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Dancing under the Full Moon

von

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Pokerpartie

Lydia massierte sich die Schläfen. Dieser Anblick… „Scott“, wandte sie sich ihm zu, „erklär mir doch bitte mal was hier los ist, bevor ich anfangen muss zu schreien.“

„Könntest du vorher das Licht aus meinem Gesicht nehmen? Danke.“

Widerwillig senkte Lydia ihr Handy. Sie stemmte ihre Linke in die Seite und fing ungeduldig mit dem Fuß an auf den Boden zu tippen.
 

Scott seufzte. „Ich schätze du hast Recht Malia, wir müssen ihn wieder hinstellen, ansonsten findet das hier nie ein Ende. Wir nehmen ihn rechts und links unter den Armen und ziehen ihn hoch. Auf drei, ok?“
 

Ein Feuerzeug schnappte irgendwo links von Lydia auf und sie konnte Dereks ernstes Gesicht im Feuerschein erkennen. Dann flammte eine Kerze auf. Und noch eine. Offenbar hatten sie mehrere Teelichter über den Tisch verteilt, wie sie nun sehen konnte, und mit dem Anzünden wohl auf sie gewartet, da sie als einzige das Extra-Licht wirklich brauchte. Weil sie offenbar die Einzige war, die noch normale, menschliche Augen hatte.

Stiles hat leuchtend blaue Augen…‘, dachte Lydia. ‚Leuchtend… blau…‘.

Dieser liebenswert durchgeknallte Junge, den sie schon ihr halbes Leben lang kannte… war plötzlich zu etwas… anderem geworden. Sie hatte gedacht, nach der Sache mit dem Nogi würde sie eigentlich nichts mehr wirklich schocken. Pustekuchen. ‚Stiles, das unbekannte Wesen…‘

Nun, wo der Raum endlich erleuchtet war, konnte Lydia die Bescherung in vollem Ausmaß genießen. Es gab eigentlich nur eine treffende Bezeichnung dafür: Ketten-Massaker. Sie verfolgte gemeinsam mit Kira, wie Scott und Malia versuchten Stiles aufzurichten. Kira flüsterte ihr dabei ein „Das kriegen die nie ohne Bolzenschneider hin“, ins Ohr. Ihre Schultern bebten vor unterdrücktem Lachen.
 

Derek war indes zu ihnen getreten und sah über ihre Schultern den vergeblichen Anstrengungen der anderen zu. „Bolzenschneider“, wiederholte er nachdenklich. „Ich glaube so was hätten wir sogar noch hier. Restbestände von den Besetzern… Wartet mal kurz.“ Er verschwand aus dem Raum. Kurz darauf konnten sie ein lautes scheppern hören. Wenige Augenblicke später kam er wieder und hatte einen großen Bolzenschneider in den Händen, den er Scott hinhielt.
 

„Mach du ruhig, Derek. Rette die Jungfer in Nöten.“

„Ha ha, Scott, sehr komisch.“
 

Es machte ungefähr ein Dutzend Mal ‚Kling‘ und die Kette fiel in mehreren Stücken von Stiles ab.

„Puh“, machte Stiles und reckte sich ein wenig. Dann zuckte er zusammen. „Argh, Krampf.. Krampf… KRAMPF…“ und begann auf einem Bein zu hüpfen. Allerdings hatte er noch immer nicht die Hände frei, wie Lydia bemerkte. „Wollt ihr die nicht auch aufschneiden?“, fragte sie.

Scott schüttelte mit dem Kopf. „Der Sheriff hat uns extra den Schlüssel mitgegeben, weil er die Handschellen eigentlich noch braucht.“ Er sah Derek an, der den Bolzenschneider über seine Schulter gelegt hatte. „Der Schlüssel?“

Der Ältere kramte in seiner Jackentasche und warf dann Scott das gewünschte zu. „Brauchen wir den hier noch?“, fragte er und deutete mit einem Nicken auf den Schneider. „Sonst packe ich den erst mal wieder weg.“

„Das wird schon so gehen, Danke Derek. Umdrehen Stiles, dann mach ich dir die Dinger auch ab. Und hör auf zu hüpfen!“

„Aber mein Bein ist eingeschlafen“, maulte er.

