeld betritt, findet selten einen sicheren Weg.
 

Sam hatte es sich, trotz Gladys Worten, nicht nehmen lassen, einen Fuß in die örtliche Bibliothek zusetzen. Zu seiner Enttäuschung stellte er jedoch fest, dass die Empfangsdame der Polizei Sherrills recht behielt. So sahen sich die Jäger gezwungen, bei der Hexe einzukehren.

„Diese Frau ist wie ein Puma“, murrte Dean.

„Meinst du nicht Cougar?“ Sam warf ihm einen fragenden blick über die Schulter zu.

„War das nicht Courteney Cox aus Friends?“ Dean war stehengeblieben und neigte den Kopf.

„Alter, so was siehst du dir an?“, schnaubend schüttelte Sam den Kopf.

„Ältere Frauen, Sammy“, erklärte Dean breit grinsend.

„Ja, und gerade die hier macht dir Angst“, lachte dieser auf.

Das Grinsen auf Deans Lippen verflog. „Angst? Ich?“

„Und warum gehst du dann nicht voraus und klingelst?“ Bereitwillig räumte Sam den Platz an der Front. Seufzend schob sich Dean an ihm vorbei. Doch ehe er seine Hand in Richtung Klingel ausgestreckt hatte, wurde ihnen geöffnet.

„Wow“, entkam es ihm knapp, als sein Blick auf die Frau fiel. „Sie sehen aus, wie ein Bondgirl aus den Siebzigern.“

„Ich bin Mitte vierzig, hüte deine Zunge!“, beschwor ihn Gladys. „Auch wenn ich das, vermutlich, als Kompliment betrachten soll.“ Schnell war ein Griff in die rote, aufgetürmte Mähne vollbracht, ehe die Hausherrin ihnen Einlass gewährte. „Shawna ist in der Küche. Aber im Wohnzimmer habe ich bereits alles vorbereitet.“

Ein leichter Schock zierte Sams Gesicht, als er den anzüglichen Blick der Dame bemerkte. Doch er schwieg eine Bemerkung aus. Dean schien gerade etwas erwidern zu wollen, wurde jedoch durch Sams stummes Mahnen daran gehindert.

„Hast du gesehen, was die anhat?“, keuchte Dean kaum hörbar, sobald Gladys im Wohnzimmer verschwand. „Wenn einem da mal nicht schwindelig wird.“

„Bondgirl? Dean, wirklich?“, hakte Sam, voll Scham und Entrüstung, nach.

„Was hätte ich sonst sagen sollen? Hey, Miss O'Leary, schön, dass Sie uns halbnackt die Tür öffnen?!“, zischte Dean.

„Nein, aber es vielleicht ein wenig taktvoller ausdrücken?“, erwiderte Sam knirschend.

„Wie denn? Tolles Outfit, so eng, dass einem die Spucke wegbleibt?“, konterte Dean halb verzweifelt. „Ich sag's dir: Cougar!“

„Meine Herren?“, rief Gladys sie zu sich.

„Wir sind gleich da“, entfloh es den Brüdern unisono, ehe sie sich gezwungen sahen, der Aufforderung nachzukommen.

Ein Feuer im Kamin knisterte, doch waren auch die Lichter am Kronleuchter entflammt worden, um der Recherche dienlich zu sein.

Mit einem Tablett in den Händen, erschien Shawna im Zimmer. Klirrend protestierten die Gläser, sobald das Zittern in ihren Fingern einsetzte. Fluchend mahnte sich Shawna zur Eile und platzierte die Drinks auf dem kleinen Couchtisch. Zischend schüttelte Shawna ihre Finger aus. Funken stoben auf, die Erstaunen auf den Gesichtern der Jäger zurückließ.

„Tut mir leid, aber das geschieht in der letzten Zeit häufiger“, murmelte sie entschuldigend.

„Weil die Natur dich ruft, Schätzchen“, erklärte Gladys. Sie hatte es sich bereits auf der Chaiselongue, die der nicht weniger großzügigen Couch gegenüberstand, gemütlich gemacht und ließ die jungen Männer nicht aus den Augen.

„Also“, hob Sam an und räusperte sich verlegen, „Sie sagten etwas von … Informationen?“

„Es sind Familiengeheimnisse, Traditionen, aber meine verstorbene Schwester hätte euch zwei nicht herkommen lassen, wenn sie sich eurer nicht sicher gewesen wäre. Euch eilt immerhin ein gewisser Ruf voraus“, verkündete die Dame des Hauses.

„Wir sind berühmt?“, grinste Dean.

„Ohne Zweifel, Dean Winchester“, gab Gladys zurück. „Auch wenn wir unseren eigenen Gesetzen folgen, und keinen Zirkel benötigen, kommunizieren wir Hexen untereinander. Und um die Geister nicht zu vergessen, die sich uns ebenfalls mitteilen.“

Sams Blick huschte zu Shawna, deren forsches Auftreten vom Nachmittag abrupt ein jähes Ende gefunden hatte. „Ich war in der Bibliothek.“

„Und hast nichts gefunden, habe ich recht?“ Gladys Lippen kräuselten sich. „Nichts, bis auf ein paar Details zur Stadtgeschichte, nehme ich an?“

Schweigend nickte der Jäger.

„Also gut, hört jetzt genau zu. Es geht euch nichts an, niemanden. Aber die Zeit drängt“, verkündete die Hexe unheilvoll.
 

Immer gibt es irgendwo eine tragische Familiengeschichte.
 

Gladys berichtete von der Abspaltung der vier Familien. Jene verließen einst die grüne Insel, um in der neuen Welt einen Anfang zu wagen, der ihnen in Irland nicht länger gegeben war.

Die vier Familien, die Gladys als MacMurchadh – die sich dem Element Wasser verschrieben hatten -, O'Ceallaigh – deren Liebe zur Erde sie vereinte -, O'Connor – jene, die über das Feuer herrschten – und O’Brion – die Bezwinger der Lüfte - beschrieb, galten als Stütze für jenen Flecken, auf dem Sherrill errichtet wurde.

