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Höllenfeuer

von

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Kapitel 17

Kapitel 17
 

„Das bedeutet also, dass wir drei“, begann Roth skeptisch und zeigte auf Ethos, Chino und sich selbst. „Und fünf meiner Männer“, fuhr der Gardist fort und nickte in die Richtung fünf weiterer Männer, die sich nebeneinander auf ein unbequemes Sofa gequetscht hatten. „Im Zweifelsfall gegen drei…“

„Vier, wenn wir den Asiaten mitzählen“, unterbrach Chino.

„Fünf, falls Esrada auftauchen sollte“, fügte Ethos leise hinzu.

„In Ordnung, dann halt fünf. Also im Zweifelsfall gegen fünf Dämonen kämpfen müssen?“

„Das ist korrekt“, bestätigte Ethos und nickte kurz.

Er saß sehr angespannt auf seinem Stuhl, was nicht nur daran lag, dass ein äußerst entscheidender Kampf vor ihnen liegen konnte. Auch das Zimmer, in dem er zusammen mit Chino und den Gardisten des Vatikans saß, behagte ihm nicht. Nachdem er selbst gefordert hatte, in den Unterkünften zurück zu stecken, um mehr Männer mit auf die Missionen nehmen zu können, durfte Ethos am eigenen Leib spüren, was das bedeutete. Zwei Zimmer, die sich acht Leute miteinander teilen mussten, waren alles andere komfortabel. Von einer Besprechung in einem einzigen davon ganz zu schweigen.

Ethos konnte Roth seine Zweifel geradezu am Gesicht ablesen.

Allerdings äußerte sich der Leutnant nicht lautstark darüber, denn er wollte seine Männer nicht beunruhigen. Im Angesicht der Situation war dies auch das Beste. Die fünf Gardisten erschienen Ethos äußerst nervös. Und auch Chino, der direkt neben ihm saß, wirkte angespannter denn je.

Seitdem Maria von den Dämonen entführt worden war, war der Spanier nicht mehr derselbe. Seine Launen wechselten nahezu sekündlich. In dem einen Augenblick konnte man mit ihm lachen, in dem anderen stand er kurz davor, die Kontrolle zu verlieren und völlig auszurasten. Die letzten Stunden über hatte sich Chino allerdings zusammen reißen können, denn auch er war daran interessiert, dass der Plan, den sich die Gesandten des Vatikans zurecht gelegt hatten, gelang.

Unter dem Vorwand, eine neue Sonderausstellung eröffnen zu wollen, würde Ethos zusammen mit einem als Pfarrer verkleideten Gardisten in dem Museum auftauchen. Vorher würden sich Chino, Roth und die übrigen Gardisten so positionieren, dass sie nicht von den Dämonen eingesehen werden konnten. Das Ziel war es, die Dämonen so anzulocken und, abgeschottet von den Blicken der Zivilisten, zu stellen und zu töten.

Das Objekt, das dabei angepriesen wurde, war ein Original. Sollte Esrada auftauchen, wollte Ethos einen Fänger dabei haben. Es zu riskieren, einen anscheinend so mächtigen Dämonen entwischen zu lassen, konnte er sich nicht leisten. Für den Rest der Feinde waren dann Roth, Chino und die Gardisten verantwortlich. So einfach dieser Plan erschien, so intensiv war die Planung dieses Unterfangens gewesen.

Der größte Teil hing ohnehin vom Glück ab, denn eine Garantie dafür, dass einer der Dämonen auftauchen würde, hatte Ethos nicht. Im Gegenteil, der Plan war so offensichtlich, dass er geradezu nach einer Falle roch. Andererseits schien Esrada so viele Dämonen um sich geschart zu haben, dass die Chancen, dass er wenigstens einen von ihnen schicken würde, ebenfalls nicht schlecht standen.

Wie auch immer die Karten verteilt waren, Ethos war froh, dass er immerhin irgendetwas tat, um gegen die Dämonen vorzugehen. Inzwischen hatten diese so viel Schaden angerichtet und sich gleichzeitig so unantastbar gezeigt, dass es Ethos nahezu krank machte. Nächtelang hatte er wach gelegen und seine Gedanken kreisen lassen. Und trotzdem keinen besseren Plan zustande bekommen, als dieses auf Glück basierende Vorhaben. Noch immer wurmte ihn das gewaltig.

Um den Kopf einigermaßen frei zu bekommen, atmete Ethos tief ein.

„Ich denke, dass die Besprechung damit beendet ist. Wir sollten uns alle noch etwas ausruhen, bevor es morgen dann ernst wird. Gibt es noch irgendwelche Fragen?“ Keiner der Anwesenden äußerte sich. „Gut. Dann sehen wir uns morgen um vierzehn Uhr in diesem Zimmer wieder. Bis dahin haben Sie sich alle fertig angezogen, damit wir ohne Verzögerung zu dem Museum fahren können.“

Stillschweigend löste sich die Versammlung auf.

Während sich die fünf Gardisten mit den niedrigeren Dienstgraden ein Zimmer teilen mussten, blieben Chino, Roth und Ethos unter sich. Dafür war das Zimmer neben ihnen etwas größer geraten.

„Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich muss hier raus“, murmelte Chino und erhob sich. Als er sah, dass Roth und Ethos sitzen blieben, entschuldigte er sich und ging nach draußen.

Nachdem die Tür zurück in ihre Angeln gefallen war, richtete Roth sich fragend an den Priester:

„Ich möchte wirklich nicht an dir zweifeln, mein Freund. Aber glaubst du, dass das alles wirklich so funktionieren wird, wie wir uns das vorgestellt haben?“

Mit vor der Brust verschränkten Armen ließ sich Ethos gegen die quietschende Lehne seines Stuhles sinken. „Das kann ich dir auch nicht sagen. Angesichts dessen, wie die Dämonen bisher vorgegangen sind, finde ich es aber auch nicht unwahrscheinlich, dass tatsächlich jemand auftauchen wird.“

„Wie meinst du das?“, fragte Roth mit hochgezogener Augenbraue.

„Nun, zuerst einmal haben wir den völlig sinnlosen Auftrag in Frankreich, der alles andere als erfolgreich für die Dämonen verlief. Dann die Begegnung in London, im Grunde genommen das gleiche Schema. Ein schwacher Dämon in einer gestellten Rolle dient als Köder, nur mit dem Unterschied, dass der Dämon namens McKenzey stärker war, als derjenige in Joux“, erklärte Ethos ruhig und rieb seine Fingerspitzen aneinander. „Unter Personalmangel scheint dieser Esrada demnach nicht zu leiden. Was hielte ihn also davon ab, einen weiteren Handlanger zu schicken, um die Möglichkeit zu nutzen, an einen weiteren Fänger zu kommen?“

„Wenn er weiß, dass es sich um eine Falle handeln könnte, wäre das ein gutes Gegenargument.“

„Auf den ersten Blick schon. Aber auf der anderen Seite ist es doch so. Er kann es sich leisten, uns Fallen zu stellen, obwohl er wissen sollte, dass zumindest Artemis und ich den schwachen Dämonen überaus überlegen sind. Mit jeder uns gestellten Falle wurden die Dämonen stärker, aber nicht stark genug, um Artemis oder mich auszuschalten. Was können wir dann erwarten? In der Annahme, dass Esrada nicht wiederstehen kann und einen weiteren Dämon schicken wird, hoffe ich auf ein stärkeres Exemplar. Wenn wir auch nur einen seiner stärkeren Handlanger den Garaus machen könnten, wäre das schon einmal ein Fortschritt.“

An sich klang das, was Ethos sagte, plausibel. Zumindest meinte Roth das Ziel dahinter zu erkennen. Auch er sehnte sich danach, die Dämonen, die den Vatikan angegriffen hatten, zu vernichten. Allerdings hatte er in seiner jahrelangen Ausbildung auch lernen müssen, dass Hass dazu führen konnte, den Blick für das Wesentliche zu verlieren. Die dazu führenden persönlichen Rachefeldzüge brachten in der Regel niemandem etwas und Roth hoffte, dass Ethos nicht von einem solchen verblendet wurde.

„Möglicherweise wollte er euch aber auch trennen.“

„Nun verstehe ich nicht so richtig, was du meinst“, gab Ethos zu und lehnte sich interessiert nach vorne. „Wen trennen?“

„Dich und Artemis. Ihr seid jetzt beide mit verschiedenen Missionen beauftragt worden. Nicht, dass ihr euch alleine nicht wehren könntet, aber zusammen seid ihr eben ein unschlagbares Team. Getrennt wiederum wird es leichter, einen von euch beiden auszuschalten.“

„Durchaus möglich, aber ob die Dämonen so weit denken? Auszuschließen ist es nicht.“

„Zumal sie ja auch Kontakt in den Vatikan haben.“

Ethos dachte für einige Sekunden nach, dann schenkte er Roth ein kurzes Lächeln.

„Das Risiko, welches du gerade angesprochen hast, besteht natürlich. Aber wann hatte ich schon einmal einen Auftrag, der völlig ohne Risiko gewesen ist? Keinen einzigen, soweit ich mich erinnere.“

Da er sich ebenfalls die Beine vertreten wollte, stand Ethos auf und ging nach draußen und ließ Roth allein zurück.

Eine kühle Brise blies ihm in das Gesicht. Obwohl das Hotel auch von außen sehr herunter gekommen aussah, war es dafür an einer der schönsten Ecken Palermos erbaut worden. Hinter dem Hotel befand sich so etwas wie eine kleine Terrasse, auf welche es Ethos verschlug. Als der Priester sah, wie Chino einige Meter weit von ihm entfernt stand und sehnsüchtig auf das Meer hinaus blickte, setzte er sich in Bewegung und gesellte sich zu dem Spanier.