Malia legte den Kopf schief. „Ich dachte du hast einen Krampf?“

„Ja das auch. Das heißt… kann man in seinem Hintern einen Krampf bekommen?“

Lydia räusperte sich lautstark. „Ich warte immer noch auf Antworten.“

„Und ich darauf, dass der aufhört zu hüpfen... Bleib endlich mal stehen, Stiles!“ Malia griff an dieser Stelle beherzt ein, in dem sie einfach mit beiden Händen Stiles Gesicht zu ihr zog und ihn anfing zu küssen. Woraufhin Stiles große Augen machte und ruhig wurde. Das erste Schloss schnappte auf und sofort griff er mit der freien Hand nach Malias Kopf und begann in ihren Haaren zu wühlen.

Schließlich schaffte Scott es auch die andere Hand frei zu bekommen. „Und beherrsch dich gefälligst, sonst lege ich dir die Dinger in Nullkommanichts wieder an, verstanden?“
 

Lydia hatte Kopfschmerzen. Eine dicke fette Ader, die hinter ihrer Stirn puckerte und von Minute zu Minute wurde es schlimmer. Was war nur mit diesen Wölfen los? Hatten etwa alle die Aufmerksamkeitsspanne einer Fliege? Sie hatte das Gefühl, sie würde gleich platzen, wenn ihr nicht endlich mal jemand antworten würde.
 

In dem Moment raunte Derek mit leiser Stimme in ihr Ohr. „Es ist Vollmond, dränge sie nicht zu sehr, das können die im Augenblick nicht vertragen.“

Lydia zuckte vor Überraschung ein Stück zurück. Wann hatte er sich so nahe an sie herangeschlichen? „Ist mir egal Derek, ob Vollmond ist oder nicht, ich kann das heute auch nicht vertragen. Ich bin extra zu diesem blöden, finsteren Haus rausgefahren, weil ich hier angeblich sehnsüchtig erwartet werde, aber anstatt mir zu erklären was hier los ist, werde ich ignoriert. KANN MIR NUN ENDLICH MAL EINER SAGEN WAS DAS ALLES SOLL?“
 

Die Wölfe und der Fuchs zuckten zusammen. Lydia konnte als Banshee ganz schön laut werden, wenn sie wollte.

Scott hob die Hände in einer besänftigenden Geste. Er näherte sich ihr vorsichtig, als würde er vor einem wilden Tier stehen. „Ganz ruhig Lyds, wir erklären dir alles. Tief durchatmen und nicht mehr schreien bitte, ok? Wie wäre es, wenn wir uns hinsetzen und…“

„Ich hab die ganze Zeit gesessen“, maulte Stiles auf, der inzwischen mit dem Knutschen aufgehört hatte, weil Malia sich interessanteren Dingen wie den Sachen, die Lydia mitgebracht hatte zuwandte.

„STILES!“

„Was?“

„Deine 'Erdbeerblonde Göttin' möchte ein paar Antworten und du heulst hier rum. Jetzt haben wir dich schon losgemacht, würdest du also gefälligst mal versuchen dich am Riemen zu reißen? Sonst bist du eins-drei-fix wieder in Ketten. Aber diesmal mit Knebel!“

Stiles duckte sich unter Scotts Stimme automatisch und zog den Kopf ein. „Tschuldigung?“

Irgendwie fand Lydia das ziemlich witzig.

Scott atmete einmal tief durch. Dann sah er Lydia an. „Darf ich vorstellen? Lydia, das ist Stiles, neuester Werwolf von Beacon Hills. Stiles, das ist Lydia unsere Banshee. Lydia – Stiles, Stiles – Lydia. Und jetzt brauch ich erst mal was zu trinken.“
 

****

Die sechs saßen um den provisorischen Tisch herum. Jeder hatte Spielkarten in der Hand, Gummibärchen vor sich liegen und ging mit Ausnahme von Lydia und Derek im Geiste immer wieder die Regeln durch, bevor eine Karte gezogen wurde oder der Einsatz in den Topf geworfen wurde (alle hatten als Startkapital 30 Bärchen bekommen und Stiles hatte darauf bestanden unbedingt nur die roten haben zu wollen…).
 

Nach und nach wurden die Stapel vor den Spielern immer kleiner. Außer bei Lydia, da häufte sich Gewinn um Gewinn an. Derek konnte sich auch einigermaßen behaupten, aber gegen die geballte Intelligenz und Gewitztheit von Lydia war selbst er machtlos. Kira hatte sich von Anfang an als Kartengeber aus dem Spiel genommen und beobachtete sie alle nun feixend.
 

