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Schneesturm

von

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Drei Jahre. So lange hatte er Shion nicht mehr gesehen. Doch. Gesehen hatte er ihn. Aus der Ferne. Jeden Tag. Er hatte sich von ihm getrennt, damit Shion einen Neuanfang starten konnte. Damit er den Horror endlich hinter sich lassen konnte. Und dazu musste er Nezumi vergessen.
 

Es hatte geklappt. Shion war zu seiner Mutter zurück gekehrt. Anfangs hatte er krampfhaft versucht nicht zu weinen. Zuviel war geschehen. Er hatte einen Menschen auf dem Gewissen. Er hatte seine beste Freundin verloren. Sie war gestorben. Er hatte Safu so gerne gehabt. Er wusste, dass er in einer ganz anderen Liga spielte und doch hatte er sich in seinen Kameraden verliebt. In den schwarzhaarigen Schauspieler.
 

Shion hatte den Kuss falsch verstanden, nachdem die Mauern von No.6 gefallen war. Er dachte es sei ein Versprechen gewesen, dass sie sich wiedersehen würden. Doch es war ein Abschiedskuss. Nezumi hatte nicht vor Shion noch einmal über den Weg zu laufen. Auch wenn Nezumi es gerne wollte. Er redete sich ein, dass er Shion nur beobachtete, damit er einschreiten konnte, wenn ihm Gefahr drohte. Aber in Wirklichkeit gab es einen ganz anderen Grund. Nezumi liebte Shion. Auf welcher Art, das wusste er nicht. Er vermutete, dass es nur auf Geschwisterliche Weise war, aber er wusste nicht ob es richtig war. Ob es nicht eher die Liebe eines Paares war, wie bei Mann und Frau.
 

Er hatte noch nie jemanden gemocht. Er war immer ein Einzelgänger gewesen. Bis er Shion über den Weg gelaufen war. Er hatte damals nicht verstanden, warum er einen Fremden bei sich versteckt hielt, trotz der Gefahr die ihm drohte. Zum Teil wusste er es nicht einmal heute. Shion konnte wieder einigermaßen Lächeln und nur noch das zählte für Nezumi.
 

Gerade war er wieder nach Hause zurück gekehrt, nachdem Shion in die Bäckerei entschwunden war. Nezumi war umgezogen. Er war sich sicher, dass Shion ihn bei seiner alten Wohnung gesucht hatte. Das Einzige was er hätte finden können waren haufenweise Bücher und die Möbel. Weder Klamotten, noch seine Ratten hatte er zurück gelassen. Mit den Ratten konnte er den unvorsichtigen Jungen immer beobachten, selbst wenn er keine Zeit hatte.
 

Nezumi hängte seine nassen Klamotten auf den Heizofen und zog sich sein übliches Outfit an. Er hatte wenig Zeit, denn er hatte noch einen wichtigen Termin für seine nächste Rolle. Ja, er schauspielerte wieder. Er brauchte das um zu überleben und außerdem vertrieb es seine Langeweile. Still setzte er seine Suppe auf den „Hexenkessel“, nur um sie ein paar Minuten später zu essen. Dabei fiel ihm Inukashi ein. Er war lange nicht mehr bei dem Hundeleiher gewesen. Der Grund dafür hieß Shion. Er trieb sich oft dort herum. Ab und zu fragte er auch ob Nezumi da gewesen wäre. Und jedes Mal schüttelte Inukashi den Kopf. Das Risiko dorthin zu gehen wäre einfach zu hoch.
 

Nach dem Essen befand sich Nezumi auch schon wieder draußen. Und wieder schneite es. Diesmal jedoch noch stärker als zuvor. Es sah fast so aus als würde ein Schneesturm aufziehen. Nezumi musste sich beeilen. Er entschied sich für eine Abkürzung durch die Katakomben. Er kannte den Weg auswendig und doch war etwas anders, als er wieder nach rechts abbog.
 

