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Die Bremer Stadtmusikanten

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Die Bremer Stadtmusikanten

„... und wenn man dann noch nen Spruch bringt wie 'Wir sind 3 Musiker und 1 Drummer', hat man´s gleich verschissen“, meinte Hitsugi und fuhr sich mit den Fingern seine vielen Piercings rings um die Lippen ab.

Meto lachte und kippte sich einen Drink hinter die Bühne.

„Kriegst du auch ab und zu solche Sprüche auf die Ohren?“

Meto nickte grinsend.

Dann pfiff sich Hitsugi einen Schnaps rein. Sich mit Meto zu unterhalten, war bisweilen recht mühsam. Der redete ja nicht. Man konnte nur anhand seiner Mimik erahnen, was er von einem Thema hielt. Aber mit der nötigen Menge Alkohol gingen solche Monologe schon. Hitsugi mochte Meto und das Feiern mit ihm trotzdem. „Bei uns im Probenraum hängt schon ein Schild: 'Vorsicht vor tieffliegenden Drumsticks!'“, fügte Hitsugi kichernd an. „Ruka ist manchmal ziemlich angezinkt, weil wir ihn immer aufziehen, daß Drummer ja keine Musiker wären.“

Meto nickte wieder und kicherte albern. Er hatte vom Alkohol schon eine leicht gerötete Nase.

„Hätt er mal was richtiges gelernt“, referierte Hitsugi weiter. Er schwänkte sein leeres Glas wie einen Decanter, was der Barkeeper als Aufforderung nahm und fürsorglich sofort nachschenkte. Der Nightmare-Gitarrist dankte. „Weißt du, so ne Band ohne Drummer, das wär mal was Originelles. Sowas müssten wir mal machen. Kennst du eine Band ohne Schlagzeuger?“

Meto kicherte wieder, angelte sein smartphone aus der Hosentasche und suchte im Internet ein Bild. Dann hielt er Hitsugi den Bildschirm hin.

„Die Bremer Stadtmusikanten?“, las der Gitarrist ungläubig vor und schaute bedeppert auf das Foto einer Statue mit 4 Tieren. Nach einem Moment nahm er Meto das Handy aus der Hand und begann den Text dazu zu lesen. Eine deutsche Volkssage, soso ... „Klingt ganz witzig“, entschied er.

„Nyu-Nyu!“, machte Meto und imitierte eine Katzenpranke.

„Du willst die Katze sein?“

Der Drummer nickte eifrig und kippte sich grinsend einen weiteren Schnaps in die Rübe.

Hitsugi lachte leise. Der Alkohol wirkte. „Dann bin ich der Gockel!“, legte er fest. „Bunt genug bin ich ja, mit meinen vielen Tattoos und Piercings.“ Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und versuchte diese zu einem Hahnenkamm zu formen. „Wie seh ich damit aus?“

„Nyu-Nyu!“, miaute Meto wieder.

Hitsugi krähte lautstark wie ein Hahn durch die gesamte Bar.

Meto ließ wieder ein Katzengeheul los, dann ein Fauchen.

Und Hitsugi krähte wieder.

Dann ging der Barkeeper dazwischen und bat die beiden um Ruhe.

Lachend gab Hitsugi seinem Kumpel das Handy zurück. „Na, da brauchen wir aber noch zwei Mitstreiter, oder? Die Bremer Stadtmusikanten waren zu viert.“

Meto nickte und sah sich suchend um. Schließlich zeigte er feixend auf einen Tisch in der Ecke der Kneipe.

Hitsugi zog ein ungläubiges Gesicht, als er dem Fingerzeig folgte und durch den Alkoholdunst, den stehenden Zigarettenrauch und das dämmrige Funzellicht hindurch endlich ausmachen konnte, wer gemeint war. „Reita? Ernsthaft?“

Ein kindlich-begeistertes Herumhopsen. Meto schnappte Hitsugi an der Hand und zog ihn mit sich.

„Ein Gazetto? Für so ein Projekt? Glaubst du nicht, die sind sich zu fein dafür?“

„Nyu-Nyu!“, miaute der Schlagzeuger, als er am Tisch seiner Begierde angekommen war, und den blonden Bassisten mit großen, leuchtenden Augen anstrahlte.

Reita strich sich die Nasenbinde glatt und hob fragend den Blick. Mit Mejibray hatte er ja noch nie zu tun gehabt. Was wollte denn der Tattoo-Chaot von ihm?

Hitsugi hob grüßend die Hand. „Hi, Jungs.“

Reitas linke Augenbraue rutschte nach oben. Noch so ein tätowierter Freak. Gott-oh-Gott, hier musste irgendwo ein Nest sein. „Meto? Hitsugi?“, grüßte er die beiden im 'was-kann-ich-für-euch-tun?'-Tonfall.

„Wir sind die Bremer Stadtmusikanten!“, lallte Hitsugi mit träger Aussprache und hörbar alkoholisiert.

„Is' klar“, kommentierte Reita nur.

Satoshi von Girugamesh, sein Trink- und Tischgesellschafter, rollte mit den Augen.

„Ja, Meto ist die Katze, und ich der Gockel, weißt du?“

„Nyu!“

„Zu zweit“, bemerkte Satoshi ganz nüchtern, als wäre das das Dämlichste, was er seit langem gehört hätte. „Waren die Bremer Stadtmusikanten nicht zu viert?“

„Ja, wir suchen noch paar Teilnehmer“, gab Hitsugi zu.

Meto fuchtelte vielsagend in Reitas Richtung.

Der Bassist griff zunächst erstmal nach seinem Bierglas und nahm einen tiefen Zug, um Zeit zu gewinnen.

„Nyu!“ Meto kratzte sich mit einem nachgeahmten Katzenpfötchen bei ihm ein.

Reita seufzte resignierend. „Was ist denn noch frei?“

„Der Hund und der Esel.“

„Meinetwegen. Hund vielleicht“, stimmte er notgedrungen zu.

„Super! Dann brauchen wir bloß noch einen Esel!“

„Nyu-Nyu!“

Reita lachte. Die zwei waren einfach zu goldig. „Wuff-Wuff!“, antwortete er. Langsam schien auch er Spaß an der Idee zu finden.

Satoshi grenzte sich mit einer beidhändig abwehrenden Handbewegung ab. „Ohne mich, Freunde!“

Reita rutschte auf seiner Sitzecke etwas zur Seite und winkte Meto und Hitsugi einladend heran. „Kommt ran, setzt euch, wir trinken einen!“

„Nee-Nee! Wir brauch'n erst noch'n vierten Mitstreiter!“, hielt Hitsugi dagegen „Los, komm mit! Wir suchen!“

„Gut, ich trink nur noch schnell aus. Wuff-Wuff.“ Reita gab sich sein noch halbvolles Glas Bier auf ex und sprang hoch. „Tschüss, Satoshi!“

„Wen wollen wir fragen?“

Meto, Hitsugi und Reita scannten die Kneipe um sich herum. Aber ihnen wurde sehr schnell klar, daß sie hier keinen mehr finden würden. Sie waren die einzigen J-Rocker in dieser Absteige.

„Wir brauchen ne andere Location!“, bemerkte Reita.

„Nyu-Nyu!“

„Hündchen, bei Fuß!“, lachte Hitsugi.

„Halt bloß die Klappe, sonst beiß ich!“
 

Ohne zu zögern stürmten die drei aus der Bar heraus und auf die offene Straße. Reita hatte von irgendwo noch eine Flasche Bier zu fassen bekommen. „Fragen wir doch einfach Ruki!“, schlug er vor.

„Ich bin ja nicht lebensmüde!“

„Nyu!“

Reita schwankte auf dem Fußweg ein paar Meter weit voran und hakte sich schließlich bei Meto unter, um etwas mehr Halt zu haben. Auch er hatte sichtlich schon ein paar Bier mehr auf der Lampe, als er vertrug. Böser Alkohol. Gaaanz böse, dachte er und nahm noch einen tiefen Zug aus der sichergestellten Flasche.

„Nyu?“, machte Meto.

„Klar, bedien dich, mein F-Freund!“, stimmte der Bassist mit träger Aussprache zu und hielt ihm die Flasche direkt vor die Nase.

„Eh, lass mir auch no' wat übrig!“, ging Hitsugi dazwischen, als diese gluckernd immer leerer wurde.

