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Mörderische Goldgier

"Geliebter Blutsbruder"- Teil II
von

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Schmerzhafter Widerstand

Ich kann meine Wut, meinen rasenden Zorn, den ganzen Strom an verzweifelten Gefühlen gar nicht mehr beschreiben, die mich überrannten, als diese Bestie namens Thomson das Zelt verlassen hatte. Ich musste mich unendlich zusammennehmen, um meine Tränen zurückzuhalten, die hinter den Augenlidern brannten und jetzt mit Macht hervordrängen wollten; daher senkte ich kurz den Kopf und schloss die Augen, um wieder Herr über meine Gefühlslage zu werden. Als ich sicher war, dass ich mich irgendwie würde beherrschen können, sah ich wieder zu Winnetou. Er hatte die Augen geschlossen, atmete ganz flach, lag völlig bewegungslos, während das Blut aus den neuen Wunden langsam, aber stetig in verschiedenen kleinen Rinnsalen den Oberkörper hinunter sickerte. Ich getraute mich noch nicht, ihn anzusprechen, denn man konnte ja nicht wissen, ob sich dieser wahnsinnige Verbrecher vielleicht doch noch vor dem Zelt befand und lauschte, in der Hoffnung, eventuell ein Lebenszeichen meines Freundes zu erhaschen.

Als ich einen Blick auf meine Gefährten warf, konnte ich erkennen, dass sie im Augenblick zu keiner Reaktion fähig waren; ihr Entsetzen und ihr Grauen über das unbeschreiblich bestialische Auftreten von Thomson stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
 

Wieder sah ich zu Winnetou, der immer noch kein Lebenszeichen von sich gab. Geschah das nur aus Vorsicht, weil auch er vermutete, dass sich der Schurke noch in Hörweite befand? Oder hatte er aufgrund der ihm erneut zugefügten Verletzungen und der damit verbundenen Schmerzen nun doch wieder das Bewusstsein verloren?

Unwillkürlich musste ich an meinen schrecklichen Alptraum in der Nacht vor dem Überfall der Kiowas, also vorgestern Abend, denken, aus dem ich schweißgebadet hochgeschreckt war und nur mit äußerster Müh und Not hatte verhindern können, dass der schon geträumte Angstschrei meine Lippen tatsächlich verließ. Wie hatte Winnetou daraufhin gesagt, der natürlich sofort erwacht war und leise und beruhigend auf mich eingeredet hatte?

„Der letzte Gang zu den Sternen....er ist so leicht zu gehen, Scharlih....“.

Mit Schaudern erinnerte ich mich an mein Erschrecken nach diesen Worten und an mein ungutes Gefühl, eine Vorahnung könne in denselben liegen.

....Der letzte Gang ...ist so leicht.... Im Takt meines vor Angst und Verzweiflung pochenden Herzens erschienen diese Worte immer wieder vor meinem inneren Auge, ließen mich nicht mehr los, verschmolzen mit meinem Puls und den langsamen Atembewegungen meines Freundes.
 

Ich war jetzt so intensiv in Winnetous Anblick versunken gewesen, dass ich vor Schreck zusammenzuckte, als er auf einmal tief Luft holte und sofort wieder die Arbeit seiner Hände in seinem Rücken fortzusetzen begann, wobei er die Augen weiterhin geschlossen hielt. Nun aber hielt ich es einfach nicht mehr aus, ich musste wissen, wie es ihm ging, obwohl sein Zustand ja nun wirklich offensichtlich war. Trotz der Gefahr, belauscht zu werden, riskierte ich, ihn so leise wie möglich beim Namen zu rufen.

Er öffnete daraufhin langsam seine Lider und drehte seinen Kopf so, dass er mich ansehen konnte, und beides schien ihm sehr schwer zu fallen. Jetzt seinen Blick zu beschreiben, den er mir zuwarf - es ist noch heute für mich nicht leicht! Voller Wärme, voller Liebe für mich, aber auch voller Schmerz, Sorge und Erschöpfung; und ich hätte schreien mögen vor innerster Qual über dieses Leid, welches ihm wieder angetan worden war und immer noch angetan wurde!

