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Between Our Sins

von

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Life

Die Sekunden zogen sich, jede von ihnen fühlte sich an wie Stunden und Minuten schienen länger zu dauern als Jahre.

Es war Donnerstag, kurz vor der Mittagspause und die Zeit schien stillzustehen.

Die Luft im Vorlesungssaal war trotz der herbstlichen Temperaturen draußen unerträglich warm und verbraucht. Ich musste ein paar Mal tief durchatmen, um nicht endgültig einzuschlafen.

Meine Gedanken drifteten langsam in unergründliche Sphären ab. Rechtsgeschichte war wohl das beste Fach um über die Unendlichkeit des Universums nachzudenken oder um sich zu fragen: Wie es wohl wäre ein Hund zu sein? Oder vielleicht ein Fisch? Ich stellte mir selbst das Leben einer Amöbe interessanter vor, als diese Vorlesung. Dem Professor schien rein gar nichts dran zu liegen uns etwas beizubringen, er nuschelte seine Vorlesung vor sich hin mit einer möglichst monotonen Stimme.

Könnte ich die Zeit zurückdrehen, ich hätte jedes andere Wahlfach genommen. Jedes! Verdammt ich hätte sogar Kirchenrecht genommen und hätte mir einmal in der Woche einen Vortrag darüber angehört wie Gott den Menschen das Rechtssystem geschenkt hat, was keinesfalls Inhalt des Lehrplans war. Die Dozentin war wohl eine entlaufene Amische oder so was. Ich wäre wohl ihr Lieblingsstudent geworden. Sie würde mich zu ihren Bibelsonntagen und Tee mit ihren bibelfanatischen Freunden einladen. Ich schüttelte mich innerlich vor dieser Vorstellung.

Und dass alles nur weil meine Eltern mich mit einem so wundervollen Namen gesegnet haben. Wenigstens haben sie mich nicht Moses genannt...

„Abel“, stöhnte Black. „Wie spät ist es?“

Er benutzte sein Rucksack als Kopfkissen und versuchte eigentlich zu schlafen. Warum er ausgerechnet heute nicht fehlte, war mir ein Rätsel.

Black durfte man sich als eine Art menschlichen Bären vorstellen, immer in schwarz gekleidet, viel zu massiv, mit langen schwarzen Haaren und einem Vollbart. Kurz gesagt das genaue Gegenteil von mir, blond, relativ klein, mit hellen, brauen Augen. Vielleicht hing er auch nur mit mir ab, weil ich ihn im Vergleich noch bäriger aussehen ließ. Er war auch um einiges älter als ich. Wie alt er genau war wusste ich allerdings genauso wenig wie seinen richtigen Namen. Alle nannten ihn Black, also machte ich mit.

Ich sah auf mein Handy. „Noch 15 Minuten.“

Es kam ein tiefes Grummeln zurück.

Ich legte meinen Kopf in den Nacken, lies meine Arme schlaff herunterhängen und starrte sie Decke an. Es war nicht das erste Mal, dass ich sie so ausführlich studierte. Langsam kannte ich jeden Riss in jeder Kachel, jede Lampe...

Irgendwie hab ich mir, dass Uni-Leben interessanter vorgestellt oder zumindest interessanter als das Gymnasium.

Ohne Frage es war etwas komplett anderes und im ersten Semester schien mir alles noch so neu und spannend. Aber jetzt war die dritte Woche des zweiten Semesters und alles schien wieder zum alltäglichen grauen Brei zu verkommen.

Und um ehrlich zu sein, außer des Schulwegs hatte sich für mich nicht viel verändert. Ich lebte immer noch bei meinen Eltern, höre mir stundenlang Vorträge über Sachen an die mich nicht im geringsten interessierteren und existierte ansonsten lediglich vor mich hin.

Die Leute waren andere. Keiner schien sich für die anderen zu interessieren, die Professoren und Dozenten interessierten sich nicht für ihre Studenten, Hauptsache sie störten ihre Vorlesungen nicht und den Studenten war eh alles egal. Ich war ziemlich zufrieden mit dieser Situation.

Ob man nun mit einem BMW oder einem Fahrrad zu Uni fuhr war vollkommen irrelevant, denn die eine Hälfte der Leute hier konnte sich den selben oder sogar einen besseren Wagen leisten und die andere Hälfte war wiederum so arm, dass sie größere Probleme hatten als fremde Autos zu beneiden.

Es kam Bewegung in den Saal, der Prof hatte die Vorlesung wohl beendet. Endlich.

Ich stand auf, schob mein Notizbuch in die Umhängetasche und stieß Black leicht an die Schulter, es war Zeit aufzuwachen. Es war eigentlich alles so wie immer.

Wir liefen zusammen zur Mensa, kauften uns das Horrorgericht des Tages (Heute undefinierbarer Brei mit Schuhsohle) und Black erzählte mir von seinen Abenteuern vom letzten Wochenende, die er mir eigentlich schon lange erzählt haben wollte, denn bald stand ja schon das nächste Wochenende an. Man würde es Black wohl nicht ansehen, aber er war die größte Labertasche die ich kannte.

