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Mister Liar

von

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~ what a wonderful journey it will be ~

 Seufzend lehnte er sich gegen die kalte Stahlwand im Inneren der Aufzugskabine und schloss für einen Moment die Augen. Noch immer war er sich nicht sicher, ob er sein Vorhaben nun wirklich in die Tat umsetzen sollte, aber irgendetwas musste er unternehmen. So ging es nicht mehr weiter. Selbst Miya hatte sich heute erkundigt, ob alles mit ihm in Ordnung sei, weil er während der Studioarbeit so untypisch in seinen Gedanken versunken gewesen war. Es fuchste ihn noch immer, dass er sich so unprofessionell verhalten hatte. Normalerweise schaffte er es immer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, egal was ihm gerade im Kopf herumspukte. Ebenso wie es ihm im Regelfall immer gelang, die Anweisungen des Leaders so umzusetzen, dass seine Aufnahmen nie länger als nötig dauerten.

Aber heute? Heute war er dermaßen unkonzentriert gewesen, dass Miya die Aufnahmen abbrechen musste, weil sie dank ihm schlicht und einfach nicht vorangekommen waren.

Und warum das alles? Ja, eine wirklich gute Frage. Einen tatsächlichen Anlass für seine geistige Ablenkung gab es nicht oder besser gesagt, war es derselbe Grund, der es immer war, wenn mit ihm etwas nicht stimmte. Dieser hörte auf den lieblichen Namen Tatsuro und befand sich hoffentlich gerade in ihrer gemeinsamen Wohnung.

Wieso hoffentlich? Weil er sich entschlossen hatte, ihn heute endlich auf sein seltsames Verhalten der letzten Wochen anzusprechen. Ständig war Tatsuro verräterisch beschäftigt, sagte ihm jedoch nicht, womit. Immer öfter ging er abends ohne ihn aus, was im Prinzip nichts Verwerfliches war; denn Yukke war nicht der Typ, der seinem Freund außerhalb der eigenen vier Wände keinen Spaß vergönnte. Da ihm Tatsuro jedoch nie sagte, wohin es ihn verschlug, hatte diese Geheimnistuerei nach dem zweiten oder dritten Mal doch gehörig an ihm zu nagen begonnen.

Und zu allem Überfluss häuften sich in letzter Zeit diese seltsamen Anrufe. Teilweise wurden sie mitten in der Nacht gestört und wenn er statt Tatsuro ans Telefon ging, legte der Anrufer auf. Generell – und das war das Schlimmste überhaupt – war der Sänger in den letzten Wochen wahnsinnig verschwiegen, beinahe wortkarg geworden, was in Tatsuros Fall fast schon ein unmissverständliches Zeichen für den bevorstehenden Weltuntergang war.

 

Er kannte seinen Lieblingssängerknaben seit zwanzig Jahren und wusste, dass dieser ab und an seltsame Phasen durchlebte. Diese reichten von extremer Extrovertiertheit bis hin zum genauen Gegenteil. Aber normalerweise hatte wenigstens er immer – und das auch schon vor ihrer Beziehung – einen Draht zu ihm finden, ihn aus welcher Sphäre auch immer zurück in die Realität holen können. Aber diesmal war das anders. Diesmal hatte er den Eindruck, Tatsue führe etwas im Schilde, oder plante etwas ganz Bestimmtes, und das war noch nie gut gegangen. So hatte er heute auf dem Weg vom Studio nach Hause beschlossen, endlich reinen Tisch zu machen und den Sänger zur Rede zu stellen.

 

In seinem Stockwerk angekommen und von dem leisen Ping des Aufzugs aus seinen Überlegungen gerissen stieg er aus und ging zur Wohnungstür hinüber. Schnell war diese aufgeschlossen und der gerade mal wieder brünette Bassist streifte sich die Schuhe von den Füßen, bevor er seine dünne Sommerjacke an den Haken der Garderobe hängte. Noch war das Wetter warm genug, sodass man selbst abends nicht mehr als eine leichte Jacke benötigte, aber der Herbst stand deutlich spürbar in den Startlöchern und bescherte Tokyo bereits die ersten nebelfeuchten Morgen.

