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Geliebter Blutsbruder

von

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Tod oder Leben?

Im Haus angekommen, legte Emery meinen Freund unendlich vorsichtig auf das von Mrs. Helmer inzwischen schnell vorbereitete Bett, dass sich in einem Gastzimmer unten im Haus befand. Trotzdem ich in größter Sorge war, dachte ich zunächst an das Naheliegende, nämlich an die Versorgung von Winnetous Iltschi. Also bat ich Emery: „Höre, Emery, ich weiß, dass du hier jetzt auch nicht gehen möchtest, aber du bist der Einzige, den Iltschi außer mir an sich heranlässt, und wir müssen uns um ihn kümmern, das sind wir auch Winnetou schuldig! Und ich kann ihn jetzt einfach nicht alleine lassen, siehst du das ein?“

Emery nickte nur und verließ schnell das Zimmer. Ich wusste nun, dass er Iltschi ab jetzt die allerbeste Pflege angedeihen ließ, und war, wenigstens in dieser Hinsicht, beruhigt.

Dr. Hendrick hatte meinem Freund inzwischen mit der Hilfe von Mr. Helmer komplett von seinem Jagdhemd befreit und begann nun, die Wunde genauer zu untersuchen. Zwischendurch schickte er Mrs. Helmer aus dem Zimmer, um ihm seine Tasche zu holen. Er begann, sich über den Verlauf der Stichwunde zu wundern. „Seltsam....es sieht so aus, als ob sein Gegner auf jeden Fall das Herz getroffen hätte, wenn er nicht mit dem Messer irgendwie abgerutscht wäre....Hat Ihr Freund vielleicht irgendetwas in seiner Brusttasche, was dies möglich gemacht hätte?“ Ich hob schnell das Hemd vom Boden auf und griff in die Brusttasche – und tatsächlich, ich zog die aus echtem Silber bestehende kleine Dose heraus, in der Winnetou eine Haarlocke seiner schönen Schwester Nscho tschi aufbewahrte, die er ihr kurz nach ihrem Tod als Erinnerung abgeschnitten hatte. Auf der oberen Seite der Dose war eine tiefe Einkerbung zu erkennen. Geschockt und seltsam berührt starrte ich erst auf die Dose, dann auf Winnetous Wunde. Es sah ganz danach aus, als ob Nscho tschi zu Winnetous Schutzengel geworden war.
 

„Ja,“ sagte der Doktor, als er die Dose sah. „Das habe ich mir fast gedacht. Die Messerklinge ist abgerutscht und hier direkt neben dem Herzen an einer Rippe gestoppt worden. Dabei ist leider eine kleinere Arterie verletzt worden, die für den enormen Blutverlust gesorgt hat.“ Ich konnte nicht antworten. Zu entsetzt war ich über dieses unerwartete und jetzt so schlimme Wiedersehen mit meinem Blutsbruder. Ich hatte ihn noch nie schwer verletzt oder zumindest bewusstlos gesehen, außer am Beginn unserer Bekanntschaft, als ich ihn erst zu seinem Schutz und dann zu meiner Verteidigung zweimal niederschlagen musste. Und jetzt lag er hier vor mir, hilflos und so schwer verwundet, dass es mir die Tränen in die Augen trieb.
 

Inzwischen hatte Mrs. Helmer die vom Doktor gewünschten Dinge gebracht, und dieser suchte sich sogleich sein Stethoskop hervor und begann, Winnetous Herz abzuhören. Ich setzte mich an den Kopf meines geliebten Freundes, nahm eines von den Tüchern, die Mrs. Helmer zusammen mit den verschieden temperierten Wasserschüsseln gebracht hatte, tauchte es in lauwarmes Wasser und begann, seine Stirn und sein Gesicht vorsichtig von dem geronnenen Blut zu reinigen.

Dr. Hendrick war medizintechnisch wirklich gut ausgestattet. Er hatte sogar ein Gerät zum Messen des Blutdrucks dabei. Während der Untersuchung nahm sein Gesicht einen immer bedenklicher werdenden Ausdruck an. Dann schaute er sich die Kopfwunde an, die schon zu verkrusten begann. Anschließend sah er mich sehr ernst an.

