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Herzenswille

von

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Die Frust

Oscar drosch auf einen jungen Baum mit ihrem Degen wie besessen ein. Wie konnte ihr Vater das nur annehmen und in Erwägung ziehen, dass sie einen neuen Gardisten brauchte?! Sie hatte ja André! Und sie würde ihn niemals durch einen anderen Gefährten ersetzen! Auch wenn Andrés Sehkraft schwand, würde sie niemals einen anderen an ihrer Seite dulden! Oscar war außer sich. Und im Allgemeinen hatte ihr Vater nicht das Recht über die Menschen zu urteilen, ohne vorerst über den Grund oder die Ursache überlegt zu haben! Auch wenn der wütende Mob sie beinahe getötet hätte, wäre es trotzdem ratsam, sich um die hungernden und verzweifelnden Menschen zu kümmern, anstelle gegen sie mit Waffengewalt anzugehen! Denn genau das Letztere würde einen noch größeren Aufstand nach sich ziehen, der noch fatalere Folgen haben würde als ein Überfall auf die adligen Kutschen!

 

Oscar war außer Puste, sie schnaufte ununterbrochen, während ihre Hand immer und immer wieder die Hiebe gegen den Baum ausführte. Die Blätter, Zweige und Äste flogen nur so umher und wirbelten unter ihren Stiefeln wieder auf, als sie sich eine neue Position aussuchte. Sie konnte nicht aufhören! Ihr geschundener Körper schmerzte, ihre Wunden scheuerten und brannten unter dem Verband bei jeder ihrer Bewegungen, aber in ihrer Rage nahm sie das kaum wahr!

 

Noch ein Hieb, noch ein gefallener Zweig und unzählige Blätter, von denen sich einige in ihrem Haar verfingen. Langsam ließ der rote Schleier der Wut vor ihren Augen nach, ihre Hiebe wurden immer kraftloser und Oscar sah den von ihr verunstalteten Baum immer klarer: Die Rinde hatte überall tiefe Kerben, die unteren Äste waren fast alle abgebrochen und wirkten wie im Winter kahl und grässlich. Oscar fiel ermattet auf die Knie und immer mehr wurde sie dem Ausmaß ihrer Wut und den körperlichen Schmerzen gewahr – alles um sie herum war mit Grünzeug von dem verunstalteten Baum bestreut. Das war das erste Mal, dass sie sich derart unbeherrscht gehen ließ. Meistens, wenn sie in Weißglut geriet oder ihr hitziges Temperament auszubrechen drohte, dann war André zur Stelle und hatte sie mit ein paar aufheiternden Worten zu beruhigen gewusst. Nun lag er aber bewusstlos in seinem Bett und es war ungewiss, wann er wieder aufwachen würde...

 

André! Oscar rammte ihren Degen in den Boden und versuchte die restliche Wut in ihr im Keim zu ersticken. Wie konnte er ihr seine schwindende Sehkraft verschweigen?! Sie hätte ihm doch gerne geholfen und nach einer Lösung gesucht! Aber nein, er verstellte sich nur stets gekonnt und gaukelte ihr sein unbeschwertes Wesen vor! Warum nur?

 

Das war so entsetzlich! Und das Schlimmste war, sie konnte ihm die Täuschung nicht einmal verübeln! Oscar atmete mehrere Male tief durch, um die erneut aufkeimende Wut niederzuringen und die Rage schien langsam nachzulassen. Sie hob noch etwas außer Atem ihren Blick und sah eine alte Eiche unweit vor ihr. Sofort stiegen Erinnerungen aus vergangener Zeit in ihr hoch: „Weißt du noch, als du sieben warst, hast du einen Schatz unter dieser Eiche vergraben. Willst du nicht nachsehen, ob noch alles da ist?“, hatte André damals vor etlichen Jahren gefragt und sie hatte ihm geantwortet, dass sie sich nicht erinnern konnte. Sie war nicht ganz ehrlich zu ihm gewesen.

 

Oscar stützte sich auf ihren Degen, erhob sich auf die Beine und ging auf die alte Eiche mit schleppenden Schritten zu. „Doch, André, ich erinnere mich...“, flüsterte sie kaum hörbar zu sich selbst und kniete an einer bestimmten Stelle unter den Baum. Ganz leicht fuhr sie mit ihren Fingern über die grünen Grashalme, tauchte tiefer bis zu der Erde vor und begann sie mechanisch zu zupfen und die Erde auszuheben. Ihre schon sowieso tauben und bandagierten Hände spürten kaum etwas, einen Knoten löste sich von den heftigen Bewegungen und die Enden baumelten dann lose und verdreckt herab. Oscar achtete nicht darauf und grub immer weiter - solange, bis sie auf einen Gegenstand stieß. Der sogenannte Schatz war nicht tief vergraben, aber er war da und Oscar durchströmte dabei eine gewisse Erleichterung. Sie stellte die modrige, aber noch stabile Holzkiste auf ihren Schoß und strich die restliche Erde ab. In ihrem Geist hörte sie das Kinderlachen und vor ihrem inneren Auge sah sie, wie André und sie diesen Schatz begruben: Die Schaufel war zu groß für alle beide, aber es hielt sie nicht vor ihrem Vorhaben ab! Gemeinsam hielten sie die Schaufel, stießen sie in die Erde und hoben eine Grube aus. Ihre Haut scheuerten sie sich dabei auf und später waren dadurch kleine Bläschen entstanden, aber das war ihnen beiden egal – der Schatz und das herrliche Gefühl von Stolz und Glückseligkeit waren ihnen tausendfach wichtiger! Und nicht einmal ihre verdreckte Kleidung und der Tadel von Sophie konnte ihnen etwas anhaben! Wie unbeschwert und fröhlich sie doch damals waren! So sorglos und unschuldig... Im Gegensatz zu hier und jetzt...

