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Gelangweilt glitt Isandros Blick durchs regennasse Fenster nach draußen. Verdammt was hatte er eigentlich früher in seiner Freizeit immer getan, als er Delilah noch nicht gekannt hatte?

Unwillkürlich verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln, als sein Blick auf den kleinen Platz vor ihrer Wohnung fiel. Vor annähernd einem Jahr hatten sich Delilah und er dort zum ersten Mal getroffen. Der Tag stand ihm noch so klar vor Augen, als ob es gestern gewesen wäre.

Die Sonne war an jenem Märztag vom Himmel gestrahlt und es waren ungewöhnlich viel Menschen zu Fuß unterwegs, vermutlich weil sie alle das schöne Wetter genießen wollten. Isandro hatte sein Lager genau gegenüber seines momentanen Ausblickspostens mit seiner Gitarre Stellung bezogen. Keine sonderlich ehrenhafte Tätigkeit, doch wenn man Hunger hatte, war einem sowas mehr oder minder egal. Hauptsache man bekam genug Kohle für die nächste Mahlzeit zusammen. Gespielt hatte er hauptsächlich bekannte Songs, da sowas die Leute im Allgemeinen mehr ansprach. Nirvana – Smells like Teens Spirit. Deep Purple – Smoke on the water. AC/DC – Highway to hell. Und Oasis – Wonderwall.

Exakt bei diesem Song war Delilah auf der Bildfläche erschienen. Mit einer dunkeln Pilotenbrille und seinem Retriever Curry war er durch die Promenade marschiert, wie jeder andere Passant auch, nur das er im Vergleich zu den meisten anderen stehen blieb, um der Musik zu lauschen.

„Du spielst verdammt gut, aber das Knurren deines Magens stört ein wenig. Aber nur ein klitzekleines bisschen.“

Isandro war sofort vom schiefen Lächeln des jungen Mannes angezogen gewesen.

„Hast du gehört Bauch? Ruuuuuuuuhig, Dicker, du störst die Vorstellung.“

Delilahs Lachen hatte sich in seinen Ohren wunderbar angehört. Er war hin und weg von dem Mann. Obwohl er eigentlich nicht so gepolt war.

Als der Dunkelblonde dann 2 € in den Gitarrenkasten geworfen hatte, war ihm versehentlich auch die Blindenschleife aus der Tasche gefallen, was Isandro ziemlich überrascht hatte. Der Typ war blind? Das wär ihm ernsthaft nicht aufgefallen.

Einen Moment lang wollte Isandro sie ihm gleich aushändigen, doch da war ihm eine bessere Idee gekommen.

Am nächsten Tag war er mit der Schleife zur Adresse gelaufen, die Innen auf ein weißes Etikett geschrieben und als ‚Notfalladresse‘ betitelt war.

Das Haus lag ein Stück außerhalb des Stadtzentrums in einer ruhigen Umgebung. Hauptsächlich junge Familien und Pensionisten hatten sich hier niedergelassen.

Mit leicht zitternder Hand läutete er an der Tür. Was wenn es die falsche Adresse war? Und die Schleife gar nicht dem Mann vom Vortag gehörte? Er hatte nicht unbedingt wie ein hilfloser Blinder gewirkt. Aber der Hund hatte schon sehr nach Blindenhund ausgesehen. Im Weggehen waren ihm schließlich noch die drei schwarzen Punkte am Geschirr des Retrievers aufgefallen.

Gerade wollte er wieder abhauen, als drinnen lautes Gebell erklang. Die Tür wurde soweit es die dünne Kette im Inneren zuließ, geöffnet. Eine Haufen heller Haare und eine feuchte Nase versuchten am Boden durch den Türspalt zu gelangen und darüber stand der Typ von gestern. Nur diesmal ohne Sonnenbrille. Er hatte umwerfende Augen.

„Hallo?“

„Ähhhm … hi. Ich hab hier was, das dir gehört. Deine Blindenschleife.“

„Wow, danke. Meine Mum hat mich ziemlich zur Schnecke gemacht, weil ich sie verlegt hatte. Du bist der Gitarrenspieler von gestern nicht wahr?“

Unsicher streckte Delilah seine Hand nach der Schleife aus und Isandro legte sie ihm in die Hand. Einen Augenblick war er überrascht, dass ihn der Blonde allein anhand seiner Stimme wieder erkannt hatte. Sie hatten doch kaum 10 Worte miteinander gewechselt.

