Zum Inhalt der Seite

12 x Du und Ich

Seto & Joey | Puppyshipping
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein Hinweis: Die Geschichten sind Oneshots, d.h. sie sind weder chronologisch noch unbedingt inhaltlich zusammengehörig. Es handelt sich schlicht um Kurzgeschichten zu Joey und Seto im Fokus; aus unterschiedlichen Perspektiven, zu unterschiedlichen Zeitpunkten. : )

Der Plan ist, jeden Monat hier eine zur Jahreszeit passende Kurzgeschichte hochzuladen.

Viel Spaß beim Lesen!

Viele Grüße,
Jaelaki Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Wie Schneekristalle | Februar

An die Fensterscheibe klopften Regentropfen, während der Wind, in dem sich die Äste der Weiden beugten, gegen das Glas peitschte. All das wäre völlig an meiner Wahrnehmung vorübergezogen, hätte Wheeler es nicht mit lautstarker Empörung kommentiert. Über Tage hinweg. Ohne dass die Intensität seiner lächerlichen Verzweiflung abnahm.

»Das ist einfach nicht mehr normal«, seufzte er gerade wieder, als ich am Laptop saß und mich versuchte, auf die Kreation einer virtuellen Welt zu konzentrieren, die alles bisher Dagewesene wie einen verschwommenen Abklatsch der Realität erscheinen lassen würde. Eine Revolution der virtuellen Wirklichkeit, die –

 

»Es ist Winter«, murrte Wheeler, »und es hat bisher noch kein einziges Mal geschneit. Das ist absolute Zeitverschwendung.«

Ich massierte meine Schläfen und warf einen Blick zu ihm; beide Beine über der weißen Sofalehne, die mehr gekostet hatte als die Monatsmiete für seine Wohnung, während er kopfüber aus dem Fenster starrte und lautlos den Mund bewegte.

»Zählst du gerade die Regentropfen?« Fragen aus der Kategorie ›hätte nie gedacht, sie zu stellen‹.

»Ich warte auf den Schnee.« Antworten aus der Abteilung ›nur Wheeler schaffte es, das völlig ernst zu sagen‹. Er starrte wieder aus dem Fenster, seine Strähnen lagen wild über der Sofakante, während er sich auf der Sitzfläche räkelte und streckte, weil Stillstand in seinem Dasein nicht vorgesehen war. Er war wie der Sturm um dem Haus, belebte die Blätter, die durch ihn zu tanzen begannen und riss die Menschen aus ihrem Trott.

»Bist du nicht ursprünglich hierhergekommen, um deine Hausaufgaben zu erledigen?«, fragte ich, tippte auf meinem Laptop, ohne aufzuschauen, weil ich Wheeler auch so vor mir sah, als er tief seufzend mit nur einem einzigen Wort antwortete: »Zeitverschwendung.«

 

Wäre ich nicht mit Aspekten der Konstruktion meiner virtuellen Realität, die sich durch hohe Wichtigkeit auszeichneten, beschäftigt gewesen, hätte ich vielleicht gelacht.

»Wie lautet eigentlich deine Definition von Zeitverschwendung?« Meine Frage war gespickt mit Ironie, die Wheeler mit einem schiefen Grinsen ignorierte.

»Übersteigen der Produktionskosten über den Wert des Produkts und Ineffizienz der Produktionstechnik.«

Ich blinzelte.

»Ich höre dir halt auch mal zu, wenn du redest. Auch, wenn es mir manchmal echt hart in den Kopf fährt«, endete er mit einem Grinsen.

»Und was –«

»Ganz einfach«, sagte er, schwang seine Beine zur Seite und setzte sich auf. »Statt ewiglange an den Mathehausaufgaben herumzumachen, warte ich, bis du mit deinem Zeugs fertig bist und es mir erklärst. Das nämlich ist effizient

Wheelers Definition von Effizienz entsprang einer verworrenen Realität, in der das Zählen von Regentropfen keine Zeitverschwendung war.

 

»Ziel der Aufgaben ist es auch, eine Herausforderung darzustellen, um dein logisches Denken zu fordern und zu fördern.«

Die Bedeutung des logischen Denkens rangierte in Wheelers Leben zwischen ›hat die Hausaufgaben erledigt‹ und ›trägt zwei gleiche Socken‹.

»Manchmal ist es okay, seine Grenzen zu akzeptieren und Hilfe anzunehmen.«

»Aus welchem Kalender hast du den Spruch denn?«

»Ich habe gar keinen Kalender.«

Natürlich nicht, denn damit hätte er womöglich die Unordnung, die er sein Leben nannte, strukturieren können. Wheelers Art dem Durcheinander zu begegnen lautete, ›wenn nachher nicht noch größeres Chaos herrschte als vorher, war er noch nicht fertig‹.

»Ich weiß. Das war nicht verbaliter gemeint.«

Er verdrehte die Augen und seufzte betont laut.

»Wortwörtlich«, fügte ich hinzu und ließ meine Finger über die Tastatur gleiten, wie Wheeler mit Schlittschuhen letzten Winter über das Eis.

