The One
Der Sonntag machte seinem Namen keine Ehre. Er war das komplette Gegenteil davon. Der Wind schien noch eisiger zu sein als am Vortag. Der Himmel war noch grauer als in all den Wochen zuvor. Es bahnten sich nicht nur einzelne Schneeflocken ihren Weg zum Boden sondern eine ganze Armee. Die Bäume in den Parks von Tokio ächzten unter der zentimeterdicken Schneelast. Der Winterdienst kam kaum hinterher, die Straßen zu räumen. Weder die Hauptverkehrsadern noch die Nebenstraßen. Die Menschen kamen kaum zu Fuß voran. Denn trotz allem waren die Straßen belebt. Tokio war noch nie eine ruhige Stadt gewesen und würde es auch nie sein. Die Leute trieb es trotz des Wetters nach draußen. Gegen ihre eigene Vernunft und die Aussagen des Wetterdienstes im Fernsehen, dass es gescheiter wäre lieber Zuhause zu bleiben und einen ruhigen Sonntag in den eigenen vier Wänden zu verbringen, liefen sie durch die Straßen und trotztem dem Wetter. Oftmals eilten sie aber auch nur von Geschäft zu Geschäft und dann in ein gemütliches Café oder Restaurant, um sich dort aufzuwärmen.
Auch im Crown waren einige Bewohner des Stadtteils Juuban zu finden. Vor allem Jugendliche die es nicht lassen konnten und sich unbedingt mit Freunden treffen mussten, um zusammen mit denen an den Spielekonsolen Spaß zu haben, bevor am nächsten Tag der Schultag wieder startete.
In der hintersten Ecke saßen vier Stammgäste. Und auch einer der Angestellten saß bei ihnen und den beiden Katzen. Motoki hatte heute frei und die Mädchen nutzen es schamlos aus: Sie hatten ihn gleich nach dem Aufstehen dazu überredet, seinen Mitarbeiterrabatt zu nutzen und sie alle zum Frühstück einzuladen. Erst hatte er abgelehnt, aber auf die Nachfrage von Minako, ob er den Rabatt bis jetzt denn überhaupt schon mal genutzt hatte, musste er mit dem Kopf schütteln. Und hatte verloren. Sie hatten Glück gehabt und warem im Crown angekommen, bevor es zum einen voll und zum anderen der Schneesturm stärker wurde. Nun saßen sie alle zusammen vor ihrem American Breakfast samt Kaffee und Orangensaft. Luna und Artemis hatten beide ein Schälchen lauwarmer Milch vor sich. Wurden behandelt wie normale Gäste. Sehr zu ihrer beiden Wohlgefallen.
“Hat eine von euch nochmal versucht, Usagi zu erreichen?”, Minako biss von ihrem Croissant ab und schaute in die Runde. Alle bis auf Ami schüttelten den Kopf.
“Ich habe es vorhin versucht.”
”Und?”
”Nichts.”, das Mädchen trank einen Schluck ihres Kaffees, “Ihr Handy ist zwar angewesen, aber ich wurde weggedrückt.”
”Weggedrückt?”
“Beruhig dich, Rei.”, Makoto hob beschwichtigend die Arme, bevor sie wieder zu Ami blickte, die ihr gegenüber saß.
“Warum sollte ich das tun? Anscheinend ignoriert sie ja unsere Sorgen, also hab ich doch allen Grund, mich aufzuregen.”
”Wenigstens wissen wir jetzt, dass es ihr gut geht.”
”Sie könnte auch entführt wurden sein.”
”Minako!”, Ami ließ fast ihr Messer fallen.
“Wie kommst du denn da drauf? Sie ist doch an ihr Handy gegangen. Auch wenn sie Ami weggedrückt hat.”
“Mag ja sein, Motoki. Aber es könnte auch der Entführer gewesen sein, der aufgelegt hat.”
”Du hast echt zu viele schlechte Krimis gesehen.”, seufzte Rei.
“Vielleicht will sie auch einfach nur ihre Ruhe haben.”
”Vor was denn, Mako? Vor uns? Wir wollen ihr ja nur helfen. Das ist alles.”
