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Dodekaeder

Der Zwölfte Doctor
von

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Sommernacht

Es war einer diese tropischen Sommernächte, in denen es so warm war, dass es vielen Menschen das Einschlafen erschwerte. Man drehte sich stundenlang im Bett hin und her und bettelte, dass einem endlich die Augen zufielen und man ins Traumland gelangte. Nach einem anstrengenden Tag in der Hitze verlangte der Körper nach Ruhe, doch die blieb ihm verwehrt.

Diese Temperaturen waren nicht sonderlich üblich in diesem Teil von Deutschland. Da kannte man nur regnerische Sommer und Tage über 30°C waren selten. Deshalb besaß auch niemand Klimaanlagen in seiner Wohnung, da musste der Ventilator ausreichen. Und das tat er meistens nicht.

Wie viele andere in diesem Land fand auch eine junge Frau keinen Schlaf. Sie lag auf ihrem Bettzeug, die Decke hatte sie bereits auf den Boden gestrampelt, und hoffte, dass ein frischer, kühler Windstoß durch das Fenster fegte. Außerhalb ihres Zimmers war es gewiss kühler. Die Nachmittagssonne hatte die Wände über den Tag erwärmt und ihr Zimmer in eine finnische Sauna verwandelt.

Ihre Augen waren schwer. Vielleicht gab es eine minimale Chance, dass sie endlich eindösen würde, wenn sie jetzt ganz still da lag. Doch von draußen ertönte ein merkwürdiges Geräusch und riss sie zurück in die Wirklichkeit. Sie lebte in einer großen Stadt, des nachts hörte man ständig Lärm von den benachbarten Kneipen oder der vorbeifahrenden Straßenbahn. Allerdings war sie an all das schon längst gewöhnt, deshalb störte sie sich nicht mehr daran. Dieses Geräusch war jedoch neu. Es klang ächzend und keuchend und seltsam vertraut.
 

Kiara riss ihre Augen auf, stolperte aus ihrem Bett und rannte zum Fenster. Ihre Müdigkeit war wie weggeblasen und ersetzt durch Aufregung und Neugierde. Ihr Blick wanderte suchend durch die dunkle Nacht. Neben einigen Garagen im Hinterhof erblickte sie eine kleine, helle Lampe. Sie gehörte zu einer langen, schmalen Box, welcher einer alten Telefonzelle ähnelte. Kiara rieb sich die Augen, blinzelte und sah noch einmal hin. Die Box stand immer noch da.

Ohne einen weiteren Augenblick zu zögern, rannte sie in den Wohnungsflur, schlüpfte in ein paar Schuhe und griff nach ihrem Haustürschlüssel. Aus der Wohnung raus, zog sie die Tür hinter sich zu und eilte die drei Etagen des Treppenhauses hinunter. So schnell sie ihre Beine trugen, rannte sie aus dem Gebäude, zum Hinterhof.
 

Dort stand sie. Durch die milchigen Glasfenster schien helles Licht und erleuchtete die schönste aller hölzernen, blauen Boxen, die sie je im Leben gesehen hatte. Der Schriftzug über der Doppeltür verlautete 'Police Box'.
 

Kiara biss sich auf die Lippe und widerstrebte dem Bedürfnis ihre Finger über das Holz streifen zu lassen. Die Polizeizelle war fast zweimal so groß wie sie und mindestens dreimal ihre Breite. Sie nahm sich zusammen und klopfte zögerlich und vorsichtig an der blauen Tür. Keine Antwort. Also klopfte sie erneut, diesmal etwas fester. Nichts. Wahrscheinlich hatte der Besitzer die Örtlichkeit verlassen, während sie noch mit ihren Schuhen gekämpft hatte. Typisch.

Trotzdem entschied sich Kiara ihre Chance zu nutzen und zu warten. Immerhin musste er früher oder später zurück kommen, nicht wahr?
 

Der besagte Besitzer der Polizeizelle hatte sich nicht weit entfernt. Einige Meter weiter die Hauptstraße hinunter, begutachtete er die verlassene Baustelle an der großen Kreuzung. Wochenlang wurde bereits dort gearbeitet. Bauarbeiten hatten den alte Belag entfernt und neue Rohre und Bahngleise verlegt. Nun fehlte nur noch der neue Asphalt. Doch diese Nacht arbeitete dort niemand. Nicht, weil es zu warm war. Die Arbeiter waren verschwunden.

