Zum Inhalt der Seite

Herbstmädchen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der Feind im Haus

Wäre Marlyn nicht gewesen, so hätten wir uns wahrscheinlich einheitlich dafür entschieden, den Winterkrieger an Ort und Stelle zu lassen. Was auch immer dann geschehen wäre, sei dann nicht unsere Schuld. Außerdem wäre das wohl für alle am besten gewesen – schließlich hätten wir dann nicht den Feind direkt in unser Haus geholt und er selbst wäre seinen Verletzungen einfach erlegen und wäre gestorben.
 

Doch – nein – nun mussten wir uns um ihn kümmern.

 

Es war nicht schwer gewesen, ihn zu uns nach Hause zu bringen: Der Mond hatte sich hinter einigen Wolken versteckt und verbarg die Welt unter sich nun in schwärzester Nacht. Nicht einmal die Sterne hätten etwas daran ändern können. Doch immerhin kannten wir den Weg nach Hause bestens, sodass wir uns nicht noch zusätzliche Sorgen machen mussten, dass wir uns verirrten.

 

Zudem hatten wir Glück, dass wir zwei starke Männer hatten, die den Mann tragen konnten, mit den Armen um seinen Körper gelegt und ihn fest haltend, auch wenn sein Körper schlaff und entkräftet war, schließlich war der Krieger ohne jeglicher Bewusstsein.

 

Hinn schien sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben und führte den Krieger ohne Wiederworte. Genauso wie meine Schwester war er schließlich eine gute Seele – nur selten hinterfragend, wenn es um etwas ging. Wahrscheinlich war der Grund hierfür auch, dass er ein sehr ruhiger Zeitgenosse war und nicht gern gestört und genervt werden wollte. Zwar sah man es dem Rothaarigen nicht an, da er sehr groß und schlaksig war, wodurch man so schnell annehmen konnte, dass er seine freie Zeit gern unter freien Himmel verbrachte, aber er genoss es lieber, sich in sein Bett zu verkriechen, um dort ein gutes Buch zu lesen. Daher war er auch relativ blass, was seine Sommersprossen nur noch mehr zur Geltung brachte. Selbst die, die er schon zehnmal gelesen hatte – und davon gab es einige, da wir alle nicht besonders reich waren und unsere Familien sich daher kaum Bücher leisten konnten.
 

Ja, wahrscheinlich fluchte der arme Hinn gerade innerlich, sich wünschend, er wäre lieber im Bett geblieben und hätte zum elften Mal eines seiner Bücher gelesen…
 

Marquu hingegen war da mit seinen Gefühlen wesentlich offener: Er fluchte, schimpfte auf den Winterkrieger und sein ganzes Volk und wünschte sich, nie mitgekommen zu sein. Zwischen seinen fürchterlichen Schimpftiraden kommentierte er immer wieder, dass er das ja nur machen würde, damit es ich mich gut fühle, da es ja der Wunsch meiner Schwester war, dass wir uns um ihn kümmern würden. Es war wieder einmal einer seiner unzähligen Versuche, mir mehr zu gefallen.
 

Frinna, die gemeinsam mit mir ein wenig hinter den anderen lief, gab ab und an zu bedenken, dass dies wohl kaum unsere cleverste Idee war:
 

„Wenn uns nur jemand erwischt…“, versuchte sie mich zu beschwichtigen „…, ich wette, dass man uns hängen wird…Das ist doch bestimmt so etwas, wie Hochverrat, denkst du nicht?“

 

„Ich weiß…“, flüstere ich zurück „Doch meinst du, dass wir ihn dort hätten liegen lassen sollen? Gewiss wäre das ein qualvoller Tod gewesen…“
 

Ich hörte sie ab und an seufzen.

 

„Ja…du hast ja Recht… Allerdings glaube ich kaum, dass das jetzt besser ist… Aber ich muss auch sagen, dass ich deiner Schwester Recht geben muss – was ist, wenn er noch Familie hat, um die er sich kümmern muss? Wenn diese sterben sollte, falls er nicht zurückkehrt… Ist das dann auch unsere Schuld? Das ist wirklich eine verzwickte Situation!“

 

„Na…, du kommst auch so recht mit deinen Gedanken nicht klar, stimmt‘s?“, fragte ich lächelnd, wissend, dass auch ich mir nicht einig war, denn – es stimmte – wenn das Leben anderer davon abhing, wären wir doch selbst Mörder geworden, falls er dort liegengeblieben wäre, verreckend. Und, auch wenn ich ihn persönlich den Soldaten übergeben wollte - das hätte ich dann wahrscheinlich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können. Oder mit meiner Schwester, die in solchen Situationen oft als solches diente.

 

Schließlich war sie die Bessere von uns beiden.

