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Doors of my Mind

Der Freund meiner Schwester
von

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Mit jeder Faser meines Körpers

Kapitel 19 Mit jeder Faser meines Körpers
 

Bereits am Samstagvormittag trudeln die ersten Gäste ein und das Haus ist schnell voll. Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen. Nichten und Neffen. Ich helfe meiner Mutter und ihrer Schwester in der Küche und entgehe so den größten Teil der systematischen Erstbefragung sowie dem Kindergebrüll. Am Abend sind fast 20 Leute und 7 Kinder im Haus. Es wird gelacht, geredet und unglaublich viel getrunken. Es herrscht eine angenehme Stimmung, doch ich werde nicht richtig locker. Ich mache es mir zu Aufgabe möglichst wenig an einem Ort zu sein und dafür zur Sorgen, dass alle mit Getränken abgelenkt sind. Onkel Thomas entdeckt mich im Keller. Unschlüssig stehe ich vor den Getränkebergen. Ich sehe zu den harten Spirituosen und weiß nicht, was ich noch alles mit nach oben nehmen soll.

„Da ist ja mein Lieblingsneffe", ruft er und nimmt mich in den Arm. „Ich hoffe, du hast die Kondome diesmal besser versteckt. Anne ist noch immer traumatisiert."

„Keine Sorge, diesmal kommt es zu keinen Tretminen. Es sei denn, ihr sucht explizit nach Spaß, dann rate ich dir unter meinem Bett nach zuschauen und zeige dir gern, wie man die Webcam anstellt." Ich reiche ihm ein Bier und höre das kehlige Lachen, welches mir solche Sprüche nicht übelnimmt. Sie haben bereits zwei Kinder, planen keine weiteren und sie sind keineswegs sehr experimentierfreudig. Noch einmal drückt er mich lachend an sich.

„Frech, wie eh und je. So kenne ich dich. Kann ich dir helfen oder bin ich in dein Versteck geplatzt?" Er legt mir einen Arm um die Schulter und drückt auch mir ein Bier in die Hand.

„Verdammt, erwischt und dabei dachte ich, dass mich im Vorratsraum niemand findet. Nein, ich hole nur Nachschub, aber ihr trinkt alle so schnell, dass ich nicht weiß, was ich zuerst hochbringen soll", sage ich wahrheitsgemäß und Tom klopft mir auf die Schulter.

„Nun gut, dann helfe ich dir. Am besten, wir nehmen den kompletten Kasten mit und legen dort noch ein paar einzelne Weinflaschen drauf." Gesagt, getan. Nach ein paar Minuten stehen wir im Flur und trinken den ersten Schluck unseres Bieres.

„So, nun sag schon, was macht dein kompliziertes, junges Leben?" Ich wusste bereits im Keller, dass mir diese Fragerunde nicht erspart bleiben wird.

„Es verursacht mir Kopf- und Rückenschmerzen.", antworte ich.
 

„Oh, und du bist erst 19 Jahre alt. Warte ab, bis du auf die 40 Jahre zugehst." Er lacht und fasst sich theatralisch an den Rücken.

„Bist du hergekommen um mir Angst zu machen?", schauspielere ich entsetzt und grinse.

„Nein, im Ernst. Deine Schwester hat jetzt ihren ersten Freund und wie sieht es bei dir aus?"

„Ich habe keinen Freund, wenn du das wissen willst", kommentiere ich trocken. Tom lacht und nimmt die Anspielung, natürlich nicht Ernst. Ich suche unbewusst nach Raphael und entdecke ihn im hinteren Bereich des Wohnzimmers. Die augenblickliche Frustration lässt mich einen großen Schluck aus der Bierflasche nehmen.

„Du bist dieses Jahr mit der Schule fertig. Wie sehen deine Pläne?"

„Noch immer Universität, denke ich. Vielleicht mache etwas in Richtung Grafikdesign oder Mediendesign."

„Oh, dass kannst du, aber nicht hier an der Uni studieren", gibt er überrascht von sich und ich nicke. Die Uni unserer Stadt ist seine Alma Mata. Er und mein Vater haben beide hier studiert. Auch Raphael hat hier sein Studium begonnen.

„Ich weiß", murmele ich und nehme einen weiteren Schluck aus der Flasche.

