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Stand my ground

von

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Excitement at the police department

 

 

 

Dieser sonnige Tag im April war einer der wenigen, an denen man nur zu gerne dem Büro entfliehen wollte. Dennoch arbeiteten viele im Polizeipräsidium im Büro, statt die Frühlingssonne zu genießen.

Frühling – Zeit der Verliebten. Ganz schön deprimierend einen solchen Tag im Büro zu verbringen, oder?

Das dachte wohl auch Miwako Satō, welche gerade von ihrem Chef ins Büro zitiert wurde. Als Leiterin der Abteilung für Erpressungsfälle hatte sie viel Verantwortung für ihre Kollegen. Eine Frau in einer Führungsposition jagte so manchem Mann Angst ein, dennoch erfreute sie sich äußerster Beliebtheit.

„Ich soll den Neuen einweisen? Das ist aber ungewöhnlich. Sagten Sie nicht, dass er direkt vom Polizeipräsidenten empfohlen wurde? Da werden die weiblichen Kolleginnen aber neidisch sein, Inspektor Megure.“ Ein wissendes Lächeln lag auf Miwakos Gesicht, denn seit dieser Neue hier aufgetaucht war, herrschte totales Chaos und sie musste ihre weibliche Kollegschaft ein wenig im Zaum halten. „Kaum da, hat er auch schon seine Fangemeinde. Bestimmt hat er auch außerhalb des Präsidiums jede Menge Verehrerinnen.“

„Die Worte des Polizeipräsidenten waren: Er soll sich auf die Arbeit konzentrieren und nicht auf irgendwelche Techtelmechtel mit Frauen – Miwako Satō ist genau das Richtige für einen Mann wie ihn. Er braucht eine starke Frau, die ihm zeigt, wo es langgeht.“ Ein kleiner Schweißtropfen lief Megure über die rechte Wange, als er ihren Vorgesetzten zitierte. „Er erwähnte beiläufig, er sei ein Problemfall, gerade schüchterne Frauen würde er total aus dem Konzept bringen. Sie, Miwako würden auf seine Flirtversuche nicht einsteigen, das konnte ich ihm versichern. Deswegen sollen Sie ihn jetzt unter ihre Fittiche nehmen. Seien genau das Richtige für die Erziehung des Herrn.“

Miwako staunte nicht schlecht. „Ohjemine, da eilt mir mein Ruf aber voraus. Bin ich wirklich so schlimm?“

„Diese Frage sollte man am besten Takagi stellen“, antwortete Megure mit einem schelmischen Grinsen, wobei er die junge Dame nicht wirklich aufziehen wollte. Diese errötete und entlockte dem korpulenten Mann ein leichtes Lachen. „Apropos Takagi, er scheint unseren Neuen zu kennen. Nehmen Sie ihn doch am besten mit. Sollte uns ein Fall eintreffen, wobei ich ihn brauche, können Sie beide wieder zu mir schicken. Ich würde mir die Fähigkeiten des Herrn gern selbst anschauen.“

„Er ist von Osaka hierher versetzt worden, richtig? Soweit ich mich erinnere, leitete er dort die Abteilung für Mordfälle, nicht wahr? So ein junger Bursche mit so viel Verantwortung. Trotzdem soll ich den noch erziehen. Das kann ich beim besten Willen nicht verstehen.“

Es klopfte und Megure bat denjenigen herein.

„Oh, Takagi, schön Sie hier zu haben. Haben Sie Ihren neuen Kollegen denn nicht mitgebracht?“ Er wusste, dass der junge Mann sich mit ihm beschäftigte und war sehr verblüfft darüber, dass er nicht bei ihm geblieben war.

„Unterhält sich mit den Damen, dabei würde ich ihn nur stören.“

„Ach herrje“, seufzte Megure und schenkte Miwako einen wissenden Blick. „Da haben Sies! Genau das meinte er wohl mit erziehen. Der Gute braucht ein wenig Übung, was die Trennung von Privatem und Arbeit angeht. Er soll die Frauen in Osaka regelrecht verrückt gemacht haben. Offensichtlich ist er deswegen jetzt hier… Aber Genaueres kann ich nicht sagen.“

Watarus Gesicht zierte nun ebenfalls ein Schweißtropfen. „Ja doch, das sieht ihm ähnlich. Macht vor keiner Frau halt, diesbezüglich hat er sich offensichtlich kein Stück geändert. Er ist noch derselbe wie vor drei Jahren.“

„Ihr zwei kennt euch so gut?“ hinterfragte Miwako und Wataru lächelte.

„Wir waren in der Schule gute Freunde. Aber sein bester Freund ist trotzdem dieser Detektiv Ryochi Akaja“, antwortete Wataru.

„Dieser Ryochi Akaja ist der Sohn des Polizeipräsidenten“, meinte Megure mit tadelnder Stimme. „Was haben Sie denn gegen ihn? Das klang ja ganz schön seltsam, wie Sie das ausgesprochen haben. Waren Sie nicht mit dessen Verlobter eng befreundet?“

„Muss ich denn deswegen mit ihm auch eng befreundet sein?“ erwiderte Wataru ein wenig ertappt und zog dadurch Miwakos Blicke auf sich. Das klang äußerst seltsam, geradezu als wenn er eifersüchtig auf Ryochi gewesen wäre…

„Hattest du etwa ein Auge auf Shina geworfen, Wataru?“ Einmal mehr bewies Miwako, dass sie nicht auf den Mund gefallen war.

„Das ist schon über zehn Jahre her – also nicht mehr nennenswert, finde ich.“

„Pass bloß auf – alles, was du sagst, wird gegen dich verwendet werden!“ meinte Miwako mit einem bedrohlichen Grinsen, aber auch nur, um ihn etwas zu erschrecken. „Verlassen Sie sich auf uns. Wir kümmern uns um den Neuankömmling! Komm wir gehen, Takagi!“

Megure beobachtete beide, dabei war sofort klar, wer hier das Sagen hatte, was ihn dann doch kurz grinsen ließ.