Durch Heirat und Versprechen wandelten sich die Familiennamen im Laufe der Jahrhunderte. Sicher blieben jedoch die Geheimnisse und Kräfte, mit denen die Frauen innerhalb der Familien gesegnet waren, ob diese der Bürde gewachsen sein mochten, oder nicht. Waren männliche Nachkommen gezeugt, blieben die Kräfte in einem Schlaf, bis ein Mädchen geboren wurde, das jene Fähigkeit, die in den Tiefen des Blutes verankert wart, von Neuem erwachen ließ.

„Wir entstammen der O'Connor-Linie“, verkündete Gladys weiterhin. „Doch nur noch meine Mutter, Shawna und ich können dieses Erbe weitergeben. Nun ja, eigentlich nur noch Shawna, denn wir anderen, alten Schachteln können wohl nichts mehr aufreißen.“

Dean entwich ein knappes Auflachen, das von Gladys geflissentlich ignoriert wurde.

„Wie dem auch sei: Wenn die Zeit gekommen ist, dass ein Zweig zu verdorren droht, helfen die Familien einander, damit das Gleichgewicht bewahrt bleibt. Uns war es immer ein Privileg, den Menschen helfen zu können. Unsere Meinung war den Bewohnern wichtig und man brachte uns stets Respekt und Ehrfurcht entgegen. Wir ließen die Ländereien erblühen, ebneten den Weg für die Siedler und bereiteten ihnen einen Ort, um zu gedeihen. Nun jedoch droht nicht nur Sherrill Unheil. Auch die umliegenden County sind von der Dürre betroffen.“

„Dürre?“, hakte Sam nach.

Shawna deutete auf eines der Bücher, die vor ihnen ausgebreitet lagen. Die Aufzeichnungen der Stammbäume, Ansammlungen von Runen und Abbildungen von Kräutern und Gewächsen stapelten sich kreuz und quer auf dem kleinen Tisch.

„Die Kellys“, begann Shawna. „Sie gehören den O'Ceallaighs an, die das Element Erde repräsentieren. Wie ihr bereits heute Nachmittag mitbekommen habt, ist Collin der Einzige, der von ihnen noch übrig ist. Zwar leben seine Eltern noch, doch sind beide bereits in einem Alter, wo das Kinderkriegen schwieriger wird. Collins Mutter ist keine Hexe, darum schlummern die Fähigkeiten noch immer in Collin selbst, bis er irgendwann ein Mädchen findet, mit dem es vielleicht funktionieren könnte.“

„Was ist mit dir?“, fragte Dean. „Oder gibt es, außer dir, keine weiteren, jungen Frauen, die bereit wären, mit ihm auszugehen?“

„Das ist unmöglich“, erhob Gladys das Wort. „Wird ein Element beherrscht, würde das Zusammenbringen zweier eine Katastrophe bedeuten. Alles wäre durcheinander.“

„Wie wäre es dann mit Speeddating?“, schlug Dean vor. „Oder Onlinedating?“

„Das Mädchen muss bereit sein, hier in Sherrill zu leben“, unterbrach Gladys.

„Aber, was ist mit Sonya?“, warf Shawna dazwischen.

„Sonya?“, hakte Dean interessiert nach.

„Ihr Vater, Steve MacKenna, beherbergt das Element Luft. Er hatte eine kurze Affäre mit einer New Yorkerin, die das Kind zwar hier gebar, aber ihn dann mit der Kleinen allein zurückließ.“ Shawna zog die Stirn in Falten. „Es ist kompliziert. Die Mädchen müssen nicht nur hier, in Sherrill, geboren werden, auch müssen sie hier leben, um sich mit der Magie vertraut zu machen.“

„Und diese Sonya ist so ein spezieller Fall?“, fragte Sam.

Bejahend nickte Shawna. „Sie ist ein aufgewecktes Kind. Klug und wissbegierig. Ihre Cousinen Celia und Neyla kümmern sich ganz rührend um sie und versuchen sie an das Erbe heranzuführen.“

Dean seufzte nach all den Worten, die gefallen waren. „Das klingt ja alles nach Friede, Freude, Pancakes, aber es erklärt noch immer nicht, warum uns deine Mutter hergebeten hat?“

Shawna seufzte leise. „Sie hat euch kommen lassen, um das Verschwinden meiner Freundin Ava Murphy aufzuklären.“

Dean schnaubte verärgert. „Du hattest heute Nachmittag von Mord gesprochen.“

„Wir wissen nicht, ob sie noch lebt.“ Ängste und Sorgen zierten Shawnas Gesicht.

„Was wir wissen, ist, dass drei der vier Elemente benötigt werden, um das andere auszugleichen“, fuhr Gladys mit den Erklärungen fort.

„Also würden Feuer, Luft und Wasser genügen, damit das Erbe der Erde gerettet wird?“, hakte Sam nach. „Klingt nicht sonderlich schlüssig.“

„Du dickköpfiger Narr!“, rief Gladys erzürnt, schwang die Beine von der Chaiselongue und erhob sich. Mit wütendem Blick betrachtete sie die Jäger. „Hier sind Kräfte am Werk, die unser Überleben schützen!“

„Immer mit der Ruhe, Lady“, beschwichtigend hob Dean die Hände. „Wurde denn schon einmal so ein Ritual durchgeführt?“

„Nein“, gab Shawna zu und erntete einen nicht weniger zornigen Blick.

„Woher wisst ihr dann, dass drei Elemente genügen?“ Deans Einwand ließ Gladys blinzeln.

„Wir haben Schriften, die einen solchen Zauber offenbaren“, erklärte die Hexe.

„Und wenn ihr einfach wartet, bis dieser Collin King eine Frau gefunden hat?“, warf Sam ein.

„Das kann eine Ewigkeit dauern. Hast du nicht zugehört?“, fauchte Gladys. „Selbst wenn es Collin gelänge, eine Frau zu finden, und mit ihr Kinder zu zeugen, ist es damit nicht getan. Es muss ein Mädchen sein, damit die Natur im Einklang ist. Und sollte Alma Kelly sterben, bevor ein Mädchen des Clans geboren wird, ist auch unser Schicksal besiegelt.“

„Und das heißt?“, fragte Sam.