”Eigentlich wollen wir das nicht.”, Ami schaute mehr als schuldbewusst auf ihren Teller, “Wir haben nichts weiter getan, als sie permanent zu löchern und zu fragen, warum sie so komisch ist. Und selbst als wir gestern Nachmittag erfahren haben, dass sie und Mamoru sich geküsst haben, hatten wir nichts besseres zu tun, als sie zu fragen. Beide zu fragen wie und wann und wo und warum und ob noch mehr dahinter steckt. Aber wir haben ihr nie wirklich Hilfe bei der Lösung ihres Problems angeboten.”
”Welches Problem denn?”, Minako schaute dumm aus der Wäsche. Für die Blondine war es ganz klar, dass Mamoru und Usagi ineinander verliebt waren. Sie sah da überhaupt kein Problem darin, dass sich die beiden geküsst hatten. Sah nicht, dass Usagi damit in einen Gewissenskonflikt geraten war.
“Stell dich doch nicht so blöd. Du bist schon wie Usagi.”
”Oh, das ist fies, Rei.”
”Es ist nur die Wahrheit.”
”Hört auf zu streiten.”, Makoto schaute die beiden Streithennen scharf an und dann zu Ami, “Was denkst du, sollten wir tun. Sie in Ruhe lassen und uns nicht mehr aufdrängen?”
”Nein. Das nicht. Wir wissen ja noch nicht mal, wo sie ist.”
”Probiert es doch zuhause. Wenn sie bei Naru nicht ist, wird sie wohl da sein.”, Motoki legte Messer und Gabel ordentlich auf seinen jetzt leeren Teller ab.
“Es gäbe noch eine andere Möglichkeit, wo sie sein könnte.”
“Sie ist nicht bei Mamoru.”, Ami schaute zu Makoto und schüttelte dabei den Kopf.
“Woher weißt du das?”, jetzt war auch Minako neugierig geworden und auch Rei blickte sie fragend an.
”Weil ich ihn vorhin angerufen habe.”
“Warum hast du uns das denn nicht gesagt.”
”Weil es eh nicht wichtig ist. Sie ist nicht bei ihm.”
“Ein Glück.”
Alle Blicke glitten zu Rei, die sofort rot wurde bei ihren Worten.
“Du bist doch eifersüchtig.”, die Blondine grinste über das ganze Gesicht.
“Ja, na und? Ich kann nun einmal nichts dafür.”
”Ich dachte, dir wäre es egal.”
”Ist es ja auch, Mako. Zumindest das sie sich geküsst haben. Aber das sie gleich bei ihm übernachten soll, geht ja wohl zu weit. Sowas macht man nicht.”
“Da hat sie Recht.”, nickte Ami und schob sich das letzte Stück Bacon mit der Gabel in den Mund.
“Ich glaube auch nicht, dass Mamoru lügen wurde.”
”Motoki, er dich belogen, als er sagte, dass zwischen ihm und Usagi nicht passiert ist.”
“Auch wieder wahr.”, seufzte der Blonde, “Aber ich denke trotzdem, dass er es nicht noch mal machen würde. Er weiß außerdem genau, wie viele Sorgen ihr euch um sie macht. Ganz egal ist es ihm ja nicht. Das wisst ihr.”
Die vier Mädchen nickten.
“Na gut, dann werden wir gleich aufbrechen und zu ihr nach Hause gehen.”, Makoto lächelte entschlossen in die Runde.
“Was? Aber draußen ist ein Sauwetter. Da schickt man keine Katze vor die Tür.”
”Erstens, meine liebe Mina, heißt dass ‘Bei dem Wetter schickt man keinen Hund vor die Tür.’ Hund nicht Katze. Und zweitens, können Luna und Artemis ja auch hier bleiben und wir holen sie später ab. Oder drittens wir verstauen Luna und Artemis in unseren Taschen, wo es eh schön warm ist.”, Rei sah sie triumphierend an.
“Ich will aber trotzdem nicht da raus.”
“Hör auf zu jammern und rutsch lieber. Wir gehen los. Je eher wir Gewissheit haben, wo Usagi ist desto besser.”
Immer noch nörgelnd und murrend stand Minako auf und die Schwarzhaarige folgte ihr. Auch die anderen beiden standen auf und Makoto öffnete wie Ami ihre Tasche, damit die beiden Katzen hinein springen konnten. Es war von Anfang an klar gewesen, dass die beiden mitkommen würden. Vor allem weil Luna endlich wissen wollte, wo ihre Herrin sich versteckt hielt.