Der Reisende war aufgetaucht, weil sein treues Gefährt einmal wieder ein Notsignal empfangen hatte. Er kniete sich hinunter und inspizierte den neuen lärmdämpfenden Asphalt. Allerdings hatte er noch nicht in Erfahrung gebracht, dass der Straßenbelag nicht nur Geräusche in sich aufnahm. Zu seinem Ungunsten spürte er, wie seine Füße langsam im Asphalt versanken, als stünde er in einer Treibsandgrube.
 

„Oh je, das ist nicht gut“, seufzte der Doctor und versuchte möglichst still zu stehen, um, für den Fall, dass der Asphalt wirklich wie Treibsand funktionierte, die Zerstörung von Luftlöchern zu vermeiden. Sein Bestreben half jedoch nicht und so sank er mit jeder Sekunde tiefer in die schwarze Masse hinein.
 

„Okay, die Situation hat sich nicht verbessert.“

Der Doctor zückte ein silbernes Gerät aus seinem Mantel und fuchtelte damit in Richtung Belag, in der Hoffnung, dass ihn dies befreien würde. Der Sonic Screwdriver gab einen schrillen Ton von sich und die kleine, grüne Leuchte am Ende schimmerte auf den Boden. Der Asphalt absorbierte es. Erst das Geräusch, welches eigentlich hätte abprallen und zurückgeworfen werden sollen, und dann stieß ein Schwall der klebrigen Substanz auf und verschlang die stiftähnliche Gerätschaft.
 

„Nein! Nein, gib das zurück!“

Er zog so fest er konnte um den Screwdriver aus dem Griff der Substanz herauszufinden. Seine angestrengten Ächzer schallten durch die Straßen.
 


 

Kiara hob den Kopf und sah sich um. Die Laute, die sie hörte, klangen nicht nach einem Betrunkenen, auch wenn es durchaus zu dieser Uhrzeit in ihrer Gegend gepasst hätte. Überhaupt war es für eine schöne Sommernacht viel zu ruhig. Wo waren die feiernden Leute, die bis in die frühen Morgenstunden auf den Balkons saßen oder durch die Straßen zogen und Bier tranken, sich unterhielten oder Lieder sangen? Diese Ausnahmeerscheinung wäre ihr vermutlich früher aufgefallen, wenn sie nicht bis spät nachts mit Kopfhörern an ihrem Computer säße.

Sie verließ den Hinterhof durch eine kleine Gasse und versuchte die Quelle des Gezeters auszumachen. Es kam deutlich von der Kreuzung die Straße hoch. Kiara nahm die Beine in die Hand und sprintete die hundert Meter. Als sie etwas außer Atem ankam, erkannte sie einen Mann, welcher knietief in der Fahrbahn steckte.
 

„Was zur Hölle-?!“, stieß Kiara fassungslos aus.
 

„Ah, Guten Abend! Schönes Wetter für einen nächtlichen Spaziergang, nicht wahr? Entschuldige, aber wärst du so freundlich und könntest mir ein wenig zur Hand gehen?“, sagte der Mann und drehte seinen Oberkörper in ihre Richtung um sie anzuschauen.

Er lächelte sie weit und freundlich an, trotz seiner misslichen Lage. Er machte auf Kiara einen sehr sympathischen Eindruck, sodass sie fühlte gar keine andere Wahl zu haben, als diesem Fremden zu helfen.
 

„Ja. Ja, natürlich.“ Kiara sah sich um, auf der Suche nach etwas, dass sich als nützlich erweisen könnte.
 

„Lass dir Zeit“, erwiderte der Doctor ruhig, während er weiter versank.
 

Jedoch fand sie kein Objekt, welches sich anbot Hilfestellung zu leisten. Es gab nichts, was nicht zu schwer für sie war, um es herum zu tragen - nur wenige Dinge fielen nicht in diese Kategorie, und keine dieser Gegenstände befand sich auf einer Baustelle. Also blieb ihr nichts weiteres übrig, als ihre Hand nach ihm auszustrecken um ihn vielleicht so herauszuziehen.

