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Geliebter Blutsbruder

von

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Überfall

Zwischen den Bäumen traten zwei Männer hervor, denen man auf dem ersten Blick ansah, dass es Schurken waren. Ihre Gesichtszüge wirkten brutal, und die Revolver, die sie im Anschlag hatten und damit auf uns zielten, verhießen nichts Gutes.
 

„Na, sieh mal einer an, wen haben wir denn da?“ begann der erste mit vor Spott triefender Stimme. Der zweite ergänzte: „Zwei dreckige Rothäute - und ein Weißer, wie aus dem Ei gepellt! Ein Sonntagsjäger, he?“ Mein Freund und ich sahen uns an, dann fragte ich: „Wer seid Ihr und was wollt Ihr?“ Die beiden begannen lauthals zu lachen, und der erste fragte seinen Kumpanen: „Was wir hier wollen, fragt der Kerl! Was sagst du dazu, Wayne?“ Dieser entgegnete: „Der Witz des Tages, Tom! Eure Gewehre, Eure Pferde, und was ihr sonst noch so dabei habt, nichts weiter wollen wir!“ Tsain-tonkee ergriff jetzt das Wort: „Der Unteranführer der Geierbanditen wird nichts erhalten, sondern gleich froh sein, wenn er mit seinem Leben davon kommt!“ Aha, das war also der noch fehlende Anführer! Vielleicht kamen die Banditen von einem Kundschafterritt zurück, oder von der Jagd. Der Unteranführer sah den Mescalero einen Moment lang finster an, richtete dann urplötzlich seinen schon gespannten Revolver auf ihn und wollte sofort abdrücken, aber Winnetou war schneller. Er fiel dem Banditen in den Arm, der Schuss löste sich, traf aber nur den Baumstamm neben Tsain-tonkee.
 

Jetzt überschlugen sich die Ereignisse. Der Mescalero hatte im gleichen Augenblick schon eine Ausweichbewegung getan, und zwar in Richtung des zweiten Verbrechers, um diesen anzugreifen. Winnetou hatte im nächsten Moment dem Unteranführer die Waffe entrissen und hieb ihm jetzt seine Faust in den Nacken, dass er sofort leblos zusammenbrach. Auch ich war nicht untätig geblieben und hatte mich zur gleichen Zeit auf den zweiten Banditen namens Tom gestürzt. Ich hätte ihn auch zeitgleich mit Tsain-tonkee erreicht, wenn der Schurke nicht selber einen Sprung nach vorne zu seinem Kumpanen, den Winnetou angegriffen hatte, getan hätte, um diesem beizustehen. In dem Moment, als mein Freund den Unteranführer unschädlich machte, packte Tom seinen Revolver am Lauf, da er zu nahe an Winnetou stand, um ihn noch richtig anvisieren zu können, und ließ den Pistolengriff mit voller Wucht gegen die Schläfe des Apatschen krachen, so dass dieser augenblicklich bewusstlos zu Boden stürzte.
 

Völlig entsetzt hatte ich diese Geschehnisse, die keine fünf Sekunden in Anspruch genommen hatten, verfolgt, und jetzt überkam mich eine Wut, wie ich sie in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt hatte. Geier! Und ein weiteres Mal musste Winnetou unter ihnen leiden! Ich hatte ihnen schon oft genug Rache geschworen, und dieser Kerl hier würde mir nun für alles Leid meines Freundes büßen müssen, soviel war sicher! Ich bemühte mich erst gar nicht, eine meiner Waffen zum Einsatz kommen zu lassen, das war mir der Halunke gar nicht wert. Ich drang mit meinen Fäusten auf ihn ein, entriss ihm die Waffe und begann, meine gesamte aufgestaute Wut der letzten Zeit in ihn hinein zu prügeln. Eigentlich hatte er schon nach den ersten Schlägen genug, er stöhnte, schrie, flehte um Gnade, ich aber hörte nicht auf, ihm immer und immer wieder meine Faust gegen den Kopf, ins Gesicht, in den Magen zu rammen. Ich kannte mich nicht. Irgendwann lag er bewegungslos am Boden, aber ich hätte noch weiter auf ihn eingeschlagen, wenn Tsain-tonkee, der mich vorher wohl ein, zweimal gerufen hatte, ohne bei mir Gehör zu finden, mich nicht von dem Banditen weggerissen hätte.
 