 

Beide verließen das Büro und Wataru seufzte sofort. „Ich kann’s noch nicht ganz fassen, dass Iwamoto tatsächlich jetzt zu uns gehören soll. Vielleicht sollte ich die Klappe halten, aber Kôji Miura – ein Freund von mir – hat mich bereits vorgewarnt, dass das Grauen nun Tokyo unsicher machen wird.“

„Das klingt aber wenig positiv. Dabei kam die Empfehlung doch von so ziemlich weit oben“, war Miwako da schon zuversichtlicher. Kaum jemand konnte schrecklicher sein als dieser Yamamura aus der Gumna Präfektur. Wenn Takeshi Akaja den jungen Mann für tauglich hielt, sollte man das schon glauben können.

Die beiden Inspektoren gingen auf eine kleine Gruppe Menschen zu, vorwiegend war der junge Mann umringt von hübschen Damen, die versuchten mit ihm ins Gespräch zu kommen.

Watarus Blick ruhte auf dem Mann, dessen Kopf ein klein wenig die Frauenschar überragte, der 23-jährige begegnete ihnen mit freudigem, strahlenden Lächeln, welchem kaum eine Frau etwas entgegen zu setzen hatte. Er machte seinem Ruf Weiberheld alle Ehre. Doch wenn man ihn kannte, wusste man, dass er nett zu allen Frauen war, ihnen allen dieses tausend Volt Lächeln schenkte, aber auch nur das. Dieser Mann verlor sein Herz nicht an die Frauen, die ihn so anhimmelten. „Er ist es wirklich, wie er leibt und lebt“, murmelte Wataru mit einem bedröppelten Grinsen im Gesicht. Das Verhalten der jungen Damen hatte sich noch immer nicht geändert – und der Schwarzhaarige ebenfalls nicht – so jedenfalls wirkte der erste Schein. Dieser Kerl schien die Aufmerksamkeit der Frauen in vollen Zügen zu genießen.

„Die sind ja wie die Geier – was hat dieser Kerl nur an sich?“

„Wow, soll das heißen, du fällst nicht auf den unwiderstehlichen Charme dieses Schönlings herein?“

Erschrocken zuckten Miwako und Wataru zusammen, als sie neben sich die Stimme von Yumi Miyamoto vernahmen. „Man, hast du uns erschreckt! Schleich dich doch nicht so an.“

„Irgendwer hat in der Frühe gleich geplaudert, wie unglaublich gut der neue Kommissar aussehen soll und schon sind sie wie die Hyänen hier aufgekreuzt, um ihn in Empfang zu nehmen. Nun haben wir das hier!“ Sie deutete auf die Frauenschar, die offensichtlich nichts besseres zu tun hatte, als ihn zu umzingeln, wie man es sonst nur mit Verbrechern tat.

„Er wirkt nicht so, als wenn er gerettet werden will“, kicherte Yumi, schaute nun aber leicht fies drein. „Trotzdem sollten wir mal etwas unternehmen, findet ihr nicht? Die rennen ihm ja förmlich die Bude ein. Armer Typ.“

„Also alle kann er wohl kaum bedienen“, sagte Wataru, auf dessen Gesicht nun ein nahezu untypisch gefährliches Grinsen erschien.

„Oi, Iwamoto-kun! Hierher!“ rief er zu dem 23-jährigen hinüber und dessen Gesicht wandte sich augenblicklich zu der Stimme hinüber. Das gleiche Lächeln lag auf seinen Lippen, als er Wataru erblickte.

„Entschuldigt mich, die Pflicht ruft“, meinte der junge Mann, warf ein letztes Lächeln in die Runde und machte sich dann aus dem Staub – anscheinend waren es ihm dann doch zu viele Frauen gewesen.

„Na altes Haus! Kannst du denn immer noch nicht genug kriegen?“ stichelte Wataru ihn und deutete auf die Frau an seiner Seite. „Das ist Miwako Satō, meine Verlobte“, sagte er sofort stolz und grinste den anderen frech an.

„Oh, die berüchtigte Miwako Satō! Ich habe viel von Ihnen gehört“, sagte der Mann und stellte sich anschließend vor. „Mein Name ist Sêiichî Iwamoto, freut mich Sie kennenzulernen.“

 

Sêiichî Iwamoto (23) [Kommissar in der Abteilung für Mordfälle]

 

Seine Augen nahmen die hübsche Frau sofort in Augenschein, er musterte sie von oben bis unten. „Du scheinst wirklich Geschmack zu haben, Wataru. Sie ist wirklich hübsch“, lobte er seinen Kollegen und schmunzelte, „eine solche Frau muss man gut festhalten, sonst entwischt sie einem am Ende wieder.“ Sêiichî schien sich sehr für Miwako zu begeistern. „Es freut mich sehr, dich so gesund und munter zu sehen, Wataru. Glücklich bist du wohl auch, bei so einer Frau.“

Miwako wurde es ein bisschen zu viel und sie errötete, als Sêiichî sie so in hohen Tönen lobte. „Ist er immer so, Wataru?“

„Leider ständig. Er muss immerzu die Schönheit von irgendwelchen Frauen loben.“

Sêiichî hustete ein wenig, weil Wataru es natürlich nicht unterlassen konnte, seine Schwächen preiszugeben. „Ich finde eben, dass man einer Frau sagen darf, wenn sie hübsch ist, oder etwa nicht?“ verteidigte er sich gegen den Inspektor.

„So, so, was du nicht sagst, Sêiichî! Und was macht die Liebe bei dir? So weit ich mich erinnere, hast du um die ja immer einen großen Bogen gemacht. Jede Frau, die dir nur im Ansatz verfallen war, hast du ja sofort abgeschossen.“

„Oh, das klingt aber nicht nett, Wataru!“ meinte Yumi und blickte zu diesem, wenig später blickte sie zu ihrem neuen Kollegen und grinste. „Dass Sie Single sind, sollten sie besser nicht an die große Glocke hängen. Dann haben Sie keine ruhige Minute mehr.“ Yumi deutete die Frauenschar an, die noch immer zu ihnen hinüberblickte.

