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Zu Zweit

von

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Hand in Hand

An der Hand der jeweils anderen waren sie beide ebenso gleich wie grundverschieden.

Mit zitternden Fingern klammerte sich das junge, blonde Mädchen an die ihrer besten Freundin, welche ihr aufmunternd zunickte, und sie an ihr Ziel begleiten würde.

Behutsam setzten sie einen Fuß vor den anderen, in aller Ruhe, und doch innerlich ungeduldig, sich von hier zu entfernen. Ihre Schritte auf den kalten Steinen hallten wie Schreie wider und waren das Einzige, was ihr ungleiches Schweigen durchbrach.

Der riesige Park vor ihnen tat sich horizontal und doch in alle Richtungen auf, als würde er sie verschlucken und zeitgleich zerquetschen. Sie warf einen Blick um sich, unsicher, ängstlich, griff fester um die Hand ihrer Freundin und fiel schließlich auf die Knie. Es war, als würde der Himmel auf sie herabfallen, sie in Leere und Verzweiflung hüllen. Als halte eine unsichtbare Macht sie davon ab, weiterzugehen. Kopfschüttelnd kniff sie die Augen zusammen, schnappte verzweifelt nach Luft und spürte erst, dass sich der Druck von ihren Lungen löste, als ihr eine Hand sanft über die Haare strich.

„Wir schaffen das.“

Schwer atmend riss sie ihre Augen auf und nickte. Sie hatten es bisher immer geschafft, war es doch eigentlich ein so kurzer, sicherer Weg. Mit zittrigen Knien ließ sie sich auf die Beine helfen und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, ließ jedoch nicht von der beschützenden, rettenden Hand ihrer besten Freundin ab, die sie den ganzen Weg begleiten würde. Der Boden unter ihr schien mit jedem Schritt hinwegzubrechen und sie in unsägliche Tiefen fallen zu lassen, doch gleichzeitig ließ nichts auch nur ein Zittern der Erde vermuten.

Erst, als sie die unerträgliche Leere des endlos scheinenden Parks hinter sich gelassen hatten und um die Ecke in eine belebtere Straße gebogen waren, konnte sie schlussendlich aufatmen. Kalte Schweißtropfen fanden den Weg über ihr Gesicht und tropften über ihr Kinn in ihre Kleidung. Es wirkte, als sei sie einen kleinen Marathon gelaufen, dabei wusste sie, dass es sich nur um wenige Meter gehandelt hatte.

Nachdem sie sich für ein paar Minuten gesammelt hatte, blickte sie zu ihrer Freundin rüber, die ihr mit einem aufbauenden Lächeln zunickte und ihr die Hand reichte. Ihr Gesicht strahlte Hoffnung aus und ihre braunen Haare, die ihr leicht ins Gesicht fielen, ließen sie wie einen Engel erscheinen.

Es war ein Angebot, weiterzugehen, welches das Mädchen dankbar annahm. Nun hatten sie die Hälfte ihres Weges endlich geschafft. Mit verschränkten Fingern überquerten sie die belebte Straße und betraten den unscheinbaren Flur, der sie an ihr Ziel führen würde. Sie hielt inne, als sie vor dem Aufzug zum Stehen kamen.

„Wir können auch die Treppen nehmen.“

„Das sind zehn Stockwerke. Wir fahren.“

Zögerlich nickte sie, war jedoch nicht mit der Antwort zufrieden. Es hätte zwar eine Weile gedauert, sie wusste aber, dass…

Mit einem sanften Klicken kam der Aufzug vor ihnen im Erdgeschoss zum Halt. Mehrere Menschen stiegen aus und verließen das Gebäude durch den Flur.

Bevor sie noch einmal widersprechen konnte, wurde sie von ihrer Freundin in den Aufzug gezogen und der Knopf für die neunte Etage gedrückt. Zum ersten Mal hielt der Aufzug in der dritten Etage, in der eine ältere Frau hinzustieg und den Knopf zur neunten Etage instinktiv erneut drückte. Noch geschah nichts und auch der Griff an der Hand des Mädchens lockerte oder verstärkte sich nicht.

Das änderte sich, als die Tür in der sechsten Etage erneut aufging. Diesmal trat ein jüngeres Paar ein, in Begleitung von zwei kleineren Kindern. Nun spürte sie, wie die Hand ihrer Freundin zu schwitzen begann, ein Blick in ihr Gesicht zeigte jedoch noch keinerlei Reaktion. Sie hatte sich vollkommen unter Kontrolle.

Erst, als in der achten Etage noch zwei Herren einstiegen und alle näher aneinander rücken mussten, verkrampfte sich ihre Hand und sie wandte den Blick ab, schloss die Augen, biss sich auf die Lippe, lehnte den Kopf an die kühle Wand und schien gedanklich die Sekunden zu zählen, bis sie in der neunten Etage ankamen. Die ältere Dame stieg zuerst aus und sie taten es ihr beide gleich, steuerten jedoch nicht auf die hier befindliche Tür zu, sondern die gegenüberliegende Treppe, die sie in die oberste, mit dem Aufzug nicht erreichbare Etage bringen würde.