„Auch unsere Linien werden versiegen. Alle, auf einen Schlag. Und eine Dürre wird das geringste Problem darstellen, womit es dieses Land zu tun bekommt“, knurrte Gladys.
 

Wenn der Tod unweigerlich naht, kannst du nicht fliehen.
 

Ratlos starrte Sam auf den Stammbaum, der den Clan des Wassers zeigte. „Gibt es in Irland noch Nachfahren?“

„Sicherlich gibt es die.“ Gladys machte sich daran, die benutzten Gläser aufzuklauben. „Aber von denen wird uns niemand helfen. Es war die Entscheidung unserer Familien, hierherzukommen. Die vier Elemente müssen zusammenbleiben. Es sind immer vier, egal, wo auf der Welt wir uns niederlassen. Manche sind in Europa geblieben, andere hat es nach Osten verschlagen.“

„Seid ihr die Einzigen, die in Amerika leben?“ Ihm schoben sich die Augenbrauen zusammen, während Sam versuchte, den Geheimnissen ein Stück näherzukommen.

„Du verstehst nicht, Junge“, fuhr die Hexe fort, „es ist immer eine Entscheidung der Gemeinschaft. Wir haben Verwandte in Paraguay, doch hat sich eine Sippe erst einmal für einen Ort entschieden, ist es ihr versagt, anderswo ihre Zelte aufzuschlagen. Es hat immer etwas mit dem Gleichgewicht zu tun.“

„Also seid ihr Gefangene? Was ist mit euren Kindern? Was ist mit der Selbstbestimmung?“ Sam sah von seinen Notizen auf.

Gladys schnaubte lachend. „Geht ein Element, weil es jenen Ort nicht länger erträgt, so müssen ihm die anderen folgen. Ein Beispiel: Wäre es Shawna hier zu langweilig, und sie zieht es in die weite Welt hinaus, sagen wir, San Francisco, dann muss je eines der MacKenna-Mädchen, eines der Murphys und eines der Kings oder Kellys mit ihr reisen. Und nun stell' dir mal einen Hühnerstall voller Mädchen vor, die alle ihre kleinen Träume hegen und verwirklichen wollen. Es ist der Gemeinschaft nicht dienlich, seinen Sturkopf durchzusetzen. Eine für alle. Oder ist dir Alexandre Dumas fremd?“

Sam schwieg. Da war das Jagen von Ghoulen die reine Wonne und er zog das Vernichten von Vampiren dem Einmischen in die Hexenkunst alle mal vor. Zu seinem Glück hatte Dean nichts von diesem Gespräch mitbekommen, denn dieser hätte schallend gelacht, die Hexen zum Teufel gewünscht und fluchtartig das Haus verlassen.

„Ava Murphy ist Shawnas beste Freundin. Sie sind zusammen aufgewachsen und das, was sie verbindet, geht über das Zwischenmenschliche weit hinaus.“ Gladys rieb sich die ermüdeten Augen.

„Wenn ihr Band so stark ist, wie sie behaupten, dann kann Shawna eine Verbindung zu ihr herstellen?“ Sam wandte den Kopf in Richtung Diele. Dort verharrte Dean, mit Shawna an seiner Seite und deutete auf das altes Grimoire, das die junge Hexe in den Armen hielt.

„Wo hast du das her? Sag es mir, Shawna!“ Außer sich vor Wut stürmte Gladys auf ihre Nichte zu.

„Das ist viel zu gefährlich!“, warf Gladys ein.

„Aber wenn es hilft?“ Dean zuckte lässig mit den Schultern.

„Es ist ein simpler Aufspürungszauber, Geegee“, hob Shawna an.

„So simpel, dass uns eine wichtige Zutat fehlt. Oder hast du vielleicht eine Jungfrau zur Hand?“, blaffte Gladys, ehe Shawna und sie zu den beiden Jägern blickten, die hastig die Köpfe schüttelten.

„Sam vielleicht“, murmelte Dean.

„Hey!“, beschwerte sich dieser sofort. „Nein, es tut uns leid, aber keiner von uns ist noch ...“

„Schon gut, ihr wärt sowieso nicht gemeint“, winkte Gladys ab, dann wandte sie sich ihrer Nichte zu. „Ruf bei den MacKennas an und lass eines der Mädchen kommen, das es vielleicht noch nicht wie wild mit irgendwelchen Männern getrieben hat!“
 

Ein guter Rat: Lasst euch nie in die Machenschaften von Hexen mit reinziehen!
 

Gähnend rieb sich Sonya MacKenna die Äuglein. Ihr Vater ließ die Winchesters nicht aus den Augen, die ihm mit der gleichen Skepsis begegneten.

„Ziemlich … seltsames Zeug, was hier abgeht, hm?“, versuchte Dean das Eis zu brechen, doch Steve MacKenna scherte sich nicht darum. Seine Tochter wurde von einer hysterischen O'Leary aus dem Schlaf gerissen.

„Warum ist euch das nicht schon eher eingefallen?“, fragte Sam, während die Frauen alles für den Zauber zusammentrugen.

„Weil es jetzt ernst wird“, beschwor Gladys die anwesenden Männer.

„Daddy?“ Sonya sah mit großen Augen zu Steve auf, der schützend die Arme um sein kleines Mädchen geschlungen hatte.

„Alles wird gut, Sonny, keine Bange. Du kennst doch Shawna? Und Tante Gladys? Und Granny Silwa? Und Ava?“ Steve war darum bemüht, seiner Tochter das Nötigste zu erklären, ohne, dass sie Schock und Schrecken ereilten.

Schwach und müde nickte Sonya die Reihe an Namen ab, die ihr Vater ihr aufzählte. Steve wandte sich den Winchesters zu. „Als Mann hat man hier nicht viel zu melden. Diese Art der Magie ist eine Frauendomäne. Wir sind eigentlich nur die Spender, die am Glücksrad sitzen und hoffen müssen, dass der nächste Versuch nicht in einem XY-Chromosom endet. Auch wenn ich all das nie für meine Tochter wollte, müssen auch wir uns fügen.“

Wortlos nickten die Brüder den Ernst der Ansprache ab.

