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Geliebter Blutsbruder

von

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Unerwartete Unterstützung

Jeder, der schon einmal das „Vergnügen“ besaß, die Härte seines Schädels an einem Stein zu messen, wird nachvollziehen können, wie es mir erging, nachdem ich so ganz allmählich die Besinnung wieder erlangte. In meinem Kopf schienen sich Tausende kleiner Wesen zu befinden, die nichts Besseres zu tun hatten, als denselbigen in einer bewundernswerten Ausdauer mit ihren Hämmerchen zu bearbeiten. Oder war es doch eine Horde galoppierender Pferde, die den Sitz meines Gehirns als Rennbahn benutzten? Ich wusste es nicht. Ich wusste in diesem Augenblick eigentlich überhaupt nichts mehr, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ich konnte weder richtig sehen noch hören, denn zusätzlich zu den Hämmerchen - oder Pferdehufen? - war da noch ein Rauschen zwischen meinen Ohren, als würde sich ein Weltmeer nach dem anderen in meinen Kopf ergießen. Jetzt schien dieses Wasser auch nach außen zu dringen, denn ich spürte ganz deutlich Feuchtigkeit an meiner Stirn, in meinem Gesicht, meinem Nacken.
 

Aber seltsam, wieso stank dieses Wasser nach billigem Fusel? Mein Geruchssinn funktionierte wohl noch gut, sogar sehr gut, wie ich zu meinem Leidwesen feststellen musste, denn dieser Gestank verursachte mir immer mehr Unbehagen. Jetzt ergoss sich sogar noch mehr von dieser übelriechenden Flüssigkeit über meine Stirn, und das war mir nun doch zuviel, ich versuchte, dieser Widerwärtigkeit auszuweichen, was aber zur Folge hatte, dass die kleinen Wesen in meinem Kopf so stark ihre Hämmerchen gegen meine Schädelwände krachen ließen, dass zu allem Übel auch noch kleine Blitze hinter meinen Augen zu zucken begannen und ein fürchterlicher Schmerz mit jedem Pulsschlag durch mein Gehirn dröhnte. Trotz des Dröhnens konnte ich aber dann doch eine menschliche Stimme vernehmen, war aber weder in der Lage, irgendwelche sinnvollen Wörter oder Sätze daraus zu erfassen, noch zu erkennen, wem sie gehörte.
 

Wieder wurden meine Stirn und mein Nacken mit diesem ekelhaften Wasser benetzt, was mir jetzt aber allmählich durch seine kühlende Wirkung etwas Linderung verschaffte. Die menschliche Stimme konnte ich weiterhin hören und so ganz langsam begriff ich auch einen Sinn dahinter, zumindest den, dass sie immer wieder einen Namen rief. Kurz darauf wurde mir klar, dass es mein Name war, der von dieser sonoren Stimme, die ängstlich und sehr besorgt klang, ein ums andere Mal leise gerufen wurde. Und noch einen weiteren Augenblick später erkannte ich, dass es niemand anderes als Winnetou war, der mich beim Namen rief.
 

Gut, also hören konnte ich, riechen auch – wie würde es wohl mit dem Sehen klappen? Ausprobieren war hier wohl die beste Methode, es herauszufinden, und so versuchte ich mit aller Gewalt, die ich noch über meinen Körper besaß, die Augen zu öffnen, was mir auch einige Augenblicke später tatsächlich gelang. „Scharlih!“ ertönte es im gleichen Moment an meinem Ohr, und ich erkannte meinen Blutsbruder, der mit hochgradig besorgter Miene versuchte, mich wieder zum Leben zu erwecken, in dem er mir zum wiederholten Male mit einem in dieser fürchterlich stinkenden Flüssigkeit getränkten Stück Stoff Stirn und Nacken betupfte. Als er sah, dass ich endlich die Augen geöffnet hatte, stieß er einen unendlich erleichterten Seufzer aus und fragte mich leise: „Scharlih? Kann mein Bruder mich hören? Kannst du mich verstehen?“ Ich nickte, was fast schon todesmutig von mir war, da ich ja wusste, wie sich jede Bewegung auf meinen Kopf auswirkte; aber - der Schmerz war jetzt doch nicht mehr so stark, wie erwartet.

Ich sah den Apatschen genauer an und erkannte in seinem Gesicht eine solche Sorge, fast schon Angst um mich, dass er mir richtig leid tat und ich nun alle Kräfte anstrengte, um auch das Sprechen wieder möglich werden zu lassen, damit ich ihn beruhigen konnte.
 

