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Eine Geschichte mit, aber nicht über Pferde

(weil die Autorin keine Ahnung von diesen Tieren hat)
von

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#02

Trotz Calebs gut gemeintem „Rat“ was den Umgang mit mir anging verabredeten Danny und ich uns für den Nachmittag zum „Abhängen“; Lilly hatte in den Untiefen der zugerümpelten Garage zwei noch einsatzfähige Liegestühle gefunden, und die zogen wir uns in den Vorgarten meines neuen zu Hauses um bei Cola und Pistazieneis die Sonne zu genießen.

Leo leistete uns hechelnd Gesellschaft, genauso wie eine schlanke, sehr zutrauliche schwarze Katze.

„Das ist Miss Momo, sie gehörte Lillys Mutter. Aber eigentlich gehört sie allen. Sie fängt die Mäuse im Stall und manchmal auch ein paar Blindschleichen oder Maulwürfe. Leo mag sie auch, siehst du?“

Die vorwitzige schwarze Katze rieb schnurrend ihr Köpfchen an dem großen Hund, dann kroch sie unter Dannys Liegestuhl und rollte sich dort zu einer flauschigen runden Kugel zusammen.

Wir quatschten über dies und das, das hieß, vor allen Dingen redete wieder Danny, aber ich genoss es mich einfach so berieseln zu lassen und nur ab und zu etwas einwerfen zu müssen.

Calebs grüner Ford Escort stand nicht auf dem Hof; als ich Danny danach fragte zuckte er nur mit den Schultern und fuhr mit seinem Monolog fort.

Er machte sich anscheinend überhaupt keine Sorgen darüber was passieren würde wenn man uns erwischte. Aber er kannte Caleb schließlich deutlich besser als ich, wahrscheinlich war ich es der sich völlig umsonst Gedanken machte.

Kurz vor vier Uhr kam das klapprige alte Auto schließlich die Einfahrt hinauf gefahren, und tatsächlich, sein Fahrer würdigte uns keines Blickes als er die Karre abschloss und dann im Haupthaus verschwand. Ich war wirklich ein Schisser.

Aber es war nicht nur die Angst davor mich erneut mit Caleb in die Haare zu bekommen, da war noch etwas anderes, und das machte mir deutlich mehr Sorgen.
 

Die nächsten Tage bekam ich Danny so gut wie gar nicht zu Gesicht. Caleb versuchte es nun passiv aggressiv und deckte seinen kleinen Bruder mit so vielen Aufgaben rund um den Hof und die Pferde ein dass er gar nicht dazu kam sich mit mir zu treffen.

Und ich selbst war auch ziemlich eingespannt.

Das kleine Haus in dem wir nun wohnten war nur für zwei Personen ausgelegt gewesen, und es mussten einige Veränderungen vorgenommen werden damit es für jetzt einen mehr passte.

Der Dachboden in dem mein Zimmer lag war zwar bewohnbar, aber deutlich renovierungsbedürftig. Der Fußboden bestand aus blanken Holzbohlen, die Wände waren nicht gedämmt, und das kleine Bad dass an mein Zimmer anschloss musste dringend rundum erneuert werden. Dusche und Toilette funktionierten zwar, aber die Fliesen und die wenigen Möbel darin stammten dem Aussehen und ihrem Zustand nach noch aus dem vorigen Jahrhundert.

Lilly war das sichtlich unangenehm. Am liebsten wäre sie sofort losgezogen und hätte sämtliche Möbelgeschäfte leergekauft und davor am besten noch alles selbst neu verfliest und tapeziert, aber ich hielt sie zurück. Ich fühlte mich hier wohl, in meinem eigenen kleinen Reich, und wenn erst einmal ordentlich geputzt worden wäre wäre es sicher nur noch halb so...abgewohnt.

„Zeig mir einfach wo ich Schrubber und Eimer finde, und ich mach mich gleich an die Arbeit. Es ist super hier, echt. Soviel Platz hatte ich noch nie!“ ich drehte mich einmal im Kreis und Lilly lachte erleichtert auf. Sie tat alles um mir die Eingewöhnung hier so angenehm wie möglich zu machen, und ich war ihr mehr als dankbar dafür.

Genau wie Danny war sie eine Seele von Mensch, und wären da nicht Caleb und Alex gewesen (den ich inzwischen doch furchtbar vermisste), ich wäre rund um glücklich gewesen.