„Single? Ich? Wie kommen Sie denn auf die Idee, ich sei Single?“ konterte Sêiichî der Verkehrspolizistin, welcher sofort alle Gesichtszüge entglitten. „Was denn, was denn? Hat es Ihnen die Sprache verschlagen? Vielleicht sollten Sie etwas Makeup versuchen! Sie sind unglaublich blass geworden.“

„Ohje, welche Arme Frau ist es diesmal?“ fragte Wataru direkt und wirkte sofort leicht bekümmert – Frauen, die mit Iwamoto zu tun hatten, taten ihm ehrlich gesagt unheimlich leid. „Man muss schon hart im Nehmen sein, wenn man dich erträgt.“

„Also ich dachte schon, dass Sie Single sind, so intensiv, wie Sie sich um die weibliche Kollegschaft gekümmert haben – oder sehen Sie das falsch, Iwamoto-san?“ Yumi faltete die Hände aneinander und strahlte ihn an. „Lernen wir Ihre Freundin auch einmal kennen? Hat sie einen Namen?“ Die junge Frau schien vor Neugierde gerade zu sterben. Sêiichî drehte einmal den Kopf und checkte, wie viele Leute sie gerade beobachteten und er kam zu dem Entschluss, dass es ihm zu viele waren, vor allem zu viele unbekannte Menschen, denen er nicht trauen konnte.

„Es ist ein großes Geheimnis, wisst ihr“, kam von ihm geflüstert und er zog sowohl Yumi, als auch Miwako am Arm ein wenig in seine Richtung, dabei formte er mit der Hand einen Trichter. „Das kann ich nicht so laut hier herumschreien…“

„Wieso denn nicht?“ fragte Miwako und Wataru rückte automatisch näher an ihn ran.

„Sie ist eine berühmte Persönlichkeit, das würde nur Ärger geben.“

„Oh man, Sêiichî – was hast du dir denn nun schon wieder für einen Mist eingebrockt? In welchen merkwürdigen Kreisen bewegst du dich denn? Oder willst du wieder nur angeben?“ Watarus Gesicht war geziert von Halbmondaugen, denn Sêiichî war schon immer ein Angeber gewesen.

„Oh bitte, bitte, uns kannst du es doch sagen“, quengelte Yumi und leuchtete dabei Sêiichî mit ihren funkelnden Augen an.

„Ach ja, wirklich? Du sagst, es ist okay?“ fragte Sêiichî, was äußerst hinterlistig klang, so dass Wataru und Miwako sich verdutzt ansahen.

Gerade war der Schalk in seinen Nacken gefahren, das merkte man durchaus – er hatte aber seine Gründe, weshalb er nun doch etwas fies grinste. „Ihr würdet mir ja sowieso nicht glauben.“ Seine Hand sank und es wirkte, als wenn er die kleine Gruppe jetzt dumm sterben lassen wollte, dabei hatte er ein Gewinner-Grinsen im Gesicht.

„Das entscheiden wir, wenn wir’s wissen!“ meinte Wataru nun klugscheißen zu müssen – es gab immerhin die merkwürdigsten Liebesgeschichten in dieser Welt – er würde sich dazu jetzt aber nicht explizit äußern. „Würde mich schon interessieren, denn eine Frau, die länger mit dir aushält, muss schon was ganz Besonderes sein.“

Yumi konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Ja, vor allem besonders gerissen“, sagte Sêiichî, dabei konnte er sich fast nicht halten und wollte am liebsten aus Protest einen anderen Namen sagen, gerade weil sie dann sicherlich Mühe hätte ihre Fassung zu wahren, aber dann könnte man ihm ja unterstellen, er sei gemein.

„Gerissen? Das passt dann ja zu dir, wo du die Frauen immer so aufs Glatteis geführt hast. Man erzählt sich von dir sogar, dass du Tatverdächtige, die zufällig Frauen waren, ausgetrickst hättest, indem du mit ihnen angebändelt hast. Kôji hat mir immer davon berichtet, weil ihm die Frauen fast manchmal leid taten.“

Nun bildete sich ein Schweißtropfen an seiner Schläfe, denn solch eine Sache ließ ihn jetzt doch nicht sonderlich gut dastehen.

„Man muss sich also richtig vor Ihnen in Acht nehmen, ai ai ai“, sagte Yumi belustigt, was Sêiichî mit einem frechen Grinsen erwiderte. „Oh, wenn’s ernst ist, werde ich so etwas natürlich nicht machen. Ich habe denen nämlich nie irgendwelche Versprechungen gemacht. Wenn eine Frau so leichtgläubig drauf eingeht, nur weil ihr ein Mann etwas zulächelt, dann tut es mir Leid, hat sie es nicht anders verdient, als aufs Glatteis geführt zu werden!“

„Man, dein Freund ist ganz schön abgebrüht, man sollte jede Frau vor ihm in Sicherheit bringen“, entgegnete Miwako, in deren Beliebtheits-Skala Sêiichî gerade nicht sonderlich aufstieg, sondern eher das Gegenteil.

Oh ja, vor allem du solltest dich in Acht nehmen. So was in die Richtung wolltest du doch gerade sagen, oder?’ Es war zu komisch, als dass er sich nicht darüber amüsiert hätte. „Wataru-chan?“ meinte er und wank ihn leicht an sich heran, so dass er ihm ins Ohr flüstern konnte. „Du möchtest doch auch unbedingt mein Geheimnis kennen, oder?“ Sêiichî merkte, wie die Frauen doch sehr dicht an sie beide heranrückten und gerne an diesem Geheimnis teilhaben wollten. „Wisst ihr, meine Freundin ist diesem Kaito Kid sehr ähnlich. Sie kann sich perfekt verkleiden und könnte sogar ohne Probleme ins Präsidium kommen. Es dürfte einen nicht wundern, wenn sie plötzlich neben einem steht und einen belauscht.“

„Oh, das klingt aber gruselig. So etwas würde sie doch nicht tun, oder?“ fragte Miwako, die eindeutig gelauscht hatte, so wie die andere auch. Sêiichî blickte sie aus Halbmondaugen an. „Oh, man muss diesem Frauenzimmer alles zutrauen, jede Schandtat. Ich weiß ja nicht, inwiefern ihr zwei euch in der Filmindustrie auskennt, aber sie war schon einmal hier in Japan.“

