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AX-4

von

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09
 

„Hör auf, zu heulen“, befahl Ayax streng.

„Ich heule gar nicht.“

Sie beugte sich herüber, packte Schuldig an den Haaren und zwang ihn mit grober Hand, ihr direkt ins Gesicht zu sehen. „Du hast Wasser in den Augen“, bescheinigte sie ihm in ihrer typischen, roboterhaften Emotionslosigkeit.

„Du kannst mich mal!“, zeterte der Telepath sauer. „Und lass mich los! Das tut weh!“ Wider Erwarten löste sich ihr Griff in seinen langen, roten Haaren tatsächlich. Sofort sackte er kraftlos wieder gegen das Seitenfenster, jetzt wo das schmerzhafte Ziehen ihn nicht mehr aufrecht hielt. Er unterdrückte ein gequältes Stöhnen.

„Ich verstehe dein Gejammer nicht“, meinte Ayax und sah mit verschränkten Armen zu ihm herüber. „Wieso bist du so sauer über den Kampf? Ich war gezwungen, mich gegen Crawford zu verteidigen. Er hat mich angegriffen.“

„Er wollte mich retten!“

„Ich habe Crawford am Leben gelassen. Was willst du denn noch!? Ich hätte ihn ja auch umbringen können, wenn dir das lieber gewesen wäre!“

Schuldig winkte ab. Wie sollte er einer Maschine erklären, warum er auf Crawfords Seite stand, obwohl er in ihren Augen der Aggressor war?

„Wir wissen beide, daß du weg willst. Und wir wissen auch beide, daß ich dich nicht gehen lassen kann. Ich brauch dich noch, das ist nicht zu ändern. Also unterlasse endlich dieses widerborstige Sträuben.“

Der Telepath warf ihr einen uneinsichtigen Blick von der Seite zu. „Wofür genau brauchst du mich denn? Wie lautet deine Mission?“

„Du bist nicht autorisiert, Zugang zu dieser Information zu erhalten.“

Schuldig seufzte. „Na schön, wer hat dir diese Mission einprogrammiert? Kannst du mir wenigstens das sagen?“

„Die Forscher der Medi Tec Foundation, die uns AX-Waffen entwickelt haben.“

„Und für wen arbeiten die?“

„Die Medi Tec Foundation gehört Reiji Takatori.“

Schuldig war immer verwirrter. „Sekunde, das musst du mir nochmal genau erklären. Du arbeitest für Takatori? Ich meine, du gehörst Takatori?“

„Ja.“

„Wieso schickt Takatori uns los, um sein Labor zu überfallen und dich zu klauen, wenn ihm dieses Labor mit allem drum und dran sowieso gehört?“

„Das sind Fragen, die ich als Waffe nicht stelle. Ich befolge nur die Mission, die mir einprogrammiert wurde.“

Schuldig überlegte, wie er sich darauf einen Reim machen konnte. Klang, als hätte es zwischen Takatori und Medi Tec Differenzen gegeben und als hätten die Forscher Takatoris Befehle nicht mehr befolgt. Er fand, das hätte Takatori ihnen wenigstens sagen können, als er sie damals losgeschickt hatte. Er hatte ja gar nichts über diese Waffe gewusst. Folglich hatte er sie nicht selber in Auftrag gegeben. „Wen müsste ich fragen, wenn ich darauf eine Antwort haben will? Wer genau hat dich programmiert?“

„Du kannst niemanden mehr fragen. Mein Entwicklungsteam ist inzwischen vollständig eliminiert worden.“ Inzwischen sprang die rote Ampel vor ihnen auf Grün, so daß Ayax ihre Arme entknotete und wieder nach dem Lenkrad griff.

„Von wem?“

Ayax antwortete nicht. Sie fuhr einfach nur schweigend den Firmenwagen, den sie aus der Tiefgarage der Medi Tec Foundation gekapert hatte, um das Labor schnellstmöglich zu verlassen. Schuldig wunderte sich längst nicht mehr darüber, was sie alles konnte. Seinethalben eben auch Autofahren. Sollte sie mal machen.