„Und schon wieder gewonnen!“ frohlockte Lydia und legte ihr Blatt auf den Tisch. Sie grinste süffisant. „Das scheint kein Spiel für Werwölfe zu sein…“ Sie sammelte die gewonnen Gummibärchen ein und sortierte sie nach Farbe vor sich. Kira nahm unterdessen die Karten von allen entgegen und begann sie zu mischen.
 

Lydia lehnte rücklings an die Wand und schaute von einem zum anderen. „Also für mich noch mal zum Mitschreiben“, begann sie und zeigte auf Stiles, „du bist jetzt auch ein Werwolf. Aber Scott“, sie wandte ihren Blick und den Finger nun dem Alpha zu, „hat dich eigentlich gar nicht gebissen, sondern nur den Dark-Stiles mit dem Nogitsune-Teil. Und heute Abend bei Vollmond hast du“, sie sah wieder zurück zu Stiles, „überraschender Weise angefangen dich zu verwandeln, weshalb dein Dad dich erst mit einem Elektroshock außer Gefecht gesetzt hat, dann in Handschellen legte und schließlich Scott zu Hilfe rief. Dann hat die Bande dich hierher gebracht und in Ketten gelegt. Aber nach einiger Zeit hattest du deine mörderische Wolfsnatur im Griff und sie haben dir die Ketten wieder abgenommen. Und nun sitzen wir hier zusammen beim Kartenspiel, weil Malia gerne Stripp-Pokern lernen möchte… Hab ich irgendwas vergessen?“

Derek brummte etwas Unbestimmtes nickte aber dazu. „Grob zusammengefasst stimmt das.“

Scott nahm seine Karten auf und betrachtete das Blatt. Nicht berauschend. Er legte ein Bärchen in die Mitte. „Und Stiles wollte gerne, dass du dazu kommst, weil er noch seinen Anker sucht und du die Topkandidatin dafür bist.“

Lydia schnaubte. „Nach dem was zwischen ihm und Malia ablief vorhin bezweifle ich, dass ich die Liste ganz oben anführe.“ Sie sortierte eine Karte aus und lies sich von Kira eine neue geben. Von ihr wanderte ebenfalls ein Bärchen in die Tischmitte. Stiles protestierte, aber nicht sehr glaubhaft, weil als nächstes Malia ihm ein paar Salzstangen zwischen die Lippen schob und er mit einem strahlenden Lächeln antwortete. Lydia blickte in die Runde. „Ok, Jungs, und was habt ihr nun vor?“

Derek sah sie über seine Karten hinweg an. „Was meinst du?“ Er warf auch ein Bärchen in den Pott und legte die Karten verdeckt vor sich auf den Tisch. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte er sich zurück.

Lydia blickte ihn spitzbübisch an. Sie grinste frech. „Na ihr seid doch jetzt ganz offenbar ein komplettes Pack. Wollt ihr nicht ne Runde durch den Wald rennen und den Mond anheulen?“

Scott sah sie irritiert an. „Die Frage war jetzt aber nicht ernst gemeint, oder?“

Lydia und Kira sahen sich an. Beide verdrehten im Gleichklang die Augen. Jungs waren ja manchmal sowas von begriffsstutzig… „Die erste Frage schon, aber der Vorschlag wohl kaum. Hallo? Ich bin selber schon mit einem durchgeknallten Werwolf zusammengestoßen. Bin froh, dass kaum Narben zurückgeblieben sind. Das würde ich keinem anderen antun wollen.“ Sie strich sich unbewusst über die Seite, wo sie damals von Peter mit den Klauen verletzt worden war. Energisch schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich dachte eigentlich eher darüber nach, ob ihr nicht alle zusammenziehen solltet.“
 

Diesmal war es Scott, der sich fast an seiner Cola verschluckte. Besorgt klopfte ihm Kira den Rücken. „W-was?“

Lydia legte den Kopf in ihre Linke und stütze sich auf der Tischplatte ab. „Wo ist das Problem? Ist es nicht das, was Wolfsrudel normalerweise machen? Gemeinsam eine Höhle bewohnen?“ Sie winkte mit der Rechten unbestimmt im Raum herum. „Für mich qualifiziert sich diese... Örtlichkeit eindeutig als Höhle. Allerdings solltet ihr unbedingt einen Innenarchitekten beauftragen. Das hält ja kein normaler Mensch auf Dauer aus.“

Malia schob die Unterlippe vor. „Meine Höhle war sehr gemütlich…“

Lydia legte Malia die Hand auf den Arm. „Nichts gegen dich oder dein letztes Zuhause, Herzchen, du wusstest es damals halt nicht besser. Aber ihr könnt das doch besser, als das hier.“ Sie sah Derek herausfordernd in die Augen. „Oder etwa nicht?“ Derek grinste schief und nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche.
 