 

Yukke schnupperte, als er die Tür leise ins Schloss fallen ließ und einige Schritte ins Wohnungsinnere machte. Es roch nach Tatsues Lieblingsaftershave, ein so vertrauter und angenehmer Duft, dass er kurz stehen blieb, um genießend die Augen zu schließen. Aber lange hielt dieser kurze Moment der Zufriedenheit nicht an, denn im selben Augenblick kreisten seine Gedanken wieder um das, was er im Begriff war, nun anzusprechen. Erneut seufzte er, öffnete seine Augen und bückte sich nach Tetochi, die bereits maunzend um seine Beine schmeichelte.

 

„Na, kleine Maus, wo ist dein Herrchen denn abgeblieben?“, fragte er die Katze, bekam jedoch nicht mehr als ein lauteres Schnurren zur Antwort. Lächelnd kraulte er sie hinter dem rechten Ohr und ging ins Wohnzimmer, in dem Tatsue jedoch nicht wie vermutet vor dem Fernseher saß. Die Küche bot denselben Anblick und so setzte er Tetochi auf dem Sofa ab und versuchte sein Glück eben im Badezimmer. Aber auch das war leer, nur zwei benutzte Handtücher lagen auf dem Boden, das Milchglas der Duschkabine war noch beschlagen und zeugte davon, dass Tatsuro eben erst geduscht haben musste. Augenrollend hob er die beiden Handtücher auf und verstaute sie im dafür vorgesehenen Wäschekorb. Tatsuro würde es nie lernen, hinter sich aufzuräumen. Warum auch? Dafür hatte er ja ihn. Und er war auch noch immer so dumm und tat genau das, was der andere von ihm erwartete, weil er Unordnung verabscheute.

 

„Selbst schuld Yusuke, du weißt doch, wie er ist.“ Leise murmelte er vor sich hin, drückte die Tür zum Schlafzimmer auf und erstarrte bei dem Anblick, der sich ihm bot.

 

Tatsuro stand vor dem großen Spiegel, die Haare bereits gestylt und, soweit er es erkennen konnte, sogar mit leicht schwarz betonten Augen. Aber das war es im ersten Moment gar nicht, was ihn so überraschte; auch wenn er sich fragte, wohin der andere heute schon wieder verschwinden würde, wenn er sich schon so herausputzte. Nein, was ihn schier aus der Fassung brachte, waren die Klamotten, für die sein Freund sich entschieden hatte. An einer Kombination aus Jeans und Hemd sollte nichts Außergewöhnliches sein, besonders wenn diese jemand wie Tatsuro am Leib trug. Aber wenn er ehrlich war, erwartete er zumindest, dass die Kleidungsstücke gefühlte zehn Nummern zu groß oder farblich so wenig zueinander passend sein mussten, dass es in den Augen schmerzte. Doch nichts davon war der Fall. Die schwarze, ausgewaschene Jeans saß wie angegossen und selbst das dunkelrote Oberteil war nicht einmal eine halbe Nummer zu groß. Maßgeschneidert wirkte es beinahe, und sein Freund sah in diesem Augenblick dermaßen lecker aus, dass er regelrecht vergaß, sich erneut Gedanken über seine Motive zu machen. Lächelnd ging er auf ihn zu, schlang die Arme von hinten um ihn und lehnte sich leicht an.

 

„Hier hast du dich also versteckt.“ Ein wenig musste er sich auf die Zehenspitzen stellen, um an das Ohr des Sängers heranzukommen und neckend daran knabbern zu können. „Hast du heute noch was Bestimmtes vor?“, raunte er, plötzlich gar nicht mehr so scharf darauf, Tatsuro auf das anzusprechen, was ihm eben noch so sehr unter den Nägeln gebrannt hatte. Vielmehr war er auf etwas ganz anderes scharf und machte dies auch deutlich, indem er sich an den Knöpfen des Hemdes zu schaffen machte.

 

Oder besser gesagt, wollte er sich an diesen zu schaffen machen, wurde aber daran gehindert. Denn hatte sich Tatsuro erst noch in seine Berührung gelehnt und war ihm ein leises Seufzen über die Lippen gekommen, straffte er sich nun wieder. Eine warme Hand legte sich über die seine, hielt ihn auf und schüttelte ihn letzten Endes gänzlich ab. Schief lächelnd drehte er sich zu Yukke um und schob ihn leicht auf Abstand.

 

„Sorry, aber ich muss noch mal weg.“

 

„Wie? Schon wieder? Aber …“ Verstimmt runzelte er die Stirn und schaute Tatsue nach, der ohne ein weiteres Wort und ohne auf seinen Protest eingegangen zu sein, aus dem Zimmer verschwunden war.

