Zum Inhalt der Seite

Mörderische Goldgier

"Geliebter Blutsbruder"- Teil II
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Durch die Hölle und zurück

Sogleich machte ich die Gefährten auf die drohende Gefahr aufmerksam, woraufhin sich alle Blicke fast im Gleichklang zuerst auf die völlig harmlos anmutende rötliche Verfärbung des Himmels richteten, auf die mein Blutsbruder mich soeben aufmerksam gemacht hatte, um dann sofort wieder zu den Anführern der Apatschen zu gehen, vornehmlich auf Winnetou. Dieser besah sich den Himmel noch etwas intensiver, und auch Til Lata sowie Entschah-koh, die wohl auch erst vor wenigen Minuten auf das unscheinbare Wolkengebilde am Horizont aufmerksam geworden waren, studierten es nun intensiv, wobei sich die Wolken auf ihren Gesichtern mehr und mehr verdunkelten.

Fast zeitgleich begannen die drei sich um die eigenen Achsen zu drehen, um die nähere Umgebung zu begutachten. Offenbar waren sie schon auf der Suche nach einem geeigneten Schutz vor dem kommenden Sturm – das sah wahrlich nicht gut aus!
 

„Wie viel Zeit bleibt uns noch, mein Bruder?“ fragte ich Winnetou daher ganz direkt.

„Höchstens noch eine halbe Stunde“, beschied er mir tonlos.

Erschrocken begann auch ich mich jetzt nach einem raschen und vor allem sicheren Unterschlupf umzusehen, denn ich hatte schon des Öfteren düstere Bekanntschaften mit den furchtbaren Sandstürmen des Llano machen müssen – allerdings waren das zum Glück immer nur Ausläufer gewesen. Würde uns hier, auf der schon mehr sandigen als grasigen Steppe, die volle Wucht eines solchen Ungetüms treffen, hätten wir so gut wie keine Überlebenschancen, soviel war sicher!

Aber leider befanden wir uns auf einer sehr, sehr weitläufigen Ebene, kein Baum, kein Strauch konnten wir in Sichtweite ausmachen – und schon begann der Himmel sich am Horizont bedrohlich schwarz zu verfärben: Erst war es nur ein winziger Punkt in dem rötlichen Grau im Osten, doch dieser Punkt schien von einer Sekunde zur anderen immer mehr zu allen Seiten hin auseinander zu fließen und sich dennoch gleichzeitig zu vergrößern.

Das Ganze ging so schnell, dass binnen weniger Minuten der gesamte östliche Horizont in einem tiefen Schwarz getaucht war, und alleine dieser Anblick bewirkte, dass unter den meisten Männern nun hektische Betriebsamkeit ausbrach und unsere bisherige schöne Ordnung sich zunehmend verflüchtigte. Viele drehten sich mit ihrem Pferd im Kreis oder brachen sogar einige Schritte komplett aus der Gruppe aus, auf der verzweifelten Suche nach einem Ausweg, zumindest was die meisten der Weißen anbelangte – die Apatschen hingegen hatten sich noch vollständig in ihrer Gewalt.
 

Ich konnte es den Westmännern nicht verdenken, dass sie aufgrund der bedrohlichen Lage, die da auf uns zurollte, jetzt teilweise schon in leise Panik verfielen, denn die meisten von ihnen hatten solch einen Hurrikan schon einmal erlebt, meist aus der Ferne, einige wenige aber auch von Nahen und auch unter der größten Lebensgefahr – und die Örtlichkeit, an der wir uns ausgerechnet jetzt befanden, trug nicht gerade zu einer Beruhigung bei.

Die Soldaten hingegen hatten mit solchen Naturgewalten wohl noch nicht viel zu tun gehabt, denn anfangs waren sie noch sehr ruhig geblieben, als Winnetou auf die kleinen, harmlosen Wölkchen gezeigt hatte, doch als diese sich nun in einer solch rasanten Geschwindigkeit vergrößerten, begann sich auch ihre bisher mustergültige militärische Ordnung ganz schnell in Luft aufzulösen. Nun entfernten sich sogar schon ein paar der Soldaten in dem beinahe verzweifelt anmutenden Versuch, irgendwo doch noch schnell eine Deckung zu finden – doch da wurde es Old Firehand zu bunt.
 

„STILLGESTANDEN, VERDAMMT NOCH MAL!!! ALLE BLEIBEN ZUSAMMEN!!“, brüllte er mit seiner machtvollen Stimmgewalt, einem Donnerhall gleich, hinter den Flüchtenden her – und die gehorchten augenblicklich! Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte ich bei diesem Anblick schallend gelacht - so aber wartete ich gar nicht mehr ab, bis die Soldaten ihre Pferde gewendet und wieder zu unserer Gruppe gestoßen waren, sondern rief Firehand zu, er solle die Männer zusammenhalten, bis Winnetou einen Ausweg gefunden habe.

Der Apatsche war nämlich schon unterwegs, um zu schauen, ob nicht doch noch irgendwo in der Nähe ein Unterschlupf auszumachen war, was ich mir allerdings beim besten Willen nicht vorstellen konnte, da weit und breit war wirklich nichts dergleichen zu sehen war.

Doch mein Freund war ein Kenner der Natur und der Landschaft, der seinesgleichen suchte, und so wie er da jetzt zielgerichtet auf eine Stelle südwestlich von uns zuritt – nein, eher zuflog, da er alles aus seinem Iltschi herausholte, was irgendwie möglich war – sah es für mich schon so aus, als könnte sich dort doch noch ein Hoffnungsschimmer für uns verbergen.
 

Ich selbst hatte natürlich mittlerweile auch mein Fernrohr zur Hand genommen und strich damit die Umgebung bis zum Horizont ab, doch auch in größerer Entfernung konnte ich rein gar nichts entdecken, was in der Lage sein sollte, uns aus dieser misslichen Lage noch irgendwie zu retten.

Als ich das Glas dann auf den sich immer schneller entwickelnden Hurrikan im Osten richtete, konnte ich schon die heftigsten Sturmböen ausmachen, und ich war mir sicher: hätte es dort Bäume oder sogar Häuser aus Holz gegeben – diese hätte ich jetzt wie Papier durch die Luft fliegen sehen können!

Jetzt wurde mir wirklich mulmig zumute, wobei ich dabei eigentlich nicht an mich selbst dachte, sondern vielmehr an Winnetou. Wie hatte es noch gleich geheißen? Keine gefährlichen Situationen! Bloß keine Anstrengungen! Doch was da gerade auf uns zukam, verhieß eigentlich genau das Gegenteil und spottete wirklich jeder Beschreibung.