Auf halbem Wege nach oben hielten sie an. Erst jetzt erlaubte die Brünette sich, tief durchzuatmen und stützte sich kurz am Treppengeländer ab, bevor sie nur den Kopf schüttelte und beide ihren Weg fortsetzten.

Sie ließen die Tür mit der Aufschrift 'Das Betreten ist Unbefugten untersagt!' missachtend hinter sich und fanden sich auf dem winzigen Dach des Gebäudes wieder. Es war ebenso klein wie menschenleer, der ideale Ort für sie beide. Erst, als sie sich am Rand der Plattform beide auf den Rücken gelegt hatten und gleichsam Hand in Hand in den wolkenlosen Himmel starrten, war es ihnen beiden möglich, sich zu entspannen.

Es bedurfte keinerlei Wortwechsel zwischen ihnen. Alles, was gesagt werden musste, konnten sie sich nonverbal mitteilen. Dieser Ort, abgeschnitten von allem und doch mitten im Zentrum der Stadt, gehörte ihnen ganz allein. Niemand störte sie hier, niemand machte ihnen Angst oder drohte, ihnen irgendetwas wegzunehmen.

Denn nur hier oben waren sie völlig frei von dem, was ihren gesamten gemeinsamen Alltag einnahm und einschränkte, ihnen die Luft zum Atmen raubte und sie beide ebenso gleich wie grundverschieden machte.

Platzangst.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Veku
2016-02-05T09:22:29+00:00 05.02.2016 10:22
hi,

da haben wir uns beide doch tatsächlich dasselbe Januswort ausgesucht. Lustig ^^" bei der eher geringen Auswahl war das sowieso nicht zu vermeiden und andererseits ist es interessant zu sehen, wie du das Wort umgesetzt hast. Vor allem ganz witzig, du hast zwei Freundinnen und ich zwei Freunde xD

Insgesamt gesehen, finde ich die Story gut gelungen. Dein Schreibstil lässt sich richtig toll lesen, sehr flüssig das ganze. Ich hatte gerade eher das Gefühl eine Geschichte von 100 Wörtern vielleicht zu verschlingen. Das zeigt nur, dass man ohne Stolpersteine durchkommt. Das ist schon einmal TOP!

Am besten hat mir diese Stelle hier gefallen:

Der riesige Park vor ihnen tat sich horizontal und doch in alle Richtungen auf, als würde er sie verschlucken und zeitgleich zerquetschen.

Eine sehr schöne Metapher. Allgemein muss ich sogar gestehen, dass ich die Angst vor weiten Plätzen doch etwas besser dargestellt finde. Mag vielleicht daran liegen, dass du in dieser Hinsicht mehr Reaktionen bei dem Mädchen hast auftreten lassen, das diese Angst hat. Schön fand ich auch, dass die beiden sich gegenseitig sehr unterstützt haben, jede für sich war genau die richtige Stütze für die andere.
Antwort von:  Valenfield
05.02.2016 20:04
Hi. :)
Oh, echt? Ich hatte mir das Wort ausgesucht, als nur vier Geschichten in der Liste standen, weil dieses noch nicht dabei war. XD Dann muss ich in deine auch mal reinlesen ;)
Den Satz, den du zitiert hast, mochte ich auch beim Schreiben gern, und gleichzeitig war er eine Last, weil alles danach irgendwie zu "schwach" und nicht so gut klang. ^^' Aber er gefällt mir trotzdem.

Danke für den Kommentar.
Lieben Gruß :)
Von:  Flying-squirrel
2016-02-01T14:31:19+00:00 01.02.2016 15:31
Eine sehr realistische Darstellung des Verhaltens, welches für Aussenstehende oft einfach nur eigenartig und irrational ist. Gerade weil man nicht so viel von ihren Gedanken mitbekommt, muss man länger rätseln. Da ich die Geschichte von Veku schon vorher gelesen habe, war ich schon 'sensibilisiert' für das Thema, ansonsten hätte ich wahrscheinlich erst beim Aufzug bemerkt, worum es geht. Im Park hätte das Problem ja noch etwas anderes sein können. Die Auflösung am Ende finde ich trotzdem sinnvoll, da sicher nicht jeder darauf kommt, warum die Probleme der Beiden sich ähneln.

Antwort von:  Valenfield
05.02.2016 20:02
Hi, danke für den Kommentar. :)
Freut mich, dass die Darstellung realistisch und nachvollziehbar war, für einen Moment war ich unsicher, ob es nicht überzogen klingt.
Ob ich erwähne, dass es sich um Platzangst handelt, war bis zum Schluss gar nicht wirklich klar, aber anscheinend die richtige Entscheidung :D

Lieben Gruß


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