Er griff ihr Handgelenk mit beiden Händen und sie lehnte sich mit ihrem Gewicht nach hinten um ihren Mangel an Größe und Stärke wett zu machen. Kiara schlang ihren zweiten Arm um einen Lampenpfosten, damit sie nicht selbst in die schwarze Masse trat. Sie zog mit aller Kraft und der Fremde bemühte sich seine Beine anzuheben und sie von der klebrigen Substanz zu lösen. Er trat mit festem Schritt auf den sicheren Gehweg und befreite sein anderes Bein eigenhändig. Erleichtert atmeten beide auf und lösten sich ihre Hände voneinander.
 

„Danke sehr“, lächelte der Mann sie glücklich an.
 

„Kein... kein Problem. Gern geschehen“, keuchte Kiara.
 

Er drehte sich zur schwarzen Pfütze um und fuhr sich durch die Haare. „Großartig! Was mache ich denn jetzt ohne meinen Sonic Screwdriver? Dabei hat er doch noch so gut funktioniert! Was für eine Verschwendung. Dabei hab ich das Ding geliebt...“
 

„Entschuldigen Sie...?“, warf Kiara kleinlaut ein, nicht sicher, ob sie das Selbstgespräch unterbrechen sollte.
 

„Ah, richtig. Tut mir Leid. Ist alles in Ordnung?“ Der Mann wandte sich geschwind wieder ihr zu und sah sie offenherzig und besorgt an.
 

„Ja, mir geht’s gut... Aber...“ Es gab so viele Fragen, die ihr im Moment durch den Kopf schwirrten und sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte.
 

Doch er wartete gar nicht, bis sie sich auf etwas einigen und den Satz beenden konnte, streckte ihr die Hand entgegen und sagte:
 

„Ich bin der Doctor. Wie ist dein Name, Liebes?“

Erfrischung

Kiara schüttelte perplex die Hand, die der Doctor ihr zur vernünftigen Begrüßung anbot. Ihr Gesichtsausdruck, während sie ihn anstarrte, wechselte von ungläubig zu hocherfreut. Seine Hand war warm und überraschenderweise hatte er sehr weiche Haut.
 

„Kiara Threepwood“, antwortete sie, als sie sich gefangen hatte.
 

„Es ist eine Freude dich kennen zu lernen.“ Er drückte beherzt zu und hörte einfach nicht auf sie freundlich anzulächeln.
 

Sie konnte es immer noch nicht ganz begreifen. Es war tatsächlich der Doctor der vor ihr stand. Sie hatte so vieles über ihn gehört, Erzählungen und Gerüchte über ihn im Internet gelesen und sich Amateuraufnahmen verpixelter Handykameras angesehen. Mehr als hoffen, dass er wirklich existierte konnte sie nicht. Und nun war er da, der Doctor, und schüttelte immer noch ihre Hand.

Und wie absolut lächerlich er aussah!

Die Hose, welche er trug war viel zu kurz für seine langen Beine, der Mantel zu weit für seinen schmalen Körperbau und das Hemd saß zu locker. Zudem war die Fliege um seinen Hals völlig verdreht und das blond gelockte Haar stand in alle Richtungen ab.
 

„Herrje, du stehst hier ja nur im Schlafanzug. Hier, nimm das.“ Der Doctor schlüpfte aus dem Purpur-farbenen Mantel und drapierte ihn über ihren Schultern.
 

Der Saum berührte beinahe den Boden aber bedeckte größtenteils ihren Schlafanzug, auf welchem ein Keks abgebildet war, der in ein Milchglas sprang.

„Aber es ist so warm“, protestierte Kiara.
 

Doch der Doctor insistierte. „Bitte, behalte ihn“ Seine tiefe, beruhigende Stimme schwemmte jeglichen Widerspruch hinfort.
 

„Okay...“
 

Der Doctor atmete die klare Nachtluft tief ein. „Also, wohnst du hier in der Gegend?“, fragte er.
 