„...und der eine Typ war wirklich schon so zu, dass er seinen Kumpel angepisst hat, weil er dachte es wäre ein Baum. Und wie alt war der? 14 oder so. Diese Jugendlichen heute sind alle zum in die Tonne kloppen.“, beschwerte sich Black.

„Die Sechstklässler in meiner Schule haben in den Pausen gekifft, mehr muss man wohl nicht dazu sagen...“, pflichtete ich ihm bei.

„Ehrlich, wenn ich nochmal betrunkene Minderjährige sehe, schiebe ich ihnen, ihre beschissenen Bierflaschen in den Arsch!“ Ich lachte und nickte. Wo er Recht hatte, hatte er Recht...

Unser Gespräch wurde allerdings unterbrochen, denn ein junger Mann kam an unseren Tisch, stützte sich mit beiden Händen an der Stirnseite ab und grüßte freundlich.

„Na Black, morgen einen trinken gehen auf der Karli?“,warf er in den Raum. Ein Donnerstag wie jeder andere. Es war schon sehr selten das Black nicht irgendwohin eingeladen wurde.

Soweit ich wusste, hat Black früher als Türsteher von irgendeinem Club gearbeitet und kannte daher den halben Campus, noch bevor er sich überhaupt in der Uni eingeschrieben hat. Was auch bedeutete das er für einige Rabatte und VIP Plätze sorgen konnte.

Wenn man sich nun wunderte was die Karli war, so musste ich zugeben, dass ich es selber nicht so genau wusste. Naja ich wusste schon, dass es die Karl-Liebknecht-Straße war und auch, dass es ein Szenenviertel war, ja ich konnte mir sogar vorstellen wie es an einem Samstagabend dort zuging. Was ich, aber damit sagen wollte war, dass ich noch nie dort gewesen bin und meine Vorstellung davon nur auf Blacks Erzählungen aufgebaut habe, weswegen sie mir weniger realer Ort als vielmehr ein eigenartiges Wunderland erschien. Es war nichts was man beschreiben konnte. Es war bloß eine Straße und dann doch wieder nicht. Eigenartig.

Keine sehr befriedigende Antwort, ich weiß.

Ich wurde aus meine Gedanken gerissen. Ein festen Griff auf meiner Schulter, bevor ich kurz durchgeschüttelt wurde.

„Was?“, frage ich leicht erschrocken und sah Black verwirrt an.

„Ich sag dir doch, er ist wieder in irgendwelchen astrale Sphären unterwegs gewesen. “, erkläre Black dem anderen Studenten am Tisch.

Dieser lächelte und war freundlich genug seinen Frage an mich zu wiederholen: „Bist du ein Erstsemester?“

Jetzt sah ich ihn verwirrt an. „Nein, ich hab letztes Sommersemester angefangen, ist jetzt mein zweites Semester.“

„Oh Sorry, du siehst bloß so...“ Er legte eine kurze Denkpause ein. „.. so Erstsemester aus.“

„Genau so verloren?“

„Das vielleicht nicht unbedingt...ach egal.“ Ich verstand nicht wirklich voraus er hinaus wollte. „Du kannst am Freitag auch gern mitkommen, wenn du nichts anderes vorhast.“ Die Einladung sollte wohl als Entschuldigung dienen.

„ Danke, für das Angebot, aber ich muss mal schauen ob was ansteht. Wäre natürlich schön wenn's klappt.“, log ich mit einem Lachen. Ich hatte absolut nichts vor und hatte auch gar keine Lust darauf.

„Cool, komm einfach 20 Uhr ins Waldi, wenn du Zeit hast.“

Ich nickte so als würde ich genau wissen was und wo das war. „Klar.“

Er führte mit Black noch ein kurzes Gespräch darüber wer sonst noch kommen soll, wobei mir keiner der Namen irgendwas sagte, verabschiedete sich und ging.

„Ich bin schwer beeindruckt, dass müsste das erste Mal gewesen sein, dass ich dich mit jemanden anderen hab reden hören“, sagte Black in einem übermäßig überraschten Tonfall und gab mir einen ermunternden Klaps auf den Rücken. Dafür bekam er einen Schlag gegen die Schulter. Er hatte schon Recht, aber man musste es doch nicht aussprechen oder?

Die gesamte nächste Vorlesung, die zum Glück für heute auch die letzte war, verbrachte ich damit mir gute Ausreden zu überlegen um am Freitag nicht rausgehen zu müssen . Sie waren, aber weniger für den Typen der mich eingeladen hat oder für Black gedacht. Ich versuchte eigentlich nur mich selbst zu überzeugen, dass es eine gute Idee war Zuhause zu bleiben. Das Leben war viel komplizierter, wenn die verschiedenen Teile deines Hirn gegeneinander arbeiteten.

Einerseits wusste ich, dass ich mich nicht mein ganzes Leben lang in meinem Zimmer verkriechen sollte. Denn irgendwann würde ich,dann komplett allein da stehen, was auch nicht in meinem Interesse war. Anderseits waren Menschen, besonders fremde Menschen, für mich ziemlich anstrengend.

Ich konnte nicht einfach auf Leute zugehen und sozial sein, sondern hoffte immer darauf, dass sie mich ansprechen und dann vielleicht noch versuchen ein Gespräch aufzubauen, welches über Smalltalk hinausgeht.

