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Eine Geschichte mit, aber nicht über Pferde

(weil die Autorin keine Ahnung von diesen Tieren hat)
von

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#06

Ich war ein kleines Aas, und vor allen Dingen ein schlechter Freund.

Den folgenden Tag verbrachte ich  trotz Calebs Drohung mit dem Kater meines Lebens im Bett; sobald ich auch nur den Versuch wagte aufzustehen wurde mir sofort speiübel, und hätte ich in den letzten Stunden nicht strikte Diät gehalten hätte ich mir höchstwahrscheinlich auch noch die Seele aus dem Leib gekotzt.

Lilly steckte nur einmal kurz den Kopf in mein Zimmer um zu sehen wie es mir ging, aber ich schickte sie sofort wieder weg. Ich wollte allein sein. Und mich in meinem Elend wälzen.

Erst am nächsten Vormittag schaffte ich es endlich wieder alleine in die Senkrechte; mir war immer noch flau im Magen, aber die Übelkeit war zum größten Teil verschwunden. Und ich hatte rasendes Kopfweh.

Eine eiskalte Dusche später ging es mir schon deutlich besser, ich schlüpfte in Shorts und ein kurzärmliges Shirt, dann warf ich mir ein Aspirin ein, und schlich reumütig bei Lilly und meinem Vater zu Kreuze. Die Stimmung schwankte wieder zwischen besorgt und wütend, meine Stiefmutter hatte irgendwo Verständnis für meine Situation (einsam, das Alter, Gruppenzwang), mein Vater beließ es schließlich bei der Androhung eines Internataufenthaltes bis zum Ende meiner Schullaufbahn; und im Anschluss würde er mich ins Kloster stecken wenn ich es dann immer noch nicht kapiert hätte.

Ich gelobte Besserung, ich meinte es wirklich ernst, denn ich befürchtete diesmal war ich wirklich etwas zu weit gegangen. Nicht mit meinem Bierkonsum; okay, das vielleicht auch, aber zuviel getrunken hatte ich ja nicht zum ersten Mal. Es ging mir eher um Danny.

In meinem besoffenen Zustand hatte ich mich verhalten wie ein Arschloch, ich hatte ihn vor den anderen dastehen lassen wie ein unmündiges Kind, und das war eigentlich unverzeihlich.

Hoffentlich vergab er mir trotzdem.

Ich fand Danny  auf der Koppel; er striegelte Kalypso während Teddy ihnen von der anderen Seite des Zaunes aus interessiert dabei zusah.

Mein schlechtes Gewissen wuchs mit jedem Schritt den ich weiter auf die drei zuging, mir war hundeelend, und das kam diesmal nicht von den Nachwirkungen meines Katers. Ich hatte Angst dass Danny mich hasste. Grund genug dafür hatte er auf jeden Fall.

Er bemerkte mich erst als ich bereits direkt hinter ihm stand. Ich wusste nicht was ich sagen sollte, also ergriff Danny  das Wort. Seine Stimme klang trotzig und tief verletzt. Verdammt.

„Was willst du hier? Willst du nicht lieber zu deinen neuen Freunden gehen? Mit denen hast du doch viel mehr Spaß als mit mir. Dann musst du dich nicht mit einem Kind abgeben.“ zischte er zornig, und ich hörte wie seine Stimme zitterte. Oh nein, hoffentlich fing er nicht an zu weinen.

Ich machte einen weiteren hilflosen Schritt auf ihn zu, aber Danny schüttelte den Kopf. Er wollte mich nicht anhören. Ich hatte es ganz eindeutig verbockt. Ich war das allergrößte Arschloch das es gab.

„Danny, bitte, es tut mir Leid. Ich bin doch dein Freund…“

„Nein bist du nicht! Du bist ein gemeiner Idiot! Caleb hatte Recht. Er hat gleich gesagt dass du nicht so toll bist wie du tust. Du hast nur gewartet bis coolere Leute aufgetaucht sind und dann hast du mich fallen lassen! Ich will nicht mehr dein Freund sein! Und jetzt geh weg, sonst rufe ich Caleb und sage ihm das du mich wieder beleidigt hast, und dann verprügelt er dich!“

 

Ich ergriff feige die Flucht.

Was hätte ich auch sonst tun sollen?

 

Ich war ein Feigling, und ich war schwach, und so lehnte ich nicht ab als Hunter mich eines Nachmittags mit seinem offensichtlich illegal hochfrisiertem Camaro zu Hause abholte und mit mir in die Stadt fuhr.

Seine Kumpels und er waren nicht so…abgewrackt wie meine alten Freunde, aber zu Alkohol und Drogen sagten sie genauso wenig nein, und es dauerte nicht lange da befand ich mich wieder mitten drin. Der Weg zur Hölle war breit und bequem, und ich hatte jetzt einen Freund mit einem schnellem Auto. Mein Absturz war praktisch vorprogrammiert.