Schwer atmend, immer noch voller Groll, nein, außer mir vor Wut, wandte ich mich von dem Kerl ab und kniete bei meinem Freund nieder, der regungslos am Boden lag.
 

Ich erkannte auf den ersten Blick, dass der Zustand des Apatschen ernst war. Mein Zorn war sofort völlig verraucht, zurück blieb eine mir leider nur zu gut bekannte Todesangst um meinen Freund. Er atmete ganz flach, sein Puls war so gut wie nicht mehr zu spüren. Ich legte meine Hand direkt auf sein Herz, auch hier das gleiche, erschreckende Ergebnis. Er blutete aus einer Platzwunde an der Schläfe, diesmal war es die rechte Seite. Ich hatte ja deutlich gesehen, mit welcher Wucht ihn der Revolvergriff getroffen hatte, und mein Herz wurde mir schwer. Wie um alles in der Welt sollten wir ihm Hilfe bringen? Ich selber konnte nicht viel tun, und wenn ich auch in medizinischer Hinsicht nicht so bewandert war, so wusste ich doch, dass mit solchen Kopfverletzungen durchaus nicht zu spaßen war und ein Transport zurück zu Helmers Home für Winnetou lebensgefährlich werden konnte. Was also tun?
 

Tsain-tonkee bewegten natürlich dieselben Gedanken, und er war es dann auch, der den vielleicht rettenden Vorschlag machte. Auf seinem kurz nach unserer Ankunft erfolgtem Rundgang hatte er eine kleine Grotte bemerkt, die aus mehreren übereinander getürmten Steinplatten bestand und mit Bäumen bewachsen war. Sie befand sich in der Nähe des Wassers und konnte durch Zweige und Büsche so geschlossen werden, dass man von außen nicht ahnen würde, dass sich dahinter jemand verbarg. Dorthin wollte er Winnetou bringen und sich dann schnellstmöglich auf den Weg zur Farm machen, um Hilfe zu holen, während ich bei meinem Freund bleiben sollte. Unsere Pferde konnten wir im Schutz der Bäume nahe der Grotte angehobbelt stehen lassen; sie würden uns auch zusätzliche Sicherheit bieten, denn jede Annäherung eines fremden Wesens machten sie uns durch leises Schnauben deutlich. Das war vorhin, als die Banditen sich uns genähert hatten, wahrscheinlich auch geschehen, aber erstens hatten sich die Tiere etwas weiter von uns entfernt am Wasser befunden, und zweitens war unsere Aufmerksamkeit nur auf Winnetou gerichtet gewesen, so dass wir das entfernte Schnauben mit Sicherheit schlicht und ergreifend überhört hatten.
 

Wir setzten unser Vorhaben sofort in die Tat um und trugen den Apatschen mit äußerster Vorsicht, um seinen Kopf auf jeden Fall zu schonen, in das neue Versteck. Während ich es ihm drinnen so bequem wie möglich machte, sicherte der Mescalero die Grotte von außen, hobbelte unsere Pferde an und machte sich dann im Eiltempo auf den Weg. Wir waren hier ungefähr noch sechs Stunden von der Farm entfernt, also in frühestens zwölf Stunden konnte ich mit Hilfe rechnen. Würde Winnetou bis dahin durchhalten? Was sollte ich tun, wenn sein Kreislauf jetzt vollends zusammenbrach? Ich hatte noch eine Medikamentenportion bei mir, die mir der Doktor für diesen Fall mitgegeben hatte. Da es aber noch nicht allzu lange her war, dass ich meinem Freund die erste verabreicht hatte, und er noch eine lange Zeit würde durchhalten müssen, beschloss ich abzuwarten, um für den Fall, dass sein Zustand sich weiter verschlechterte, noch eine Maßnahme zur Hand zu haben.
 