Ungefähr so ist es mit Black abgelaufen. Er hat sich in der ersten Vorlesung neben mich gesetzt und hat einfach angefangen darüber zu erzählen, dass er ja komplett vergessen hatte, dass heute die Uni anfängt. So einfach konnte kennenlernen sein.

Mein Hirn wollte sich einfach nicht auf eine Vorgehensweise einigen und stritt immer noch, während ich bereits zu meinem Auto lief. So langsam hatte ich selbst keine Lust mehr darüber nachzudenken und versprach mir es morgen ,dann endgültig zu entscheiden.

Ich schmiss meine Tasche auf den Beifahrersitz und stieg ein.

In der Innenstadt Auto zu fahren war wirklich nur etwas für Masochisten oder wirklich verzweifelte Seelen, wie mich. Meine einzige andere Option wäre ein Zug, der einmal in der Stunde fährt, also ziemlich suboptimal. Wobei man sich fragen sollte, ob man eine Fahrzeit von 50 Minuten mit dem Auto im Vergleich dazu als optimal empfand.

Außerdem entsprach Zug fahren nicht unserem „sozialen Status“, wie es meine Eltern sagen würden. Denn wenn es zwei Dinge gab die meine Eltern liebten, dann waren es Geld und zeigen das man Geld hat. Wie würde es bloß aussehen, wenn ich mit dem Zug fahren müsste? Sie haben mir den BMW ja nicht umsonst zum Schulabschuss geschenkt.

Diese Lebenseinstellung zeigte sich auch an unserem Haus.

Ein breites 2-stöckiges Einfamilienhaus mit großem Garten, Terrasse, Garage und einem kleinen Wintergarten. Ein Pool war gerade in Planung.

Keiner der an diesem Bau vorbei ging konnte auch nur einen Moment daran zweifeln, dass wir Geld hatten.

Zuhause hatte ich nicht besonders viel Lust irgendwas zu tun. Irgendwann musste ich noch meine Notizen von heute abschreiben, die ich lustlos hin gekrakel habe, sonst konnte ich sie spätestens morgen nicht mehr lesen. Aber das hatte noch etwas Zeit und ich wollte gerade keinen weiteren Gedanken an Jura verschwenden.

Ich könnte auch den zweiten Band von „Das Lied von Eis und Feuer“ zu Ende lesen, welchen ich vor Tagen begonnen hab. Meine Tante hatte mir zu Weihnachten die gesamte Reihe geschenkt. Doch bisher hab die Bücher lediglich dekorativ in einem meiner viel, zu vollen Regale herum gestanden und Staub gefangen.

Nur auch dazu hatte ich nicht besonders viel Lust, obwohl das Buch gar nicht schlecht war. Also gammelte ich auf dem Bett vor mich hin. Es war schon irgendwie traurig wie hobbylos ich war.

Früher haben mich meine Eltern bei allen möglichen Vereinen und Musikschulen eingeschrieben. Das meiste davon hab ich, aber relativ schnell wieder aufgegeben. Und mit dem, was übrig geblieben ist, hab ich in der zweiten Sekundarstufe, wegen Zeitmangel aufgehört und nicht wieder die Motivation gefunden damit anzufangen.

Klavier konnte ich wenigstens noch Zuhause üben. Fechten hingegen, habe ich wahrscheinlich schon vollkommen verlernt.

Pünktlich 19 Uhr gab es Abendessen. Es gab kein Wenn und Aber, um 19 Uhr wurde zusammen gegessen, meine Eltern bestanden darauf.

Wenn ich das Abendessen mit etwas vergleichen müsste, dann würde ich wohl Rechtsgeschichte sagen. Ich war mindesten genau so abwesend und wartete drauf gehen zu dürfen.

Das ganze Geschehen folgte einer, fast schon rituellen, Abfolge.

Begonnen wurde mit der obligatorischen Frage an mich: „Abel, wie war den die Uni heute?“

Worauf ich meist etwas entgegnete wie „So wie immer“ oder „Nichts neues“.

Damit war mein Redebeitrag für diesen Abend vorbei und das Schauspiel konnte weitergehen.

Als Nächstens beschwerte sich meine Mutter über ihre Arbeit und die unfähigen Angestellten in der Kanzlei. Mein Vater nickte. Jetzt beschwerte er sich und meine Mutter war mit dem Nicken an der Reihe.

Nun folgte eine Unterhaltung über das Weltgeschehen und darüber wie es mit dieser Welt langsam zugrunde ging. So klang es langsam aus, bis es durch den symbolischen Akt des Aufstehens meiner Eltern endgültig beendet wurde.

Doch heute konnte dieses Vorführung nicht stattfinden, ich hatte meinen Text vergessen.

„Wie war dein Tag heute, Abel?“, fragte meinen Mutter.

„Ich wurde am Freitag eingeladen mit ein paar Kommilitonen etwas trinken zu gehen.“, antwortete ich aus einem unerklärlichen Drang heraus, heute etwas mehr sagen zu müssen.

Hm, das war so nicht ganz richtig. Ich suchte immer noch einen Grund für mich am Freitag Zuhause zubleiben, auch wenn es ein Verbot war.