Nezumi runzelte die Stirn. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und watete durch das stinkende Wasser. Es war ziemlich kalt, aber das war es nicht was ihn so störte. Der Ort selbst war anders. Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen. Es gab zwei Abzweigungen nach rechts und er hatte die vordere gewählt. Die Falsche. Er hatte sich noch nie verlaufen. Wieso war er heute auch nur so in Gedanken versunken? Was war nur los mit ihm?
 

Er hatte sich wirklich noch NIE in seinem ganzen Leben verlaufen. Shion, aber nicht er. Lag es daran, dass heute vor drei Jahren die Mauer gefallen war? Wohl kaum, denn die Jahre davor ging es doch auch normal weiter, wieso also heute nicht? Und vor allem was sollte er nun tun? Natürlich den richtigen Weg finden und zwar schnell, denn der Schneesturm würde ihn sonst hier im Rattenloch festhalten. Was wiederrum bedeutete, dass er seinen Termin nicht wahrnehmen konnte.
 

Wütend trat er irgendwann ins Freie. Nezumi fluchte unablässig vor sich hin, bis er den heftigen Wind spürte. Er drohte ihn um zu reißen. Nur mit Mühe konnte er sich auf den Beinen halten. Langsam stapfte er in den Schnee, auf das Bergwerk zu. Er hätte auch wieder in die Kanalisation gehen können, jedoch wollte er aus irgendeinem Grund lieber in die eisige Höhle.
 

„Verdammt! Den Termin kann ich vergessen“, donnerte Nezumi in der Höhle. Seine Stimme hallte von allen Seiten wieder. Dir Höhle war ziemlich dunkel, was Nezumi noch ein paar Flüche entlockte. Er holte seine kleine Taschenlampe aus der Hose und leuchtete in den hellen Gang, der sich vor ihm erstreckte. Wo er wohl hinführen würde? Wenn Nezumi schon nicht hier rauskam konnte er genauso gut die Höhle erkundigen. Vielleicht war es ja nach hinten raus etwas wärmer, als hier vorne am Eingang.
 

Der Gang war ziemlich schmal, doch für Nezumi reichte es allemal. Je mehr er in die Höhle vordrang, desto unruhiger wurde er. Etwas war hier. Er spürte es. Das war einer der vielen Vorteile, wenn man so wie Elyurias war. Auch zählte darunter die unglaubliche Geschicklichkeit und die Schnelligkeit. Das erinnerte ihn wieder an Shion. Wie verschieden sie doch waren. Er war ein Mörder. Hatte ein unreines Herz. Shion dagegen hatte das reinste Herz, was er je gesehen hatte, trotz des Mordes den er begangen hatte.
 

Kopfschüttelnd blieb er stehen. Er sollte nicht immer an Shion denken. Das tat ihm nicht gut. Dann erst bemerkte er es: Den Schopf weißer Haare, die sich um ein sanftes Gesicht legten, welches jetzt ziemlich erschrocken aussah. Die Gestalt hielt ein Messer in der Hand und die Spitze zeigte auf Nezumi schneller schlagendes Herz. Das hätte er am Ende des Ganges sicher nicht erwartet. Geplant war es auch nicht gewesen.
 

Der Junge stand mit dem Rücken an der Wand. Anscheinend hatte er Todesängste ausgestanden, denn im Schein der Taschenlampe konnte man den Schweiß sehen, der auf seiner Haut glitzerte, obwohl es ziemlich kalt war. Doch nun ließ er erleichtert das Messer sinken. Freude bereitete sich in ihm aus. Wie lange hatte er sich schon danach gesehnt ihn wieder zu sehen? Und hier stand er nun. Wütend und ein wenig unbeholfen. Die Gestalt lächelte sanft:,, Nezumi! Ein Glück, dass du es bist. Ich dachte schon es wäre ein Plünderer. Es ist schön dich wieder zu sehen. Wie geht es dir?“
 

Mit seiner freien Hand packte Nezumi den Jungen am Hals und drückte ein wenig zu:,, WAS machst du in drei Gottes Namen hier?“

Der Jüngere krächzte. Er bekam zwar gut Luft, aber Nezumis Reaktion hatte ihn ehrlich überrascht.