„Ich stell mal eine Theorie in den Raum“, quasselte der Telepath also selbst weiter.

„Halt den Mund.“

„Deine Mission ist es offenbar, Takatori und seine Schlüsselfiguren auszuschalten. Denn wenn du FÜR Takatori arbeiten würdest, hätte er ja von dir gewusst.“

„Muss ich dich wieder ruhigstellen?“, drohte sie.

„Bin ich eine Schlüsselfigur?“

„Wenn es dich beruhigt: nein! Was aber nicht heißt, daß ich dich gehen lasse. Und jetzt Ruhe, sonst weißt du, was dir blüht.“

Schuldig verschränkte auf dem Beifahrersitz die Arme und hielt zu seinem Eigenschutz tatsächlich schmollend die Klappe.

 

 

Die fensterlose Abstellkammer, in die man ihn eingesperrt hatte, bot zwar einen ganzen Haufen Trödel, aber nichts Nützliches. Nagi hatte die letzten anderthalb Stunden damit verbracht, die Kisten hier zu durchwühlen, hatte aber nichts darin gefunden, was ihm beim Öffnen der Tür oder als Waffe geholfen hätte. Er konnte seinen Kontrahenten ja wohl schwerlich ein Harry-Potter-Buch mit Softcover über die Rübe hauen. Ein bisschen mehr würde schon nötig sein, um ein Weiß-Mitglied außer Gefecht zu setzen. Leider war das Türschloss auch nicht derart, daß er es mit seinen telekinetischen Kräften hätte öffnen können. Entsprechend grummelig war der Junge, als die Tür aufgeschlossen wurde und man sich wieder mit ihm befasste.

Ken erschien und winkte ihn mit ernster Miene heran. „Raus da, Freundchen!“, befahl er.

Murrend aber widerstandslos kam Nagi der Aufforderung nach. Was blieb ihm auch übrig? Er wurde im Nachbarzimmer förmlich per Hand an einen Esstisch bugsiert und auf einen Stuhl gedrückt. Yoji saß bereits mit einer Kaffeetasse dort, Ken öffnete eine neue Flasche Wasser, goss sich und Nagi jeweils ein Glas ein und gesellte sich schließlich auch dazu. Mitten auf dem Tisch stand die Kerze, hinter der sie allesamt her waren. Unscheinbares, weißes Wachs, vielleicht 15 Zentimeter hoch und gerade so dick, daß man sie mit einer Hand nicht mehr komplett umfassen konnte, aber daß man sie hinstellen konnte, ohne daß sie umfiel.

„Also!“, begann Yoji theatralisch und schob Nagi die Kerze hin. „Du warst auch hinter diesem Ding hier her. Ich nehme an, du weißt was darüber.“

Nagi schüttelte den Kopf und hielt die Hände unter der Tischplatte, statt nach dem Objekt zu schnappen.

„Du greifst uns wegen dieser Kerze an und weißt nichtmal, wozu sie gut ist?“

„Ich habe nur meinen Auftrag ausgeführt.“

Der hochgewachsene Playboy runzelte die Stirn und nahm erstmal einen Zug aus seiner Kaffeetasse, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Er wirkte unzufrieden.

„Wisst ihr denn, wozu sie gut ist?“, hakte Nagi kühl nach.

„Um ehrlich zu sein: nö“, warf Ken ein, der mit beiden Ellenbogen auf der Tischplatte stützte. „Es hieß, diese Kerze wäre der Schlüssel um AX-4 aufzuhalten. Wir hatten nicht gedacht, daß es tatsächlich nur eine ganz gewöhnliche Kerze ohne irgendwas dazu sein würde. Wir sind ein bisschen ratlos mit diesem Ding. Jedenfalls haben wir keine Idee, wie so ein billiger Wachs-Klumpen einen Androiden stoppen könnte.“

Nagi nahm die Kerze nun doch an sich und schaute sie genauer an. An einer Stelle war eine deutliche Kratzspur zu finden. Diese Kerle hatten offenbar schon Proben von dem Wachs genommen und untersucht. Nagi hielt sie gegen das Licht der Deckenlampe. Viel sah man damit natürlich nicht. „Habt ihr ein Ultraschall-Gerät hier?“