Allerdings wurde mein kleines Szenario zerstört.

„Das ist doch mal eine gute Neuigkeit.“, meinte meine Mutter.

„Wird auch mal Zeit, dass du etwas rauskommst.“, ergänzte mein Vater und fühlte sich dazu animiert, Geschichten aus seiner Jugend zu erzählen. So viel zu meinem höheren Redeanteil, denn damit war das Thema beendet. Ich weiß nicht, worauf ich gehofft habe.

Nach dem Abendessen ging ich zurück in mein Zimmer und musste mich wohl oder übel dem Abschreiben der Notizen widmen.

Meine Schätzung, dass ich sie morgen nicht lesen kann war etwas zu optimistisch angelegt. Die Hälfte der Wörter musste ich jetzt schon mit größter Mühe entziffern.

Haltungszuschuss? Haftungsausschluss? Handlungsschluss?!

Ganz ehrlich, Rechtswissenschaften waren für den Arsch! Langweilig, unübersichtlich und viel zu lernlastig.

Nur leider war es nicht meine Entscheidung was ich studierte. Es hat immer vollkommen außer Frage gestanden.

Vor 19 Jahren bekam ein Ehepaar einen kleinen Sohn. Noch bevor der kleine Sohn seine ersten Schritte machte, haben seine liebenden Eltern ihm einen Weg in dieser Welt geebnet und alles was der kleine Sohn machen musste war den Wegweisern zu folgen. Und zu ihrem Glück war der kleine Sohn nicht dumm. Er verstand, dass es außerhalb des Weges gefährlich war, schon ein unbedachter Schritt konnte das Verderben bedeuten. Und so tapste der kleine Sohn den Weg entlang, bis er irgendwann kein kleiner Sohn mehr war. Er sah immer öfter in den Wald am Wegesrand und fragte sich was wohl hinter diesen Bäumen liegt, was dort lauert, wohin sein Weg ihn wohl führen würde und ob er dort überhaupt ankommen wollte. Trotz seiner Fragen lief er weiter. Er beschwerte sich nicht, denn sein Schweigen war der leichteste Weg für alle.
 

Es war endlich Freitag. Aber schon als ich aufwachte spürte ich, dass es ein miserabler Tag werden würde. Es war nichts direktes, es war nur ein Gefühl, vielleicht eine Vorahnung. Das Wetter unterstützte meine Theorie. Der Wind peitschte mir den kalten Regen ins Gesicht, als ich vom Auto zur Tür des Universitätsgebäudes sprintete.

Ich versuchte mich damit zu trösten, dass ich nach dieser Vorlesung eigentlich auch wieder gehen konnte, denn die Dozentin für Strafrecht saß immer noch mit einer Grippe Zuhause, genauso wie letzte Woche.

Black hat sich heute nicht die Mühe gemacht für diese Vorlesung aufzustehen. Es hätte mich sonst wahrscheinlich nicht weiter gestört, nur stand diese Sache mit der Einladung immer noch im Raum. Ich wollte Black wenigstens fragen wo ich überhaupt hin muss, wenn ich mich doch entschloss zu kommen. Mir war nämlich immer noch keine Ausrede eingefallen, die mein Gewissen beruhigen würde. Es war um einiges schwieriger sich selbst davon zu überzeugen, dass man zu erkältet war um rausgehen zu können, als jemand anderen davon zu überzeugen. Und so wie ich mich kannte würde mein Gewissen mir diese Absage für den Rest meines Lebens vorwerfen, in jedem Moment in dem ich mich einsam fühlte. 'Ach wäre ich nur gegangen, dann hätte ich jetzt vielleicht Freunde.'

Das so eine Kleinigkeit mir überhaupt so viel Stress bereitete war traurig. Menschen mit soliden sozialen Kontakten würden über mich lachen.

Ich war leider nie damit gesegnet gewesen viele Freunde zu haben, aber darüber will ich mich auch nicht beschweren. Es war mir eigentlich immer Recht gewesen, denn Menschen bedeuteten immer Stress.

Auf dem Gymnasium hatte ich einen Freund. Wir hatten keine gemeinsamen Hobbys oder Interessen. Unsere Freundschaft beruhte darauf, dass wir beide keine anderen Freunde hatten. Unsere Gespräche bestanden aus belanglosem Smalltalk, wenn wir überhaupt redeten und wir wussten gar nichts von einander.

Mit Black war es eine ganz ähnliche Situation, wobei er durchaus Alternativen hatte, mit wem er abhing. Meistens war es, aber dennoch ich, weil ich so umgänglich war, wie er meinte.

Solche Freundschaften waren eigentlich perfekt für mich. Jeder profitierte davon und sie bedeuteten kaum Verpflichtungen.

Um das lästige Abschreiben heute zu vermeiden, nahm ich mir vor etwas motivierter an die Sache ran zu gehen, so motiviert wie man Freitag in einer 8 Uhr Vorlesung sein konnte.

Nach der Vorlesung erfüllte ich mir meinen größten Traum der letzten 90 Minuten und kaufte einen großen, heißen Kaffee um etwas wach zu werden.