Dass ich in den nun folgenden Stunden vor Angst und Sorge um ihn fast verging, kann man sich wohl denken. Ich hatte einen Wasserschlauch mit in die Grotte genommen und kühlte jetzt mit dem Wasser immer wieder Winnetous Stirn und Nacken, ohne auch nur den Hauch einer Reaktion von ihm zu erreichen. Meine Hand lag die ganze Zeit auf seinem Herzen, um sofort handeln zu können, sobald sein Herzschlag noch schwächer werden sollte. Ansonsten konnte ich nicht mehr tun als ständig mit ihm zu sprechen, obwohl er mich nicht hörte, oder zu beten.

Die Zeit wurde mir endlos lang. Die Minuten zogen sich zu Stunden, die Stunden kamen mir wie Tage vor, und ich konnte nur hoffen, dass nicht zu allem Unglück eine weitere Horde Verbrecher auftauchen würde, um uns das Leben noch schwerer zu machen. Zudem betete ich darum, dass Tsain-tonkee bis zur Farm durchkam, ohne unterwegs auf Banditen zu stoßen und schlimmstenfalls überwältigt zu werden.

Zwischendurch machte ich mir fürchterliche Vorwürfe, dass ich die Begleitung meines Blutsbruders überhaupt zugelassen hatte, obwohl ich ja eigentlich wissen musste, dass ich ihn dann hätte fesseln und einsperren müssen, um ihn daran zu hindern. Aber im gesunden Zustand wäre er dem Hieb wohl mühelos ausgewichen, und nur der Umstand, dass sein Kreislauf kurz vorher beinahe versagt hatte, hatte es diesem verdammten Banditen so leicht gemacht, ihn niederzuschlagen. Und genau deswegen hatte ich ihn gar nicht erst mitnehmen wollen! Warum musste er trotzdem und vielleicht wider besseren Wissens seinen Kopf unbedingt durchsetzen? Aber kaum hatte dieser Gedanke Raum gefunden, schalt ich mich selber sofort einen ungerechten Narren. Winnetou hatte doch recht gehabt, wie hätte ich mich wohl an seiner Stelle verhalten? Im Gegensatz zu ihm wäre ich wahrscheinlich schon viel eher leichtsinnig geworden, da ich niemals diese manchmal engelsgleiche Geduld des Apatschen hätte aufbringen können.
 

Wie um ihn für meine törichten Gedanken um Verzeihung zu bitten, küsste ich ihm die Stirn, und in diesem Augenblick begann er, sich zu regen. Ich war sofort wie elektrisiert, dachte im gleichen Moment an seine Hilfsmaßnahme, als ich vor einer gefühlten Ewigkeit besinnungslos am Boden gelegen hatte, und begann direkt wieder, seine Stirn und seinen Nacken zu kühlen, im Gegensatz zu ihm aber mit Wasser. Ein kurzes Aufstöhnen war die Reaktion, und sein Gesicht nahm einen schmerzverzerrten Ausdruck an. Ich benetzte das Stück Stoff, dass ich von einer Decke gerissen hatte, nochmals mit frischem Wasser und legte es ihm direkt auf die Stirnwunde, in der Hoffnung, ihm damit etwas Linderung zu schaffen. Dann rief ich ihn leise beim Namen, ich musste unbedingt wissen, wie und in welcher Form er reagieren würde, da Kopfverletzungen ja immer die große Gefahr von Gedächtnisverlusten oder noch viel schlimmeren Folgen bargen.
 

Jetzt begann er zu blinzeln, und einen Moment später öffnete er die Augen. Allein an ihrem Ausdruck konnte ich sehen, dass er mich erkannte, und kurz darauf verzogen sich seine Mundwinkel zur Andeutung eines leichten, aber gequält wirkenden Lächelns. Ich wollte es erwidern, aber meine Anspannung und meine Angst um ihn waren zu groß, so dass es mir nicht recht gelingen mochte.