„Soll ich dich hochheben, damit du auch etwas sehen kannst?“ Es war einer der seltenen Witze, die Chino selbst in seiner trübseligen Stimmung zumindest ein Lächeln abringen konnte. Ethos machte häufiger Bemerkungen über die Körpergröße von ihm, was er jedoch über sich ergehen ließ. Er wusste, dass Ethos ihn trotzdem zu schätzen wusste. „Es ist ein schöner Abend.“

„Ja, das stimmt.“

Zusammen mit Chino stand Ethos auf die Mauer gelehnt, welche die Terrasse des Hotels umschloss. Aufgrund des etwas stärkeren Windes waren die Tische und Stühle zur Seite geräumt worden und außer den beiden war kein anderer Gast anwesend. In der Ferne steuerte ein Schiff auf den nahegelegenen Hafen zu und ließ sein Horn ertönen. Als die Stille schon beinahe unangenehm zu werden drohte, ergriff Chino das Wort.

„Weißt du, Ethos, es tut so weh.“ Verwundert wand sich Ethos in Chinos Richtung. „Maria… Ich habe mir so lange nichts anderes gewünscht, als sie sprechen zu hören. Und das erste, das ich von ihr höre, ist ein Schrei. Ein Schrei nach Hilfe.“

„Das tut mir leid“, sagte Ethos mit gesenkter Stimme, da er nicht wusste, was er in solch einer Situation anderes hätte sagen können.

„Ich hätte ihr helfen müssen, gleich nachdem sie von diesem Arschloch gepackt worden war.“

„Du warst überrascht.“

„Ja, aber das ist doch kein Grund, den Menschen, den man über alles liebt, im Stich zu lassen.“ Als er sich der Ironie seiner Wortwahl bewusst wurde, lachte Chino trocken auf. „Der Mensch… Maria ist ein Mensch, ich bin ein Dämon. Das hätte doch sowieso niemals geklappt. Schon damals, als ich sie das erste Mal gesehen habe, hätte mir das klar sein müssen. Ich glaube, es ist Dämonen einfach nicht bestimmt, glücklich werden zu können.“ Für einen kurzen Augenblick war Ethos angehalten, sich dazu zu äußern und Chino vor Augen zu führen, dass er als Dämon mit Sicherheit genug Elend in seinem vergangenen Leben angerichtet hatte. Doch etwas in ihm hielt ihn zurück. Obwohl er es nicht einmal sich selbst so richtig eingestehen wollte, fing er an, sich für Chinos Geschichte zu interessieren. „Damals, als ich in Heidelberg gewesen war, nachdem ich aus Barcelona fliehen musste, hatte ich meine erste Anstalt gegründet. Mitten in der Stadt zwischen all den Menschen. Eines Tages wurde mir von einem Mädchen berichtet, welches verwahrlost durch das Innere der Stadt gezogen sein soll. Sie konnte wohl nicht reden, weshalb man annahm, sie wäre geistig verwirrt. Zufällig bin ich kontaktiert worden, um die junge Frau aufzulesen und in meine Anstalt zu bringen. Obwohl sie damals in Lumpen gekleidet und völlig verdreckt war, habe ich sofort gesehen, wie wunderschön sie ist.“ Bei dem Gedanken an ihre erste Begegnung legte Chino ein verträumtes Lächeln auf, so dass ein Teil seiner unnatürlich spitzen Eckzähne über seine Lippen schaute. „Als sie mich ansah, wusste ich sofort, dass sie etwas in mir erkannte. Ob es das gleiche Gefühl war, das ich zu diesem Zeitpunkt bereits für sie empfand, mag ich nicht beurteilen. Nachdem ich sie mitgenommen hatte, habe ich eine meiner weiblichen Angestellten angeordnet, sie zu waschen und zurecht zu machen. Von Beginn an hat Maria kooperiert, sie ist niemals gegen ihren Willen zu etwas von mir gezwungen worden. Und dann, als sie dann in den schönen Kleidern, die ich für sie erstanden hatte, vor mir stand, verschlug es mir die Sprache.“

Bisher hatte Ethos sich aus der Erzählung heraus gehalten. Er konnte sich nicht helfen, er fühlte sich irgendwie hilflos. Wäre Artemis da gewesen, hätte dieser ihm zur Seite stehen können. Doch Artemis war nicht hier und Ethos legte sich einige Worte zurecht, von denen er hoffte, sie würden Chino helfen. Glücklicherweise löste sich das Problem von ganz allein, denn Chino sprach nach seiner Pause einfach weiter.

„Wie dem auch sei“, seufzte der Spanier und schüttelte träge den Kopf. „Mein Glück sollte sich bereits in Deutschland in Luft auflösen. Einige Jahre lang konnte ich unentdeckt bleiben, dann, eines nachts, wurde meine Anstalt niedergebrannt. Einfach so. Dachte ich jedenfalls. Ich habe den Brandstifter damals stellen wollen. Er war noch vor Ort und hatte gerade versucht, sich Maria zu schnappen, bevor er abhauen wollte. Es war ein Mann mit schwarzen Haaren und einem schwarzen Mantel. Blackcage, wie ich inzwischen weiß. Auch er war fasziniert von Maria. Als ich ihm in die Augen sah wusste ich, dass er mit seinem Angriff versuchen wollte, mich zu töten. Er wusste damals nicht, dass ich ebenfalls ein Dämon bin. Ich hatte mich einige Male mit Maria draußen sehen lassen, um mit ihr einkaufen zu gehen, was ihr immer sehr große Freude bereitet hat. Wahrscheinlich hat er uns irgendwann einmal zusammen gesehen. Ich konnte Maria in letzter Sekunde vor ihm retten, doch diesmal habe ich versagt. Und erneut eine Heimat verloren. Als Mörder werde ich zudem auch noch gesucht.“