Bis auf die Pläne heute Abend, konnte ich meinen Tag nach Lust und Laune verschwenden, also blieb ich erstmal im Starbucks sitzen, bis mir etwas Besseres einfiel.

Das Handy vibrierte in meiner Hosentasche. Eine Nachricht von Black, der wahrscheinlich ein Foto meiner Aufzeichnungen wollte.
 

Von Black(?):

„Ich werde heute Abend wohl nicht mitkommen können, gibt sonst probleme mit meiner freundin.“
 

Als könnte er meine Gedanken lesen, kam gleich die zweite Nachricht:

„Du gehst aber hin. jemand muss mich ja entschuldigen ;) Außerdem komm bissel aus dir raus“
 

An Black(?):

„Kannst du mir wenigstens sagen, wo ich hin muss?“
 

Von Black(?):

„Follow the white rabbit, Neo.“
 

An Black(?):

„Du bist so nützlich wie Sand in der Wüste“
 

Von Black(?):

„Google ist dein Freund. Wo bleiben eigentlich meine Notizen?“
 

Statt ein Foto von den Aufzeichnungen zu machen, machte ich ein Selfie mit einem selbstgefälligen Grinsen auf den Lippen und ausgestrecktem Mittelfinger und sendete es ihm.
 

Von Black(?):

„fährst vom hbf mit der Straßenbahn Richtung Karli. Ist dann die 3 Haltestelle oder so.

Das was du da machst nennt man Erpressung mein Freund!“
 

An Black(?):

„:D Das nennt man Business.“
 

Jetzt konnte er sein Foto haben.

Nach knapp einer Stunde, mein Kaffee war schon lange leer, wurde es langsam Zeit zu gehen. Der Laden hatte sich schnell gefüllt und ich wollte nicht unnötig Platz in Beschlag nehmen.

Also trottelte ich noch zum nächsten Buchladen, nur um zu merken, dass ich durchaus schon genug ungelesenen Bücher Zuhause hatte und fuhr anschließend nach hause.

Die Putzfrau erschrak kurz als ich die Tür aufmachte, sie wischte gerade den Boden im Flur. Ich grüßte sie und wollte eigentlich schnell in mein Zimmer hoch laufen um sie nicht zu stören.

„Oben ist noch nicht geputzt. Ich habe nicht erwartet, dass jemand so früh nach hause kommt.“, sagte die Putzfrau. Sie war eine ründliche, etwas ältere Frau mir einem furchtbaren Haarschnitt, der wohl irgendwann in den 'Goldenen Zwanzigern' modern gewesen ist. Sie arbeitete schon lange für uns, auch schon als wir noch in der Wohnung gelebt haben. Ich hab ihr nie viel Beachtung geschenkt. Die einzige markante Erinnerung die ich hatte ist, dass sie mir mal ein Pflaster aufs Knie geklebt hat nachdem ich hingefallen bin. Da war ich aber erst 7 gewesen oder vielleicht etwas älter. 'Tante Tanja' (wie ich sie früher immer genannt habe) wusste mittlerweile wohl mehr über uns, als wir je über sie wissen würden. Ein eigenartiger Gedanke.

„Und das Untergeschoss?“, frage ich.

„Ja, hier unten bin ich fertig.“

Ich holte den Laptop aus meiner Umhängetasche, setzte mich in den Wintergarten auf die Couch und ließ die Frau in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen.

In meinem 'vollen' Terminkalender gab es nicht nur Bücher zu lesen, sondern auch noch genug Serien zu schauen, Netflix sie Dank.

Gegen Nachmittag hörte der Regen draußen langsam auf und die Putzfrau war auch schon längst gegangen. Ich sah auf die Uhr in der Ecke meines Desktops. Kurz vor 14 Uhr. Ich hatte also noch mehr als genug Zeit bevor ich los musste. Trotzdem machte ich mich jetzt schon verrückt deswegen. Was wenn gar keiner erwartet das ich komme? Oder er hat schon ganz vergessen, dass er mich eingeladen hat? Was wenn ich den Laden nicht finde? Da fiel mir ein,dass ich gar nicht mit dem Auto fahren konnte. Man erwartete sicher von mir, wenn man mich überhaupt erwartete, dass ich etwas trinken würde. Blieb der Zug, mit dem ich noch nie in meinem Leben gefahren bin.

Dann hatte ich gar nicht mehr so viel Zeit, denn ich rechnete für das Kaufen eines Tickets schon mal eine Stunde ein.

Mit jeder Minute wurde es schlimmer bis ich irgendwann nicht mal mehr auf der Couch sitzen konnte. Ich lief im Haus herum, goss die Pflanzen, obwohl ich mir sicher war, dass keine von ihnen Durst hatte, sortierte meine Bücherregale alphabetisch, erst nach Titel, dann nach Autor.... Kurz gesagt, ich drehte durch.

Als meine Eltern nachhause kamen war ich gerade dabei alle Klamotten in meinem Schrank neu zu falten und nebenbei etwas zum Anziehen für den Abend zu suchen.

„Wolltest du heute nicht irgendwo hingehen?“ , fragte meine Mutter, die am Türrahmen lehnend alles beobachtete.

