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Geliebter Blutsbruder

von

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Achtzehn Tage...

Am nächsten Morgen waren sich Hendrick und der Militärarzt einig, dass Winnetou zumindest bis Helmers Home wieder transportfähig war, und so wurde entschieden, gegen Mittag aufzubrechen, natürlich ohne die Verbrecherbande. Diese würde heute von einem Großteil der Soldaten, immerhin dreißig an der Zahl, in das Fort überführt werden, welches ungefähr einen Tagesritt entfernt lag, um dann von einem Militärgericht abgeurteilt zu werden. Der Leutnant, der das Kommando über die Männer inne hatte, war sich sicher, dass zumindest die Anführer der Bande gehängt werden würden, die anderen sahen wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens einem Aufenthalt in einer dunklen Gefängniszelle entgegen. Zwei der Unteranführer waren allerdings von Firehand und zwei weiteren Gefährten in rasender Wut so übel zugerichtet worden, dass beide nur noch auf provisorischen Tragen transportiert werden konnten, wobei es gar nicht so sicher war, ob Winnetous Attentäter es überhaupt lebend bis ins Fort schaffen würde. Übrigens hatten die Schurken an diesem Morgen zum ersten Mal seit ihrer Gefangennahme von den Soldaten etwas zu Essen bekommen, allerdings auch nicht mehr als unbedingt nötig.
 

Die restlichen zehn Soldaten sowie der Militärarzt hatten vor, uns erst einmal bis zur Farm zu begleiten. Dort wollten sie mit den Siedlern klären, ob diese jetzt, wo an eine Reise zum Pueblo der Apatschen mit dem Schwerstverletzten überhaupt nicht zu denken war, von den Soldaten zu den Mescaleros begleitet werden wollten oder ob sie ein weiteres Mal auf eine Genesung Winnetous warten mochten.
 

Der Kommandant der Einheit machte keinen Hehl daraus, dass er den allerhöchsten Respekt vor dem Apatschenhäuptling hatte. Nicht nur dessen jetzige Rettungstat und seine Mitwirkung bei der Ausrottung der Geier, sondern auch seine Hilfe für die Auswanderer in der Wüste unter größter Lebensgefahr sowie sein Angebot, diesen in den Weidegründen der Apatschen eine neue Heimat zu bieten, lösten bei dem Leutnant größte Bewunderung aus, und so war er bereit, alles in seiner Macht stehende zu tun, was Winnetou in irgendeiner Weise eine Hilfe sein konnte.

Zunächst einmal wollte er uns so lange den Militärarzt an die Seite stellen, bis Winnetou das Schlimmste überwunden hatte und keine Gefahr mehr für ihn bestand. Über die zehn Soldaten, die uns zur Farm begleiten würden, durften wir auch beliebig lange verfügen, und er selber wollte nach seiner Rückkehr ins Fort den dortigen Kommandanten sofort über die Geschehnisse in Kenntnis setzen und dafür sorgen, dass Winnetous Taten bis in die höchsten Ebenen bekannt wurden, so dass man ihm und seinen Apatschen in Zukunft zumindest mit mehr Respekt begegnen und vielleicht sogar den Besitz seines Volkes mehr achten würde.

Ob ihm das wirklich gelingen würde oder ob er in seiner Bewunderung ein wenig zu viel Enthusiasmus an den Tag legte, darüber war ich mir noch nicht im klaren, aber seine Begeisterung rührte mich schon an.
 

Ich selbst wich natürlich auch heute meinem Freund nicht von der Seite, tat alles, was mir irgendwie möglich war, um ihm zu helfen und seine Lage etwas zu erleichtern. Trotzdem er in tiefer Bewusstlosigkeit lag, wusste ich ja mittlerweile, dass es ihm half und beruhigte, wenn er mich bei sich spürte. Durch die sofortige medizinische Versorgung, die er und seine Helfer Winnetou hatten zuteil werden lassen, hatte Dr. Hendrick das gefürchtete Wundfieber vollständig abwehren können, was mich aber nicht daran hinderte, mich wieder neben ihm niederzulassen, ihn in meinen Armen zu halten und zu wärmen, denn mir war klar: er brauchte diese körperliche Nähe mehr als je zuvor.
 