Und egal was wir jetzt noch zu unternehmen gedachten – meinem Freund würde das Unwetter in jedem Fall ordentlich zusetzen, und vor den daraus drohenden gesundheitlichen Folgen für ihn wurde mir jetzt schon Angst und Bange – wenn der Sturm uns nicht sogar ans Leben ging!

Übrigens hatten die Pferde die anrollende Gefahr auch schon längst bemerkt, und für die Reiter wurde es mittlerweile immer schwieriger, ihre Tiere noch irgendwie unter Kontrolle zu halten. Wie gut, dass gerade die Apatschen ihre Rosse meisterhaft beherrschten, so dass es ihnen nebenher sogar auch noch gelang, die Gefangenen nicht aus den Augen zu lassen und deren Pferde fest bei den Zügeln zu halten!
 

Die sowieso schon zur Genüge vorhandene Hitze der letzten Tage hatte in den letzten Minuten noch einmal spürbar zugenommen und begann sich jetzt in eine solch bedrückende Schwüle zu entwickeln, dass Mensch und Tier das Atmen immer schwerer fiel. Es fühlte sich an, als ob die gesamte Umgebung zu kochen beginnen würde – die Luft flirrte, die Sonne brannte noch gnadenloser auf die Reisenden herab und man bekam tatsächlich das Gefühl, sich schlichtweg in einem Backofen zu befinden. Zugleich wurde es mit einem Mal völlig windstill, was die Hitze nur noch unerträglicher machte.

Der östliche Horizont war mittlerweile pechschwarz, und diese Schwärze breitete sich jetzt mit rasender Geschwindigkeit zu allen Seiten hin aus, kam bedrohlich schnell auf uns zu – ganz entfernt glaubte ich auch schon, ein dunkles Grollen vernehmen zu können, gemischt mit einer Art seltsamen Fauchen, was das Ganze noch unheimlicher erscheinen ließ.

Ich warf einen kurzen Blick auf unsere Gefangenen, die angesichts der großen Gefahr aber keinerlei Anstalten zu einem Fluchtversuch machten. Sie wussten genau, es wäre ihr sicherer Tod gewesen, wenn sie sich von der Gruppe entfernt hätten, und das auch noch mit gefesselten Gliedmaßen! Es war ihnen auch deutlich anzusehen, dass sie daran keinen einzigen Gedanken verschwendeten, denn ihre Gesichter drückten große Furcht, ja, eigentlich schon richtige Panik aus.

Das Großmaul Thomson so zu sehen, wie ein Häufchen Elend, das sich am liebsten unter einer Bettdecke verstecken wollte, nur um der Gefahr nicht ins Auge blicken zu müssen – ja, das war schon eine kleine Genugtuung für mich, die ich sehr gerne noch länger genossen hätte, nach all dem, was er meinem Winnetou angetan hatte!
 

Doch das Brüllen und Fauchen des nahenden Hurrikans wurde immer lauter, die bedrückende Schwüle nahm mir fast den Atem, und jetzt wurde es wirklich höchste Zeit, Mensch und Tier in Sicherheit zu bringen. Ich wollte Winnetou zurückrufen, damit wir uns wenigstens zusammen dem Sturm stellen konnten und ich somit noch eine, wenn auch sehr geringe, Möglichkeit bekommen würde, mich seiner anzunehmen und ihm soviel Schutz zu bieten, wie es nur ging – ein frommer Wunsch angesichts der fürchterlichen Naturgewalt, die uns da binnen kürzester Zeit überrollen würde!

Mein Blutsbruder war allerdings schon auf dem Weg zurück zu uns. Seinen Iltschi hatte er zu einem solch rasenden Galopp angetrieben, dass die beiden förmlich auf uns zuflogen, und schon von Weitem sah ich ihn winken und rufen, um uns aufzufordern, ihm sofort zu folgen.

Hatte er tatsächlich etwas entdeckt, was uns Schutz bieten könnte? Und wenn, dann wo? Hier gab es doch weit und breit nur versandete Steppe, von vereinzelten Felsbrocken durchzogen, die aber viel zu klein und in viel zu geringer Anzahl vorhanden waren, um unsere große Truppe samt Pferden vor dem gnadenlosen Sturm zu verbergen!

Aber mein Vertrauen in meinen geliebten Freund mit seinem untrüglichen Gespür für die Natur war grenzenlos, und so trieb ich die Gefährten eiligst an, alles aus ihren Pferden herauszuholen, was nur ging, um den Apatschen noch vor Ausbruch des Hurrikans zu erreichen.

Ich selbst preschte voraus, Soldaten, Westmänner, die Butterfields sowie die Apatschen samt den Gefangenen folgten mir in einem mörderischen Tempo, so dass den schwächsten Pferden bald schon die Zunge aus dem Hals hing und der Schaum in großen Flocken aus ihren Mäulern tropfte – und dann konnte der ganze Pulk aus Reitern und Pferden nur noch mit der allergrößten Mühe zum Stehen kommen, gerade noch rechtzeitig, bevor die vordersten Tiere in eine Felsspalte rutschen mussten, die hier zwar recht steil, aber nur wenige Meter in die Tiefe führte und von der Ebene aus überhaupt nicht zu entdecken gewesen war.

Das war die Rettung! Die Felsspalte glich eigentlich eher schon einer kleinen Schlucht, nicht tief, aber breit und vor allem lang genug, um die nahezu einhundert Menschen und Tiere vor den ärgsten Orkanböen schützen zu können.
 

Doch genau in diesem Moment brach um uns herum schon die Hölle los! Zuerst nur in Form von ohrenbetäubenden Geräuschen; Fauchen, Pfeifen, Zischen, Jaulen, all das ging einher mit einer fürchterlichen Backofenglut, während derer man das Gefühl bekam, dass es einem die Haut am Körper beinahe versengte. Doch das waren nur die Vorboten, die aber dennoch bewirkten, dass vor allem unter den Butterfields und den Soldaten, aber auch unter einem Teil der Westmänner Panik ausbrach.

Wir konnten schreien, soviel wir wollten, um die nötige Ruhe und Ordnung herbeizuführen, die es nun mal brauchte, wenn man die vielen Menschen und Tiere schnell, aber vor allem sicher in die Felsspalte hinein manövrieren wollte, ohne dass es zu Unfällen kam.