„Nö, Pech. Kauf dir ne eigene. Isch binn'och nich die Wohlfahrt.“ Reita nahm das Bier wieder selbst in Verwahrung.

„Geizhals!“

„Wuff-Wuff!“

„Kickerikiiiee!“, krähte Hitsugi beleidigt zurück.

Meto lachte. Dann schlang er seinen noch freien Arm um Hitsugis Hals, um ihn mit sich zu ziehen. So wankten sie als Kette lebender Schnapsleichen von dannen. Meto schien schon eine ziemlich klare Vorstellung zu haben, wohin es gehen sollte, wie er da den einen halb im Schwitzkasten, den anderen am Arm, zielstrebig mit sich schleifte.
 

Als sie drei Straßen weiter in eine andere Bar einschwebten, hatte Reita sein Bier bereits zur Gänze vernichtet und schwankte beträchtlich. „Uh yeah! Nachschub!“, lallte er und stürzte sich mit dem Kopf voran direkt ins Geschehen.

„Wir sind auf Mitmacher-Fang!“, rief Hitsugi ihm in Erinnerung.

„Das eine musssssssss-ja det andere nüsch ausschließen“, artikulierte der Bassist und musste sich kurz am Türgriff festhalten. „Isch bin ers'ma am Tresen.“

„Nyu-Nyu!“

„Was ist denn, Meto?“, wollte der Nightmare-Gitarrist abgelenkt wissen, schaute noch dem verschwindenden Reita nach und überlegte, ob man den nicht besser unter Aufsicht halten sollte, wurde aber parallel dazu schon unnachgiebig von Meto in eine andere Richtung gezerrt.

Auf der Tanzfläche der Location entdeckten sie Tora und Saga von Alice Nine, die wohl auch gerade ihren Feierabend mit Partystimmung einleiteten. Sie tanzten gemütlich vor sich hin. Tora war in ein leichtes, nicht zu wildes Haare-ausschütteln verfallen, was wohl bei passender Musik zu einem Headbangen hätte werden können. Saga versuchte beim Tanzen in erster Linie den Cocktail nicht zu verschütten, den er in der Hand hielt. Meto klopfte Saga auf die Schulter, um sich ihm anzukündigen, und winkte breit grinsend.

„Na, aber hallo!“, brüllte Saga überrascht über den Lärm der Musik hinweg. „Du auch hier? Ich dachte, du hättest ne andere Stammkneipe!“

„Hi, ihr zwei!“, grüßte auch Tora über die wummernden Beats hinweg. „Was tut ihr beiden denn hier?“

„Wir spielen Bremer Stadtmusikanten!“, schrie Hitsugi zurück.

„Was!?“

„Bremer Stadtmusikanten!“, brüllte er nochmal und hatte schon jetzt das Gefühl, heißer zu werden.

„Nur ihr zwei?“

„Reita macht auch mit!“

„Reita?“ Tora schaute suchend in die Runde. „Ist er auch da?“

Die Musik wechselte. Ein inzwischen uralter, aber immer noch hexenkesselverdächtiger Song von The Gazette taktete auf. Sie sahen Reita, der mit seinem blonden Schopf wie ein Leuchtfeuer aus der tanzenden Menge herausstach, mit erhobenen Händen und deftig hüftenschwingend nähertanzen. Mit einer hielt er einen Plastikbecher voll Bier hoch, mit der anderen präsentierte er das Rockerzeichen aus weggespreiztem Zeige- und kleinem Finger. Ganz in seinem Element.

„Uns spielen sie hier nie“, maulte Tora.

Saga nickte nur miesepetrig und nippte an seinem Cocktail. Alice Nine waren halt kein Kaliber wie Gazette, die angesagteste Band wo geht. Aber er hatte keine Lust, über die dröhnenden Boxen hinweg eine bestätigende Unmutsbekundung zu brüllen.

Reita hatte sich derweile tanzend bis zu ihnen durchgearbeitet. „Na, ihr Esel? Wer von euch beiden ist es geworden?“, grinste er alkoholisiert.

„Wie, Esel?“

„Naja, uns fehlt doch noch ...“ Hitsugi machte eine weit ausladende, undefinierbare Armbewegung, wie Betrunkene sie zur Zeitüberbrückung nutzten, wenn es an den richtigen Worten mangelte. „... so'n vierter Teilnehmer da. Für die Bremer Stadtmusikanten, ihr wisst schon!“, klärte er die beiden Alice-Nine-Member auf.

„Nyu-Nyu!“

„Wuff-Wuff!“, lachte Reita und gönnte sich rückwärts schwankend einen gehörigen Schluck Bier.

Meto streckte bittend die Hände nach Reita aus und bekam daraufhin ebenfalls einen Mund voll von der kostbaren Brühe ab.

„Und wir sollen da jetzt mitmachen? Ich mach doch keinen Esel!“, empörte sich Saga.

Tora rempelte ihn feixend mit dem Ellenbogen an. „Würde aber gut zu dir passen.“

„Genau! Guck doch bloß ma' die Ohren! Und ... und die Nase!“, hängte sich Reita sofort albern mit rein.

Alle lachten – außer Saga natürlich.

„Na und? Dafür hab ich den Größeren!“, giftete der Alice-Nine-Bassist zurück. Und setzte dann ein überlegenes, schiefes Grinsen auf, als allen perplex das Gesicht einschlief.

Reita fing sich als erster wieder. „Das will ich sehen!“, entschied er und drückte Hitsugi mit einem überzeugten 'Halt mal!' seinen Bierbecher in die Hand.

Hitsugi sicherte sich gleich mal selbst eine Kostprobe des Inhaltes. „Reita, was wird´n das!?“, hakte er dann aber fassungslos nach, als er über den Becherrand hinweg beobachtete, was Reita trieb.

„Das will ich wissen!“, stellte der Gazetto enthusiastisch klar und zog seine Gürtelschnalle auf, was durch die alkoholbedingte Grobmotorik etwas schleppend voran ging.

„Nyu?“, quietschte Meto kläglich dazwischen.

„Reita! Lass deine Hose an!“, verlangte Hitsugi geschockt, als er zusah, wie auch der Reißverschluss noch abtauchte.

„Nix da! Wenn der behauptet, er hätte den Größeren, dann steht hier sofort ein Schwanzvergleich an!“

„Was!? Ich meine den Bass, Reita!“, präzisierte nun auch Saga panisch. „Ich hab den größeren Bass! Was hast du denn jetzt gedacht!?“

„Wieviel Sprit hast du schon intus, sag mal?“, mischte sich auch Tora mit ein. „Du bist ein Ferkel, ey!“

„Nein, ein Hund! Wuff-Wuff!“, machte Reita und begann anzüglich mit herausgestreckter Zunge zu hecheln.

Tora schnappte Hitsugi den Bierbecher aus der Hand und kippte Reita mit Pfeffer den gesamten Inhalt mitten ins Gesicht.

Eine Hand fiel von hinten schwer auf Hitsugis Schulter. Einer der Rausschmeißer. „Wenn die Herren mir bitte mal kurz nach draußen folgen würden ...!?“
 

Die Stille war um einiges eisiger geworden, während sie wieder durch die Straßen zogen und überlegten, wo sie um diese Zeit noch andere Musiker antreffen könnten. Nur Reitas leises Fluchen unterbrach dann und wann das Schweigen. Er versuchte immer noch, mit einem einzigen Taschentuch sein komplett versautes Oberteil zu retten. Ein denkbar aussichtsloser Kampf. Wenigstens saß nun dank Hitsugis Hilfe seine Hose wieder fehlerfrei und korrekt.

„Nyu-Nyu“, machte Meto tröstend.

„Tora hätte mir nicht gleich das ganze gute Bier drüberkippen müssen, Mann!“

„Wir haben immer noch keinen Esel“, jammerte Hitsugi, als würden Reitas triefende Haare und Klamotten dagegen zur Bedeutungslosigkeit verblassen.

Hitsugi blieb stehen und musterte nachdenklich ein Vehicle, das herrenlos an einer Hauswand lehnte. „Guck ma'n Fahrrad. Ich hab ne Idee. Damit könn' wa zu Hazuki fahren un' ihn fragen.“

Reitas in Alkohol eingelegtes Gehirn arbeitete etwas langsamer als erhofft. „Was für'n Husky?“

„Hazuki! Von Lynch!“

„Nyu!“, machte Meto und hielt ihm sein smartphone vor die bandagierte Nase, auf dessen Bildschirm ein Foto des besagten Kerlchen prangte.