„Du bist ja ein richtiger Putzteufel Nicky, das hätte ich gar nicht gedacht. Dein Vater...“ Lilly stockte plötzlich mitten im Satz und biss sich auf die Lippe, und ich sah sie fragend an. Hatte sie sich gerade verplappert?

„Was ist denn mit meinem Vater?“ hakte ich neugierig nach, und sie seufzte ergeben.

Ertappt.

„Nimm es ihm nicht übel, aber er hat dich mir gegenüber eher als Problemkind beschrieben. Dass du Saufen würdest, und nichts für die Schule machst und dich stattdessen herumtreibst. Und dann dieser J...“ sie sah mich um Verzeihung bittend an, das schlechte Gewissen stand ihr praktisch ins Gesicht geschrieben. Aber ich war ihr nicht böse. Und meinem Vater auch nicht. Er hatte ja Recht mit dem was er ihr über mich erzählt hatte. Ich war wirklich ein Problemkind gewesen.

Aber das sollte sich nun ändern!

Ich lächelte Lilly breit an und griff mir mit einer übertrieben heroischen Geste ans Herz, mit der anderen Hand salutierte ich.

„Ich gelobe hiermit Besserung! Ab jetzt trinke ich nur noch Cola, bin pünktlich zu Hause, und was meinen Umgang angeht...ich nehme jetzt Reitstunden bei Danny, das macht doch Hoffnung, oder?“ ich zwinkerte ihr zu, und Lilly erwiderte die Geste.

„Und ich gelobe hiermit dich nicht als Putzfrau zu missbrauchen und werde dir tatkräftig bei deinen Aufgaben unter die Arme greifen.“ Sie grinste.

„Übrigens, dein Vater ist gerade unterwegs und holt unser neues Sofa ab. Wir brauchen ja nun ein wenig mehr Platz vor dem Fernseher. Das heißt, unsere erste gemeinsame Aufgabe wird es sein das alte Sofa raus auf den Hof zu schleppen. Klingt das nicht fantastisch?“

Ich stöhnte ergeben, aber dann machten wir uns mit Feuereifer daran den alten und durchgesessen Zweisitzer nach draußen zu schaffen und dort auf die Anlieferung des neuen Möbelstückes zu warten.
 

Trotz unseres vollgepackten Terminkalender schafften Danny und ich es doch noch irgendwie uns einigermaßen regelmäßig zu sehen; auch wenn die Zeit nie für eine weitere Reitstunde ausreichte. Darüber war ich nicht gerade böse, aber an meinem Freund nagte es schon. Die Pferde waren sein Leben, und wenn er von seiner Stute Kalypso sprach war es als spräche er über seine große Jugendliebe.

Inzwischen hatte ich das Pferd natürlich auch kennen gelernt, ein drahtiges schwarzbraunes Tier mit kurzer stoppeliger Mähne und ungewöhnlich klugen Augen. Sie war um einiges frecher als Teddy, aber im Grunde auch ein unglaublich freundliches Wesen.

Außer ihr und Teddy gab es noch drei weitere Pferde auf dem Hof. Eine weitere Stute namens Columbia die ich nur Anhand ihrer großen weißen Blesse auf der Stirn von Kalypso unterscheiden konnte, einen beigen Wallach mit weißer Mähne namens Haku(ein Halfinger, die sahen sich wohl alle ähnlich), und Abyss, Calebs Hengst.

Letzterer musste separiert von den anderen vier Pferden stehen da er sich sonst mit den Wallachen anlegen und die Stuten...naja, ihr wisst schon. Abyss war tiefschwarz, sein Fell glänzte in der Sonne wie pure Seide, er hatte lange elegante Gliedmaßen und trug die Nase immer eine Spur höher als seine Artgenossen.

Genau wie sein Herr.

„Abyss hat Araberblut in sich. Für ihn haben sich ganz viele Leute interessiert als wir die anderen Pferde verkaufen mussten, aber Caleb hätte ihn um nichts in der Welt hergegeben. Und unser Vater auch nicht. Zum Glück, sonst wäre Caleb garantiert durchgedreht.“

Danny und ich standen am Rande der Reitbahn, wir hatten gemeinsam Unkraut gezupft und machten gerade eine Pause. Obwohl ich nur ein ärmelloses Shirt und kurze Hosen trug und inzwischen genau wie Danny barfuß war lief mir der Schweiß in Strömen vom Gesicht. Schatten gab es hier nicht, und die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel.