Eines aber konnte ich in diesen einzigartigen Augensternen nicht entdecken: Resignation. Im Gegenteil, sie verhießen Mut und eine unvergleichliche Zuversicht, auch dieses Mal wieder einem schrecklichen Schicksal entgehen zu können.

Jetzt nickte er mir noch einmal kurz zu, schloss dann erneut die Augen und konzentrierte sich wieder völlig auf seine Aufgabe. Hier erübrigten sich Worte, sie wären auch absolut unnütz gewesen, und er brauchte seine ganze Kraft für das Lösen der Fesseln.
 

Meine angespannten Nerven hatten sich mittlerweile wieder, auch durch Winnetous Blicke, etwas beruhigt, so dass ich nun über unser weiteres Vorgehen nachdenken konnte. Wenn wir sehr viel Glück hatten, hielt sich der elende Verbrecher an seine Worte und legte sich jetzt wirklich zur Ruhe. Sollte das auch auf die anderen Anwesenden, vor allem Motawateh, zutreffen, so bedeutete das, dass wir nun die ganze Nacht über Zeit haben würden, uns von den Fesseln zu befreien und unsere Flucht zu planen und durchzuführen.

Allerdings gab es einige Hindernisse, die wir überwinden mussten. Zuerst einmal war es überhaupt nicht sicher, dass es Winnetou wirklich gelingen würde, sich zu befreien, bevor die Erschöpfung ihn völlig übermannte und sein Körper ihm schlicht und ergreifend den Dienst versagen würde.

Dann war es ja auch durchaus möglich, dass sich zumindest Motawateh noch einmal vor der Nachtruhe von dem richtigen Sitz unserer Fesseln überzeugen wollte, und wenn er dann auf die Idee kam und die des Apatschen überprüfte, dann wäre unser Schicksal wohl endgültig besiegelt.

Und drittens: Auf keinen Fall würde ich diesen Ort ohne meine Waffen und ohne unsere Pferde verlassen. Winnetous Waffen waren von ihm selber gut versteckt worden, wir würden wohl ohne große Probleme früher oder später an sie herankommen. Auch wusste mein Freund genau, wo sich die Pferde befanden, er hatte sich ja sowieso einen ausführlichen Überblick über das feindliche Lager verschaffen können. Aber hatte er auch beobachtet, wohin unsere Waffen und die sonstigen Gegenstände, die meine Gefährten und ich bei uns trugen, geschafft worden waren? Zumindest in Bezug auf die Gewehre war das äußerst wichtig, und deshalb unterbrach ich nun die Stille und sprach meinen Freund leise an:
 

„Winnetou?“ Er öffnete die Augen, sah mich fragend an.

„Konnte mein Bruder in der Nacht erkennen, wohin unsere Waffen verbracht worden sind?“ Und wieder einmal zeigte sich nun, wie sehr sich jeder von uns in die Gedanken des anderen einzufinden vermochte, dass wir sogar meistens zur gleichen Zeit genau das Gleiche dachten und fast immer zu dem gleichen Ergebnis kamen. Er antwortete:

„Sie befinden sich im Zelt Motawatehs, ebenso wie all die anderen Gegenstände, die man euch nahm. Der Kiowa-Häuptling hatte nie vor, diese Beute mit seinem Stamm zu teilen, er wollte sie hier verstecken. Winnetou hofft, dass das noch nicht geschehen ist, so dass wir auf unserer Flucht heute Nacht keine unnötige Zeit verlieren müssen, wenn wir sie wieder in unseren Besitz nehmen.“

„Wie sollen wir vorgehen, wenn wir frei sind?“ fragte ich weiter. Ich hatte erkannt, dass es jetzt von größter Bedeutung war, von dem Apatschen alle Einzelheiten über die Umgebung des Zeltes und die Beschaffenheit des Lagers zu erfahren, da über dem ganzen Szenario immer die dunkle Bedrohung lag, dass mein Freund vorher das Bewusstsein verlieren könnte und uns somit sämtliche Möglichkeiten genommen wurden, eine etwaige Flucht genau zu planen.