Bei dem nun folgenden Durcheinander war das aber gar nicht mehr möglich. Ein Knäuel aus Menschen und Pferde, die nun größtenteils auch in Panik geraten waren, stürzte nun unter großem Geschrei in die kleine Schlucht, währenddessen sich die fürchterliche Gluthitze mit einem Mal in eine grausame Kälte verwandelte, die einem den Atem gefrieren ließ.

Auch dieses Phänomen gehörte zu den typischen Stürmen des Llano. Diese Kälte währte nie lange, höchstens zwei Minuten, doch wenn man sich in dieser kurzen Zeit nicht unablässig tüchtig bewegte und vor allem die Pferde nicht kräftig abrieb, konnte es durchaus geschehen, dass der Sturm hier schon die ersten Todesopfer forderte. Gerade die Pferde waren in ihrem erhitzten Zustand der plötzlichen Kälte hilflos ausgeliefert und ohne die beschriebenen Maßnahmen fast immer dem Tode geweiht.
 

Winnetou und ich hatten mit etlichen der anderen Westmänner bis jetzt gerade versucht, die Gefährten trotz des heillosen Durcheinanders irgendwie noch in die Felsspalte zu befördern, doch jetzt ging es auch unseren Tieren und uns ans Leben, so dass wir nun alles daransetzten, uns dieses irgendwie zu erhalten. Zusammen mit Emery, Firehand, Surehand, Sam Hawkens, Davy, Bloody Fox, Dick Hammerdull und den allermeisten Apatschen langten wir nach unseren Decken und rieben unsere Pferde ab, bis wir vor Anstrengung kaum noch Luft bekamen. Diese wurde kurz darauf auch schon wieder furchtbar drückend und schwül; die Kälte war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war – aber nun brach der eigentliche Sturm los.

In der Felsspalte gab es keinen Platz mehr für uns, und es war dort auch aufgrund der Panik, die immer noch herrschte, wirklich nicht gerade ungefährlich – wie leicht konnte der Huf eines Pferdes einen Menschen in diesem Durcheinander treffen und gefährlich verletzen, wenn nicht sogar töten! Und wie leicht konnte eines der Tiere in der engen Spalte den Halt verlieren und einen Menschen unter sich begraben!

Doch hier oben wurde es jetzt noch viel gefährlicher. Wir hatten aufgrund der fehlenden Vegetation so gut wie keine Möglichkeit, uns vor der Hauptwucht des Sturmes wenigstens etwas zu schützen, also verteilten wir uns, wo es nur ging, mit den Pferden hinter den wenigen Felsbrocken in der Nähe – doch wir waren noch mindestens vierzig Personen, und hinter den einzelnen Felsen gab es insgesamt nur Platz für höchstens zehn Menschen. Der Rest warf sich daher jetzt einfach der Länge nach bäuchlings auf den Boden, hinter ihren Pferden, die sich wie bei Winnetou und mir sowie allen Apatschen auf Zuruf sofort legten, dann nahmen wir die Köpfe tief herunter und schützen diese mit unseren Armen.
 

Kurz schaute ich noch einmal hoch – und sah eine schwarze Wand auf mich zukommen. Der Sturm hatte offenbar ganze Wagenladungen an Sand aus dem Llano hochgewirbelt und trug diese jetzt direkt auf uns zu! Ich konnte nur noch schnell den Gefährten zuschreien:

„Die Köpfe unten lassen, Leute! Schützt Mund und Nase vor dem Sand, sonst erstickt ihr!“, und dann ging endgültig die Welt unter.

Es war ein Heulen, ein Brausen, ein Stürmen und Toben, ein Zerren und Ziehen, dass ich meine liebe Not hatte, an Ort und Stelle liegen zu bleiben und nicht von der Gewalt des Windes weggerissen zu werden. Festhalten konnte ich mich nirgends, mir blieb nur mein braver Hatatitla, an dessen Körper ich mich mit aller Kraft klammerte. Und schon spürte ich, wie ich von einer Sandschicht nach der anderen begraben wurde, was zumindest den Vorteil hatte, dass die Gefahr vorüber war, von dem Sturm erfasst und weit in die Wüste hinausgeschleudert zu werden. Aber mit jeder Schicht wurde mein Körper, vor allem die Lunge, weiter zusammengepresst, verstopfte der Sand mehr und mehr Nase und Mund, trotz des Halstuches, welches ich mir noch schnell vor das Gesicht gehalten hatte, und trotz des ebenfalls davor gedrückten Unterarmes, so dass mir das Atmen von Sekunde zu Sekunde schwerer fiel.

Hören konnte ich jetzt ebenfalls nichts mehr, denn der Sand hatte sich schon längst in meine Gehörgänge hineingegraben. Nur dumpf vernahm ich noch das Brausen und Stürmen der um mich herum tobenden Naturgewalten, war dabei froh über jedes bisschen Luft, die ich noch atmen konnte, und hoffte ansonsten von ganzem Herzen, dass der Hurrikan unter uns keine Opfer fordern würde.

Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen, als ich an meinen Winnetou dachte. Würde er die Kraft haben, diesem Horror zu widerstehen? Ich glaubte ihn wenige Meter neben mir zu wissen, wusste es aber nicht genau, denn trotz meiner dahingehenden Bemühungen war es mir nicht gelungen, mich noch an seine Seite zu werfen, als die Hölle losbrach.
 

Die Sekunden und Minuten verronnen, doch ich empfand diese Zeit als endlos, einer Ewigkeit gleich. Aber dann – endlich, endlich – verstummten die Begleitgeräusche des Sturmes völlig abrupt, und fast zeitgleich wurde ich auch aus der trotz der Sandschichten immer noch heftig an mir zerrenden und ziehenden Kraft entlassen. Plötzlich breitete sich eine unnatürliche Stille aus, fast einer Totenruhe gleich – es fühlte sich so an, als ob alles Leben mit einem Male ausgelöscht worden war.

Aufgrund der Sandmengen vor meinem Gesicht bekam ich kaum noch Luft, und daher gingen meine ersten Bemühungen natürlich in die Richtung, mir irgendwie einen Freiraum zu schaffen, so gut es ging, um besser atmen zu können und dadurch die Kraft zu gewinnen, mich weiter von dem Sand zu befreien, denn immer noch lag ich unter großen Mengen davon begraben, zumindest fühlte es sich so an.