Aber es war Stiles, der antwortete. „Lydia, dir ist schon klar, dass wir alle noch minderjährig sind, oder? Naja, abgesehen von Mr. Grummelwolf hier. Du glaubst doch wohl nicht, dass das so einfach geht? Mit dem Zusammenziehen meine ich. Unsere Eltern haben da auch noch ein Wörtchen mitzureden. Und ist schließlich nicht so, als wenn wir einfach gemeinsam in ein Wohnheim einer studentischen Verbindung einziehen könnten. Wir sind ja nicht mal Studenten.“

„Aber wär doch witzig“, antwortete Malia und griff in die Tüte mit den Nachos. „Wir schreiben groß über die Tür ‚Home of the Pack’ und malen die griechischen Zeichen für Alpha-Beta-Omega daneben. Der Dip ist übrigens alle“, stellte sie fest und packte das Glas zurück in den leeren Einkaufsbeutel.

„Priorität, Malia. Konzentration auf das wesentliche ist grad wichtiger. Essen kommt erst nach Überleben. Ohne Überleben brauchen wir nämlich keines mehr.“ Stiles hatte eine leicht panische Note in seiner Stimme.

Malia zuckte mit den Schultern. „Für mich hat Essen Priorität. Gibt es neben Sauerstoff irgendwas Wichtigeres?“

Selbst Lydia kicherte. „Da hat sie nicht Unrecht, Stiles.“

Stiles schnaubte auf. „Ja ja, alle auf den Neuling, ist schon klar. Also Malia, du willst ernsthaft offen verkünden wo wir wohnen, falls wir da wohnen. Also falls wir ein gemeinsames Haus beziehen sollten natürlich vorausgesetzt.“ Stiles warf die Hände in die Luft. „Ja klar, weil wir damit auch überhaupt keine Aufmerksamkeit erregen. Warum nicht gleich ne Leuchtreklame: ‚Alle Jäger zu uns. Hier sind Werwölfe, die ihr killen könnt’.“ Stiles schüttelte den Kopf mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen. „Blöde Idee. Ganz ganz blöd.“ Er zeigte mit der Hand auf Derek. „Los, sag’s ihr, Derek. Sag ihr, dass das eine ganz ganz dumme Idee ist, richtig Derek?“ Stiles zog die Augenbrauen zusammen. „Derek?“, fragte er noch mal verunsichert, weil der nicht geantwortet hatte.
 

Derek saß nur da, immer noch dieses schiefe Grinsen im Gesicht und führte sein Blickduell mit Lydia fort. Unsicher schaute Stiles von einem zum anderen. „Scott, was machen die beiden?“

Aber Scott’s Gesicht hatte seinerseits einen nachdenklichen Ausdruck angenommen und er schien den Vorschlag ernsthaft zu überdenken.
 

„Scott, nein. Scott!“ Er zupfte ihm am Ärmel. Als das nicht half schnipste er mit den Fingern vor seinem Gesicht herum. „Scott, dass könnt ihr nicht ernst meinen.“ Langsam schob er wirklich Panik. Eigentlich hatte er nicht vor so schnell den Löffel abzugeben, nachdem er es gerade erst geschafft hatte seine erste Verwandlung zu überleben. Das konnten ihm doch die anderen nicht antun...

Endlich wandte sein Freund ihm das Gesicht zu. „Also eigentlich...“

„Ist das gar keine so schlechte Idee“, vollendete Derek den Satz. Lydia lächelte zufrieden. Derek wandte seinen Blick zu Stiles. „Überleg doch mal. Schon mal was von ‚Hiding in Plain Sight’ gehört? Wenn wir das richtig anstellen, würde keiner je glauben, dass sich dahinter wirklich Werwölfe verbergen.“

„Und eine Wercoyotin“, warf Malia ein. „Ihr glaubt doch nicht, dass ihr mich da raushalten könnt.“

Scott blickte aus den Augenwinkeln unsicher zu Kira.
 

Malia lächelte. Aus ihren Augen glitzerte der Schalk. Sie beugte sich vor zu Kira. „Und für einen Fuchs haben wir sicher auch noch Platz.“ Sie zwinkerte dem Fuchs zu. Kira lächelte verträumt bei der Vorstellung auf, mit allen zusammen eine WG zu bilden. Besonders, wenn ein ganz bestimmter Alpha-Wolf dabei wäre.