„Keine Ursache. Gern geschehen.“

„Wenn ich mich irgendwie dafür erkenntlich zeigen könnte…“

Eigentlich hatte er mit ‚Nein, schon okay‘ antworten wollen, doch sein Magen hatte einen anderen Plan. Just in diesem Moment knurrte er wie ein Bär, der gerade im Sterben lag.

„Das war ja mal ‘ne klare Aussage“, hatte Delilah daraufhin nur lachend gemeint. „Kann ich dir heute Abend ‘ne Pizza spendieren?“

Isandros erster Gedanke war abzulehnen. Er brauchte keine Almosen. Abgesehen davon kam das schwul rüber, wenn er mit einem Kerl Essen ging. Doch sein Magen war da gänzlich anderer Meinung und stöhnte bei dem Gedanken eine Pizza entkommen zu lassen, protestierend auf. Und wenn er ehrlich war, fühlte er sich unweigerlich zu seinem Gegenüber hingezogen.

„Gern. Ich bin übrigens Isandro.“

„Delilah. Gut, also so gegen 6 im ‚Quake‘?“

„Gut. Wir seh’n uns.“

Verdammt! Er hatte sich gerade mit einem Typ zum Abendessen verabredet! Das war doch nicht normal. Der Braunhaarige schüttelte den Kopf. Seit wann war eigentlich so drauf? Sonst hatte er eigentlich immer Frauen den Vorzug gegeben.

Doch all seine Befürchtungen waren unbegründet gewesen. Der Abend war wie ein ganz normaler Jungsabend verlaufen. Sie waren zu einer kleinen Schnellimbiss-Pizzaria gegangen, hatten Bier getrunken und hauptsächlich über Musik gequatscht, während der goldene Retriever sich zu ihren Füßen am Boden geräkelt hatte.
 

Ein roter Fiat 500 lenkte Isandros Aufmerksamkeit wieder in die Gegenwart. Hatte der Wagen gerade eben schwarze Flecken gehabt? Er stand auf und drückte die Nase gegen die Scheibe. Das Auto sah tatsächlich aus wie ein Marienkäfer.

Lachend drehte er sich von der Scheibe weg. Wie unterschiedlich sich Kreativität doch ausdrückte. Manche Menschen malten, andere schrieben Song, wieder andere dichteten und wieder andere bepinselten ihre fahrbaren Untersätze eben im Käferdesign. Er persönlich bevorzugte auch die unkonventionelle Art zu leben. Vielleicht kam er deshalb auch so gut mit Delilah klar. Sein Freund war einfach besonders. Und ebenso besonders waren auch die Wege mit ihm umzugehen. Bei diesem Gedanken kam Isandro ein Geistesblitz.

Er schnappte sich seine Gitarre aus der Halterung und ließ seine Finger über die Seiten gleiten, bis sich die einzelnen Töne zu einer stimmigen Melodie verbanden. Ohne groß darüber nachzudenken begann Isandro dazu zu singen. Einfach das, was ihm gerade durch den Kopf ging. Üblicherweise schrieb er seine Lieder auf eine gänzlich andere Weise, doch das sollte kein normaler Song werden.

Als der Text zur Melodie passte, hole er sein Handy aus der Hosentasche und nahm das Ganze einfach auf.
 

Am anderen Ende der Welt lief Delilah kopflos in seinem Zimmer auf und ab. Curry lag gerade im OP. Er wusste nicht, was er ohne den Hund tun sollte. Natürlich, er würde sich einen neun Blindenhund zulegen könnten, doch allein beim Gedanken an einen anderen Hund in ihrer Wohnung zog sich sein Magen krampfhaft zusammen. Curry war sein erster Hund gewesen. Seine Eltern hatten ewig lang für den Retriever gespart und zu seinem fünften Geburtstag hatte dann das Geld endlich ausgereicht. Geld. Der nächste Grund, warum er sich im Moment keinen neuen Blindenhund anschaffen konnte. Isandros Gehalt, das er in einem kleinen Plattenladen verdiente und die staatliche Blindenbeihilfe reichten gerade fürs Nötigste zum Leben und die Miete für ihre Wohnung aus. Sein gesamtes Erspartes war für die OP und die Reise nach New York aufgegangen, ebenso wie alle Rücklagen seiner Eltern.

Mit einem Seufzer drehte er sich an der Tür wieder um und wanderte zum Fenster des kleinen, heruntergekommenen Motelzimmers. Und wieder zur Tür. Und zum Fenster. Tür. Fenster. Tür. Fenster. Er war schon so oft hier auf und ab gelaufen, dass er nicht einmal mehr einen Stock brauchte. Mit dem Ding kam er sowieso nicht gut klar. Natürlich hatte er auf unbekanntem Gebiet immer den Stock neben Curry mit, doch er verließ sich lieber auf ein lebendiges Wesen, das ihn seit dreizehn Jahren noch nie enttäuscht hatte, als auf ein gehirnloses Stück Holz.