„Was ist aus Produktdesign geworden?", hakt er nach. Diesen Studiengang gibt es an unserer Uni und es ist auch der, von dem ich ihm beim letzten Mal erzählt habe. Ich druckse herum und kann ihm keine richtige Antwort geben. Raphael ist an der Uni und ich würde das nicht überleben. Ich schaffe es schon jetzt kaum. Aussprechen, kann ich es natürlich nicht. Maya läuft an uns vorbei und Thomas hält sie auf. Er legt einen Arm um ihre schmalen Schultern und ihr ist es sichtlich unangenehm. Ich weiß nicht, ob es wegen ihm oder wegen mir ist.

„Maya, liebes Nichtchen, wie sehen deine Zukunftspläne aus? Mark hat gerade davon gesprochen, dass er komplett aus der Stadt verschwinden will und das macht mich schon etwas traurig." Mein Onkel lächelt, doch Maya sieht mich komisch an.

„Ja, besser ist es auch, denn er nervt mich ganz schön", gibt sie von sich. Ich setze augenrollend die Flasche an und trinke, sehe sie dabei an und trinke weiter. Schluck für Schluck. Sie macht mir das Augenrollen nach.

„Das müssen große Brüder, Maya! Genauso, wie kleine Schwester zicken dürfen." Thomas scherzt, denn er weiß nicht, wie heftig wir beide uns zurzeit bekriegen. Maya ist sofort verstimmt. Doch sie sagt nichts zu seinem Ausspruch, sondern verschränkt nur die Arme vor der Brust.

„Ich werde auf jeden Fall hier zur Uni gehen. Hier, wo auch mein Freund ist."

„Ja, das kann ich nachvollziehen. Guter Plan", sagt mein Onkel und wackelt abwiegend mit dem Kopf umher. Maya löst sich aus Thomas' Umarmung und schiebt sich an mir vorbei. Ich gehe ihr extra nicht aus dem Weg. Hart stößt sie gegen meine Schulter. Sicher tut es ihr mehr weh als mir. Onkel Thomas klopft mir gegen den Rücken und ich weiß, dass er genauso ein Problem mit ihrer zickigen Art hat, wie ich.

Mein erstes Bier leere ich mit Thomas.
 

Das Zweite beginne ich mit dem Vater von Rika, der mich lieb von meiner einstigen Kindheitsfreundin grüßt und dann von ihr erzählt. Ihr Studium läuft gut. Sie ist glücklich. Doch sie ist zu selten zu Hause. Vermutlich ist der letzte Teil eher von ihm. Ich trinke aus als er von seiner Frau weggeschleppt wird.

Es sind Thomas und Harry, der andere Bruder meines Vaters, die mir das dritte Bier in die Hand drücken und mich dann zusammen mit den Kids durch das Haus jagen. Mit dem Alkohol ist meine Stimmung besser und gelöster. Ich klemme mir Andi, den jüngsten Sohn Thomas' unter den Arm und wir terrorisieren unsere Mutter in der Küche. Sie versuchen die Desserts zu dekorieren und den Rest des Essens herzurichten. Meine Mutter scheucht uns mehrfach erfolglos aus der Küche. Ich genieße Andis kindliches Gelächter, die vielen Späße und den Schabernack. Irgendwann ist in jeder Sahnehaube ein Fingerpiekser von Andi zu sehen und in einigen Gläsern fehlt das Schokoladendekor. Die Beute teilen wir brav mit seiner Schwester. Die mahnenden Worte der Mamas ignorieren wir. Die Kinder haben ihre Freude und ich komme meinem Spaßvogelimage nach. Einige aufgeschürfte Knie, blaue Flecke und viele für mich ungünstige Fotografie später, gibt es endlich Abendbrot.