Kiara nickte. „Ja, einfach die Straße runter, da an der Ecke...“ Sie warf einen skeptischen Blick auf die schwarze Lache auf der Fahrbahn. „Was ist das eigentlich?“
 

„Das erkläre ich später. Wie wäre es, wenn wir es uns erst einmal wo gemütlich machen?“
 

Mit kühlen Erfrischungsgetränken zwischen den Händen, nahmen der Doctor und Kiara bei ihr Zuhause im Wohnzimmer auf dem Sofa platz. Während Kiara in der Küche beschäftigt war, hatte der Doctor sich im großen Flurspiegel ausgiebig begutachtet. Sein Hauptaugenmerk war dabei auf seinen Zähnen und Locken gefallen.

Die Wanduhr tickte leise vor sich hin, während beide dasaßen und sich anschwiegen. Keiner wusste so recht, wie er die Konversation nun beginnen sollte.
 

Schließlich versuchte Kiara das Eis zu brechen. „Sie waren da, bei der Eröffnungszeremonie der olympischen Spiele vor ein paar Wochen, nicht wahr?“
 

Der Doctor nickte. „Ebenso wie die Daleks.“
 

„Ich hab' gar keine Daleks gesehen?“ Nicht, dass wie wusste, wie Daleks überhaupt aussahen...
 

„Gern geschehen.“
 

Sie nippten an ihren Eistees. Der Doctor schien konzentriert über etwas nachzudenken, seine Stirn lag in Falten.
 

„Also, was ist das Ding da draußen denn nun?“, fragte Kiara erneut.
 

„Nun, es hat meinen Sonic Screwdriver verspeist, bevor ich einen genauen Scan durchführen konnte, aber ich schätze, dass es sich dabei um eine Unterspezies der Slakva handelt. Sie sind eine Art unförmige Lebewesen. In unserem Fall hat sich wohl eins als Straßenbelag ausgegeben um sich von dem zu ernähren, was ihr zu nahe kommt“, erklärte der Doctor. Er entledigte sich seiner traurig herunter hängenden Fliege und stopfte sie in eine Hosentasche.
 

„Slakva?“, wiederholte Kiara, welche absolut keine Ahnung von Aliens hatte. „Wie werden Sie es los?“
 

Der Doctor überlegte kurz und zuckte dann mit den Schultern. „Ich dachte daran, einfach nett zu fragen.“
 

Der Doctor und Kiara leerten ihre Gläser und begaben sich zurück zum Schauplatz. Bevor sie zurückkehrten hatte Kiara die Gelegenheit genutzt in etwas praktischere Kleidung zu schlüpfen und den Mantel vom Doctor Zuhause gelassen. Er brauchte sie wohl eh nicht mehr.

Vor Ort hatte sich nichts verändert. Die Baustelle war immer noch ruhig und viel zu sauber. Das Slakva-Alien hatte all den Dreck und Müll verschlungen. Sogar vom Winde verwehte Blätter waren ihr zum Opfer gefallen. Jedoch waren die übrig gebliebenen alten Rohrteile und Gleise nicht angerührt worden. Auch die Dampfwalze stand friedlich am Rand.
 

„Wunderschönen guten Abend, ich bin übrigens der Doctor. Hat die Mahlzeit gemundet?“, begrüßte der Doctor das Alien.
 

Es antwortete ihm jedoch nicht, sondern fläzte nur etwas herum. Als unförmige Masse hatte es auch gewiss keinen Mund zum Sprechen, dachte Kiara.
 

„Sie können sagen was Sie wollen, aber als schalldämpfender Asphalt leistet es gute Arbeit“, bemerkte Kiara. „Ich hab' diese Straße noch nie so ruhig erlebt.“
 

„Bitte sei so lieb und nenne ihn nicht 'es', das verletzt seine Gefühle. Sein Name ist Smola. Und vermutlich war diese Straße auch noch nie so leer, wenn man bedenkt, dass hier Männer ihrer Arbeit nachgehen sollten“, warf der Doctor ein.
 

Kiara schüttelte den Kopf. „Das ist eigentlich gar nicht so selten...“
 

„Ja, aber warum? Überall im Lande findet man verwaiste Straßenbaustellen, warum werden sie vernachlässigt?“, hakte der Doctor nach.
 

Lange Zeit dachte Kiara, dass es die Schuld der Baufirmen war, die sich haufenweise Aufträge an Land zogen und sie dann langsam, nacheinander abarbeiteten und einfach nicht genügend Arbeiter angestellt waren. Doch in Hinsicht, auf was sich in diesem Moment vor ihr erstreckte, wirkte die Sachlage doch ganz anders.
 

Die junge Frau schluckte und sah den Doctor eindringlich an. „Meinen Sie, dass es von denen noch mehr hier gibt?“
 

„Entweder das, oder jemand sollte mal das System überarbeiten.“
 

„Ich bin ehrlich gesagt, für das Letztere.“
 

Der Doctor und Kiara waren so sehr in ihr Gespräch vertieft, dass sie nicht bemerkten, dass Smola langsam eigene schleimige, tentakel-ähnliche Extremitäten formte und sie nach ihnen ausstreckte.
 

„Wahrscheinlich hat er bereits ein gigantisches Loch in den Boden gefressen“, überlegte der Doctor laut. „Als würde er seinen Bauch hängen lassen. Natürlich wäre nach oben hin mehr Platz, aber dann würde die Tarnung auffliegen. Ich frage mich, wie er wohl hier her gekommen ist.“
 

Kiara fühlte etwas dickflüssiges über ihre Schuhe schwappen. Ohne den Blick zu senken, versuchte sie instinktiv einen Schritt zurück zu treten, doch ihr Fuß war wie angewachsen.
 

„Ähm, Doctor...?“, setzte sie vorsichtig an und versuchte aus ihrem Schuh zu schlüpfen.
 

Doch der Angesprochene war viel zu beschäftigt mit seinen Überlegungen und fuhr sich nachdenklich durch die Haare. „Viel wichtiger ist wohl die Frage, was passiert, wenn er von hier verschwunden ist. Da wird jemand einiges zu tun haben. Ich bin mir nicht sicher, ob die Wasserleitungen danach noch intakt sein werden...“
 

Ein fester Griff schlang sich um Kiaras Knöchel und drohte ihr die Blutzufuhr abzuklemmen.
 

„Doctor?!“
 

Er wandte sich aufmerksam zu ihr und sah sie fragend an. „Was ist los, Liebes?“
 

Kiara deutete auf die schwarze Masse, welche sich wie eine Schelle um ihr Gelenk geschlungen hatte. „Ich glaube, er versucht mich gerade aufzuessen-!“
 

Bevor sie den Satz vollenden konnte, wurde ihr mit voller Wucht der Fuß weggezogen und sie fiel in die klebrige Lache. Der Doctor versuchte nach ihr zu greifen um sie herauszuziehen, doch eine weitere Extremität schlug ihn zurück. Für ein formloses Lebewesen konnte es erstaunlich solide werden, musste der Doctor eingestehen.
 

Smola kroch an Kiaras Beinen hoch und bedeckte sie mehr und mehr mit seiner zähflüssigen Masse. Sie schrie und strampelte und versuchte sich frei zu kämpfen, doch die Griffe um ihre Fußgelenke festigten sich nur immer mehr. Die Slakva-Kreatur hatte alles in ihrer Umgebung verschlungen und trotzdem immer noch Appetit auf mehr.
 

„Ganz ruhig, bloß keine Panik! Ich werde dich da herausholen!“
 

Planlos eilte der Doctor die Baustelle auf und ab, bis ihm die Dampfwalze ins Auge fiel. Mit großen Schritten erreichte er sie im Nu und schwang sich auf den Fahrersitz. Er besah sich die Hebel und Knöpfe und blickte etwas hilflos drein.
 

„Okay. Ich habe weder den Schlüssel in meinem Besitz, noch meinen Sonic Screwdriver um dieses Ding anzuschmeißen. Himmel, was soll jetzt tun - es anschubsen?!“
 

Er vermochte zwar die TARDIS ohne technische Hilfsmittel steuern können, auch reparieren und Kabel neu anschließen stellte nach über neunhundert Jahren kaum noch ein Problem dar – allerdings war dieses Fahrzeug viel zu einfach gestrickt, als dass er wüsste, wie man es richtig kurzschließt. Wenn dies überhaupt bei einer Dampfwalze möglich war. Das alles stellte sich als eine völlig neue Erfahrung heraus. Dieser Gedanke ließ ihn leicht schmunzeln.

Schnell wandte er sich jedoch wieder dem eigentlichen Problem zu. Der Doctor stieg mit einem Fuß aus dem Fahrzeug und sah hinüber zu Kiara, welche inzwischen halb in der schwarzen, triefenden Alienmasse versunken war.
 

„Kiara! Kiara, kannst du meinen Sonic Screwdriver da drinnen irgendwo ausfindig machen? Er müsste da irgendwo sein!“, rief der Doctor ihr zu.
 

Die Angesprochene dachte, sie hörte nicht richtig. „Sie wollen, dass ich- was?!“ Eine Blase stieg auf und zerplatzte neben ihrer Hüfte. „Oh Gott, das ist so ekelig...“
 

„Tut mir Leid, aber es ist vermutlich der schnellste Weg um dich da herauszuholen.“
 

„Okay, okay! Ich mach' ja schon...“
 

Kiara hatte insofern Glück gehabt, dass sie aufrecht in der Lache stand und somit zumindest noch einen frei beweglichen Oberkörper hatte. Es kostete sie einiges an Überwindung, um ihre Hand in den schwarzen Schleim zu stecken und blind darin zu tasten. Sie hatte keine Ahnung, auf was ihre Finger alles stieß. Eine Sache fühlte sich ähnlich an wie eine Plastik Tüte, eine andere hätte die Klingel eines Fahrrads sein können.
 

„Nach was fühlt sich ein Sonic Screwdriver eigentlich an?“, fragte sie und griff vorbei an einer Cola Flasche.
 

„Wenn du etwas findest, was gut in der Hand liegt – das müsste er sein!“
 

Es kamen ihr einige Dinge in den Kopf, welche gut in eine Handfläche passten, doch ein Schraubenzieher besetzte da eher die hinteren Positionen. Innerlich verfluchte sie sich dafür, dass ihr in einer solchen Situation völlig unpassende Sachen einfielen. Aber vielleicht halfen ihr diese absurden Gedanken, nicht in Panik auszubrechen und dafür war sie dann doch dankbar.

Kiaras Finger umschlossen etwas langes, hartes. Es fühlte sich nach Leder und Metallteilen an.
 

„Ich glaub', ich hab's!“, rief sie dem Doctor zu.
 

„Großartig! Wirf ihn zu mir herüber, bitte!“
 

„Da gibt es nur ein Problem... Jetzt steckt mein Arm fest!“ Kiara zog und zerrte verzweifelt am Schraubenzieher und ihrem Arm, aber nichts von beidem wollte sich auch nur einen Zentimeter rühren. Das einzige, was sie tun konnte, war tiefer in das Alien hinein zu greifen. Sie sah allerdings nicht, wie ihr das helfen würde.
 

„An der Seite ist ein Knopf, drück ihn!“, riet ihr der Doctor.
 

Sie drehte den Schraubenzieher, welcher sich wie kein anderer seiner Art anfühlte, und fühlte auf seiner Oberfläche nach besagtem Knopf um ihn, wie ihr geheißen, zu drücken. Irgendwo in Smola ertönte ein gedämpftes, schrilles Geräusch. Es rumorte unter ihr und das Monster spuckte ihren Arm, inklusive dem Sonic Screwdriver. Sie warf nur einen kurzen Blick darauf, ehe sie das merkwürdige Gerät zum Doctor warf, welcher es elegant auffing und es ohne Umschweife dafür nutzte, um die Dampfwalze anzuschmeißen.
 

Die Scheinwerfer gingen an und der Motor knatterte laut. Der Doctor legte den Gang ein und richtete das Lenkrad. „Also gut. Ich gebe dir diese eine Chance: Lass sie gehen und verschwinde.“
 

Smola grummelte missmutig und zog das Mädchen trotzig weiter in sich hinein, bis nur noch ihr Kopf und ihre ausgestreckten Arme zu sehen waren.
 