„Du willst die Kerze durchleuchten?“

„Irgendwas muss ja drin sein, wenn die Kerze nicht selber der springende Punkt ist.“

Yoji stellte seine Tasse zurück auf den Tisch. „Wir kommen an ein Röntgen-Gerät ran, wenn wir wollen.“

„Nein, kein Röntgen. Röntgenstrahlen beschädigen technische Geräte mitunter. Damit könntet ihr das, was auch immer da drin eingegossen ist, kaputt machen.“

Ken nickte einverstanden. „Ich kümmere mich.“

 

Tatsächlich saßen Yoji und Nagi noch am gleichen Nachmittag gemeinsam am PC in der Basis von Weiß und beschossen das ominöse Wachsgebilde von allen Seiten mit Ultraschall. Er hätte nie gedacht, die Basis mal von innen zu sehen, geschweige denn hier zu arbeiten. Aber das kleine Computer-Genie von Weiß war gerade auf Mission und konnte sich nicht selber darum kümmern, wenn man Yoji glauben wollte.

„Wie oft willst du das Ding denn noch durchleuchten?“, maulte Yoji gelangweilt.

„Sei doch nicht so ungeduldig.“

„Wenn da was drin wäre, würden wir es doch sehen!“

„Wer sagt, daß das gesuchte Teilchen groß genug ist, um gleich gefunden zu werden? Wir reden hier immerhin von Nanobots.“

„Ich hoffe, wir finden heute noch was.“

„Siehst du das da?“, meinte Nagi und zeigte auf den Bildschirm.

„Wahnsinn, ein kleines, schwarzes Pixel“, lästerte der Playboy lustlos. „Da wird ein Staubkorn mit ins Wachs rein geraten sein.“

„Nicht unbedingt. Kann man das irgendwie vergrößern?“ Nagi drehte die Kerze ein wenig, in der Hoffnung, den Einschluss besser vom Ultraschall erfasst zu bekommen, und machte noch einen Screenshot. Dann tippte er wild auf der Tastatur herum und stellte einige Filter anders ein. Er blühte langsam auf. Am Computer war er ganz in seinem Element und störte sich gar nicht mehr so vordergründig daran, daß er hier gerade von Weiß gefangen gehalten und zur Arbeit gezwungen wurde. Was es mit der dämlichen Kerze auf sich hatte, wollte er ja schließlich selber wissen.

Yoji begutachtete das etwas verschwommene Bild auf dem Monitor argwöhnisch. „Wofür hältst du es?“

„Für einen Computer-Chip. Wenn ich raten müsste, sind da Daten drauf, die die Instruktionen von AX-4 verändern. Mit etwas Glück wird ihre Mission abgebrochen. Oder ihre Verbindung zum Besitzer deinstalliert. Aber um das rauszufinden, bräuchte ich anderes Equipment hier und müsste das Ding natürlich erstmal aus dem Wachs rauskriegen. Feuer wäre ein bisschen schlecht.“

Yoji quälte sich seufzend vom Stuhl hoch und griff nach seinem Handy. „Entschuldige mich kurz. Und stell nichts Blödes an, solange ich weg bin. Aus diesem Raum gibt es nur den einen Ausgang, und dort werde ich stehen. Also versuch gar nicht erst, abzuhauen.“ Mit diesen Worten stieg er die Treppe nach oben und verschwand.