Weder meinem Vater noch Lilly gefiel diese Entwicklung, aber sie konnten nichts dagegen tun. Ihnen fehlten auch einfach die Argumente.

Im Gegensatz zu J. war Hunter nämlich ein Vorzeige-Kumpel; er war Sportler, gut in der Schule, benahm sich Erwachsenen und anderen Respektspersonen gegenüber höflich, und er brachte mich immer mit Einbruch der Dämmerung wohl behalten nach Hause.

Das ich wieder trank und das auch noch regelmäßig konnte ich meistens gut verstecken, die Routine kam zurück, und da ich wenn ich denn mal zu Hause war die meiste Zeit eh in meinem Zimmer oder mit Sonnenbrille und Kopfhörern auf dem Liegestuhl im Hof verbrachte musste ich mich noch nicht einmal großartig verstellen. Ich sprach einfach mit niemandem, und so blieb mein sündiger Lebenswandel größtenteils unentdeckt.
 

Danny und Caleb sah ich kaum noch, und solange ich mit Hunter und seinen Leuten unterwegs war vermisste ich auch keinen von beiden. Nur wenn ich abends zufällig aus meinem Dachfenster sah und Danny mit Kalypso oder Teddy auf der Reitbahn entdeckte wurde mir ein bisschen wehmütig ums Herz. Natürlich nahm ich auch keine Reitstunden mehr, meine Freizeit verbrachte ich jetzt in dem ohrenbetäubend lauten Camaro oder an irgendwelchen überfüllten Badestränden umringt von einer angeheiterten Partymeute und unerschöpflichen Biervorräten.

Sogar mit Colin kam ich aus, der war zwar wirklich nicht das sympathischste Persönchen unter dem Himmel, aber Hunter hatte das Sagen, und Hunter mochte mich. Er duldete keine Witze oder Sticheleien auf meine Kosten, und die gab es anfangs reichlich, denn ich war mit Abstand der jüngste in der Runde. Das war für mich nichts neues, aber die anderen mussten sich erst daran gewöhnen.
 

Vor allem was nach Sonnenuntergang stattfand hatte ich mich bisher gedrückt; einerseits weil ich es mir mit meinem Vater nicht verscherzen wollte, andererseits weil alle Clubs in die Hunter mit seinen Freunden ging ab 18 waren, und ich da eh nicht mit reingedurft hätte.

Aber natürlich war es nur eine Frage der Zeit bis ich auch diesen guten Vorsatz brach. Die Fahrt nach unten wurde immer rasanter, und anscheinend hatte der Camaro keine besonders guten Bremsen.
 

„Ich bleibe nur bis Mitternacht. Versprochen! Und ich werde nichts trinken! Ich war bis jetzt immer pünktlich zu Hause, bitte lass mich nur heute einmal mitfeiern! Bitte bitte!“

Mein Vater gab nach, und so durfte Hunter mich an einem späten Freitagabend Punkt 19 Uhr zu Hause abholen. Auch er beteuerte meinem Vater noch einmal hoch und heilig dass er mich nicht eine Sekunde aus den Augen lassen und wohlbehalten um Punkt Mitternacht direkt wieder vor der Haustür abliefern würde.

Und Alkohol war unter 18 eh tabu, da waren die im Club echt streng.

Das erste Mixbier trank ich bereits im Auto.
 

Der „Club“ entpuppte sich als High end Disco mit gut betuchtem aber eindeutig nicht sehr respektablem Publikum. Da war der Tequila an der Bar noch das ungefährlichste was man bekommen konnte.

Hunter schleuste mich ohne Probleme an den Türstehern vorbei, er war Stammgast, und außer mir befanden sich noch einige andere eindeutig minderjährige Besucher in den gut gefüllten Hallen. Unser erster Weg führte uns direkt zur Bar, und es dauerte nicht lange da waren mir sowohl die schlechte basslastige Technomusik als auch die ungehobelten Mitfeiernden egal. Hunter gab mir einen Drink nach dem anderen aus, er behielt mich wie versprochen im Auge, aber nicht nur mich.

„Nicky, schau mal was uns mein netter Freund von da drüben für ein Geschenk gemacht hat. Schau!“ er zog mich fast schon ein bisschen zu ruppig an ein einem Arm über die Tanzfläche und in eine stillere Ecke. Die Musik war ohrenbetäubend, die bunten Lichter die über die wogende Menschenmenge zuckten machten mich schwindelig, und ich wäre fast über meine eigenen Füße gestolpert als ich versuchte Hunter zu folgen.