Meine Mutter hat es geschafft eine gigantische Tafel aufzubauen, die quer durch das Esszimmer reicht. Ich kriege das vierte und fünfte Bier vor die Nase gestellt und bin heilfroh, als sich mein Magen endlich mit etwas anderem als Alkohol füllt. Nur hilft es mir nicht mehr. Ich atme tief ein, spüre den näher kommenden Schwindel und das luftige Gefühl, welches sich in meinem Kopf ausbreitet. Mein Blick wandert fahrig über die vielen Verwandten und bekannten Gesichter. Doch ich bleibe bei ihm hängen. Immer bei ihm. Raphael sitzt an der gegenüberliegenden Seite und etwa vier Stühle links von mir. Er ist in ein Gespräch mit meiner Tante vertieft. Seine schönen, wohlgefühlversprechenden Lippen bewegen sich. Ich verstehe nicht, was er sagt und dennoch fixiere ich seinen Mund. Ein Lächeln. Wunderbar. Das kleine Kräuseln auf seiner Nase entsteht dabei und an seinen Augenwinkeln bilden sich für einen kurzen Moment Lachfalten. Mir wird heiß. Ich versuche mich zum Wegsehen zu zwingen, doch es fällt mir schwer. Erst als Raphaels Augen zu mir wandern, sehe ich zurück auf meinen Teller. Er sieht mich direkt an. Ich spüre, wie sein Blick tief in mich eindringt. Es ist ein direkter Blick. Mein Herz schlägt schnell.
 

Mitternacht stoßen wir mit Sekt und Wein an. Nach der Geschenkeübergabe, etlichen Umarmungen und Glückwünschen lasse ich mich komplett benebelt auf der ersten Zwischenplattform der Treppe nieder. Aus der Küche habe ich mir etwas Brot stibitz und schiebe mir nach und nach ein paar abgerissene Stücke des weichen Inneren in den Mund um wieder nüchtern zu werden. Ich sitze im Dunkeln und mein Kopf fällt nach hinten gegen die Wand. Mein Gehirn ist vollkommen lahmgelegt. Jedenfalls die Funktionen, auf die ich hätte Einfluss nehmen können. Also schwelgen meine Gedanken ungehindert.

Für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl Raphaels Parfüm zu riechen. Ich bilde es mir sicher nur ein. Hin und wieder habe ich seinen Blick auf mir gespürt. Doch er ist mir aus dem Weg gegangen. Den ganzen Abend lang. Ich höre Schritte und leise Stimmen. Kurz schiele ich durch das Treppengeländer und sehe ihn dort mit Maya. Sie fährt jetzt zu Nina und ist dann eine komplette Woche fort. Eine Woche von Raphael getrennt. Ihre normalen Verabschiedungszeremonien sind auch so schon eine Qual für mich. Ich will wegesehen, doch mein Gehirn reagiert nicht. Geflüsterte Worte. Blicke. Es folgt eine Umarmung und ich schließe nun endlich die Augen. Auch den Atem halte ich an. Ich höre, wie sich die Tür schließt. Keine dieser langen, endlosen Verabschiedung der Beiden. Sie war dieses Mal eher verhalten. Stille, dann fällt mir Raphael fast über die Füße, als er die Treppe nach oben kommt.

„Scheiße, Mark, was machst du hier?", entfährt es ihm erschrocken und er fasst sich kurz an den Bauch.

„Ich esse!", kommentiere ich fahrig. Ich halte ihm wackelnd mein Brot vor die Nase und öffne erst jetzt die Augen, die ich zusammengekniffen habe um die beiden nicht zu sehen. Mein T-Shirt ist voller Krümel und ich brauche einen Augenblick um Raphael richtig zu fixieren.

„Außerdem habe ich es nicht höher geschafft", lalle ich undeutlich und schließe noch einmal kurz die Augen um den plötzlichen Schwindel zu vertreiben. Es wird nicht wirklich besser.

„Du bist betrunken." Raphael ist ein Schnellmerker.

„Quatsch, ich bin einfach nur gut drauf", pariere ich erstaunlich schnell. Jedenfalls in meinem Kopf. Er hockt sich zu mir. Ich rieche das dezente Aftershave, welches sich mit dem süßen Parfüm von Maya mischt. Mein Blick wandert über sein Gesicht, über seinen Hals zu seiner Brust. Er trägt die Kette mit dem gravierten Anhänger um dem Hals. Die silbernen Glieder bewegen sich durch die pochende Vene, die sich deutlich durch seine Haut abzeichnet. Sein Puls ist nach oben geschnellt. Wahrscheinlich durch den Schreck. Ich sehe ihn an und denke sofort an seine wohlschmeckenden Lippen. Es hat sich gut so angefühlt. Unwillkürlich hebe ich meine Hand und lasse sie, bevor sie seine Brust berührt, sinken. Das Verlangen sein schlagendes Herz zu spüren, brennt heiß in mir. Wie gut, dass es dunkel ist.