Aber wohl oder übel musste er sich mit dem Stock anfreunden, wenn Curry die OP nicht überlebte. Ein neuer Blindenhund war einfach nicht in ihrem Budget drin.

Heiß tropften seine Tränen über seine Wangen. Die Verzweiflung drohte ihn in mächtigen Wogen zu übermahnen und er ließ sich aufs Bett fallen. Verdammt, es war ihm nie richtig bewusst gewesen wie tief Curry sich in seinem Herzen bereits eingenistet hatte. Das Tier bedeutete ihm ebenso viel wie Isandro oder seine Eltern.

Mit einem Mal durchbrach ein schrilles Piepsen die Stille. Was war das? Hörte sich nach Handy an, doch er hatte einen anderen Klingelton. Abgesehen davon, hatte er mit seinem Vater und Isandro vereinbart, dass sie sich aufgrund der Kosten nicht anrufen würden.

Tastend fuhr er mit der Hand übers Bett. Dort vibrierte etwas. Langsam ließ er die Finger über das klingelnde Ding gleiten. Es war sein Handy, eindeutig. Doch was verursachte dieses Geräusch? Da schoss es ihm ein. Irgendjemand hatte ihm eine SMS gesendet. Welcher Vollidiot schickte einem Blinden bitte eine Kurznachricht? Verärgert drückte er auf den Knopf, der seiner Meinung nach das Geräusch abstellen würde. Doch statt das Gerät zum Schweigen zu bringen, stellte sich eine neue Melodie ein. Gitarrenklänge. Ein Lied, das er bis jetzt erst einmal gehört hatte. Dann Isandros engelsgleiche Stimme.
 

Hey there Delilah

What's it like in New York City?

I'm a thousand miles away

But boy tonight you look so pretty

Yes you do

Times Square can't shine as bright as you

I swear it's true

Hey there Delilah

Don't you worry about the distance

I'm right there if you get lonely

Give this song another listen

Close your eyes

Listen to my voice, it's my disguise

I'm by your side

Oh it's what you do to me

Oh it's what you do to me

Oh it's what you do to me

Oh it's what you do to me

What you do to me
 

Delilahs Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Wieder einmal fragte er sich, wie Isandro immer auf solche Ideen kam. Er wäre Jahr und Tag nicht drauf gekommen eine solche Nachricht zu versenden.

In der Hoffnung nichts Falsches zu drücken, betätigte er nochmal denselben Knopf. Glücklicherweise war es der richtige und das Lied wurde wieder abgespielt. Und wieder und wieder und wieder.

Die Stimme seines Geliebten hatte eine Blase in seinem Inneren gebildet, die gefüllt war mit Wärme, Hoffnung und Liebe. Womit hatte er einen so wundervollen Menschen bloß verdient?

Noch einmal ließ er das Lied abspielen. Die ersten Akkorde kannte er bereits. Es war das erste Selbstgeschriebene geschrieben gewesen, das Isandro ihm auf seiner Gitarre vorgespielt hatte. Nach annähernd fünf Monaten hatte der Dunkelhaarige ihn zum ersten Mal gefragt, ob er nicht mit hoch zu ihm kommen wolle.

„Tut mir leid, es ist nicht viel wärmer als draußen, Heizkosten würden mein Budget vermutlich dezent sprengen. Und es zieht, ich hab die Fenster meistens offen wegen des Schimmelgeruchs. Aber sonst fühl dich ruhig wie zu Hause.“

Kaum war die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen, hatte Delilah Curry von der Leine gelassen und sich mit den Händen an der Wand entlang tastend auf Erkundungstour durch die Wohnung gemacht.

„Du bist nervös.“

Das war keine Frage. Mittlerweile war Isandro es schon gewohnt, dass der Blinde jede Emotion aus seiner Stimme herauslesen konnte, doch im Moment wünschte er sich, das dem Blonden das Vibrieren in seiner Stimme nicht aufgefallen wäre.

„Mach dir keine Sorgen, Isandro. Ich werd nicht schlecht über deine Bleibe urteilen. Du hast wenigstens was Eigenes, im Vergleich zu mir.“

„Das ist was anderes, du…“

„Ich was? Du hast mich bis jetzt noch nie anders behandelt oder nach anderen Maßstäben beurteilt, fang jetzt bitte nicht damit an.“

Seine Stimme war hart geworden, ebenso wie seine Mine. Trotzdem setzte er seinen Rundgang durch die Wohnung fort.