„Ah, der.“ Reita kratzte sich ratlos am Kopf. „Dat Ding jehört uns aber nicht! Da steht ja nicht 'Leihfahrrad' dran.“

„Steht ja auch nich' dran 'KEIN Leihfahrrad', wa? Los, auf geht´s!“, nuschelte Hitsugi.

„Nyu!“

„Und wie woll'n wir zu fünft uff des eine Fahrrad pass'n?“

Der Gitarrist sah sich fragend um. „Fünf? War'n wir nich zuletzt noch zu dritt?“

„Eins – zwo – drei – vier – fünnef!“, zählte Reita ihm vor, wobei er Hitsugi und Meto jeweils doppelt zählte.

„Du hast dich selber vergess'n!“

„Dann sind wir ja zu sechst!?“

„Also wie jetzt!?“ Hitsugi wurde ungeduldig. „E'ner uff die Querstange vom Lenker, und einer uff den Gepäckträger! Ich fahre!“

Murrend klemmte sich Reita auf den unbequemen Gepäckträger des Fahrrades, das Hitsugi nur mit Mühe in der Senkrechten hielt, und versuchte sich irgendwie an diesem festzuhalten. Meto auf den Lenker zu bekommen, war noch schwieriger. Als auch das endlich bewerkstelligt war, trat Hitsugi mit Schwung in die Pedale ... und leierte die ganze Trio-auf-2-Rädern-Konstruktion auf direktem Weg in die nächste Hecke. Lautes Fluchen machte sich breit.

„Wo hass'u deinen Führerschein gemacht, ey!?“, schimpfte der Gazetto.

„Na, wenn ihr besoffenen Luder nüsch die Balance halten könnt ...!!!“

„Nyu-Nyu!“

„Lass mich fahr'n, wenn'u zu doof dazu bist!“, maulte Reita sauer.

„Gerne! Ich bin der Kikeriki vonne Truppe! Wenn ihr nich' mehr mit mir fahr'n wollt, kann ich auch fliegen!“

„Ja, und zwar gepflegt auf´s Maul!“

Im Haus, dessen Grundstücksgrenze die freundliche Hecke markierte, ging Licht an und ein Fenster auf. Ein trübes, verschlafenes Gesicht beugte sich auf die Straße hinaus und gab sich redlich Mühe, böse auszusehen. „Was soll denn der Tumult hier in meinem Vorgarten?“, rief es.

Den drei 'Stadtmusikanten' stockte erschrocken der Atem. Kurz herrschte Ruhe, da sich keiner getraute, etwas zu sagen.

„Zieht Leine, ihr elenden Alkoholiker! Feiert eure Party wo anders!“, rief es wieder.

„Scheiße, ist das Kyo?“, jappste Reita im Flüsterton.

„Ich glaub ja. Wohnt der hier? Kacke, lass uns abhauen! Ich hab Angst!“, zischte Hitsugi ebenso leise zurück.

„Nyuuuu~“

Kyo beugte sich weiter aus seinem Fenster heraus, um etwas zu erkennen. „Reita? Sag mal, bist du das?“, rief er herunter.

„Weg hier!“

Mit vereinten Kräften zerrten sie das Fahrrad aus der Hecke und sahen zu, daß sie Land gewannen. Ein wütendes 'Wart´s ab, wenn ich dich erwische!' wehte ihnen noch nach, wurde aber ignoriert. Erst hinter der nächsten Häuserecke hielten sie wieder an und nahmen sich die Zeit, sich wieder auf das Fahrrad zu basteln. Diesmal fuhr Reita. Dafür, daß er kaum geradeaus laufen konnte, hatte er das dreifach belegte Gefährt erstaunlich gut im Griff. Jedenfalls gerade gut genug, um mit der gesamten Breite der Straße auszukommen, ohne links oder rechts von selbiger abzukommen.
 

„Guck ma', da is' schon wieder so'n Konbini“, meinte Hitsugi irgendwann, nachdem sie schon eine ganze Weile geradelt waren. Er deutete auf einen bunt beleuchteten 24-Stunden-Laden entlang der Straße. „Schon der sechste.“

Reita schielte mühsam hinter seinem Rücken hervor. „Tatsächlich. Wusste gar nich', daß es hier so viele gibt.“

„Dann lass uns mal nen Stop einlegen und Treibstoff nachtanken. Ohne fährt 'n Fahrzeug ja schließlich nich'“, schlug Hitsugi vor. Auf der Lenker-Querstange wurde es auch langsam ungemütlich.

„Nyu-Nyu!“, machte Meto zustimmend.

„Meto, was wills'u haben?“, fragte Reita nach, bog in den kleinen, leeren 3-Parknischen-Parkplatz ein und vollführte eine ruckartige Bremsung, die Hitsugi hochkant nach vorn absattelte.

„Nyu!“

„Ach, ich bring dir einfach Bier mit.“

„Vollidiot!“, ächzte der Gitarrist, während er sich wieder vom Boden aufraffte und sich den Staub aus der Kleidung klopfte.

„Was denn? Hass'u nicht vorhin noch gesagt, du könntest fliegen, du Gockel?“, meinte Reita kopfschüttelnd.

Meto lachte.

„Für mich'n Alko-Pop!“, legte Hitsugi mürrisch fest.

„Geh mal selber. Meine Sachen stinken immer noch total nach ... du weiß'schon ... Bier, dank Tora. So werd ich da drin garantiert nich' bedient.“

Leise murrend – und etwas backbordlastig – verschwand der Nightmare-Gitarrist nach drinnen.

Reita und Meto stellten das Fahrrad sorgsam mittels Standfuß zur Seite und setzten sich dann einfach wartend mitten auf den Asphalt. Gegenüber stieg gerade ein Polizist aus seinem Streifenwagen, der sich wohl ebenfalls seine Dienstzeit durch einen Abstecher in den nächtlicherweise geöffneten Konbini erträglicher machen wollte.

Meto kläffte ein hohes, quietschendes 'Äff-Äff!', verdächtig nah an der Tonlage eines Chihuahuas, gefolgt von einem bösen Knurren.

Reita poffte ihn in die Seite. „Benimm dich vor'e Polizei ma' etwas unverdächtiger, Mann, du verrätst uns noch! - Und der Hund war übrigens mein Part!“

Der Polizist kam mit vielsagendem Blick näher, als hätte er schon Lunte gerochen, was Reita dienstbeflissen vom Boden hochspringen ließ. „Madame!?“, grüßte er mit einer übertrieben tiefen Verbeugung.

„Madame???“, gab der uniformierte Kerl sauer zurück.

„Sorry, war nicht so gemeint! Bloß ne blöde Floskel!“

„Nyu!“

Der Polizist musterte Reita mit seinen blonden Haaren und der Nasenbinde, und Meto mit den blauen Haaren und den Unmengen Tattoos und Piercings. Er nickte verstehend, als sei ihm schon alles klar, und verschränkte die Arme. „Unter normalen Umständen würde ich euch beide blasen lassen, meine Herren.“

Reita holte Luft und wollte schon mit einem 'Uh, wem soll ich einen blasen? Wann geht´s los?' herausplatzen, biss sich aber gerade noch rechtzeitig auf die Zunge. Er entschied sich stattdessen für: „Ich bin ein Hund, ich lecke lieber!“ Das der Kommentar keinen Deut besser war, bemerkte er erst aufgrund des blöden Gesichtes des Polizisten und Metos albernem Lachen. „Ähm ... äh ... das ... Missverständnis!“, stotterte der Bassist erschrocken und fuchtelte abwehrend mit den Händen.

„Hauch mich mal an!“, verlangte der Polizist gänzlich humorlos. Zu dumm, daß er gerade keinen Atem-Alkoholtest dabei hatte. Das hätte ihn bei diesen beiden Plinsen hier ja wirklich zu sehr interessiert.

„Oh, bitte, das bringt doch nichts“, versuchte sich Reita zu retten. „Mir wurde vorhin versehentlich ein ganzer Becher Bier über die Klamotten gekippt, sehen Sie? Mein Oberteil ist noch ganz nass! Deshalb rieche ich so nach Bier. Aber wir sind ganz nüchtern, ehrlich! Ehrenwort!“ Er zog vielsagend an seinem langsam wieder trocknenden Hemd. Beweisstück A.