„Du bist nicht ansatzweise so lustig, wie du immer glaubst", murmelt er mir entgegen.

„Das sehen meine Neffen und Nichten anders", gebe ich zu bedenken und lächele betrunken vor mich hin.

„Sie sind Kinder. Sie lachen über alles, vor allem wenn man sich zum Volllappen macht." Er hat sicherlich den ganzen Abend mitbekommen, dass ich ein guter Volllappen bin. Ein Grinsen umspielt seine Lippen. Ich möchte sie küssen und schmecken. Einfach nur berühren und das samtige Gefühl genießen.

„Soll ich dir ins Bad helfen?" In diesem Moment hasse ich seine Freundlichkeit. Ich rümpfe meine Nase.

„Nein, mir geht es gut." Ich halte ihm erneut mein Allheilmittel vor die Nase und er kann sich ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. Es ist so schön, wenn er lächelt. Oh, ich hasse es wirklich. Meine Mutter kommt aus der Küche und bleibt im Türrahmen stehen. Sie sieht uns an, kommt auf uns zu und sofort füllen sich ihre Augen mit Sorge.

„Alles in Ordnung, bei euch?" Sie stoppt, als sich Raphael aufrichtet. Ich komme ihm zu vor.

„Alles gut, Mama. Ich hab zu viel gegessen." Und getrunken, hänge ich in Gedanken noch ran und bin erstaunt, wie überzeugend meine Stimme klingt. Raphael ist es auch, denn er blickt zu mir runter. Ich lege meinen Zeigefinger auf meine Lippen und ich weise ihn an, zu meinem Zustand zu schweigen.

„Ja, alles gut. Wir fahren, aber gleich zu mir."

„Ist Maya schon los?", fragt sie Raphael und dieser nickt.

„Ja, sie wurde gerade von Tinas Mutter abgeholt", antwortet er und sieht kurz zu mir. Ich zucke gelangweilt mit den Schultern, schiebe mir ein Stück Brot in den Mund und kaue. Aller Versicherung zum Trotz sieht meine Mama weiterhin skeptisch aus.

„Na gut, sagt Bescheid bevor ihr fahrt und seid vorsichtig."

„Natürlich", versichert Raphael und ich bin mit meinen Gedanken bereits woanders.

„Zu dir, ja?", sage ich spielerisch provozierend, als meine Mutter wieder zu ihren Gästen gegangen ist.

„Noch kannst du im Keller schlafen", knurrt er mir leise entgegen und ich hebe eine Braue.

„Oh, hast du Angst davor, dass ich heute Nacht so mit dir reden will, wie du es letztens getan hast?" Die Erinnerung an den Geschmack seiner Lippen auf meinen durchfährt mich unweigerlich. Ich bekomme Gänsehaut, die sich über meinen gesamten Körper zieht und erst in meinen Zehenspitzen verebbt. Ein leichter Schimmer funkelt in seinem Blick. Seine Erinnerungen sind ebenso geweckt. Trotz des eisernen Schweigens.

„Ach warte, wir schweigen ja beide. Anschweigen und Aussitzen ist deine Devise, oder?", provoziere ich ihn weiter. In meinem berauschten Zustand befällt mich die Wut über das ewige Hin und Her. Raphael packt mich am Kragen und zieht mich auf die Knie. Es ist nicht grob, aber es erschreckt mich.

„Halt einfach mal deinen Mund, kriegst du das hin?"

„Stopfe ihn mir doch!", stachele ich ihn auf als mein Blick direkt auf seine Körpermitte fällt. Ich habe gerade die perfekte Position. Als sehe ich auf und erkenne Wut und Scham in seinen Augen. Er lässt mich abrupt los und schwingt sich die Treppe nach oben. Ich sacke in mich zusammen, falle auf meinen Hintern zurück und ärgere mich über mein verdammtes Mundwerk. Dennoch genieße ich das aufgeregt Kitzeln in meinen Fingern, welches meine Glieder durchwandert und mich prickelnd erregt. Es dauert nicht lange und Raphael kommt mit seiner Jacke und seinem Rucksack zurück.

„Nimmst du irgendwas mit?", fragt er mürrisch und geht direkt an mir vorbei. Ich zucke mit den Schultern.