„Ich hasse es, ständig bemitleidet und bevormundet zu werden. Das betretene Schweigen und die gemurmelten Entschuldigungen, wenn jemand kapiert, dass ich blind bin. Als ob sie schuld daran wären oder so. Oder die Korrekturen bei Redewendungen wie ‚Schau mal…‘ oder dem Zeug.“

„Das ist nur die gängige Praxis. Das wird als höflich angesehen.“

„Dann bist du aber verdammt unhöflich.“

Einen Moment schwiegen beide und es war beinahe zu hören, wie Isandro darüber nachdachte. Er hatte tatsächlich noch nie nach diesem Schema gehandelt. Er hatte Delilah einfach immer normal behandelt.

Mit einem Grinsen ließ sich Isandro ein Stück vor dem über die Wandtastenden auf die Knie sinken und nahm dessen Hand.

„Kannst du mir verzeihn, dass ich ein selten ungehobelter Rüpel bin?“

Seine Stimme klang feierlich, doch sein Grinsen war seinen Worten deutlich anzuhören und Delilah lachte.

„Meinetwegen. Solang du bloß nicht damit aufhörst einer zu sein.“

„Versprochen.“

Grinsend hatte Delilah seinen Rundgang fortgesetzte, bis er auf die Gitarre gestoßen war.

„Spielst du mir was vor?“

„Klar. Lass mich raten: irgendwas von Oasis.“

Abermals lächelte Delilah. Seine Lieblingsband. Mittlerweile kannten sie den Musikgeschmack des anderen fast auswendig. Auch sonst kannten sie sich mittlerweile ziemlich gut. Während Isandro ihn zum Sofa lotste und Wonderwall anstimmte, musste Delilah ein Seufzen unterdrücken. Er hatte noch nie jemanden außerhalb seiner Familie so nah an sich heran gelassen. Und das Ergebnis war, dass er sich ziemlich in Isandro verknallt hatte. Die Wärme, die er jedes Mal empfand, wenn er seine Stimme hörte. Seinen Sarkasmus. Und die Art wie er mit ihm umging. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl normal zu sein, akzeptiert zu werden. Und diese Empfindung war unglaublich.

Eine Zeit lang war nur das Spiel der Gitarre und Isandros Gesang zu hören.

„Willst du mal was von mir hören?“

Delilah nickte stumm und das nächste Lied wurde angestimmt. Erst waren es nur einige Akkorde – genau die, aus denen jetzt die Briefe nach New York geworden waren – danach verdichtete sich das Ganze zu einem Lied.

Die Melodie plätscherte sanft durch den Raum und Delilah versuchte sein Bestes dem französischen Text zu folgen. Isandro hatte ihm erzählt, dass er französische Wurzeln hatte und die Sprache fließend beherrschte, doch er hatte nicht damit gerechnet, dass er seine Songs französisch schrieb. Doch es hörte sich wundervoll an. Es war auf jeden Fall eine tolle Sprache, obwohl Delilah selbst damit in der Schule immer die meisten Schwierigkeiten hatte. Aber er verstand es soweit, dass es sich darin um schöne, braune Augen handelte, die so tiefgründig wie der Ozean waren und so funkelnd wie die Stern.

„Ich wusste gar nicht, dass du deine Songs auf Französisch schreibst.“

„Nicht alle. Manche Lieder werden einfach besser betont, durch die Sprache.“

„Isandro…wie sehn Sterne aus?“

Eine Frage, die er schon unzähligen Menschen gestellt hatte, doch niemand hatte sie bisher zufriedenstellend beantworten können. Wenn Isandro es konnte, würde er etwas versuchen.

Das Sofa sank neben ihm ein Stück ab und Delilah spürte die Wärme, die vom Körper neben ihm ausging.

„Stell sie die vor…wie ein helles Windspiel im dunklen Gewirr des Straßenlärms. Ein lichter Fleck in Mitten des Dunkels. Kannst du dir darunter was vorstellen?“

Oh jaaa und wie er das konnte. Und jetzt war es Zeit, seine Abmachung mit sich selbst einzuhalten.

„Kann ich, danke. Da gibt’s noch was, das ich mir nicht vorstellen kann…“

„Nur zu, ich versuch’s dir zu veranschaulichen.“

Langsam und zögerlich streckte Delilah seine Hand in die Richtung, aus der die Stimme kam, bis seine Finger auf weichen Stoff trafen.