„Nyu-Nyu!“, bestätigte auch Meto eifrig.

„Personalausweise!“, befahl der Polizist als nächstes. „Und was soll dieses ständige 'nyu-nyu', verdammt nochmal?“

„Wir sind die Bremer Stadtmusikanten. Er ist die Katze und ich der Hund“, erklärte Reita erst mit Deut auf Meto, dann auf sich und war stolz auf seine bilderbuchmäßig klare Aussprache. „Unser Hahn im Korb ist gerade da drin.“

Der Polizist zog ein Gesicht, als würden ihm hundert Lichter aufgehen. Ein Hund. Das Band über der Nase war dann ein Maulkorb, oder was? Alles klar. Er hatte es hier also nicht mit Betrunkenen zu tun. Das waren einfach nur ganz gewöhnliche Irre. Mit dieser Erkenntnis warf er lediglich noch einen halbherzigen Blick auf die Ausweise, die er nach einigem Suchen und Kramen endlich ausgehändigt bekam. Die Namen darauf kamen ihm von keinen Fahndungslisten oder ähnlich gearteten Suchbefehlen bekannt vor, also entschied er, seine Nerven zu schonen und die beiden einfach wieder laufen zu lassen. Sonst würde er heute keine schöne Spätschicht mehr haben. Er verabschiedete sich, nachdem er die Ausweise zurück gegeben hatte, und ging kopfschüttelnd seiner Wege. Was in Tokyo nicht alles frei herum lief! Haarsträubend!
 

Natürlich hatte Hitsugi nur Augen für seine Alko-Pops gehabt und auch jedem von ihnen einen mitgebracht, obwohl Reita und Meto Bier bestellt hatten. Reita war aber froh, zumindest nicht ganz vergessen worden zu sein, und nahm halt mit dem klebrig süßen Zeug Vorlieb, bevor er gar nichts mehr bekam. Nach dem Hochleveln ihres Alkoholpegels bestiegen sie wieder ihr Fahrrad und setzten ihre Reise fort. Bis zu Hazuki war es irgendwie weiter als gedacht.

„Reita, wann sin' wir endlich da?“, nörgelte Hitsugi auch sehr bald. „Ich hab schon ne Kante im Arsch. Wieso muss ich auf dem Lenker sitzen?“

„Weil du su blöd bist, su lenken, un' weil Hühner nu'ma' traditionell auf'e Stange sitzen tun. Und jetzt Klappe.“

Reita stieg erneut hart auf die Bremse und bescherte Hitsugi die zweite Flugstunde des Abends, als ihnen eine dunkle Gestalt in den Weg sprang. Schlingernd versuchte Reita das überladene Fahrrad zum Stehen zu bringen, ohne den vorausgeflogenen Hitsugi oder den mitten auf der Straße stehenden Kerl zu überfahren. Jetzt, so dicht vor seinem Lenker, erkannte er auch endlich das Gesicht. „Herrgott nochmal, Satoshi! Biss'u wahnsinnig? Ich hätt' dich über den Haufen fahr'n können, bei der Dunkelheit!“

„Du meinst wohl eher bei deinem Promille-Pegel!“, hielt der anklagend dagegen.

„Wie hass'u uns gefunden?“, wollte Reita immer noch verwirrt wissen. „Und überhaupt, wie konntest du uns su Fuß so schnell einhol'n?“

„Das war ja nicht schwer. Ihr fahrt hier schon seit ner halben Stunde im Kreis! Von der Kneipe aus konnte man euch gut beobachten!“

Reita wurde knallrot. Das erklärte dann auch, warum hier plötzlich so viele Konbinis gestanden hatten. Das war dann wohl immer der gleiche gewesen. „Shit“, kommentierte er nur und kratzte sich ratlos am Kopf.

Hitsugi kämpfte sich fluchend wieder auf die Beine und begutachtete einen Riss in seiner Jacke. Super. Jetzt war er nicht mehr nur ein Huhn, sondern ein gerupftes noch dazu. So ein verdammter Mist. „Ich hab kein' Bock mehr, die dumme Pute zu sein!“

„Hahn, Hitsugi!“, korrigierte der Gazetto selbstsicher. „Die Bremer Stadtmusikanten hatten einen Hahn!“

„Mir scheißegal! Ich tausche! Ab jetzt bin ich der Hund und jemand anderes kann auf Stangen sitzen und fliegen!“

„Nyu-Nyu!“

„Toll, als Spürhund findest du vielleicht auch den Weg zu Hazuki besser.“

„Nix da Hazuki!“, ging Satoshi streng dazwischen. „Ihr drei kommt jetzt mal schön mit zurück in die Kneipe!“

Sofort hatten alle drei leuchtende Augen. „Uh, lädst du uns etwa ein?“

„Ne Runde auf deine Kappe? Wie cool!“

„Nyaaa~!“

Der Girugamesh-Sänger stemmte die Hände in die Hüften. „Nein, ihr werdet jetzt artig eure Zeche docken! Ihr Helden seid vorhin abgehauen, ohne zu bezahlen! Der Wirt ist ausgeflippt, das kann ich euch sagen!“
 

Ein wenig deprimiert saßen Meto, Hitsugi und Reita in ihrer Sitzecke der Bar und schwiegen sich gegenseitig an. Nachdem sie die früher an diesem Abend schon verkonsumierten Spirituosen abgezahlt hatten, waren sie auch wieder bedient worden und saßen nun alle mit einem Bier oder Mischgetränk ihrer Wahl da. Satoshi hatte sich verkrümelt. Er sagte, er hätte genug Theater für heute.

„Wo kriegen wir jetzt nen Esel her?“, wollte Hitsugi irgendwann unmotiviert wissen.

Meto nahm einen großen Schluck von seinem schäumenden Bier. Danach gab er eine Serie von rülpsenden ö- und ä-Lauten von sich, die in Takt und Schwankung der Tonhöhen verdächtig rhythmisch und melodiös klangen.

Alle glotzten ihn perplex an. Dann jubelte Reita plötzlich begeistert auf und klatschte einmal in die Hände. „Wie geil! Er kann die Titelmelodie von Harry Potter rülpsen!“

„Sehr romantisch“, kommentierte Hitsugi weniger euphorisch. „Solange er sein Bier dabei drinnen behält ...!?“

„Das will ich auch versuchen!“, entschied Reita und schluckte etwas Luft in den Kehlkopf hinunter. Der Rülpser, der ihm daraufhin entfleuchte, klang aber eher wie ein klägliches, langgezogenes sich-übergeben mit der Akustik einer Kloschüssel.

„Niveau, Männer!“, verlangte Hitsugi.

„Nyu-Nyu!“

„Also, was nu'? Fahr'n wir zu Hazuki oder nich'?“, wechselte Reita das Thema.

„Weißt du denn, wie wir da hin kommen?“

„So ungefähr.“

„Dein letztes 'ungefähr' hat uns ne Stunde im Kreis halb einen fahren lassen ... ne Stunde auf halber Fahrt kreisen lassen ...“ Hitsugi schüttelte verwirrt den Kopf. „Ne halbe Stunde im Kreis fahren lassen!“, korrigierte er dann endlich.

„Nyu!“

„Wenigstens KONNTE ich noch fahren! Und wir hatten immerhin nen Konbini in der Nähe, um für Bölkstoff zu sorgen!“, verteidigte sich der Bassist gekränkt.

„Nyu!“, machte Meto wieder.

„Was denn, Mann, du weißt doch auch nicht, wo Hazuki wohnt!“, fuhr Reita ihn etwas gereizt an.

Der Drummer verschränkte vielsagend die Arme.

„Du weißt, wo er wohnt?“

„Nya!“

„Gut, du fährst!“, entschied Reita und sprang vom Tisch hoch. Sein Cocktail war ohnehin gerade alle.

„Ey, Tomodachi, vergiss nicht wieder zu bezahlen!“, rief Hitsugi ihm nach und setzte eilig sein Glas an, um schnell noch auszutrinken, bevor er hinterher hechtete.
 

Nachdem sie sich im gegenüberliegenden 24-Stunden-Discount mit Alkohol für unterwegs eingedeckt hatten, hatte Reita seine Meinung schon wieder geändert. Er würde selber fahren. Er traute Meto´s Radelkünsten nicht über den Weg. So war es diesmal an Meto, auf der Lenkerstange zu sitzen und zu navigieren. Hitsugi war nach hinten auf den Gepäckträger verbannt worden.