Anfangs brachte ich nur ein unverständliches Lallen hervor, dann aber lösten sich die Verschlingungen meiner Sprechwerkzeuge und meine Worte ergaben wieder einen Sinn. „Es ist alles gut, mein Bruder, hab keine Sorge“, versuchte ich, noch etwas krächzend, ihm die Angst zu nehmen. Er strich mir mit seinen schmalen, feingliedrigen Händen sanft über die Stirn und Wangen, musterte mich weiterhin zutiefst besorgt und flüsterte: „Hast du starke Schmerzen? Kannst du dich bewegen?“ Ich wunderte mich zwar, dass er so leise sprach, maß dem aber keine Bedeutung bei und antwortete: „Die Schmerzen werden von Minute zu Minute weniger, und ich glaube", bei diesen Worten begann ich mich vorsichtig aufzurichten, wobei Winnetou mich sofort unterstützte. „Ich glaube, dass der Rest auch wieder vollständig funktionieren wird.“ Laut ächzend setzte ich mich einigermaßen bequem hin, worauf Winnetou mir schnell ein Zeichen gab, leiser zu sein. Etwas verwundert sah ich ihn an, und er erklärte mir sofort die Situation. „Wir müssen uns ruhig verhalten, da die Feinde in der Nähe sind! Winnetou weiß jetzt, wo sich die Höhle, in der sie sich versteckt halten, befindet, da er den Weg nach oben ein Stück gefolgt ist. In dieser Höhe gibt es nur einen Ort, der als Versteck geeignet ist und es ist möglich, dass von dort weitere Posten bis zu uns vordringen.“
 

In diesem Augenblick sah ich eine Person hinter ihm auftauchen und wollte gerade hochschnellen, um meinen Blutsbruder vor dem vermeintlichen Feind zu schützen, als ich zu meiner Erleichterung Tsain-tonkee erkannte, unseren Kundschafter, der den Geiern von ihrem ersten Versteck aus bis hierhin gefolgt war. Offenbar war er genau zum richtigen Zeitpunkt zu uns gestoßen. Wie Winnetou mir später ausführlich berichtete, war er kurz hinter uns den Geiern auf der Spur gewesen und erreichte uns genau in dem Moment, als wir in das Bachbett gestürzt waren und Winnetou sich mit dem Messer gegen die zwei feindlichen Vorposten zur Wehr gesetzt hatte. Er hatte absichtlich keinen Gebrauch von seinen Schusswaffen gemacht, um die restlichen Verbrecher nicht zu alarmieren. Mein Freund hatte mit einem gezielten Tritt erst dem einen Posten die Waffe aus der Hand getreten und ihm sofort danach den Griff des Messers an die Schläfe gerammt, so dass der Bandit augenblicklich außer Gefecht gesetzt worden war. Im gleichen Moment hatte er sich auf den zweiten gestürzt und hätte ihn wahrscheinlich auch so schnell und überraschend überwältigt, was aber mit Sicherheit nicht ohne Geräusche abgegangen wäre; denn der zweite Geier hätte unbedingt noch Zeit gefunden, zu schießen, wenn auch nicht mehr so gezielt, und damit sämtliche Banditen auf den Plan gerufen. Zum Glück war in diesem Augenblick Tsain-tonkee zur Stelle gewesen und hatte dem Schurken schnellstens die Hände um die Gurgel gelegt, so dass dieser Halunke nun auch bewusstlos auf der Erde lag.
 

Winnetou informierte mich jetzt nur in knappen Worten über das Geschehene, da wir schnell handeln mussten, um zu verhindern, dass weitere Posten auftauchten und ihre beiden Gefährten fanden, denn dann wäre die gesamte Bande höchst alarmiert gewesen und ein Belauschen ein Ding der Unmöglichkeit geworden. Deshalb war Tsain-tonkee gerade damit beschäftigt, die beiden besinnungslosen Banditen so zu fesseln und zu knebeln, dass sie, auch wenn sie wieder zu sich kamen, sich nicht selber befreien würden und zumindest in den nächsten Stunden die Knebel auch nicht würden lösen können. Anschließend wollte der Mescalero sie gut verstecken. Sie würden somit erst viel später gefunden werden, wenn sie durch Rufen auf sich aufmerksam machen konnten.
 