„Von meinen Nichten sehe ich keine“, erklang Steves Stimme abermals.

„Wundert dich das?“, schnaubte Gladys belustigt, ehe sie wieder ins Wohnzimmer trat und den Anwesenden erneut etwas Warmes anbot. „Hier, Süße, Kakao.“

Dankend nahm Sonya das süßlich duftende Getränk entgegen.

„Ich hoffe für dich, Gladys O'Leary, das da nichts drin ist, was meiner Sonny Schaden zufügt“, knurrte Steve verstimmt.

„Jetzt sei nicht so ein Brummelkopf. Ich hätte dich für spontaner gehalten. Aber vielleicht sollte ich dich einfach ignorieren, so, wie ich es mit Waage-Geborenen immer tue.“ Gladys zuckte mit den schmalen Schultern.

Dean lachte schnaufend, während Sam die Augen verdrehte.

„Heißt das“, hob er an, „dass es jetzt auch noch etwas mit Astrologie zu tun hat?“

„Natürlich hat es das. Dass er -“, Gladys deutete mit einem Nicken auf Steve, „gerade im Oktober geboren wurde, war reiner Zufall. Alle anderen Mädchen werden entsprechend ihres Elements geboren. Ich bin Löwe, Shawna ist Widder. Meine Schwester war Schütze, ebenso wie meine Mutter. Und unsere Sonya ist -“

„Ich wurde im Mai geboren“, gähnte die Kleine.

„Wirklich? Ich auch.“ Sam versuchte sich an einem Lächeln und achtete nicht auf die Reaktionen seines Bruder, die darin bestand, seinerseits mit den Augen zu rollen.

„Gladys O'Leary, könnten wir das hier bitte etwas beschleunigen?“, fuhr Steve dazwischen.

„Wir wären so weit“, verkündete Shawna und langte sanft nach Sonya Hand. „Es wird nicht wehtun, das verspreche ich dir. Aber wir müssen Ava finden und dafür brauchen wir deine Hilfe.“

Arglos nickte Sonya die Erklärung Shawnas ab. Erst, als diese ihr mit einer kleinen Nadel in den Finger stach, entwich dem Mädchen ein knappes Keuchen.

„Es ist gleich vorbei, so, siehst du?“, dass Shawna sanft und beruhigend auf sie einwirkte, ließ das Gefühl der Furcht allmählich weichen.

Rasch war der Tropfen in einem Kelch verschwunden. Rauchschwaden stiegen auf, sobald Gladys die Kräuter entzündet und eine Formel gesprochen hatte.

Etwas, ein Geräusch, das aus der Küche zukommen schien, lenke Deans Aufmerksamkeit auf sich. Er stupste Sam in die Seite, machte Andeutungen, ihm zu folgen. Ein Gluckern und Blubbern innerhalb der Rohrleitungen ließ die kleine Sonya angsterfüllt aufschreien. Sobald die Jäger die Küche betraten, begann der Wasserhahn verschwörerische Laute von sich zu geben. Erst ein Tropfen, dann immer mehr, drohten plötzlich über das Becken hinaus auf die Fliesen zu brechen. Hastig versuchten die Brüder dem Rinnsal Einhalt zu gebieten, doch das, was sich vor ihren Augen auftat, schien unaufhaltsam. Aus dem kleinen Bach materialisierte sich eine Gestalt, die der einer jungen Frau nicht unähnlich war.

„Das ist ja wie einem deiner verdammten Harry-Potter-Bücher!“, rief Dean aus und zugleich nach den Hexen. Das wässrige Wesen neigte fragend den Kopf, ehe es einen Schwall kaltes Nass über die Jäger kommen ließ.

Das Getrappel von eiligen Füßen verkündete das Erscheinen der Frauen. Gladys stieß einen hohen Schrei aus. „Sie hat alles unter Wasser gesetzt!“

„Ava!“ Reglos verharrte Shawna vor der Küche.

„Das ist Ava?“, fragte Sam und wischte sich die letzten Tropfen aus dem Gesicht.

„Ja und Nein“, sagte Gladys. „Wo steckst du, Mädchen?“

Ein qualvoller, jammernder Laut entfloh der Gestalt, die binnen weniger Sekunden in sich zusammenfiel. Doch die so entstandene Pfütze robbte über den gefliesten Küchenboden, ehe eine eisige Kälte den Raum erfüllte.

Die Brüder warnten einander mit Blicken.

„Ein Geist!“, hallte Deans Stimme durch die Küche, doch kein böswilliger Schleier formte sich zu einer vor Wut schäumenden Erscheinung.

Dort, wo eben noch eine Lache zu erblicken war, ließ der kalte Hauch Worte entstehen:

Winsworth Mansion

„Wo ist das?“, verlangte Sam zu wissen.

„Beim Taylor Creek, Richtung Norden. Eine alte Villa.“ Skeptisch musterte Gladys die gefrorenen Buchstaben, die ihr die Küche ruinierten. Mit einem Klirren waren sowohl die Worte, als auch der Zauber verpufft.

Zittrig rang Shawna nach Atem. „Sie lebt“, keuchte diese auf, dankbar um jedes Lebenszeichen ihrer Freundin.

„Ja, aber wer weiß, wie lange noch?“, knurrte Dean. „Wie weit ist es bis zu dieser Villa? Und warum seid ihr erst so spät darauf gekommen?“

„Ava verschwand vor fünf Tagen spurlos, ohne ein Wort. Keine Nachricht, nicht ein Hinweis“, erklärte Shawna mit einer Ruhe, die sie selbst überraschte.

„Vor fünf Tagen? Da hat uns deine Mutter diesen Artikel geschickt“, bemerkte Sam.

„Wer auch immer dieses Mädchen bei sich hat, will, dass wir untergehen.“ Mit einem leisen Schnippen der Finger waren die Eissplitter verdampft. Dann wandte sich Gladys an die Jäger. „Und jetzt kommt ihr ins Spiel.“
 

Das Leben eines Jägers ist eines der Seltsamsten.
 