Und so begann Winnetou, der sich natürlich auch der drohenden Gefahr bewusst war, uns die genauen Details zu erläutern. Es strengte ihn ungemein an, und wieder einmal blutete mir das Herz bei seinem Anblick, aber ich konnte es ihm nicht ersparen.
 

Wir erfuhren nun, wo genau sich Motawatehs Zelt mit unseren Waffen befand, wie weit der Weg zu unseren Pferden war, wie viele Wachen dort abgestellt waren und viele andere scheinbar unnütze Kleinigkeiten, die aber so ungemein wichtig für das erfolgreiche Gelingen einer Flucht waren.

Anschließend besprachen wir uns auf das Genaueste, welche Aufgabe jedem von uns zufallen sollte, sobald Winnetou das Lösen seiner Fesseln geglückt war.

Zudem war es von großer Wichtigkeit, alle möglichen Situationen durchzusprechen, die bis zur vollständigen Befreiung auftreten konnten. So musste zum Beispiel die Frage geklärt werden, ob Wayne Thomson, sollte er lebend in unsere Hände geraten, an Ort und Stelle getötet werden sollte, oder ob wir ihn mitnehmen wollten, um ihn einem Savannengericht zu unterziehen; gleiches galt auch für Motawateh abzuklären. Bei den anderen Kriegern waren wir uns einig: Wer sich uns in den Weg stellen sollte, dessen Leben war verwirkt. Hier war nämlich jede zarte Rücksichtnahme gleichbedeutend mit einer weiteren Lebensgefahr für uns und einem möglichen Scheitern der Flucht.
 

Während dieser sehr, sehr leise geführten Absprachen hatte Winnetou weiterhin die ganze Zeit über unermüdlich an seinen Fesseln gearbeitet, und mittlerweile lief ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Seine Augen hatten einen erhöhten Glanz angenommen, und ich war mir sicher, dass nun eine meiner ganz großen Befürchtungen allmählich Gestalt annahm: das Wundfieber! Vierzehn, fünfzehn Stunden war es ungefähr her, seit ihm die ersten Verletzungen beigebracht worden waren; keine der Wunden war in irgendeiner Weise behandelt worden, im Gegenteil, er lag hier auf dem staubigen und schmutzigen Boden, das musste so eine Infektion ja begünstigen!
 

Auch wenn es mir kaum mehr möglich erschien, diese niederschmetternde Tatsache erhöhten meine Sorgen um den Apatschen um ein Vielfaches. Was sollte, was konnte ich nur tun, um ihm zu helfen? Nichts! Ich konnte nichts anderes tun als hoffen und beten, dass er sich seiner Fesseln entledigte, bevor einer unserer Feinde wieder das Zelt betrat oder ihn seine Kräfte endgültig verließen.
 

Leider aber schien es so, als ob meine Gebete heute nicht erhört werden sollten. Noch während ich meinen Freund voller Mitgefühl und ängstlicher Sorge betrachtete, stieß Sam ein leises und warnendes Zischen aus, um uns auf die sich dem Zelt nähernden Schritte aufmerksam zu machen. Entsetzt starrte ich auf den Eingang, und als ich Motawateh erkannte, der mit grimmiger Miene eintrat, konnte ich nicht anders; ich schloss für einen Moment völlig entnervt die Augen. Das war der Mensch, den ich neben Thomson im Augenblick am wenigsten ertragen konnte und den ich in keinster Weise in meiner, vor allem aber in Winnetous Nähe haben wollte!