Es hatte einiges an Improvisationstalent seitens der Geistlichen des Vatikans gekostet, Chino unbemerkt auf die Fähre nach Sizilien zu schleusen. Nachdem es öffentlich geworden war, dass die Anstalt in Rom niedergebrannt und dabei alle Patienten ums Leben gekommen waren, hatte die Polizei sofort damit begonnen, nach dem Inhaber zu suchen. Die Leiche der Assistentin Mariposa, die im Keller aufgefunden wurde, half nicht gerade dabei, Chino ins rechte Licht zu rücken.

Durch den Wind wurden Chino die Spitzen seiner Haare leicht in die Augen geweht, doch er rührte keinen Muskel. Sein Blick war noch trauriger geworden, auch wenn Ethos nicht gedacht hätte, dass dies überhaupt möglich war. Das Schiff war inzwischen näher gekommen und versperrte den Blick auf den Horizont. Ethos klappte den Unterkiefer nach unten und suchte erneut nach Worten, fand jedoch keine.

„Ich werde diesen Mistkerl töten. Selbst wenn es das letzte ist, das ich tun werde. Hilfst du mir dabei, Ethos?“

Der Angesprochene atmete tief ein. Es war wichtig, dass Zwischenfälle auf dieser Mission ausblieben. Für Ethos zählten allein der Auftrag, sowie die korrekte Ausführung von eben diesem. In seinem Mund formte sich ein Satz, mit dem er Chino dies unmissverständlich klar machen wollte. Stattdessen hörte Ethos sich jedoch etwas anderes sagen.

„Natürlich werde ich das. Wir werden ihn kriegen und Maria finden.“

Die ernste Miene des Arztes verwandelte sich in ein hoffnungsvolles Gesicht. Die braunen Augen gewannen an Glanz zurück und Chino stellte sich auf, um sich einige seiner Haare aus dem Antlitz zu sammeln.

„Danke Ethos, du bist ein echter Freund.“

Nachdem dies gesagt worden war, widmeten sich beide Männer erneut dem Meer. Das Schiff zog langsam an ihnen vorbei und mit ihm die nagenden Zweifel, die Ethos und Chino wenige Minuten zuvor stillschweigend geteilt hatten.
 

Artemis war bekannt dafür, seine Kräfte unter Verschluss zu halten, solange keine unmittelbare Gefahr drohte. Doch in diesem Fall musste er wohl oder übel eine Ausnahme machen. Ohne auf die starrenden Augenpaare zu achten, die auf ihn gerichtet wurden, wenn er einen Kollegen passierte, streifte Artemis scheinbar ziellos durch die Teile des Vatikans, die für die normale Bevölkerung unzugänglich waren. Hier begegnete er nur selten jemanden, wichtiger war es jedoch, dass keiner der Zivilisten ihn so sah. In seiner Hand hielt er eine kleine Taschenlampe.

Aufgrund des menschlichen Teils in ihm, der den Großteil seiner selbst ausmachte, hatte er keine Probleme, sein dämonisches Auge auch innerhalb des Vatikans freizulegen. Anders als bei den Dämonen ging damit keine bedeutsame Schwächung einher, wie sie ihnen bei dem letzten Angriff im Kampf gegen ihre Widersacher geholfen hatte.

Doch das kümmerte Artemis im Moment nicht.

Sobald sein Auge freigelegt wurde, regten sich auch die fremden Kräfte in ihm. Ein Vorteil davon war, dass seine restlichen Wunden schneller verheilen würden. In Absprache mit Nikolas hatte Artemis auf diese Fähigkeit zurückgegriffen, damit er seinen nächsten Auftrag früher ausführen könnte.

Ein Auftrag, der ihm auf mehreren Ebenen Kopfzerbrechen bereitete.

Vor allem aufgrund der Zusammenarbeit mit Lydia. Ethos hatte Recht, er hatte Angst davor, wieder mit ihr auf engerem Raum zusammen agieren zu müssen. Sie war eine starke Frau, die er aus den Fängen der Prostitution gerissen hatte, um sie zu ehelichen. Später war diese Ehe wegen ihm zerbrochen und mit ihr ein großer Teil seines Inneren.

Damals, als Lydia ihm sagte, dass sie die Scheidung wolle, war sie in die Kirche eingetreten, um Nonne zu werden. Artemis war zu diesem Zeitpunkt bereits Priester gewesen und als er erfuhr, dass er Lydia weiterhin im Vatikan zu Gesicht bekommen würde, hatte es ihm nahezu das Herz zerrissen. Er konnte verstehen, warum Lydia ihn hasste und sich von ihm hatte scheiden wollen, aber irgendwann hatte er zumindest den Versuch unternommen, damit irgendwie klar zu kommen. Je weniger er die Nonne sah, desto besser war es ihm gegangen. Trotzdem hatte er, wenn er sie irgendwo gesehen hatte, ihre Nähe gesucht in dem Wissen, dass ihm das nicht gut tat.