„Hitsugi, hör auf, mir am Hintern rumzufummeln!“, verlangte Reita nach einer Weile ziemlich genervt. „Biss'u schwul, oder was?“

„Ich fummel dir nich' am Hintern rum! Ich halte mich am Sattel fest!“

„Dann hör auf, dich am Sattel festzuhalten!“

„Irjendwo muss ich mich ja wohl festhalten!“

„Du kanns' deine Arme um mein' Bauch legen!“

„Und das is' nich' schwul? Ich will nich' mit dir kusch'ln!“

„Du kannst auch gerne laufen!“

Meto zeigte mit einem „Nyu-Nyu!“ richtungweisend in eine Seitengasse und unterbrach die Debatte damit vorübergehend, da Reita erstmal vollauf mit Lenken beschäftigt war. Sein sowieso schon etwas torkelnder und schlingernder Fahrstil sah für gewöhnlich keine größeren Richtungskorrekturen vor.
 

Ein paar Kreuzungen weiter standen sie tatsächlich endlich vor Hazukis Haus. Oder zumindest vor irgendeinem Haus. Einem, von dem Meto behauptete, Hazuki würde da drin wohnen. Alle Fenster waren dunkel. Und da es ein Mehrfamilien-Wohnblock war, überlegten sie so eifrig wie vergeblich, wie Hazuki wohl mit bürgerlichem Familiennamen heißen könnte. Denn 'Hazuki' stand benutzerfreundlich an keiner Klingel.

„Hahn, kräh mal!“, trug Reita dem Nightmare-Gitarristen auf und nippte hernach an seiner Flasche Bier.

„Wieso?“

„Damit der da oben wach wird. Der Hahnenschrei ist doch dazu da, früh alle zu wecken!“

„Aber doch ers' wenn'e Sonne aufgeht.“

„Nyu!“, mischte sich Meto zustimmend ein.

Hitsugi formte also, da niemand mit einer besseren Idee daher kam, die Hände am Mund zum Trichter. „Kra! Kra!“, brüllte er in voller Lautstärke an der Hauswand hinauf.

„Du biss'och keine Krähe!“, maulte Reita wieder und nahm noch einen Schluck Bier.

„Kokko-Kokko is' mir aber su doof!“

„Du wolltest doch unbedingt der Hahn sein.“

„Kräh doch selber!“

Ein Aufmerksamkeit heischendes 'Nyu' von Meto unterbrach sie und ließ sie wieder an der Hausfront hochschauen, wo sich tatsächlich gerade ein Fenster gnädig zu öffnen geruhte und Audienz gewährte. Der Lockenkopf, der darin in Erscheinung trat – anders konnte man das nicht bezeichnen – hatte allerdings nicht das erwartete Aussehen.

„Wer macht denn hier so nen Lärm? Oh, Meto, hi!“

„Nyaaa~!“, machte Meto abwehrend und zeigte schuldzuweisend auf Hitsugi. Er war ja nicht der, der hier rumgelärmt hatte.

„Hazuki, schläfs'u mit Perücke?“, rief Reita verdutzt hinauf.

„Hazuki? Hier wohnt kein Hazuki“, gab der nicht minder verdutzt zurück.

„Nyu-Nyu!“, versuchte Meto den Irrtum zu beheben und hielt Reita sein smartphone vor das Gesicht.

„Was ist denn passiert, Jungs? Braucht ihr Hilfe?“, wollte der wahrscheinlich-nicht-Hazuki besorgt von oben wissen.

Derweile hatte Reita das gegoogelte Bild auf dem Handy dreimal mit dem prinzenhaften Antlitz oben im Fenster verglichen, dann zündete endlich die Erkenntnis und ihm schlief das Gesicht ein. „Scheiße! Kamijo? Bist du das!?“, fluchte er unfein.

Kamijo verengte die Augen. „Wer denn sonst!?“

„Wir woll'n aber zu Hazuki! Kanns'u ihn bütte ma ans Fenster holen?“

„Hier wohnt kein Hazuki! Das sagte ich doch bereits!“

Hitsugi ging endlich mit einer wegwerfenden Handbewegung dazwischen, da er langsam den Eindruck hatte, Reita sei mit dem Gespräch überfordert. „Is'och egal. Du kanns' uns sicher auch helfen“, entschied er an den Versailles-Sänger gewandt.

„Das glaub ich langsam nicht mehr ...“, gab der nur vorsichtig zurück.

„Pass uff! Wir sin' die Bremer Stadtmusikanten, ja? Und wir brauch'n noch'n vierten Mann! Kanns'u vielleich' ma eben mitmachen?“, lallte er so stark, daß selbst Kamijo klar zu werden begann, unter welchen bewusstseinserweiternden, oder eher -einschränkenden Mitteln die drei Jungs gerade standen.

Kamijo rümpfte die Nase. „Wisst ihr, wie spät das ist?“

„Ach, der Abend is'och noch jung!“, hielt Hitsugi gegen.

„Und wieso sollte ich?“

„Meto kann die Titelmelodie von Harry Potter rülpsen!“, warf Reita ein, als sei das allein ja wohl Argument und Coolness-Faktor genug.

Meto pumpte sich auch sogleich mit Luft voll, um es vorzuführen. Es gelang ihm ohne Probleme und Fehler.

Kamijo schloss die Augen und massierte sich mit zwei Fingern den toten Punkt über der Nasenwurzel. „Ihr seid von ausgesuchter Geschmacklosigkeit.“

„Ja, echt ma'“, tadelte auch Hitsugi die beiden.

Zwei weitere Fenster gingen auf, fast synchron. Aus einem brüllte ein wütender, älterer Mann, daß er endlich schlafen wolle und sich diesen nächtlichen Krach verbitte. Aus dem anderen wurde ohne viel Umschweife ein Eimer Wasser geschüttet. Meto sprang weg wie ein Knallfrosch. Die Ladung traf auf direktem Weg Kamijo, der seinen Kopf genau darunter herausgehalten hatte, und Hitsugi, der noch weiter unten stand. Meto, Reita und der Mann, der gebrüllt hatte, lachten schallend auf.

Kamijo zog hyperventilierend Luft. „Shit, ist das kalt!“, jaulte er entrüstet.

„Na, wen'stens hat´s diesmal nich' mich erwüscht“, gackerte der Gazetto und nuckelte wieder zufrieden an seinem Bier.

„Nyu!“, kicherte Meto zurück. Sie gaben sich eine High Five.

„Ruhe jetzt, sonst ruf ich die Polizei!“, belehrte der alte Mann, der gebrüllt hatte, die Truppe noch und schloss dann amüsiert sein Fenster wieder.

„Seh ich auch so! Schert euch fort, oder ICH ruf die Polizei!“, stimmte auch Kamijo mit ein. Dann knallte er sein Fenster ebenfalls zu.

Hitsugi wischte sich mit seinem pitschnassen Ärmel einen Tropfen von der Nasenspitze. Er war so sprachlos, daß er gar nichts sagen konnte. Also winkte er nur kommentarlos dem blonden Bassisten, eine neue Flasche Bier her zu geben. Er brauchte jetzt dringend was auf die Lampe.

„Na schön. Also Meto weiß offensichtlich au' nich', wo Hazuki wohnt. Und wir ha'm immer noch kein' Esel“, stellte Reita fest.

„Isch pfeif auf Esel! Isch geh heim!“, maulte Hitsugi.

„Aber dann brauch'n wa ja auch noch'n neuen Gockel!“

„Nyu!“

„Mir sch-scheißegal!“, nuschelte der Gitarrist. „Will kein blöder Stadtmusikant mehr sein, aus, basta.“

„Aber Meto kann doch die Titelmelodie von Harry Potter rülpsen!“, warf Reita hellauf begeistert ein, als wäre das das Allheilmittel und Antwort auf alle ungelösten Fragen der Menschheit.

„Lass es!“, zischte Hitsugi genervt, noch ehe der Mejibray-Drummer loslegen konnte.

„Nur weil'u geduscht worden bist? Ich bin auch geduscht!“

Meto verzichtete darauf, ein bekräftigendes Katzen-Miauen einzuwerfen. Er war als einziger noch trocken und wollte die beiden Kollegen nicht auf den Trichter bringen, daß man das um der Gerechtigkeit Willen ändern müsse.