Winnetou machte gar nicht erst den Versuch, zu sprechen, vielleicht war er sich bewusst, dass es ihm sowieso nicht gelingen würde, und mir wurde dadurch überdeutlich klar, wie schlecht es ihm jetzt ging, wie geschwächt er war und dass er wahrscheinlich große Schmerzen hatte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als irgendwie zu versuchen, ihm etwas Trost zu spenden, und so flüsterte ich ihm zu: „Hab keine Sorge, mein Bruder, Hilfe ist unterwegs und wird bald hier sein. Im Moment sind wir sicher, es besteht keine Gefahr!“ Als Antwort drückte er meine Hand und sah mich stumm an, signalisierte mir mit seinen Augen, diesen unglaublichen Augen, dass er mich verstanden hatte, dass ich mir nicht so viele Sorgen machen sollte, dass es ihm leid tat, mir wieder Kummer bereiten zu müssen. Ich konnte seine Gedanken förmlich fühlen. Um ihn zu beruhigen, nahm ich ihn unendlich vorsichtig in die Arme und blieb, mein Gesicht in seiner Halsbeuge verborgen, so lange in dieser Stellung, bis endlich Hilfe von den Gefährten eintraf, und das sogar fast zwei Stunden früher als gedacht!
 

Angekommen waren alle Apatschen, von denen es sich keiner hatte nehmen lassen wollen, seinem Häuptling zu Hilfe zu eilen, sowie Old Surehand, Old Firehand, Emery und der Bärenjäger Baumann, die einen wahren Gewaltritt hingelegt hatten, um so schnell wie möglich zu Winnetou und mir zu gelangen. Im Schlepptau hatten sie Dr. Hendrick dabei, der es irgendwie geschafft hatte, trotz seiner nicht gerade berauschenden Reitkünste mitzuhalten, jetzt aber leise ächzend und völlig steif aus dem Sattel glitt und ungelenk auf uns zu wankte. Alle anderen Westmänner hatten zwar auch unbedingt mitkommen wollen, aber irgendwer musste auch die Farm und den Treck schützen, und so waren sie schweren Herzens zurückgeblieben.
 

Ich war grenzenlos erleichtert, als ich den Doktor kommen sah. Dieser hatte beim Anblick Winnetous seine von dem Ritt schmerzenden Muskeln schnell vergessen, er kümmerte sich sofort um meinen Freund. Vorsorglich hatte er alles medizinische Material mitgebracht, was ihm zur Verfügung stand, und so konnte er Winnetou gründlich untersuchen und direkt mit seiner Behandlung beginnen. Mein Freund hatte schon in meinen Armen wieder die Besinnung verloren, worüber ich fast froh war, denn so spürte er wenigstens keine Schmerzen, als der Arzt seine Wunden säuberte und behandelte. Bei den Verletzungen an Winnetous Hüfte und Taille braucht er allerdings nicht mehr viel tun, da hatte Tsain-tonkee schon sehr gut vorgearbeitet.
 

Hendrick wollte genauestens wissen, wie mein Freund reagiert hatte, als er erwacht war, und schien mit meiner Auskunft einigermaßen zufrieden. Dieses galt allerdings nicht für die Vitalwerte des Apatschen, für Herzschlag, Puls und Atmung, dass konnte ich ihm sofort ansehen. Ich belästigte ihn jetzt aber nicht mit meinen Fragen, sondern ließ ihn in Ruhe seine Arbeit tun, wohl wissend, dass er mir anschließend genauestens Auskunft erteilen würde.
 

Mittlerweile war der Morgen angebrochen, so dass es leichter war, die Umgebung völlig abzusichern. Die Apatschen hatten im Nu ein provisorisches Lager aufgebaut, sie hatten sogar ein Zelt dabei, dass sie mit Fellen und Decken ausstaffierten, um ihrem Häuptling ein bestmöglichstes Lager zu bereiten. Der Arzt wollte Winnetou wieder mit einer Infusion versorgen, deshalb trugen wir ihn sofort, diesmal mit sechs Personen, vorsichtig in das Zelt und betteten ihn behutsam in die Felle. Hier vollendete der Doktor seine Arbeit, verabreichte seinem Patienten noch zwei Spritzen, legte die Infusion und sah mich dann mit einem jetzt doch etwas erleichtertem Ausdruck im Gesicht an.
 