„Schutzzauber?“ Dean verdrehte die Augen und stellte den Motor ab. Der Weg hatte sie über den Fluss geführt, während sich die Auffahrt zur Winsworth Mansion wie eine Schlange vor ihnen wand.

„Deshalb konnten wir Ava nicht aufspüren. Uns ist es ebenso versagt, die Villa zu betreten“, erklärte Gladys, während sie die tiefrot lackierten Nägel in das Leder der Rückenlehne krallte. „Ihr müsst Ava dort herausholen, erst dann können wir mit dem Ritual beginnen.“

Dean seufzte. „Na komm, Sammy, retten wir die Jungfrau!“

„Ava ist keine Jungfrau, sie ist Krebs“, knurrte Shawna.

„Ich kann dich gut leiden, vielleicht gehen wir mal zusammen aus?“, grinste Dean und entstieg dem Impala, während Shawna empört schnaubte.

„Er macht Witze“, murmelte Sam entschuldigend, ehe auch er den Wagen verließ.

„Sam? Sam!“, zischte Shawna.

„Was?“, dieser beugte sich erneut ins Wageninnere.

„Wenn ihr dort irgendwelche Symbole seht, zerkratzt sie, zerstört sie. Erst so können wir das Haus betreten!“, erklärte ihm die junge Hexe.

„Okay“, verstehend nickte der Jäger jene Information ab.

Seufzend trat Sam an die Seite seines Bruders. „Und wir können nur dort rein, weil -?“, fragte Dean.

„Weil wir nicht magisch sind und mit diesen Hexen nichts zu tun haben?“, erklärte Sam jene Worte, die Gladys ihm vor Stunden mitgegeben hatte.

„Wenn diese Stadt nur so vor Zusammenhalt strotzt, warum helfen dann die Bewohner nicht ihren Gönnern?“, grübelte Dean und blickte zu dem zerfallenen Haus hinauf.

„Vielleicht haben sie Angst, oder zu viel Respekt?“, riet Sam.

Dean schnaubte und schüttelte den Kopf. „Was glaubst du, was uns da erwartet? Ein Geist? Ein alter Guru?“

Sam seufzte abermals. „Dean, ich habe nicht den blassesten Schimmer.“

Gemeinsam machten sie sich auf, den schmalen Pfad zum Anwesen zu bestreiten.

„Shawna sagte, dass wir die Symbole, die ihre Kräfte möglicherweise schwächen könnten, ausradieren sollen.“ Der Kies knirschte unter ihren Schuhsohlen und das Licht der Taschenlampen gab nur wenig Sicht auf den Weg.

Dean lauschte Sams Worten, ehe er inne hielt. „Und womit? Mit einem Schwamm? Hexen! Ich hasse Hexen! Stellen sich das Leben immer so einfach vor!“

An der Pforte angelangt, warf Dean einen letzten, sehnsuchtsvollen Blick auf den Impala. „Baby.“

„Sag mal, heulst du jetzt?“, neckte Sam.

„Halt die Klappe, Sammy. Mein Baby, wenn ich dich nicht wiedersehe, bringe ich Sam um“, versprach er seinem geliebten Wagen.

„Na herzlichen Dank“, knurrte Sam.

Beide inspizierten sie Tür und Schloss. Dean streckte die Finger nach dem Klopfer aus, der auf Augenhöhe angebracht war. „Wie absolut altmodisch. Das ist eine verdammte Ruine, wieso hat man diesen Mist nicht gleich mit entsorgt?“

„Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“, schnaufte Sam.

„Sei still!“, zischte Dean und klopfte vornehm an der Tür. Doch ehe das schwere Metall auf das Holz treffen konnte, wurde ihnen geöffnet.

„Geister?“, riet Sam und spähte in das Dunkel hinein.

„Kobolde?“ Deans Augenbraue schoss provozierend empor. „Hey, immerhin kommen die aus Irland, oder?“

Nicht ein Laut war zu vernehmen, als sich die Jäger Zutritt zum Haus verschafften. Wind kam auf und pfiff durch Ritzen und zertrümmerte Fensterscheiben. Von dem großen Foyer, das die Eingangshalle beschrieb, ging eine pompöse Wendeltreppe in die höheren Etagen ab. Löcher waren in die Marmorstufen geschlagen, Kleintierkadaver lagen in den Ecken. Schmutz und Unrat säumten den Innenbereich.

Vorsichtig näherten sich die Brüder der Treppe, lauschten und entschieden dann, erst die oberen Gefilde in Augenschein zu nehmen.

„Siehst du irgendetwas?“, fragte Dean, die Waffe mit den Steinsalzpatronen im Anschlag.

„Du meinst, außer tote Nagetiere oder Katzen? Nein, keine Runen, keine anderen Symbole.“ Sam drängte sich langsam an einer Wand entlang.

„Hey“, zischte Dean und deutete auf das Gemäuer. „Mach das noch mal!“

„Was?“ Sam schob fragend die Augenbrauen zusammen. „Was soll ich machen?“

„Geh noch mal an der Wand lang! Da hat gerade etwas geleuchtet“, erklärte Dean.

Skeptisch schlurfte Sam abermals an der alten Tapete entlang und bemerkte im Augenwinkel, wie tatsächlich etwas hinter ihm aufglomm.

„Eine Rune?“, fragte er, doch Dean zuckte nur mit den Schultern.

„Was weiß ich? Reiß sie ab!“ Dem Drängen seines Bruders folgend, riss Sam an dem Fetzen und entblößte so kahlen, nackten Stein. „Wer ist denn so blöd, und zeichnet Runen auf eine Tapete?“

„Ich habe keine Ahnung. Intelligent ist das jedenfalls nicht“, gab Sam zurück, zückte jedoch ein kleines Messer und kratzte an der Wand herum.

„Sam? Bist du verrückt? Was soll das?“, knurrte Dean, ehe er das Vibrieren seines Telefons bemerkte. „Kennst du die Nummer?“

Sam schüttelte den Kopf, sobald Dean ihm das Handy vor die Nase hielt.