Als Artemis bei dem Büro des Prälaten angekommen war, blieb er stehen.

Marylin hatte Recht, es gab dort eine im Schatten verborgene Nische, in die sich jemand hinein zwängen könnte, der klein und schmal war. Als Artemis sich bückte, um sich unter die Treppe zu stellen, nahm er die Taschenlampe zur Hilfe und leuchtete das Versteck aus. Das erste, das ihm auffiel, waren langgezogene und tiefe Kratzspuren an den hintersten Steinen. Allem Anschein nach war diese Nische früher nicht so ausgeprägt gewesen. Jemand musste nachgeholfen haben, die Steine unter der Treppe heraus zu lösen. Wahrscheinlich mit einem spitzen Gegenstand.

Langsam strich Artemis über die Einkerbungen und rieb etwas von dem feinen Gestein, das sich an seinen Fingern befand, auseinander.

Dass jemand – es konnte einfach noch nicht allzu lange her sein – erst kürzlich diese halb künstliche Nische geschaffen hatte konnte erklären, warum der Prälat bisher noch nichts davon gemerkt hatte.

Ein Lächeln huschte über Artemis‘ Lippen, als er darüber nachdachte, dass es gerade Marylin gewesen war, die diesen Fund gemacht hatte. Das würde die Meinung des Prälaten über Frauen vielleicht ein wenig ändern.

Doch noch immer war Artemis nicht nennenswert weitergekommen, was seine Untersuchungen anbelangte. Keiner der Geistlichen, mit denen er in den letzten Tagen in Kontakt getreten war, hatte sich auf irgendeine Art seltsam benommen.

Inzwischen wusste Nikolas über die Nische Bescheid. Steve würde sich bald darum kümmern, dass die betroffene Stelle wieder zugemauert werden würde, denn immerhin ging damit eine Einsturzgefährdung der alten Treppe einher.

Plötzlich ertönte ein leises Quietschen zu Artemis‘ Rechten, weshalb er sich von der Nische weg drehte.

„Pater Artemis, wie ich sehe, sind Sie gerade damit beschäftigt, die undichte Stelle meines Büros zu überprüfen.“ Obwohl die Stimme von Nikolas heiter klang, wusste Artemis, dass ein wunder Punkt bei ihm getroffen worden war. Dass seine Unaufmerksamkeit ein Grund dafür sein konnte, dass sensible Informationen durchgesickert waren, war nicht nur ein gefundenes Fressen für Marcus Dominic und seine Anhänger, sondern auch für die übrigen Mitglieder des Geheimen Rates. Inzwischen hatte der Papst zugestimmt, wichtige Missionen ausschließlich über Nikolas abzuwickeln. Das wiederum hatte die übrigen Ratsmitglieder, mit der Ausnahme der Oberschwester, deutlich verärgert. Immerhin ging mit ihrer Position auch einiges an Macht einher und einige der Prälaten sahen ihren Status als gefährdet. Sticheleien waren somit nicht das einzige, mit dem Nikolas sich herumschlagen musste. Zumal sich seine Gesundheit in den letzten Tagen erneut verschlechtert hatte. „Und Sie sind dabei sich zu regenerieren.“

Lachend steckte Artemis die Taschenlampe weg und machte einen Schritt auf den Prälaten zu. Als dieser das linke Auge des Priesters auf sich zukommen sah, zuckte er unwillkürlich zusammen. Artemis war solche Reaktionen gewohnt. Manchmal waren sie nicht zu vermeiden, denn das dämonische Auge fixierte jeden, den Artemis begegnete, ohne dass dieser etwas dagegen hätte unternehmen können. Auch in diesem Augenblick ruhte es auf Nikolas, als schaue es in das Innerste von dessen Seele. Die rote Iris verengte sich, als wisse der dämonische Teil in Artemis, dass er einem hohen Geistlichen gegenüber stand, der ihm gefährlich werden könnte.

„Ganz wie Sie es befohlen haben, Monsignore. Auch wenn ich nicht verstehe, warum gerade ich zusammen mit Schwester Dal Monte auf eine Mission geschickt werde.“

„Das haben wir doch schon einmal besprochen“, seufzte Nikolas schwer und stützte sich auf seinen Stock, nebenbei legte er seine Hand auf die Hüfte. „Sie beide werden den Auftrag ausführen, ob sie wollen oder nicht. Abgesehen davon habe ich Ihnen nicht nur bereits die Akten zusammen gesucht, die Sie mitnehmen werden, um die Geweihten aufzuspüren. Ich habe obendrein das Objekt, welches Pater Simmons an seinem Kragen trug, zugesendet bekommen. Ich bitte Sie, Pater Artemis, sich mit Steve in Verbindung zu setzen. Der Junge befindet sich gerade in meinem Büro. Er wird Ihnen mehr darüber erzählen können. Er hat eine ganze Menge dazu herausgefunden. Ich habe einen Termin bei meinem Arzt, weshalb ich mich leider bereits verabschieden muss.“

Mit diesen Worten machte sich Nikolas langsam humpelnd davon.