„Ja, ich geh gleich los. Ich suche gerade noch nach passenden Klamotten.“

„Es wurden wohl auch Damen eingeladen?“ Es lag ein vieldeutiger Unterton in ihrer Stimme.

„Das weiß ich nicht.“ Dieses Thema musste noch im Keim erstickt werden.

„Würdest du etwas selbstsicherer auftreten, würden sich die Mädchen um dich reißen.“ War es schon zu spät aus dem Fenster zu springen um diesem Gespräch zu entgehen?

„Vielleicht“, meinte ich nur gleichgültig.

„Du bist gebildet, hast Geld und zu schrecklich siehst du ja auch nicht aus.“

„Ja, ich weiß.“, antwortete ich mindestens genauso lustlos wie vorher.

„Aber du musst sie schon ansprechen und ihnen zeigen das du kein Weichei bist.“

„Ja“

„Ach was soll nur aus dir werden Abel...“ Ich verkniff mir jedes Kommentar dazu und sie war damit zufrieden, denn die Harpyie ging wieder und ließ mich in Ruhe.

Ich entschloss mich einfach das zu tragen, was ich normalerweise auch in der Uni trage. Also zog ich ein helles Hemd und einen dunkelblauen Cardigan mit einer Jeans an, das müsste angemessen sein.

Die Haare wurden zurechtgegelt und ich war bereit für den großen Auftritt.

Meine Mutter fing mich nochmal im Flur ab, als ich mir eine Jacke anzog.

„Und wann kommst du wieder nachhause?“ Ich bin noch gar nicht weg.

„Mal sehen, kann ich gerade nicht sagen.“

„Bitte sei leise, wenn es spät wird. Ich und dein Vater brauchen auch mal unsere Ruhe.“ Wann hab ich euch jemals gestört?

„Mach ich.“

Ich verließ beinah fluchtartig das Haus, bevor sie auf die Idee kam noch irgendwas zu sagen.

Der Bezirk, in dem wir lebten, wurde erst vor ein paar Jahren eingemeindet und die Bewohner waren immer noch in ihrer Dörflermentalität stecken geblieben. Jeder versuchte alles über jeden zu wissen um es, in Fall der Fälle, zu seinem Vorteil nutzen zu können.

Der einzige Weg sich diesem Zirkus zu entziehen, war so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Das gelang mir bisher ganz gut. Mein Leben war nämlich so ereignislos, dass es sogar die neugierigsten Nachbarn langweilte.

Heute bot sich ihnen jedoch eine Chance.

„Hab ihr schon gehört der Sohn von den Aderstones ist gestern zur Bahnstation gelaufen.“ „Wirklich? Ich dachte sie sind zu reich dafür!“ „Ich habe gehört die Kanzlei läuft nicht mehr so gut.“ „Ich habe gehört der Vater hat das ganze Geld versoffen und verspielt.“

Ok, vielleicht übertrieb ich ein bisschen. Oder sogar sehr. Allerdings hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass mich alle komisch ansahen, besonders als ich den Ticketautomaten mit meiner Unwissenheit folterte. Eine Frau hatte schließlich Erbarmen mit mir oder vielleicht auch nur mit der Maschine und half mir, kurz bevor der Zug einfuhr.

Der Rest der Fahrt verlief mehr oder weniger entspannt, mit dem Netzplan der Straßenbahnen in der Innenstadt war ich wenigstens etwas vertraut. Bloß war Blacks Weg Beschreibung ausgesprochen wage. Ich stieg auf gut Glück in die Linie 11, zählte die drei Haltestellen ab und wollte für den weiteren Weg Google Maps bemühen. Das war, aber allem Anschein nach, nicht nötig. Direkt gegenüber der Haltestelle leuchteten mir die Worte „Café Waldi“ entgegen.

Vor dem Café standen einige Leute und überlegten wohl noch ob sie rein gehen oder nicht, und je länger ich sie ansah desto sicher war ich mir, dass es hier eindeutig nicht mein Platz war. Jutetaschen und Bärte scheinen zum Dresscode zu gehören, was mir allerdings keiner gesagt hatte. Hipster, soweit das Auge reicht! Ich bin wohl aus Versehen in ihrer Brutstätte gelandet.

Es war nicht das surreale Wunderland, welches ich mir vorgestellt habe.

Vielleicht sollte ich zurück fahren, bevor es zu spät war. Nein! Einmal in meinem Leben würde ich über meinen Schatten springen.

Ich riss mich zusammen, wechselte die Straßenseite, öffnete die Tür und trat in den Vorraum der Hölle.

Das Café war weniger ein Café als eine Bar und hatte etwas von einem sehr eigenartigen Themenpark. Alles war in Holz- und Brauntönen gehalten und an den Wänden hingen alte Porträts, zusammen mit verschiedensten Jagdtrophäen, die zwar wahrscheinlich allesamt unecht waren, aber trotzdem nichts von ihrer Gruseligkeit einbüßten. Beleuchtet wurde das Café von elektrischen Wandleuchtern und einem großen Kronleuchter, welcher direkt neben einer Treppe ins Obergeschoss hing.

Wer auch immer dieses Einrichtungsexperiment gewagt hatte, war damit durchaus erfolgreich. Fast alle Tische waren voll besetzt und die Kellner rannten hektisch von einem Gast zum anderen.