Das war doch nicht die Möglichkeit? Natürlich hatte er befürchtet, dass Tatsuro sich nicht seinetwegen so schick gemacht hatte, dies jedoch so unverblümt bestätigt zu bekommen, ohne dass der andere wenigstens versucht hatte, ihn milde zu stimmen, kränkte ihn mehr als er gedacht hätte. Die Lippen zu einem schmalen Strich aufeinandergepresst folgte er ihm in den Flur, wo Tatsuro bereits den Wohnungsschlüssel in der Innentasche seiner Lederjacke verstaute. Verflucht. Warum musste der Kerl jetzt auch noch ausgerechnet die Jacke tragen, die Yukke so sehr an ihm mochte?

 

„Ich wollte eigentlich mit dir reden“, murrte er, die Arme vor der Brust verschränkt, während sich sein Gegenüber nach seinen Schuhen bückte.

 

„Wolltest du? Worüber denn?“ Tatsuro richtete sich auf, hatte – wie auch er selbst vorhin – Tetochi auf dem Arm, die schon die ganze Zeit leise maunzend auf sich aufmerksam gemacht hatte. Nun schnurrte die Kleine glücklich, während sie unterm Kinn gekrault wurde. Einen Moment lang ruhten Yukkes Augen auf Tatsues schmalen Fingern, die sanft durch das Fell seiner Mieze fuhren, bevor er höher wanderte, seinem Freund ins Gesicht sah.

 

„Wo gehst du hin … schon wieder?“

 

„Nur kurz was trinken.“

 

„Und mit wem?“

 

„Mit einem Bekannten. Kennst du nicht.“ Tatsuro streckte ihm Tetochi entgegen, die er reflexartig auf den Arm nahm, drückte ihm noch einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und schickte sich an, aus der Wohnung zu verschwinden.

 

„Halt. He, jetzt warte doch mal.“ Tetochi höher auf seine Schulter schiebend, um eine Hand frei zu haben, packte er Tatsue leicht am Ärmel der Jacke und hielt ihn zurück. „Zurzeit bist du abends ständig unterwegs, findest du nicht, dass du es ein wenig übertreibst? Ich sag ja nicht, dass du nicht ausgehen sollst, aber du sagst mir nie, mit wem du dich triffst und … Wann waren wir eigentlich das letzte Mal gemeinsam aus?“ Yukke holte tief Luft, weil er beinahe ohne Punkt und Komma geredet hatte und nun dementsprechend außer Puste war. Da half es auch nicht, dass er gerade wirklich aufgebracht war.

 

„Ich sagte doch schon, dass ich mit einem Bekannten was trinken gehe. Was nützt es dir, wenn ich dir seinen Namen sage? Du kennst ihn doch sowieso nicht.“

 

„Darum geht es doch gar nicht und das weißt du auch. Stell dich nicht dümmer, als du bist.“ Nun reichte es aber wirklich, Tatsuro tat so, als hätte er überhaupt keinen Grund, angefressen zu sein. Ihn würde er erleben wollen, wenn er, Yukke, es wäre, der ständig um die Häuser ziehen würde und gefühlt kaum noch Zeit für den werten Herren Iwakami hätte. Tatsue an seiner Stelle wäre schon längst auf die Barrikaden gegangen.

 

„Du siehst echt niedlich aus, wenn du eifersüchtig bist.“ Tatsuro grinste übers ganze Gesicht und tippte ihm neckend gegen die Nase.

 

„Lass das“, murrte er und rieb sich über die nun etwas kribbelnde Stelle. „Ich bin überhaupt nicht eifersüchtig.“

 

„Aber klar doch. Du bist so was von eifersüchtig, eifersüchtiger geht es schon gar nicht mehr.“

 

„Gar nicht.“

Und ob er eifersüchtig war, tierisch sogar, aber das hatte Tatsue definitiv nicht mitbekommen sollen. Nun würde er sich mit seinem übergroßen Ego nur wieder was darauf einbilden und darüber komplett ignorieren, dass es Yukke nicht darum ging, ihm eine Szene zu machen, sondern dass er nur ... Ach verdammt. Er schluckte und schaute Tatsuro aus großen Augen an. Er führte sich tatsächlich gerade auf wie ein eifersüchtiger Liebhaber.