Artemis schaute dem Prälat noch einige Zeit hinterher, dann klopfte er vorsichtig an der Tür zu dessen Büro. Im Gegensatz zu allen anderen zuckte Steve nicht zusammen, als er Artemis‘ dämonisches Auge sah. Beim ersten Mal war es anders gewesen, als der Junge Artemis nach dem Angriff der Dämonen das erste Mal ohne Augenklappe gesehen hatte, wäre er am liebsten sofort geflohen. Doch er machte sich in der letzten Zeit wirklich gut, Nikolas schien ihm eine Menge beigebracht zu haben.

„Guten Tag, Pater Dal Monte. Setzen Sie sich doch bitte“, sagte Steve freundlich und deutete auf den Sitz neben ihm.

Sie saßen nicht direkt an dem Schreibtisch des Prälaten, sondern an einem kleinen Tisch einige Meter von dem großen Gebilde aus massiven Holz entfernt. Der kleinere Bruder, der ebenfalls für Besprechungen heran gezogen wurde, war zwar weniger ausladend, aber ausreichend.

Die Akte über Pater Simmons hatte Steve bereits auf den Tisch gelegt. Daneben lag ein Briefumschlag.

„Als ich mir die Akte über unseren Kollegen aus England angesehen habe, war ich etwas überrascht.“

„Warum? Jeder Geweihte hat eine spektakuläre Hintergrundgeschichte, ansonsten wären sie keine Geweihten“, sagte Artemis mit einem schelmischen Grinsen.

„Es ist weniger die Hintergrundgeschichte der Übernahme, die mich stutzig gemacht hat. Die ist gewohnt brutal“, murmelte Steve. Artemis war zwar neugierig, was Pater Simmons denn verbrochen haben sollte, dass er von einem Dämon angegriffen worden war, doch er wusste auch, dass er das ohnehin niemals erfahren würde. Bis auf Ethos hatten die gewöhnlichen Priester kein Anrecht darauf, Informationen einzusehen, die nicht für sie bestimmt waren. Sie waren darauf angewiesen, alle relevanten Informationen weitergetragen zu bekommen. „Doch als ich die vermeintliche Brosche, die Pater Simmons am Revers trug, endlich erhalten hatte, war sie mir sofort bekannt vorgekommen. Es handelt sich um einen deutschen Orden, der in dem Großen Krieg besonders tapferen Soldaten verliehen worden ist. Fliegende Soldaten waren damals eher selten, die Bedienung und besonders die Steuerung von Flugzeugen waren eine echte Herausforderung. Heute zwar immer noch, aber damals war es mehr als ein Wunder, wenn ein fliegender Soldat in einem Stück aus dem Einsatz nach Hause kam. Bei dem Abzeichen handelt es sich um jenes, das Soldaten, welche als Flugzeugführer eingesetzt worden waren, durch Kaiser Wilhelm II. verliehen bekommen haben.“ Artemis schaute sich das Abzeichen genauer an, nachdem Steve es aus dem Briefumschlag genommen hatte. Es handelte sich um einen silberfarbenen Orden, auf dessen Innenseite ein Flugzeug abgebildet war, das über eine dorfähnliche Landschaft flog. Der Eichenkranz, der das Bild umschloss, war am unteren Ende durch eine Schleife zusammen gebunden, oben drauf prangte eine reich verzierte Krone. „Als ich die Akte von Pater Simmons studiert habe, fiel mir auf, dass er in Deutschland geboren wurde. In einem Dorf in der Nähe der Hansestadt Hamburg. Nachdem er sich dem Dienst der Kirche verschrieben hatte, ist er vom Vatikan nach England versetzt worden.“

„Weshalb wurde er versetzt?“

„Zum damaligen Zeitpunkt hatte der Vatikan einen Geweihten in Deutschland. Es bestand also keine Notwendigkeit, Pater Simmons weiterhin in Deutschland zu stationieren. In Großbritannien wiederum wurde gerade neuer Priester gebraucht.“ Dies war eine nette Umschreibung dafür, dass eine „freie Stelle“ in der Regel bedeutete, dass einer der vorherigen Priester getötet worden war. „Wie dem auch sei, Pater Simmons ist gebürtiger Deutscher.“

„Dafür besitzt er einen komischen Nachnamen“, meinte Artemis und legte das Abzeichen zurück in den Umschlag. „Ich meine, heißen die nicht alle Müller, Schmidt oder so ähnlich?“

„Das mit dem Familiennamen ist so eine Sache. Ja, wir sind bisher alle davon ausgegangen, dass es sich bei Pater Simmons um einen englischsprachigen Nachnamen handelt. Die Akte aus London und die hier angelegte Akte unterscheiden sich allerdings.“ Artemis wurde fast wahnsinnig. Was die Spannung anbelangte, stand Steve Nikolas in nichts nach. Es zog sich ewig dahin, bis die wirklich interessanten Informationen herausgegeben wurden. „Pater Simmons heißt nämlich nicht Simmons. In Wirklichkeit lautet sein Name Daniel Siemons. Als er in London ankam, konnte das aber keiner aussprechen. Auf seiner Akte wurde vor Ort der Name Simmons vermerkt.“