Motoki war gentleman-like und holte von der Garderobe die Mäntel der Mädchen. Half jeder einzeln hinein. Und jede einzelne bedankte sich artig. Sie verabschiedeten sich bei ihm und dankten nochmals für das Frühstück.
“Ich halte hier die Stellung. Ruft mich an, wenn ihr was neues wisst.”
”Du auch. Also falls sie sich bei dir meldet.”, Ami schaute ihn bittend an.
“Mach ich. Ich sag euch auch Bescheid, falls sich der andere Sturkopf bei mir melden sollte.”
Es bedurfte keiner weiteren Worte. Die Freundinnen wussten sofort, von dem Motoki da sprach. Sie konnten sich alle ein Grinsen und eine Grimasse nicht verkneifen. Die Mädchen umarmten den jungen Mann und winkten ihm noch einmal durch das Fenster zu, als sie draußen waren.
Es war nicht weit vom Crown bis zu Usagis Elternhaus. Aber bei dem immer noch anhaltenden Schneesturm samt eisigem Polarwind, erschien der Weg doppelt und dreifach so lang. Die Mädchen gingen abwechselnd hintereinander. Jede von ihnen nahm eine Weile die Führungsspitze ein, während die anderen in deren Windschatten gingen. Dann wurde getauscht.
Als sie das Haus erreichten, in dem Usagi mit ihrer Familie wohnte, drängten sie sich unter das Vordach der Haustüre. Ami klingelte. Von drinnen konnten sie Schritte hören und kurze Zeit später wurde ihnen die Türe geöffnet. Die Mutter ihrer Freundin stand vor ihnen und sah sie überrascht an:
”Hallo Mädchen. Was treibt euch denn bei dem Wetter hierher? Kommt doch rein.”
Augenblicklich trat Ikuko zur Seite und machte den Freundinnen ihrer Tochter Platz.
Die wohlige Wärme umfing die Mädchen sofort und Ami und Makoto öffneten ihre Taschen. Sofort sprang Luna heraus, Artemis folgte ihr und zusammen rannten sie hinauf zu Usagis Zimmer. Staunend konnte die Hausherrin nur hinterher schauen.
“Entschuldigen Sie bitte die Störung, Frau Tsukino.”, Rei verbeugte sich.
“Ach was. Aber was wollt ihr hier? Wenn ihr Usagi sucht, muss ich euch enttäuschen.”, kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, waren auch die beiden Katzen wieder zurück und Ikuko hätte schwören können, dass die beiden den Kopf schüttelten.
“Sie ist nicht da?”, Minako schaute die Frau vor sich fragend an.
“Nein. Sie hat mir gestern Abend eine Nachricht geschrieben, dass sie bei dir, Ami übernachten würde.”
”Bei mir?”, Ami schaute erschrocken zu den anderen. In Sekundenschnelle erarbeitete ihr Gehirn eine möglichst plausible Erklärung, das Usagi nicht bei ihr war.
“Ja. Sie schrieb, dass ihr noch lernen wolltet. Aber wenn du hier bist und Usagi nicht bei dir war, wo war sie dann?”, langsam machte sich Sorge in Ikukos Stimme bemerkbar.
“Ikuko, Schatz, was ist denn?”, Usagis Vater kam aus dem Wohnzimmer und staunte über den Auflauf im Flur.
“Usagi ist scheinbar verschwunden.”
”Verschwunden? Ich dachte sie ist bei Ami.”, Kenji blickte in die Runde, “Oh, hallo Ami. Wieso war sie nicht bei dir?”
In die sich ausbreitende Stille mischte sich ein Handyklingeln. Makoto zog ihres aus der Tasche und nahm den Anruf an. Keiner wagte etwas zu sagen, während die Brünette sprach:
”Oh, Usagi. Mensch wo bist du? – Achso, bei Naru. Deine Mama macht sich Sorgen, weil du ihr geschrieben hast, dass du bei Ami schlafen würdest. – Achso, ja na dann klär ich das. – Gut, wir sehen uns dann im Crown. Bis dann!”
Alle Blicke hatten sich auf Makoto gerichtet, die sich an Ami wandte:
”Warum sagst du denn nicht, dass Usagi und du noch bei Naru ward und sie dort eingeschlafen ist.”
Alleine am Ton der Stimme wusste Ami, was zu tun war.
“Oh, das hab ich wirklich vergessen. Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte Sie nicht in Sorge oder Panik versetzen.”, sie verbeugte sich tief.
