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Jahrhunderte währendes Versprechen

RusAme
von

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„Das gehört jetzt mir!“

Es war Spätsommer.

Unzählige Jahre, viele Jahrzehnte und sogar das ein oder andere Jahrhundert waren vergangen.

Sie waren einander auf Versammlungen begegnet, hatten miteinander im Krieg gelegen und später Seite an Seite gekämpft.

Doch sie waren sich in all der Zeit nie auf jene Weise begegnet. Es hatte kein nächstes Mal gegeben.
 

Beiläufig wischte Russland sich den Schweiß von der Stirn. Er mochte keine Kälte, aber ein amerikanischer Jahrhundertsommer war eindeutig zu viel für ihn. Argwöhnisch fragte er sich, ob Amerika ihn absichtlich zu solch einer Zeit herbestellt hatte, doch schon einen trägen Gedanken weiter verwarf er diese Vermutung wieder. Dafür war der Blonde einfach nicht durchtrieben genug. Auch hatte keine der wenigen Zeilen, die vor einigen Tagen in sein Haus geweht waren, den Anschein eines Hinterhaltes gemacht. Auf einen Satz reduziert hatte Amerika folgendes nach Moskau gesendet: „Ich werde dir etwas zeigen.“

Wie ein Versprechen lag die Eisenstange in Russlands Hand, als er den Feldweg betrat, an dessen Ende ihn jemand erwartete. Ganz gleich, wie heiß es auch sein mochte… Er würde sich nicht zurückhalten. Schließlich kannte auch er ein paar heiße Sommer. Gute zehn Meter vor dem Blonden blieb er stehen.

„Du wolltest mir etwas zeigen?“, grüßte Russland lächelnd. Sein Gegenüber – wie er selbst trotz der Hitze in Uniform – hob lachend einen Holzschläger auf seine Schulter, während er einen kleinen weißen Ball einige Zentimeter hoch warf und wieder auffing.

„Eine Menge“, bestätigte Amerika. „Aber ich kann nicht garantieren, wie viel du davon zu sehen bekommst.“

Mit einem leisen, metallischen Klang ließ Russland seine Waffe auf einen Stein im unebenen Boden sinken. Er hatte sich also nicht getäuscht – natürlich nicht. Ihm gefiel der starke Ausdruck in den strahlend blauen Augen.

„Als Erstes zeige ich dir eine neue Sportart, die ich kürzlich erfunden habe“, lächelte Amerika, während er angriffslustig auf ihn zu schritt. Der Ball flog jedoch zur Seite und blieb am Wegrand liegen. „Nehme an, den brauche ich für dich nicht.“

Das Grinsen verschwand von Amerikas Gesicht, als er den Baseballschläger über den Kopf erhob und zu laufen begann. Dafür tauchte es auf Russlands Lippen auf, während er das Gleiche mit seiner Eisenstange tat. Ihr Aufeinandertreffen wirbelte Staub auf und jagte den Klang von massivem Holz auf unnachgiebigem Metall über das karge Feld. Zwar parrierte Russland von unten, doch es dauerte nur wenige Momente ihres Kräftemessens, um eine ausgeglichene Situation herzustellen. Begeistert grinste er den blauen Augen entgegen, während sie um die Oberhand rangen. Amerikas starker Wunsch, ihn zu besiegen, war unübersehbar.

„Ich weiß es jetzt“, sprach Amerika mit leiser Ernsthaftigkeit, ohne diesen ausdrucksstarken Blick abzuwenden.

„Was denn nur?“, lächelte Russland fröhlich. Kaum setzte der Blonde zu einer Antwort an, überließ er ihm den vorläufigen Sieg, wich aus und schlug von der Seite nach ihm. Doch Amerika gelang es, seine Finte abzuwehren und ihm verteidigungsbereit gegenüber zu stehen, während er ihn offen anlächelte, die Waffe beinah bis zum Boden gesenkt und auf Antwort wartend.

„Ich verstehe jetzt“, begann Amerika, „warum ich nicht dein Freund sein kann, und auch, warum du mir nie wie einem deiner Feinde begegnet bist.“

„Hat es wirklich so lange gedauert, das zu begreifen?“

Ohne Vorwarnung sauste die Eisenstange durch die Luft, wurde nicht vollständig abgeblockt und traf die linke Hand der jüngeren Nation. Innerhalb von Sekunden registrierte Russland den schwächer werdenden Griff um den Holzschläger, drehte sich mehr in seinen Hieb und zog die Eisenstange durch, womit er dem Blonden die Waffe aus den Händen schlug und nun beinah hinter ihm stand.

Einen Augenblick flackerte Unsicherheit in den blauen Augen auf, die Angst hätte sein können, doch dann folgte eine schnelle Bewegung von Amerikas rechter Hand unter dessen Lederjacke. Schneller, als man es ihm zugetraut hätte, wich Russland weiter hinter den Blonden zurück und tat das Gleiche.
 

Zweimal klickte es, als sie ihre gespannten Schusswaffen aufeinander richteten. Amerika spürte kaltes Metall an der rechten Schläfe. Obgleich er mit seiner eigenen Waffe unter seinem linken Arm hindurch auf Russlands Bauch zielte, stockte ihm einige Sekunden lang der Atem. Die große, unberechenbare Nation in seinem Rücken zu haben, verschaffte ihm keineswegs das Gefühl einer Patt-Situation. Dennoch befanden sie sich eindeutig in einer solchen. Als die Metallstange laut zu Boden klirrte, zuckte Amerikas Finger am Abzug. Eine Hand legte sich bedeutungsschwer auf seine linke Schulter.

„Angst?“, flüsterte Russland ihm ins Ohr.

Trotzig riss sich der Blonde zusammen.

„Wenn ich abdrücke, hast du ein Problem.“

„Wenn ich abdrücke,“, lächelte Russland bedrohlich, „bist du tot.“

Tief atmete Alfred durch, um sich und seine rasenden Gedanken zu beruhigen.

„Erstens würde ich davon nicht sterben und zweitens würdest du nicht abdrücken.“

Die Waffe an seiner Schläfe klickte ein weiteres Mal, woraufhin Alfred erstarrte, bevor ihm sein Verstand Entwarnung gab und mitteilte, dass die Patrone nicht gezündet hatte.

„Ah…“, summte Russland fröhlich. „Ich konnte einfach nicht widerstehen. Wie gut, dass ich die Kugeln zuhause gelassen hab‘, nicht?“

Während Russland belustigt von ihm zurückwich, drehte Amerika sich perplex um.

„Du kannst nie sicher sein, ob ich abdrücken würde oder nicht“, beugte Russland sich mit einem strahlenden Lächeln vor. „Nicht mal ich kann das.“

„Du bist wirklich…“, seufzte Amerika fassungslos, dann steckte er seine Waffe kopfschüttelnd weg und bemühte sich erneut um Ruhe. Den Kopf dabei etwas gesenkt und die Augen kurz geschlossen, sah er dann überrascht auf, als er eine tätschelnde Hand auf seinem Kopf spürte.

„Du siehst zufrieden aus“, stellte Amerika zweifelnd fest. „Dabei habe ich es nicht geschafft, dich zu besiegen… Oder bist du genau deshalb zufrieden?“

„Njiet“, lächelte Russland. „Was ich dir voraus habe, ist Erfahrung.“

Einige Augenblicke erwiderte Amerika nichts, erduldete die Hand auf seinem Kopf bloß stillschweigend. Dann schlug er sie weg.

„Wenn das so ist, behandel mich nicht wie ein Kind.“

„Hm“, lächelte Russland amüsiert, ließ seine Hand jedoch sinken. Kurz hielt Amerika dem Blickkontakt stand, bevor er sich abwendete und seinen Baseballschläger aufsammelte. Nach einem minimalen Zögern hob er auch die Eisenstange auf und hielt sie der anderen Nation wortlos entgegen. Russland legte jedoch nur lächelnd den Kopf schief.

„Was soll ich damit?“

Amerika stutzte, dann warf er beide Gegenstände widerwillig schmunzelnd zur Seite.

„Nichts“, antwortete er schließlich und nahm Russlands Hand – eine Geste, die beiläufig wirken sollte. „Ich zeige dir, dass ich ein Rivale bin, der seine Versprechen hält. Egal, wie alt sie sind.“

Versöhnlich lächelnd blickte er zu Russlands erstauntem Gesicht zurück. Das waren sie. Keine Freunde, keine Feinde. Sie waren nun beinah ebenbürtige Rivalen, verbunden durch wenige, zufällige Begegnungen in der Vergangenheit.

Als sie den nächsten Hügel hinauf gewandert waren, schickte er seinem Begleiter einen heimlichen Blick, der sich auszahlen sollte. Hunderte kleiner Sonnen spiegelten sich in den violetten Augen wieder, während ihr Blick über die Ebene schweifte.

„Es hat lange gedauert, aber ich habe es schließlich geschafft“, bemerkte Amerika leise, den Blick selbst auf seine Sonnenblumenfelder richtend, die sich bis zum Horizont in alle Richtungen erstreckten. Ein Windstoß trug den beiden Ländern den intensiven Geruch der Blumen entgegen und ließ sie vom Duft des Sommers kosten.
 

Russland war überwältigt. Er erinnerte sich an die Worte der kleinen Britischen Kolonie, der er vor so langer Zeit während ihrer ersten Begegnung eine Sonnenblume geschenkt hatte.

Noch immer sprachlos senkte er seinen Blick auf Amerika, der mit einer Sonnenblume in den Händen vor ihn getreten war und sie ihm lächelnd überreichte. Dieses Lächeln war noch immer jung und gutgläubig, doch nicht mehr von kindlicher Unschuld geprägt. Die junge Nation schien sich ihrer Handlungen genaustens bewusst zu sein.

„Ich schenke sie dir stellvertretend für all die anderen, die du hier siehst.“

Wortlos nahm Russland die Blume entgegen und betrachtete sie. Sie strahlte so hell wie die kleine Kolonie es damals getan hatte und so wie Amerikas Augen es heute noch taten. Natürlich spürte er, wie sehr er die jüngere Nation überrumpelte, als er sie in die Arme schloss. Doch bevor er selbst die Fassung verlor, sollte lieber Amerika die seine verlieren.

„Danke…“, nuschelte Russland in seinen Schal. Mit einem irritierten Blinzeln quittierte er es, als seine Umarmung erwidert wurde.

„Ich habe es doch versprochen“, lächelte Amerika. „Siehst du das Haus dort hinten?“

Langsam hob Russland den Blick über Amerikas Schulter höher und bemerkte das in Mitten der gelben Felder aufragende Dach.

„Mhm, ich sehe es“, bestätige er, sich langsam von dem Blonden lösend.

„Das schenke ich dir auch“, lächelte Amerika. „Als Zeichen unserer… Naja… Als Zeichen von… tja…“

Grübelnd kratzte sich der Jüngere am Hinterkopf, ohne eine korrekt erscheinende Bezeichnung ihrer Beziehung zueinander zu finden.

„Ich will es mir ansehen!“

Sekundenland hielt Alfred inne, bevor er der stramm auf das Gebäude zu marschierenden Russischen Föderation folgte. Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Er hatte nie vergessen, wie Russland ihm die Sonnenblume geschenkt und von seinem Traum erzählt hatte, kurz bevor England ihr erstes Treffen damals gestört hatte. Er hatte nie vergessen, welches Versprechen er der traurig-verträumten Nation gegeben hatte. Lange vor dem gemächlich folgenden Blonden war Russland im Gebäudeinneren verschwunden.

Mit den begeisterten Augen eines Kindes, vor dem sich soeben ein ganzer Jahrmarkt eröffnet hatte, betrachtete Russland die Eingangshalle, an deren Ende sich räumlich ein wenig abgegrenzt ein Büro zu befinden schien. Gleich der erste Blick gab den direkten Weg auf einen großen Schreibtisch frei hinter dem sich rechts und links jeweils eine russische und eine amerikanische Flagge kreuzten. Hoch über dem Schreibtisch hing ein großes Gemälde, das hinter einigen Sonnenblumen die Shilhuette des Moskauer Kremls unter strahlend blauem Himmel zeigte. Ein abwensendes Lächeln umspielte Russlands Lippen, während er alle Details in sich aufsog. Umgeben von der warmen und gleichsam majestätischen Aura, die dieses Gebäude ausstrahlte, fühlte er sich gut – unbeschreiblich gut. Er hatte einen Ort betreten, an dem er sich fühlte, als sei er Zuhause.

„Schrecklich, nicht wahr?“, lachte Amerika beschämt. „Gleich beim ersten Raum kann man nur an Arbeit denken… Die privaten Räume machen hoffentlich etwas weniger diesen Eindruck…“

„Ich kann das alles haben, da?“

Minimal verunsichert sah der Blonde auf. Russlands Stimme klang unüblich neutral, doch aus irgendeinem Grund hatte sich sein Gesicht verdunkelt. Ein schwaches Gefühl von Besorgnis stieg in Alfred auf, doch dann lächelte er.

„Jup!“

Russland wendete sich ihm zu und beugte sich vor, sodass das verfinsterte, gruselig lächelnde Gesicht dicht vor seinem verharrte, woraufhin er erschrocken einen halben Schritt zurück trat.

„Alles“, widerholte Russland, während er sich Amerika näherte, der daraufhin weiter zurückwich. „Alles, was sich hier befindet. Jeden Grashalm, jede Blume, jeden Ziegelstein…“

Amerika lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, als sich der Blick aus violetten Augen gierig auf ihn senkte, während er weiter Schritt für Schritt von der dunklen Aura abrückte.

„D-Das sagte ich“, stammelte er mit laut klopfendem Herzen, sich unsicher, nicht doch einen großen Fehler begangen zu haben. „A-Als Zeichen v-von…“

Sein Rücken stieß gegen einen Sockel, der ihn am Zurückweichen hinderte. Die Vase darauf geriet ins Trudeln und fiel. Russland griff danach, ohne hinzusehen. Sein Blick war in die Augen der erstarrten Nation gerichtet.

„Das gehört jetzt mir“, lächelte Russland gefährlich leise und stellte die Vase auf ihren Sockel zurück. „Du kannst es nicht kaputt machen, Amerika.“

„S-Sorry…“, flüsterte der Blonde, nicht ohne dem Sockel rückwärts gehend auszuweichen. Die Wand in seinem Rücken hielt seine Flucht endgültig auf, als er sich dagegen presste und mit einem flauen Gefühl in Russlands Augen hinauf starrte.

„Ich weiß nicht, ob ich dir verzeihen kann...“, hauchte Russland gegen seine Lippen, während Amerika eine Hand an seiner Wange wahrnahm und das flaue Gefühl erst im letzten Augenblick als Aufregung erkannte. Russland küsste ihn leidenschaftlich, drang so selbstverständlich in seinen unvorbereitet geöffneten Mund ein, dass Amerika schlagartig errötete. Die Augen schließend, erwiderte er unterlegen, dennoch spürte er mit jeder Faser seines Körpers Russlands Machtübernahme. Sie war nicht brutal, nicht einmal grob, doch er nahm sich jeden Zentimeter des Territoriums, das er ihm selbst angeboten hatte. Amerika fühlte, wie ihm seine ausladenden Sonnenblumenfelder durch die Finger glitten und aus seinem Machtbereich verschwanden.



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