„Meto, du Leuchte von einem Orientierungssinn! Du hast mich hier her gebracht, jetzt sieh auch zu, daß ich wieder heim komme!“, verlangte Hitsugi schlecht gelaunt.

„Nyu!“ Meto eilte mit eingezogenem Kopf voraus.

Reita packte das Fahrrad bei den Lenkergriffen und schob es zwei Schritte, um verwirrt auch schon wieder stehen zu bleiben. „Meto, sin' wir nich' aus der anderen Richtung da gekomm'?“

„Nyu-Nyu!“

„Nö, üch glaub, wir sin' von dorten gekommen!“, warf Hitsugi seinen Vorschlag in die Runde und deutete mit der Öffnung seiner Bierflasche in noch eine dritte Richtung der Kreuzung, wie beim Flaschendrehen. Hektisch richtete er die Flasche wieder auf, nachdem er dabei bereits einen nicht unwesentlichen Teil des Alkohols verschüttet hatte, was sein benebelter Verstand aber erst mit Verzögerung registrierte. Schnell nahm er einen großen Schluck von dem Bier, bevor noch mehr Unglück geschehen konnte.

„Ich sage, wir müssen da lang!“, beharrte Reita.

„Und isch sage, da!“

„Nyu!“

Es entbrannte ein erbitterter Streit zwischen Reita und Hitsugi, aus dem Meto sich letztlich heraus hielt. Der Drummer setzte sich auf die Bordsteinkante und wartete, bis man seiner Dienste wieder bedurfte oder sich anderweitig einig geworden war.
 

Einige Minuten, ebensoviele Polizeiruf-Drohungen und einen Eimer Wasser später, der diesmal niemanden getroffen hatte, weil sie mitten auf der Kreuzung zu weit vom Haus entfernt waren, lag Meto bereits der Länge nach auf dem Gehweg und war im Alkoholrausch glücklich eingeschlafen.

„Gut, machen wir´s so: ...“, entschied Reita irgendwann sauer. „Wir werfen 'ne Münze. Bei Zahl geh'n wa in deine Richtung, beim Bild in m-meine.“

„Und wenn Meto mit seiner Richtung Recht hatte?“, gab Hitsugi zweifelnd zurück.

„Dann wer'n wir dat früher oder später scho' merk'n.“

„Einverstanden. Rück 'ne Münze rüber.“

„Wieso ich?“, hakte Reita unwillig nach und trank aus seiner Bierflasche.

„Weil´s dein Vorschlag war!“

„Du kanns' auch mal wat mach'n! Üch hab schon d'n guten Vorschlag geliefert! Da kanns'u die blöde Münze liefern!“

Murrend klaubte Hitsugi eine 100-Yen-Münze aus seiner Hosentasche, versuchte sie umständlich auf seinem geknickten Zeigefinger und seiner Daumenkuppe zu balancieren und sah Reita nochmal irritiert an. „Also wie? Zahl, deine Richtung, Bild, meine?“

„Nee, Zahl: DEINE Richtung!“

„Nja sag ich doch, deine!“

Jetzt kniff Reita ebenso verwirrt die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen – und das wollte für einen Japaner, der ohnehin schon schmale Schlitzaugen hatte, was bedeuten. Über seinem Kopf ploppte ein beinahe stofflich sichtbarer 'Anfrage-wird-bearbeitet'-Ladebalken auf. Nach einer Weile vergeblichen Nachgrübelns winkte er ab. „Egal, wirf einfach, Mann, damit wir hier mal weg kommen.“

„Gut!“ Hitsugi schnippste die Münze auf seinem Zeigefinger mit Pfeffer ... direkt in die nächste Gulli-Ritze, wo sie verschwand.

„Idiot!“, heulte Reita auf. „Du bis' kein Hahn, du bis' wirklich'n dummes Huhn!“

„Halt die Klappe! War'n ja nich' deine 100 Yen!“, maulte Hitsugi zurück und warf sich neben dem Gulli auf den Bauch, um in die Kanalisation hinunter zu schauen. „Mist. Du bist doch der Hund! Los, such die Münze! Such!“

„Du mich auch!“, grummelte Reita, der sich zumindest schon auf die Knie herab gelassen hatte, um ebenfalls einen Blick zu versuchen. „Hass'u nich' ne neue Münze?“

„Nee, war die letzte. Hab nur noch Scheine.“

„Schöner Schlamassel“, bescheinigte Reita. Er hatte auch nur Scheine einstecken.

Unschlüssig steckten sie die Nasen in den muffigen Abfluss und überlegten. „Erkenns'u was? W-Wie rum is' sie denn gelandet?“, wollte Hitsugi wissen.

„Ich seh nüscht.“

„Üsch au' nich'.“

Reita setzte sich wieder auf und nippte nachdenklich an seiner Flasche, um festzustellen, daß diese inzwischen leer war. Ach Mann, so machte das doch keinen Spaß! „Meins'u, Meto hat noch Münzen?“

„Den könn'wa ja nich' mehr fragen.“

„Dann lass uns einfach geh'n“, nuschelte Reita müde. „Du has' Recht, und ich keine Lust mehr. Hauptsache wir komm' endlich hier wech.“

„Un' was machen wa mit Meto? Den könn'wa ja nich so hier inne Geg'nd rumliegen lassen, oder?“

„Hassu Angst, es fällt jemand drüber?“

„Nee. Aber der Rest seiner Band wird uns den Arsch aufreißen. Mit Tsuzuku will ich mich nich' anlegen.“

„Dann tragen wir'n.“

Tateifrig quälten sich die beiden von ihrem vergitterten Fenster in die Unterwelt hoch, wenn auch vom Alkohol etwas schwerfälliger als sonst. Hitsugi leerte seine Flasche ebenfalls, packte sie sorgfältig weg, und feuerte sich dann erstmal eine Zigarette an. Derart mental vorbereitet sah er sich nun auch in der Lage zu weiteren Handlungen. Er schnappte Meto bei den Fußgelenken, Reita ihn bei den Händen, und so trugen sie ihn zwischen sich baumelnd wie eine Hängematte. Ehrlicherweise schleiften sie ihn eher mit dem Hintern über den Asphalt, als daß sie ihn trugen. Und sie wurden es auch nach wenigen Metern bereits wieder leid, weil es nicht so komfortabel war, wie sie sich das zuerst gedacht hatten.

„Was mach'n wa überhaupt mit dem Fahrrad?“, fiel Reita ein, als sie Meto wieder auf den Boden zurück geworfen hatten und nun nach einer besseren Lösung suchten. „Dat müss'n wir ja auch noch mitnehmen.“

„Ich weiß was!“, fiel Hitsugi ein, nicht ohne stolz auf sich zu sein. „Häng Meto einfach über den Lenker!“

„Wie?“

„Na so!“ Der Gitarrist machte mit der Hand eine unbestimmte Parabelflug-Bewegung, aus der man sich allein nicht viel nehmen konnte. „Wie über ne Wäscheleine! ... Ich zeig´s dir! Halt du das Fahrrad!“, trug er dem Bassisten auf und gab sich Mühe, den ungerührt weiterschlafenden Meto irgendwie hoch zu hieven.

Reita sah sich das Ergebnis zwischen begeistert und befremdet an, als der Nightmare-Gitarrist fertig war und sie beide mit Mühe das Fahrrad in der Senkrechten hielten. Immerhin schien der Transport stabil und sicher von statten zu gehen. Sah nicht aus, als könnte Meto da von alleine wieder runterfallen. „Nu' hab'n wa ja doch 'nen Esel. Einen Packesel quasi“, kommentierte er nur.

„Det Ding heißt nich' grundlos Drahtesel“, feixte Hitsugi. „Nu aber weg hier, bevor doch noch wer die Bullen ruft!“
 

„Kommt dir die Gegend auch zunehm'd bekannt vor?“, wollte Hitsugi wissen, nachdem sie das Fahrrad, einer links, einer rechts, schon eine ganze Weile mehr oder weniger ziellos durch die Straßen geschoben hatten.

„Ja. Ich glaub', hier sinn'wa schonma' lang gekommen“, meinte Reita.

„Na hoff'tlich nich' schon dat fünfte Mal, weil wa immer im Kreis laufen, wie letztes Mal.“

Reita gab nur einem hmpf-Ton von sich und nippte an seiner Bierflasche. Sie kamen in der verlassenen, leergefegten Straße an einem Laden vorbei, der zwar zu so später Stunde schon geschlossen hatte, aber vor dem noch einen Fahrradständer auf dem Gehweg stand. „Pause?“, schlug er vor.