Gegen Mittag wurden die Banditen auf ihre Pferde gebunden, wobei man ihre Füße unter den Bäuchen der Pferde hindurch fesselte und auch die Tiere an den Zügeln in einer langen Reihe hintereinander zusammenband, so dass die Kerle keine Möglichkeit haben würden, während des Rittes plötzlich die Flucht zu ergreifen, und somit ein Soldat für die Bewachung von zwei Personen ausreichte.

Inzwischen war der Planwagen, in dem Winnetou lag, nochmals und besser ausgepolstert und gefedert worden, um die Erschütterungen für ihn während der Fahrt so gering wie möglich zu halten. Als die Soldaten mit den Verbrechern abgezogen waren, brachen auch wir auf.
 

Die Schlucht, die für uns ein solch unglücklicher Ort geworden war, lag zwar nur ungefähr zwei Stunden Fußmarsch von der Farm entfernt, aber da wir mit dem Wagen äußerst langsam fuhren, brauchten wir an diesem Tag fast ebenso lange. Währenddessen ruhte die ganze Zeit über der Kopf und der Oberkörper meines Freundes in meinem Schoß und meinen Armen, während ich versuchte, seinen Körper vor dem Stoßen und Rütteln des Fuhrwerks, was trotz aller Vorbereitungen nicht vollständig zu vermeiden war, so gut wie möglich zu schützen. Hendrik, der durch die Anwesenheit des Militärarztes in der Nacht endlich hatte etwas schlafen können, war wieder einmal ständig an Winnetous und meiner Seite, unterstützte mich nach Kräften und war vor allem nur für meinen Freund da.
 

Man kann sich kaum ausmalen, welchen Aufruhr unsere Ankunft auf Helmers Home verursachte! Zwar waren die Siedler von den zu ihrem Schutz abgestellten Gefährten und Apatschen über die furchtbaren Ereignisse unterrichtet worden, aber als sie einen Blick auf Winnetou werfen konnten, während wir ihn ins Haus trugen, und sein leichenblasses Gesicht sahen, wurde so mancher von ihnen doch von einem handfesten Schock erfasst. Hier und da hörte man leise eine Frauen- oder auch eine Kinderstimme weinen. Sie wussten alle, auch dieses Mal hatte der Apatsche nicht nur für mich, sondern auch für ihre neuerliche Rettung das größte aller Opfer gebracht.

Im Haus angelangt, setzten wir Winnetou natürlich nicht dem mühseligen Weg ins obere Stockwerk in „unser“ Zimmer aus, sondern betteten ihn in den Raum, den wir zuerst bewohnt hatten.
 

Und dann hatte ich das Gefühl, als wenn die Zeit zurückgedreht worden wäre. Genau wie in den ersten Tagen nach meiner Ankunft auf der Farm wurde unser gesamtes Denken und Handeln nur noch von der Pflege meines geliebten Blutsbruders bestimmt. Wieder ermöglichten es nur die Infusionen von Hendrick, dass mein Freund trotz tiefster Bewusstlosigkeit nicht dehydrierte oder unter einer Mangelernährung litt, obwohl er natürlich wieder sehr viel Gewicht verlor. Diese Methode kannte der Militärarzt übrigens noch gar nicht, eignete sie sich aber sofort und höchst interessiert an.

Dank der Heilkräuter der Apatschen wurde nicht nur das Wundfieber vermieden, sondern auch die Heilung der Verletzung schritt zügiger voran. Jetzt waren es beide Ärzte, die sich diese Kräuter genau ansahen und in ihr Repertoire der ärztlichen Kunst aufnahmen. Ich selbst hatte es nun mit gleich mehreren Mescaleros zu tun, die mir unbedingt die Pflege Winnetous abnehmen wollten, aber auch hier blieb ich wie beim ersten Mal eisern und lehnte energisch ab – er hatte sein Leben für mich geben wollen, und ich wollte und würde jetzt alles, aber auch wirklich alles für ihn tun, was in meiner Macht stand!
 