Wenige Meter von uns entfernt trainierte Caleb auf Abyss, er ließ ihn verschiedene Figuren laufen und über ein paar niedrige Hindernisse springen. Auch wenn ich den Kerl nicht ausstehen konnte und er mir gegenüber ein richtiges Arschloch war, reiten konnte er, das musste ich neiderfüllt zugeben. Er und sein Pferd schienen eine perfekte Einheit zu bilden, sie waren wie eins, und es war schwer diesem Schauspiel nicht fasziniert zuzusehen.

Ich kam mir vor wie ein Idiot.

„Caleb ist super, oder? Er kann jedes Pferd reiten, sie hören alle auf ihn. Und nur er traut sich Abyss zu reiten, jeden anderen wirft der nämlich ab. Nur Caleb nicht. Und meine Mutter, die hat Abyss auch nie abgeworfen. Sie war auch eine tolle Reiterin.“ Danny winkte seinem Bruder zu, und der erwiderte den Gruß. Ich blickte verbissen zu Boden. Obwohl Caleb ihn so oft zurecht wies und ihm jetzt auch noch diese sinnlosen Aufgaben aufgebürdet hatte sprach Danny nur in den höchsten Tönen von ihm. Das wollte mir nicht in den Kopf, aber vielleicht lag das auch daran dass ich ein Einzelkind war. Ich hatte nie einen Bruder gehabt zu dem ich hätte aufblicken können.

Caleb schien seine Trainingseinheit beendet zu haben, jetzt wischte er sich den Schweiß von der Stirn und lenkte Abyss in unsere Richtung. Ich hätte mich am liebsten klammheimlich verkrümelt, aber das hätte zu sehr nach feiger Flucht ausgesehen, und ich wollte nicht wie ein Weichei dastehen. Also hielt ich tapfer die Stellung, auch als Caleb seinen unberechenbaren Hengst bis auf wenige Zentimeter an die Absperrung heran treten lies und sich dann aus dem Sattel schwang.

„Das sah spitze aus Caleb! Mama wäre so stolz auf dich! Wie Abyss auf dich hört! Wahnsinn!“ Danny betrachtete seinen großen Bruder mit absoluter Verehrung im Blick, aber der hatte nur Augen für mich. Und die sahen nicht gerade freundlich aus.

„Eigentlich sollte Danny sich alleine um das Unkraut kümmern. Das war seine Aufgabe.“ Calebs Stimme klang schon wieder wütend, und diesmal hatte ich ihn nicht einmal gereizt. Ich war einfach nur da. Und hatte geholfen.

Undankbarer Idiot. Das war schließlich nicht meine Reitbahn.

„Ich habe ihm aber gern geholfen. Ich bin nämlich ein netter Mensch.“ Im Gegensatz zu dir, aber diesen Zusatz verschluckte ich lieber. Caleb schien ihn trotzdem zu hören. Seine Finger schlossen sich um die oberste Sprosse der Absperrung, es fehlte wirklich nicht mehr viel und er würde mir höchstwahrscheinlich eine langen.

Aber das übernahm schließlich sein Pferd für ihn.

Noch bevor einer von uns auch nur im Ansatz reagieren konnte streckte Abyss blitzschnell seinen Kopf über den Zaun der Reitbahn und schlug seine kräftigen Zähne in meine Schulter. Ich schrie vor Überraschung und Schmerz auf, dann taumelte ich rückwärts und landete unsanft auf dem Hintern. Blut floss mir den Arm hinunter, und ich tastete vorsichtig nach meiner verletzten Schulter.

„Nicht anfassen! Du hast ganz dreckige Hände!“ Der Ausruf kam von Caleb, er hatte seinem bösartigem Pferd mit der flachen Hand einen Schlag gegen die Brust gegeben und kletterte jetzt hastig unter der Absperrung hindurch. Danny stand wie vom Donner gerührt neben uns, sein schreckgeweiteter Blick fixierte meine Schulter.