 

Ich sah meine Freundin nicken, was mich wieder aus meinen Gedanken holte.
 

„Keine Sorge Frinna, wir behalten ihn auch nur so lange bei uns, bis unsere Eltern wiederkommen. Keiner bekommt etwas mit – und keiner wird wissen, dass ihr drei da mit drin steckt.“
 

„Berryn, du musst aber bedenken, dass wir fünf so gute Freunde sind, dass uns eh jeder unter einen Hut stecken würde, glaubst du nicht? Also kommen wir jetzt nicht mehr aus dieser Situation heraus, ohne dass wir uns genauso die Finger verbrennen…oder man uns beim lebendigen Leib im Kerker schmoren lässt…In einem Topf mit siedendem Wasser.“
 

Ich musste ein wenig lachen, als ich das hörte, schließlich liebte ich Frinnas düstere, pessimistische Art, die einen wirklich aufheitern konnte. Und ich war dankbar dafür, dass sie es – bewusst oder nicht – auch immer mit ihrer eigenen Einstellung schaffte.  

 

Es dauerte dann auch nicht mehr lange, bis wir unser Dorf erreichten, welches friedlich in einem Tal zwischen zwei waldigen Bergen lag und tief zu schlafen schien. Nein, nicht einmal die Wachhunde taten ihren Dienst und schliefen so tief, wie ein jeder hier.

 

Dennoch stahlen wir uns durch die Schatten der Häuser und Hütten, bis wir bei dem meiner Eltern ankamen.
 

Marlyn fischte den Schlüssel aus der Tasche und schloss auf, während die beiden jungen Männer den Krieger hinein hievten.
 

„Wohin soll er?“, fragte Hinn leise.
 

„In mein Zimmer…“, antworte meine Schwester schnell, während sie die Türen aufmachte, um den beiden den Weg so zu erleichtern.
 

„Moment – zu dir?“, fragte ich hastig und entgeistert, ließ sogar fast die Kerze und das Streichholz fallen, welche ich genommen hatte, um etwas Licht zu machen. „Wo willst du dann bitte schlafen?“

 

Während Hinn und Marquu den Mann bereits in das besagte Zimmer gebracht hatten, sah Marlyn mich ein wenig verlegen an, strich sich sogar, wie so oft in diesen Situationen, eine Strähne ihres rötlich braunen Haares hinter die Ohren, zum Boden blickend.
 

„Naja, ich dachte mir, dass er wohl kaum bei dir schlafen kann, genauso wenig bei unseren Eltern. Und in der Küche kann er ja auch kaum nächtigen… Also wird er erstmal in meinem Zimmer bleiben, während ich in Mutter und Vaters Bett schlafen… Er wird uns ja gewiss eh verlassen, bevor sie wiederkommen, nicht? So hast du das doch geplant, nehme ich an?“
 

Ich nickte stumm, während ich Frinna die Kerze überreichte, um ihr mit der Bewegung meines Kopfes anzudeuten, dass sie auch schon zum Krieger gehen sollte.

 

Als meine Freundin dann auch verschwunden war, seufzte ich und lehnte mich gegen den Küchentisch, meine Arme vor der Brust verschränkend.
 

„Marlyn…“, begann ich, während ihre gelb-grünen Augen nun auf mich gerichtet waren, zumindest meinte ich es, in der Dunkelheit zu sehen. „…, du weist genau, wie gefährlich das ist, was wir hier machen…Das…weist du doch, nicht?“

 

Sie nickte vorsichtig.

 

„Und wenn das jemand mitkriegt – wenn sich einer von uns nur verplappert – dann weißt du doch sicher auch, was uns blühen wird?“
 

Wieder ein stummes Nicken.

 

„Ich meine…er ist ein Winterkrieger! Wer weiß denn schon, was er plant, sobald er wieder gesund ist und selbst auf den Beinen stehen kann! Die sind gefährlich! Die sind zu jeder Zeit bereit uns zu töten! Und er wird keine Ausnahme sein!“
 

„Dann…dann soll jeder von uns ihn einmal bewachen. Bewaffnet. Dann wird auch bestimmt nichts passieren…“

 

Ich sah Marlyn lange und eindringlich an.

 

Ja, auch wenn sie gerademal zwei Jahre jünger als ich war, schien es, dass sie noch immer nicht gelernt hatte, wie gefährlich die Welt da draußen war. Natürlich erinnerte sie sich genauso an den Angriff der Winterkrieger auf unser altes Dorf, doch das hatte sie ganz anders geprägt, als mich. Seither war sie schließlich der Meinung, dass es Gründe gab, warum unsere Feinde sich so benahmen, wie sie es taten, und es doch Möglichkeiten geben musste, wie man sie läutern könne. Sie war felsenfest der Meinung, dass diese Winterkrieger genauso Menschen waren wie wir, die genauso in einen Krieg gezwungen wurden.