„Aber wieso hat sich Pater Siemons nicht dagegen gewehrt? Nicht einmal Berry wusste, dass es nicht sein richtiger Name ist.“

„Haben Sie schon einmal das Problem gehabt, dass Ihr Name nicht verstanden wurde?“

„Mehrfach sogar.“

„Haben Sie sich immer darum bemüht, das Missverständnis aufzulösen?“

„Mal mehr, mal weniger“, gestand Artemis und dachte nach. „Gut, wenn man jemanden das jeden Tag erklären muss und dazu weiß, dass die Dialektik des Landes eine korrekte Aussprache ohnehin nicht zulässt, ist es vielleicht besser, wenn man es sein lässt und die Leute einen so nennen, wie es ihnen möglich ist.“

„Das denke ich ebenfalls.“

„Aber ich finde noch etwas merkwürdig. Hat Pater Siemons jemals einen Antrag gestellt, wieder zurück nach Deutschland zu kehren?“

„Nein, wie gewohnt hatte er keine Familie mehr. Ein Schicksal, dass die Geweihten ja häufig teilen.“

„Ich nicht“, sagte Artemis schief grinsend. „Mein Papa hat das Glück, noch am Leben zu sein. Leider.“ Als Steve nichts darauf erwiderte, fuhr Artemis fort. „Na ja, wenn ihm an seiner Heimat nicht viel lag, dann ist es auch nicht weiter verwunderlich.“

„Ganz so würde ich es auch nicht ausdrücken. Immerhin trug er das Abzeichen seines Vaters. Er selbst hat nicht als Soldat im Großen Krieg gedient. Dafür war er damals noch zu jung gewesen.“

„Pater Siemons hatte demnach wahrscheinlich einen Draht zu seiner Heimat, der aber nicht ausreichend stark war, um zurückzukehren“, fasste Artemis die Erkenntnis laut denkend zusammen. „Interessant. Gibt es irgendwelche Verbindungen nach Deutschland? Oder Auffälligkeiten?“

„Ich bin an der Sache dran. Das einzige, das ich bisher allerdings in Erfahrung bringen konnte, ist, dass in Deutschland irgendetwas vor sich gehen soll. Das hat jedoch nichts mit den Dämonen zu tun, sondern mit der momentanen Politik. Wie Sie wissen, haben wir gerade keinen Geweihten in Deutschland, sondern können lediglich auf Kontaktmänner zurückgreifen. Deshalb…“ Plötzlich begann Steve zu zögern. Die ganze Zeit über hatte er Artemis direkt in die Augen sehen können, doch jetzt blickte er zu Boden. Es dauerte eine Weile, bis Steve seinen Blick wieder heben und den anderen Priester ansehen konnte. „Sie fragen sich sicher, warum ich all das gerade Ihnen erzähle, obwohl Pater Turino mit dem Fall betraut worden ist. Monsignore Nikolas hat sich dafür entschieden, Sie, sobald Sie von Ihrer Mission mit Schwester Dal Monte zurückkehren, nach Deutschland zu schicken.“
 

„Und dieses Buch? Worüber ist das?“, fragte Marylin und verlor sich einmal mehr in den dunklen Augen der Zigeunerin, welche ihr gegenüber saß und an ihrem Tee nippte.

Seitdem Ethos und Artemis mit verschiedenen Missionen beauftragt worden waren, hatte Marylin niemanden mehr, an den sie sich hätte wenden können. Sie war völlig allein, niemand im Vatikan beachtete sie. Alle Bezugspersonen, die sie hätte haben können, waren entweder abgereist oder hatten zu viel zu tun, um sich großartig mit ihr auseinander zu setzen. Und obwohl ihr Schutz versprochen worden war, durfte sich Marylin erstaunlich frei bewegen.

Eine Wache oder so war ihr auch nicht zur Verfügung gestellt worden.

Es gab viele Gründe, aus denen Marylin es inzwischen bereute, nach Italien gekommen zu sein. Ihr kam es vor, als habe sie nun, da sie die wichtigsten Informationen weiter gegeben hatte, keinen Wert mehr. Entsprechend wenig kümmerte man sich um sie und das Gefühl, beschützt zu werden, hatte sie auch schon lange nicht mehr. Deshalb hatte sie sich gefreut, als sie bemerkte, dass Gemini und sie langsam zu so etwas wie Freundinnen wurden.

Nachdem Marylin das erste Mal Tee mit der südländisch wirkenden Frau getrunken hatte, war sie fast jeden Tag zurückgekehrt, um sich über die Bücher zu unterhalten, welche die junge Frau verkaufte. Zufällig interessierte sie sich, genau wie Marylin, für Dämonen.