„Es ist ein Segen, dass Ihr ihm, bevor er verletzt wurde, das Medikament zur Unterstützung des Kreislaufes verabreicht habt, Mr. Shatterhand“, begann er. „Das wäre nämlich während seiner anschließenden Bewusstlosigkeit nicht mehr möglich gewesen. Diese war und ist so tief, dass sein Blutdruck jetzt schon unglaublich niedrig ist. Ohne die Medizin wäre es mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit zu einem kompletten Kreislaufversagen gekommen, und ob Ihr dann noch etwas hättet tun können? Ich glaube nicht!“ Er zögerte kurz, bevor er weiter redete: „Die Verletzungen an Taille und Hüfte sind nicht gefährlich, auch der Blutverlust war eigentlich gering und wird jetzt durch die Infusionen in Kürze wieder ausgeglichen sein. Allerdings nehmen die Wunden doch eine relativ große Fläche ein, und er wird daher noch einige Zeit vermehrt Schmerzen haben. Bei der Kopfverletzung allerdings werden wir abwarten müssen!“ „Was heißt das?“, fragte ich angespannt. „Die ersten vierundzwanzig Stunden danach sind erfahrungsgemäß immer etwas kritisch“, antwortete er. „Man kann halt nie genau wissen, ob es nicht doch zu inneren Blutungen kommt. Wir müssen sehen, wie lange es dauert, bis er wieder zu sich kommt, und wie er danach reagiert, ob er sich an alles erinnert, ob Sprache oder Motorik in Mitleidenschaft gezogen wurden.... Aber Eure Beobachtungen von vorhin geben mir da doch einiges an Hoffnung!“ Ich konnte nur stumm nicken und machte mich darauf gefasst, wieder einmal eine längere Zeit mit Bangen und Hoffen verbringen zu müssen.
 

Der Doktor teilte wohl meine Gedanken; er hielt Winnetous Hand in der seinigen, sah ihn gedankenverloren an und meinte dann: „Und dabei hat er mir versprochen, vorsichtig zu sein....“ Ich lächelte matt, als ich ihm entgegnete: „Er war vorsichtig, wirklich mehr als vorsichtig, Doktor, aber manchmal hilft halt auch die größte Umsicht nicht mehr weiter!“ „Ja, da habt Ihr wohl recht“, entgegnete er, „ich möchte ihm ja auch keinerlei Vorwürfe machen. Er ist ein solch bewundernswerter Mensch und verdient allerhöchsten Respekt. Es ist halt nur so schwer für diejenigen, die ihn gern haben oder lieben, dabei zuzusehen, wenn er so gequält wird!“

Da konnte ich ihm nur von ganzem Herzen zustimmen.
 

Jetzt begann also wieder eine Zeit des Wartens, in der ich aber von allen Gefährten unterstützt wurde. Tsain-tonkee hatte ihnen schon alles Wichtige mitgeteilt, und somit wussten sie, dass wir noch fast drei volle Tage Zeit hatten, uns gegen den Angriff der Geier zu wappnen. Jeder von uns trug wohl schon einen Plan oder zumindest eine Idee mit sich herum, aber im Moment war uns Winnetou wichtiger als alles andere, und deswegen hatte keiner großartiges Interesse an einer Besprechung für den Gegenschlag. Surehand und Firehand hatten mit einigen Apatschen die Gegend nach etwaigen versprengten Banditen abgesucht, aber keinerlei Spuren außer unseren und denen unserer Angreifer gefunden. Im Moment wurde vor allem darauf geachtet, nicht von weiteren Bandenmitgliedern entdeckt zu werden. Die Geier durften auf keinen Fall erfahren, dass wir in der Nähe waren und sogar ihren Plan kannten! Sie würden sich zwar über die zwei gefesselten Posten in der Nähe der gebrochenen Brücke wundern, aber diese hatten uns nicht erkannt und würden höchstwahrscheinlich keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Vorfall und der Farm ziehen, da sie ja nicht ahnten, dass wir ihr neues Versteck kannten, dass wir ihnen überhaupt auf den Fersen waren.
 