 

 

Farfarello wurde unsanft durch die Gänge des Gebäudekomplexes geschoben. Hier sah ein Gang aus wie der andere. Erstaunlich, daß die sich hier drin orientieren konnten. Dann und wann kreuzten bewaffnete Securitys ihren Weg, die aber keine Notiz von dem in Zwangsjacke verschnürten Gast nahmen. So intensiv Farfarello sich auch in den Räumen und Fluren umsah, durch die er kam, er fand ... naja ... nichts. Nicht, daß er gewusst hätte, wonach er nun konkret Ausschau halten sollte. Fluchtmöglichkeiten, bekannte Gesichter, Hinweise darauf, warum man ihn hergeschleppt hatte. Er fand nichts dergleichen. Ihm fiel nur auf, daß seine Kidnapper Zugangskarten für die Scanner an den Türen hatten, um sich hier überall Zutritt zu verschaffen. Aber ob sie folglich Mitarbeiter hier waren oder die Karten nur gestohlen hatten, wusste er deshalb noch lange nicht. Irgendwann gab er das stumme Gerätsel auf. „Verratet ihr mir nun, wer ihr seid?“, wollte er direkt von den vermummten Kerlen wissen.

„Halt die Fresse!“, motzte einer und stieß Farfarello zu einer metallenen Schiebetür. Dahinter wurde bereits Gekläffe und Gebell laut.

„... oder was ihr wollt?“

„Fresse, hab ich gesagt! Und rein da!“ Die Tür öffnete sich. Durch sie gelangte man in einen gekachelten, muffigen, großen Raum mit mehreren Zwingern, in denen verschiedene, große, gefährlich aussehende Hunde eingesperrt waren. Wozu brauchte man die? Waren das Laborhunde? Versuchstiere? Einer der Männer krallte Farfarello an den Haaren und zerrte ihn hinein, ehe er weiter darüber nachdenken konnte.

Das reichte jetzt endgültig! Farfarello hatte diese Behandlung satt. Er fuhr herum und verbiss sich seitlich im Hals des Mannes. Seine Zähne waren die letzten Waffen, die ihm noch blieben. Der Kerl schrie zwischen Schreck und Schmerz auf und ließ sich reflexartig nach hinten umfallen. Farfarello ging mit ihm zu Boden. Sofort war eine riesige Keilerei im Gange. Die zwei übrigen Entführer stürzten sich auf ihre gefesselte Geisel. Farfarello trat und biss in Rage um sich. Binnen Sekunden war er blutverschmiert, aber nicht von seinem eigenen Blut, sondern dem seiner Kidnapper. Er biss in Hände, in Nasen, in Unterarme, in Ohren, in Halsschlagadern, riss teilweise Wunden, riss teilweise ganze Fleischstücke heraus, wie ein Raubtier. Wie im Rausch. Und über allem schwebte das hysterische Bellen der eingesperrten Hunde. Ein Pistolenschuss. Farfarello zuckte zusammen. Keine Ahnung, ob er getroffen worden war. Er spürte ja keine Schmerzen. Also scherte er sich für´s Erste nicht darum. Er spürte nur, daß er plötzlich ungeahnte Bewegungsfreiheit hatte. Der Schuss hatte einen Halteriemen seiner Zwangsjacke durchschossen, so daß die Fixierung sich öffnete. Der Ire strampelte sich aus dem lästigen Kleidungsstück frei und dann begann der Krieg erst richtig. Jetzt konnte er greifen, schlagen, kratzen, sich eine Waffe schnappen! Noch mehr Blut, es war ein Fest!

Einem der Männer rutschte im Eifer des Gefechts eine Fernbedienung aus der Jacke und klapperte zu Boden. Farfarello trat mit Schwung auf das kleine Plastik-Kästchen, das er für einen Alarmauslöser hielt und das unter der rüden Gewalteinwirkung in hundert Teile zersplitterte, und schnaufte triumphierend.

Die Freude blieb ihm im Hals stecken, als sich alle Hundezwinger langsam und gleichzeitig öffneten. Die aggressiven Tiere stürzten sich sofort auf die immer größer werdenden Türspalte ihrer Käfige und versuchten ungeduldig, heraus zu kommen. „Oh fuck!“, keuchte Farfarello erschrocken. Die Fernbedienung war der Öffner für die Hundezwinger gewesen. Schlecht. Ganz schlecht. Er wandte sich um und rannte.

 

 

„Omi, wo bist du gerade?“, hörte er Yojis Stimme in der Leitung.