Sêiichî schien das Rätselspielen äußerst zu genießen. „Du hast sie sogar schon mal getroffen, Wataru“, sagte er äußerst geheimnisvoll und schloss dabei die Augen. „Bei so einer Trauerfeier für einen berühmten Regisseur mit Namen Sakamaki.“ Nun schwenkte er mit dem Blick zu Yumi und lächelte sie an. „Da waren wirklich viele berühmte Persönlichkeiten, aber auch viel Polizei…“

„Mhm“, meinte Wataru und erinnerte sich dunkel daran. „Da waren viele Leute und ich erinnere mich nicht mehr genau. Also du bist mit einer der dort anwesend gewesenen Frauen liiert, richtig? Mannoman, das waren aber ziemlich reiche Leute. So was magst du?“

„Mich würde eher interessieren, woher er das schon wieder weiß!“ Miwako schöpfte Verdacht, immerhin durften sie über ihre Fälle in der Öffentlichkeit nicht reden.

„Oh, das ist sehr einfach, Satō-san“, antwortete Sêiichî mit einem leichten Lächeln, „ich war natürlich selbst anwesend und hab ihn gesehen.“

„Enorm. Wir hatten einen anonymen Anruf von einem Unbekannten bekommen, dass dort ein Anschlag stattfinden soll. Und wieso warst du dort? Du bist Kriminalist. Was treibst du auf einer prominenten Veranstaltung?“

Man merkte wie gespannt alle auf Sêiichîs Antwort waren, aber dieser war vollkommen unbeeindruckt und lachte einmal auf. „Mein Großvater ist Schauspieler. Warum sollte ich also nicht? Außerdem interessieren mich Menschen, die anderen perfekt etwas vorspielen können.“

Damit schoss er wohl etwas über das Ziel hinaus, aber gelogen war es nicht unbedingt.

„Hört, hört, sein Großvater ist Schauspieler. Aber wieso nicht? Die Mutter dieses berühmten Detektiven, ist schließlich auch eine“, merkte Yumi an.

„Wenn ich mich nur daran erinnern würde, welche Schauspielerinnen da noch so waren, ich habe es irgendwie verdrängt.“

Wataru schien vollkommen ratlos, da wollte man den Armen ja natürlich nicht weiterquälen. „Dass dir das entfallen ist. Wie kann man eine so atemberaubende Frau vergessen?“ sagte Sêiichî in einem schwärmerischen Unterton, den er aber ein kleines bisschen auch spielte, dabei ruhte sein Blick stetig auf Yumi. „Es war eine ganz berühmte Schauspielerin, Wataru. Da du aber anscheinend nicht von selbst draufkommst – es ist Chris Vineyard, die Hollywood Actress.“ Nun fühlte sich Sêiichî wirklich, als wenn er angeben würde, wie eine Tüte Mücken.

„KURISU BINYAADO?!“ spie Wataru voller Entsetzen aus. „ Die Tochter von dieser Hollywood Koryphäe?!“

„Ja, genau die meine ich“, lächelte Sêiichî und man könnte wirklich meinen, er würde gleich vor Stolz platzen.

„Enorm – nur wie kommt so ein Spinner wie Sie an solch eine klasse Frau?“ Diese Worte waren ein kleines bisschen scharf, schärfer geschossen als ein Pfeil. Sie kamen von Yumi, die mit Sêiichî einen regen Augenkontakt zu haben schien – da war sie ja mal gespannt, was er sagen würde, wenn man ihn so gegen die Wand manövrierte. Nun konnte er beweisen, was für ein gnadenloser Kriminalist er war…

„Ich habe der Dame mal aus der Patsche geholfen und sie dann zum Essen eingeladen. So etwas eben. Frauen sind immer dankbar, wenn man ihnen behilflich ist.“ Er war frech, so wie er grinste, scheute er keine Gefahr, noch nicht einmal die von schönen Frauen – oder eher erstrecht nicht solche.

„Beeindruckend! Und das ist was Ernstes?“

„Wir sind schon einige Jahre zusammen, also sollte ich das wohl bestätigen, nicht wahr, Yumi-san?“

Miwako beobachtete Yumi und Sêiichî, sie wusste nicht, was da zwischen denen vor sich ging, aber ihr Augenkontakt wirkte für sie äußerst intensiv.

Wataru war noch zu geschockt, um mitzubekommen, was sich um ihn herum abspielte, er war schockiert, einfach nur entsetzt, dass Sêiichî sich tatsächlich die Tochter dieser Frau geangelt hatte. „Also wenn sie nur halb so atemberaubend ist wie ihre Mutter, dann…“ Wataru senkte den Kopf und zog mit seinen Worten sofort die Aufmerksamkeit aller auf sich.

„Ich wusste gar nicht, dass du dich für Hollywood Schauspielerinnen interessierst?“ Miwako blieb natürlich nichts verborgen, mit ihren Worten fühlte sich Wataru aber ein bisschen ertappt.

„Tu ich doch gar nicht… Mein Vater mochte sie… Irgendwie… so etwas in die Richtung.“ Wataru murmelte es kleinlaut vor sich hin und Sêiichî kam nicht umhin einmal Luft zu schnappen.

Das Thema Watarus Vater wollte er eigentlich gerne schnellstmöglich wieder vom Tisch haben. „Falls es dich interessiert. Natürlich ist sie atemberaubend, sonst würde sie mich ja nicht mehr interessieren, als all die anderen Frauen.“

„Ach herrje, sie ist toll, weil Sie die Dame gut finden, Iwamoto? Ganz schön frech! Das sollte man der Frau mal erzählen. Die wäre sicher ein bisschen beleidigt!“

„Tze – die weiß woran sie ist. Ihr würde man da nichts Neues erzählen, schätze ich.“ Er grinste noch frecher und sah sie dabei an.

„Ach naja – lassen wir ihn. Er wird schon wissen, warum er sie mag“, meinte Miwako jetzt mit einem sanften Lächeln. „Anbetracht der Tatsache, dass er einen gewissen Ruf genießt, bin ich ja fast beeindruckt, dass es für ihn quasi so was wie eine wie keine gibt.“

„Wataru hat wohl die wildesten Geschichten über mich erzählt, wie?“ Sêiichî wirkte leicht geknickt, ja doch beleidigt.