„Meine Mutter, Karan, du erinnerst die sicher noch an sie, bat mich noch etwas Zucker zu kaufen. Ich habe gebummelt und bin dann in den Schneesturm geraten. Ich habe kaum etwas gesehen, bis ich mich hier wieder fand. Ich habe mich ohne Licht bist hier durchgekämpft und wollte warten, bis der Sturm sich legen würde und dann bist du hier aufgetaucht.“
 

Wie naiv Shion doch bei der Story klang. Nezumi hatte sich geirrt. Shion war noch nicht über der Sache von vor drei Jahren hinweg gekommen. Dies bewies zum anderen das Messer, welches er weg gesteckt hatte. Nezumi ließ Shion los und wollte gehen. Dem Weißhaarigen passte dies jedoch nicht so recht in den Kragen:,, Hey, wo willst du hin? Ich will wissen wie es dir in all den Jahren ergangen ist:“

„Vergiss es! Wage es ja nicht mir zu Folgen! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben!“, sagte Nezumi so unfreundlich er konnte und ließ den erschrockenen und verletzten Jungen zurück.
 

Es musste sein. Nezumi tat es selbst weh, doch Shion durfte ihn nie wieder sehen. So schnell er konnte rannte er den Gang zurück und blieb keuchend vor dem Eingang stehen. Er war ganz schön aus der Übung. Früher hätte ihm das bisschen rennen nichts ausgemacht, da er jeden Tag vor irgendetwas hatte wegrennen müssen. Er musste fort, doch sie waren eingeschneit. Wie lange befand er sich schon in der Höhle, dass der Schnee plötzlich so hoch geworden war? Der Sturm selbst hatte sich um ein vielfaches gesteigert. Er konnte nicht weg. Er würde hier am Eingang bleiben müssen und darauf hoffen, dass Shion nicht herkommen würde.
 

Leider lag er wieder einmal falsch. Wie so oft schon am heutigen Tag. Im Nachhinein hätte er es wissen müssen. Nach nicht allzu langer Zeit erschien Shion. Er sah wütend aus, wie zuvor Nezumi. Der soeben genannte drehte sich zu dem Ausgang, wo das einzige Licht hereinbrach. Hier würde er wenigstens keine Taschenlampe brauchen. Wieso auch immer er die immer bei sich trug. Er sah nicht wie Shion vor Wut kochte. Der Junge sah auf Nezumi herunter und schrie:,, WIE KANNST DU ES WAGEN ZU ENTSCHEIDEN WAS GUT FÜR MICH IST?“

So hatte Nezumi Shion noch nie erlebt. Unwillkürlich sah er zu hoch und bekam prompt eins auf die Nase. Er schmeckte das Blut, machte jedoch keine Anstalten sich zu wehren. Stattdessen musterte er Shion höhnisch:,, Ich habe keine Entscheidung für DICH getroffen, sondern für mich“, polterte er:,, Ich meinte es ernst als ich sagte ich will dich nie wieder sehen.“

Er rappelte sich auf und wollte wieder in den Gang hinein gehen:,, Du kannst hier im Licht bleiben. Ich habe ja noch meine Taschenlampe. Wenn der Sturm vorbei ist gehst du und lebst so weiter wie bisher. Vergiss das hier ganz schnell!“
 

„Wieso?“, fragte Shion leise. Tränen glänzten in seine Augen. Er verstand es nicht. Was war mit seinem Nezumi geschehen? So abweisend war er noch nie zu ihm gewesen. Er hätte beinahe den Verstand verloren. Nur seine Mutter hatte seinen Schmerz ein klein wenig gelindert. Und nun war Nezumi vor ihm, mit dem Rücken zu ihm gedreht, sein Magen drehte sich in Shions Körper. Sein Herz zersprang in lauter kleine Scherben. Wieso durfte er nicht glücklich sein? Was hatte er falsch gemacht?
 