„Komm jetzt oder ich überlege es mir anders", fährt er mich säuerlich an und ich deute auf den Rucksack, der bereits in der Garderobe steht und versuche mich aufzurichten. Doch meine Beine geben nach. Mir ist schwindelig. Ich spüre, wie mich Raphael erneut am Arm packt. Dieses Mal sanfter, weil er mich hält. Jeder Muskel in meinem Körper spannt sich an.

„Das hast du von deinem großen Mundwerk!", knurrt er sanfter, als beabsichtigt und ich sehe ihn an. Verärgerung und Wut mischt sich mit Sorge. Es ist ein seltsamer Anblick und erneut durchfährt mich ein intensives Kribbeln. Vor allem in der Lendengegend.

Nur eine kurze Verabschiedung in großer Runde und ich wanke zu Raphaels Auto. So viel zu meinem Plan mit ihm in Ruhe zu reden. Noch immer braucht mein Kopf Ewigkeiten um einen vollständigen Satz zu denken. Zu dem sendet mein betrunkenes Gehirn viele unterschiedliche Signale, die hin und wieder extrem unpassend sind. Ich spüre Unsicherheit Raphael gegenüber, aber zu gleich das absolute Verlangen nach ihm.

Nach dem Gespräch auf der Treppe ist mir mulmig. Raphael wartet bis ich angeschnallt bin und fährt los. Der Geruch seines Körpers erfüllt das Auto und mein alkoholisiertes Gehirn lässt jede Faser meines Körpers intensiv darauf reagieren. Raphael fährt die Scheibe auf meiner Seite runter, so dass kühler Fahrtwind auf meine Haut trifft. Es ist gut. Es ist angenehm. Ich spüre, wie es meine Haare durcheinander wirbelt, doch es ist mir egal. Die gesamte Fahrt über spüre ich meinen Puls, der rast und pocht. Verstohlen sehe ich zum Fahrer. Sein Profil im Licht des Mondes. Ich bekomme schon wieder Gänsehaut.
 

Raphael lebt in einer kleinen 1 1/2-Zimmer-Wohnung, die für die typischen Studentenzwecke eingerichtet ist. Schreibtisch, Bett und eine kleine Couch mit Fernseher im Hauptzimmer. Das halbe Zimmer besteht im Grunde nur aus seinem Bett. Ich stehe unschlüssig im Flur, sehe dabei zu, wie er ein paar Dinge hin und her räumt und mir dann meine Jacke abnimmt. Während der Fahrt hat sich mein Zustand wieder etwas gebessert. Mein Kopf ist klarer und ich bereue die Aussprüche, die ich vorhin auf der Treppe von mir gegeben habe. Es ist nicht nur für mich eine seltsame Situation. Ständig frage ich mich nach dem Warum. Ich denke an seine Reaktionen, als ich ihn damals betrunken in Mayas Bett gelegt habe, erinnere mich an den Moment, in dem er über unser erstes Zusammentreffen sprach und welche glücklichen Gefühle ich dabei empfunden habe. Ich bin ihm nicht egal, doch was sieht er in mir? Einen alten Schulfreund, einen Kumpel oder bin ich einfach nur der Bruder seiner Freundin. Wieso lässt er dann meine Berührungen zu? Er hat meine Nähe gesucht, mehr als einmal. Ich bilde es mir nicht ein, dessen bin ich mir sicher.

Ich sehe mich in seinem Wohnzimmer um, blicke auf die bereits ausgezogene Couch und schlucke. Sogar eine Decke und ein Kissen liegen bereit. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, dass er sich wirklich so sicher war, dass ich hier her kommen würde. Hat er es vielleicht gewollt? Vielleicht sogar gehofft? Meine Unternehmungen einen anderen Schlafplatz zu finden, waren dürftig, aber ich hatte mich umgehört.

Er spüre etwas kühles Feuchtes an meinen Arm und drehe mich erschrocken um. Raphael hält mir eine kalte Wasserflasche hin und ich nehme sie dankend entgegen.

„Das eben tut mir Leid", sage ich. Er sieht mich an. Ich sehe wieder das Zögern. „Können wir reden?"

„Worüber, dass du manchmal unausstehlich bist?", entgegnet er bissig.