„Yoah, bin dafür.“

Sie bugsierten das Fahrrad mit dem über dem Lenker hängenden Meto mit Müh und Not in das Gestell, so daß es nicht umfallen konnte, und setzten sich dann erstmal erleichtert mitten auf den Fußweg. Irgendwie wäre es schön gewesen, wenn sie mal irgendwelchen anderen Menschen begegnet wären, um nach dem Weg zu fragen. Oder wenigstens einer Kneipe, in der sie absacken konnten. Aber da das hier eine Fußgängerzone zu sein schien, fanden sie nichtmal ein Taxi.

Reita räumte seine leere Bierflasche säuberlich wieder zurück in die Einkaufstüte, die am Lenker hing, und sucht eine noch ungeöffnete. Leider fand er nur noch eine Dose von diesem widerlichen Alko-Pop-Zeug, aber egal. Er öffnete sie und goss sich einen gehörigen Schluck von dem süßen Gesöff in den Tank. „Schlechte Nachrichten, Freunde: Das ist die letzte Dose“, erklärte Reita dann, indem er sich wieder neben Hitsugi auf den Fußboden setzte.

Hitsugi warf sich entrüstet herum, riss Reita ganz zu Boden und begann ihn mit beiden Händen zu würgen und durchzuschütteln. „Die letzte Dose ist meine! Spuck es aus! Spuck das sofort wieder aus!“

Reita versuchte zwischen Schreien und Lachen die Dose so zu halten, daß er den restlichen Inhalt nicht komplett verschüttete, Hitsugi sie ihm aber auch nicht wegnehmen konnte. Das machte ihn aber gleichzeitig halbwegs wehrlos, da er keine Hand mehr frei hatte.
 

Die Rauferei kam augenblicklich wieder zur Ruhe, als sich die beiden unvermittelt beobachtet fühlten. Neben ihnen war eine düstere, schmächtige Gestalt aufgetaucht. Die Füße geschlossen, die Hände in den Jackentaschen vergraben, so stand sie da, als stünde sie schon seit Ewigkeiten dort. Und musterte die Szene aus kühlen, emotionslosen Augen. Wie ein unparteiischer Richter. Keiner der beiden hatte das Kerlchen kommen sehen, daher war ihnen dieses gruselige Erscheinen aus dem Nichts derwegen etwas befremdlich. Langsam, ja regelrecht kleinlaut, ließen Reita und Hitsugi wieder voneinander ab, als könnten schnelle Bewegungen den Neuankömmling provozieren.

Der junge Mann trat einen Schritt vor, näher ins Licht einer Laden-Leuchtreklame, und da erkannte Hitsugi ihn auch endlich. „Mensch, Tomo, hass'u mich erschreckt! Musst du dich so anschleichen?“

„Tomo?“, überlegte Reita laut. Er richtete sich schnell seine verrutschte Nasenbinde und überlegte fieberhaft, wo er den Genossen einordnen musste. Wenn er ein Freund von Hitsugi war, lag es wohl nahe, daß es sich um einen Musiker handelt. Aber das Musikbusiness war inzwischen so weitläufig und groß geworden, man konnte kaum noch jeden kennen.

„Was in Gottes Namen treibt ihr hier?“, wollte der Mann verständnislos wissen. Das Bild, das sich ihm bot, erschloss sich ihm absolut nicht. Zwei sich auf dem Boden wälzende Kerle, okay. Aber, daß er dann auch noch Meto bäuchlings und mit dem Hinterteil als höchstem Punkt über einem Fahrradlenker hängen sah, war für seinen Geschmack entschieden zuviel. „Lebt der noch?“

„Jepp. Pennt bloß“, grinste Reita, als wäre diese Transportidee eigens von ihm und patentverdächtig.

„Reita, dat is' Tomo. Von Dadaroma. Auch Bassist, wie du. Tomo, det is' Reita ... naja, isch schätze, du weißt, wer der Kerl ist“, stellte Hitsugi die beiden einander vor, da er Reitas unschlüssigem Gesichtsausdruck zu entnehmen glaubte, daß die beiden sich wohl noch nicht kannten.

„Angenehm!“, meinte Reita grüßend.

„Aber sach' ma', wo du einmal hier stehst ...“, fuhr Hitsugi fort. „Kanns'u uns sagen, wo wir hin müssen?“

Tomo versuchte einen Moment sichtlich, den Sinn dieser unvermuteten Frage zu verstehen. „Keine Ahnung. Wo müsst ihr denn hin?“, drehte er die Frage dann um.

„Das wiss'n wa ja auch nich'. Darum frag' isch doch dich!“

„Woher soll ich denn wissen, wo ihr hin müsst?“, wollte Tomo leicht verzweifelt wissen. An der nur halb ausartikulierten Sprache hatte er schon mitbekommen, daß hier etwas zuviel Alkohol in die Weg-Berechnung eingeflossen war, aber Hellseher war er ja nun auch nicht. Wie handhabte man Leute, deren Alkoholpegel dem eigenen so haushoch überlegen war?

Reita gab einen quietschenden Ton von sich, als hätte er einen tollen Einfall, für dessen Verkündung er gern die Aufmerksamkeit der anderen gehabt hätte. „Meto kann die Titelmelodie von Harry Potter rülpsen!“

„Boar, nicht schon wieder!“, stöhnte Hitsugi.

Tomo lachte. „Nein, kann er wohl nicht. Er ist ja gerade vorübergehend nicht zu erreichen, wenn ich mir den so angucke.“

Reita winkte enttäuscht ab und drehte sich weg. Wieso nur hatte niemand Respekt vor dieser tollen Fähigkeit von Meto? Er trank gurgelnd den Rest aus der bunten, ekeligen Alko-Pop-Dose leer.

„Bier kann ma' nich' kaufen, nur mieten. Isch muss mal recht nötig auf´s Klo“, schnitt Hitsugi derweile ein neues Thema an.

„Wundert mich nicht, wenn ihr hier auf dem kalten Asphalt rumsitzt“, gab Tomo nüchtern zurück. „Aber ich kann euch sagen, wo die nächste öffentliche Toilette ist.“

„Super, du bissein Held des Alltags!“, blökte Hitsugi. „Hassu vielleicht auch Kleingeld, damit isch da rein komme?“

Einem unvermittelten Fluchtreflex folgend lief Tomo schonmal los. Er ließ die Frage unbeantwortet. Aber erst auf sein gerufenes 'Kommt ihr?' quälte sich Hitsugi schwankend auf die Beine, Reita kein Stück sicherer, und die zwei hoben das Fahrrad wieder aus dem Ständer.
 

Reita redete schon mit der Glasflasche, seit sie das geschlossene Ladengeschäft hinter sich gelassen hatten. Das Geschäft hatte zwar zu gehabt, aber davor stand freundlicherweise ein Getränkeautomat, in dem man auch nach Ladenschluss noch alles fand, was Körper und Geist brauchten. Woher Reita plötzlich doch wieder Münzgeld gehabt hatte, hatte er Hitsugi nicht plausibel erklären können. „Ah, und wo kommste her?... Aus Taiwan?“, wollte Reita von seiner halbleeren Bierflasche wissen.

„Hör schon auf, det is einheimische Plörre!“, maulte Hitsugi von der Seite schlecht gelaunt. So viel Münzgeld, um Hitsugi auch noch ein Bierchen aus dem Automaten zu ziehen, hatte Reita nämlich dann doch nicht mehr gehabt. Oder nicht haben wollen, wer wusste das schon.

„Sie sacht aber, sie wär aus Taiwan!“

„Sie lügt!“, behauptete der Gitarrist und schob sich mit der Zunge ein Piercing auf der Lippe hin und her.

„Hörs'u das, Süße? Er sagt, du lügst!“, erklärte Reita der Bierflasche, dann nahm er einen tiefen Zug von ihrem Inhalt.

„Was sacht'se denn noch so?“, hakte Hitsugi nach.

„Dat ich'n heißer Bursche bin!“

„Sie lügt! Ich sach's ja!“

Tomo, der schon eine Weile mehr oder weniger voraus gerannt war, rollte mit den Augen. Bloß Abstand zwischen sich und den Betrunkenen halten. Sonst brachte man ihn am Ende noch mit denen in Verbindung. „Was tut ihr überhaupt hier?“, wollte er doch irgendwann über die Schulter nach hinten wissen.