Winnetou selber lag natürlich sofort wieder still; nichts deutete mehr darauf hin, dass er bei Bewusstsein war.
 

Der Kiowa-Häuptling sah jedem von uns prüfend ins Gesicht, und als er an meinem angelangt war, ließ er ein höhnisches Grinsen sehen. Offenbar war es mir nach den letzten, so sehr an den Nerven zerrenden Stunden nicht mehr möglich, ein unbeteiligtes Gesicht zu zeigen. Er konnte mir meinen Kummer und meine Ängste um meinen besten Freund wohl ansehen, und diese Tatsache war für ihn höchst zufriedenstellend.

Er stellte mir nochmals die Frage, die ich am heutigen Tage schon so oft gehört hatte, allerdings schien er kein großartiges Interesse mehr an der Beantwortung derselben zu haben, sein fast schon gelangweilter Tonfall machte das deutlich:

„Und? Ist Old Shatterhand nun bereit, das Goldversteck des vor ihm liegenden Hundesohnes zu verraten?“
 

Ich hatte mich entschlossen, ihm kurz und knapp zu antworten, ohne ihn zu reizen und dadurch zu verhindern, dass er seinen Zorn wie früher am heutigen Tage an Winnetou ausließ. Also entgegnete ich in ruhigem Ton:

„Motawateh weiß, dass ich keine Kenntnis über einen solchen Platz habe, er hat das heute schon oft von mir gehört, und daran hat sich auch jetzt nichts geändert!“

„So hat das mutlose Bleichgesicht endgültig sein eigenes Todesurteil gesprochen, genau wie das seiner Gefährten und des räudigen Kojoten, welcher hier auf dem Boden liegt!“ Mit diesen Worten trat er zu Winnetou, und mir stellten sich wieder sämtliche Nackenhaare auf. Nicht noch einmal! Nicht schon wieder Winnetou! In Gedanken schrie ich den Kiowa an: „Scher dich weg von ihm! Rühr ihn nicht an!“ Aber natürlich wurden meine stummen Schreie nicht erhört. Motawateh kniete sich neben meinem Freund nieder, tastete nach dessen Herzschlag, legte ihm kurz die Hand auf die Stirn, und als er sich wieder erhob, glaubte ich, noch nie einen Gesichtsausdruck gesehen zu haben, welcher zufriedener ausgesehen hatte als jetzt der des Kiowa-Häuptlings.
 

In einem vor Hohn triefenden Tonfall begann er:

„Leider wird sich der elende Wurm namens Old Shatterhand nicht mehr lange an dem Anblick des dreckigen Pimos erfreuen können! Der stinkende Körper hier vor uns wird bald den letzten Rest Leben aushauchen, der noch in ihm ist, um dann zu Sand und Staub zu zerfallen, welchen der Wind über alle Berge und Täler wehen wird!“

Er spuckte auf Winnetou herab und trat ihm dann auch noch zu allem Überfluss zweimal heftig in die Seite. Das wütende Knirschen meiner Zähne musste jetzt überdeutlich zu hören sein, so glaubte ich jedenfalls, und ich musste schwer an mich halten, um das zornige Beben zu unterdrücken, welches meinen Körper übermannen wollte. Trotzdem ließ ich kein einziges hasserfülltes Wort gegen den Kiowa hören, um ihn nicht zu weiteren Misshandlungen gegenüber meines Blutsbruders zu treiben. Im Gegenteil, ich gab meinem Gesicht einen möglichst resigniert aussehenden Ausdruck, so dass Motawateh ruhig denken sollte, dass ich sämtlicher Hoffnung und Zuversicht beraubt worden sei.