„Nun klingst du wie Maya", wettere ich zurück. Aber es bedrückt mich. Raphael sieht auf die Flasche in seiner eigenen Hand. Ich sehe dabei zu, wie sich sein Brustkorb auffällig unruhig hebt und senkt. Er hadert.

„Bitte, lass uns darüber reden", bitte ich noch einmal leise und ruhig, doch er atmet nur tief ein.

„Ich... ich kann dazu nichts sagen", sagt er leise und verlässt den Raum. Wenig später höre ich das leise Rauschen der Dusche und lasse mich auf die gemachte Couch nieder. Will er das Geschehene wirklich totschweigen? Welche Lösung soll das sein? Es frustriert mich und ich verspüre das Bedürfnis laut zu schreien. Doch ich bleibe still.
 

Unschlüssig stehe ich ihm Wohnzimmer und lassen meinen Blick umher wandern. Auf seinem Schreibtisch stehen etliche Bücher, Blöcke und Notizhefte. An der Wand kleben Tabellen, Diagramme und Fotos. Ich stehe auf und betrachte die Fotos etwas genauer. Ich sehe Marika und einige andere, die ich ebenfalls durch die Partys kenne. Ehemalige Schulfreunde. Raphael neben einem älteren Paar. Wahrscheinlich seine Eltern. Ein Bild von Maya in perfekter Mädchenpose mit zuckersüßem Augenaufschlag. Maya und er. Auf einem halten sie Händchen. Ein anderes zeigt sie bei irgendeiner Veranstaltung. Es sind nicht sehr viele. Maya hat eindeutig mehr von diesen Pärchenbildern in ihrem Zimmer hängen. Einige Bilder fehlen, denn nur noch das kleine Loch der Reißzwecke ist in der Wand zu sehen.

Die Geräusche in der Dusche verstummen. Ich sehe mich weiter um, schaue mir die Bilder und Aufzeichnungen an. An einem der Fotos vom Schulgelände hängt das getrocknete Blatt eines Ahornbaums. Eines von denen, die vor unserer Schule stehen. Ich lasse meine Finger über die getrockneten Zähne der Ränder streichen und erinnere mich wie wunderschön die Blätter im Herbst sind. Auch dieses ist rot und scheint fast zu leuchten.

„Das Bad ist frei. Ein Handtuch habe ich dir hingelegt." Meine Hand zuckt zurück. Langsam drehe ich mich zu Raphael um. Er steht mit Shorts und T-Shirt in der Tür. Seine feuchten Haare hinterlassen kleine Wasserflecken auf dem Shirt.

„Okay, danke." Er geht nicht, sondern sieht mich nur an. Es ist das zweite Mal an diesem Abend, dass er mich mit diesem Blick bedenkt. Wieder formulieren sich die Fragen in meinem Kopf, deren Antworten endlich ein klares Bild zeichnen würden.

„Schlaf gut", flüstert er leise.

„Raphael, bitte, lass uns darüber reden", wage ich einen weiteren Versuch. Ich mache einen Schritt auf ihn zu. Doch er wendet sich ab und ich höre daraufhin, wie sich die Tür zu seinem Schlafzimmer schließt. Wie erwachsen. Seine ausweichende Reaktion macht mich wütend. Ich presse die Flasche in meinen Händen zusammen. Wasser läuft über meine Finger und ich schmeiße die Flasche, nachdem ich sie geschlossen habe, auf die Couch. Danach gehe ich ins Bad.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Morphia
2014-08-16T06:18:27+00:00 16.08.2014 08:18
So hab ich mir das jetzt aber nicht vorgestellt... T.T
Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie das wieder hinkriegen wollen. Zumindest ist die traumhafte Nacht, die ich mir vorgestellt habe, wohl nicht mehr zu erwarten, oder? *Welpen Blick aufsetz*
Von:  ellenorberlin
2014-08-14T20:21:58+00:00 14.08.2014 22:21
das ist hart...bin gespannt wie er die Nacht übersteht .___.
Von:  Kari06
2014-08-14T18:16:04+00:00 14.08.2014 20:16
Ahh...das ist ja echt zum Haare raufen!!!

Ich kann Raphael ja irgendwie verstehen aber ich möchte ihn trotzdem am liebsten packen und kräftig schütteln.


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