„Wir sinne Bremer Stadtmusikanten, weeste?“, lallte Reita.

„Ja, wir brauch'n noch'n Esel. Hassu nich' vielleischt Lust, mitsumach'n?“

„Kacke!“, fluchte Reita in diesem Moment, weil ihm der Lenker aus der Hand rutschte, auf dem sie ihren laut und deutlich schnarchenden Katzenkameraden balancierten. Die mit dem Kopf nach unten hängende Haltung war wohl nicht gut für die Atmung. Das Fahrrad polterte samt Meto geräuschvoll zu Boden, da Hitsugi das Gefährt allein nicht mehr aufrecht halten konnte.

Meto wachte auf, sah sich ein wenig verdattert in der Runde um, sprang dann auf und wankte eilig davon.

„Meto! Bleib hier! He!“, rief Reita ihm nach.

„Ja, wo wills'u'en hin?“

Über ihnen ging das Licht an und ein Fenster auf. „Was soll denn immer noch dieser Krawall hier? Hier wollen Leute schlafen!“, brüllte jemand sauer herunter.

„Alter, dat is' schon wieder Kyo!“, keuchte Hitsugi fassungslos, der sich eben schwerfällig nach dem Fahrrad gebückt hatte.

„Echt? Hier auch? Wieviele Häuser hat der denn hier in Tokyo?“, wollte Reita, plötzlich stocknüchtern, wissen.

„Reita? Bist du das schon wieder?“, brüllte der Dir-en-Grey-Sänger herunter.

„Du Pflaume! Det is' immer noch das gleiche Haus! Wir sin' auf dem Hinweg schonma' hier lang gekommen!“

„Achso ...“

„Wart´s ab, bis ich runter komme!“, drohte Kyo von oben und schmiss das Fenster scherbelnd wieder zu.

„Ich hau ab!“, entschied der Ertappte.

„Ich auch!“ Hitsugi drückte Tomo den Fahrradlenker in die Hand und war schon eiligst um die nächste Ecke verschwunden.

Reita hechtete stattdessen in die Richtung davon, die Meto eben genommen hatte.
 

Tomo sah sich verdattert in der engen Straße um. Nach links und rechts, wo keine Menschenseele mehr zu finden war, nach oben zum Fenster, in dem immer noch Licht brannte, und auf das Fahrrad, das er hielt. Was bitte hatte er jetzt verpasst oder falsch gemacht? Wieso stand er mutterseelenallein mit einem Fahrrad in einer fremden Straße? Und ... oh, verdammt, Kyo! Ehe Tomo daran denken konnte, ebenfalls die Flucht anzutreten, ging die Haustür auf und ein kurzgeratener, zerwuschelter, oberkörperfreier Dir-en-Grey-Sänger kam aus dem Haus getobt wie ein wütender Stier.

„Du hast also mein Fahrrad geklaut!“, stellte Kyo sauer fest. „Stell das sofort wieder da hin, wo´s hin gehört!“

Tomo zeigte etwas hilflos in die Richtung, in die Hitsugi verschwunden war, brachte aber in seiner Verwirrung nur ein „Äh, ist das dein Fahrrad?“ heraus.

„Wenn du wieder mit Reita Party machen gehst, dann sucht euch nen anderen Stadtteil, du elender Säufer!“

„Ich ... äh ... war das nicht! Ich war nicht mit Reita ...“

„Ich hab ihn genau erkannt!“, blaffte Kyo.

„Ja, sicher, er war´s ja auch! Aber saufen war ich mit ihm nicht!“

„Natürlich! Ihr wart zu dritt, Reita, Hitsugi und noch jemand! Das warst du!“

„Ich ... was!?“, jammerte der Dadaroma-Bassist geschlagen und zeigte wieder hilflos die Straße hinunter, diesmal die Richtung, die Meto und Reita eingeschlagen hatten, brachte es aber wieder nicht zustande, Kyo die Zusammenhänge zu erklären.

Kyo schnappte ihm den Lenker seines Fahrrades aus der Hand und schob sein Gefährt zurück zu der Hauswand, an der es ehedem gelehnt hatte. Mit einer Hand entfernte er den Beutel voll Pfandflaschen und -dosen und warf diesen in hohem Bogen auf die Straße. In seiner schlechten Laune war ihm alles egal. „Einfach mein Fahrrad klauen. Der Polizei melden sollte man diese Kerle“, maulte er vor sich hin.

„Kyo?“, machte Tomo endlich, als er sich wieder gefangen hatte.

„Was!?“

„Wenn du schon Fahrräder zum Klauen rausstellst, dann pump wenigstens die Reifen auf, Mann! Das ist ja lebensgefährlich!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von: abgemeldet
2017-12-07T09:45:10+00:00 07.12.2017 10:45
sehr geil XD
Antwort von: Futuhiro
07.12.2017 17:36
Danke-Danke. ^^
Von:  JINO
2017-10-08T03:05:39+00:00 08.10.2017 05:05
Muahhhhhaaaahhahhhhhahhhhaaaa

Ich bin vor lachen fast gestorben ey!

Ich musste ins Kissen lachen... wollte kein Mimimi Nachbar an der Backe haben ... xD

>>"Meto kann die Titelmelodie von Harry Potter rülpsen!"<<
der Kracher... xD

lg
Antwort von: Futuhiro
08.10.2017 10:55
Vielen Dank, das freut mich riesig. ^_^
Ich bin gerade total gut drauf, weil die Story so gut anzukommen scheint. ^//^
Von:  Goesha
2017-10-07T18:19:49+00:00 07.10.2017 20:19
Hab ich die Nacht bis um 2 noch gelesen und hab so gelacht. Gut, dass die anderen dadurch nicht aufgewacht sind. Die hätten wahrscheinlich so reagiert wie Kyo. XDDD
Gut geschrieben und vor allem witzig. Genau mein Ding! ^^
Man konnte auch teilweise mitraten. Kyo hab ich gleich erraten aber z.B. auf Kamijo wäre ich nicht gekommen. XD
Die drei sind schon ein paar Chaoten und dann immer diese Anspielungen. Als Saga meinte er hätte den Größten, dachte ich er meinte, er hätte den größten Zinken. Oder wie Reita immer erwähnen musste, dass Meto die Melodie von Harry Potter rülpsen kann und sich dabei gefreut hat.
Tomo tat mir schon etwas leid. Zum Ende stand er als Schuldiger da. Man könnte auch sagen, er war der dumme Esel zum Schluss. ^^

Noch mal vielen vielen Dank für die tolle Geschichte! ^-^
Antwort von: Futuhiro
07.10.2017 20:26
Jaaaa~ \(^o^)/
Das freut mich so, daß es dir gefällt und dich zum Lachen gebracht hat. Dann ist meine Mission erfüllt. ^_^
Von:  YamiYoshi
2017-10-07T17:57:32+00:00 07.10.2017 19:57
Darauf freue ich mich jetzt schon ^u^

Und es ist schon schade das diese Story abgeschlossen ist. Hätte gern gewusst ob sich alle wieder zusammen finden und sich die Chance auf den Esel noch ergibt :D
\(^w^)/

Von:  YamiYoshi
2017-10-07T17:41:26+00:00 07.10.2017 19:41
Ein wirklich gelungenes Kapitel 1! \(^w^)/
Gern mehr davon! :>
Antwort von: Futuhiro
07.10.2017 19:45
Danke-Danke. o^//^o
Aber die Story ist an dieser Stelle abgeschlossen. Kyo hat die ganze Truppe aufgelöst, die sind in alle Richtungen auseinander gerannt, und damit hat sich das Thema. :D

... aber die 3/4-Gitarre wird dann länger. Die hat nicht nur 1 Kapitel. ^u^
Von:  YamiYoshi
2017-10-07T17:19:32+00:00 07.10.2017 19:19
""Meto kann die Titelmelodie von Harry Potter rülpsen!", warf Reita ein, als sei das allein ja wohl Argument und Coolness-Faktor genug." XD wie bist du denn auf den Spruch gekommen?XD
Antwort von: Futuhiro
07.10.2017 19:25
Der hat sich von selber ergeben. :D

Freut mich, wenn der Spruch dir Spaß gemacht hat. ^_^


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