Ich schlängelte mich durch den Raum, hoffte den Typen zu erkennen der mich eingeladen hatte.

Wenn ich mir bloß besser gemerkt hätte wie er aussieht... So konnte ich ewig in diesem Café suchen.

Ich war schon bereit zu gehe, da hielt mich jemand am Ärmel fest. Wie es aussah, erinnerte mich nicht an den 'Typen', aber er sich noch an mich. Schon mal ein gutes Zeichen.

„Suchst du uns?“, fragte er, natürlich eher rhetorisch. Mit „uns“ meinte er die anderen 5 Leute, die auch am Tisch saßen, mich etwas verwirrt ansahen und versuchten sich zu erinnern ob sie mich denn kennen sollten.

„Eigentlich schon.“, antwortete ich mit einem Lächeln.

„Schön, dass du Zeit gefunden hast, setzt dich einfach dazu.“, sage er, aber es fiel ihm auf das kein Stuhl mehr am Tisch frei war und er sah sich hastig im Raum um.

„Vielleicht holst du den Stuhl da noch dazu.“ Er zeigte auf einen leeren Stuhl ein paar Tische weiter.

„Kein Problem“

Ich kam mir dumm vor den Leuten am anderen Tisch den Stuhl zu klauen, auch wenn sie mir versicherten, dass sie ihn wirklich nicht bräuchten. Oder besser gesagt ich kam mir in der ganzen Situation unglaublich dumm vor. Trotzdem setze ich mich zu der Gruppe dazu.

„Hi, ich bin Abel“, stellte ich mich vor und erlöste sie damit von der Ungewissheit ob sie mich nun kennen mussten oder nicht. Doch sie sahen mich immer noch komisch an. Wahrscheinlich beschäftigte sie jetzt die Frage was ich hier tat.

„Ich sollte von Black sagen, dass er heute nicht kommen kann.“,meinte ich um kein peinliches Schweigen aufkommen zulassen.

„Ach der Spast ey...“, sagte jemand von der Gruppe. „Dann können wir den Abend heute vergessen.“

„Sorry“ Eigentlich hatte ich nichts damit zu tun, aber die Überbringer schlechter Neuigkeiten waren nie beliebt gewesen.

„Jetzt sei doch nicht so dramatisch.“, sagte ein anderer. Ich wünschte wirklich, sie hätten sich auch vorgestellt...

„Eben, ging doch bisher auch ohne ihn.“, stimmte 'Typ' ihm zu. „Wo waren wir den vorhin, also bevor Abel kam? “

„Tom hat von der Geburtstagsparty von Julia erzählt und wie dicht die alle waren.“

„Es ist doch erst eine gute Party, wenn das Geburtstagskind sich am nächsten Morgen nicht mehr daran erinnert, oder?“

„Oder sich das Kleid vollkotzt. Widerlich!“

„Das sagt der Richtige. Weißt du noch als wir bei Mark waren und du in den Blumentopf gekotzt hast? “

„So genug vom kotzen. Bitte!“

„Naja, Julia hat dann ja noch ein Taxi gerufen, weil sie vergessen hat, dass wir bei ihr gefeiert haben.“

Hätte ich mich überflüssig fühlen wollen, dann hätte ich auch einfach Zuhause bleiben können, das wäre einfacher gewesen. Ich hatte keine Ahnung von wem sie da redeten oder von welchen Partys und das schien sie auch nicht zu stören. Sie redeten weiter über ihre gemeinsamen Freunde, irgendwelche Geschichten und Insider-Witze. Ich verstand nichts davon. Das ich hier unnötig war, war offensichtlich. Ich blieb dennoch sitzen. Sie redeten und redeten und ich... Ich hatte nichts zu sagen, keine lustige Geschichte zu erzählen und konnte nicht mal über ihre Witze lachen.

Alles wurde lauter, immer lauter. Die Musik und die Gespräche. Es wurden immer mehr Menschen. Immer mehr Hektik. Immer schlechtere Luft.

Nichts davon wirke sich auch nur annähernd positiv auf meine Gefühlslage aus. Ich weiß nicht wie lange ich dort war, es fühlte sich an wie zwei Ewigkeiten, bis ich irgendwann nicht mehr konnte. Wenn ich eine weitere Sekunde in dieser Hölle verbringen müsste, würde ich verrückt werden oder mich übergeben oder beides. Also schnappte ich mir meine Jacke und stürmte raus, ohne irgendwas zu sagen.

Draußen standen immer noch viel zu viele Menschen. Sie wollten gar nicht rein, es schien nur ein beliebter Treffpunkt zu sein. Ich blieb in dieser Menschenmenge stehen, einige Schritte vom Café entfernt, und überlegte was ich jetzt bitte machen sollte. Zurückgehen war absolut keine Option und nachhause wollte ich auch nicht. Da lauerte meine Mutter, mit Fragen darüber warum ich schon so schnell zurück war. Es war nämlich erst kurz vor 21 Uhr, ich hatte es nicht einmal eine Stunde ausgehalten.

Ich verschränkte meine Arme und drückte sie so fest wie möglich an mich. Einerseits, weil mir ohne Jacke kühl wurde, andererseits überkam ich auch eine seltsame Wut, die ich irgendwie abreagieren wollte, sei es auch nur indem ich mir die Arme zerquetsche.