„In einem der Medi Tec Labore. Mir geht´s gut“, meinte er und hielt sich dabei den Zeigefinger vor die Lippen, um Crawford zu signalisieren, daß er still sein sollte. Er konnte ja schlecht zugeben, mit einem Mitglied von Schwarz auf Achse zu sein. Wie hätte das auch ausgesehen? Seine Kameraden wussten von nichts. „Ich war zwar noch nicht erfolgreich, aber bisher stecke ich nicht in Problemen. Und wie steht´s bei euch?“

„Wir haben diese bekloppte Kerze ausgebuddelt. Wir könnten dich hier brauchen, Omi. In das Wachs ist so ein Nanobot-Teilchen mit eingegossen, wie es aussieht.“

„Oh! Bringt das Wachs bloß nicht mit Feuer zum Schmelzen, um da ran zu kommen! Mit Hitze zerstört ihr es wahrscheinlich!“, meinte der Junge erschrocken.

„Das wissen wir. Aber um es mechanisch aus dem Wachs raus zu popeln, ist das verfluchte Ding zu klein. Wachs gehört chemisch gesehen zu den Fetten und Ölen, also ist die Kerze wahrscheinlich alkohollöslich. Wir werden sie auflösen.“

„Das ist gut. Das schadet dem Metall nicht. Was ist das für ein Nanobot-Teilchen?“

„Sieht ganz nach einem Lösch-Chip aus. Damit kann man vielleicht die Personalisierung von AX-4 aufheben, also die telepathische Verbindung zu ihrem Wirt löschen, und ihre einprogrammierte Mission abbrechen. Aber das wirst du uns genauer sagen können. Du bist der Computer-Spezi.“

Omi nickte leicht vor sich hin, während er schon über diese Informationen nachdachte. Die Wissenschaftler der Medi Tec Foundation hatten echt mitgedacht, wenn sie so einen Chip erschaffen hatten. „Es gibt also einen Lösch-Chip für AX-4. Das ist gut“, sinnierte er im Plauderton, vorrangig um diese Neuigkeit unauffällig Crawford mitzuteilen. „Ich komm so bald wie möglich zurück.“

„Eins noch!“, fuhr Yoji amüsiert fort. „Wir haben diesen kleinen Wichtigtuer von Schwarz. Wie nennt er sich doch gleich? Prodigy?“

Omis Augen weiteten sich entsetzt. „Wie, ihr habt Prodigy?“, entfuhr es ihm, womit er Crawford neben sich ebenfalls hochschrecken ließ.

Yoji lachte am anderen Ende unbekümmert. „Ja, der war auch hinter der Kerze her und wollte uns gern beim Ausheben des Grabes überfallen. Wir haben ihn einfach mal weggefangen.“

„Ihr- äh ... ihr habt doch nichts mit ihm angestellt, oder?“, vergewisserte sich der Junge. Gott, Crawford würde ihn umbringen oder schlimmeres, wenn Weiß seinem Adoptivsohn irgendwas antaten.

„Ach, er lebt noch, wenn das deine Sorge ist. Aber ich kenne da jemanden, der sicher einige Fragen an ihn hat. Das wird lustig. ... Also beeil dich. Wir warten im Hauptquartier mit dem Nanobot-Chip auf dich“, meinte Yoji noch bester Laune und legt auf. Das Tuten der freien Leitung verabschiedete Omi.

Der Knirps nahm langsam das Handy vom Ohr und presste die Lippen zusammen, bevor er vorsichtig einen Blick zu seinem einen Kopf größeren Begleiter hinaufwarf.

Crawford tastete gerade blind mit einer Hand nach der Wand, um sich daran abzustützen. Er hyperventilierte fast und zitterte unübersehbar.

„Oracle ...“, hob Omi beruhigend, fast tröstend, an.