„Für mich bist du nie mehr, als eine Stimme. Ein Geist. Darf ich…darf ich dir ein Gestalt geben?“

Einen Moment herrschte Schweigen und Delilah hätte sich am liebsten geohrfeigt. Warum zum Teufel hatte er Isandro jetzt unbedingt bitten müssen ihn betatschen zu dürfen?! Vermutlich würde er ihn jetzt sang- und klanglos aus der Wohnung werfen.

„Ja…klar.“

Isandros Stimme klang heiser und Delilahs Stimmung hob sich wieder ein wenig.

Sanft fuhr er mit den Fingern den Arm entlang nach oben. Isandro hatte sich nach vorne gelehnt, die Unterarme auf die Knie oder etwas Ähnliches gestützt, wie aus der Schulterhaltung hervorging.

Nach dem Arm kam ein kurzes Stück Hals. Unter seinen Fingern spürte er den Puls seines Gegenübers. Isandros Herz raste. Ohne darauf einzugehen überging er den beschleunigten Aderschlag, aus Angst die Gelegenheit zu verwirken wenn er daran Anstoß nahm.

Der glatte Hals ging in die stoppeligen Konturen eines Gesichtes über. Dicke, weiche Haare streiften seinen Handrücken, als er die Wange nach oben strich, über ausgeprägte Wangenknochen, die Schläfe und dicke Augenbrauen. Eine gerade Nase. Wieder eine Wange.

Delilah stockte der Atem, als Isandro sein Gesicht in seine Hand schmiegt. Es war nur eine winzige Bewegung und doch spürbar und ausreichend, um jede Faser in seinem Körper zum prickeln zu bringen.

Noch langsamer strichen seine Finger über ein zart bärtiges Kinn und…über samtweiche Lippen.

Als er seine Hand wieder wegziehen wollte, fing Isandro sie ab. Delilah spürte seinen heißen Atem über die Haut streichen, als er seine Finger wieder zu seinem Mund führte und einen Kuss auf seiner Handfläche patzierte.

„Ich…ich würd dich gerne küssen…wenn du mich lässt.“

Abermals strich ein heißer, stoßartiger Luftstrom über sein Haut und er spürte Lippen leicht über die Innenfläche seiner Hand streifen.

Isandro ließ seine Hand sinken und Delilah legte seine wieder an seine Wange. Ließ sie zitternd hinunter an den Hals und unter weichen Haaren nach hinten in seinen Nacken gleiten.

Sanft zog er ihn zu sich heran. Isandros Hand bahnte sich ihrerseits einen Weg unter seinem Arm durch und stütze sich auf die Couch neben Delilah.

Sein erster Kuss. Delilah hatte noch nie jemanden geküsst und dieses erste Mal würde er niemals vergessen.

Isandros Lippen waren auf seinen noch weicher, als sie sich unter seinen Fingern angefühlt hatten. Delilah ging einfach mit den Bewegungen des anderen mit und öffnete gehorsam den Mund, als er die heiße, feuchte Zunge des anderen spürte, die sich träge den Weg in unbekannte Gefilde bahnte.

Langsam aber sicher wurde Isandro immer leidenschaftlicher. Seine Zunge wirbelte erotisierend durch Delilahs Mund und er schob seinen Körper immer näher, bis seine Brust auf die des Blonden traf, der sich nach hinten fallen ließ und ihn mit sich zog, bis die beiden aufeinander lagen.

Willkürlich begannen seine Hüften rhythmisch zu kreisen und seine Hand suchte sich ihren Weg unter sein Shirt, während sich Delilah an seinen Rücken gekrallt hatte. Erst als er die harten Bauchmuskeln unter seinen forschenden Finger spürte, hielt er inne und löste sich ein Stück von den Lippen des anderen.

„Ich hab sowas noch nie gemacht.“

Beide grinsten, ob des synchronen Geständnisses. Isandros Hand strich weiter nach oben, doch seine Lippen streiften Delilahs nur noch leicht.

„Mit Männern oder allgemein…?“

Delilah räusperte sich, drehte den Kopf leicht zu Seite und beantwortete die Frage auf dieses Weise.

„Ist das…ist das schlimm?“

Isandros Mund küsste sich den Weg zum Hals des Blonden, den er durch die seitliche Neigung herrlich darbot und hielt dort grinsend inne.

„Nein, irgendwie find ich’s geil.“

Damit saugte er sich an seinem Hals fest und seine Hand, die gerade noch einen Nippel umkreist hatte bahnte sich ihren Weg weiter nach unten, zu etwas, das nicht weniger hart als die Brustwarze war.
 