Und mit jeder Kopfbewegung konnte ich jetzt auch spüren, wie mehr und mehr Sand von mir abfiel. Sofort verdoppelte ich meine Mühen, und bald hatte ich meine Arme und Teile des Oberkörpers aus der Falle befreit. Schon machte ich mich daran, auch den Rest so schnell wie möglich auszubuddeln, da fühlte ich plötzlich zwei große Hände, die mir unter die Achseln griffen und mich mit einem kräftigen Ruck aus den Sandbergen herauszogen und auf die Füße stellten. Niemand anderer als Old Firehand war es, der mir da buchstäblich aus der Patsche geholfen hatte!
 

Ich klopfte dem Hünen auf die Schulter und keuchte dabei ein kurzes: „Hab Dank, mein Freund!“, denn zu mehr fehlte mir einfach noch der Atem.

Deshalb sog ich jetzt auch die nun überraschend klare Luft in großen Zügen gierig ein, während ich mich hustend und spuckend daran machte, auch meinen Hengst, der sich ebenfalls gerade aufrappelte, vollständig aufzuhelfen. Mit einem bangen Gefühl tastete ich ihn sorgfältig ab und hoffte dabei von ganzem Herzen, dass auch er den Hurrikan wohlbehalten überstanden hatte.

Zum Glück konnte ich keinerlei Verletzungen feststellen, im Gegenteil, der Rappe begann sich schon wie suchend umzusehen und eilte dann zielstrebig auf eine kleines Fleckchen Erde zu, das der Sturm vom Sand befreit hatte und dadurch Hatatitla die Möglichkeit bot, sich der wenigen Grashalme zu widmen, die hier nur noch vereinzelt und ganz spärlich wuchsen.

Ich wandte mich wieder Firehand zu. Beinahe zeitgleich begannen wir damit, uns gegenseitig zu taxieren, und konnten schließlich wenig später beide erleichtert feststellen, dass dem anderen offenbar auch nichts geschehen war.
 

In der Zwischenzeit begann sich rings um uns herum die Sanddecke zu bewegen, und bald darauf erschienen überall weitere Köpfe und Arme der Gefährten, die sich krampfhaft um ihre rasche Befreiung bemühten. Firehand und ich eilten sofort hinzu und halfen, wo wir konnten, so dass wir innerhalb kürzester Zeit von einer großen Menge hustender und keuchender Apatschen sowie Westmännern umgeben waren. Sam Hawkens, Dick Hammerdull und zwei der Mescaleros hatten allerdings schon das Bewusstsein verloren, und mehrere andere der Gefährten bluteten aus den verschiedensten Wunden – doch sie alle lebten!

Aber die Versorgung der Verletzten musste bis später warten: zuerst einmal galt es, sicherzustellen, dass kein Mitglied unserer großen Reisegruppe fehlte. Noch während ich zu zählen begann, tauchten auch schon der dicke Jemmy, der Hobble Frank sowie Pitt Holbers mitsamt ihren Pferden aus der Felsspalte auf, wo es ihnen kurz vor dem Sturm tatsächlich noch gelungen war, dort Unterschlupf zu suchen – und zu meiner großen Erleichterung sah ich einige Sekunden später auch unseren Doktor aus der kleinen Schlucht herauskrabbeln, der sich offenbar auch nichts getan hatte, wenn man von einer tiefen Schnittwunde am linken Unterarm einmal absah. Er kümmerte sich allerdings gar nicht darum, sondern eilte schnell auf die noch am Boden liegenden Verletzten zu und begann sofort, sie fachmännisch zu versorgen.

Auch die Pferde unserer unter dem Sand begrabenen Freunde hatten sich größtenteils, zumindest soweit ich das überblicken konnte, von selbst befreit und waren schon dabei, eine Stelle zu suchen, wo sie sich wie mein Hatatitla auf den überstandenen Schrecken hin an ein paar Grashalmen gütlich tun konnten. Übrigens stand mein Hengst schon längst nicht mehr alleine da, denn Winnetous Iltschi hatte ihm mittlerweile Gesellschaft geleistet.
 

Winnetou! Mich durchfuhr ein riesiger Schreck, als ich mich suchend umblickte, den Apatschen aber nirgends entdecken konnte. Ich warf noch ein Mal einen kurzen Blick auf seinen Rappen, dessen seltsames Verhalten mir erst jetzt so richtig auffiel. Dieser graste nämlich gar nicht wie sein Zwillingsbruder, sondern stampfte unruhig mit den Vorderhufen auf dem Boden herum, warf immer wieder seinen schönen Kopf in die Luft, während sein Blick wie suchend umherirrte; ganz anders als Hatatitla, der es sich seelenruhig schmecken ließ.

Rasch ging ich jetzt wieder zu der Stelle, an der ich unter dem Sand begraben gelegen hatte, weil ich mir ja recht sicher war, dass auch Winnetou dort ganz in der Nähe Schutz gesucht hatte – aber auch hier war nichts von meinem Freund auszumachen! Ich begann sofort fieberhaft zu graben, was das Zeug hielt, überall. Mit jeder Sekunde, in der ich kein Lebenszeichen meines Freundes fand, grub ich wilder und gebärdete mich bald darauf fast wie ein Irrer.

Firehand, Surehand, Emery, der lange Davy und Fox waren schon an meine Seite geeilt und halfen mir nach Kräften, denn sie hatten sofort den Grund für mein seltsames Verhaltens begriffen. Doch soviel wir auch suchten, wir fanden nicht die geringste Spur des Apatschen, was meine Sorge um ihn natürlich ins Unermessliche steigerte.
 

Schließlich machte uns Firehand auf eine Stelle ganz in der Nähe aufmerksam, an der der Sand nicht wie an den meisten anderen Orten aufgehäuft worden war. Im Gegenteil, auch hier waren schon einige Grashalme auf dem fast blankgefegten Boden zu sehen, und als wir uns das Ganze näher betrachteten, konnten wir noch mehr Anzeichen dafür entdecken, dass genau hier eine dieser fürchterlichen Windböen gewütet haben mussten, die alles, was nicht vorher fest mit dem Boden verwurzelt gewesen war, wohl mit sich fortgetragen hatte.

Als ich direkt daneben dann eine Stelle entdeckte, an der offenbar ein Pferd unter dem hier wieder aufgehäuften Sand begraben gelegen hatte, sich aber inzwischen daraus befreit haben musste – zumindest war das anhand der Spuren deutlich zu erkennen – wurde mir wirlich mehr als mulmig zumute.