Dieses Vorhaben schien sogar zu funktionieren. Der Indianer ließ ein verächtliches Lachen hören und trat dann an jeden einzelnen von uns heran, um unsere Fesseln zu überprüfen. Aber jetzt brach mir wirklich der Angstschweiß aus – wenn er diese Vorsichtsmaßnahme auch bei Winnetou durchführte, dann war alles verloren; er würde die gelockerten Fesseln bemerken und erkennen, dass der Apatsche daran gearbeitet hatte. Mein Freund würde ab dann mit Sicherheit den fürchterlichsten Qualen ausgesetzt werden!
 

Diesmal aber wurden meine Stoßgebete ausnahmsweise erhört; Motawateh rührte Winnetou nicht mehr an. Nachdem die Überprüfung wohl zu seiner Zufriedenheit ausgefallen war, rief er laut ein paar Worte in der Mundart der Kiowas, und schon traten einige weitere Krieger herein, die alle möglichen Arten von indianischen Speisen sowie einige Wasserkrüge ins Zelt trugen. Sie stellten die Sachen vor uns hin, und dann erklärte der Kiowa-Häuptling:

„Sobald die oberste Kröte der Apatschen aus dem Leben getreten ist, werden wir aufbrechen, um Old Shatterhand, Sam Hawkens und das andere Bleichgesicht zu den Dörfern der Kiowas zu bringen, um sie dort einen heldenhaften und ehrenvollen Martertod sterben zu lassen!“ Zu uns gewandt fügte er in höhnischem Ton hinzu:

„Ihr seht, wie gut wir euch behandeln, denn diese Ehre wird längst nicht jedem zuteil! Die meisten weißen Hunde hätten wir sofort erschossen!“ Er hob wieder seine Stimme und verkündete laut:

„Um euren Tod für euch und für uns so ehrenvoll wie möglich zu gestalten, werden wir euch weder Hunger noch Durst leiden lassen. Im Gegenteil, wir werden euch gut mästen, so dass ihr im Vollbesitz eurer Kräfte sein werdet und so lange wie möglich am Marterpfahl bestehen könnt! Und in Zukunft wird man an allen Lagerfeuern davon erzählen, dass der tapferste Häuptling der Kiowas Winnetou und Old Shatterhand überwinden konnte!“
 

Na, das waren ja mal entzückende Aussichten! Erst sollte ich meinem Freund beim langsamen und qualvollen Sterben zuschauen, dann so viel essen dürfen, wie es nur ging, um anschließend so lange wie möglich die schlimmsten und schmerzhaftesten Qualen aushalten zu können, die man sich nur denken kann! Wäre die ganze Situation nicht so ernst und vor allem für Winnetou nicht so furchtbar gewesen, hätte ich Motawateh laut ins Gesicht gelacht. So aber schwieg ich und hörte scheinbar ruhig zu, wie er weitersprach:

„Um euch jeden Gedanken an Flucht von vornherein zu vereiteln, werdet ihr zum Essen natürlich nicht die Hände frei bekommen, meine Krieger werden euch füttern. Morgen früh werden wir dann sehen, ob wir aufbrechen können oder ob dieser Hund hier tatsächlich doch noch einmal die Sonne aufgehen sieht!“

Er verpasste Winnetou noch einen letzten Tritt, drehte sich dann ruckartig um und verschwand.
 

Seine Krieger wollten die Anweisungen ihres Häuptlings natürlich befolgen und begannen, mit ihren schmierigen Händen in das Essen zu langen, um es uns in den Mund zu schieben. Da hatten sie aber die Rechnung ohne uns gemacht, denn natürlich weigerten wir uns standhaft, diese „Gaben“ anzunehmen. Um nichts in der Welt hätte ich mich wie ein Kind füttern lassen, selbst wenn die Hände der Roten so rein wie Schnee gewesen wären! Meine Kameraden dachten natürlich genauso, weshalb man sofort nach dem Häuptling rief. Dieser kam dann auch schnell wieder hinzu und ließ seine Untergebenen einen nochmaligen Versuch starten, der natürlich ebenfalls fehlschlug.
 