„Oh, nicht nur er, Iwamoto-san“, entgegnete Miwako äußerst keck und überlegen wirkend. „Inspektor Megure bekam von Takeshi Akaja persönlich den Auftrag, dass Sie besondere Betreuung benötigen, damit auch ja nichts schiefging. Daher bin ich bestens informiert.“

„Gleich noch vom höchsten Tier in Tokyo, damit es richtig sitzt?“ amüsierte sich Yumi und konnte sich fast nicht mehr beherrschen, so dass sie die Hand vor den Mund presste, dabei man aber das schadenfrohe Lachen aus ihren Augen herausfunkeln sah.

„Was gibt es da zu lachen? Ich finde überhaupt nicht, dass ich so etwas verdient habe, pff!“ kam von dem Schwarzhaarigen, der jetzt beleidigt den Kopf zur Seite wandte.

„Anscheinend ja schon, wenn sogar Takeshi Akaja es für nötig hielt“, amüsierte sich Yumi weiter und boxte ihm ein paar Mal mit dem Ellenbogen in die Seite.

Sêiichî fühlte sich sehr verschaukelt, weshalb ihn sogleich Halbmondaugen zierten, wenig später sogar noch ein regelrechter Schmollmund – selbst wenn er gewollt hätte, konnte er es gar nicht verhindern, dass es so weit kam. „Willst du dich gar nicht dazu äußern, Wataru? Schöner Freund bist du.“

„Aber mein lieber Sêi-chan, meine Hilfe wolltest du doch nie, wieso jetzt auf einmal? Kommst du etwa mit den beiden Frauen nicht alleine klar?“ Für einen so großen Weiberhelden wie ihn, jammerte er ja ganz schön rum, nur weil ihn zwei Frauen ein bisschen ärgern, da konnte er Hilfe von Wataru natürlich nicht erwarten.

„Ein bisschen Beistand hätte ich jetzt nicht schlecht gefunden, mein Lieber!“ beschwerte sich Sêiichî und wirkte jetzt doch ein bisschen verstimmt.

Seine Hand griff jetzt Yumis Arm, weil sie ihm nun zum wiederholten Male mit dem Ellenbogen in die Rippen geboxt hatte. „Das kann ich nicht leiden!“

„Meine Güte, verstehst du keinen Spaß mehr?“ Wataru klopfte Sêiichî mit einem heiteren Grinsen auf die Schulter. Früher hatte er mehr vertragen.

 

Anscheinend hatte Sêiichî etwas dagegen, wenn man sich Späße mit ihm erlaubte, nachdem er so etwas Ernsthaftes wie seine Freundin besprochen hatte. Sie konnten ja nicht wissen, dass das nicht der wahre Grund war, jedenfalls schien seine Laune jetzt ein bisschen weniger gut zu sein. Dieser Typ, er wollte wohl allen ernstes schmollen – fand Miwako ja eigentlich süß, weshalb sie ihrer besten Freundin ebenfalls einen Hieb in die Seite verpasste und sie dabei angrinste. „Hast wohl heute auch den Schalk im Nacken, dabei kennst du ihn doch gar nicht. Halt dich mal ein bisschen zurück, sonst schmollt er sich tot.“ Während Wataru und Sêiichî voran gingen, flüsterte Miwako ihr das zu und grinste breit. „Hast du etwa Langeweile?“

„Nein, es gibt nur so ein Kaliber von Mann, da kann ich einfach nicht widerstehen.“

Aufgrund dieser Aussage mussten beide anfangen zu lachen, was Sêiichî weiter vorne nur noch mehr zu Halbmondaugen brachte. Ausgelacht zu werden, fand er überhaupt nicht komisch, aber es war nicht das erste Mal, gerade Frauen schienen sich gerne üble Scherze mit ihm zu erlauben, dabei fand er überhaupt nicht, dass er es verdient hatte…

„Ach, jetzt schmoll nicht! Die Beiden sind immer so.“

„Was du nicht sagst, Wataru! So eine Frau hätte ich dir gar nicht zugetraut, alle Achtung. Und ich dachte, dass nur Ryochi wahnsinnig geworden ist, nun auch du.“

„Ach, meinst du, dass ich ihr nicht gewachsen bin? Ich habe in den letzten Jahren jede Menge dazu gelernt, musst du wissen. Außerdem kann man dasselbe von dir sagen“, kam von Wataru leicht beleidigt, aber er schien damit besser umgehen zu können, als Sêiichî, der fühlte sich meistens sofort direkt angegriffen. „Allein, dass du längere Zeit schon mit einer Frau zusammen bist. Damals hast du es doch kaum drei Monate mit einer Frau ausgehalten. Sorry, dass ich dir nicht abkaufe, dass das einzig und alleine daran liegt, wie schön sie angeblich ist…“ Wataru wurde oft unterschätzt und auch in diesem Fall bewies er, dass er nicht auf seinen Kopf gefallen war.

Überrascht aufgrund der Worte, sah Sêiichî ihn groß an – auf der einen Seite war er beeindruckt, auf der anderen sogar ein wenig schockiert.

„Ach, Wataru, ich wusste, dass aus dir ein guter Kriminalist wird“, erwiderte Sêiichî mit einem stolzen Lächeln, denn es traf in der Tat zu. Wataru hatte zum Trotz seines eigenen Vaters die Berufslaufbahn eingeschlagen, die sein Vater über alle Maßen verabscheute. Obwohl der junge Mann damals große Angst vor seinem eigenen Vater und dessen grausamen Methoden hatte, war er trotzdem zur Polizei.

„Du hattest damals auch schon einen großen Sinn für Gerechtigkeit, Sêiichî. Du hast doch nicht immer noch Ärger mit ihm, oder?“ Die Frage klang merkwürdig, immerhin war Wataru Kriminalist, also fürchtete er seinen Vater wohl nicht so sehr. Dennoch schien ihm noch immer das Aussprechen des Namens Probleme zu bereiten.