So vergingen die Tage, ohne dass mein Freund auch nur die leisesten Anzeichen von sich gab, dass er bald erwachen würde. Das wiederum löste bei mir einen wahren Zwiespalt der Gefühle aus. Einerseits war ich wirklich froh darüber, dass er so tief und lange schlief, denn es tat ihm unendlich gut, beschleunigte die Heilung und er lief nicht Gefahr, sich wie beim ersten Mal ständig zu verausgaben, litt zudem nicht unter Schmerzen.

Andererseits begann ich mir langsam wirklich Sorgen zu machen, ob er überhaupt jemals wieder erwachen würde. Beide Ärzte versuchten mich in dieser Hinsicht zu beruhigen; so lange Herz und Kreislauf weiterhin so stabil blieben wie jetzt, zwar auf sehr niedrigem Niveau, aber immerhin stabil, bestand für ihn keine Gefahr, und die Vorteile seines Tiefschlafes überwogen bei weitem. Sein Körper war schon durch die erste schwere Verwundung fürchterlich geschwächt worden, dazu kamen dann die im Anschluss erlittenen kleineren Verletzungen, und nicht zuletzt fast keine Möglichkeit der intensiven Erholung – es war für die Mediziner völlig verständlich und sie sahen es schon fast als eine Art Lebensversicherung für den Apatschen an, dass sein Körper jetzt einfach mal für lange Zeit abschaltete, um ihm die lebensnotwendige Schonung zu ermöglichen.
 

Nach zehn Tagen begann ich zu überlegen, ob wir es Winnetou nochmals antun sollten, dass er hier auf Helmers Home, in diesem engen, kleinen Zimmer, nach seinem Erwachen wieder eine langwierige Genesungsphase über sich ergehen lassen musste. Denn dieses Mal, da war sich Hendrick absolut sicher, würde er erst nach mehreren Wochen erstmals wieder aufstehen können. Auf Ausritte oder andere Unternehmungen, die ihn auch nur in geringster Form anstrengten, würde er für lange, lange Zeit verzichten müssen, und längere Reisen zu anderen Stämmen oder sonstige Abenteuer waren in den Augen des Doktors wahrscheinlich erst nach einigen Monaten wieder möglich, zumindest so lange Hendrick in dieser Beziehung das Sagen hatte, wie er mir teils ernst, teils augenzwinkernd mitteilte. In dieser Hinsicht konnte ich ihn allerdings beruhigen, denn ich würde mit all meinem persönlichen Einfluss auf Winnetou dafür sorgen, dass er sich dieses Mal keiner Anordnung des Arztes mehr widersetzen würde, bis er völlig wiederhergestellt war, das hatte ich mir geschworen.
 

Ich besprach mich mit Walter Hendrick - wir nannten uns mittlerweile beim Vornamen, weil ich wusste, dass ich in ihm einen Freund fürs Leben gefunden hatte, auf den wir uns absolut verlassen konnten – ob es möglich wäre und ob wir es riskieren könnten, meinen Blutsbruder trotz seines labilen Zustandes in Begleitung unserer großen Gesellschaft und der Soldaten durch den Llano zu bringen, um ihn im Kreise seiner Apatschen in seiner Heimat gesund werden zu lassen. Ich war mir sicher, dass es ihm dort, in seiner gewohnten Umgebung, verbunden mit einem Gefühl der Freiheit, trotz der körperlichen Einschränkungen viel leichter fallen würde, in Ruhe zu genesen.
 