Der Unteranführer, den Winnetou unschädlich gemacht hatte, war wohl mittlerweile wieder bei Bewusstsein, aber der Doktor, der ihn sich kurz angesehen hatte, meinte, dass der von Winnetou verursachte Nackenschlag offenbar schwerwiegende Folgen gehabt hatte. Der Schurke wirkte nämlich völlig verwirrt, war nicht mehr Herr seiner Sinne.

Sein Komplize, den ich buchstäblich in Grund und Boden geprügelt hatte, lebte nicht mehr – ich hatte ihn tatsächlich erschlagen! Ich muss gestehen, dass sich in mir so gut wie kein Mitgefühl regte, mit keinem von beiden, dazu hatten sie anderen Menschen zu oft grausam mitgespielt, zuletzt meinem Winnetou, was ich absolut nicht ohne Strafe durchgehen lassen wollte, und die hatten sie jetzt erhalten, zumindest zwei von ihnen.
 

Ungefähr gegen zehn Uhr am Vormittag hatte das bange Warten ein Ende. Emery und ich saßen zu diesem Zeitpunkt alleine im Zelt, wobei ich wohl kurz eingenickt war, da die zwei Nächte ohne Schlaf allmählich ihren Tribut forderten. Ich schrak auf, als Emery mich mehrere Male kurz an der Schulter rüttelte. Er zeigte auf meinen Freund, und im Nu war ich hellwach. Dieser bewegte sich, griff sich mit der Hand an die verletzte Stirn, und seine gequält wirkende Miene zeigte mir deutlich, dass er Schmerzen hatte. Sofort begann ich wieder, Stirn und Nacken mit Wasser zu kühlen, so behutsam und vorsichtig wie möglich. Emery verschwand eiligst aus dem Zelt, um den Doktor zu holen. Kaum war dieser an meiner Seite, schlug Winnetou die Augen auf, sah mich, sah den Doktor, und jetzt war in seinem Gesicht eine leichte Verwunderung abzulesen. Um zu sehen, wie und auf was er reagierte, rief ich ihn leise beim Namen. Sein Blick traf mich wieder, und er flüsterte: „Scharlih...“ Er hob seine Hand, strich mir sanft über die Wange und seine Stimme war voller Mitgefühl, als er ganz leise weitersprach: „Du siehst so müde aus ….will mein Bruder sich nicht legen und versuchen, etwas Schlaf nachzuholen?“
 

Völlig gerührt und wirklich sprachlos über soviel Selbstlosigkeit starrte ich ihn an; sah es in seinen Augen, dass er sich tatsächlich nur Sorgen um mich machte und über seinen Zustand überhaupt nicht nachdachte, was er mir mit seinen nächsten Worten, die er jetzt an den Doktor richtete, auch gleich bewies: „Hat mein weißer Bruder sich die Wunde Old Shatterhands angesehen? Winnetou glaubt nicht, dass diese so harmlos ist, wie sein Bruder es behauptet!“ Absolut fassungslos blickte ich Hendrick an, der allerdings erst einmal sichtlich erleichtert aufatmete. Der Grund war klar; an Winnetous Reaktion war deutlich zu sehen, dass der Schlag offenbar keine, zumindest für den Moment sichtbaren, schwerwiegenden Folgen gehabt hatte. Er konnte sich an alles erinnern und hatte anscheinend auch sonst keine anderweitigen Ausfälle. Dass ihn allerdings starke Schmerzen plagten, konnte sogar der Arzt ihm ansehen, obwohl mein Freund sich alle Mühe gab, sich nichts anmerken zu lassen.
 