„Das sieht im Moment nicht gut aus. Er hat sich anscheinend mehrere Tage, ohne viel Wasser zu sich zu nehmen, in der Wüste befunden, und ist darum völlig dehydriert. Beide Wunden sind mindestens anderthalb bis zwei Tage alt und haben offenbar lange Zeit stark geblutet, so dass hier ein enorm hoher Blutverlust vorliegt. Zusammen mit dem Flüssigkeitsverlust ergibt das eine große Gefahr für Herz und Kreislauf. Eigentlich ist es ein Wunder, dass er noch lebt. Ich glaube, jeder andere wäre schon in der Wüste an multiplen Organversagen gestorben! Diese Gefahr besteht aber immer noch, wenn wir jetzt nicht schleunigst für eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr sorgen!“

Er sah mir wohl an, dass ich diese Diagnose mit großem Entsetzen aufnahm, obwohl ich ja schon beim ersten Blick auf Winnetou gesehen haben musste, dass er sich in akuter Lebensgefahr befand. „Es tut mir leid, dass ich Ihnen keine angenehmere Mitteilung machen kann, aber ich bin es Ihnen schuldig, die Wahrheit zu sagen!“
 

Am Allerwichtigsten war es jetzt, meinem Freund in irgendeiner Form genügend Flüssigkeit zuzuführen. Ich wollte das auf die altbekannte Methode machen, in dem ich ihm immer und immer wieder Wasser einzuflößen versuchen wollte, aber der Doktor hielt mich davon ab. Er hatte aus dem Osten das neueste medizinische Gerät mitgebracht, unter anderem auch Infusionsbesteck, welches sich damals noch in der Testphase befand und im praktischen Gebrauch noch völlig unbekannt war. Er hielt meine Methode für viel zu gefährlich, da auf diesem Weg niemals die Menge zugeführt werden konnte, die notwendig war, da ja eine tiefe Bewusstlosigkeit vorlag, und außerdem bestand die große Gefahr der Aspiration, also des Einatmens in die Lunge, was eine schwere Lungenentzündung nach sich ziehen konnte, und in Winnetous schlechtem Zustand musste jede weitere Infektion unbedingt vermieden werden.
 

Dr. Hendrick überzeugte mich also von seiner neuen Methode und legte einen Zugang in Winnetous Vene, durch den er eine Kochsalzlösung mit allen lebensnotwendigen Elektrolyten laufen ließ. Anschließend begann er mit der Wundversorgung. Die Kopfwunde machte ihm nicht allzu große Sorgen, aber die Brustwunde war allein wegen ihrer Tiefe und ihrer Nähe zum Herzen sowie der Arterienverletzung deutlich gefährlicher. Er tat, was er konnte, sagte aber anschließend zu mir: „Jetzt hätte ich gerne eines dieser wunderbaren Heilkräuter der Indianer hier, ich glaube, dass diese der Wunde die Gefährlichkeit mehr nehmen würden als alles, was ich hier zur Verfügung habe!“ Es war zum Verzweifeln! In Winnetou hatten wir den besten Wundarzt der hiesigen Indianer, den man sich vorstellen konnte, und gerade jetzt betraf es ihn selber! Ich wusste zwar, dass er in seinen Satteltaschen immer eine Art Apotheke mit den verschiedensten Kräutern mitführte, aber der Arzt schüttelte nach der Durchsicht derselben nur bedauernd den Kopf, da er sich mit diesen Pflanzen einfach nicht auskannte.
 

Nachdem er mit dem Verbinden fertig war, horchte er nochmal Herz und Lunge ab und überprüfte den Kreislauf, um sich dann mit einem vorläufigen Fazit wieder an mich zu wenden: „Ich habe jetzt für ihn getan, was in meiner Macht steht, doch ich muss leider sagen, dass er sich weiter in akuter Lebensgefahr befindet. Der Blut- und Flüssigkeitsverlust ist so enorm hoch, dass das Herz Schwerstarbeit leisten musste, um die Organe weiter zu versorgen und Winnetou bis jetzt am Leben zu halten. Darum ist es nun so geschwächt, dass es zu deutlichen Herzrhythmusstörungen gekommen ist. Ich kann nur hoffen, dass es trotzdem stark genug ist, den Körper weiter zu versorgen, bis der Blut- und Flüssigkeitsverlust wieder ausgeglichen ist. Es ist also zwingend notwendig, dass er über eine längere Zeit still liegen bleibt, damit erstens die Wunde heilen kann und es nicht zu erneuten Blutungen kommt, und zweitens könnte jede noch so kleine Anstrengung zum plötzlichen Herzversagen führen. Aufgrund seiner wohl noch länger andauernden Bewusstlosigkeit wird das allerdings zumindest in den ersten Tagen gewährleistet sein.“ „ WIRD ER ES SCHAFFEN ???", das war alles, was ich im Moment von ihm wissen wollte.

Dr. Hendrick warf einen sehr besorgten Blick auf Winnetou. „Ich kann es wirklich nicht vorhersagen. Wie gesagt, jeder andere.... Außerdem wird bald höchstwahrscheinlich noch etwas anderes hinzukommen....“ „Was denn noch?“ fragte ich, aufgrund meiner aufkommenden Panik lauter als beabsichtigt. „Das Wundfieber. Wenn die Wunden frisch gewesen wären, hätte ich alle Möglichkeiten gehabt, es abzuwenden, aber in diesem fortgeschrittenen Zustand.... Das bedeutet eine weitere Belastung für den Herzkreislauf, und je höher es wird und je länger es andauert....“ Er sprach nicht weiter, aber ich hatte ihn auch so verstanden.
 