Yumis Blick ruhte auf Sêiichî, an den man gerade eine so seltsame Frage gestellt hatte, sie seufzte einmal, was sie nicht einmal erklären könnte…

„Was ist?“ wollte Miwako von ihr wissen und sie fühlte sich ertappt.

„Sie reden in Rätseln – aber das liegt doch gewiss an dieser Frau, nicht? Man sagt von ihr, dass sie jede Menge Geheimnisse hat. Nichts, aber auch gar nichts gibt sie von sich preis, man weiß nicht einmal, wer ihr Vater ist.“

Miwako wurde nachdenklich, um genau zu sein, gerade jetzt wurde ihr bewusst, wie wenig sie von Watarus Familie wusste. „Sehr merkwürdig…“

„Wieso, Miwako?“

„Wataru hat nie von seiner Familie erzählt – also zumindest nicht über mehr als seine kleine Schwester. Die durfte ich kennenlernen. Ich weiß nicht, was mit seiner Mutter und seinem Vater ist. Ob sie gestorben sind… oder wer weiß…?“ Miwako beobachtete sie weiter, dabei stellte sie sich die Frage, ob Sêiichî wohl mehr über seine Freundin wusste, als sie über Wataru…

„Ich hoffe, dass sie ihm genug Vertrauen entgegen bringt, um ihm ihre Geheimnisse mitzuteilen…“

Miwako hatte etwas sehr Trauriges in ihrem Gesicht. „Darüber solltest du dir nicht den Kopf zerbrechen“, entgegnete ihre Freundin mit einem Lächeln. „Und was ihn angeht. Manchmal gibt es zu gewissen Personen nichts zu sagen. Das hat in den meisten Fällen bestimmt nichts mit Misstrauen zu tun.“ Mit den Worten versuchte sie Miwako aufzubauen. „Mach dir darum also weniger einen Kopf. Ich muss langsam los. Halt die Ohren steif.“ Mit den Worten hatte Yumi ihren Gang beschleunigt und kämpfte sich dabei an Wataru und Sêiichî vorbei, wo sie einen kurzen Moment seine Schulter tätschelte und mit einem kleinen Grinsen an ihm vorbei huschend ihm ein „Itterashai!“ zuwarf, was Wataru nun doch einen Moment beschäftigte. „Die scheint dich echt zu mögen… Sagt sie nämlich nicht zu jedem.“

Miwako beeilte sich nun ebenfalls, um zu ihrem Partner zu kommen und neben ihm herzulaufen. „Yumi verhält sich ganz und gar seltsam – findest du nicht auch?“ Wann hatte sie schon einem fast Fremden so eindeutig Hals und Beinbruch gewünscht?

Sêiichî war stehen geblieben, so dass Wataru und Miwako es ihm gleich taten und ihn dabei musterten. Er war total weggetreten, jedenfalls hätten sie schwören können – außerdem starrte er Yumi nach, als hätte sie ihm gerade ihre Liebe gestanden.

„Komischer Typ“, murmelte Miwako und ließ Sêiichî dadurch einen leicht ertappten Blick zu ihr hinüber werfen, gefolgt von einem leichten Schweißtropfen, der ihm über die Schläfe ran.

 

„So!“ bestimmte Miwako mit harter Tonlage. „Jetzt wird aber gearbeitet!“ Mit diesen Worten dirigierte sie sowohl Wataru als auch Sêiichî zu ihren Arbeitsplätzen, wo sie Wataru sich selbst überließ und sich ganz und gar Sêiichî Iwamoto widmete. Eine kurze Weile hatte sie das Gefühl, er hörte ihr nicht einmal zu, weil er recht gelangweilt aus dem Fenster sah, als sie ihm einige Dinge über die Organisation im Ablauf erklärte. Sie wusste nicht, wie zuwider ihm Büroarbeit war. Dass diese ihn unendlich langweilte, so dass er seinen eigenen Gedanken nachhing und sie ihn mehrmals scharf ermahnte, woraufhin er sich mit einem typischen Lächeln versuchte herauszuwinden, was aber bei Miwako so gar nicht funktionieren wollte. Er lernte sie von ihrer besten Seite kennen.

 

Unterdessen stürmte aufgeregt die junge Politesse direkt ins Büro zu ihrer Freundin, was diese jedoch sehr verwunderte.

„Was machst du denn schon wieder hier? Ich dachte, du bist jetzt auf Streife. Hast du was vergessen?“

Yumi sah Miwako stutzig an und legte den Kopf schief. „Häh? Was soll das für eine blöde Frage sein, mhm?“

Sêiichî war kurz vor dem Einnicken, als er aber die Stimme der jungen Frau hörte, war er hellwach. „Oioi, nicht streiten!“ Sein Blick versuchte zwischen den beiden Frauen zu vermitteln, man hatte ihm jedoch erzählt, dass mit Miwako alles andere als gut Kirschen essen war, so dass ihr empörter Blick auf ihn gerichtet, ihn schon kurz erschreckte. Aber wer war er denn, dass ihn eine einfache Polizistin in Angst und Schrecken versetzen könnte?

„Seien Sie doch nicht so“, bat er Miwako und diese seufzte einmal kurz, auch wenn ihr das Verhalten von Yumi und Sêiichî schon vorhin merkwürdig vorgekommen war.

„Setze unserem neuen Kollegen ja keine Flausen in den Kopf! Ich kenne dich schließlich!“ tadelte Miwako ihre Freundin und diese verstand in dem Moment überhaupt nicht, was diese von ihr wollte und schmollte deswegen.

„Warum sollte ich? Du hast wohl zu heiß gebadet“, ärgerte sie sich und schenkte ihr Halbmondaugen, die ihr klar vermittelten, dass sie ein bisschen säuerlich war. „Du kannst es auch einfach direkt sagen, wenn du keine Zeit für mich hast, pöh!“

Sêiichî beobachtete Yumi, deren Verhalten ihn da an etwas erinnerte, was er in Los Angeles erlebt hatte – das war noch gar nicht solange her. Ein bisschen grinsen musste er schon. ‚Herrlich, die Beiden scheinen einen ähnlichen Charakter zu haben. Kein Wunder, dass… Ich platz gleich vor Lachen…’

 

Natürlich passierte rein gar nichts. Kein plötzlicher Einsatz, gar nichts. Nur langweiliger Papierkram.