Und dann bückte sich Emery mit einem Male und hob genau an dieser Stelle etwas vom Boden auf. Einen Augenblick lang starrte er mit versteinerter Miene auf den gefundenen Gegenstand, trat dann an meine Seite und hielt mir schweigend seine geöffnete Hand hin – in der sich mehrere Bärenkrallen befanden, an denen noch Reste eines Lederbandes befestigt waren.

All das kannte ich nur zu gut, denn es handelte sich unbestritten um die Grizzlykette meines geliebten Blutsbruders!
 

Ich konnte nicht verhindern, dass meine Beine mir jetzt kurzfristig ihren Dienst versagten und ich ungewollt in die Knie sank, was mir vorher wirklich noch nie passiert war. Doch ich war völlig geschockt und im Augenblick einfach zu keiner vernünftigen Reaktion mehr fähig, daher blieb ich erst einmal wie betäubt am Boden sitzen.

Um mich herum schwärmten die Westmänner aus, um die verzweifelte Suche nach Winnetou fortzusetzen, während Firehand sich bemühte, die Übersicht über dem ganzen Wirrwarr zurückzugewinnen und festzustellen, ob noch mehr unserer Gefährten fehlten. Mittlerweile waren auch alle Geflüchteten wieder aus der Felsspalte herausgekommen, und es stellte sich jetzt heraus, dass es auch hier etliche Leichtverletzte gegeben hatte, was aber ausschließlich dem unglaublichen Durcheinander geschuldet war, welches aufgrund der Panik wegen des aufziehenden Sturmes unter Mensch und Tier ausgebrochen war.

Eine Weile noch wurde gezählt und gesucht, dann stand fest: Zwölf Leicht- sowie zwei schwerer Verletzte aufgrund diverser Knochenbrüche waren dem Hurrikan zum Opfer gefallen, außerdem wurden sechs Menschen vermisst: Zwei Soldaten, Morton und Frederic Butterfield, dann ausgerechnet der Verbrecher Wayne Thomson und – mein Winnetou!

Wie diese Nachricht auf unsere ganze Gesellschaft wirkte, kann ich gar nicht beschreiben. Das Entsetzen darüber war förmlich mit den Händen zu greifen, und nun brach allseits eine hektische Betriebsamkeit aus. Soldaten, Apatschen und Westmänner schwärmten aus, um die Umgebung in einem großen Umkreis abzusuchen, und nur einige wenige Apatschen blieben zurück, nämlich diejenigen, die ein wenig in der indianischen Heilkunst bewandert waren und somit unseren Doktor bei der Versorgung der Verletzten unterstützen konnten.

Sam und Dick Hammerdull waren mittlerweile zwar wieder aus ihrer Ohnmacht erwacht, wurden jedoch von Hendrick energisch davon abgehalten, sich sofort wieder ins Geschehen zu stürzen. Der kauzige Westmann wollte sich dem Willen des Arztes allerdings keinesfalls beugen, doch dann bekam er von Walter eine solch eindringliche Standpauke verpasst, dass er letztendlich wie ein Schulbube mit betretendem und leise verblüfften Gesichtsausdruck am Boden sitzen blieb.
 

Auch die Butterfields wollten allesamt und in einem wilden Durcheinander losstürmen, wurden aber von Firehand und Surehand fast gewaltsam daran gehindert. Das fehlte noch, dass sich diese unerfahrenen und leichtsinnigen Jünglinge aufs Geratewohl in die gefährliche Umgebung aufmachten – sie würden das niemals unverletzt überstehen und uns unweigerlich verloren gehen!

Die acht jungen Männer waren aber kaum zu bremsen, denn das Verschwinden von Frederic – dem jungen Mann, der damals während der Büffeljagd durch sein Missgeschick Winnetou in größte Gefahr gebracht hatte – und dann noch das ihres jüngsten Familienmitgliedes Morton hatte sie natürlich zutiefst erschüttert, weshalb sie jetzt alles Erdenkliche daran setzen wollten, die beiden wiederzufinden. Erst als sich ihnen ein paar Apatschen mit grimmiger Miene in den Weg stellten, ließen sie von ihrem Vorhaben ab, wenn auch nur widerwillig.

Mittlerweile hatte ich mich von meinem ersten Schock soweit erholt, dass ich mich wieder erheben konnte, und gerade wollte ich meinen Rappen herbeirufen, um mich schnellstmöglich an der Suche, vor allem nach Winnetou, zu beteiligen – da wurde ich heftig von hinten angestubst, einmal, zweimal, begleitet von einem fast schon ungeduldigen Schnauben.

Ich drehte mich um und gewahrte Iltschi, der dicht vor mir stand, mit den Hufen scharrte und unruhig hin und her tänzelte. Als das Tier sich jetzt meiner Aufmerksamkeit sicher war, drehte es sich abrupt um, lief einige Schritte hinaus in die Wüste, blieb dann stehen und sah sich wieder nach mir um.

Verwundert wollte ich mich dem Hengst nähern, aber kaum hatte ich mich in Bewegung gesetzt, lief er wieder ein Stück weit voraus und wiederholte das Spiel von vorhin.

Nun war ich mir sicher: Das Tier wollte mir etwas zeigen! Sofort rief ich Hatatitla zu mir, schwang mich auf seinen Rücken und schoss im Eiltempo hinter Iltschi her, der sich ebenfalls sofort wieder in Bewegung gesetzt hatte und mich jetzt zielsicher in eine ganz bestimmte Richtung führte.
 

Nach etwa zweihundert Metern blieb der edle Rappe mit einem Mal wieder stehen und begann erneut, voller Unruhe auf der Stelle hin und her zu tänzeln. Sofort war ich bei ihm, sprang ab und sah mich suchend um. Deutlich war zu erkennen, dass die Sturmböen hier eine Unmenge Sand aufgetürmt hatten, und wenn ich den Weg des Windes richtig einschätzte, konnte es gut möglich sein, dass etwas, was bei uns drüben gelegen hatte, bis hierher geworfen worden war!

Ich befand mich ein Stück abseits von den anderen Suchenden, doch diese jetzt erst noch mir zu Hilfe zu holen, dafür hatte ich einfach keine Zeit mehr.

Wenn Winnetou tatsächlich hier unter dem Sand begraben lag – und Iltschis Verhalten deutete nun mal darauf hin – dann war jetzt allerhöchste Eile geboten, um ihn noch vor dem Ersticken zu retten – wenn es nicht schon zu spät war!