Also beruhigte der Doktor ihn zuerst, indem er ihm erklärte, dass meine Beule am Hinterkopf völlig harmlos sei; davon hatte er sich kurz nach seiner Ankunft auch wirklich überzeugt. Anschließend klärten wir ihn mit wenigen Worten über die Geschehnisse nach seiner Verletzung auf. Als nächstes wies Hendrick mich an, Winnetous Kopf weiterhin mit Wasser zu kühlen, um ihm möglichst viel Linderung zu verschaffen, bis das Schmerzmittel, was er ihm jetzt verabreichte, zu wirken beginnen würde.

Ich befolgte sofort seine Anordnungen, und als ich die Schläfen des Apatschen wieder vorsichtig mit Wasser benetzte, hatte der doch tatsächlich trotz seiner Pein den Schalk im Nacken sitzen, als er mich fragte: „War kein Feuerwasser mehr vorhanden?“ In diesem Moment hatte ich allergrößte Mühe, nicht laut loszuprusten, konnte aber ein leises Lachen nicht verhindern. Mit dieser Bemerkung hatte er mich jetzt wirklich überrascht – so etwas war ich von meinem Freund eigentlich gar nicht gewohnt, schon gar nicht in seinem Zustand! Ihm huschte jetzt auch ein schelmisches Lächeln über sein vom Schmerz gezeichnetes Antlitz. Der Doktor schaute nun leicht irritiert von einem zum anderen, so dass ich ihn lieber über Winnetous erfolgreiche Behandlung mit dem billigen Schnaps aufklärte, bevor er sich darüber Gedanken machen konnte, ob uns beiden die Kopfverletzungen doch mehr geschadet hatten als zuerst vermutet.
 

Hendrick lachte jetzt auch leise in sich hinein und ging dann auf unseren scherzhaften Ton ein, indem er behauptete: „Und ich dachte schon, Ihr hättet zwischendurch einen über den Durst getrunken, Mr. Shatterhand! Dem Geruch nach war das zumindest ziemlich naheliegend...“ Winnetous Mundwinkel zuckten, er schien alle Mühe zu haben, ein Lachen zu unterdrücken. Das ließ ich dafür jetzt um so lauter hören, vor allem aus der großen Erleichterung und Freude heraus, dass er so positiv reagierte und sich aller Voraussicht nach auch von diesen Verletzungen wieder vollständig erholen würde. Bis dahin wollte ich alles in meiner Macht stehende tun, um ihm irgendwie zu helfen, seine Schmerzen zu lindern.
 

Als der Arzt ein paar Minuten später das Zelt verließ, fragte ich darum auch meinen Freund: „Gibt es irgendetwas, was ich für dich tun kann, um es dir leichter zu machen?“ Er deutete leise lächelnd ein Kopfschütteln an, hielt aber jetzt die Augen geschlossen. „Bleib einfach bei mir. Sei einfach nur da, dann ist alles gut!“ Ich spürte ein Brennen in meinen Augen, meine Kehle schnürte sich zu vor Rührung über diese Worte. Soviel Liebe zu mir, soviel Vertrauen sprachen aus ihnen, und ich musste mich wirklich zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen. Ich flüsterte ihm mit merklich belegter Stimme zu: „Ich werde dich nie wieder alleine lassen, das habe ich schon einmal gesagt. Du weißt, ich schwöre nie, mein Wort ist wie ein Schwur, aber so ernst ist es mir damit noch nie gewesen: ich bleibe für immer an deiner Seite!“ Wie sehr ihn das berührte, konnte ich daran sehen, dass ihm nun auch eine Träne die Wangen herunter lief, die ich ihm am liebsten weggeküsst hätte. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass wir nun einmal nicht alleine waren, begnügte ich mich damit, sie ihm liebevoll mit meinem Daumen ganz sachte fort zu wischen, dann zog ich ihn noch mehr in meine Arme, hielt ihn fest, versuchte, ihm soviel Geborgenheit wie möglich zu schenken.
 