“Du lernst zu viel, Mädchen. Da vergisst du noch das Wesentliche.”, Kenji schaute sie schief an.
”Anscheinend.”
”Wenigstens wissen wir jetzt, wo Usagi ist. Typisch, dass sie beim Lernen einschläft.”
“Trefft ihr sie nachher?”
“Ja Frau Tsukino. Wir schicken sie dann auch später bis vor die Tür. Versprochen.”, Minako lächelte.
“Genau, sonst geht sie wieder verloren.”, lachte Rei. Sie verabschiedete sich von Usagis Eltern, die anderen taten es ihr nach. Sie hörten, dass die Tür hinter ihnen schnell wieder ins Schloss fiel. Was sie auch alle absolut nicht verwunderte.
Als sie den Vorgarten verlassen hatten und wieder auf der Straße standen, sahen sie sich ratlos an. Luna und Artemis schauten aus den Taschen heraus.
“Ihr Zimmer sah so aus wie immer.”, Luna schaute besorgt zu den anderen.
“Es hat nichts gefehlt.”, ergänzte Artemis.
“Wir sollten zurück ins Crown.”
“Ami hat Recht.”, nickte Makoto, “Sie wird schon auftauchen. Wahrscheinlich gibt es wirklich ein plausible Erklärung.”
Die anderen nickten. Versuchten zuversichtlich auszusehen. Aber es wollte ihnen nicht gelingen. Ami sprach Makoto ein Lob aus, in was die anderen beiden einfielen, weil der Brünetten der falsche Anruf eingefallen war. So wie sie gekommen waren, gingen sie zurück in ihr Stammcafé. Jede für sich hoffend, dass Motoki Neuigkeiten für sie hatte.
Ein fahles Licht fiel durch die große Fensterfront ins Schlafzimmer. Es wirkte nicht freundlich, noch ermunterte es einen zum Aufstehen. Das Pfeifen des Windes, der durch die enge Straße vorm Wohnblock fegte, erreichte ihr Ohr. Das und das Rauschen von Wasser.
Verschlafen rollte sie sich auf den Rücken. Eine Hand neben ihrem Kopf, die andere auf ihrer Brust, die von der Decke verhüllt wurde. Blinzelnd sah sie sich um. Drehte ihren Kopf zur Seite. Das Kissen neben ihr war zerknittert aber leer. Sich mit den Unterarmen abstützend, richtete sie sich auf und sah sich um. Dunkel kamen ihre Erinnerungen zurück:
Sie war aus dem Crown abgehauen, nach dem sie sich mit Mamoru gestritten hatte. War durch die Straßen Juubans geirrt und schließlich vor Kälte erschöpft zusammen gebrochen. Er hatte sie gefunden und mit zu sich genommen. Ihr ein heißes Bad gemacht und Schokoladenpudding gekocht. Und dann waren sie im Bett gelandet. Hatten miteinander geschlafen. Zum zweiten Mal. Hatten den Pudding gegessen und waren sich noch ein drittes Mal nah gekommen. Usagi konnte nicht anders, als zu lächeln. Mit den Fingern berührte sie ihre Lippen. Es kam ihr vor, als wären sie geschwollen von den vielen Küssen, die sie und Mamoru ausgetauscht hatten. Aber sie fühlte sich gut. Hatte sich nie besser gefühlt. Das Mädchen setzte sich ganz auf und schwang die Beine über die Bettkante. Die Decke fiel halb zu Boden, als sie aufstand. Als sie in Richtung Türe ging, sammelte sie ihre Unterwäsche auf, die immer noch achtlos am Boden lag. Sie legte beide Teile auf die Kommode, die neben der Türe stand, bevor sie hinaus ging.
Das warme Wasser prasselte in großen Tropfen auf seinen Körper. Das Gesicht hielt er direkt unter den Wasserstrahl und verweilte in seiner eigenen Welt. Letzte Nacht war seiner Meinung nach der pure Wahnsinn gewesen. Innerlich hatte er die ganze Zeit seit der ersten gemeinsamen Nacht mit Usagi nach Makotos Geburtstagsparty drauf gehofft, dass es wieder dazu kommen würde. Er hatte sich danach verändert. Genauso wie sie es getan hatte. Es war alles so harmonisch geworden. Mamoru war kurz davor gewesen, ihr zu sagen, was er wollte. Doch dann wurde ihr scheinbar doch alles zuviel. Er wusste, dass er nie über den Kuss hätte reden dürfen. Das er gegen sein Versprechen verstoßen hatte, war der wahrscheinlich größte Fehler seines Lebens gewesen. Sie hatte allen Grund gehabt, wütend auf ihn zu sein. Und dennoch hatten sie wieder zueinander gefunden. Er hatte sie vor dem Kältetod bewahrt und sie mit zu sich genommen. Als er gestern Abend den Pudding gekocht hatte, war sein Plan mit zwei Löffeln und einer im Schlafzimmer platzierten Schüssel wirklich tollkühn gewesen. Und es hätte schief gehen können, wäre Usagi nicht noch einmal zu ihm gekommen. Das sie ihm ihre Gefühle gestanden hatte, war unglaublich für ihn gewesen. Was danach gekommen war, war unbeschreiblich. Mamoru hatte nicht wirklich damit gerechnet. Er war davon ausgegangen, dass sie tatsächlich nur in einem Bett liegen und vielleicht aneinander geschmiegt einschlafen würden. Mehr nicht. Das sie miteinander schlafen würden und das zweimal, konnte er selbst jetzt nicht richtig glauben.
“Was grinst du so?”
Der junge Mann schreckte aus seinen Gedanken auf. Er wischte den Wasserdampf von der Duschwand und schaute in das lächelnde Gesicht Usagis. Vollkommen nackt stand sie vor der Dusche und schaute ihn fragend an:
”Darf ich auch?”
”Äh, ja. Sicher.”, er schob die variable Wand beiseite und rutschte ein Stück. Ließ sie einsteigen.
“Tut das gut.”, Usagi hatte sich vor ihn geschoben und somit direkt unter den warmen Wasserstrahl.
“Stimmt. Hast du gut geschlafen?”
”Ja. Und du?”
”Wie ein Stein.”
”Bist du schon lange wach?”
”Nein. Erst seid einer halben Stunde oder so.”
”Du hättest mich doch wecken können.”
”Hm. Du saßt aber so niedlich aus, dass ich es nicht getan habe.”
“Hey.”
“Was denn?”, er versuchte betont unschuldig zu klingen, als er von hinten die Arme um sie schlang und sich an sie schmiegte.
Das Mädchen grinste ihn über die Schulter hinweg an und griff nach dem Honigmilch-Duschbad. Als er die Hand hin hielt, gab sie ihm etwas drauf und genoss kurze Zeit später seine Hände, die sanft über ihre Haut glitten. Langsam drehte sie sich um und versiegelte seine Lippen mit ihren. Ein Kribbeln erfüllte ihren Bauch, als er ihren Kuss erwiderte.
Nach einer gefühlten Ewigkeiten ließen sie wieder voneinander. Mamoru versank in ihren blauen und endlos erscheinenden Augen. Mit den Fingern strich er ihr ein paar nasse Strähnen aus dem Gesicht. Ihre Haare hingen schwer an ihrem nassen Körper. Glänzten vor Nässe.
Usagis Blick wanderten von seinen Zehen über seine Lenden und die Bauchmuskeln hinauf zu seinem Gesicht. Ihre Finger ruhten auf seinem Rücken.
“Alles gut?”, es verwunderte ihn, dass sie ausnahmsweise mal so schweigsam war.
“Ja. Alles gut.”
“Hunger?”
“Woher weißt du das?”, Überraschung war in ihren Augen zu lesen.
“Ich glaube, dass ich dich langsam kennen lerne.”
Sie lächelte ihn an und nickte:
”Ja, Frühstück.”
“Willst du irgendwo hin oder soll ich uns was zaubern.”
Usagi stellte das Wasser ab und öffnete die Duschwand. Angelte nach einem Handtuch, dass auf dem Wandheizkörper hing und reichte ihm ein zweites. Schlang es um ihren Körper und entstieg der Dusche.
“Ich weiß nicht. Das Wetter sieht nicht gerade einladend dafür aus, dass wir raus gehen sollten.”
”Stimmt.”, er trat neben sie und schaute sie ernst an, “Ich muss dir noch was sagen.”
”Hm?”
”Dein Handy hat vorhin geklingelt.”
”Wer war es?”
”Ami.”
”Was wollte sie?”
”Keine Ahnung. Um ehrlich zu sein, habe ich sie einfach weggedrückt.”
“Echt?”, sie sah in ungläubig an.
“Echt.”
”Sie glaubt sicher, das ich es war. Und wenn sie es den anderen sagt, gibt’s Ärger.”
”Ich nehm’s auf mich. Sie hat mich dann auch angerufen.”
”Und?”
Mamoru zog das Handtuch um seine Lenden und schaute dann in den Spiegel. Wuschelte sich durch die Haare. So lange bis er zufrieden mit seiner Sturmfrisur war. Dann drehte er sich um und öffnete die Tür. Ließ ihr den Vortritt.
“Sie hat mich gefragt, ob du bei mir bist.”
Usagi folgte ihm in die Küche, ließ sich nur mit dem Handtuch bekleidet auf dem Stuhl nieder. Sah ihn neugierig an:
”Was hast du ihr gesagt?”
”Das du es nicht bist.”, er setzte Kaffee auf.
”Sie werden bei meinen Eltern nachfragen. Aber denen hab ich gesagt, dass ich bei Ami bin.”
”Schließt sich irgendwie gegenseitig aus.”
”Ich weiß.”
“Warte einfach ab.”
Sie nahm ihm zwei Teller ab und nickte:
”Früher oder später müssen wir es ihnen sagen, Mamo-chan.”
Mit Marmelade und Toast in der Hand drehte er sich zu ihr um. Er seufzte nur. Wusste, dass sie Recht hatte. Allerdings hatte er das erste Mal in seinem Leben keine Idee, wie er alles erklären sollte. Und er ahnte, dass es dem Mädchen vor sich nicht anders erging.
Sie nahm ihm auch noch halbierte Tomaten und Gurkenscheiben ab. Atmete den Duft von gebratenen Eiern inklusive Bacon genießerisch ein. Als eben jene Speise vor ihr stand, begann sie zu essen. Sie fühlte sich so hungrig, wie selten zuvor in ihrem Leben.
”Lange Nacht?”, fragte Mamoru belustigt.
“Baka!”
”Sind wir wieder bei diesem Spitznamen? Der andere gefiel mir wesentlich besser.”
Sie lächelte ihn nur an und nahm einen Schluck des heißen Kaffees.
“Mamo-chan.”
”Reden?”
”Ja. Lieber jetzt, als wenn wir es immer weiter verschieben.”
“Hm.”
Beide sahen sich einfach nur an. Keiner der beiden wollte beginnen.
Usagi kam sich ziemlich dumm vor, dass sie jetzt noch reden mussten. Viel zu viel war zwischen ihnen passiert, als das irgendetwas unklar gewesen wäre. Doch sie wusste, dass sie zumindest einmal reinen Tisch machen mussten.
Und Mamoru dachte im Grunde nicht anders. Zwar wusste er, wie sie für ihn empfand und er war sich seiner Gefühle für sie auch mehr als sicher. Aber sie mussten die Karten auf den Tisch legen und offen über das, was zwischen ihnen war und ist, reden.
“Usako?”
”Ja?”, sie blickte ihn kurz unsicher an und dann wieder auf ihren Platz, wo jetzt eine Schale mit Obstsalat stand.
“Hast du es letzte Nacht ehrlich gemeint? Ist es einfach so passiert?”
”Das ich mich in dich verliebt habe?”
”Ja.”
”Mehr oder weniger.”, sie legte die Gabel beiseite und lehnte sich zurück, “Um ehrlich zu sein, mochte ich dich schon länger. Als ich dich das erste Mal sah, dachte ich mir noch, dass du echt gut aussiehst. Dummerweise traf dich dann meine Mathearbeit.”
”Und später der Schuh.”
”Ja genau. Ich fand es seit damals schon schade, dass wir uns immer nur gestritten haben. Das war irgendwie doof. Aber bei Makos Party war das alles irgendwie nicht mehr. Lag vielleicht auch am Alkohol. Doch ich war noch nüchtern genug, um zu wissen, mit wem ich da tanze. Und ich fand es toll. Was dann nach der Party geschehen ist, ach ich weiß auch nicht.”
”Hm.”, er ließ den Löffel in der Tasse kreisen, “Du weißt genauso gut wie ich, Usako, dass es nicht nur der Alkohol allein an dem Abend war.”
Sie schaute ihn an und nickte.
“Sicher, es lag auch an der vielen Bowle, die wir getrunken hatten. Man hatte ich einen Kater am nächsten Tag.”
”Dito. Wer weiß, was Mina da rein getan hatte.”, sie lachte und nahm einen neuerlichen Schluck Kaffee.
“Aber die ganze Situation, das ganze Drumherum taten ihr übliches.”
”Du hast Recht.”
”Und nun?”
”Was meinst du?”
”Wie geht es jetzt mit uns weiter?”
”Du hast gestern Abend zu mir gesagt, dass du nicht mit mir befreundet sein kannst. Und das du dich seit der ersten Nacht jeden Tag gefragt hast, warum wir es nicht probiert haben.”
”Stimmt.”, er nickte.
“Dann probieren wir es.”
”Einfach so? Was ist mit Rei? Sie ist deine Freundin, Usako.”
”Ich weiß. Aber wahrscheinlich hat sie sich eh schon ihren Teil gedacht, oder?”
”Sie hat mich gestern im Crown gefragt, was ich bei dem Kuss gefühlt habe.”
”Und?”
”Ich hab geschwiegen.”
”Sagst du es mir?”, sie legte den Kopf schief und grinste ihn an. Eigentlich kannte sie die Antwort nach letzter Nacht sowieso schon.
“Ich werde der Einzige sein, der all deine Sorgen vertreibt. Ich werde das Licht sein, wenn du glaubst, nirgendwo Unterschlupf zu finden. Und ich werde derjenige sein, der dich beschützt und darauf achtet, dass es dir gut geht.”
”Das hast du gefühlt?”
”Nein. Das hab ich gedacht bei unserem ersten Kuss. Aber es ist wahr.”
Usagi war aufgestanden und ging um den Tisch herum. Noch immer waren sie und Mamoru nur mit den Handtüchern bekleidet. Aber nach der letzten Nacht war das eh egal. Sie setzte sich auf seinen Schoss und schlang die Arme um seinen Hals. Hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen:
”Du brauchst mich so, wie ich dich brauche. Wir können unsere Träume gemeinsam träumen und sie wahr werden lassen.”
“Nur allzu gerne.”, es war an ihm, ihr einen Kuss zu geben. Seine Hände lagen um ihre Taille und er versank erneut in ihren Augen. Er musste sich zusammen reißen, um trotzdem noch einen klaren Gedanken zu finden:
”Willst du die Mädchen trotzdem heute treffen und es ihnen sagen?”
”Das von uns?”
”Unter anderem. Ja.”
“Kommst du mit?”
”Wenn du mich dabei haben willst. Natürlich.”
”Sicher will ich dich mit dabei haben. Es geht schließlich auch mit um dich.”
Als hätte sie das Universum verraten, klingelte erneut Usagis Handy im Wohnzimmer. Ein wenig schwerfällig erhob sie sich von seinem Schoß und ging ins andere Zimmer. Mit der Kaffeetasse in der Hand folgte er ihr.
“Wer ist es?”
Das Mädchen schaute auf das Display:
”Ami. Soll ich rangehen?”
”Ist vielleicht besser.”
”Und was soll ich ihnen sagen? Wahrscheinlich wissen sie, dass ich nicht bei meinen Eltern bin und bei Naru werden sie sicher auch schon angerufen haben. Und du hast ihnen ja auch gesagt, dass ich nicht bei dir bin.”
”Sonst irgendwelche Freundinnen?”
Sie schüttelte den Kopf. Ihre Freundinnen wussten, dass sie bei einem Streit mit ihnen nur zu Naru gehen würde. Ihrer ältesten Freundin seit dem Kindergarten. Bei anderen Mädchen aus ihrer Klasse hatte sie nie übernachtet.
“Ich hab eine Idee.”, sie durchfuhr es wie ein Geistesblitz.
“Was denn?”
“Warte ab.”
Stoisch ließ sie das Handy weiter klingeln.
“Was ist das eigentlich für ein seltsamer Klingelton.”
”Ich ändere ihn. Versprochen.”, kaum hatte sie es gesagt, verstummte das Handy. Sie schnappte es sich und wählte Narus Nummer:
”Hey Naru, ich bin’s. Ich brauch deine Hilfe.”
In kurzen Worten und sehr zum Erstaunen Mamorus schilderte sie Naru ihr Anliegen. Es dauerte keine fünf Minuten und sie legte zufrieden auf.
“Und?”, er sah sie neugierig an.
Wieder ertönte ihr Handy. Wieder war es Ami. Dieses Mal nahm sie das Gespräch an.
“Hey Ami. – Ich war bei Naru. – Weil sie mich verleugnen sollte. Ihr habt mich wahnsinnig gemacht mit euren Fragen. – Bei meinen Eltern? – Und was habt ihr gemacht? – Na damit lag sie ja eh nicht falsch. – Ja, von mir aus um sechzehn Uhr im Crown. – Jetzt schon? Hast du mal gesehen, was für ein Wetter ist? Außerdem sind wir gerade erst mit dem Frühstück fertig geworden. – Ich weiß, das es zwölf ist. Aber es war eine lange Nacht. Ich glaub, ich hab erst gegen vier geschlafen oder so. – Ja gegen vier. Also treffen wir uns dann sechszehn Uhr im Crown. Okay? – Gut, bis dann. – Ja? – Nein, bin ich nicht. Bis dann!”, zufrieden beendete Usagi das Gespräch und legte ihr Handy wieder auf den Wohnzimmertisch.
“Du warst bei Naru und hast dich verleugnen lassen?”
”Ja.”
”Es war eine lange Nacht?”
”Ja.”
“Respekt, Usako.”
”Danke. Und nun frühstücken wir weiter.”, sie ging beschwingt zurück in Richtung Küche. Wackelte dabei aufreizend mit dem Po, was Mamoru zum Grinsen brachte und er ihr einen liebevollen Klaps darauf gab.
Sie widmeten sich wieder ihrem Frühstück. Zwischendurch rief ihn Motoki noch an. Fragte, ob sie sich heute im Crown sehen würden. Der Schwarzhaarige stimmte zu. Er würde ja so oder so zusammen mit Usagi kommen. Jedoch band er es seinem besten Freund nicht auf die Nase.
“Sag mal, Usako?”
”Ja?”, sie schaute ihn liebevoll lächelnd an.
“Haben sich deine Eltern eigentlich nicht gefragt, wo du in der Nacht der Party geschlafen hast?”
”Hä? Nein.”
”Was hast du ihnen erzählt?”
“Das ich wahrscheinlich zusammen mit den anderen bei Mako schlafe, nach dem wir das Crown aufgeräumt haben. Allerdings ist es ja dann anders gekommen.”
”Stimmt. Da hab ich ja Glück gehabt.”
“Und dieses Mal können wir auch ein Frühstück zusammen genießen.”
Mamoru erinnerte sich nur zu gut daran, dass sie nach der gemeinsamen Nacht am nächsten Morgen aufgesprungen war. Beide hatten mehr oder weniger den Kaffee in sich hinein gekippt und eine Schüssel Müsli runter geschlungen. Sie hatten kaum miteinander geredet, weil sie, jeder für sich, einfach nur verwirrt gewesen waren. Sie kamen lediglich zu dem Entschluss, dass keiner den Freunden etwas sagen sollte. Über das Geschehene und ihre möglichen Gefühle füreinander schwiegen sie sich aus.
Sie grinste ihn an und er erwiderte es. Usagi fühlte sich glücklich. Noch vor einem Monat wäre sie nie freiwillig zu ihm gegangen. Nie und nimmer hätte sie seine Wohnung betreten. Nicht einmal im Notfall. Doch seit Makotos Party war alles anders zwischen ihnen. So vieles war passiert, dass sie es selbst noch nicht ganz glauben konnte. Sie bereute es fast schon ein wenig, dass sie es nicht von Anfang an versucht hatten. Doch nun saß sie zusammen mit ihm hier. Nach einer wunderbaren Nacht für sie beide. Sie hatten miteinander geredet. Über ihre Gefühle für ihn und er über seine für sie. Sie fühlten beide das gleiche und Usagis Herz schlug schneller bei dieser Erkenntnis. Sie hatten beide den gleichen Traum und wollten zusammen versuchen, ihn wahr werden zu lassen. Ihn zusammen träumen. Auch wenn weder sie, noch Mamoru es laut ausgesprochen hatten: Aber sie waren jetzt ein Paar.
Jetzt mussten sie nur noch die anderen davon unterrichten und in Kenntnis setzen. Es gab immer noch was zu klären zwischen Usagi und Mamoru auf der einen und den Mädchen auf der anderen Seite.