„Astrein, oder? So was kriegt man selten. Und weil das heute deine aller erste Party in so gehobener Gesellschaft wie meiner ist darfst du eine ganz für dich alleine haben. Na, bin ich nicht nett?“ Er lachte, und ich hatte das Gefühl Hunter war im Gegensatz zu mir kein bisschen betrunken. Hatte ich ihn überhaupt etwas trinken sehen? Ich konnte mich nicht daran erinnern.

Mir war schlecht.

Hunter schnippte vor meinem Gesicht in die Luft, ich höre das Geräusch nicht, aber ich sah die Geste.

Dann drückte er mir etwas kleines rundes in die Hand und schloss seine Finger fest um meine Faust. Sein Blick war beschwörend.

„Nimm das, und dann komm hoch in den VIP-Bereich. Ich warte da auf dich. Und dann geht die Post ab!“ er schüttelte noch einmal meine Faust in seiner, dann klopfte er mir auf die Schulter und verschwand in der undurchdringlichen Wand der schwitzenden und sich windenden Tänzer.

Ich öffnete meine Hand und betrachtete die kleine Pille die sich darin befand. Sie war kaum größer als der Nagel meines kleinen Fingers und hatte eine vertrauenserweckende blassviolette Farbe.

Jemand rempelte mich von der Seite an und ich schloss meine Finger schnell wieder um die kleine Tablette um sie nicht ausversehen fallen zu lassen. Sollte ich sie wirklich nehmen? Ich hatte keine Ahnung was das war, und ehrlich gesagt hatte ich mich bis jetzt immer eher auf den Alkohol und hier und da ein bisschen Hasch spezialisiert. Ich nahm keine harten Drogen, und schon gar keine von denen ich nicht wusste wie sie wirkten.

Um mich herum tobte die Party weiter, Menschen grölten zur Musik, andere schrien oder taumelten nur noch halb benommen durch die Gegend. Das hier war ein Irrenhaus, und ich war mittendrin.

Ich nahm die Pille.
 

Die Wirkung kam schleichend, aber heftig. Ich hatte noch nicht einmal die Hälfte der Tanzfläche überquert da wurde mir plötzlich schwarz vor Augen. Die bunten Lichter der Discobeleuchtung trübten sich ein und wurden zu schwirrenden neblig grauen Schatten, die Musik ging aus, nur noch der Bass hämmerte in meinen Ohren. Und in meinem Kopf. Und in meinem kompletten Körper.

Weder meine Beine noch meine Arme wollten mir mehr gehorchen, es war als würden unsichtbare Gewichte an ihnen hängen und sie in verschiedene Richtungen auseinander ziehen. Gleichzeitig spürte ich einen irren Druck auf meinem Brustkorb, die Droge nahm mir die Luft, und ich griff mir keuchend an die Kehle.

Niemand beachtete mich.

Ich geriet in Panik. Ich wusste dass es die Pille war die mich so fertig machte, aber dieser eine noch klare Gedanke reichte nicht aus um mich wieder auf Kurs zu bringen. Ich wollte hier raus, und zwar so schnell wie möglich!

Menschen rempelten mich an, jemand hielt mich am Arm fest, irgendwer leerte seinen Cocktail über meinem Rücken aus, aber ich taumelte weiter. Ich musste den Ausgang finden, sonst war ich verloren.

„Nick? Hey, Nick! Bleib stehen! Verdammt!“ ich hörte eine Stimme meinen Namen rufen, aber ich konnte sie niemandem zuordnen. Vielleicht halluzinierte ich auch einfach nur. Das lag durchaus im Rahmen der momentanen Möglichkeiten.

Ich setzte meinen Weg fort, achtete auf nichts mehr außer meinem Willen dieses Höllenloch zu verlassen, doch da hörte ich wieder diese Stimme meinen Namen rufen. Ich blieb stehen und versuchte zu lauschen. Nichts.

Wummernde Bässe, blinkende Lichter die sich mit schwarzen Nebelschwaden ablösten, und plötzlich zwei Arme die sich fest um meine Körpermitte schossen.

„Nick, hör auf zu zappeln. Was ist denn los mit dir? Ich rufe dich schon die ganze Zeit, aber du reagierst gar nicht!“ die Stimme klang wütend, und ich versuchte mich zu ihr umzudrehen.

Das dazugehörige Gesicht sagte mir nichts.

„Wer...bist du?“ War das meine Stimme? Gruselig.

Das unbekannte Gesicht antwortete mir nicht, stattdessen wurde ich noch fester um die Hüfte gepackt und mehr nach draußen geschleift als geleitet. Die kühle Nachtluft traf mich wie ein Schlag, das Licht der Straßenlaternen bohrte sich in meine ungewöhnlich empfindlichen Augen und ich stöhnte vor Überraschung und Schmerz. Ich wollte wieder zurück, ich wollte nach drinnen, weg von diesen Schmerzen!