Ein rüdes Klopf unterbrach Delilahs erotische Erinnerungen. Nie in seinem Leben hatte er sich so sinnlich, so begehrenswert, so schön empfunden, wie in diesem Moment.

„Delilah?“

Die Stimme seiner Mutter ließ ihn zur Tür stolpern und sie öffnen.

„Ja?“

„Ach, ich wollt nur sehn, wie’s dir geht.“

Innerlich drehte er die Augen über und grinste. Jaja, seine überfürsorgliche Mutter. Er wüsste nicht wo er ohne sie wäre – vermutlich schon längst krepiert – aber es war auch verdammt lächerlich wenn sich eine Mutter ihrem volljährigen Sohn gegenüber wie eine Glucke verhielt.

„Ja, ich komm klar. Aber kannst du mir zeigen, wie man eine Sprachnachricht am Handy aufnimmt und verschickt?“

„Ähmmm…mal sehn. Du weißt ja, dass ich mit diesen neumodischen Dingen nicht sonderlich gut klar komme. Bis eben wusste ich noch nicht einmal, dass man sowas wie Sprachnachrichten aufnehmen und versenden kann.“

Sie war an ihm vorbei ins Zimmer gewuselt und hatte sich das Handy vom Bett geschnappt.

„Du willst sie an Isandro schicken oder?“

Wortlos nickte er und seine Mutter nach seine Hand und führte sie zu den Tasten des Mobiltelefons.

„Also, hier drücken…“

Sie senkte seinen Finge auf eine Taste und ein leiser Pieper ertönte.

„…jetzt nimmst du auf. Wieder hier drücken…“

Der gleiche Knopf, aber ein tieferer Ton erklang.

„…und du bist fertig – mal sehn – zweimal noch denselben Knopf und sie wird gesendet. Hoppala, jetzt hab ich das tatsächlich gesendet, tut mir leid, mein Schatz. Ich stell’s dir schnell wieder ein, dass du nur noch zu drücken brauchst, um deine zu verschicken.“

Einen Moment später nahm Delilah das Handy wieder und grinste abermals.

„Schon okay, ich bin mir sicher, Isandro wird’s kapiern, wenn er das hört. Danke.“

Trippelnde Schritte, die sich entfernte und ein Türklinke, die hinunter gedrückt wurde.

„Gern geschehn. Ich seh‘ dann später nochmal nach dir.“

„Und Mum – nenn mich nicht ‚mein Schatz‘.“

„Natürlich, mein…Delilah.“

Die Tür wurde zugezogen und der Blinde tastete sich zum Bett und ließ sich darauf sinken. Mit einem dumpfen Geräusch fiel er rückwärts in die Kissen und starrte an die schmutzig weiße Decke, bevor er den gezeigten Knopf am Telefon drückte, das Piepsen durch den Raum hallte und er zu reden begann. Von seine Sorgen wegen Curry, ihren Geldproblemen, wie sehr er Isandros Lieder liebte und er ihn vermisste.
 

Im trüben Wetter Klagenfurts stöberte Isandro durch ihren Kühlschrank, auf der Suche nach etwas Essbarem, als sein Telefon bimmelte. Eine Sprachaufnahme von Delilah. Er drückte ‚Wiedergabe‘ und zu hören war das Geschnatter von seiner Beinahe-Schweigermutter, die die Handhabung des Telefons erklärte. Ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. Delilahs gluckenhafte Mutter war wirklich eine Klasse für sich. Anfangs waren sie überhaupt nicht miteinander ausgekommen. Vielleicht auch weil er ein Mann war, doch hauptsächlich aus Angst um ihren Sohn. Es hatte lange gedauert, doch mittlerweile hatte sie ihn akzeptiert und behandelte ihn gleichsam als Sohn. Oder eher Schwiegersohn.

Bei der Suche nach einer eigenen Wohnung für Delilah und ihn hatte sie sich als wahres Goldstück heraus gestellt. Die beiden waren sieben Monate zusammen gewesen und Isandro hatte eben die Stelle in dem Plattenladen angenommen, als sie beschlossen hatten zusammen zu ziehen. Und als Immobilienmaklerin hätten sie ohne Mrs. Delilah - wie Isandro sie immer nannte - nie so schnell eine leistbare Bliebe gefunden. Und auch beim Umziehen waren sie und ihr Mann eine große Hilfe gewesen.

Kurz nach der ersten Nachricht traf eine weitere ein, diesmal tatsächlich von Delilah.