„Ehm …“ Yukke räusperte sich und zauberte von irgendwoher ein schiefes Lächeln auf seine Lippen. „Du hast deine Wagenschlüssel vergessen.“ Blind tastete er auf der Kommode neben sich herum, auf der er vorhin noch besagten Schlüsselbund hatte liegen sehen, und hielt ihn Tatsue schließlich unter die Nase. Es ging doch nichts über ein bisschen Ablenkung, nicht? Fand Yukke auch.

 

„Danke.“ Noch immer grinste sein Gegenüber wie ein Honigkuchenpferd und machte keine Anstalten, den Schlüsselbund anzunehmen. „Aber ich fahre öffentlich. Ich sagte doch, ich will was trinken.“

 

„Hm, stimmt ja.“ Etwas belämmert aus der Wäsche guckend senkte Yukke seine Hand und ließ Tetochi auf den Boden, die unruhig zu zappeln begonnen hatte. „Wann kommst du denn wieder?“, erkundigte er sich kleinlaut, war noch immer viel zu geschockt über sein eigenes Verhalten. Er hatte nie so werden wollen, hatte sich nie in klischeehafte Eifersüchteleien verstricken wollen, doch nun war ihm genau das passiert.

 

„In zwei oder drei Stunden dürfte ich wieder da sein.“ Tatsuro kam einen Schritt auf ihn zu, drückte mit dem Zeigefinger sein Kinn nach oben und zog ihn in einen erstaunlich innigen Kuss, mit dem er in ihrer jetzigen Situation nicht gerechnet hatte. Automatisch fanden seine Hände ihren Lieblingsplatz in der mittlerweile wieder schulterlangen, schwarzen Mähne, wühlten sacht hindurch, während er den Kuss ebenso hingebungsvoll erwiderte.

 

So eilig wie Tatsue es eben noch gehabt hatte, so viel Zeit ließ er sich nun, dass Yukke beinahe den Eindruck bekam, er würde gar nicht gehen wollen. Aber schlussendlich löste er sich von ihm und grinste ihn erneut auf eine so seltsame Art und Weise an, dass das Gefühl, sein Freund würde etwas im Schilde führen, mit voller Macht zurückkehrte. Beinahe hätte er nun etwas gesagt, hätte den Sänger zurückgehalten und daran gehindert, nun doch noch auszugehen. Aber er verkniff es sich und drückte seinerseits noch einen kleinen Kuss auf die lächelnden Lippen.

 

 „Viel Spaß.“

 

„Werd ich haben. Bis später.“

 

Murrend richtete er sich seine Haare wieder, die Tatsue, der alte Scherzkeks, beim Hinausgehen noch schnell verunstaltet hatte, und ließ seufzend die Schultern hängen. Er hatte, was den heutigen Abend anging, zwar mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass er diesen erneut allein und genauso unwissend wie schon die ganzen letzten Wochen über verbringen würde.

 

„Ach, Teto-chan.“ Yukke drehte sich von der Tür weg und schaute auf Tatsuros Mieze hinab, die sich schnurrend auf dem Rücken hin und her rollte. Na, wenigstens das Fräulein Katze war zufrieden. „Dein Herrchen macht mich noch verrückt.“ Kurz bückte er sich, streichelte das weiche, weiße Bauchfell der Kleinen, bevor er hinüber in die Küche schlurfte, um Wasser für eine Instantnudelsuppe aufzusetzen. Vorhin hatte er sich noch gedacht, dass es mal wieder schön wäre, für sich und Tatsue zu kochen. Nichts Großartiges, ein Curry vielleicht, aber darauf, dies nun nur für sich zuzubereiten, hatte er nun wirklich keine Lust. Verdammt, er verstand Tatsuro momentan einfach nicht. Erst war er beinahe abweisend und dann dieser liebevolle Kuss, der so viel Lust auf mehr gemacht hatte. Und Tatsue war es da wie ihm gegangen, da war er sich sicher, warum also blieb er dann nicht zu Hause? Und dabei war es in letzter Zeit so gut zwischen ihnen gelaufen. Endlich war ihre Beziehung offiziell – zumindest in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis – und selbst ihre Familien hatten sie letztes Weihnachten eingeweiht. Bis auf Tatsues Vater hatten alle erstaunlich positiv reagiert. Und selbst die Skepsis von Iwakami Senior würde sich mit der Zeit – und dem Einfluss seiner Frau – schon noch legen, da war sich Yukke sicher. Was also ging im verkorksten Hirn seines Freundes nur vor, das ihn dazu trieb, sich so seltsam zu verhalten?