 

Willst du nicht nachsehen, ob noch alles da ist?“, hallte wieder Andrés Stimme in ihrem Kopf wie ein Echo.

 

„Natürlich, will ich das.“, sagte Oscar zu sich selbst und ein kaum merkliches Lächeln stahl sich auf ihren Lippen, als sie den Deckel öffnete. Es war alles noch da: das rote Messer, einen Kreisel aus Blei und ein Zinnsoldat! Sie nahm den Zinnsoldaten heraus und betrachtete ihn gedankenverloren. André hatte ihn damals zu ihren Sachen in die Kiste gelegt. Oscar erinnerte sich aber dabei, dass er noch wenige Tage zuvor ebendiesen Zinnsoldaten vor ihr versteckt und behauptet hatte - so ein Spielzeug sei nur für echten Knaben! Wie zornig sie auf ihn danach war und sie hatte den ganzen Tag deshalb mit ihm nicht geredet! Als Kind hatte sie sich für einen Jungen gehalten und wollte mit allem, was ein Mädchen ausmachte, nichts am Hut haben. Bis sie älter wurde... und irgendwann die Liebe zu einem Mann kennengelernt hatte...

 

Oscar umschloss den Zinnsoldaten in ihrer Faust fester – als würde sie die Vergangenheit einholen und ihr wieder Leid zufügen... Sie wollte aber nicht mehr an die unerwiderten Gefühle zu von Fersen erinnert werden – das war alles vorbei und sie hatte schon längst damit abgeschlossen! Von Fersen hätte niemals in ihr eine Frau gesehen und demzufolge auch nie geliebt, denn sein Herz gehörte ganz alleine der Königin, Marie Antoinette! Nein, Sie spürte nichts mehr zu ihm, außer Bedauern und Mitgefühl für seine Liebesqual...

 

Oscar versuchte an diese schmerzliche Erinnerung nicht mehr zu denken und kehrte lieber in ihren Gedanken an den Tag zurück, als sie und André den Schatz begruben. Sie fühlte sich dadurch wieder besser, hielt den Zinnsoldaten in ihrer Hand lockerer und entspannte sich, als sie sich das glockenhelle Kinderlachen und die leuchtenden Augen von ihr und André aus der unwiderruflichen Kindheit wieder vorstellte.

 

„Lady Oscar!“

 

„Was ist, Sophie?“ Oscar schreckte beinahe hoch - sie hatte nicht gemerkt, dass Andrés Großmutter zu ihr gekommen war.

 

„Was macht Ihr da?“ In Anbetracht der etwas zerstreuten Verfassung ihres Schützlings vergaß die alte Haushälterin auf der Stelle, weshalb sie eigentlich sie ersuchte.

 

Oscar überspielte ihre Sorge, richtete ihren Blick wieder auf die kleine Kiste auf ihrem Schoß und klappte den Deckel wieder zu. „Ich habe meinen alten Schatz ausgegraben – das sieht man doch.“

 

„Mit bloßen Händen?“ Der Schreck stand Sophie im Gesicht geschrieben, als sie die lose hängenden und vor Erde verdreckten Enden von dem Verband auf ihren Händen sah. Das konnte doch nicht wahr sein! Was wenn dadurch ihre Wunden sich entzündeten! Obwohl die Bandagen genau das verhinderten, aber das hieß doch noch lange nichts! Und genau das versuchte Sophie sogleich zu erklären: „Das geht nicht! Schaut Euch doch Eure Hände an! Jetzt sind sie schmutzig!“

 

„Diesen Schmutz kann man wegwaschen, Sophie. Im Gegensatz zu einem anderen...“ Oscar erhob sich auf die Beine, ignorierte das Knacken ihrer Kniescheiben und ging etwas hinkend in das Haus zurück. Sie hatte Sophie nicht einmal zugehört und schwebte noch in der Erinnerung an ihrer Kindheit - ihrer und Andrés Kindheit! Denn es gab praktisch nichts, was sie nicht zusammen erlebt hatten! Gemeinsam hatten sie Freude und Leid geteilt, sie waren beinahe unzertrennlich und dennoch hatte sich mit den Jahren vieles zwischen ihnen verändert. Die Gefühle hatten sich zueinander verändert. Während André Oscar stillschweigend liebte, hatte sie wiederum ihr Herz an einen anderen verloren – an jenen von Fersen, der sie von dem wütenden Mob gerettet hatte und dessen Herz der Königin von Frankreich gehörte!