Gebannt lauschte er der Stimme seines Lebensgefährten. Der Kummer und die Sorge in seinen Worten ließen ihn traurig aufseufzen. Könnte er doch nur irgendetwas für ihn tun. Er betete dafür, dass Curry heil aus der Sache rauskam.

Er selbst hatte den Hund in sein Herz geschlossen, als er Delilah vor Monaten seine Brieftasche wieder gebracht hatte, die unter seinem Bett verloren gegangen war. Sie hatten alles abgesucht und schon verzweifelt an Diebstahl gedacht, als der Hund mit dem Ding im Maul unter dem Bett hervor gekrochen war. Es war das dritte Mal gewesen, dass sie bei ihm daheim gewesen waren, aber das erste Mal, dass Delilah über Nacht geblieben war. Es war ein wundervolles Gefühl gewesen morgens neben ihm aufzuwachen.

Beim Gedanken daran grinste er. Isandro war wach geworden, weil sich irgendetwas Hartes in seine Pobacke gebohrt hatte. Etwas nacktes, langes Hartes, das dem dazugehörigen Körper bei der ersten, festen Berührung ein Stöhnen entrang.

„Dir auch einen wunderschönen guten Morgen.“

Ihre Lippen trafen aufeinander – erst träge und verschlafen, dann zunehmend wilder.

Ebenso wurden ihre Bewegungen stürmischer. Isandros Hand glitt härter und schneller auf und ab und Delilahs Hüften stießen im Gegenzug ungestümer im Rhythmus zu und zogen sich aus seiner Hand wieder zurück.

Bis der Höhepunkt erreicht war, der Blonde ekstatisch Isandros Namen rief und sich warm über dessen Hand ergoss, bevor er zurück in die Kissen sank.

„Also wenn du mich immer auf diese Weise weckst, sollte ich öfters hier schlafen.“

Delilahs Hand strich sanft über Isandros Brust und er küsste ihn ebenso sanft, bevor er sich aufrichtete und ihn in die Kissen drückte. Schließlich sollte keiner von ihnen zu kurz kommen. Gemächlich rollte er sich auf ihn, stützte sich dabei mit den Armen aufs Bett und zog mit seinen Lippen und seiner Zunge eine heiße Spur gen Süden, die er kühlte, indem er leicht darüber blies und Isandro eine Gänsehaut entlockte.

Gott, wie sich seine Lippen auf seinem Geschlecht angefühlt hatten. Und seine Zunge. Das Saugen und Lecken, das Umkreisen und Darüberstreichen.
 

Am liebsten hätte er beim bloßen Gedanken daran zu onanieren begonnen. Doch ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er damit besser noch warten sollte. Die Umrechnung ergab, dass Currys OP bald vorüber sein müsste und er wollte Delilah unbedingt vorher noch eine Nachricht schicken.
 

Die Fahrt in die Klink schien unendlich lange zu dauern. Vor einer halben Stunde hatte Currys Arzt angerufen, der Hund war auf die Intensivstation verlegt worden. Er schlief zwar noch, doch Delilah wollte da sein, wenn er aufwachte. Falls er aufwachte. Eine Bestätigung dafür hatte er noch nicht bekommen.

So oder so, ihr Flug würde noch heute zurück nach Österreich gehen.

Ein Vibrieren in der Hosentasche kündigte einen Anruf oder einer weitere Sprachnachricht an. Zum Glück waren die Kopfhörer eingestöpselt, da Delilah gerade übers Handy Musik gehört hatte und Isandros Song wurde gleich abgespielt.
 

Hey there Delilah

I know times are getting hard

But just believe me boy

Someday I'll pay the bills with this guitar

We'll have it good

We'll have the life we knew we would

My word is good

Hey there Delilah

I've got so much left to say

If every simple song I wrote to you

Would take your breath away

I'd write it all

Even more in love with me you'd fall

We'd have it all

Oh it's what you do to me

Oh it's what you do to me

Oh it's what you do to me

Oh it's what you do to me

What you do to me

A thousand miles seems pretty far

But they've got planes and trains and cars

I'd walk to you if I had no other way

Our friends will all make fun of us

and we'll just laugh along because we know

That none of them have felt this way

Delilah I can promise you

That by the time we get through

The world will never ever be the same

And you're to blame
 

Leise lächelte Delilah. Isandro schaffte es selbst in den schwärzesten Momenten ihm einen Lichtschimmer zu zeigen. Einen Stern. Ein lichter Fleck in Mitten des Dunkels.