 

„Argh!“ Yukke ließ sich auf einen der Küchenstühle sinken und vergrub seinen Kopf in seinen auf dem Tisch verschränkten Armen. Er drehte sich gedanklich im Kreis und der einzige, der wieder Ordnung in das Chaos seiner Überlegungen bringen konnte, war mal wieder mit irgendeinem ihm vollkommen unbekannten Kumpel einen trinken gegangen. Tetochi schmeichelte um seine Beine, beinahe als wollte sie ihm Trost spenden, doch er wusste nur zu gut, dass sie lediglich auf einen Snack hoffte. Also erhob er sich – immerhin wollte er ihr dieses kleine Glück nicht verwehren – und befüllte einen Napf mit etwas Nassfutter, über welches sie sich sogleich schmatzend hermachte.

 

„Dein Herrchen und du seid euch gar nicht so unähnlich. Ein bisschen gutes Essen und Zuneigung und ihr seid zufrieden. Schade nur, dass er mir momentan nicht einmal die Chance gibt, ihm etwas Gutes zu tun.“

 

Mit einem leisen Klacken schaltete sich der Wasserkocher ab und veranlasste ihn dazu, aus einem der oberen Schränke ein Päckchen Nudelsuppe zu nehmen. Doch bevor er besagte Nudeln mit dem heißen Wasser übergießen konnte, klingelte es im … Wohnzimmer? Stirnrunzelnd stellte er den Wasserkocher zurück auf die Arbeitsplatte und ging schnellen Schrittes die wenigen Meter bis zur Couch, auf der Tatsues Handy munter dudelnd vor sich hin vibrierte. Unschlüssig nahm er es hoch, schaute auf das Display, aber der aufblinkende Name sagte ihm nichts. Ob er rangehen sollte? Noch bevor er sich entscheiden konnte, hatte die Anruferin aufgelegt.

 

„Yumiko“, murmelte er überlegend vor sich hin. Der Name kam ihm seltsam bekannt vor, aber er kam nicht darauf, wo oder wann er ihn im Zusammenhang mit Tatsuro schon einmal gehört hatte. Als das Telefon erneut zum Leben erwachte, hätte er es beinahe in hohem Bogen fortgeworfen, so sehr erschrak er sich. Erneut war es diese Yumiko, die anrief. Nun doch neugierig geworden wischte er über das Display, um das Gespräch entgegenzunehmen.

 

„Hallo, hier …“ Er hatte sich mit Namen melden wollen, um der Anruferin klar zu machen, dass sie nicht mit Tatsuro redete, aber sogleich wurde er von einer quirligen Frauenstimme unterbrochen.

 

„Hi Tatsue!“, quietschte es munter, sodass sich Yukke erst einmal das Telefon ein ganzes Stück weg von seinem armen Ohr halten musste, um nicht taub zu werden. „Ich verspäte mich ein bisschen, sei nicht böse ja? Aber ich hab meine Bahn verpasst. Willst du schon hoch ins Restaurant gehen oder wartest du vorm Tower auf mich?“

 

Yukke starrte die gegenüberliegende, weiße Wohnzimmerwand an und versuchte, zu verstehen, was er gerade gehört hatte. Diese Yumiko war es allem Anschein nach, mit der sich Tatsue heute treffen würde. Spielte ihm nun erneut seine Eifersucht einen Streich oder passte dieser Anruf mit dem, was ihm sein Freund vor wenigen Minuten noch erzählt hatte, nicht zusammen. Tatsuro hatte behauptet, er würde mit einem Bekannten was trinken gehen. Da war weder von einer Bekannten noch von einem Restaurant die Rede.

 

„Ro-chan?“ Ertönte erneut die Stimme der Anruferin und schaffte es mit diesem kleinen Wort, Yukke gänzlich aus der Fassung zu bringen. Ro-chan? Sie hatte Tatsuro, seinen Tatsuro, nicht wirklich gerade mit dem Spitznamen angesprochen, den außer ihm selbst niemand aussprechen durfte, ohne eine gehörige Kopfnuss einstecken zu müssen, oder? Er spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich, während er noch immer vor sich hin starrte.

 

„Es tut mir leid, aber Tatsuro hat sein Handy hier liegen lassen. Er ist nun schon eine ganze Weile weg.“ Mit tauben Lippen und ohne so recht mitzubekommen, was er von sich gab, informierte er diese Yumiko mit der ihm eigenen höflichen Art, dass sie gerade nicht mit ihrem Ro-chan sprach.