Wataru, der am Computer saß und einige Berichte ausdruckte, um sie wenig später ihrem Chef zu bringen, war jedoch auch nicht ganz bei der Sache. Das Gespräch von vorhin beschäftigte ihn noch. Es war lange her, seit er seinen Vater das letzte Mal gesehen hatte… Damals waren sie zwei Polizeischüler und der tollkühne Sêiichî hatte sich vor ihn geschmissen, woraufhin ihn eine Kugel getroffen hatte. Nein, er wollte nie mehr daran denken, was damals geschehen war.

Sein Vater hatte damals wohl mit aller Gewalt versucht zu verhindern, dass Wataru die Laufbahn eines Polizisten einschlug. Kurz vor seinem Examen war es gewesen…

Er war eigentlich schon immer der ruhigere Typ von ihnen gewesen. Zwar waren sie mit dem Waffenumgang beide vertraut gewesen, so dass sie zielsicher auf eine Person schießen konnten, doch einer von ihnen hatte die Benutzung seiner Schusswaffe gescheut und gezögert, weshalb es zu diesem bedauerlichen Unfall gekommen war.

Ihm war damals schwergefallen, zu verinnerlichen, dass ein Polizist nicht zögern durfte, schon gar nicht in einer solchen Gefahrensituation. Auch heute erinnerte er sich noch genau daran, wie sehr man ihn kritisiert hatte. Er blickte direkt zu Sêiichî rüber, dem der Bürokram nicht lag. Nein, seine Qualitäten lagen ganz woanders, leider konnte man sich das bei der Polizei nicht immer aussuchen. Berichte schreiben mussten sie letztendlich alle.

Es zeigte sich sofort, dass Iwamoto kein Typ war, der gerne einsam vor dem Computer saß. Anders als Wataru, der Stunden langweilige Arbeit verrichten konnte, sehnte sich Sêiichî schon bald nach Abwechslung. Obwohl er sich Mühe gab, die ihm aufgetragenen Aufgaben abzuarbeiten, ging bei ihm schnell die Luft raus. Bis zum ersten Aufstöhnen dauerte es nicht lange, aber er beschwerte sich nicht bei Miwako. Sie hatte ein Auge auf ihn, damit er sich nicht von Kolleginnen ablenken ließ. Gerade zwei, die ihm gegenüber saßen, versuchten ihn immer wieder in ein Gespräch zu verwickeln. Da der junge Mann den Kontakt zu Frauen genoss, kam es einige Mal vor, dass er kurzfristig seine Arbeit niederlegte und sich mit ihnen unterhielt.

‚Reden kann er… und zwar nicht zu knapp…’ dachte sich Miwako, ließ ihn aber auch seine kleinen Momente, wo er sich ablenken ließ. Es waren meistens ein paar Minuten, bevor er sich wieder der Arbeit widmete, die er gewissenhaft erledigte, auch wenn es ihm wenig Spaß machte.

Bei Watarus Arbeitplatz klingelte das Telefon und er nahm ab, während er Dinge in den Computer eingab, mehrmals wiederholte er die Worte der Anruferin und verriet damit Details aus dem Anruf, den Sêiichî aufblicken ließ.

„Wir schicken eine Streife vorbei“, antwortete er, „die schauen sich das an.“

Er notierte etwas auf einem Zettel, unterhielt sich noch kurz und legte dann auf. Wenig später ging er zu Miwako hinüber und legte ihr den Zettel hin.

„Im Beika Park wurde eine Leiche gefunden. Offensichtlich handelt es sich dabei um eine 15-jährige Schülerin. Sie soll Schnittwunden an Armen und Beinen haben, außerdem wurde sie stranguliert. Die Passanten haben die Polizei alarmiert. Sie hat keine Personalien bei sich. Beim Vorbeigehen wurde sie entdeckt… Ich würde gern mit Iwamoto dahin und mich selbst darum kümmern.“

Sêiichî hatte sofort den Kopf erhoben, weil ihn der ruhige Ton von Wataru ein wenig wunderte. Sein Freund hatte sich wirklich sehr verändert. Damals wäre er noch total in Panik verfallen, wenn von Gewalt gegenüber Frauen die Sprache war. Er hatte nicht geglaubt, dass er in den drei Jahren so abgehärtet war, dass er dies ruhig und sachlich sagen konnte. Sogar in seinem eigenen Gesicht war zu sehen, wie er solche Taten verabscheute.

„Nehmt Megure mit!“ Damit hatte Wataru Miwakos Segen, auch wenn sie es merkwürdig fand, wie er so explizit nach Sêiichî gefragt hatte, als wenn er ihn vor dem trostlosen Innendienst befreien wollte.

Wataru zuckte zusammen, als Miwako ihnen das sagte.

 

Wirklich – warum hatte er darum gebeten, Iwamoto mitzunehmen? Um mit ihm in einem Polizeiwagen zu sitzen, über die Dinge zu reden, die er Miwako bislang verschwiegen hatte.

Beide schwiegen noch, wirkten wie zwei ganz normale Polizisten, die zu einem Einsatz fuhren – ruhig und gelassen, verrichteten sie Alltägliches. Sêiichîs fröhliches Gesicht vom Morgen war nun hart und kühl. Hier gab es rein gar nichts zu lachen – er hätte sich schlecht gefühlt, angesichts der Tatsache, um was es sich hier handelte. Die brutale Realität, die ihm schon als kleiner Junge begegnet war.

Das Böse, von dem man immer sprach, genauso wie vom Guten – existierte es wirklich? Lächerlich, wenn man so darüber nachdachte, wie viele Fälle sie im Jahr bearbeiteten, in denen man sich jedes Mal aufs Neue fragte, wie sehr ein Mensch doch die Beherrschung, den Verstand verlieren konnte… Dieses abgrundtief Böse und das pure Gute. Zum Teufel mit diesen Klischees!