 

Nun war das alles aus – die damalige Liebe zu dem Grafen existierte nicht mehr, genauso wie auch die Freundschaft zu ihm... Oscar verspürte eine Leere, ein dumpfes Gefühl, als sie an ihn dachte und sich an die Tage erinnerte, an denen sie wegen ihm Liebeskummer hatte... Aber war das wirklich Liebe?

 

...zu lieben und geliebt zu werden, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge...“, erinnerte sich Oscar an Andrés Worte, die er ihr einstmals und vor vielen Jahren gesagt hatte, „...und so manch eine Liebe währt schon seit einer Ewigkeit, ohne dass der andere überhaupt davon weiß...“ Schon damals hatte er ihr seine Gefühle zu ihr angedeutet, aber sie war zu blind von ihren eigenen Gefühlen zu dem Grafen, um ihn wahrzunehmen. Bis an einem Abend er es nicht mehr ausgehalten hatte: „...eine Rose bleibt immer eine Rose – eine Rose kann keine Distel sein...“

Oscar schluckte bei dieser Erinnerung bitter, denn das war keine schöne Erinnerung. Für diese Worte hatte sie ihn geohrfeigt und gleich wütend angefaucht: „Willst du etwa sagen, dass die Frauen niemals wie Männer sein können?“

André hatte natürlich darauf nichts geantwortet und das hatte sie zur Weißglut getrieben, woraufhin er die Beherrschung verloren, sie grob angepackt und sie auf ihr Bett geworfen hatte...

 

Oscar blieb vor Andrés Zimmer stehen und schloss die Augen. Sie wollte nicht an diese schrecklichen Momente erinnert werden, denn André hatte ihr das Hemd zerrissen und erst dann von ihr abgelassen – selbst über seine grauenvolle Tat zutiefst erschrocken! Reuevoll hatte er sich entschuldigt und sie mit einer Decke zugedeckt. „...bitte verzeih mir, Oscar... ich schwöre bei Gott, dass es so etwas nie wieder passieren wird...“ Er hatte dabei selbst Tränen vergossen – das hatte sie aus seiner belegten Stimme vernommen und dann war er gegangen, aber nicht ohne hinzuzufügen: „...dennoch kann eine Rose niemals eine Distel sein... Versteh mich doch... zwanzig Jahre bin ich nun mit dir zusammen... Ja, ich liebe dich – ich habe dich schon immer geliebt... ich liebe dich aus tiefstem Herzen...“

 

Oscar schluckte den dicken Kloß in ihrem Hals mehrfach herunter, um an diesen Vorfall, vor beinahe einem Jahr, nicht mehr zu denken. Das hatte sie beide verletzt – so wie sie, so auch ihn und jetzt blutete ihr Herz genauso qualvoll wie damals. Aber diesmal, weil ihr die Augen geöffnet wurden und sie begann langsam zu verstehen, für wen ihr Herz eigentlich wirklich schlug...

 

 

 

Auf Andrés Zimmer setzte sich Oscar wieder auf den Stuhl neben seinem Bett und stellte die Schatzkiste auf ihrem Schoß ab. Sie hatte sich schon halbwegs gefangen und ihre Gefühle besänftigt. Das war nicht leicht, aber die Hoffnung auf die Besserung gab ihr Zuversicht und half ihr dabei. „Ich habe unser alten Schatz ausgegraben... Weißt du noch? Du wolltest doch, dass ich nachsehe, ob alles noch da ist... Es ist alles da, André... und auch dein Zinnsoldat... Du hast ihn damals gar nicht erwähnt... Wolltest du mich etwa damit auf die Probe stellen? Das sieht dir ähnlich... Aber ich erinnere mich daran - klar und deutlich! Ich lasse nicht zu, dass du ersetzt wirst - das habe ich gerade auf den Zinnsoldaten geschworen!“ Oscar hielte eine Pause ein und warf einen kurzen Blick auf den besagten Zinnsoldaten in ihrer Hand. „Ach, André... Es wäre schön, wenn du jetzt aufwachen und mit mir reden würdest...“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  YngvartheViking86
2016-06-17T18:18:19+00:00 17.06.2016 20:18
Ein schönes Kapitel :)
Die ganzen alten Erinnerungen, ob gut oder schlecht, hast du sehr gut eingebaut. Wäre doch der perfekte Zeitpunkt für Andre jetzt zu erwachen ;)

Ps: ich glob ich hab dich auf fb gefunden :D
LG Chris
Antwort von:  Saph_ira
17.06.2016 20:25
Vielen lieben Dank! ;D
Jep, der Zeitpunkt wäre jetzt perfekt, aber mal sehen ob es sich verwirklicht. :-)

PS.: Du glaubst? Ich würde sagen und natürlich wenn du möchtest, schreib auf fb eine Nachricht und dann mal sehen, ob ich es wirklich bin. ;-)

Liebe Grüße,
Ira
Antwort von:  YngvartheViking86
17.06.2016 20:29
Klaro, wird gemacht ;)
Antwort von:  Saph_ira
17.06.2016 20:31
Oh, schön, freu mich schon. :-)


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