„Auaaaa, mein Kopf!“ wimmerte ich leise und presste mir die Hände gegen die Schläfen. Viel zu fest. Ich hatte überhaupt keine Kontrolle mehr über meine Gliedmaßen! Ich tat mir selber weh!

„Geschieht dir Recht. Was hast du bloß genommen? Deine Augen sehen furchtbar aus!“

Die Stimme kam schon wieder aus dem Nichts, ich versuchte sie zu orten, aber sofort wurde mir wieder unglaublich übel. Der Alkohol. Natürlich.

„Wenn du kotzen musst tu das jetzt. Nicht in meinem Auto. Sonst schmeiß ich dich auf offener Straße raus und lasse dich da liegen, so wie du es eigentlich verdient hättest!“

Wer war das?

Und warum war er so sauer? Hatte ich etwas angestellt? Ich konnte mich nicht daran erinnern.

„Jetzt hör auf zu jammern und steig endlich ein. Ich will nach Hause. Du hast mir den ganzen Abend verdorben du dummer Idiot!“

Jemand packte mich unsanft am Arm und zog mich wieder auf die Füße. Ich hatte gar nicht bemerkt dass ich mich hingesetzt hatte.

Kurz darauf fielen Autotüren knallend ins Schloss, ein Motor startete, und dann war ich plötzlich unterwegs. Wohin? Das war mir eigentlich egal. Hauptsache weg von hier.

„Nick. Nicht einschlafen. Verstehst du überhaupt was ich sage? Was hast du genommen? Wenn du mir nicht gleich eine einigermaßen vernünftige Antwort geben kannst bringe ich dich ins Krankenhaus. Oder zur Polizei, das wäre auch noch eine Möglichkeit.“

Ich presste mir die Fäuste auf meine schmerzenden Augen und versuchte meine Zunge unter Kontrolle zu bringen. Antworten. Ich musste antworten!

„Pille...ich habe eine Pille genommen. Bitte nicht zur Polizei. Die knasten mich sofort ein.“ stammelte ich mehr schlecht als Recht, jedes Wort kam wie eine schwere heiße Metallkugel aus meinem Mund gerollt.

„Ich hab Mist gebaut.“

Der Jemand neben mir lachte trocken über mein mühevoll hervorgebrachtes Eingeständnis.

„Ohja, das hast du. Und zwar mehr als einmal. Eigentlich heißt es ja Einsicht wäre der erste Weg zur Besserung, aber bei dir bezweifle ich das wirklich stark. Du bist ein überheblicher kleiner Alki, aber Danny liebt dich, und ich liebe meinen kleinen Bruder. Und deswegen bringe ich deinen besoffenen und zugedröhnten Hintern jetzt nach Hause und ins Bett. Das ist mehr als du eigentlich verdient hättest, du undankbarer Idiot.“
 

Die Fahrt war kurz und dauerte doch ewig. Mir war jegliches Zeitgefühl abhanden gekommen, und mir fielen immer wieder die Augen zu. Caleb hielt mich wach, und als wir endlich auf dem Hof ankamen hatte sich seine anfängliche Wut in ehrliche Besorgnis gewandelt. Wahrscheinlich hatte er noch nie einen Typen auf Drogen erlebt. Der glückliche.

Er lenkte den Ford so nah ans Haupthaus wie es ihm möglich war, dann stieg er aus und half mir ebenfalls nach draußen. Das Licht des automatischen Bewegungsmelders sprang an und schoss mir sofort glühende Schmerzpfeile durch die Augen bis direkt in den Schädel, und ich hielt mir schützend den Arm vors Gesicht.

„Zu...hell!“ stöhne ich, und Caleb legte mir schnell einen Arm um die Schultern.

„Dann mach die Augen zu. Ich führe dich. Pass nur auf dass du nicht stolperst.“

Das war leichter gesagt als getan. Ich kannte mich in diesem Haus nicht aus, und ich war betrunken. Und nicht so ganz bei mir.

Irgendwie schafften wir es unfallfrei die Treppe hinauf und in ein Schlafzimmer, so wie Caleb sich benahm wohl sein eigenes. Er schaltete eine kleine Schreibtischlampe an und warf sofort ein Kleidungsstück über die Lichtquelle als mir ein erneutes schmerzgepeinigtes Stöhnen entfuhr.

„Ganz sicher dass du nur eine Pille genommen hast und nicht doch in einen Vampir verwandelt wurdest? Du machst mich echt fertig.“ mit einem Seufzen ging er vor mir in die Hocke und sah mir prüfend ins Gesicht.

„Was? Ich bin kein Vampir!“

Sein forschender Blick machte mich nervös und ich rieb mir wieder über die Augen.