Hendrick brauchte nicht lange, um zu überlegen. Er überprüfte seine vorhandenen Möglichkeiten und medizinischen Reserven, hielt Rücksprache mit dem Militärarzt, ließ einen Planwagen so umbauen, dass ein Transport des Patienten auf relativ sanfte Weise möglich wurde und teilte mir dann mit, dass wir am nächsten Morgen, zwölf Tage nach den Ereignissen in der Schlucht, die Reise antreten konnten. Auch der Treck hatte in kürzester Zeit seine Vorbereitungen zum Aufbruch abgeschlossen, und die Westmänner, die übrigens ohne Ausnahme bei uns geblieben waren – einige hatten sogar lang geplante Unternehmungen verschoben, um für den Schutz der Siedler und auch für Winnetou sorgen zu können – benötigten noch viel weniger Zeit, um reisefertig zu sein.
 

Einzig und allein der Farmersfamilie bereiteten wir mit unserem geplanten Aufbruch den größten Kummer. Sie hatten sich so sehr an all die vielen Gäste auf der Farm gewöhnt, viele gute Freundschaften geschlossen, und ihnen war völlig klar, dass sie den Trubel und das rege Leben, das Helmers Home seit Wochen in Atem hielt, schmerzlichst vermissen würden. Winnetou und mich hatten sie besonders ins Herz geschlossen, und die Tatsache, dass sie sich von dem bewusstlosen Apatschen nicht richtig verabschieden konnten, schnitt ihnen tief ins Herz. Aber sie hatten vollstes Verständnis für mein Anliegen, und da auch sie für Winnetou alles Menschenmögliche tun wollten, ließen sie uns schweren Herzens, aber voller guter Wünsche am nächsten Morgen ziehen, nicht ohne den Doktor und mich zum wiederholten Male daran zu erinnern, so gut wie irgend möglich auf meinen Freund aufzupassen und ihn wieder gesund zu pflegen. Außerdem baten sie mich, mit Winnetou der Farm einen Besuch abzustatten, sobald er wieder vollständig genesen sein würde.

Als wir, zum Aufbruch bereit, früh am Morgen auf dem großen Platz mit den alten Bäumen vor dem Haus standen und Winnetou herausgetragen wurde, ging das Ehepaar nochmals zum Abschied auf ihn zu. Tobias Helmer nahm die Hand meines Freundes, sah in lange an und küsste ihm dann unter Tränen die Stirn. Seine Frau tat es ihm gleich und verbarg anschließend ihr Gesicht in ein Taschentuch. Ausnahmslos allen Umstehenden standen bei dieser ergreifenden Szene die Tränen in den Augen.

Unter vielen Abschiedsgrüßen, Umarmungen und guten Worten verließen wir das Anwesen, das für mich in den letzten Wochen eine Art Heimat geworden war, und ich war mir sicher, dass ich den Wunsch der Helmers, so schnell es uns möglich war, erfüllen würde.
 

Mit über einhunderfünfzig Personen machten wir uns auf den Weg nach Westen, da die zehn Soldaten sowie ein Großteil der Apatschen uns begleiteten; der Rest war vorher schon zu den Mescaleros zurückgekehrt, um den Stamm von den Ereignissen zu unterrichten.

Selbst wenn es irgendwo in dieser Gegend noch den ein oder anderen Banditen geben sollte, diese große Gesellschaft würde niemand wagen, anzugreifen, soviel war sicher.

Ich saß natürlich mit beiden Ärzten bei Winnetou in dem dafür umgebauten Planwagen, hielt ihn in meinen Armen und freute mich einfach nur, ihn lebend in seine Heimat bringen zu können. Iltschi und Hatatitla hatten wir direkt hinter den Wagen gebunden, so dass ich die beiden Hengste unterwegs ständig im Blick hatte.