So verging einige Zeit, und irgendwann bemerkte ich, dass mein Freund ruhig atmend und fast entspannt wirkend vor sich hin sah, ohne eigentlich irgendetwas wahrzunehmen, er schien eher innerlich in die Ferne zu schauen. Ich war so unendlich dankbar, dass ich es sein durfte, der diesem herrlichen Menschen, diesem Engel auf Erden soviel Ruhe, Liebe, Geborgenheit und Trost schenken konnte und er es auch von mir annahm, wie er es sonst von keinem annehmen würde!
 

Ich konnte die ganze Zeit über meinen Blick nicht von seinem männlich schönen Antlitz lösen, und so bekam ich auch mit, wie auf einmal ein leises Lächeln seine Mundwinkel umspielte. „An was denkst du, mein Bruder?“ fragte ich sofort. Sein Lächeln wurde tiefer, seine Augen schlossen sich, als er mit einem sanften Ausdruck in der Stimme antwortete: „An unser wunderbares Bad im Fluss bei unserem ersten Ausritt ...und vor allem an das Sonnenbad danach – mit allem, was dazu gehörte....“ Ich konnte im ersten Moment nicht glauben, was ich da hörte. Trotz dieser widrigen Umstände, trotz seiner Schmerzen, trotz der drohenden Gefahr dachte er jetzt an so etwas? Aber trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen ließ ich mich von seiner Stimmung anstecken. Ich sah mich rasch um, ob auch wirklich niemand in direkter Nähe war, dann beugte ich mich ganz nah an sein Ohr und flüsterte, nein, hauchte ihm eher zu, dass er leicht erschauerte: „Wenn wir jetzt alleine wären …..du ahnst ja gar nicht, was ich dann mit dir alles anstellen würde...“ „So hoffe ich doch, dass wir bald wieder die Möglichkeit haben, alleine zu sein“, antwortete er. Ich konnte nicht anders, ich musste jetzt doch leise lachen.
 

Im nächsten Augenblick spiegelte sich nochmals ein äußerst schelmischer Ausdruck in seinem Gesicht wider, er öffnete die Augen, sah mich an und fragte schmunzelnd: „Du wunderst dich, wie ich jetzt an so etwas denken kann?“ „Nein“, entgegnete ich wahrheitsgemäß. „Ich freue mich einfach nur darüber. Es zeigt mir nämlich ganz deutlich, dass uns gerade vor Augen geführt wird, wie sehr es sich doch lohnt, zu leben. Dass das Leben trotz immer wiederkehrender Kriege, Hass, Gewalt, Tod und Verrat einfach viel zu viele schöne Momente bietet, um für das Überleben zu kämpfen, um für den Anderen zu kämpfen. Und ich bin so unendlich froh über dieses Glück, dass du dein Leben mit mir teilst, dass ich mein Leben mit dir teilen darf!“ In seine Augen trat ein erhöhter Glanz, als er antwortete: „Scharlih spricht die richtigen Worte, genauso denkt Winnetou auch, und er ist ebenfalls dem großen Manitou unendlich dankbar, dass er dich zu mir geführt hat, weil du alles für mich bist!“

Ich drückte ihn fest an mich, außer mir vor Freude über das Glück, diesen wundervollen Menschen lieben zu dürfen und vor allem von ihm geliebt zu werden!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Onlyknow3
2015-08-05T19:24:35+00:00 05.08.2015 21:24
So alle Kapitel gelesen, das erst hier der Kommi kommt, liegt daran das ich wie gefesselt war vom Fortgang der Geschichte das es nicht früher ging.
Das Winnetou sich nicht schon ist doch klar, auch das er sich nicht einsperren lässt war Voraus zu sehen. Winnetou ist ein Naturmensch, deshalb so ist er auch robuster als irgendwer von den anderen um ihn herum.
Was wohl der Gegenschlag sein wird, und können sie die Geier wirklich aufhalten? Bin schon ganz neugierig. Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3



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