„Das war auch nur ein Witz! Aber hey, immerhin bekommst du wieder einen ganzen Satz zusammen. Ich bin begeistert. Und jetzt hör bitte auf dir ständig über die Augen zu fahren, ich will sie mir ansehen.“ Caleb griff nach meinen Handgelenken und zog sie sanft von meinem Gesicht herunter, dann nickte er zufrieden und richtete sich wieder auf.

„Immer noch unnatürlich geweitet, aber nicht mehr ganz so schlimm wie im Club. Das war echt furchterregend. Ich dachte dir hätte jemand die Augen ausgestochen oder so.“

„Sag doch sowas nicht, mir ist schon schlecht genug.“ ich hielt mir demonstrativ den Magen, dann griff ich mir wieder an den Kopf. Sprechen tat immer noch weh. Irgendwo tief drinnen. Vielleicht in meinen Ohren.

„Kotz mir bloß nicht ins Zimmer. Da müssen wir heute Nacht noch schlafen. Hast du Kopfweh?“

„Ja. Mir tut alles weh. Ganz komisch. Erst dachte ich es wird besser, aber jetzt wird es wieder schlimmer.“ ich rieb mir die Schläfen, und Caleb seufzte.

„Und ich dachte du hast Erfahrung mit Drogen. Da wäre dein lotterhaftes Leben einmal von Vorteil gewesen…“

„Mein Leben ist nicht lotterhaft! Ich kann ja nichts dafür dass du so verklemmt bist…!“

Unsere Stimmen waren lauter geworden, und jetzt hörten wir Schritte auf dem Flur. Wir sahen uns alarmiert an, aber da war es schon zu spät.

Calebs Zimmertür öffnete sich einen Spalt breit, und Dannys dunkler Wuschelkopf erschien im Türrahmen.

„Was ist denn hier so laut? Nicky?“ Er sah mich überrascht an. Dann wanderte sein Blick zu Caleb.

„Wo ist deine Freundin? Wolltet ihr nicht in die Stadt?“

Nun war ich es der überrascht guckte.

„Du hast eine Freundin?“

„Nein hab ich nicht, und Danny jetzt halt die Klappe und mach die Tür zu, ihr weckt das ganze Haus.“ knurrte Caleb wütend. Das Thema war ihm sichtlich unangenehm, und wäre es mir nicht so dreckig gegangen hätte ich sicher noch etwas nachgebohrt. So aber beließ ich es bei einem weiteren fragenden Blick, und fuhr mir dann sofort wieder hektisch über meine hämmernden Schläfen. Laute Stimmen fühlten sich an wie Folter.

„Was hat Nicky denn? Und warum ist er hier?“ Nun galt die allgemeine Aufmerksamkeit wieder mir. Danny hörte sich nicht gerade glücklich darüber an mich zu sehen, und ich konnte es verstehen. Wir waren schließlich nicht gerade im guten auseinander gegangen.

Caleb schien mit sich zu ringen wie viel er seinem kleinen Bruder erzählen sollte, und ich seufzte genervt.

Er behandelte ihn ja selbst wie ein kleines Kind!

„Sag ihm doch einfach die Wahrheit, ich denke er wird es verkraften. Er weiß doch schon längst was für eine gescheiterte Existenz ich bin.“ Ich warf Caleb einen herausfordernden Blick zu, und er erwiderte ihn giftig. Da ließ sich aber jemand ungern Vorschriften machen. Na sowas.

„Schön, wenn du das willst. Selbst Schuld. Danny, Nick hat Drogen genommen und sie nicht so gut vertragen. Ich hab ihn in einem Club aufgesammelt und aus purer Selbstlosigkeit mit nach Hause genommen. Und jetzt ist er hier und ist anstrengend. Und undankbar.“ zählte Caleb mit gespielt herzloser Stimme auf, und ich knurrte leise.

„Ich bin nicht undankbar, mir ist nur schlecht. Entschuldige bitte dass ich gerade nicht im Vollbesitz meiner geistigen Möglichkeiten bin um dir anständig Danke zu sagen.“

„Das bist du doch nie, soweit ich das sehe bist du entweder besoffen oder high. Gescheiterte Existenz trifft es wirklich gut. Auch wenn das eigentlich noch viel zu nett ausgedrückt ist.“ gab Caleb gereizt zurück, und ich sackte resigniert in mir zusammen. Auch wenn mir das nicht gefiel, er hatte leider recht. In letzter Zeit war ich wirklich selten komplett nüchtern gewesen, und wenn ich es war hatte ich entweder geschlafen oder mich verkrochen.

„Tut mir Leid, ich bin ein Idiot. Aber jetzt hör bitte auf zu schreien, mir tun die Ohren weh.“

„Ich schreie doch gar nicht.“ Plötzlich klang Caleb wieder besorgt, und er musterte mich eindringlich.