Motawateh hatte wieder einmal seine Gesichtsfarbe gewechselt, dunkelrot vor Zorn schrie er uns an:

„Ihr seid euch wohl zu vornehm, um die Speisen der Kiowas zu genießen? Gut, so werdet ihr halt zusätzlich Hunger leiden! Und damit ihr wisst, was euch entgeht, werden wir das Essen hier stehen lassen, so könnt ihr euch wenigstens daran satt sehen!“

Voller Wut warf er ein Stück Büffelfleisch nach mir, traf mich aber nicht. Er sah es aber gar nicht mehr, da er sich schon umgedreht hatte und vor Zorn kochend das Zelt verließ; seine Krieger folgten ihm auf dem Fuße.
 

Mit angehaltenem Atem warteten wir, bis vor dem Zelt wieder tiefste Stille herrschte, erst dann wagten wir, erleichtert aufzuatmen. Welch ein Glück! Man hatte nur unsere Banden überprüft, nicht aber die Winnetous! Doch bei dem Gedanken an meinen Freund wurde mir sofort wieder das Herz schwer. Wann endlich würden seine Qualen ein Ende finden? Alle drei sahen wir gebannt zu ihm hin; er hielt die Augen geschlossen und bewegte sich immer noch nicht. Kurz blickte ich zu Sam und Emery, die beide mit vor Sorge zusammengekniffenen Lippen den Apatschen beobachteten. Niemand von uns getraute sich, ihn anzusprechen; zu groß war die Angst vor der Erkenntnis, dass er uns nicht mehr antworten konnte.
 

Doch mit einem Mal bewegte er sich dann doch, wobei er sofort wieder damit begann, seine Hände schnell hin und her zu bewegen, und unwillkürlich entfuhr mir ein Seufzer der Erleichterung. Er hörte das, sah zu mir herüber und ließ sogar ein leises Lächeln sehen, als er mir zuflüsterte:

„Winnetous Leben liegt in der Hand des guten Manitou. Er beschützt ihn und seine Freunde und leitet Winnetous Hände, wie mein Bruder gleich sehen wird!“

Seine Bewegungen wurden jetzt kräftiger, schneller, man konnte sehen, dass er nun all seine verbliebenen Reserven einsetzte, und innerhalb kürzester Zeit lag er wieder in Schweiß gebadet. Schon wollte ich ihm Einhalt gebieten und ihm sagen, dass er sich dringendst schonen musste, da gab es einen heftigen Ruck – und Winnetou hatte seine Hände frei!
 

Neben mir konnte Emery nur noch mit Müh und Not einen Freudenschrei unterdrücken, und auch mir fiel es äußerst schwer, nicht laut zu werden, so sehr übermannte mich die Erleichterung. Jetzt aber musste es schnell gehen.

Ich hatte Winnetou gesagt, dass sich in der versteckten Tasche meiner Weste vielleicht noch das kleine Taschenmesser befand, wenn die Kiowas es nicht doch gefunden hatten. Zuerst aber musste er die Stricke um seine Fußgelenke mit den Fingern lösen, was natürlich deutlich länger dauerte, und als er sich aufrichtete, konnte er seine Schmerzen und seine Erschöpfung in keinster Weise mehr vor uns verbergen. In Gedanken feuerte ich ihn an, durchzuhalten, nur noch ein wenig, gleich war es geschafft – und dann hatte mein Freund sich endlich all seiner Fesseln entledigt!
 

Er erlaubte sich nur ein kurzes Durchatmen, dann kroch er sofort zu mir, wobei er eine solch deutliche Blutspur hinterließ, dass mir das Herz schwer wurde, so schwer, dass ich meinen Blick schaudernd abwenden musste.

Winnetou wusste, wo genau sich mein Messer befinden musste, tastete einige Augenblicke danach und hielt es dann tatsächlich in den Händen! Schnellstmöglich schnitt er die Riemen durch, die meinen ganzen Körper an den Pfahl gefesselt hielten, und machte sich dann daran, die Stricke an meinen Händen zu durchtrennen.
 