Ich hatte mitten in der Bewegung inne gehalten, die Bisswunde schmerzte höllisch, aber ich wagte es nicht einmal sie mir genauer anzusehen. So wie es sich anfühlte musste mir ein ganzes Stück aus

meiner Schulter fehlen. Und dabei hatte ich gedacht Pferde wären Vegetarier.

Caleb ging neben mir in die Hocke, er betrachtete die Bescherung erstaunlich gefasst, dann richtete er sich wieder auf und streckte mir die Hand hin.

„Komm, es sieht nicht allzu schlimm aus. Aber es muss ausgewaschen und verbunden werden. Ich habe einen Erste-Hilfe-Koffer im Auto, den können wir nehmen.

Danny?“

Der Junge fuhr erschrocken zusammen als sein Bruder ihn so plötzlich ansprach, dann löste er seinen Blick von meiner malträtierten Schulter und kam einen halben Schritt auf uns zu.

„Geht´s Nicky gut? Abyss hat doch noch nie...“ seine Stimme zitterte, es klang als würde er jeden Moment anfangen loszuheulen. Aber Caleb schnitt ihm einfach das Wort ab. Er hatte die Situation eindeutig unter Kontrolle.

„Dem geht’s gut, Abyss hat ihn nur verwarnt. Ich werde mit ihm ins Haus gehen und die Wunde versorgen, du sattelst Abyss ab und bringst ihn auf die Koppel. Dann hast du für heute Feierabend.“

Danny sah aus als wollte er noch etwas sagen, aber dann schluckte er nur schwer und kroch unter der Absperrung hindurch um das verdammte Höllenpferd wieder einzusammeln. Das hatte sich inzwischen klammheimlich vom Tatort entfernt und zupfte am Rand der Reitbahn an ein paar Stengeln Unkraut die wir übersehen hatten.

Ich ließ mir von Caleb auf die Füße helfen, dann umrundeten wir schweigend den Pferdestall und gingen hinüber zum Haupthaus.

„Setz dich da hin, ich hole nur schnell den Verbandskasten.“

Caleb deutete auf eine schmale kleine Holzbank neben der Haustür, und ich ließ mich vorsichtig auf ihr nieder. Meine Schulter pochte unangenehm, aber zumindest schien sie nicht mehr zu bluten. Feine Streifen angetrockneten Blutes klebten auf meinem Arm und ich wandte schnell den Blick ab als ich merkte wie mir bei diesem Anblick die Übelkeit in die Kehle stieg. Verdammt, normalerweise war ich doch gar nicht so empfindlich!

Caleb hatte den Kofferraum seines Autos geöffnet und wühlte eine gefühlte Ewigkeit darin herum, dann zog er endlich einen nicht mehr ganz taufrisch aussehenden schwarzen Erste-Hilfe-Koffer heraus und brachte ihn mit herüber zu Bank. Er musterte mich mit gerunzelter Stirn.

„Alles okay? Du bist so blass.“

Ich schnaubte verächtlich und rieb mir über den blutigen Arm. Sollte das ein Scherz sein? Wenn ja dann war es ein ziemlich schlechter.

„Natürlich ist nichts okay! Dein blöder Gaul hat versucht mich umzubringen, und jetzt werde ich wahrscheinlich an Tetanus oder sowas sterben weil du mich mit diesem prähistorischem Verbandszeug verarzten willst!“ ich deutete mit einem abfälligen Kopfnicken auf den Erste-Hilfe-Kasten in Calebs Hand, und er musste tatsächlich grinsen! Wäre die Situation nicht so heikel gewesen wäre ich fast ein bisschen stolz auf mich gewesen. Aber im Moment war mir nicht nach lachen zu Mute, eher im Gegenteil. Am liebsten hätte ich sofort einen Krankenwagen gerufen, aber selbst in meinem vor Schmerz vernebeltem Gehirn war mir klar dass das maßlos übertrieben wäre. Also hielt ich die Klappe, und ließ Caleb machen. Er brachte mich ohne ein weiteres Wort ins Haus und führt mich durch eine unscheinbare aber sehr aufgeräumte Diele in ein nettes kleines Badezimmer. Das musste das Gästebad sein, es waren zumindest keine persönlichen Gegenstände zu entdecken.

Schade.

Caleb bedeutete mir auf dem geschlossenen Toilettendeckel Platz zu nehmen, dann öffnete er den Verbandskasten und zog ein Stück eingeschweißten Verbandsmull heraus.