»Du brauchst nicht extra Fremdwörter zu benutzen, um clever zu wirken. Ich weiß, wie clever du bist, deswegen bin ich ja hierhergekommen. Und das wiederum macht mich logischerweise zu einer cleveren Person. Hier. Logisches Denken gefordert und gefördert.«

 

Ich spürte, wie mein Mundwinkel zuckte. Sein Blick klebte dagegen wieder an der Glasscheibe, die den Panoramablick über die Gartenanlage, den Pool und den Teich eröffnete. Es wirkte wie ein Gemälde, dessen Farben verliefen, so heftig prasselte der Regen hinab. Ich hörte Wheelers Atemzüge, das stetige Rauschen des Regens und das Klickern meiner Tastatur.

»Das alles würde echt krass aussehen, wenn es jetzt schneien würde.«

Er fixierte den Himmel, als könnte er mit purer Willenskraft den Regen in die Gestalt von Schnee zwingen.

»Denkst du nicht?«, fragte er und ich sah im Augenwinkel, wie er sich zu mir drehte.

»Wheeler, ich muss arbeiten.«

Er atmete lang und tief ein, als bürdete ich ihm die Entscheidung zwischen Weltfrieden und Ausrottung aller Krankheiten auf.

»Mh, ja, sorry«, murmelte er und klopfte mit seinen Fingern gegen die Tischoberfläche, als wartete er auf ein Ereignis, auf das er bereits wochenlang hinfieberte. Wahrscheinlich war dieser Umstand nicht weit hergeholt.

»Sag mal. Wenn es aber schneien würde, was denkst du, wie viel Kilogramm Schnee in dem Garten insgesamt liegen würden? So ungefähr?«

»Wheeler«, knurrte ich.

»Achja.«

 

Ich blickte über den Rand des Laptopbildschirms ans andere Ende des Sofas, wo Wheeler zusammengesunken nach draußen starrte, als erinnerte er sich an einen Traum, der allmählich verblasste und zusehends in Vergessenheit geriet. Ich verdrehte die Augen, während ich zu einer Antwort ansetzte. Wheeler war entweder der unbedarfteste Mensch in meinem gesamten Bekanntenkreis oder der geschickteste Manipulator, der mir im Leben begegnet war.

»Das käme auf das Alter und die Beschaffenheit des Schnees an. Trockener Pulverschnee ist deutlich leichter als feuchter Neuschnee und nochmals deutlich schwerer ist Schnee, der sich bereits auf dem Boden verdichtet hat. Je nach Alter und Witterungsbedingungen.«

Er neigte seinen Kopf und schien tatsächlich über meine Worte zu reflektieren.

»Was denkst du also, wieviel Kilo Schnee man bräuchte, um ein Iglo zu bauen?«

»Wheeler, du baust kein Iglo in meinem Garten.«

Er hing wieder auf dem Sofa, riss seine Arme über das Ende der Couch, so dass er mit seinen Fingerspitzen den Boden berührte und antwortete ergeben: »Jo, weil es eh nicht schneit.«

 

Ich verzichtete darauf, zu spezifizieren, dass diese Rahmenbedingung unerheblich für meine Aussage gewesen war und seine Körperhaltung sicherlich im Yoga eine wichtige Position darstellte. Mir blieb jedoch schleierhaft, wie er es vermochte, so verquer dazuliegen, ohne sich die Wirbelsäule und das Genick zu brechen.

»Das ist bestimmt wegen dem Klimawandel«, rief er mit einem Male, reckte die Faust senkrecht in die Luft und funkelte mich an, als wäre es mein persönliches Verschulden. »Ich hasse Regen. Warum schneit es nicht?«

»Ich mag keinen Schnee«, sagte ich, um die Diskussion über Schnee oder nicht Schnee zu beenden, denn der Hinweis, dass für Schneefall schlicht zu hohe Temperaturen herrschten, zeigte nicht den erwünschten Erfolg. Stille. Konzentration. Natürlich hatte ich in meiner Irritation einen wichtigen Aspekt übersehen: Joey Wheelers gekonnte Ignoranz.

»Du magst keinen – wer zur Hölle mag keinen Schnee? Im Winter! Schnee gehört sich im Winter! Wofür ist der denn sonst gut? Für dieses verdammte Regenmistwetter gibt es den Herbst«, echauffierte er sich als hätte ich die Menschenrechte angezweifelt.

»Ich sehe vor allem Vorteile im Herbst«, erwiderte ich mit höchst gleichgültiger Tonlage, ohne das Tippen zu unterbrechen. »Wenige Menschen, die einem unterwegs begegnen und mit überflüssigem Kontakt Zeit und Nerven rauben, weil sie sich alle schnell nach Hause verziehen und trotzdem kein unvorhergesehenes Verkehrschaos wie im Winter durch Schnee und Glatteis.«

»Schlitten, Schneemann, Schlittschuhlaufen, das Gefühl nach einer Schneeballschlacht ins warme Haus zu kommen und eine heiße Schokolade zu trinken.«

Ich hob eine Augenbraue.