„Ja?“, bellte er knapp in den Hörer.

„Dean? Hier ist Shawna. Klasse, macht so weiter!“, erklang die Stimme der Hexe am anderen Ende.

„Du meinst, wir sollen hier das Abrisskommando spielen? Woher hast du diese Nummer?“, knurrte Dean verärgert.

„Spielt das eine Rolle? Wir sind Hexen, und nicht nur ihr könnt euch in Computersysteme hacken!“, erwiderte Shawna ungerührt. „Die Byrnes und MacKennas sind auf dem Weg.“

„Das ist ja alles richtig großartig, aber es hilft uns nicht, wenn du mir Namen von irgendwelchen -“, schnarrte der Jäger.

„Macht einfach so weiter, wir kümmern uns um den Rest.“ Shawna hatte aufgelegt.

Verdutzt blinzelte Dean auf das Display. „Hexen, ich hasse Hexen!“

„Was hat sie gesagt?“, verlangte Sam zu wissen.

„Dass wir uns in unsere besten Overalls schmeißen sollen und die Bude abfackeln!“, murrte Dean.
 

Ablenkung tut gut.
 

„Wieso muss ich den Leuchtkäfer spielen?“, klagte Sam. Sie hatten die obersten Stockwerke durchkämmt, und durchquerten abermals die Eingangshalle, um sich den Kellergewölben zu widmen.

„Hast du gesehen, dass bei mir etwas anschlägt?“, argumentierte Dean. Sam schüttelte, mit verdrießlicher Miene, den Kopf. „Na also, dann spiel du weiterhin den Suchhund und ich halte dir mögliche Kobolde vom Leib.“

„Seit wann bist du so scharf darauf, Kobolde zu erledigen? Du hast ja noch nicht einmal einen gesehen“, lachte Sam und seufzte, als er erneut eine Rune passierte. „Reicht das nicht allmählich? Wer verschwendet seine Zeit damit, hier überall Symbole hinzuschmieren?“

„Hooligans?“, riet Dean, die Schultern zuckend.

Während Sam mit der Rune kämpfte, besah sich Dean jenen Abschnitt des Hauses. „Es ist verdammt ruhig. Und wenn uns diese Hexen in eine Falle locken wollen? Vielleicht ist das mit der Weitergabe der Fähigkeiten nur ein linkes Ding?“

„Ich, an deiner Stelle, würde mich nicht mit Shawna oder ihrer Tante anlegen. Und du hast selbst gesehen, dass hier Magie am Werk ist.“ Kratzende Laute erklangen, als Sam das Symbol von dem kargen Stein schürfte.

„Du meinst Ava?“ Dean beleuchtete die Treppe hinab, die sich vor ihm auftat.

„Ava, Sonya. Mit diesen Hexen ist nicht zu spaßen, wenn ein Tropfen Blut ausreicht, um eine weitere Hexe aufzuspüren. Trotzdem finde selbst ich dieses Zusammengehörigkeit und dieses Verhalten merkwürdig.“ Seufzend ließ Sam endlich von der Wand ab, orientierte sich kurz und folgte Dean.

Dieser hatte sich der Anwesenheit seines Bruders versichert, knipste die Taschenlampe aus und deutete auf den schwachen Lichtschein, der aus einem versteckten Winkel aufblitzte.

Langsam und bedächtig stiegen sie die steinernen Stufen hinab. Es roch nach Moder und der Staub kitzelte und brannte ihnen in Augen und Nasen. Allmählich wurden die Umrisse deutlicher. Leises Gemurmel ließ die Brüder hellhörig werden.

Jemand klagte sein Leid, jedoch gelang es den Winchesters nicht, die Sprache zu entziffern. So schlichen sie vorwärts. Nur noch eine schwere Eisentür trennte sie von dem, was die Hexen erfolgreich aufzuhalten vermochte.

Mit brachialer Wucht fielen die Brüder in den Raum ein. Grünes Licht stieg von einer Senke inmitten des Kerkers empor, der sich erst beim zweiten Blick als solcher den Winchesters zu erkennen gab.

An einer Wand zur ihrer Linken konnten sie eine schmale Gestalt erkennen. Ketten hielten das Mädchen gefangen, deren Kleider, so verschmutzt und zerschlissen, mehr preisgaben, als sie verhüllten.

Sam wollte zu dem Mädchen eilen, doch etwas hinderte ihn am Fortkommen.

„Sam, tu was!“, knurrte Dean.

„Ich kann nicht“, gab dieser zerknirscht zurück.

Ein markerschütterndes, verrücktes Lachen lenkte all die Aufmerksamkeit auf jenen Fremden, der nunmehr in Erscheinung trat. „Die Hexen schicken mir Jäger, um ein kleines, dummes Mädchen zu retten?“

Grüne Flammen schossen aus dem riesigen Kessel in die Luft und verebbten, als habe man ihnen verboten, die Stimme zu erheben.

„Dass sie euch, statt dieser Feiglinge, schicken, ist nicht überraschend“, erhob die Gestalt erneut das Wort. „Es bedarf einer Menge Mut und … ungestümen Verhalten, um sich hierher zu trauen. Und ihr habt meine Schutzrunen zerstört.“

„Bist du der Idiot, der die Runen auf die Tapeten gekritzelt hat?“, fragte Dean herausfordernd. „Ganz schön peinlich, für jemanden, der ein kleines Mädchen gefangen nimmt und sich aufspielt.“

„Ah, du bist der Älteste, nicht wahr?“ Der Fremde, eingehüllt in eine bodenlange Kutte, deren Kapuze sein Gesicht barg, lachte auf und pirschte sich an sie heran. „Immer seid ihr es, mit der großen Klappe.“

„Wirklich, das war echt peinlich“, fiel Sam schützend in die Tirade der Beleidigungen ein.

„Peinlich, aber wirksam, Samuel Winchester“, zischte Mann.