Wie von Sinnen begann ich den Sand weg zu schaufeln, mit bloßen Händen, drehte mich dabei im Kreis, um an so vielen Stellen wie möglich gleichzeitig graben zu können – und dann, nach nur wenigen Sekunden, stieß ich mit einer Hand auf einen weichen Widerstand! Hastig, mit fliegendem Atem, entfernte ich Sandschicht um Sandschicht, so schnell es nur ging.

Da – ich hatte ihn gefunden! Ich hatte meinen geliebten Blutsbruder gefunden! Rasch, rasch den Kopf vom Sand befreien – schon war auch das geschehen.

Er lag auf der Seite, hielt die Augen geschlossen, und als ich vorsichtig seinen Kopf umfasste, spürte ich etwas Warmes, Feuchtes an meiner Hand – Blut! Ein hilfloses Stöhnen entwich mir, als ich zudem noch erkennen musste, dass meine Berührungen immer noch keine Reaktion bei meinem Freund hervorriefen.

Doch als ich eine Hand auf seinen Oberkörper legte, fielen mir ganze Felsbrocken vom Herzen, da ich jetzt leichte Atembewegungen ausmachen konnte – es war mir dann auch nicht mehr möglich, zu verhindern, dass ich vor Erleichterung laut aufschluchzte.

Erst jetzt registrierte ich, dass es Winnetou trotz der um ihn herum tobenden und ihn umher wirbelnden Naturgewalten gelungen war, bei der Landung im Sand mit den Armen eine kleine Kuhle vor seinem Gesicht zu bilden, so dass dadurch eine Art Luftblase entstanden war, die ihn wohl bis jetzt vor dem Ersticken gerettet hatte.
 

Doch nun galt es aber erst einmal, ihn vollends von dem Sand zu befreien und vorsichtig auf die von mir schnell bereit gelegte Satteldecke zu betten. Gerade als ich meinen geliebten Freund aus seinem Gefängnis herausheben wollte, kamen Firehand, Surehand, Entschah-koh und Emery in fliegender Hast auf mich zugeprescht, die offenbar aus der Ferne gesehen hatten, dass ich fündig geworden war. Nur ganz knapp vor uns brachten sie ihre Pferde zum Stehen, und die Wolke aus Sand und Staub, die ihnen hinterher geweht war, hüllte uns jetzt erst einmal alle vollständig ein, so dass man kaum seine Hand vor Augen sehen konnte.

Das war natürlich nicht gerade förderlich für eine freie Luftzufuhr für den Apatschen, und gerade wollte ich deshalb wütend und viel heftiger als sonst lospoltern, was natürlich auch der gewaltigen Sorge um meinen Winnetou geschuldet war, doch da knieten die Freunde auch schon neben mir, mit betroffenen Gesichtern, in denen deutlich größte Sorge zu erkennen war.

Beinahe schon stammelnd aufgrund ihrer Angst um den Häuptling entschuldigten sie sich wortreich bei mir, während sie zugleich damit begannen, mir bei seiner Bergung behilflich zu sein. Ich konnte sie aber vorerst zumindest mit der Tatsache dahingehend beruhigen, dass Winnetou noch Lebenszeichen von sich gab, was sie dann auch erst einmal im höchsten Grade erleichtert zur Kenntnis nahmen.

Gerade als wir den Apatschen anhoben, ließen Entschah-koh und Surehand mit einem Male laute Rufe der Überraschung hören. Schnell sah ich genauer hin – und glaubte dabei zu erkennen, dass unter meinem Freund noch ein weiterer menschlicher Körper lag, auf den sich Winnetou offenbar im letzten Augenblick schützend geworfen hatte!

Sogleich betteten wir Winnetou schnell, aber natürlich auf äußerst vorsichtige Weise auf die Decke, und dann begannen die anderen drei hastig, weitere Sandschichten zu entfernen, wobei sie ihre Anstrengungen sogar noch verdoppelten. Eigentlich hatte ich auch mithelfen wollen, doch sofort wurde ich fast brüsk zurückgewiesen, denn meine Begleiter wollten, dass ich mich jetzt auf jeden Fall weiter um Winnetou bemühen sollte, über dessen Zustand wir ja eigentlich noch gar nichts Genaues wussten.

Also legte ich den Kopf meines Freundes so sachte wie es nur ging in meinen Schoß und begann mit einer ersten vorsichtigen Untersuchung, während Entschah-koh und die beiden Westmänner schnellstmöglich weitergruben, bis sich nach wenigen Augenblicken unsere Vermutung bestätigte – es war tatsächlich ein Mensch, offenbar einer unserer Gefährten... Noch schneller gruben sie, und dann hatten wir schließlich die traurige Gewissheit: Es war Morton Butterfield – und er war tot, da kam leider jede Hilfe zu spät!
 

Was für ein Schlag für diese Familie, die in den letzten Wochen und Monaten durch so viele Höhen und Tiefen gegangen war! Und was waren die Jünglinge, gerade in den letzten Tagen, glücklich und voller Vorfreude auf die große Überraschung gewesen, die sie ihrer Familie daheim bereiten würden! Und nun, schon fast am Ende ihrer abenteuerlichen Reise, war ausgerechnet der Jüngste der ehemaligen Goldsucher dem manchmal wirklich grausamen Schicksal zum Opfer gefallen! Für mich stand jetzt fest: ab diesem Moment würden sich die Butterfields lieber all ihre Armut zurückwünschen, wenn ihnen dafür nur das Leben ihres Morton noch einmal neu geschenkt werden könnte!
 

Äußerst betroffen bargen Old Surehand und Old Firehand den jungen Mann und befreiten ihn dann so gut es ging von dem Sand, der wie bei Winnetou in sämtliche Ritzen der Kleidung eingedrungen war. Entschah-koh eilte derweil wieder an meine Seite, um mir bei der Behandlung und Versorgung meines Blutsbruders zu helfen.

Nach einer kurzen Untersuchung konnten wir aber nur eine blutende Wunde am Hinterkopf ausmachen, ansonsten schien mein Freund tatsächlich unversehrt zu sein. Allerdings war es uns aber auch nicht möglich, weder Knochenbrüche noch innere Blutungen ausschließen, daher handelten wir weiterhin so umsichtig wie es nur ging, um ihm ja nicht versehentlich noch mehr zu schaden.