 

„Oh!“ Ein erneut so dermaßen quietschender Laut, dass sein Trommelfell zu weinen begonnen hätte, wäre Yukke selbst nicht noch immer so geschockt. „Du musst Yukke sein. Tatsue hat schon erzählt, dass du momentan bei ihm wohnst. Ich hoffe wirklich, die können den Wasserschaden in deiner Wohnung schnell wieder beheben. Das muss schlimm sein, wenn man Hals über Kopf aus seinen vier Wänden ausziehen muss.“ Eine – wie Yukke fand – mitfühlende Pause untermalte Yumikos Redeschwall, von dem er gefühlt nicht einmal ein Prozent verstanden hatte. Wasserschaden? Welcher Wasserschaden, zum Kuckuck? Und er lebte nicht vorübergehend bei Tatsue, das hier war ihre gemeinsame Wohnung! „In so einer Situation ist es bestimmt erleichternd zu wissen, dass man so einen guten Freund wie Tatsuro hat. Hach, ich finde es ja so süß von ihm, dass er dich bei sich wohnen lässt.“

 

Spätestens jetzt hatte Yukkes Hirn den Geist aufgegeben. Diese Yumiko musste einen kompletten Dachschaden haben, oder sie sprach von einem anderen Tatsuro als dem, der sich seinen Freund, seinen festen Freund, schimpfte. Denn alles andere würde bedeuten, dass … Ja, was genau würde es bedeuten?

 

„Ich …“ Noch bevor Yukke seiner Verwirrung Luft machen konnte, unterbrach ihn Yumiko erneut.

 

„Ah, da kommt meine Bahn. Yukke, es war total nett, mit dir zu reden. Hat mich echt gefreut.“

 

„Ja, war toll … ganz klasse“, nuschelte Yukke eher unverständlich, während er sich auf die Couch sinken und das Handy in seinen Schoß gleiten ließ. Aus dem Lautsprecher hörte er noch die Geräusche eines einfahrenden Zuges und Yumikos muntere Stimme, die sich überschwänglich von ihm verabschiedete, dann brach die Verbindung ab.

 

Wie lange er so dagesessen war und auf das schwarze Display des Handys gestarrt hatte, wusste er nicht. Erst ein erneutes Klingeln, diesmal an der Wohnungstür, riss ihn aus seinen Gedanken. Für einen wahnwitzigen Moment hatte er die Hoffnung, Tatsue wäre früher wieder zurückgekommen und klingelte nun, weil er wie so oft seinen Wohnungsschlüssel vergessen hatte. Yukke lächelte und erhob sich, verdrängte für den Bruchteil einer Sekunde die Tatsache, dass er selbst gesehen hatte, wie sein Freund den Schlüsselbund in der Jackentasche verstaut hatte. Bitte, es musste Tatsuro sein, der dort vor der Tür stand, denn das, was das Telefonat mit Yumiko angedeutet hatte, war so unbegreiflich, dass ihm allein der Gedanke daran Übelkeit bescherte. Langsam schlurfte er über den Flur, schaute durch den Spion und schluckte schwer, als es wie befürchtet nicht Tatsuro war, der geklingelt hatte.

 

„Hallo, Sato“, murmelte er und bedeutete dem Drummer, einzutreten.

 

„Hey, hey.“ Wie meistens blendend gelaunt ließ Satochi seine Sporttasche von der Schulter gleiten und streifte sich währenddessen die Schuhe von den Füßen. „Ich war grad in der Gegend und dachte mir, wennste schon da bist, kannste Tatsue seinen Film auch gleich mal vorbeibringen.“

 

Yukke griff nach der DVD, die ihm sein Gegenüber auffordernd entgegenhielt. Das flache Plastikgehäuse in beiden Händen haltend starrte er auf das Cover hinab, ohne auch nur im Ansatz zu erkennen, worum es sich dabei handelte. In Gedanken war er noch immer bei dem, was er gerade in Erfahrung gebracht hatte.

 

„… wartest du vor dem Tower auf mich?“

„Ro-chan?“

 „… Wasserschaden.“

„… einen so guten Freund wie Tatsuro zu haben.“

„… ich finde es ja so süß von ihm, dass er dich bei sich wohnen lässt.“

 

Yukke kniff die Augen zusammen und versuchte, Yumikos Worte aus seinem Kopf zu verbannen. Das alles musste ein dummer Zufall sein, eine Verwechslung, oder … ein mieser Scherz. Irgendwas. Nur bitte nicht das, wonach es sich angehört hatte.

