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Die zweite Heimat

Der Mensch denkt....
von

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Der Mensch denkt....

Der Mensch denkt…….
 

Ich hörte die Schüsse, ich sah Winnetou zu Boden stürzen, mich neben ihm auf die Knie fallen, hörte mich stammeln:“ Winnetou, hat eine Kugel Dich getroffen?“ und ihn hauchen: “Winnetou wird sterben!“
 

Schweißgebadet, mit wild klopfendem Herzen, fuhr ich von meinem Lager hoch und fuhr mit zitternden Händen durch das Haar. Einen kurzen Moment wusste ich nicht, ob ich einen schrecklichen Albtraum gehabt hatte oder das alles Wirklichkeit war. Ich suchte meine flatternden Nerven zu beruhigen und mich zurechtzufinden. Nein, es war nicht wirklich geschehen, es war, Gott sei Dank, nur ein Traum.
 

Mit immer noch weichen Knien stand ich auf und trat an das geöffnete Fenster. Draußen war es sternenklar und sehr kalt. Bald würde es hier im Erzgebirge Winter werden. Plötzlich sehnte ich mich nach Wärme, nach Sonne, nach dem Süden. Ich sehnte mich nach Winnetou. Ich schloss für einen Moment die Augen und sah ihn so deutlich vor mir stehen und mich anlächeln, als wäre er leibhaftig hier.
 

Ich öffnete die Augen wieder und schüttelte leise den Kopf über mich selbst. Ich war doch ein Mann, der mit beiden Beinen auf der Erde stand, der sein Leben im Griff hatte und immer selbstbestimmt und nüchtern handelte. Für Träumereien war in meinem Leben kein Platz, auch nicht für Albträume. Und jetzt stand ich hier am Fenster, in der kalten Nachtluft, nachdem ich von einem eben solchen geplagt wurde und verlor mich in Sehnsüchten, wie ein verliebter Teenager. Entschlossen wandte ich mich ab, schloss das Fenster bis auf einen kleinen Spalt und legte mich wieder in mein Bett. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es noch nicht drei Uhr war. Ich schloss die Augen und versuchte weiter zu schlafen, aber sofort sah ich vor meinem inneren Auge wieder die Szene aus dem Traum und mein Herz begann wieder seinen wilden Tanz. Nachdem ich mich eine Weile ruhelos hin und her gewälzt hatte, erkannte ich, dass es zwecklos war und drehte das neue Gaslicht an meinem Nachttisch auf, schloss das Fenster jetzt ganz und setzte mich an den Schreibtisch. Wenn an schlafen schon nicht mehr zu denken war, konnte ich wenigstens an meinem neuen Buch weiter arbeiten, das von meiner letzten Reise in den Orient und meinen Erlebnissen mit Hadschi Halef Omar erzählte. Nur….. sobald ich zum Schreiben ansetzte, verflüchtigten sich meine Gedanken und die sorgsam überlegten Worte wollten mir nicht mehr einfallen. Statt des kleinen Scheichs sah ich immer nur Winnetou, wie in meinem Traum, sterbend vor mir liegen. Nein, so ging das nicht.
 

Leise vor mich hin schimpfend ließ ich den Stift wieder fallen, stand erneut auf und lief, wie ein Tiger im Käfig, ruhelos auf und ab. Was war nur los mit mir? Ich versuchte Klarheit in mein Gefühlsleben zu bringen und meinen Verstand zu gebrauchen. Sicher, Winnetou und ich waren Freunde, Freunde in des Wortes innigster Bedeutung, aber darüber hinaus glaubte ich nicht daran, dass ich über Tausende von Kilometern hinweg spüren würde, wenn ihm Gefahr drohte. Sicher, Intschu tschuna hatte sich das einst so gewünscht….., aber nein, das war ein Ritual gewesen, sicher auch ein gut Stück heidnischer Aberglaube, aber doch nicht mehr. Und ich, ein gebildeter, moderner und erwachsener Mensch würde doch im Alter von 32 Jahren nicht plötzlich anfangen an solchen Unsinn zu glauben. Du meine Güte!
 

Und trotzdem…….., wenn nun doch Winnetou etwas Schlimmes widerfahren war, wenn er gar….?
 

Nein, das wollte und konnte ich nicht zu Ende denken. Entschlossen, diese Gedanken nun nicht mehr zuzulassen, stieg ich wieder in mein Bett, löschte das Licht und war wirklich bald eingeschlafen.
 

Mit dem ersten Licht des Tages war ich schon wieder munter. Zwar hatte mich kein Albtraum mehr heimgesucht, aber Winnetou war immer wieder durch meine Träume gegeistert. Ich fühlte mich unausgeschlafen und sehr schlecht gelaunt. Missmutig begab ich mich in die Küche, um mir einen Kaffee zu kochen, nur um festzustellen, dass keiner mehr da war. Also zündete ich mir nur eine Zigarre an und drückte sie gleich darauf wieder aus. Einfach nur ekelhaft. Ich schüttelte mich und stellte mich dann seufzend der Tatsache, dass es so nicht ging. Ich musste meinem Gefühl folgen und mich nach Amerika aufmachen. Im Geiste ging ich meine bescheidene Barschaft durch, nur um frustriert zu erkennen, dass mein Geld nicht reichen würde. Heute klappte aber auch wirklich gar nichts. Es half nichts…. Ich musste die begonnene Geschichte zu Ende bringen, dann meinem Verleger das Geld entlocken, damit ich die Passage auf dem Dampfer buchen und die ersten Tage in den USA bis zum Erreichen des Westens überstehen konnte. Danach würde ich mich selbst mit der Jagd versorgen können und in Winnetous Pueblo musste ich mir erst recht keine Sorgen mehr um das tägliche Brot machen. Ich begab mich also wieder an meinen Schreibtisch und siehe da, das Schreiben ging mir jetzt leichter von der Hand. Ich schrieb zwei Tage und unterbrach meine Arbeit nur, um etwas zu essen und ein paar Stunden zu schlafen. Dann war es vollbracht. Ohne mein Werk noch einmal durchzulesen, brachte ich die Seiten zu meinem Verleger, schwatzte ihm einen Vorschuss ab und begab mich nach Hause, um meine Angelegenheiten zu regeln und mich von meinen Eltern zu verabschieden.
 

Als ich drei Tage später in dem Zug saß, der mich an die Küste bringen würde, hatte mich eine freudige Erregung gepackt. Ich versuchte nicht länger zu verdrängen, dass ich mich zutiefst danach sehnte Winnetou wieder zu sehen und auch eine sehr lange Zeit mit ihm in seiner Heimat zu verbringen. Seine Heimat, die auch längst mir zur zweiten Heimat geworden war.
 

In Rotterdam bestieg ich einen Dampfer, der mich in knapp 4 Wochen bis in den Hafen von New Orleans bringen sollte und von dort aus rasch in den Westen……zu Winnetou……. so dachte ich…..
 

Jedoch, der Mensch denkt…...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Onlyknow3
2019-03-23T20:00:11+00:00 23.03.2019 21:00
Und Gott lenkt. Wie auch immer Karl sich das vorstellte, wahrscheinlich nicht so wie es dann war.
Schönes Kapitel, weiter so freue mich auf was neues von dir.

LG
Onlyknow3


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