„Na hast du ein Glück, das Zeug ist tatsächlich noch haltbar. Kaum zu glauben wenn man bedenkt dass das dazugehörige Auto schon über zwanzig Jahre alt ist.“

Ich schnappte entsetzt nach Luft.

„Was?!“

Ohne auf meinen erschrockenen Ausruf zu reagieren begann Caleb in den dürftigen Badschränken zu wühlen und beförderte schließlich einen kleinen Stapel schweinchenrosaner Handtücher zu Tage. Er warf sie achtlos ins Waschbecken, dann ließ er Wasser dazu laufen.

„Ich wechsle den Kasten regelmäßig aus, du musst dir also nicht ins Hemd machen. Und apropos Hemd, das müsstest du jetzt mal ausziehen, und danach kannst du es direkt in die Tonne werfen befürchte ich. Die Flecken bekommst du nie mehr raus.“

Ich starrte Caleb immer noch sprachlos an, dann riss ich mich mit größter Mühe zusammen und begann mich mit umständlichen Bewegungen aus meinem vollgebluteten T-Shirt zu winden. Das war gar nicht so einfach wenn man seine Schulter am besten nicht berühren wollte.

Und es tat weh!

Meine Laune sank mit jeder weiteren Minute die verging rapide bergab. Wo blieb Danny nur so lange? Er hätte die Situation sicher ein bisschen auflockern können.

Oder er wäre beim Anblick meines Blutes einfach in Ohnmacht gefallen.

Nachdem ich es endlich geschafft hatte mich von meinem Shirt zu befreien näherte Caleb sich mir mit dem ersten feuchten Handtuch, welches ich ihm sofort und vielleicht ein bisschen zu grob aus der Hand nahm.

Er runzelte die Stirn, sagte aber nichts.

Mit übertrieben vorsichtigen Bewegungen und zusammen gebissenen Zähnen machte ich mich daran meinen Arm und meine Brust von eingetrocknetem Blut und Pferdesabber zu reinigen. Caleb reichte mir weitere Handtücher, aber kurz bevor ich die eigentliche Bisswunde erreicht hatte stoppte er mich plötzlich.

„Das reicht, den Rest mache ich. An deinen Rücken kommst du eh nicht alleine ran, und die Wunde muss desinfiziert werden. Außerdem siehst du aus als würdest du jeden Augenblick umkippen. Kannst du kein Blut sehen?“ er nahm mir das gerade benutzte Handtuch aus der Hand und wrang ein neues aus, dann begann er damit meinen Rücken vom Rest des Blutes zu befreien.

Das war viel zu nah!

Auch wenn es mir nicht passte, aber ich reagierte ganz eindeutig auf Caleb. Da konnte er noch so ein Arsch sein, sein Körper war der Hammer. Und sein Gesicht auch. Ganz anders als J., und deswegen vielleicht um Längen besser.

Ich wischte mir mit meiner freien Hand über die Augen und versuchte diese Gedanken und Gefühle zu verdrängen. Caleb war gerade nur nett zu mir weil sein heißgeliebter Gaul mich gebissen hatte. Nichts weiter. Wahrscheinlich hatte er nicht mal Mitleid mit mir sondern befürchtete nur dass ich ihn vielleicht bei der Polizei oder bei wem auch immer dafür anzeigen könnte.

War das schon Körperverletzung? Würde man Abyss einschläfern wenn ich irgendjemandem erzählen würde dass er bissig ist? Ich hoffte nicht. Das hätte das dumme Vieh dann doch nicht verdient.

„Fertig. Fast so gut wie neu. Ich desinfiziere das jetzt noch und dann verbinde ich es. Und dann müsste es eigentlich gehen. Abyss hat dich wirklich nur oberflächlich erwischt, du hast Glück gehabt. Normalerweise sehen Pferdebisse viel schlimmer aus.“ Caleb warf das letzte Handtuch beiseite, dann wandte er sich dem wenig vertrauenserweckenden Verbandskasten zu und kramte darin herum.

Desinfizieren klang nicht gut. Das klang nach Schmerzen.