Immer noch war er ohne Bewusstsein, so dass wir auch nicht durch gezieltes Nachfragen weitere Diagnosen stellen konnten. Aber wenigstens atmete er, etwas flach zwar, aber doch recht regelmäßig, was mir zumindest die größten Ängste nahm.

Die ganze Zeit über hatte Iltschi in unserer Nähe ausgeharrt und mehrere Male sogar versucht, seinen geliebten Herrn zu beschnobern, so auch jetzt wieder, und so herzergreifend ich dieses Verhalten auch fand – ich musste das Tier mit einem energischen Befehl wegschicken, um zu verhindern, dass Winnetou durch sein unruhiges Herumtänzeln immer wieder mit Sand beworfen wurde, von dem wir ihn doch gerade so mühsam zu befreien versuchten.

Nun näherten sich uns aber noch drei weitere Pferde im beinahe halsbrecherischen Tempo und kamen ebenfalls erst knapp vor uns zum Stehen, so dass ich auch diesen Reitern schon beinahe entnervt eine Standpauke halten wollte – doch dann erkannte ich in einem von ihnen unseren Doktor, und der kam mir natürlich gerade recht.
 

Er war in Begleitung von Til Lata und dem Bärenjäger gekommen. Winnetous stellvertretender Häuptling hatte nämlich trotz der großen Entfernung von der Felsspalte aus gesehen, dass ich mit den beiden Rappen hier halten geblieben und offenbar auch fündig geworden war, und aus dem Verhalten Iltschis hatte er sofort erkannt, dass es sich bei dem vor mir liegenden Mann nur um Winnetou handeln konnte. Daraufhin hatte er sich sofort den Doktor gepackt, der sich noch inmitten der Behandlung eines Leichtverletzten befand, und ihn mehr oder weniger einfach zu dessen Pferd hingeschleppt – es brauchte dann auch ein paar Schrecksekunden, bis Walter endlich begriff, was den Unterhäuptling zu seinem befremdlichen Verhalten getrieben hatte, wie er mir später lächelnd erzählte.

Til Lata löste jetzt einen in weiser Voraussicht mitgebrachten Wasserschlauch von der Satteldecke seines Pferdes und trat an die Seite des Doktors, der mir schon längst das Heft aus der Hand genommen und mit der Untersuchung meines Freundes begonnen hatte. Unwillkürlich hielt ich den Atem an, denn vor dem Ergebnis war mir jetzt wirklich bange. Konnte Winnetou dieses Umherwirbeln und dann auch noch den Sturz aus vielleicht sogar großer Höhe wirklich ohne schwere Verletzungen überstanden haben? Und wie würde sich diese ganze Sache auf seine Krankheit auswirken? Erst jetzt begann ich mir über die möglichen Folgen Gedanken zu machen, und das Herz rutschte mir buchstäblich in die Hose.

Der Bärenjäger, der Til Lata und dem Doktor übrigens nur auf Verdacht gefolgt war, als die beiden in einem fast schon wahnwitzigen Tempo in die Wüste geprescht waren, legte mir jetzt vorsichtig seine Hand auf die Schulter und drückte sie tröstend, was ich mit einem dankbaren Lächeln zur Kenntnis nahm.

Ich hatte mittlerweile die Linke meines Freundes ergriffen und sandte nun mehrere Stoßgebete gen Himmel, der übrigens wieder im leuchtenden Blau erstrahlte und den Eindruck machte, als könne er niemals auch nur ein Wässerchen trüben. Auch die Luft war nach dem Abzug des Sturms wunderbar klar und angenehm, beinahe schon erfrischend geworden, so dass wir alle unbewusst immer wieder tief Atem holten und uns an der frischen Luft labten.
 

Nachdem Hendrick meinen Freund überall abgetastet hatte, begann er nun, dessen Kopfwunde mit dem mitgebrachten Wasser auszuwaschen – und das kühle Nass hatte jetzt offenbar eine sehr belebende Wirkung auf Winnetou, denn nur Sekunden später schlug er die Augen auf!

Sein Blick irrte im ersten Augenblick suchend umher, dann sah er mich, offenbar unverletzt, und ließ daraufhin einen erleichterten Seufzer hören. Auch die drei anderen wurden von ihm mit einem erfreuten Blick bedacht, der verdeutlichte, wie froh er über die Tatsache war, sie lebend wiederzusehen.

Kurz schloss er wieder die Augen, doch noch bevor der Doktor ihn ansprechen konnte, hatte Winnetou sich schon aufgesetzt, so schnell, dass keiner von uns ihn daran hatte hindern können. Hendrick und ich wollten gerade aufbrausen und ihn zum Liegenbleiben auffordern, da ließ sein mahnender Blick uns wieder verstummen. Natürlich – es war Winnetou einfach zuwider, vor jemandem anderen als vor Walter und mir eine Schwäche zeigen zu müssen, und nichts auf der Welt hätte ihn jetzt noch dazu bringen können, hier weiter den Patienten zu spielen, solange er noch in der Lage war, sich selbständig zu bewegen.

So sehr sich alles in mir dagegen auflehnte, ich konnte und durfte hier nicht anders handeln, als meinem Freund zu Willen zu sein, und auch der Doktor, der sich mittlerweile in Winnetou gleichermaßen hineinzudenken vermochte, hielt ihn jetzt nicht mehr auf.
 

Mein Freund erntete zwar noch einen strengen Blick seines Unterhäuptlings, als er Anstalten machte, aufzustehen, doch als Til Lata dann auch noch seinen Unmut in Worten ausdrücken wollte, vor allem in dem Moment, als Winnetou nochmals kurz die Augen schloss, sichtlich bemüht, einen aufkommenden Schwindel zu unterdrücken, erhielt der Unterhäuptling im Gegenzug einen noch strengeren Blick, woraufhin er sich wohl oder übel fügen musste.

Der Bärenjäger und ich hatten beide gleichzeitig zupacken wollen, um den Apatschen beim Aufstehen zu unterstützen, doch auch wir wurden sanft, aber bestimmt abgewehrt.

Ich selbst bemühte mich, nicht zu besorgt zu klingen, als ich meinen Blutsbruder jetzt leise fragte:

„Bist du sicher, dass du dir nichts gebrochen hast? Du musst weit durch die Luft geschleudert worden sein, und...“

„Winnetou ist sich sicher!“, unterbrach er mich bestimmt, während er alle Hände voll zu tun hatte, den um ihn herum tobenden und offensichtlich hocherfreuten Iltschi einigermaßen in Zaum zu halten.