„Warum sollen wir eigentlich Inspektor Megure mitnehmen?“ fragte Sêiichî in die Stille hinein, so dass Wataru ihn mit einem leichten Grinsen bedachte.

„Ach weißt du, er interessiert sich für dich, und will sich anschauen, wie viel du wirklich kannst. Du wirst deswegen doch nicht nervös?“

„Ach, wo denkst du hin, so was kann mich doch nicht erschrecken. So gut müsstest du mich kennen. Nur weil so ein Inspektor mir auf die Finger schaut. Glaub mir, Heizo ließ mir auch nur zu gerne auf die Finger schauen. Dann war da ja noch Kôji, der immerzu sich in alles eingemischt hat. Seit er Jura studiert, erinnert er einen ständig an irgendwelche Regeln.“

„Dabei dachte ich, dass er endlich damit aufgehört hat, dich zu ärgern…“

Sêiichî lachte auf. „Der mich ärgern? Ich glaube, dass ich eher ihn ärgere.“

Wataru war überrascht, vor allem vom gemeinen Gesichtsausdruck seines Freundes, denn er hatte in Erinnerung, dass Sêiichî niemals fies gewesen war. Zu niemandem.

„Solange wir auf Megure warten – glaubst du eigentlich, dass er das gewesen sein könnte? Wir haben eine getötete Schülerin…“

Sêiichîs erneut für kurze Zeit erheitertes Gesicht änderte sich mit einem Schlag in etwas Dunkles, Finsteres. Dieses Thema kostete ihn immer unglaublich viel – vor allem die gute Laune. „Du weißt doch, dass man sich erst ein Bild von der Sache machen muss. Es gibt auch andere widerliche Gestalten, die ein Mädchen anfallen, das muss nicht immer von ihm kommen.“ Was er wusste, behielt der junge Mann für sich, um Wataru nicht zu verunsichern. So angstfrei er vorhin vom Anruf geklungen hatte, er glaubte einfach nicht, dass das Thema für ihn gegessen war und er nun keine Angst mehr vor seinem Vater hatte, nur weil er eine Waffe trug…

„Du hast natürlich Recht, Sêiichî“, meinte Wataru mit einem leichten Seufzen. „Nenn mich nicht paranoid, aber ich habe das böse Gefühl, dass mein Vater in der Stadt ist.“ Der Inspektor wirkte, als er nun endlich die Person benannte, nicht wirklich verängstigt, sondern er hatte eine feste Stimme. Damals… Sêiichîs Blick fiel auf seinen Freund, der ihn mehr als verblüffte. Er hatte wohl nicht mehr vor, wegzulaufen.

„Es wäre wie ein Albtraum, wenn er hier wäre, oder?“

„Mittlerweile bin ich auf ihn vorbereitet…“

Der 23-jährige glaubte Wataru, denn er sah wirklich alles andere als eingeschüchtert aus, was ihn nun zu einem leicht fiesen Grinsen brachte. „Meinst du das wirklich? Auch dein Vater lernt dazu. Wie kommst du denn nur auf die Idee, dass er hier sein könnte? Nur dieser eine Fall… oder…?“

Wataru lächelte, schloss die Augen und gab einen spöttischen Laut von sich. „Weil es meinem alten Herrn ähnlich sehen würde, wenn er ausgerechnet dann in unser Leben tritt, wo der Pfad ins Glück führt. Nichts liebt er mehr, als Menschen zu entzweien. Er wollte ja sogar unsere Familie auseinander reißen. Wenn er nun erfährt, dass ich verlobt bin, wetzt er die Messer, das weiß ich ganz genau.“

Der Schwarzhaarige warf sofort einen Blick aus seinem geöffneten Fenster. Sein Freund hatte so verdammt recht. Keichiro Takagi trat immer ins Leben von Menschen, wenn sie gerade glücklich waren, das war ein nicht zu bestreitender Fakt. Auch in Los Angeles… Nicht einmal da hatte er gewisse Personen in Ruhe gelassen…

Sêiichî sah lieber hinaus, als dass er die Gesichtszüge zeigte, die Keichiro Takagi ihm auferlegte. Wenn er an ihn dachte, verspürte er manchmal Gefühle, die er nicht haben wollte… dachte Dinge, die ein Kriminalist nicht denken durfte… Das, was dieser Mann in ihm erweckte, war grausam und schrecklich, das Böse. Wenn man einer Person nichts mehr gönnte, dann war das auf keinem Fall gut. Nun, Sêiichî zählte diesen Mann zu den Personen, von denen er behaupten würde, sie hatten mehr als eine Chance gehabt, zu beweisen, dass sie dieser Gesellschaft dienlich sein konnten. Ein Kerl, der sich feige hinter dem FBI und einer Verbrecherorganisation versteckte, der damit seine eigenen Interessen versuchte zu verwirklichen. Um mit seinen Taten davon zu kommen, würde der Kerl alles machen. ALLES!

„Sêiichî? … Sêiichî…? Sêi-chan…?“

Erschrocken wendete er sich Wataru zu, der ihn mehrmals angesprochen hatte. Aber er war so vertieft in seine Gedanken, dass er die Worte wie durch einen Schleier wahrgenommen hatte.

„Hast du geträumt, sag mal? Woran hast du gedacht?“ Es gab Menschen, die würden ihm immer ansehen, wenn ihn etwas beschäftigte – neben Ryochi, bewies auch Wataru, dass er einen Sinn für solche Sachen hatte.

„Schon gut, nichts Schlimmes.“

„Ganz sicher?“ Überzeugt schien Wataru nicht zu sein, denn er wusste sehr genau, dass das Thema Väter bei ihm einen Stein ins Rollen brachte. Er wusste von Ryochi, dass Sêiichîs richtiger Vater verschwunden war und seine Mutter angeblich ermordet worden war – von einer Killerin. Wirklich detailreich hatte Shinas Verlobter allerdings nicht den Drang dazu gehabt, zu erzählen, wie all diese Dinge zusammenhingen. Als Kriminalist hatte aber auch Wataru Mittel und Wege Nachforschungen anzustellen – all die anderen, die ihn schonten, würden eines Tages noch schockiert sein, wenn sie wüssten, was er mittlerweile wusste. 



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