„Muss das denn desinfiziert werden? Kannst du nicht einfach ein Pflaster drauf kleben und gut? Ich dachte es ist nicht so schlimm.“ versuchte ich mein Glück, aber Caleb sah mich an als wolle ich versuchen ihn auf den Arm zu nehmen. Er schüttelte den Kopf und zog ein kleines Fläschchen mit einer durchsichtigen Flüssigkeit aus dem Kasten, dann nahm er noch zwei der etwas größeren, steril verpackten Tupfer dazu.

„Das muss desinfiziert werden, das ist ein Tierbiss. Hast du in der Schule nicht aufgepasst? Sonst könnte es sich entzünden, und dann bekommst du...Tetanus.“

Jetzt nahm er mich auf den Arm.

Aber da er derjenige mit der Folterflüssigkeit war verbiss ich mir einen entsprechenden unfreundlichen Kommentar und hielt tapfer die Klappe.

Tatsächlich brannte die gesamte Prozedur dann doch nur halb so schlimm wie ich befürchtet hatte, und nachdem Caleb auch noch den Verband angelegt hatte war von der ganzen schlimmen Wunde fast nichts mehr zu spüren. Anscheinend hatte Abyss mich wirklich nur oberflächlich erwischt. Ich bewegte probehalber meine Schulter, und es zog nur ein bisschen.

„Warte, ich hole dir ein Shirt, deins kannst du ja nun nicht mehr anziehen.“

Caleb ließ mich sitzen, und als er zurückkam und ich sah was er in Händen hielt wurde ich sofort wieder wütend. Dieser verdammte Idiot!

„Das kannst du vergessen, das ist Dannys. Das nehme ich nicht zurück!“ Ich erhob mich von dem Toilettendeckel und versuchte mich an Caleb vorbei durch die Tür zu schieben, aber er hielt mich fest. In der anderen Hand das rote Shirt von Alex.

„Zieh es an und nimm es mit! Das Ding ist geschmacklos!“ zischte Caleb mir zornig zu, aber ich schüttelte ihn ab. Dabei stieß ich mit meiner verletzten Schulter gegen den Türrahmen und sog hörbar die Luft ein. Das hatte nun doch weh getan.

„Es ist nicht geschmacklos, es war ein Geschenk von meinem besten Kumpel! Und ich habe es jetzt Danny geschenkt, egal ob dir das gefällt oder nicht! Und jetzt lass mich durch!“ Ich stolperte hinaus in die Diele und versetzte Caleb dann einen Stoß der ihn zurück in das kleine Badezimmer taumeln ließ. Damit hatte er nicht gerechnet. Überrascht bekam er gerade noch so das Waschbecken zu fassen, sonst wäre er höchstwahrscheinlich auf dem Hintern gelandet. Schade dass das Bad so winzig war.

„Du bist echt ein Wichser, weißt du das? Vielleicht sollte ich dich und deinen blöden Gaul doch anzeigen, der ist nämlich gemeingefährlich! Und gib Danny das T-Shirt zurück, sonst besorge ich ihm ein noch viel schlimmeres!“ Ich funkelte Caleb wütend an, dann stürmte ich durch die Diele nach draußen und über den Hof direkt nach Hause.

Lilly stand in der Küche, sie hörte mich wutentbrannt herein stolpern und steckte den Kopf in den Flur.

„Nicky! Verdammt, was ist denn mit dir passiert?“ sie sah mich erschrocken an, aber ich winkte nur ab und war bereits halb die Treppe hinauf als ich antwortete.

„Bin nur von nem Baum gefallen, ist nichts weiter passiert! Ich geh schnell Duschen! Mach dir keine Sorgen!“
 

Tatsächlich ließ ich das Duschen ausfallen und wusch mir nur umständlich die Haare im Waschbecken, die hatten nämlich auch einiges abbekommen. Danach flocht ich mir einen Zopf und drapierte mir ein Handtuch um die Schultern um den Verband nicht unnötig nass zu machen.

Es war bereits nach fünf Uhr, ich würde einfach bis zum Abendessen auf meinem Zimmer bleiben und mich ruhig verhalten. Und mir eine wasserdichte Geschichte überlegen.

Auch wenn ich Caleb nur zu gerne eins ausgewischt hätte, aber nachher reagierten Lilly und mein Vater vielleicht doch über, und dann würde es für Abyss ein hässliches Ende nehmen.

Wenn Hunde bissen schläferte man sie doch auch ein, oder?

Ich tastete mit einer Hand nach meiner verbundenen Schulter und seufzte leise.