Während Tsain-tonkee sich dieser Aufgabe gewidmet hatte, hatte Winnetou sich während meiner Bewusstlosigkeit kurz davon überzeugt, dass ich noch lebte und sich dann auf den eben erwähnten Erkundungsgang gemacht, um den Aufenthaltsort der Geier ausfindig zu machen, denn nur dadurch konnte er weiteren Gefahren gezielt aus dem Weg gehen. Er hatte dafür nicht lange gebraucht und sich anschließend weiter darin versucht, mich zu irgendeiner Reaktion zu bewegen.

Während er mit dieses mitteilte, fiel mir auch wieder der schlechte Geruch ein, den das Wasser, dass er dafür benutzt hatte, ausströmte. Ich fuhr mir kurz mit der Hand über die Stirn, roch dann daran und verzog etwas angeekelt das Gesicht. Winnetou, der mich beobachtete, musste jetzt trotz seiner großen Besorgnis doch kurz lächeln. „Winnetou tut es leid, aber hier gibt es kein Wasser in der Nähe, somit blieb ihm nichts anderes übrig, als den Inhalt der beiden kleinen Flaschen zu verwenden, die die Geier bei sich hatten“, entschuldigte er sich bei mir. Aha, also hatte mich mein Geruchssinn tatsächlich nicht getäuscht und ich musste mich damit abfinden, zumindest in der nächsten Zeit nach billigem Schnaps zu duften.
 

Ich drückte ihm kurz die Hand und dann half er mir beim Aufstehen. In meinem Schädel pochte es zwar immer noch empfindlich und ich fühlte eine ordentliche Schwellung am Hinterkopf, aber außer etwas Schwindel spürte ich keinerlei Anzeichen einer Gehirnerschütterung. Auch der Rest meines Körpers war trotz des tiefen Falles, von ein paar Schrammen und Prellungen mal abgesehen, kaum in Mitleidenschaft gezogen worden, was man wirklich Glück nennen konnte. Im selben Moment wurde mir allerdings bewusst, dass Winnetou ja auch gestürzt war. Ich hatte ihn zwar direkt danach auf die Füße springen sehen, aber hatte er das alles auch gut überstanden, zumal er ja immer noch nicht völlig wiederhergestellt war? Ich sah an ihm herunter und bekam auch prompt einen riesigen Schrecken, denn an seiner linken Seite, Taille wie Hüfte, war seine Kleidung schon wieder blutverschmiert! „Winnetou, um Himmels Willen, du bist verletzt, du blutest!“ rief ich in einer aufkommenden Panik fast schon laut aus, worauf er mir schnell signalisierte, leiser zu sein. Ich aber reagierte in diesem Moment vollkommen emotional, zu sehr hatten sich die Bilder des vor kurzem so schwer verletzten Apatschen in mein Hirn eingebrannt. Der Schock und die furchtbare Angst um ihn waren sofort wieder präsent, als ich ihn jetzt erneut blutend vor mir sah.
 

Winnetou hatte anscheinend noch gar nichts von dieser neuerlichen Verwundung bemerkt, er sah kurz an sich herunter und versuchte sofort, mich zu beruhigen: „Mein Bruder mag ohne Sorge sein, diese Verletzung ist ohne Bedeutung!“ „Das kannst du doch gar nicht wissen, du hast ja noch nicht einmal nachgesehen!“ Ich reagierte wirklich vollkommen anders, als ich es früher getan hätte, ich war mir auch darüber bewusst, konnte meine Gefühle in diesem Moment aber schwer unter Kontrolle bekommen. Er sah mir das an und nahm mein Gesicht in seine Hände, zwang mich, ihm in die Augen zu blicken. „Der Häuptling der Apatschen kann immer noch eine leichte von einer schweren Verletzung unterscheiden und er bittet seinen Bruder, ihm in dieser Hinsicht zu vertrauen!“ Fast schon etwas beschämt blickte ich kurz zu Boden und sah ihn dann an. „Winnetou hat natürlich recht, aber mir wäre es lieber, wenn ich mir das trotzdem kurz ansehen könnte.“ „Wenn die Zeit dafür da ist, aber jetzt nicht. Wenn mein Bruder trotz seiner Schmerzen dazu in der Lage ist, werden wir sofort aufbrechen, um unser Vorhaben, die Geier zu belauschen, in die Tat umzusetzen. Ansonsten wird er mit Tsain-tonkee bei unseren Pferden wachen!“ Auch jetzt musste ich ihm etwas widerstrebend recht geben, aber um nichts in der Welt hätte ich es zugelassen, dass er sich allein in die Gefahr begab!
 

Also straffte ich meine Glieder und erklärte ihm entschieden, dass mit mir wieder alles in Ordnung sei und wir uns sofort auf den Weg machen konnten. Vorher wollte ich aber noch wissen, aus welchem Grund die aus den locker zusammengebundenen Baumstämmen bestehende Brücke eingebrochen war. Winnetou hatte sich darum noch nicht kümmern können, also schauten wir uns die Sache näher an. Die äußeren Stämme waren heil geblieben, aber die inneren waren offenbar angesägt worden, wohl eine Vorsichtsmaßnahme der Geier, um zum einen dafür zu sorgen, dass eventuelle Feinde stürzen und sich sogar verletzen würden und die zum anderen dazu diente, genug Lärm hervorzurufen, dass die umherstreifenden Posten die nahende Gefahr sofort bemerken würden. Die Frage war allerdings, ob sie diese Falle allein unseretwegen erstellt hatten oder zu ihrer allgemeinen Sicherheit? Ich war von letzterem überzeugt, sie konnten höchstens ahnen, dass aufgrund der Geschehnisse mit Bloody Fox auf Helmers Home irgendjemand von dort ihnen vielleicht folgen würde.
 

Winnetou erklärte Tsain-tonkee, wo sich unsere Tiere befanden, und wies ihn an, dort auf uns zu warten. Außerdem sollte er die Wachen, die sich bei den Pferden der Geier befanden, beobachten und notfalls unschädlich machen, denn sollten die aus irgendeinem Grund das Versteck der Banditen aufsuchen wollen, würden sie uns in den Rücken kommen und könnten uns somit äußerst gefährlich werden. Für den Mescalero war das auch eine Möglichkeit, sich etwas auszuruhen, weil er ja seit gestern morgen schon unterwegs gewesen war und auch in der Nacht kaum Ruhe gefunden hatte, da er die Geier nicht lange aus den Augen lassen durfte. Wir waren wirklich froh über seine Unterstützung, denn die Schurken entpuppten sich nun doch als vorsichtiger und gefährlicher, als wir zuerst geglaubt hatten. Um so wichtiger war es jetzt, ihren genauen Plan für den Angriff auf den Treck und die Farm herauszufinden, deshalb begannen Winnetou und ich, den Weg zur Höhle vorsichtig fortzusetzen.
 

Zügig, aber trotzdem jede mögliche Deckung ausnutzend, bewegten wir uns weiter zu den oberen Höhen der Felsenhügel. Da Winnetou nun genau wusste, wo die Höhle war, mussten wir nicht unbedingt den Spuren der Schurken folgen, sondern konnten uns etwas von der Seite her unserem Ziel nähern. Nach ungefähr zwanzig Minuten bedeutete mir der Apatsche, ab jetzt höchst aufmerksam zu sein, da wir uns ganz in der Nähe des Versteckes befanden und überall weitere Posten stehen konnten. Und tatsächlich - kurz darauf sahen wir auch den ersten. Wir duckten uns tief hinter einigen Sträuchern und sahen uns nach weiteren Wachen um, ohne aber welche zu entdecken. Nun mussten wir überlegen, wie wir weiter vorgehen konnten.
 

Winnetou hielt seinen Blick lange auf die sich hoch über uns auftürmende Felsmasse gerichtet, es hatte ganz den Anschein, als versuchte er, sich an irgend etwas zu erinnern. Ich störte ihn nicht in seinen Gedanken, beobachtete dafür um so genauer den Posten, der in einer Entfernung von ungefähr dreißig Schritten ständig hin und her patrouillierte. Allerdings wirkte sein Gang und auch seine gesamte Körperhaltung mehr als gelangweilt auf mich; ich glaubte nicht, dass er seiner Umgebung besondere Aufmerksamkeit schenkte. Meine dagegen richtete sich nun wieder ganz auf Winnetou, der jetzt wie bestätigend leicht mit dem Kopf nickte, als hätte er gerade für sich selber einen Entschluss gefasst. Dem war auch so, er sah mich an und raunte mir zu: „Der Eingang der Höhle liegt links von uns dort hinten, man muss etwas um den Felsen herumgehen und sich ein Stück über eine Geröllfläche nach oben hangeln, um ihn überhaupt sehen zu können.“

„Dann ist es ja für uns unmöglich, dort unbeobachtet hinein zu gelangen“, antwortete ich.

„Richtig! Aber Winnetou hat nachgedacht und sich erinnert, dass er vor vielen Jahren schon einmal in dieser Höhle war – und es gibt einen zweiten Eingang!“ Überrascht ruckte ich mit dem Kopf hoch, wobei die Hämmerchen und Pferdehufe sich wieder leicht bemerkbar machten, was ich aber gut aushalten konnte. „Wo befindet sich dieser?“ fragte ich den Apatschen. „Wir müssen uns nach rechts wenden und dabei versuchen, unbemerkt an dem Posten vorbeizukommen. Unser Weg führt dann zwischen dem Fels ein großes Stück hinauf, es ist allerdings eine sehr schmale und steile, teils nahe am Abgrund vorbeiführende Strecke. Ungefähr in der Mitte der Anhöhe“ - dabei deutete er auf das Felsmassiv vor uns - „befindet sich der zweite Eingang, der aus einem engen und etwas mehr als mannshohen Durchgang besteht. In dieser Grotte muss man wieder ein Stück in einem engen Felsschacht nach unten klettern, wie in einem Kamin, und kommt dann in einer sehr kleinen Höhle aus, die durch einen niedrigen Tunnel von der großen getrennt ist, in der die Geier sich verstecken.“
 

„Das ist ja wunderbar! Wenn der Ausgang dieses Tunnels nicht zu weit von den Banditen entfernt ist, haben wir ja gute Aussichten, sie unbemerkt belauschen zu können“ freute ich mich über seine Beschreibung. Er nickte, musterte mich jetzt aber nochmals besorgt. „Ist mein Bruder sich sicher, diese enge und steil am Abgrund vorbeiführenden Passage überwinden zu können? Jeder kleinste Schwindelanfall könnte ihm hier zum Verhängnis werden!“ Ich erkannte eine enorm große Angst um mich in seinen samtig schwarzen Augen und zum wiederholtem Mal wurde mein Innerstes von so einem machtvollen und tiefen Gefühl der vollkommenen Liebe zu ihm erfüllt, dass es mir heiß und kalt den Rücken herunter lief und ich ihn am allerliebsten sofort in meine Arme gezogen hätte, um ihn dann nie, wirklich nie wieder loszulassen. Ich musste mich mit Gewalt zur Ordnung rufen und beantwortete seine Frage in einem bestimmenden Ton. „Winnetou soll sich nicht um seinen Bruder sorgen, ich werde diese Strecke genauso sicher überwinden, wie du es trotz deiner noch nicht vollständig wiederhergestellten Gesundheit geschafft hast, diesen Kundschafterritt überhaupt anzutreten. Howgh!“ Ich nickte nochmal bekräftigend und er lächelte mich trotz meiner Retourkutsche liebevoll an, sagte dann auch nichts mehr.
 

Das ganze Gespräch hatten wir natürlich sehr leise geführt, da der Posten ja nicht weit entfernt war. Nun galt es, ihn so abzulenken, dass wir unbemerkt an ihm vorbei den Felsen hinauf klettern konnten. Wir brauchten dafür nur ein paar Sekunden Zeit, dann würden wir zwischen den ersten Geröllblöcken verschwunden sein. Überwältigen durften wir ihn nicht, zumindest nicht hier so nahe bei der Bande. Sein Fehlen würde sofort auffallen und uns würde nicht nur jede Möglichkeit zum Lauschen genommen, sondern uns auch sofort in die größte Gefahr bringen.
 

Beide hatten wir jetzt den gleichen Gedanken und suchten uns eine handvoll kleiner Steinchen zusammen. Winnetou warf als erster ein paar davon in eines von den hier sehr spärlich wachsenden Gebüsche, welches etwas von uns entfernt lag und – der Wächter erwachte aus seiner Lethargie und sah sich überrascht um. Als ich sicher war, dass er nicht zu uns hinüber schaute, warf ich auch ein paar meiner Steinchen in die gleiche Richtung. Jetzt hatte der Bandit den Teil des Gebüsches erfasst, aus dem das Geräusch erklang und hob sein Gewehr mit einem angespannten Ausdruck im Gesicht leicht an. Er war so auf diesen Punkt fixiert, dass Winnetou nochmals seinen Rest werfen konnte. Der Schurke hörte jetzt nicht nur das Rascheln, sondern sah auch die Bewegung einiger Zweige, ohne jedoch die Steine zu bemerken. Jetzt war er vollends überzeugt, dass sich irgendetwas in dem Gebüsch befand und bewegte sich, die Waffe im Anschlag, sehr vorsichtig darauf zu. Das war für uns die Gelegenheit! In Windeseile huschten wir, jeden Felsblock als Deckung nehmend, auf die Anhöhe zu und waren binnen kürzester Zeit auf dem Weg nach oben, während uns die großen Felsen davor schützten, entdeckt zu werden.



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