Scott räusperte sich und schaute Kira von der Seite an. Seine Stimme war leicht heiser, als er sagte „Ohne Fuchs würde etwas wichtiges fehlen...“
 

Kira strahlte Scott an. Dass er sie in einem Wolfshaus auch würde haben wollen gefiel ihr. Sie beugte sich vor und flüsterte ganz leise in sein Ohr „Irgendwer muss ja auf euch aufpassen“. Dann gab sie ihm einen zarten Kuss auf die Wange. Er drehte ein wenig den Kopf zur Seite. Ihre Nasen berührten sich fast. Er legte den Kopf etwas schräg und beugte sich vor, und beide küssten sich.

„Oh bitte, fangt nicht wieder mit dem Süßholzraspeln an."

Derek grinste. "Neidisch, Stiles?"

"Oder eher eifersüchtig?", setzte Lydia nach. Beide strahlten und Stiles ließ den Kopf auf den Tisch knallen. „Aua“, sagte er gequält.
 

Alle lachten.
 

****
 

Währenddessen irgendwo tief im Wald. Das Gelächter konnte nicht bis hierhin vordringen, die dicken Kellerwände dämpften den Klang der Stimmen. Und dennoch wurde plötzlich die nächtliche Stille durchbrochen. Rehe hoben den Kopf und schnaubten unsicher auf, während sie ihre Umgebung prüften. Schnelle schattenhafte Bewegungen verursachten ein Rascheln im dichten Unterholz. Ein leises Knacken von Zweigen auf dem feuchten Waldboden war zu hören. Ein Käuzchen schrie auf und flatterte davon, aufgescheucht von einer unbekannten Präsenz. Für menschliche Augen unsichtbar bewegte sich der Schatten in schier übermenschlicher Geschwindigkeit voran. Und nur wer genau wusste, wonach er Ausschau halten müsste, könnte die Gestalt überhaupt bemerken.
 

Doch dann war der Wald zu Ende.
 

Das heißt, eigentlich nicht zu Ende, nur unterbrochen.

Vor der Gestalt tat sich eine mondbeschienende Lichtung auf, in deren Mitte eine alte Eiche stand. Majestätisch reckte sie ihre vollen Äste dem Vollmond entgegen. Sie mochte mehrere Hundert Jahre alt sein. Der Stamm war dick und knorrig, die Rinde rissig. Und doch trotzte sie den Jahreszeiten und den Tieren, die auf Nahrungssuche immer wieder ihre Zweige zu erobern versuchten. Was mochte dieser Baum nicht schon alles erlebt haben, seit er aus einem kleinen Samen hervorgekommen war?
 

Sobald die Gestalt den Schutz des Waldes verlies und einen Schritt auf die offene Fläche tat, verdichteten sich die Schatten zu einer menschlichen Form. Langsam und geräuschlos bewegte er sich auf den zentralen Baum zu. Es waren keine Laute von Tieren zu hören und selbst der Wind war mit einem Mal verstummt. Als würde der Wald selber die Luft anhalten. Und doch… lag eine leise Melodie in der Luft. Sphärische Klänge von überirdischer Schönheit. Selbst einem aufmerksamen Zuhörer wären diese Melodien wohl entgangen. Kein menschliches Gehör konnte je solche Töne wahrnehmen, wie sie in den Ästen des Baumes zu schweben schienen.
 

Schließlich erreichte die schattenhafte Gestalt den Stamm des Baumes. Kurz zögerte sie, als sammle sie sich oder würde die Luft nach fremden Einflüssen testen. Dann streckte sie einen Arm aus und fuhr mit einer geisterhaften Hand die Rinde des Baumes entlang, einmal im Uhrzeigersinn um den ganzen Stamm. So, als wollte sie sicherstellen, dass alles in Ordnung war, alles unverändert sei.
 

Scheinbar zufrieden trat die Gestalt schließlich einen Schritt zurück, prüfte noch einmal die Gegend und trat zwei Schritte vor, direkt in den Baumstamm hinein, und verschwand.
 

Die Musik hing weiter in der kühlen feuchten Nachtluft, doch langsam kam wieder Bewegung in die Zweige und die Blätter rauschten in der sanften Brise und malten bewegte Schattenbilder auf den Waldboden.



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