„Sammy, sämtliche Datingportale sind untersagt. Ab sofort!“, knurrte Dean. „Nicht zu fassen, wer dich alles kennt!“

„Oh, ihr zwei seid mir sehr wohl bekannt. Und ich muss, zähneknirschend, zugeben, dass es recht bemerkenswert von diesen Hexen war, gerade euch in diese Stadt zu holen.“ Das Lob konnte jedoch nicht viel Eindruck bei den Brüdern schinden.

„Schleimer“, knurrte Dean. „Wer bist du?"

„Warum verlangt ihr immer nach Namen? Ich habe so viele davon. Im Laufe der Jahre sind einige dazugekommen, andere abhanden“, gestand der Fremde. „Doch wenn es euch hilfreich ist, so nennt mich, Cadoc.“

Dean schnaubte abfällig. „Klingt wie einer, der es nie in die Tafelrunde geschafft hat.“

„Schweig!“ Mit einer einfachen Handbewegung brachte er den Jäger dazu, dass ihm weitere Worte im Halse stecken blieben. „Ich bin ein Großmeister der magischen Zunft. Meine Macht war schier unermesslich, bis diese Weibsbilder kamen.“

„Also bist du nur ein Chauvinist und Sexist, der Angst vor Frauen hat?“, knurrte Sam und spürte Hilflosigkeit an sich nagen.

Es gelang ihm weder seinem Bruder noch dem Mädchen zu helfen, doch dann rang Dean krächzend nach Luft. „Was ist dein Plan? Uns umbringen?“

„Nein, ihr versteht mich vollkommen falsch. Euch will ich nicht töten. Es sei denn, ihr wünscht es.“ Cadoc ging vor den Brüdern auf und ab. „Ich habe damit begonnen, systematisch Jagd auf diese Hexen zu machen. Es ist lächerlich, die Magie einschränken zu wollen und diese Gaben nur an die weiblichen Mitglieder weiterzugeben. Wenn die Welt erst wieder von der Natur beherrscht wird, werden die Menschen ihr mehr Achtung schenken, denn die Welt leidet. Alles wird verschmutzt und zerstört. Feuer werden gelegt, Stürme werden geboren, Wellen verschlingen die Kontinente. Wer seid ihr Menschen, dass ihr glaubt, über all diesen Dingen erhaben zu sein?“

„Du rottest also diese Natur-Freaks aus?“, rief Dean gegen die Worte des Großmeisters an.

„Es hat mich Zeit und noch mehr Mühe gekostet, hier her, nach Amerika zu kommen. Ich bin quer durch diesen Sumpf von Korruption und Machtgier gereist. Musste das Leid der Sünde mit ansehen und die Armut begreifen, mit der ihr euch umgebt.“ Cadoc schüttelte sich und seufzte theatralisch.

Sam und Dean tauschten einen Blick.

„Ich will der Natur zurückgeben, was ihr gehört. Was sie selbst geschaffen hat. Sie wird auferstehen, neu geboren werden, wenn all dieser Dreck erst einmal ausgerottet ist.“ Cadoc wandte sich dem Mädchen zu. „Diese Stadt wird nicht die erste, und auch nicht die letzte sein, die Teil meines vollkommenen Planes ist. Und dieses Mädchen hier, sie war so dumm und naiv. Sie, und ihre Mutter, sind die letzten des Clans und wie es scheint, wird es so schnell keine Nachkommen geben. Der Erd-Zweig ist bereits tot und diesen anderen Kräuterhexen droht folglich dasselbe Schicksal.“

Sam war versucht, sich aus der Starre zu befreien. Dean jedoch gelang es, einen Finger um den Abzug zu krümmen. Ein Schuss löste sich, doch das Salzgeschoss zerbarst in einzelne Körnchen, sobald es auf den harten Steinboden traf. Cadoc ließ sich nicht beirren und hielt auf Ava Murphy zu, deren ausgemergelte Gestalt kaum noch Leben in sich trug.

„Dummes Kind. Du hast deine letzten Kräfte für diese Nichtsnutze aufgebraucht. Du wirst sterben. Ich kann es dir leicht machen.“ Doch Ava schien zu schwach, um auf das halbherzige Angebot einzugehen.
 

Tatenlos herumzustehen ist entwürdigend.
 

Lautes Poltern, Stimmen und Schreie erfüllten die Halle über ihnen. Dean und Sam riefen den Hexen ihren Standort zu. Doch sobald jene Silbe ihre Lippen verließen, gebot Cadoc ihnen zu schweigen.

„Wenn ich mich deiner entledigt habe, mein Täubchen, dann ist deine Mutter an der Reihe“, fauchte Cadoc bedrohlich. „Und mit euch werden auch die anderen untergehen.“

„Freu' dich da mal nicht zu früh!“ Shawna schlüpfte durch die eiserne Tür, gefolgt von Gladys, deren Blick Zorn und Hass offenbarte.

„Cadoc, du alter, elender Narr!“, fauchte die Hexe und beschoss jene Gestalt mit einer Salve an Feuerbällen, die ihren Händen entkamen.

Shawna eilte zu ihrer Freundin und versuchte Ava von den schweren Ketten zu befreien.

Mehr Leute strömten in den Raum, während Dean und Sam, noch immer erstarrt, alles mit ansehen mussten. Unter ihnen konnten sie einige der Polizisten erkennen, die ihnen bei der Ankunft begegnet waren.

Officer Knoxville führte, gemeinsam mit Collin King, eine Dame in den Keller hinein. Ihnen folgten zwei junge Frauen sowie Steve MacKenna mitsamt der kleinen Sonya.

Wem die Winchesters es zu verdanken hatten, dass die Starre plötzlich von ihnen abfiel, wussten sie nicht. Erst, als Shawna nach helfenden Händen rief, sahen sie sich zum Handeln ermahnt.

Gladys O'Leary war es gelungen, Cadoc in die Mitte des Beckens zu jagen, in dem noch immer die grünen Flammen züngelten. In allen vier Himmelsrichtungen, rund um jene Mulde, fanden sich die Hexen ein.

Widerwillig ließ Shawna es zu, dass Ava von Sam und Dean gestützt wurde, als Gladys, am südlichen Punkt stehend, nach ihr rief. Den Jägern, als Unbeteiligte, würde nichts geschehen, so hatte es ihnen Gladys versichert.