Ich war schockiert, wie gelähmt, verzweifelt. Was hatte ich mich auf das Wiedersehen gefreut! Und jetzt lag mein Winnetou hier vor mir, mehr tot als lebendig! Aber solange auch nur ein Funken Hoffnung bestand, würde ich meinen Freund nicht aufgeben, im Gegenteil, ich schwor mir, alles zu tun, was in irgendeiner Weise zu seiner Genesung beitragen konnte. Diesem Entschluss sofort Folge leistend, fragte ich den Doktor: „Hören Sie, gibt es irgendetwas, was ich tun kann, um seine Lage auch nur etwas zu erleichtern?“ Er sah mich prüfend an, blickte dann auf den Apatschen, legte seine Hand auf Winnetous linken Arm und sagte dann: „Aufgrund des Blutverlustes kühlt sein Körper sehr stark aus. Natürlich könnten wir jetzt noch ein paar mehr Decken dazulegen, aber menschliche Wärme ist jetzt wahrscheinlich viel mehr wert. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, legen Sie sich zu ihm, nehmen Sie ihn fest in die Arme und wärmen Sie ihn mit Ihrem Körper. Wahrscheinlich wird er sogar im Unterbewusstsein spüren, dass Sie da sind, dass Sie bei ihm sind, und allein das kann ihm schon helfen, zu überleben!“ Er hatte kaum ausgesprochen, da hatte ich mich schon teilweise entkleidet und legte mich so zu Winnetou, dass er mit seinem Oberkörper halb auf meiner Brust lag. Ich schloss meine Arme fest um ihn und merkte dabei selbst, dass die seinigen richtig kalt waren.
 

Mrs. Helmer räumte die gebrauchten Utensilien weg und einen Moment später kam Emery herein. Er warf einen etwas verdutzten Blick auf Winnetou und mich und erkundigte sich hastig: „Wie geht es ihm?“ Der Doktor erklärte ihm die Sachlage, auch warum ich mich zu meinem Freund gelegt hatte, und dann fragte ich ihn: „Wie steht es mit Iltschi?“ „Ja... der Rappe ist ganz schön erschöpft, aber es ist ein wunderbares, kräftiges Tier. Er hat bis jetzt gut getrunken und fängt sogar gerade an, wieder zu fressen. Ich habe ihn gründlich abgerieben und werde gleich wieder nach ihm sehen.“ Wenigstens etwas, dachte ich bei mir. Emery fragte weiter: „Was kann ihm nur passiert sein? Wie konnte es jemanden gelingen, Winnetou mit dem Messer anzugreifen? Er schafft es doch immer, seine Feinde so abzuwehren, dass sie ihm gar nicht so nahe kommen können?“

„Ich denke, dass er dazu gar nicht mehr in der Lage war,“ erwiderte der Arzt. „Die Wunde am Kopf stammt von einer Gewehrkugel. Sie hat seinen Kopf zwar nur gestreift, aber es war ein sehr tiefer Streifschuss, deswegen auch hier der hohe Blutverlust. Außerdem wurde von hinten auf ihn geschossen, also konnte er sich hier gar nicht wehren. Er wird daraufhin sofort das Bewusstsein verloren haben, so dass sein Gegner ihn mit dem Messer angreifen konnte!“ Das war eine einleuchtende Erklärung und wir waren uns sicher, dass es sich so oder so ähnlich zugetragen hatte. Doch wer waren der oder die Angreifer? Wurde er vielleicht sogar verfolgt? Mir schossen viele Fragen durch den Kopf, doch um die Lösung des Rätsels sollten sich andere kümmern, ich würde Winnetou jetzt keine Sekunde von der Seite weichen, soviel war sicher!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: haki-pata
2015-07-27T20:03:23+00:00 27.07.2015 22:03
Während des Lesens klopfte mir das Herz bis zum Hals und in Gedanken flehte ich ein stetes 'Bittebittebitte. Erdarfnichtsterben. Bittebittebitte.'
Danke für dieses Kapitel.

Antwort von:  Anmiwin
27.07.2015 22:24
Wow - klasse! Mensch, das freut mich wirklich, dass ich dich so mitreißen konnte! Dann bin ich mal gespannt, wie du die Sache weiter bewertest - und sende noch mal die nächsten beiden Kapitel hinterher! Einverstanden?
Vielen Dank für deine tolle, positive Reaktion!

Anja


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