Kaum war auch das geschehen, riss ich ihm schon das Messer aus der Hand und drückte ihn sanft, aber bestimmt mit der hastigen Aufforderung zu Boden:

„Bleib liegen! Ich erledige das Übrige!“ Winnetou ließ sich auch tatsächlich ohne Widerspruch zu Boden sinken und schloss völlig erschöpft die Augen - er war jetzt wirklich am Ende seiner Kräfte.

Mittlerweile zitterte er unaufhörlich, nicht nur vor Schwäche, sondern auch vor Kälte, bedingt durch den hohen Blutverlust und wahrscheinlich auch wegen des beginnenden Wundfiebers. Und dabei war es so wichtig, dass er sich irgendwie zumindest etwas erholte, wenn er die anstrengende Flucht bewältigen und vor allem überleben wollte!

Ich tat noch einen Schnitt mit dem Messer, dann war ich auch die Fesseln an den Füßen los und somit endlich frei. Rasch sprang ich zu Emery; drei, vier Schnitte, und schon war auch er auf den Beinen. Wir ignorierten dabei das Kribbeln und Stechen in unseren Gliedmaßen nach Kräften, welches einsetzte, als das Blut wieder zu zirkulieren begann.
 

Jetzt nahm Emery mir schnell das Messer mit den Worten aus der Hand:

„Kümmere dich um Winnetou, ich schneide Sam los!“

Ich folgte nur zu gerne seiner Aufforderung und war sofort wieder an der Seite des Apatschen.

Fieberhaft untersuchte ich nun meinen Freund in aller Kürze, um erst einmal einen Überblick über die Schwere seiner Verletzungen zu erlangen. Ich erkannte in diesem Augenblick dann auch das ganze Ausmaß seines Zustandes – und war, gelinde gesagt, schockiert. Es sah so aus, als würden sich auf Brust und Schultern Stichverletzung an Stichverletzung aneinanderreihen, und zu allem Übel konnte ich spüren, dass sein Körper aufgrund des Fiebers fast schon glühte.

Durch das viele Blut waren die einzelnen Wunden noch nicht zu erkennen, daher war ich gezwungen, seinen Oberkörper zuerst grob von dem Lebenssaft zu reinigen, und aus diesem Grund war das Wasser, was uns die Kiowas dagelassen hatten, für mich jetzt wirklich Gold wert! Ich riss Emery, ohne ihn um Erlaubnis zu bitten, sein Halstuch vom Körper, tränkte es mit dem Wasser und machte mich daran, die Wunden des Apatschen mit größter Vorsicht zu säubern sowie Gesicht und Körper, so gut es ging, von dem schon teilweise geronnenen Blut zu befreien. Er ließ das alles ohne irgendeine Reaktion mit geschlossenen Augen über sich ergehen.
 

Inzwischen war auch Sam von seinen Fesseln befreit worden. Sofort zog er sich seinen unmöglichen steifen Lederrock aus und deckte den Körper meines Freundes damit zu, da er sah, wie sehr dieser aufgrund des Blutverlustes auskühlte. Er, der sonst immer eine launige Bemerkung auf den Lippen hatte, übte sich in dieser kritischen Situation in ernstem Schweigen und handelte lieber.
 