„Das Buch ist über Märchen. Jemand hat sich tatsächlich mal die Mühe gemacht, alle bisher überlieferten Märchen aus einem Raum zusammen zu tragen und sich mit der dahinter stehenden Mystik beschäftigt. Du würdest dich wundern wenn du wüsstest, wie früh einige Menschen auf die Idee gekommen sind, dass es Dämonen geben könnte.“

„Hier steht, dass Rotkäppchens Wolf ein Werwolf und somit vielleicht auch eine Form von Dämonen gewesen sein könnte. Glaubst du, da könnte etwas dran sein?“

„Warum nicht?“, meinte Gemini und schaute ihrer Gesprächspartnerin tief in die Augen. Kurz darauf wanderten ihre Augen tiefer. „Eine schöne Kette, die du da hast. Wer hat sie dir gegeben?“

„Die?“, fragte Marylin und hob die silberne Kette an, welche sie neuerdings um den Hals zu tragen pflegte. „Die habe ich von Ethos Turino bekommen. Er meinte, ich solle diese Kette von nun an tragen, sie würde mir in einigen Situationen weiterhelfen.“

Am unteren Ende der Kette baumelte ein runder blauer Stein, welcher in eine ebenfalls silberne Fassung eingearbeitet worden war. Durch das Licht, das durch das Fenster fiel, strahlte das Blau in einer wunderschönen hellen Farbe, die an fließendes Wasser erinnerte. Gemini kniff die Augen zusammen und starrte das kleine Objekt solange an, bis es ruhig an der Kette hinunter hing. Als sie ihren Kopf wieder hob, lächelte sie Marylin kokett an.

„Wer ist denn dieser Ethos?“

„Oh, nicht, was du denkst“, korrigierte Marylin schnell. „Ich bin nicht an ihm interessiert.“ Gemini lehnte sich lässig auf den kleinen Holztisch und zog eine Augenbraue nach oben. „Da er ein Priester ist, würde da nicht einmal etwas draus werden, wenn ich denn wollte. Und ohne ihn beleidigen zu wollen“, fügte Marylin mit einem verschwörerischen Gesichtsausdruck hinzu. „Glaube ich, dass er das asexuellste Wesen ist, das ich jemals getroffen habe.“

Gemini brach daraufhin in schallendes Gelächter aus, das Marylin wieder einmal ansteckte.

„So etwas gibt es?“

„Glaub mir, im Vatikan geschieht einiges, das würdest du mir niemals glauben.“

„Was denn zum Beispiel?“

Für einige Sekunden schaute sich Marylin um, als könne sie jemand belauschen. Dann senkte sie die Stimme und beugte sich nach vorne, auch wenn sie mit der Zigeunerin alleine war.

„Wusstest du, dass es verheiratete Priester gibt, die ihre Frauen betrügen, Alkohol saufen, spielsüchtig sind und Prostituierte bezahlen?“

Überrascht und schockiert wich Gemini zurück. Dazu hielt sie eine Hand auf ihre Brust, die andere vor ihren Mund.

„Nein.“

„Doch. Einer der Priester, die ich kennen gelernt habe, ist so einer. Er heißt Artemis.“

„Ein ungewöhnlicher Name für einen Mann.“

„Ja. Er hatte mir mal erzählt, dass sein Vater unbedingt eine Tochter haben wollte. So wäre er zumindest an seinen Namen gekommen.“

„Hat er sonst noch etwas erzählt?“

„Hm… Ja, warum fragst du?“ Marylin schien für einen kurzen Augenblick misstrauisch zu werden.

„Also, das, was du da erzählst, ist so unglaublich spannend. Ich würde gerne mehr wissen. Du hast anscheinend schon so viel erlebt, während ich hier mehr oder weniger langweilige Bücher verkaufe.“

Als Gemini ihren Schmollmund zur Schau stellte, war Marylin bereits wieder erweicht. Sie freute sich, dass sich jemand so für ihre Geschichten erwärmen konnte. Im Gegensatz zu ihren langweiligen Aufenthalten im Vatikan war sie froh, mit jemanden reden zu können, der sich auch wirklich für sie interessierte.

„Ach so, so viel habe ich auch wieder nicht erlebt bisher. Also, es ist so, dass sein Vater ihn wie ein Mädchen behandelt haben soll. Bis es ihm irgendwann gereicht habe, da hat er angefangen, sich wie so ein richtiger Mann zu benehmen. Mit allem, was dazu gehört. Glücksspiel, Alkohol, Sex und so weiter. Mich hat er auch versucht anzumachen. Aber ich bin nicht darauf eingegangen.“

Den letzten Satz sprach Marylin nicht ohne Stolz aus.

„Wenn du dich nicht für Priester interessierst, wofür dann?“

„Nun…“ Marylin zögerte und überlegte lange, wie sie antworten sollte. „Ach, im Grunde genommen bin ich für alles offen.“

Zunächst schien Gemini nicht zu verstehen, was Marylin ihr damit sagen wollte, doch dann wich der fragende Blick aus ihren Augen.

Die beiden Frauen saßen noch den gesamten Abend über beisammen und unterhielten sich. Während sich Marylin einiges über sich und ihre Odyssee erzählte, fand sie in Gemini eine geduldige Zuhörerin, die ihr Mut und Trost spenden konnte. Für Marylin war spätestens an diesem Abend klar, dass sie eine neue Freundin gefunden hatte, mit der sie sich, fernab ihrer Heimat, verbünden konnte.



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