Am liebsten hätte ich Black angerufen und ihn angeschrien dafür, dass er nicht gekommen ist und ich allein gehen musste. Es war, aber eigentlich nicht seine Schuld. Er konnte nichts dafür das ich so inkompetent war.

„Wenn du zu einem Geschäftsessen wolltest, dann bist du hier eindeutig falsch.“, sagte eine unbekannte Stimme.

Ich hob meinen Kopf, unsicher ob diese Bemerkung mir galt oder nicht. Galt man hier in Hemd und Cardigan schon als overdressed?

Zu meiner großen Überraschung stand vor mir niemand geringerer als Jesus persönlich. Lange, braune Haare, bernsteinfarbene Augen, und hellbraune Haut nur der Bart fehlte, sonst entsprach Jesus vollkommen meinen Vorstellungen. Auch war ich im ersten Moment überrascht , dass er seine Klamotten offensichtlich im Secondhand Laden kaufte, dass machte nach einer kurzen Überlegung jedoch durchaus Sinn.

Ist er auf die Erde zurückgekehrt um mir einen spirituellen Rat zu geben?

„Danke für Tipp...“, antwortete ich genervt, es war nicht der beste Moment für einen göttliche Fingerzeig.

Jesus seufzte ein wenig verunsichert über meine Undankbarkeit.

„Ach, komm schon! Guck nicht so böse, ich wollte dich nur aufmuntern.“, rechtfertigte sich Jesus.

Ich sah ihn weiterhin skeptisch an. „Schön.“

Gott wird mich sicher für meine Unhöflichkeit strafen.Und wenn nicht deswegen, dann wegen der Blasphemie einen dahergelaufenen Hipster als seinen Sohn zu bezeichnen. Aber 'der Herr' hat mich ja eh nie gut leiden können.

Außerdem, jeder der sein Kind „Abel“ nannte, musste es entweder hassen oder hat die Bibel nie gelesen. Ich habe noch nicht ausmachen können, welches Motiv meine Eltern damit verfolgt hatten.

„Ist alles ok mit dir?“ Jesus meinte es wohl ernst.

„Ja, danke.“

Mit dieser Antwort war er auch nicht glücklich. „Hat dich dein Date versetzt oder so?“

„Nein. Es ist wirklich alles ok.“ So langsam hatte ich keine Lust mehr auf das Spielchen.

„Hast du dich verlaufen? Deine Eltern suchen dich bestimmt schon!“ Diese Frage war, im Gegensatz zu denn anderen, wohl nicht ernst gemein. Er riss die Augen übertrieben weit auf und betonte alles so als würde er mit einem kleinen Kind reden.

Ich wusste nicht so recht was ich darauf antworten sollte und schüttelte einfach nur lachend den Kopf über diese Dummheit.

Damit wiederum war Jesus zufrieden.

„Ich sehe schon, ich soll dich in Ruhe lassen.“ Wie kommst du bloß drauf...

„Ich habe gerade nicht die beste Laune.“

„Ist schon ok. Ich versteh das.“

Er hatte sich schon halb weggedreht, da fiel ihm scheinbar etwas ein. „Hast du mal einen Kuli?“

„Klar“ Ich kramte einen Stift aus meiner Tasche hervor und reichte ihn Jesus. Er drückte ein paar Mal ratlos auf ihm herum, bis er verstand, dass man ihn zum benutzen drehen musste.

„Jetzt brauch ich deine Hand.“ Soll das ein Zaubertrick werden?

Ich zögerte etwas bevor ich den Arm, dann doch in seine Richtung ausstreckte. Er griff nach meiner Hand, seine Finger waren so kalt, dass ich kurz zuckte als er mich berührte. Nun kritzelte Jesus vorsichtig etwas auf meinen Handrücken und ließ mich wieder los. Ich betrachtete das Kunstwerk, eine Telefonnummer und ein etwas missratener lachender Smiley.

„Wenn du dann irgendwann bessere Laune hast, kannst du mir gerne schreiben. Oder wenn du einfach jemanden zum reden brauchst.“, erklärte er und lächelte mich an

„Ähm... Danke.“, sagte ich, unsicher darüber womit ich diese Ehre verdient habe. Sah ich tatsächlich so erbärmlich aus, dass er Mitleid mit mir hatte? „Aber weißt du ich hätte dir auch Papier geben können...“

„Ach, ist doch egal. Geht ja auch so. Naja, meld dich einfach, ok?“, sagte Jesus bevor er kurz winkte und in der Menge verschwand.

„Tschüss!“, rief ich noch hinterher, war mir aber sicher, dass er es nicht mehr hörte.

Und nun stand ich genau so verloren da wie vorher. Nur wurde es langsam Zeit wieder mit meinem Leben fortzufahren. Ich zog mir meine Jacke an, lief zur Haltestelle und fuhr nachhause.

Auf der Rückfahrt wollte ich an nichts mehr denken. Ich umklammerte die Hand mit der Nummer darauf und starrte aus dem Fenster.

Es war alles so wie immer und dann doch wieder nicht.



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