„Was auch immer du genommen hast, es scheint dir auf alle Sinne zu schlagen. Wenn es nicht so gefährlich wäre wäre es fast schon ein bisschen interessant.“ Er lachte bitter.

Danny hatte uns die ganze Zeit schweigend beobachtet, jetzt ließ er sich vor mir im Schneidersitz nieder und beobachtete mich interessiert, aber misstrauisch.

„Halluzinierst du auch?“

„Nein tu ich nicht, und ich höre auch keine Stimmen. Mir ist nur schlecht und ich bin sehr müde, und betrunken bin ich auch.“ Ich fühlte mich schon wieder angegriffen, und das hörte man wohl auch an meiner Stimme. Ich sah Danny entschuldigend an.

„Sorry, ich will dich nicht anmeckern. Ich bin nur so fertig.“

„Dann sollten wir jetzt langsam alle mal schlafen gehen. Nick, du schläfst bei mir, ich will dich im Auge behalten, zumindest so lange bis du wieder bei klarem Verstand bist. Wenn das überhaupt jemals wieder passieren sollte. Und Danny, du…“

„Ich will das Nicky bei mir schläft!“ unterbrach Danny seinen Bruder, und der sah in erstaunt an. Dann schüttelte er den Kopf.

„Das geht nicht, Nick steht unter Drogen. Wenn er durchdreht oder so dann…“

„Ich werde schon mit ihm fertig. Er ist doch viel kleiner und schwächer als ich!“

Na vielen Dank auch.

„Und außerdem, wir haben schon mal zusammen in einem Bett geschlafen. Das geht schon.“

Caleb starrte seinen kleinen Bruder fassungslos an.

„Was?!“

Perfektes Timing. Ich war nicht nur ein unter Drogen stehender Alki, sondern auch noch ein Kinderschänder. Meine Tage waren wohl doch gezählt. Jetzt würde Caleb mich umbringen.

„Caleb, bleib ruhig, es ist nichts passiert. Wir haben nur in einem Bett geschlafen. Nach dem Kinobesuch. Dreh jetzt nicht durch.“ versuchte ich ihn zu beruhigen, und anscheinend glaubte er mir. Oder wollte mir glauben, wie auch immer. Hauptsache er brachte mich nicht um.

„Nicky hat Recht. Wir haben einen Horrorfilm geschaut und dann habe ich bei ihm übernachtet. Kann er jetzt in meinem Zimmer schlafen?“ Danny blieb hartnäckig, und schließlich gab Caleb klein bei. Auch wenn es ihm sichtlich gegen den Strich ging.

„Gut, dann nimm ihn mit. Aber wenn er irgendeinen Blödsinn macht holst du mich, verstanden?“ schärfte er Danny ein, und der nickte triumphierend.

Gemeinsam verließen wir beide leise das Zimmer, und ich stellte zu meiner großen Erleichterung fest dass ich inzwischen wieder in der Lage war ohne Hilfe zu gehen.

Immerhin etwas. Aber mir brannte noch was auf der Seele.

„Warum hast du ihm von der Übernachtung erzählt? Das war nicht sehr clever.“ flüsterte ich fragend, und Danny zuckte leicht die Schultern.

„Ich glaube ich wollte dir einfach eins auswischen weil Caleb jetzt wieder nett zu dir ist obwohl du das gar nicht verdient hast.“ flüsterte er genauso leise zurück.

Ich zuckte getroffen zusammen.

„Sorry.“

Dannys Zimmer war nur zwei Türen weiter, und es brannte Licht.

„Mach das bitte aus, ich ertrag momentan kein helles Licht.“ bat ich und hielt mir schnell die Hände vors Gesicht. Danny kam meinem Wunsch nach, dann berührte er mich kurz am Arm.

„Soll ich dir ein Shirt zum Schlafen geben oder schläfst du wieder in Unterwäsche?“

„Was wäre dir lieber?“

Danny wollte es nicht, aber er musste kichern.

Wir schlüpften zusammen ins Bett und er breitete ein dünnes Laken als Decke über uns aus, dann sah er mir prüfend ins Gesicht.

„Hast du wirklich Drogen genommen?“ fragte er leise, und ich nickte. Jetzt war mir die ganze Sache peinlich, aber Danny wollte ganz eindeutig darüber reden. Das hatte er verdient. Verdammt, mehr als das.

„Ja, irgendeine Pille die Hunter mir gegeben hat. Ich kannte das Zeug nicht, aber es scheint ziemlich heftig zu sein. Jetzt geht es mir wieder einigermaßen gut, aber im Club dachte ich ich muss sterben.“ gestand ich ihm.

Da fiel mir noch etwas ein.