Meinen zweifelnden Blick bemerkend, nahm er mit einem leisen Seufzer meine Hand und führte mich ein Stück abseits, fasste mich dann bei den Schultern und drehte mich so, dass er mir tief in die Augen schauen konnte.

„Winnetou kennt seinen Körper ganz genau. Er hat dir versprochen, alles zu tun, um seinen Zustand zu verbessern und im Gegenzug alles zu vermeiden, was seiner Gesundheit noch weiter schaden könnte – aber deshalb muss er sich doch nicht bei jeder kleinen Verletzung legen! Scharlih – so hab doch Vertrauen zu deinem Bruder! Er weiß genau, was er sich im Augenblick zumuten kann und was nicht!“
 

„Verzeih mir, mein Bruder – du hast bestimmt recht“, antwortete ich und drückte ihn leicht an mich, doch bevor ich noch etwas sagen konnte, ließ Winnetou seinen Blick umherschweifen und blieb schließlich bei Surehand und Firehand haften, die sich immer noch um den leblosen Körper von Morton Butterfield bemühten.

Erschrocken wandte er sich wieder mir zu.

„Der Sturm hat Opfer gefordert?“, fragte er mich hastig. Ich nickte.

„Wie viele?“, kam schon die nächste Frage hinterher.

„Wir wissen es noch nicht genau. Zwei Soldaten sowie Frederic Butterfield werden noch vermisst, und leider auch...“

Weiter kam ich nicht, denn Winnetou hatte wieder zu unseren beiden Gefährten hinüber gesehen, und jetzt glitt der Ausdruck des Erschreckens über sein Gesicht.

„Ist das dort drüben Frederic? Winnetou ist sich sicher, dass er einen der Butterfields noch ergreifen und zu Boden drücken konnte, bevor der Sturm den Sand auf uns warf!“

„Wo war das? Hier oder drüben bei der Felsspalte?“, kam meine überraschte Gegenfrage.

„Natürlich dort drüben“, entgegnete mein Freund leise erstaunt, denn mein Gesicht musste nun einen recht verdutzten Ausdruck aufweisen.

„Dann hat der Sturm euch beide hierher... und du hast den jungen Mann die ganze Zeit über festgehalten!“

Ich war ehrlich verblüfft. Wie war dem Apatschen das nur gelungen? Solch eine Naturgewalt entriss einem Menschen doch für gewöhnlich jegliche Kontrolle, sowohl über den eigenen Körper wie auch über den eigenen Willen!

„Ich weiß es nicht sicher“, meinte dieser jetzt. „Ich weiß nur noch, dass ich das Bleichgesicht mit aller Kraft festgehalten habe, festhalten musste, da es in seiner Panik immer wieder fortlaufen wollte. Ich kann mich aber auch nicht mehr an den Aufprall hier erinnern... Ist das dort der junge Mann?“

„Ja...“, antwortete ich zögerlich, denn es tat mir nun wirklich leid, meinem Freund die traurige Wahrheit sagen zu müssen.

„Ja, es ist einer der Butterfields – Morton, der Jüngste, um genau zu sein. Du hast hier wirklich dein Möglichstes gegeben, aber leider hat er es nicht geschafft. Er ist tot.“

Winnetous blickte betroffen zu Boden, während er scharf Luft holte. Am liebsten hätte ich ihn jetzt fest in meine Arme gezogen, um ihn Trost zu spenden, doch daran war in Gegenwart der anderen natürlich überhaupt nicht zu denken. Mein Freund aber hatte seinen Kopf schon wieder erhoben und erkundigte sich jetzt:

„Und Frederic wird noch vermisst?“

„Ja“, antwortete ich. „Er, zwei der Soldaten und leider auch... Thomson!“

Wie ein Ruck ging es nun durch den Körper meines Freundes, es sah beinahe so aus, als wäre er von einer Kugel hinterrücks getroffen worden.

„Glaubt mein Bruder, dass dieser Hund fliehen konnte?“, fragte Winnetou beinahe entsetzt.

„Während dieses fürchterlichen Sturmes? Bestimmt nicht, das ist einfach nicht möglich. Und auch kurz vorher dürfte er dafür keine Chance erhalten haben, denn deine Krieger haben bis zuletzt die Übersicht behalten und auf die Gefangenen geachtet. Noch dazu waren diese gefesselt gewesen, obwohl sie natürlich schnell von den Pferden heruntergenommen worden waren, bevor der Hurrikan über uns war. Ich weiß auch nicht, ob deine Krieger noch Zeit gefunden haben, die Verbrecher wieder an den Füßen zu fesseln... Es kann daher gut sein, dass Thomson genau wie du weit in die Wüste hinausgeschleudert wurde – und wenn er das überlebt hat und nur noch an den Händen gefesselt ist...“

Den Rest des Satzes ließ ich offen, doch meine Sorge, dass uns dieser miese Verbrecher wieder entwischen könnte, war wohl deutlich herauszuhören.
 

Winnetou war mittlerweile mit einem einzigen eleganten Satz auf seinen Rappen gesprungen und trieb mich jetzt zur Eile an.

„Wir werden die Vermissten suchen, Scharlih, und nicht eher ruhen, als bis wir sie alle gefunden haben – Howgh!“

Hatte er dieses letzte Wort erst einmal ausgesprochen, war jede weitere Diskussion mit ihm sinnlos, das hatte ich schon oftmals erfahren müssen. So gern hätte ich meinen Freund jetzt daran gehindert, so gerne hätte ich ihm eine lange Ruhepause aufgezwungen, aber da war nun mal nichts mehr zu machen. Ergeben schloss ich die Augen, und dann blieb mir nichts anderes übrig, als dem Davonpreschenden zu folgen und die Gefährten in unserer Nähe völlig verdutzt zurückzulassen. Auf keinen Fall wollte ich Winnetou jetzt alleine lassen – das fehlte gerade noch, dass ausgerechnet er jetzt zufällig auf Thomson traf und dabei auch noch völlig auf sich allein gestellt war!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Onlyknow3
2016-04-19T16:25:18+00:00 19.04.2016 18:25
was muss noch passieren das dieser Kerl seine gerechte Strafe bekommt. Thomson darf nicht geflohen sein oder wenigstens nicht weit kommen ohne Pferd und Waffen. Das es eine Butterfields getroffen hat tut mir leid, das wird auch Winnetou und Shatterhand nicht anders gehen. Bin gespannt ob sie alle finden die noch vermisst werden.
Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.


LG
Onlyknow3


Zurück