Endlich war ich mit meiner Aufgabe soweit vorangeschritten, dass ich die Messerstiche, die man Winnetou zugefügt hatte, erkennen und zählen konnte. Es waren acht an der Zahl, verteilt im Schulter- und Brustbereich, nur ein einziger befand sich unterhalb der Rippen. Zusätzlich hatte Wayne Thomson ihm in seiner rasenden Wut noch einige Schnitte zugefügt, die aber nicht allzu tief waren. Zum Glück – wenn man in so einer Situation überhaupt von Glück sprechen durfte – hatten die Kiowas die Stiche so gezielt gesetzt, dass sie zwar starke Schmerzen bereiten sollten, aber aufgrund der geringen Tiefe und ihrer Lage nicht lebensgefährlich waren, denn zu diesem Zeitpunkt war Motawateh ja noch davon ausgegangen, den Apatschenhäuptling zu den Dörfern der Kiowas schaffen zu können, um dort die eigentlichen Marterungen durchzuführen. Das hier sollte ja nur ein „kleiner“ Vorgeschmack werden, da Motawateh seine Rachsucht nicht mehr länger hatte beherrschen können; außerdem hatte er sich maßlos über die Verschwiegenheit Winnetous geärgert, der konsequent auf alle Fragen nach dem Gold stumm geblieben war.
 

Jetzt aber waren die Verletzungen in ihrer Summe allemal bedrohlich geworden, allein aufgrund des schon so lange währenden Blutverlustes sowie des beginnenden Wundfiebers.

Äußerst vorsichtig tupfte ich meinem Freund nun das Blut von der Stirnwunde, die wohl mit am gefährlichsten war, vor allem aufgrund der Heftigkeit, mit der ihn der Thomahawk getroffen hatte, Gott sei dank nur mit der flachen Seite. Zudem hatte diese Wunde am stärksten und am längsten geblutet, sich aber mittlerweile zum Glück wieder etwas geschlossen. Ich konnte nur hoffen, dass die nur hauchdünne Kruste nicht wieder aufbrach und dass der brutale Schlag, der auch für die lange Bewusstlosigkeit verantwortlich gewesen war, das Gehirn nicht zu sehr erschüttert hatte.
 

Dessen, was Winnetou jetzt am meisten bedurfte, war viel Flüssigkeit, also hob ich vorsichtig seinen Kopf an, um ihm zu helfen, etwas Wasser zu sich zu nehmen. Mein Kopf befand sich dadurch nun ganz nah an seinem, als er auf einmal die Augen aufschlug, mich mit einem langen und innigen Blick voller Liebe bedachte und mir schließlich so leise, dass es außer mir niemand hören konnte, zuflüsterte:

„Winnetou war in größter Sorge um seinen lieben Bruder - Mein Herz ist so unendlich froh, dich gesund vor mir zu sehen!“

Mir traten die Tränen in die Augen, so sehr berührten mich seine liebevollen Worte. Wie gerne hätte ich mich jetzt an seine Seite gelegt und ihn in meine Arme gezogen, um ihm bis zu seiner Genesung einfach nur Trost und Wärme und vor allem Liebe zu spenden!
 

Leider aber befanden wir alle uns immer noch in größter Gefahr, und daher galt es nun, dass jeder sich mit höchster Konzentration seiner ihm zugeteilten Aufgabe widmete, um unsere Flucht nicht von vornherein zum Scheitern zu verurteilen. Winnetou konnte natürlich in keinster Weise helfen, er hatte vor allem dafür zu sorgen, dass er irgendwie noch so viel Energie zusammenbekam, wie er für den gefährlichsten Moment, nämlich dem Moment des Ausbruchs, dringend benötigen würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Onlyknow3
2015-09-26T06:12:21+00:00 26.09.2015 08:12
Das war wieder mal sehr knapp, doch Winnetou wäre nicht der Mensch der sich so leicht geschlagen gibt. Nun hieß es erst mal an die Gewehr kommen, und an die Pferde. Sam wird wohl dabei auf Winnetou achten wärend Emery die Pferde holt und außerhalb so anbringt das es ein leichtes ist zu ihnen zu gelangen. Scharli wird sich den Gewehren widmen die ja beim Häuptling im Zelt liegen sollen, hoffen wir das sie da noch sind. Möge ihnen die Flucht gelingen und Winnetou sie so gut wie möglich überstehen. Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3


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