„Du hast Caleb nach einer Freundin gefragt. Was meintest du damit?“

„Ach, er hatte eine Verabredung. Mit irgend so einem Mädchen. Er wollte mit ihr in die Stadt. Aber scheint wohl nicht geklappt zu haben.“ Danny schien die ganze Sache nicht weiter zu interessieren, aber mich dafür umso mehr. Nur traute ich mich nicht noch weiter zu fragen, ich wollte Danny nicht auf die Nerven gehen. Unsere momentane Situation war dafür einfach viel zu fragil.

„Triffst du dich jetzt trotzdem noch weiter mit Hunter?“

„Du meinst weil er mir die Pille gegeben hat? Nein, ich denke das lasse ich ab jetzt besser bleiben. Er ist ein noch schlechterer Einfluss als ich, und das will schon was heißen.“

„Gut.“ Danny seufzte erleichtert. „Ich hab dich nämlich vermisst.“

 

Die Wirkung der Droge ließ genauso schnell nach wie sie eingeschlagen hatte, und sie nahm sogar den größten Teil meines Katers mit.

Ich war geheilt! Und zwar nicht nur von den fiesen Nebenwirkungen meines ersten und fürs erste auch letzten Clubbesuches, sondern auch von Hunter und seinem schlechten Einfluss.

Der tauchte am Tag nach meinem Absturz natürlich direkt auf dem Hof auf, aber ich wimmelte ihn ab. Ich erzählte etwas von Hausarrest und vorläufiger Kontaktsperre weil ich mich nicht an die väterlichen Abmachungen gehalten hatte, und das schluckte er kommentarlos.

Als der Camaro röhrend die enge Zufahrtsstraße hinunter donnerte war es als löste sich ein schwerer Felsblock von meiner Brust, und ich atmete erleichtert auf.

„Na, trägt er´s mit Fassung?“

Caleb trat neben mich und blickte der Staubwolke hinterher die der getunte Flitzer auf der ausgetrockneten Landstraße hinterlassen hatte.

Ich blies mir eine Haarsträhne aus der Stirn und zuckte mit den Schultern.

„Ich denke schon. Schien ihn gar nicht weiter zu stören. Ich war wohl doch nur einer von vielen.“

„Mhm.“ Caleb überlegte, dann grinste er plötzlich.

„Weißt du, früher hatten Piratenkapitäne so kleine Affen zu ihrer Belustigung, die saßen bei ihnen auf der Schulter und führten Kunststückchen auf…“

„Nennst du mich gerade einen Affen?“ meine Stimme klang drohend, aber Caleb ignorierte mich einfach. Er grinste noch breiter, dann fuhr er sich durch das unordentliche braune Haar und wandte sich von der Straße ab.

„Ich hab noch zu tun. Wenn du dich nützlich machen willst kannst du mir helfen. Der Escort verliert Öl. Aber zieh dir lieber was an was dreckig werden kann, das bekommst du danach nie mehr sauber.“

 

Ich ging ins Haus und zog mich um, ich hatte keine alten Sachen, aber zumindest welche die ich verschmerzen konnte.

Als ich wieder nach draußen kam lag Caleb bereits unter seiner schrottreifen Karre, und ich ließ mich mit untergeschlagenen Beinen neben ihm auf das vertrocknete Gras fallen.

„Ich habe übrigens überhaupt keine Ahnung von Autos, wenn ich dich mal drauf hinweisen darf. Was genau soll ich dir denn helfen?“

„Du kannst mir das Werkzeug reichen, und mir eine Cola holen wenn ich danach verlange.“ Etwas knirschte laut unter dem Auto, und ich trag Caleb gegen das Schienbein.

„Aua!“

„Ich bin nicht dein Laufbursche! Dass das mal klar ist. Und ich helfe dir nur weil du mich gestern aus dem Club gerettet hast. Bei dieser Schrotkarre ist doch eh schon alles zu spät.“ murrte ich verärgert.

Caleb unterbrach seine Reparaturversuche und kam unter seinem Auto hervorgekrochen, setzte sich auf, und packte mich plötzlich mit ölverschmierten Fingern am Kinn. Er sah mir forschend ins Gesicht.

„Was soll das?“

Ich drehte meinen Kopf weg und schlug seinen Hand beiseite.

„Fass mich nicht an!“

„Ich wollte nur nachsehen ob du immer noch high bist. Damit ich weiß ob es an den Drogen liegt oder ob du auch nüchtern so respektlos zu mir bist. Aber wie ich sehe scheinst du wieder bei klarem Verstand zu sein, das heißt ich kann dir ohne schlechtes Gewissen eine reinhaun.“

Ich versuchte so schnell ich konnte rückwärts zu kriechen und gleichzeitig auf die Füße zu kommen, aber Caleb war natürlich schneller. Seine Finger gruben sich in mein Hosenbein, dann packte er mich mit beiden Händen am Knöchel und zog mich wieder zu sich heran.