„Die werden Nagi nicht einfach laufen lassen, oder?“

Der Junge schüttelte langsam den Kopf. „Ich schätze nicht. Dafür ist Kritikers und Persers Interesse an ihm einfach zu groß.“

Crawford lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, kniff die Augen fest zu, als könne er der Situation damit entfliehen, ließ den Kopf verzweifelt hängen und krampfte die Finger zu beiden Seiten in seine Haare. Das war das Ende. Jetzt waren sie alle am Arsch. Schuldig war in den Fängen dieser ausgetickten, parasitären Maschine, Farfarello hatte sich mit den falschen Leuten angelegt und hing in einer Lösegeldforderung fest, und jetzt war auch noch Nagi in der Gewalt von Weiß und hatte ein hartes Verhör zu befürchten. Wen um Himmels Willen sollte er retten? Die Wahl zwischen Schuldig und Farfarello war ihm noch verhältnismäßig leichtgefallen. Aber Nagi in den Händen von Kritiker und Perser veränderte alles. Noch dazu wenn es dort auch einen Lösch-Chip für Ayax gab.

Omi ließ ihm die nötige Zeit, um sich wieder zu sammeln. Der Hellseher war gerade komplett fertig mit der Welt, das konnte Omi ihm nachfühlen. Andererseits hätte er sich auch nicht gewundert, wenn der jetzt aus Wut oder Verzweiflung auf ihn losging. „Bist du okay?“, wollte Omi irgendwann mitfühlend wissen, auch wenn er selber wusste, daß jetzt gar nichts mehr okay war. „Es tut mir leid, wirklich.“

Crawford brauchte immer noch einige weitere Sekunden, aber irgendwann hob er den Kopf und atmete tief durch, um sich wieder in den Griff zu kriegen. Er war froh, daß ihm der dicke Kloß im Hals keine Tränen in die Augen getrieben hatte. Dafür hätte er sich vor dem Weiß-Knirps definitiv geschämt. Sein Blick schweifte kurz über einen imaginären Lageplan, als er nachdachte. Hier zu sitzen und zu heulen, brachte nichts. Takatori würde ihm ebenfalls nicht helfen, das wusste er jetzt schon. Was er nicht selber geregelt bekam, war und blieb verloren. Er musste sich entscheiden. Wiedermal.

„Was tust du jetzt?“, hakte Omi ruhig nach.

„Ich werde jetzt endlich Schuldig finden“, legte er fest und stemmte sich voller erzwungenem Tatendrang von der Wand weg.

Omi zog einen Moment lang ein verwundertes Gesicht. Er hatte abermals Mastermind den Vorrang eingeräumt. Dieser rothaarige Teufel musste ihm wirklich wichtig sein. Jedenfalls sehr viel wichtiger als der Rest seines Teams. Omi wurde mehr und mehr klar, daß die zwei tatsächlich Freunde waren. „Gut, lass uns gehen!“, stimmte der Junge zu und zückte sein Peilgerät, um Ayax wieder ausfindig zu machen.

„Du kommst mit?“

„Ja.“

„Wieso?“, wollte Crawford wissen. „Solltest du dich nicht zurück zu deinen Kollegen scheren? Oder glaubst du, ich würde dich jetzt nicht mehr gehen lassen? Wer weiß, du würdest vielleicht eine gute Geisel abgeben, um dich gegen Nagi einzutauschen.“

„Bestimmt. Vielleicht hättest du damit sogar Erfolg. Aber ich hab dir versprochen, daß wir Schuldig retten. Dabei bleibe ich“, klärte der junge Computer-Hacker ihn auf und lächelte zuversichtlich.

„Sekunde mal. Du sagtest, Schuldig wäre dir völlig egal. Du wolltest nur die Waffe finden und aufhalten. Das waren deine Worte!“

Omi nickte. „Ja, waren sie. Und ich will AX-4 immer noch stoppen. Aber meine Ansichten haben sich inzwischen verschoben. Das hier ist für dich offensichtlich was Persönliches. Schuldig ist ein wirklicher Freund für dich. Ich überlege schon die ganze Zeit, ob ich auch einen so guten Freund habe, der sein Leben für mich riskieren würde. Wahrscheinlich nicht. Mit so einem mörderischen Job wie unserem ist es auch schwer, echte Freunde zu finden.“ Er machte eine Sprechpause, um das wirken zu lassen. „Lass ihn uns zurück holen“, fügte er dann noch an.



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