Ebenso wie die Sterne hatte Isandro ihm auch alles andere beschrieben, dass bisher außerhalb von Delilahs Vorstellungsvermögen lag. Alles was er mit den Händen abtasten konnte, das er fühlen konnte, war auch möglich zu realisieren. Zwar nicht visuell, doch unter dem Begriff ‚Ball‘, konnte er sich zum Beispiel etwas vorstellen: etwas, das zu keiner Seite ein Ende nahm und gewölbt war. Doch ‚Hochaus‘, war etwas das man nicht so einfach in die Hand nehmen konnte.
 

„Was ist ein Hochhaus?“

Sie waren auf dem kleinen Balkon in Delilahs Haus gesessen, Isandro an die Hauswand gelehnt, Delilah an ihn zwischen seinen Beinen. Ihre Hände ineinander verflochten und seine Lippen ganz dicht an seinem Ohr, in mitten dieser fantastischen, unglaublich weichen Haarmähne.

„Ein Orchester. Und Beethovens Fünfte Symphonie. Etwas, das über dich hinaus wächst. Die langsamen Stellen sind Fenster, die schnellen die Mauern. Also von außen betrachtet. Ein Meisterwerk. Musikalisch oder eben architektonisch. Das Zusammenspiel aller Komponenten, das im Endeffekt etwas schafft, dass größer ist, als begreiflich. Alles ist genau geplant, wenn ein Teil einen Fehler macht, bringt es die gesamte Konstruktion zum wackeln.“
 

New York war voll von Fünften Symphonien. Was irgendwie beängstigend war. Der Klang der Autos, das Gehupe, alles klang anders. Der Schall wurde von den viel zu hohen Häuserfronten völlig anders wiedergegeben.

Delilah war mehr als froh, als sie endlich ins kühle Foyer der Klinik traten. Der Straßenlärm klang viel gedämpfter, kaum dass die elektrische Glastür hinter ihnen zugeglitten war und stattdessen erhob sich eine vielstimmige Kakophonie von den unterschiedlichsten Tieren.

Eine unfreundliche Frauenstimme wies Delilah und seine Mutter an, noch einen Moment zu warten.

„Ich muss noch schnell zur Toilette.“

„Gut, rechts den Gang runter. Ungefähr 15 Schritte, dann kommt an der linken Wand eine Vertiefung, da gibt’s eh nur eine. Dort musst du rein.“

Er nickte, ließ seine Mutter auf einem der Plastikstühle zurück und machte sich auf den Weg zum Herrenklo. Dort bahnte er sich den Weg vorbei an den Pissoirs in eine Kabine, wo er den Deckel herunter klappte und sich darauf niederließ, um noch eine Botschaft an Isandro zu versenden.

Er erzählte ihm hauptsächlich von New York, um nicht zu sehr über Curry nachdenken zu müssen. Von den Hochhäuser, den vielen Autos, dem Lärm. Und auch vom Central Park und den unendlichen Möglichkeiten. Vielleicht würde man hier ja Isandros Talent entdecken. In Klagenfurt hatte er keine großen Chancen, doch New York – sie sollten hier gemeinsam Urlaub machen. Oder hierher auswandern. Naja, das war dann doch in etwas zu großen Dimensionen gedacht.

Er quasselte und quasselte, bis ihm der dumpfe Pieper sagte, dass seine Zeit für die Sprachnachricht um war und er sie ohne Abschiedsworte abschickte.

Keine fünf Minuten später kam die Antwort.
 

Hey there Delilah

You be good and don't you miss me

Two more years and you'll be done with school

And I'll be making history like I do

You'll know it's all because of you

We can do whatever we want to

Hey there Delilah here's to you

This one's for you
 

Die Blase voll Hoffnung und Zuversicht, die Isandro mit seiner ersten Nachricht erschaffen hatte, schwoll weiter an. Bei der Herfahrt hatte sie einen gehörigen Dämpfer bekommen, doch jetzt war sie wieder in voller Größe da. Dieser Mann konnte ihm einfach das Gefühl geben selbst den schwersten Sturm zu überwinden, den schlimmsten Gefahren zu trotzen und alles zu schaffen.

Mit einem besseren Gefühl machte sich Delilah bei seiner Mutter untergehakt auf den Weg in die angewiesenen Räumlichkeiten, als ihr Name aufgerufen wurde. Trotz der entsetzlichen Sorge um Curry musste er lächeln und an Isandro denken.
 

Oh it's what you do to me

Oh it's what you do to me

Oh it's what you do to me

Oh it's what you do to me

What you do to me
 



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