Ich brachte mich wirklich immer wieder in Schwierigkeiten, und das obwohl ich so hoch und heilig Besserung gelobt hatte.
 

Beim Abendessen löcherte Lilly mich natürlich trotz meiner Notlüge weiter mit Fragen, aber schließlich glaubte sie mir die Geschichte von der Baumkletterei und meinem Sturz. Es gefiel mir nicht sie so anlügen zu müssen, aber ich hielt es erst einmal für das beste. Ich musste nur daran denken Danny in meine kleine Flunkerei einzuweihen, nicht dass der sich noch verplapperte.

Die nächsten Tage verliefen eher unspektakulär, ich half Danny weiter bei seinen Aufgaben auch wenn ich nun deutlich gehandicapt war, und er war froh darüber dass ich ihnen wegen des Vorfalles nicht weiter böse war. Er beteuerte mir mehrmals dass Abyss noch nie jemanden gebissen hätte, und er sich auch nicht erklären könne warum das ausgerechnet bei mir passiert war. Ich persönlich hätte da ja einen Verdacht auf Lager gehabt, aber ich wollte Danny nicht weiter verrückt machen. Dass sein Bruder und ich uns nicht besonders grüne waren war ihm natürlich trotzdem aufgefallen, aber er schob es weiterhin auf den flappsigen Spruch den ich nach meiner ersten Reitstunde hatte abgelassen und auf das Shirt welches Caleb absolut ätzend fand.

Ich wollte ihm diese Illusion nicht nehmen. Von unserem letzten Streit schien Danny jedenfalls nichts zu wissen.

Caleb ging mir aus dem Weg, und ich ihm. Er war entweder mit dem Auto oder mit Abyss unterwegs, auf dem Hof traf ich ihn jedenfalls so gut wie nie. Und wenn doch dann war Danny bei mir, und vor dem traute sich Caleb anscheinend nicht noch einmal ausfällig zu werden. Er ignorierte die Tatsache dass wir auch weiterhin gemeinsam abhingen mit stoischer Ruhe, aber ich wettete in ihm brodelte es vor unterdrückter Wut. Das konnte ich in den seltenen Momenten in denen wir uns doch begegneten an seinem Gesicht ablesen. Mir war das egal, zumindest solange er uns damit in Ruhe ließ.
 

Es war ein weiterer sonniger und unglaublich heißer Sommertag, Danny hatte ich seit dem Morgen nicht mehr gesehen, also hatte ich es mir auf einem der beiden Liegestühle im Hof gemütlich gemacht und wartete auf seine Rückkehr. Ich gab es nicht gerne zu, aber wenn mein neuer bester Freund nicht verfügbar war langweilte ich mich furchtbar. Meine Schulter war inzwischen fast komplett verheilt, es gab also keinen Grund mehr faul herumzuliegen und mich zu schonen.

Ich wollte gerade aufstehen und es doch nochmal im Stall oder auf der Koppel versuchen, da hörte ich ein Auto näher kommen.

Caleb?

Mühsam stemmte ich mich von der Liege hoch und kniff die Augen gegen die unbarmherzige Sonne zusammen.

Nein, das war nicht das klapprige Röcheln seines alten Ford Escorts, das war ein gesünderer Motor.

Ein Taxi.

Wer kam denn mit einem Taxi hierher? Ich wurde nervös. Außer mir war niemand zu Hause, und ich erwartete keinen Besuch.

Das Taxi hielt an unserer Einfahrt, dann stieg jemand auf der gegenüberliegenden Seite aus, bezahlte offensichtlich den Fahrer, und hob danach etwas aus dem Kofferraum. War das ein Bierkasten? Das konnte doch nicht...

„Hey Nicky! Na, überrascht?“

Ja, das war ich allerdings. Nur nicht unbedingt auf positive Art und Weise. Ich versuchte meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen während mein ungebetener Gast über die Einfahrt auf mich zugestapft kam, den Bierkasten triumpfhierend vor sich hertragend. Dieses Grinsen, diese leicht gönnerhafte Stimme, das auf gewollte Weise unordentliche honigblonde Haar, der schlaksige aber dennoch gut gebaute Körper, verpackt in eine etwas zu weite schwarz-graue Armyhose und einem dazu passenden olivgrünen Muscleshirt.

Das konnte nur einer sein.



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