Die Hitze und Trockenheit der Wüste konnten uns nicht viel anhaben. Unzählige Packpferde, mit Vorräten und Wasserschläuchen beladen, sowie der von den Geiern mitgeführte Planwagen, den wir ebenfalls voll mit Wasserfässern beladen hatten, begleiteten unseren Zug und sorgten dafür, dass niemand zu hungern oder zu dürsten brauchte. Viele feuchte Tücher in unserem Wagen brachten über Tag eine angenehme Kühlung, so dass Winnetous Körper nicht überhitzen konnte. In den teils bitterkalten Wüstennächten wärmte ich ihn mit Fellen und Decken und natürlich mit meinem Körper, und mit Hilfe all dieser Maßnahmen gelang es uns tatsächlich, meinen geliebten Freund unbeschadet trotz seiner schweren Verletzung durch den Llano zu bringen.
 

Es lagen vier Tagesreisen zwischen Helmers Home und den Weidegründen der Mescaleros, die wir ohne besondere Vorkommnisse zurücklegten. Und dann trafen wir endlich im Pueblo der Apatschen ein, meinem eigentlichen und vor vielen Wochen unter völlig anderen Voraussetzungen angetretenen Reiseziel! Die Begrüßung durch die Krieger und Frauen lässt sich gar nicht beschreiben – einerseits waren sie überglücklich, endlich ihren geliebten Häuptling und so viele befreundete und bekannte Westmänner wiederzusehen, andererseits konnte man selbst den altehrwürdigsten Kriegern ansehen, wie entsetzt sie über den schlechten Zustand ihres obersten Anführers waren. Als dann noch einer der Ältesten des Stammes zu mir trat und sich im Namen seines Volkes bei mir für meinen Beistand, meine Pflege und vor allem meine Liebe zu Winnetou bedankte, konnte ich meine Emotionen fast nicht mehr zurückhalten, zumal ich mich immer noch schuldig an seiner Verletzung fühlte.
 

Da die Bewohner des Pueblo ja im Vorfeld von Winnetous Ankunft unterrichtet worden waren, hatte man seine Räumlichkeiten schon mit allem ausgestattet, was für die Pflege eines Schwerstverletzten und für eine daran anschließende lange Genesungsphase von Nöten war. Der Doktor war hochzufrieden, als er sich umsah und begann sofort mit der Untersuchung und Behandlung meines Freundes, um sicherzugehen, dass die lange Reise diesem nicht doch geschadet hatte. Für ihn hatten die Apatschen einen Raum nebenan eingerichtet, ebenso wie für mich. Diesen Umstand ließ ich aber sofort wieder ändern, da ich meinem Winnetou nicht eine Minute von der Seite weichen wollte.
 

Der Militärarzt blieb noch einige Tage zu unserer Unterstützung im Pueblo, aber als dann deutlich abzusehen war, dass für Winnetou keinerlei Gefahr für Leben und Gesundheit mehr bestand und man einfach nur abwarten musste, bis sein Körper seinen Geist wieder freigab, machte er sich mit den Soldaten zusammen auf den Rückweg ins Fort. Die Siedler allerdings blieben noch weiterhin bei den Mescaleros. Keiner von ihnen wollte jetzt in ein neues Leben aufbrechen, auch wenn dieses nicht allzu weit weg vom Pueblo stattfinden würde; sie alle wollten abwarten, bis sie sich zumindest persönlich von dem Apatschenhäuptling verabschieden konnten.
 

Achtzehn Tage nach dem Attentat in der Schlucht, kurz nachdem die Soldaten uns verlassen hatten, war für uns und vor allen Dingen für mich die lange Zeit des Wartens und der damit verbundenen Sorge, die ich nie ganz unterdrücken konnte, vorbei. Gegen Abend begann mein Freund plötzlich und unerwartet heftig zu husten, womit er mir einen fürchterlichen Schrecken einjagte, denn er lag ja wie üblich in meinen Armen und um uns herum war nur Stille und Ruhe. Im ersten Augenblick, nach seinen anfänglichen krampfhaften und heftigen Atemzügen, hatte ich regelrecht Todesangst um ihn; alles an seiner Haltung erinnerte mich an die ersten schrecklichen Minuten in der Schlucht, nachdem er von dem Unteranführer der Geier getroffen worden war. Ich rief laut nach dem Doktor, der sich aber in diesem Moment nicht im Gebäude befand. Allerdings hörte mich Tsain-tonkee, der sich mit einigen anderen hervorragenden Kriegern immer in unserer Nähe befand, um eventuelle Wünsche des Doktors oder meinerseits erfüllen zu können. Er kam sofort herein, beobachtete Winnetou einen Moment lang, lächelte plötzlich zu meinem völligen Erstaunen und sagte:

„Der Geist des Häuptlings ist zurückgekehrt! Er wird in kurzer Zeit seine Augen wieder öffnen. Tsain-tonkee wird den weißen Medizinmann holen und den Kriegern der Mescaleros die freudige Nachricht überbringen!“ Und schon war er draußen. Na, der musste sich seiner Sache ja völlig sicher sein, dachte ich bei mir, immer noch etwas erstaunt.
 

Und dann bewahrheitete sich die Aussage des Indianers tatsächlich! Innerhalb weniger Sekunden ließ der Hustenanfall, der Winnetou durchgeschüttelt hatte, nach, verschwand dann vollständig und einige Augenblicke später öffnete mein geliebter Blutsbruder die Augen!

Das die meinigen sofort im Wasser nur so schwammen, kann man sich vielleicht denken. Winnetous Blick erfasste mich, er erkannte mich sofort und einen Wimpernschlag später glitt sein leises Lächeln über sein von dem schweren Überlebenskampf gezeichneten, aber immer noch schönem Antlitz. Ich tat, was mir mein Herz gebot und wogegen ich mich absolut nicht wehren konnte, zog ihn fester und höher zu mir in die Arme, küsste ihm Stirn und Wangen und schließlich sogar auf den Mund. Sein Gesicht wurde nass von meinen Tränen, aber das störte uns beide nicht im geringsten. Er nannte nur meinen Namen, zu mehr war er noch gar nicht in der Lage, und ich konnte nicht mehr als nicken, da meine Kehle völlig zugeschnürt war.

Minuten später war der Doktor an unserer Seite, ertastete kurz, ohne unsere Position zu ändern, Winnetous Puls und Atmung und war mit dem Ergebnis offensichtlich nicht unzufrieden.
 

Wir ließen dem Apatschen einige Momente der Ruhe, damit er erst einmal ein wenig zu Kräften zu kommen konnte, dann flößte der Doktor ihm mit etwas Mühe ein paar Schlucke Wasser ein, damit seine ausgedörrte Kehle ihm beim Sprechen nicht so viele Schmerzen bereitete. Winnetou selbst machte allerdings keinerlei Anstalten, sich zu bewegen. Es war deutlich zu sehen, dass sein Körper sämtlicher Kraftreserven beraubt worden war, selbst das Sprechen fiel ihm unendlich schwer und er konnte eigentlich nur wenige Worte hauchen. Trotzdem sah er sich nach einigen Minuten interessiert im Raum um.

Jetzt sein Gesicht zu beschreiben, als ihm so ganz allmählich die Erkenntnis dämmerte, wo er sich eigentlich befand, ist mir gar nicht möglich. Das ungläubige Erstaunen, dass sich langsam erst in absolute Fassungslosigkeit und dann in eine unbändige Freude verwandelte, war einfach nur köstlich mit anzusehen!
 

Er sah mich wieder an, in seinen wunderschönen Augen begann es zu glitzern. „Scharlih“, begann er stockend. „Du hast mich......sind wir… sind wir zum Pueblo zurückgekehrt?“ Wieder konnte ich vor Rührung nicht sprechen, wieder kam nur ein Nicken von mir zurück. Und bevor ihn seine Kräfte endgültig verließen und sich seine Augen schlossen, flüsterte er: „Scharlih – danke!“ Und dann, während sich beim Doktor und mir ebenfalls wieder alle Schleusen öffneten, liefen ihm die Tränen doch noch über das Gesicht.



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