Alma Kelly, gestützt von ihrem Enkel sowie Officer Knoxville, bildete den westlichen Teil des Kreises. Ihnen gegenüber standen die Byrne-Schwestern mit der kleinen Sonya, die den Osten repräsentierten.

„Ihr schändlichen Weiber, ihr werdet mich nicht bezwingen! Ich werde meine Rache bekommen und diese Welt wieder ihrer Natur zuführen!“ Mit ausschweifender, und überlegender Gestik untermauerte Cadoc seine prophetischen Worte.

Als Alma Kelly damit begann, die Formel einer alten, totgeglaubten Sprache zu murmeln, stimmten die übrigen Hexen mit ein. Collin King und Steve MacKenna folgten dem Beispiel, wenngleich auch nur als moralische Stütze.

Ava Murphy brachte nur krächzende Laute hervor, doch schienen diese zu genügen, um den Hexer in seine Schranken zu weisen. Sich krümmend und krähend gelobte Cadoc Rache an den Frauen, verfluchte die Ahnen und jene, die noch kommen sollten.

Mit einem letzten Aufbäumen, fiel die Gestalt in sich zusammen, bis nicht einmal mehr Asche übrig blieb. Doch mit diesem Zauber schien der Erfolg noch nicht sicher.

Collin schrie auf, weinte um seine Großmutter, die, infolge des Aufbringens immenser Kräfte, ihren letzten Atemzug tat und nun in seinen Armen starb.

Gladys mahnte zur Eile und trieb die jungen Frauen wieder an ihre zuvor eingenommenen Plätze. Holpernd und stolpernd kamen die Brüder dem Drängen nach.

Die Byrne-Mädchen hielten die kleine Sonya in ihrer Mitte, die all den Trubel noch nicht begriff. Dennoch gehorchte auch sie den Anweisungen der erfahrenen Hexe. Gemeinsam gelang es den Frauen, das Unheil abzuwenden. Die gebündelten Kräfte der übrigen drei Elemente verschmolzen zu einer schimmernden Perle, deren Pochen an einen Herzschlag erinnerte.

Gladys überreichte dem jungen Collin die kleine Kugel mit der Aufgabe, diese sorgfältig zu verwahren, bis er ein nettes Mädchen träfe, das sich mit der Bürde einverstanden sah.

„Viel Glück“, murmelte Dean im Gehen. „Wenn ich eine Frau wäre, ich würde die Beine in die Hand nehmen!“
 

Ein kleiner Stein für das große Ganze.
 

Gladys hielt die Hände in die Hüften gestützt und besah sich Szenerie. Shawna bedankte sich überschwänglich bei den Jägern und entschuldigte sich für Unannehmlichkeiten, ehe sie zu Ava in den Rettungswagen stieg, der die junge Frau ins nächstgelegene Krankenhaus brachte.

Der Tod der alten Alma Kelly hing wie eine schwere Wolke über der Stadt und Collin King schien einem Nervenzusammenbruch nahe. Dennoch würde er, dessen war sich Gladys sicher, dafür Sorge tragen, dass ihre Stadt erhalten blieb, so klein und unbedeutend sie auch sein mochte.

„Und, was ist mit dir?“, fragte sie an Dean gewandt.

Verdutzt blinzelte dieser. „Mit mir?“

„Wir könnten dir helfen.“ Ihr Angebot irritierte den Jäger.

„Wobei?“, hakte er nach.

„Mit dem Schrecken umzugehen, der dir auferliegt.“ Gladys sah zu ihm auf, ehe sie die Stola fester um ihren Leib zerrte.

„Lady, ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden“, gebot Dean ihr und mimte den Unwissenden.

„Sprich mit ihm, oder mit dem Engel. Aber friss es nicht länger in dich hinein.“ Gladys wandte sich zum Gehen. „Vielleicht sehen wir uns irgendwann einmal wieder, Winchesters.“

Fragend zogen sich ihm die Augenbrauen zusammen, ehe Sam an ihn herantrat. „Was wollte sie?“

„Ich habe keine Ahnung“, log Dean.

„Hey“, hob Sam an.

„Hm?“, blinzelte Dean abermals.

„Ist alles okay? Ich meine, das hier war -“, fuhr Sam fort.

„Reine Zeitverschwendung. Jap, du hast recht Sammy. Und jetzt lass uns fahren, ich habe die Schnauze voll von Hexen. Die können mir erst einmal für eine ganze Weile gestohlen bleiben!“ Grinsend ließ Dean die Schlüssel klimpern.

„Willst du reden? Ich meine, trotzdem reden?“, fragte Sam.

„Sam“, seufzte Dean ergeben. „Nein, ich will fahren.“

„Aber was ist mit deinen Träumen? Ich meine, du bist in letzter Zeit ziemlich gereizt.“ Dass er sich damit auf dünnes Eis hinauswagte, hielt Sam nicht davon ab, seinen Bruder aus der Reserve locken zu wollen. „Unausgeglichen, kratzbürstig ...“

„Ich bin nur gereizt, weil du mich reizt, Sammy, bis aufs Blut und jetzt komm' endlich! Auf mich warten Bier und Burger!“ Ohne ein weiteres Wort stieg Dean in den Wagen.

„Glaubst du, Shawna und Ava haben etwas miteinander?“, fragte Sam um die Stimmung zu heben.

„Du lässt nicht locker, was Sam?“, murrte Dean und versenkte den Schlüssel im Zündschloss. Zufrieden registrierte er das Schnurren des Impala. „Ich bin zu Hause, Baby.“

„Sag schon!“, drängte Sam.

„Ist mir egal. Ich will nicht noch einmal in so etwas hineingezogen werden. Wir haben zwar eine Menge Mist mitgemacht, und wer weiß, was noch kommen wird? Aber diese Mädels sind auf sich allein gestellt. Und wir fahren jetzt -“, verkündete Dean.

„Okay, und wohin?“, verlangte Sam zu wissen.

„Sam!“, knurrte Dean bedrohlich, wendete den Wagen und brauste auf der nächsten Straße in Richtung Westen davon.



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