„Lass mich los!“ ich versuchte mit meinem freien Fuß nach ihm zu treten, aber Caleb wich meinen Verteidigungsversuchen geschickt aus.

Auf seinem Gesicht lag ein unheilvoller Ausdruck.

„Vergiss es. Niemand beleidigt ungestraft mein Auto. Damit hast du dir soeben selbst dein  Grab geschaufelt!“

Er griff hinter sich und brachte eine schmierige rote Plastikflasche zum Vorschein, dann setzte er sich auf mein gefangenes Bein und drehte den Schraubverschluss ab. Ich hörte ein leises zähes Schwappen, und es roch urplötzlich nach Öl.

„Was hast du vor?“ fragte ich misstrauisch, hörte aber im gleichen Atemzug auf mich zu wehren. Gegen Caleb hatte ich sowieso keine Chance. Und ich wollte ihn nicht noch wütender machen.

Der kippte die unheilvolle Flasche jetzt ein Stück, und ein zäher brauner Tropfen floss daraus hervor und landete auf meinem Hosenbein.

„Das ist Motoröl. Und wenn du nicht willst dass das Zeug in deinen hübschen blonden Haaren landet entschuldigst du dich bei mir. Hast du mich verstanden?“

Er kam mir mit der Flasche gefährlich nah, und ich begann wieder wie wild zu zappeln.

„Das wagst du nicht! Dein blödes Auto ist eine Schrottkarre, und das weißt du auch. Und jetzt lass mich los, oder ich rufe nach Hilfe!“ Ich stemmte meinen freien Fuß in den ausgetrockneten Boden und versuchte unter Caleb weg zu rutschen; langsam bekam ich Panik, aber der blieb ganz gelassen. Mit der Ölflasche in der Hand beugte er sich noch weiter nach vorn, dann stützte er sich mit der anderen auf meinem Brustkorb ab und drückte mich nach hinten.

„Dann ruf mal, aber ich wette bis jemand hier draußen ist um dir zu helfen hast du schon die Hälfte davon in den Haaren. Versprochen.“ Die Flasche bekam immer weiter Schräglage, und ich wurde immer hektischer. Das konnte doch nicht wahr sein! Würde Caleb mir tatsächlich dieses Zeug über die Haare gießen? Das bekam ich doch nie wieder raus! Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen war er jedenfalls zu allem bereit.

„Weißt du was? Ich entschuldige mich, okay? Dein Auto ist spitze, und es wird sicher nicht nur noch von Rost zusammengehalten. Es ist das tollste Auto auf der Welt, und jetzt nimm bitte diese verdammte Flasche weg. Ich sage auch keinen Ton mehr!“ Die Verzweiflung in meiner Stimme war unüberhörbar, und endlich schien Caleb Mitleid mit mir zu haben. Er schraubte den Deckel betont sorgfältig wieder auf die Flasche, dann stellte er sie beiseite und gab mein Bein frei. Blitzschnell brachte ich einen Meter Abstand zwischen uns und wischte mir das glücklicherweise unversehrte Haar aus dem Gesicht.

„Das war gemein.“

„Das war nötig. Und jetzt hol mir eine Flasche Cola, dir eine Lektion zu erteilen hat mich durstig gemacht.“

 

Obwohl ich Caleb diese Aktion wirklich sehr übel nahm blieb ich auch den Rest des Nachmittags bei ihm; wir redeten nicht mehr viel, aber wir stritten auch nicht. Das Ölproblem des Escorts erwies sich als reparabel, und als Danny am späten Nachmittag von seinem Ausflug mit zwei seiner Schulkameraden zurückkam war das Auto wieder fahrtüchtig und Caleb und ich saßen frisch geduscht und sauber neben der dunkelgrünen Karre im Gras und teilten uns die letzte Cola.

„Gebt ihr mir auch was ab? Es war so super heiß, und wir sind nur Landstraße gefahren. Ich glaube ich habe einen Sonnenstich.“ Danny ließ sich neben uns ins Gras fallen und ich reichte ihm die fast leere Flasche. Er trank den Rest auf Ex.

„Unser Nick hat Hunter heute übrigens den Laufpass gegeben. Er wird also wirklich wieder vernünftig.“ brachte Caleb seinen kleinen Bruder danach auf den neusten Stand, und der platzte fast vor Begeisterung.

„Wirklich? Du bist nicht mehr mit ihm befreundet? Das ist toll! Nimmst du jetzt wieder Reitstunden bei mir? Du hast sicher schon alles vergessen was ich dir beigebracht habe!“

Ich versprach Danny ihn wieder als meinen Lehrer zu engagieren, und er stieß jubelnd die Fäuste in die Luft.

Es war schön zu sehen wie einfach seine Welt wieder in Ordnung zu bringen war.



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