 

„Hey Yukke, wasn los mit dir?“ Sato boxte ihm leicht gegen die Schulter und grinste ihn an, als er ihn perplex anblinzelte. „Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“

 

„Tatsuro.“

 

„Na, klar, wer auch sonst.“

 

„Nein, ich meine …“ Yukke schluckte schwer. „Ich glaube … Tatsuro geht fremd.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  QueenLuna
2019-11-13T08:29:59+00:00 13.11.2019 09:29
Heeeey, ich mal wieder xD
Ich bin mir gerade gar nicht sicher, ob ich diese Geschichte nicht schon mal gelesen habe ^^`
Einiges kam mir entfernt bekannt vor, aber da ich gerade wirklich nicht weiß, wie es weitergeht, lasse ich mich einfach erneut überraschen xD

Also ich schließe mich an: armer Yukke >.<
Man kann seine Gedanken und Gefühle echt super nachvollziehen. Wollte ihn am liebsten in den Arm nehmen und trösten...
Aktuell kann man da nur zu dem Schluss kommen, dass Tatsurou ein Arsch ist. Am Anfang hast du diese eventuelle Tatsache nur leicht angedeutet, aber spätestens beim Telefonat wars dann vorbei -____-
so'n Arsch!!
Wobei ich ja bei deinen Storys immer die Hoffnung hege, dass nichts ohne einen triftigen Grund passiert und es ein Friede, Freude, Eierkuchen gibt xD
deshalb kann ich Tatsurou noch nicht ultimativ böse sein... Ich warte noch ^^

Aber du hast es wieder hervorragend geschafft, die Situation und Gefühlslage schön bildhaft und greifbar darzustellen <3 und ich mochte Satos 'Sprache' xD kam schön locker flockig rüber ^^

Mal sehen, wie lang ich diesmal für die gesamte FF brauch ^^`
Bis dann :*
Luna <3
Antwort von:  yamimaru
18.11.2019 18:07
Hey Luna,
hab ich schon mal erwähnt, dass du mich mit deinen Kommentaren echt total verwöhnst? Danke, danke, danke, ehrlich mal, dass du dir wieder so viel Mühe gegeben und jedes Kapitel kommentiert hast. ^^
Hihi, ich finde es sehr schön, dass Yukke gleich mal einen großen Stein bei dir im Brett hast und du für ihn mitleidest. ^^ Das kann der arme Kerl am Anfang der Story aber auch echt gebrauchen. Finde es übrigens spannend, dass Tatsuro wirklich als ein kleiner Arsch rüberkommt - beim Schreiben hatte ich manchmal die Befürchtung, es doch etwas zu offensichtlich zu machen. Aber dem war dann wohl nicht so. XD
Abwarten schadet ja nie und wie du auch schon sagtest, du kennst mich und meine Geschichten mittlerweile einfach schon zu gut, um dich nach dem ersten Kapitel gleich zu einer endgültigen Meinung hinreißen zu lassen. XD

Oh vielen Dank für das Lob. Freut mich, dass du die Situationen und Gefühle bildhaft dargestellt empfunden hast *yay* und auch, dass dir Satos Art zu Sprechen gefällt. Ich fand halt auch, dass zu ihm eine etwas flabsigere Art des Redens einfach super gut passen würde. ^^

Danke für dein liebes Feedback!

xoxo
yamimaru
Von: abgemeldet
2017-11-02T21:00:11+00:00 02.11.2017 22:00
Hiii,
Armes Yukke!
Irgendwie ist Tatsuro gerade ein Arsch, erst küsst er Yukke als gäbs kein Morgen mehr und dann trifft er sich mit wem anderen. Ich würd ihn dafür vor die Tür setzen seine Katze aber behalten die find ich nämlich richtig niedlich!
Antwort von:  yamimaru
02.11.2017 22:10
Huhu, ^^
na das nenne ich mal Prioritäten. *lacht*
Aber zumindest könnte sich Yukke ziemlich gut rächen, wenn er Tetochi behalten würde. Die würde Tatsue bestimmt ordentlich vermissen. XD
Danke auf jeden Fall für dein Review und sei nicht zu böse auf Tatsue. ^___^ Der will doch nur spielen *lacht*
Lg
yamimaru


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