»Argumente für Schnee«, sagte er und legte seinen Arm über die Augen, als könnte er das Trauerspiel draußen gefühlsmäßig nicht mehr aushalten. Wheelers folgende Aussage versicherte mir seine emotionale Stabilität, ließ mich aber an seinem Menschenbild zweifeln.

»Warum machen Menschen eigentlich keinen Winterschlaf?«

Mein Blick wanderte gen Decke, als stünde dort die Antwort auf eine viel bedeutendere Frage: Warum hielt ich es mit Joey Wheeler, der Personifizierung inkohärenter Gedankenergüsse, aus?

 

»Hier«, sagte ich und drückte ihm einen der Prototypen für die neue Virtual Reality Brille in die Hand, die in Verbindung mit der neuesten Dueldisk eine augmented Reality kreierte und unseren Spielkarten nicht mehr nur für die Dauer eines Duells Leben einhauchen würde. Diese Entwicklung würde den Markt revolutionieren und das Erlebnis bescheren, wie es wohl wäre, in eine Parallelwelt einzutauchen. Das Gefühl, die Realität mit den berauschendsten Träumen zu verbinden, und auf eine neue Ebene der Lebenserfahrung zu hieven.

»Es schneit!«, rief Wheeler euphorisch, rückte die Brille zurecht, jagte nach draußen und sprang durch den Regen. Ich schüttelte sachte den Kopf, zog einen anderen Prototyp über meine Augen und schlenderte in den Garten.

»Ich baue ein virtuelles Iglo. Ui, und lass uns einen virtuellen Schneemann bauen!«, zwitscherte Wheeler und warf den digital erzeugten Schnee wie Konfetti um sich.

»Das heißt korrekterweise Schneeperson.«

»Du bist eine Blödperson«, erwiderte er ohne eine Sekunde dazwischen und packte Schnee in Kugeln zusammen. Ich schaute in den Himmel, wo sich grauschwarze Wolken aneinanderdrängten; Regentropfen liefen mir über die Ponysträhnen ins Gesicht, aber ich wischte sie nicht weg, weil ich diesen Augenblick, obwohl das der Logik von Zeit widersprach, eine kurze Ewigkeit festhalten wollte.

»Ich liebe virtuellen Schnee«, verkündete Joey und lachte, während der Wind seine Haare zerzauste und die Kälte ein Rot in seine Wangen trieb. Der Regen glitzerte in den blonden Strähnen wie Eiskristalle. Und während wir mitten im Winter im Herbstregenwetter virtuelle Schneepersonen bauten, füllte ein absurd unlogischer Gedanke, der ein unfassbar schillerndes Gefühl ummantelte, wie Licht, das sich in Schneekristallen bricht, meinen Kopf und Bauch.

Ich dich auch.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kemet
2020-05-06T01:38:00+00:00 06.05.2020 03:38
Über Sinn und Unsinn des Schnees hat jeder so seine eigenen Gedanken. Ich kann Joey durchaus verstehen, ist es doch der Schnee, der die Welt, und damit auch die Kluft zwischen Arm und Reich, Elend und Prunk, in reines Weiß färbt und verschwinden lässt. Jeder sieht in diesem Moment gleich aus. Alles IST gleich.
Seto ist seiner gewohnt kühlen und sachlich analytischen Art, stellt den krassen Gegenpol dar. Auch verständlich, ist Schnee für ihn nur ein problematisches Wetterphänomen, dem man am Besten konsequent aus dem Weg geht und sich so Umwege und die Lohnkosten für die Beseitigung sparen kann.

Was heraussticht ist nicht nur Joeys einleuchtende Diskussionslogik, sondern auch das grundlegende Gefühl, was bei Seto dadurch entstanden ist. Liebe. Das Zugeben, dass es diese gibt und für wen diese existiert. Dass er dabei einmal sein analytisches Grunddenken vergisst, ist schön. Vor allem, weil er diesen kleinen Moment, das Lächeln des Blonden, und diesen winzigen Augenblick innerlichen Glückes nicht vergessen will. Das macht Liebe und Mensch-sein aus.

Fein geschrieben und mit einer gehörigen Portions Lacher.

LG
Antwort von:  Jaelaki
12.05.2020 21:51
Vielen Dank für deinen lieben Kommentar! Es freut mich immer wieder, wenn ich solche Rückmeldungen bekomme, durch die ich meine Geschichten ein Stück weit aus der Sicht der Leser*innen erfahren darf. : )
Ich danke dir dafür!

Viele Grüße,
Jaelaki
Von:  LeaGreywolf
2020-02-28T16:04:12+00:00 28.02.2020 17:04
Uh~ das Gefühl kenn ich! Das hab ich grad auch nach dem Lesen des Kapitels! (wie bei deinen restlichen FFs auch <3 :'D)
Antwort von:  Jaelaki
12.05.2020 22:08
Das freut mich sehr <3
Vielen Dank! : ))

Viele Grüße,
Jaelaki


Zurück