Eigentlich hatte Shion nicht gedacht, dass Nezumi ihn gehört hat, doch er sah erstaunt aus als dieser antwortete:,, Ich will, dass du deine Vergangenheit ruhen lässt. Du sollst von vorne anfangen. Und wenn ich bei dir bleibe kannst du das nicht.“

Shion hörte Nezumis traurigen Klang in der Stille und stellte sich vor ihn. Vorwurfsvoll sagte er:,, Ist es nicht meine Entscheidung wie und mit wem ich meine Zukunft verbringen möchte? Du weißt nicht was in mir vorgeht. Ich lebe noch immer in der Vergangenheit, gerade weil du nicht bei mir bist. Ich vermisse dich. Ich brauche dich. Ich…liebe dich.“
 

Shion erstarrte. Er hatte es nicht sagen wollen. Es war ihm einfach so rausgerutscht. All die Jahre hatte er darunter gelitten, doch nun fühlte er sich merkwürdig erleichtert. Obwohl Nezumi ihn jetzt wahrscheinlich für verrückt halten würde. Seufzend wandte er sich ab:,, Vergiss es wieder. Es…ist…“

Nezumi verlor plötzlich jegliche Kontrolle über sich und seinen Körper. Er packte Shion, drehte ihn zu sich um und küsste ihn.
 

Er konnte dem Drang einfach nicht mehr wiederstehen. Nezumi stupste mit der Zunge gegen Shions Lippen und bekam nach kurzer Zögerung bereitwillig Einlass. Leidenschaft spiegelte sich in diesem Kuss wieder. Durch die Körper der beiden kribbelten elektrische Impulse. Sie wollten den Kuss nicht lösen, aber sie brauchten dringend Luft. Shion bekam es mit der Angst zu tun. War dass ein Nimmerwiedersehens Kuss gewesen?
 

Zitternd sah Shion in die dunklen Augen Nezumis. Sie verrieten Verwirrung und Entschlossenheit. Was hatte er beschlossen? Auf einmal lächelte Nezumi und fasste sich mit den Fingern an die Lippen:,, Das hätte ich jetzt nicht gedacht.“

„Was?“, fragte Shion mehr als unsicher.

„So zart wie du aussiehst küsst du gar nicht. Du siehst aus wie ein zahmes Kätzchen. Küssen tust du aber wie ein gefährliches Raubtier.“
 

„Was meinst du damit?“

Nezumi beugte sich so weit runter, dass er den Atem des anderen auf sich spüren konnte:,, Die anderen Küsse waren nichts im Vergleich zu diesem.“

Sanft küsste er Shion kurz und hauchte:,, Ich liebe dich auch.“

„Willst du mich auf den Arm nehmen? So eine Lüge kann einen sehr wehtun.“

„Nein, du kleine Nuss. Ich würde dir nie wehtun. Ich habe dich beobachtet und irgendwann wurde mir klar wieso ich das tat. Gib mir noch eine Chance. Lass mich wieder an deinem Leben teilhaben.“
 

Die beiden hatten noch lange miteinander geredet. Sie fühlten sich endlich wieder vollständig. Ihr Leben hatte wieder einen Sinn. Sie waren glücklich. Später fragte Nezumi sich ob es Schicksal gewesen war, dass er in diese Höhle geraten war. Ob er es schon irgendwie geahnt hatte und es nur nicht wahrhaben wollte. Seit diesem Tag hatte sich ihre Meinung über Stürme und Schnee geändert. Sie mochten jetzt beide Schneestürme. Immer wenn einer Aufzog rannten sie nach draußen und küssten sich innig. Schmiegten sich aneinander und erfreuten sich ihres Glückes. Der Schneesturm war ihr Zeichen, es erinnerte sie wieder an ihre Wiedervereinigung in der Höhle…



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