 

Natürlich waren wir uns nur selten einig, wenn es um solche Diskussionen ging. Dennoch war die ganze Art und Marlyns ganzes Wesen wahrscheinlich der Grund, warum ich sie so sehr liebte und alles für sie tun würde – wie einen Winterkrieger in unser Haus aufnehmen, bis es diesem besser ging.

 

Ich seufzte und strich mir mit meinen Händen durch meine roten Locken, im Versuch meine Verzweiflung and Angst verschwinden zu lassen.

 

„Ach Marlyn, ich hoffe nur, dass du weißt, worauf du dich da eingelassen hast…“

 

Sie nickte, ein sanftes Lächeln überzog ihre Lippen.
 

„Und wie ich das weiß… Aber meinst du denn nicht, dass wir so etwas bewegen können? Kaum auszumalen, was dieser eine Winterkrieger alles seinen Freunden und seiner Familie erzählt, wenn er wieder heimkehrt. Vielleicht gibt es dann wesentlich weniger Angriffe auf unser Volk, als zuvor!“

 

Ich drehte mich um, damit sie mein Grinsen nicht sehen konnte, nahm einen Krug, der auf dem Tisch stand und goss etwas Wasser in eine Schale, bevor ich im Dunkeln nach einem Lappen suchte, mit welchem wir die Wunden säubern konnten.
 

„Glaube ich kaum. Böse bleibt nun mal böse…“, sagte ich, auch wenn ihre Weltanschauung mal wieder sehr niedlich fand. Dann drehte ich mich wieder um, ging zu ihr hinüber und drückte ihr die Schale in die Hand.
 

„Aber da du dich ja so bereit erklärt hast, ihm zu helfen, kannst du dich ja jetzt auch um ihn kümmern, nicht?“

 

Sie nickte eifrig und ohne dass sie noch ein Wort verlor, drehte sie sich um und ging, mit der Wasserschale in den Händen, in ihr Zimmer. Ich blickte ihr einige Augenblicke nach, bevor mir etwas einfiel, was die ganze Situation eventuell etwas sicherer machen könnte.

 

Somit zündete ich noch eine zweite Kerze an und eilte ich schnell in das Zimmer meiner Eltern und durchsuchte dort eine Kommode, bis ich es fand: Ein paar alter, rostiger Handschellen.
 

Sie gehörten meinem Vater, der sie nach seiner Zeit im Krieg mitgebracht hatte, als eine Art Andenken. Außerdem war er der Meinung, dass man ja nie wusste, ob man sie nicht noch einmal gebrauchen könnte.
 

Und nun war solch eine Zeit und sie würden wirklich von Nutzen sein.
 

Schleunigst verließ ich wieder das Zimmer meiner Eltern und ging in das von Marlyn, wo alle meine Freunde um ihr Bett, in welchem der Krieger lag, versammelten waren.

 

Im Kerzenschein konnte ich erkennen, dass seine Augen noch immer geschlossen waren, während meine Schwester vorsichtig an einer Schnittverletzung an seiner Stirn herumtupfte. Wahrscheinlich war sie zu schüchtern, um seine dicke Lederrüstung auszuziehen, um sich um die – wahrlich offensichtliche – Wunde an seiner Seite zu kümmern.

 

Ich zögerte für einen Moment, als ich das friedliche Gesicht des Kriegers wahrnahm, wundernd, was sich wohl für ein Monster hinter ihm verstecken würde.

 

Als Frinna mich aber fragte, was ich da in meiner Hand hielt, kam ich zurück aus meiner Traumwelt in die Realität und schritt and Marlyns Bett heran.
 

Stumm sah sie mir zu, wie ich eine seiner Hände ergriff und eines der metallenen Bänder dort befestigt, während ich das zweite um einen dicken Bettpfosten zuschnappen ließ.

 

„Jetzt kann der bestimmt nicht mehr gefährlich werden“, sagte ich dazu, bevor mich jemand hätte fragen können.

 

„Wir schlau durchdacht, liebe Berryn!“, hörte ich Marquus Kompliment. „So wird er keine Chance haben, uns anzugreifen.“

 

„Und was machen wir jetzt mit ihm…?“, gab Hinn nun noch zu bedenken, die Augen stets auf den Krieger gerichtet.
 

„Nun ja…“, antwortete meine Schwester „Wir päppeln ihn auf und der Rest wird sich dann sicher schon ergeben.“
 

„Klingt, als sei der ein verletztes Reh, was wir im Wald gefunden haben…“, murmelte Frinna belustigend, während sie sich auf einen Stuhl setzte, der an einem kleinen Tischchen in Marlyns Raum stand.
 

Und wir alle mussten lachen, als wir das hörten.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück