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Geliebter Blutsbruder

von

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Ein großer Schreck

Als ich in unser Zimmer zurückkehrte, schlief der Apatsche immer noch. Mittlerweile war es Abend geworden, und als Frau Helmer mit dem Abendessen eintrat, erwachte er zwar sofort, blieb aber liegen. Er war wohl doch durch die heutigen und gestrigen Anstrengungen ermattet worden.
 

Nach dem Abendessen legte ich mich zu ihm, nahm ihn in den Arm und erzählte ihm von meinem Ausritt mit Iltschi. Dabei streichelte ich ihn ruhig und sanft über seine Wangen, seine Stirn, seine Arme und bemerkte, wie entspannt er auf diese Zärtlichkeiten reagierte und wie sehr er sie genoss. Auch hierfür gab es einen Grund, der mir aber erst in diesen Tagen so richtig bewusst geworden war: Aufgrund seiner fehlenden Familie hatte Winnetou ja niemanden, der ihn je in den Arm nahm und ihm die menschliche Nähe und Liebe vermittelte, die ein jedermann einfach braucht! Ich nahm mir vor, ihn dafür ab jetzt mit Zärtlichkeiten zu überschütten, soviel und solange wie er es zulassen wollte.

Weiter wollte ich an diesen Abend aber nicht gehen, er wirkte mir etwas kraftlos und diesmal war ich mir meiner Verantwortung für ihn durchaus bewusst.
 

Die nächsten zwei Tage vergingen wie im Flug. Winnetou stand jetzt nicht nur einmal, sondern mehrere Male am Tag auf und begann zusätzlich, im Zimmer mit verschiedensten Gegenständen seine Körperkraft zu trainieren. Er entwickelte im Laufe dieser Zeit einen solchen Ehrgeiz, dass wir ihn ein übers andere Mal in seinem Eifer, so schnell wie möglich wieder zu seiner alten Form zurückzufinden, fast schon mit Gewalt bremsen mussten. Zum Glück waren wir hier eindeutig in der Überzahl und er hatte gar keine Chance, sich mehr zuzumuten, als der Arzt es erlaubte und ich es zuließ.
 

Trotzdem machte er täglich solche enormen Fortschritte, dass wir nur noch staunen konnten. Gerade mal zweieinhalb Wochen war es her, dass man ihn fast getötet hatte, und nun lief er im Zimmer herum, als wäre nie etwas gewesen. Daher nahm natürlich auch seine Ungeduld zu, er wollte jetzt doch endlich ins Freie und vor allem wieder einmal auf seinem Iltschi ausreiten. Der Arzt erkannte, dass man meinen Freund nicht länger halten und sozusagen „einsperren“ konnte, denn sonst bestand die Gefahr, dass sich die Wirkung irgendwann ins Gegenteil verkehren würde. Also wurde beschlossen, heute den großen Sprung zu wagen und ihn mal längere Zeit vor dem Haus spazieren gehen zu lassen, natürlich nur in meiner Begleitung, während Dr. Hendrick sich in der Nähe aufhalten wollte.
 

Old Firehand und Emery stritten sich geradezu darum, wer Winnetou die Treppe hinunter tragen durfte, aber da hatten sie sich in ihm gründlich verrechnet! „Wenn Winnetou keine Treppen laufen kann, wird er auch nicht aus dem Haus gehen!“ bestimmte er schlicht und damit war für ihn die Diskussion beendet. Die beiden fügten sich in ihrem Schicksal, zeigten aber deutlich während des Hinunterlaufens, dass sie seinen Kräften noch nicht so ganz trauten. Der Eine ging eng hinter ihm, während der Andere nur so weit voraus lief, dass er ihn im Fall des Falles wieder auffangen konnte, während ich meinen Freund von der Seite her stützte.
 

Aber alles ging gut, zwar langsam, aber ohne Probleme. Sein Gesichtsausdruck, als er endlich, endlich zum ersten Mal ins Freie trat – ich kann ihn nicht beschreiben. Er stand ein paar Sekunden mit geschlossenen Augen in der Sonne, holte tief Luft und schien sich erst jetzt so richtig bewusst zu werden, dass er all diese Elemente fast nicht mehr erlebt hätte. Dann sah er uns nacheinander strahlend an und fragte mich: „Gehen wir zur Koppel?“ Lächelnd hakte ich ihn unter – diese Unterstützung war meine Bedingung gewesen, wenn er zum ersten Mal eine längere Strecke laufen würde – und dann ging es langsam zu den Pferden, wobei Emery und Old Firehand nur ungern zurückblieben. Aber sie verstanden natürlich, dass Winnetou nicht gerne unter voller Beobachtung seine Kräfte ausprobieren wollte.
 

Ich bemerkte in einiger Entfernung die Siedler, die alle neben ihren Wagen standen und uns beobachteten. Als sie Winnetou das letzte Mal gesehen hatten, standen sie mehr oder weniger kurz vor dem Verschmachten und hatten ihn deshalb nicht richtig wahrgenommen. Jetzt aber sahen sie ihn erstmals wieder vor sich und hätten sich am liebsten gleich alle auf ihn gestürzt, aber sie waren von den Westmännern, die ebenfalls dabei standen, gut instruiert worden, und wussten, dass sie warten mussten, bis der Apatsche von selbst auf sie zukam. Als wir um das Haus herumgingen, verschwanden wir auch aus ihrem Blickfeld.
 

Wir kamen der Koppel näher, Winnetou konnte seinen Iltschi schon erkennen und seine Schritte wurden unwillkürlich schneller. Aber auch der Rappe hatte ihn schon gewittert; und das Verhalten, welches das Tier jetzt an den Tag legte, hatte ich bei ihm noch nie gesehen. Es gebärdete sich wie toll, sprang wiehernd und stampfend in der Koppel hin und her, schnaubte, sein Kopf ging hoch und runter, zwischendurch bäumte es sich hoch auf – es war eine Lust, ihm zuzusehen. Als wir endlich an der Koppel angelangt waren, begrüßten sich die Zwei auf eine so rührende Art und Weise, dass mir schon wieder die Tränen in die Augen traten. Himmel, ich war in letzter Zeit wirklich nah am Wasser gebaut!
 

Winnetou war jetzt einfach nicht mehr zu halten; er trat in die Koppel – einmal Schwung geholt, und schon saß er auf dem Pferd! Jetzt war ich doch etwas erschrockenen über seinen Übermut und wollte ihm das gerade deutlich machen, da kam er mir mal wieder zuvor und rief mir mit einem breiten Lächeln zu: „Mein Bruder mag keine Sorgen um mich haben, wenn Winnetou seinen Iltschi in der Nähe hat, kann ihm gar nichts geschehen!“ Er spielte damit natürlich auf Iltschis Rettungstat in der Wüste an und bedankte sich jetzt auch durch viele Streicheleinheiten und einem kleinen Ritt in der Koppel ausführlich bei seinem Hengst.

Ich war zwar immer noch nicht mit seinem vorschnellen Handeln einverstanden, aber die beiden boten ein so schönes Bild, dass ich einfach nur da stand und diese Szene genoss.
 

Nach etwa zwanzig Minuten ermahnte ich den Apatschen aber dann doch, jetzt mal langsam wieder zur Ruhe zu kommen, und er kam dem auch bereitwillig nach. Iltschi schien schon eher Probleme mit der Trennung zu haben, er blieb ganz nah an Winnetous Seite und schnaubte empört, als dieser die Koppel verließ.
 

Langsam gingen wir wieder zurück ins Haus, schweigend, denn Winnetou schien völlig in Gedanken versunken zu sein. Ich glaubte zu wissen, dass er die heutigen Eindrücke nochmals auf sich wirken ließ, musste aber nach wenigen Minuten zu meinem Leidwesen erfahren, dass ich mich da ausnahmsweise einmal täuschte.

Das Hochgehen auf der Treppe schien ihm nun doch etwas schwerer zu fallen, er aber ließ sich wie immer nichts anmerken. Seine Eskorte, bestehend wieder aus Emery und Old Firehand, war auch jetzt nahe bei ihm und die zwei waren offensichtlich sehr erleichtert, dass dieser erste Ausflug ohne Probleme von statten gegangen war.

Wir hatten kaum unser Zimmer betreten, als auch schon Dr. Hendrick hinterher kam, um sicher zu gehen, dass Winnetou das Unternehmen gut überstanden hat.
 

Ich stand neben meinem Freund und schüttete ihm gerade ein Glas Wasser aus dem Krug ein, der immer im Zimmer stand, als ich eine Hand an meinem Arm verspürte, die sich jetzt dort regelrecht hinein krallte. Ich brauchte gar nicht erst hinzusehen, um zu wissen, was geschah. Das Glas Wasser ließ ich fallen, wo ich war, drehte mich um und griff nach Winnetou, der leicht zu schwanken begonnen hatte. Ich konnte ihn gerade eben noch festhalten, als er zusammenbrach, sonst wäre er mit Wucht auf den Boden gestürzt.
 

Hinter mir stieß Old Firehand einen Schreckensruf aus und war sofort an meiner Seite, um den Apatschen mit festzuhalten. Der Doktor rief nur: „Sofort hinlegen!“ und schon hatten wir Winnetou vorsichtig auf das Bett gelegt.

Ich spürte förmlich, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. Die Glücksgefühle der letzten Tage waren wie weggeblasen; ich war mir in diesem Augenblick fast sicher, dass Winnetous Herz jetzt tatsächlich versagt hatte. Und daran wäre ich zumindest teilweise mitschuldig gewesen, das stand für mich fest.
 

Ich saß mit im Bett, hielt seinen Kopf in meinem Schoß und sah nur noch sein schönes Gesicht vor mir, alles andere nahm ich nicht mehr wahr. Die Gefährten redeten wild durcheinander, der Arzt gab seine Anweisungen – ich aber bekam nichts davon mit, ich fühlte mich wie in Watte gepackt.

War jetzt doch alles vorbei?



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: haki-pata
2015-08-01T22:02:48+00:00 02.08.2015 00:02
Mir klopfte das Herz bis zum Hals.
Uh oh...
Von:  Onlyknow3
2015-07-31T21:41:41+00:00 31.07.2015 23:41
Ich bin ein ein großer Fan der beiden Charas, und kannte den Schauspieler Pierre Brice persönlich. Ich bin begeistert und freue mich das du diese FF geschrieben hast. Außerdem hast du sie alle in einer Geschichte vereint die sich kennen aus früheren Begenungen. Mach weiter so, bin gespannt was da noch kommt.

LG
Onlyknow3
Antwort von:  Anmiwin
02.08.2015 22:53
Herzlichen Dank für deinen wirklich positiven und netten Kommentar - ich bin total froh, dass es mir tatsächlich gelungen ist, jemanden für diese Geschichte zu begeistern!
Vielen Dank für die Rückmeldung und bis bald!

Anmiwin


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