„Doctor!!“, schrie sie und bekam langsam wirklich Muffensausen. Schwimmen und Tauchen fand sie schon nicht sehr angenehm, da sie ständig Angst hatte zu ersticken. Eine dickflüssigere Variante dessen machte sie nicht weniger panisch.
 

„Also gut. Es tut mir Leid, dass ich das tun muss.“
 

Der Doctor setzte sich zurück auf den Sitz der Schaltkabine und setzte das gelbe Gefährt langsam in Bewegung. Während er das Gaspedal runter drückte, betätigte er scheinbar willkürlich die Knöpfe und Hebel.

Ob durch pures Glück oder Können – der Doctor schaffte es, die Maschine zu überzeugen heiß zu laufen.

Die Walze tat ihre Arbeit und brachte da Alien langsam in Bedrängnis. Es war viel zu langsam und träge, um dem Tonnen schweren Rad, welches Zentimeter für Zentimeter über seine Gestalt rollte, zu entkommen.

Mit einem Mark gefrierenden Schrei versuchte es noch einmal sich in Sicherheit zu bringen, seinen Körper unter dem Gewicht hervorzuziehen, ehe es kraftlos zusammensank.
 

Der Klammergriff um Kiara ließ allmählich nach, sodass es ihr möglich war, sich freizustrampeln. Mittlerweile war es einem Bad in warmen Pudding ähnlich. Nicht gerade eine Tätigkeit, die auf ihrer To-Do Liste stand.
 

Elegant sprang der Doctor aus dem gelben Monstrum und half dem verklebten Mädchen zurück auf festen Boden.
 

„Ist es tot?“, fragte Kiara keuchend.
 

Der Doctor schüttelt den Kopf. „Nur gelähmt, fürchte ich“, erklärte er. „Die größte Schwäche eines Slakvas ist die Hitze. Ihr Toleranzbereich hält sich in Grenzen und unser guter Smola hier war noch sehr angeschlagen von der Sommersonne, die ihn erwärmte. Sonst hätte er dich gewiss innerhalb von zwei Sekunden verschlungen.“
 

Kiara atmete tief durch. „Beruhigend.“
 

Sie warfen erneut einen Blick hinab auf Smola, welcher bösartig blubberte.
 

„Hat er noch andere Schwachstellen?“, fragte Kiara.
 

Der Doctor fuchtelte mit seinen Sonic Screwdriver in Richtung des bewegungslosen Smola und scannte ihn. Dann ließ er die Gerätschaft aufschnappen und betrachtete sie mit festem Blick, als würde er daraus Informationen lesen können.
 

„Wasser“, erwiderte der Doctor.
 

„Wasser? Wirklich? Das ist alles?“
 

„Ja, sobald er unter Wasser getaucht wird, schrumpft er zurück in seine normale Größe, welche sehr, sehr klein ist, glücklicherweise. Nicht so glücklich ist die Tatsache, dass es gerade nicht sonderlich nach Regen aussieht“, bemerkte der Doctor.
 

„Nein, und so soll es wohl bis Ende der Woche bleiben.“ Kiara seufzte. Wie sollte man so schnell an so viel Wasser kommen, um dieses gigantische Loch zu füllen und die halbe Straße gleich mit zu fluten? Wo blieb der Platzregen, wenn man gerade einen brauchte? Sie konnten doch nicht Eimer von ihrer Wohnung bis zur Kreuzung schleppen, das würde sie mehr als die ganze Nacht beanspruchen. Wenn sie vielleicht die Anwohner dazu bewegen könnten, ihre Spülen voll laufen zu lassen... „Moment, was sagten Sie über die Wasserleitungen?“, fragte Kiara, als ihr ein Gedanke in den Kopf sprang.
 

„Ich sagte, dass Smola vermutlich ein großes Loch in den Boden gefressen hat und somit die Rohre beschädigt haben könnte- aha!“
 

„Also, was ist der Plan?“, hakte Kiara eilig nach, denn sie spürte, wie sich Smola neben ihr wieder langsam regte.
 

Der Doctor gestikulierte wild mit seinen Händen, drehte sich auf den Absätzen herum und suchte die Umgebung mit seinen Augen ab. „Wir müssen ihn irgendwie beschweren, sodass die Leitungen brechen!“
 

„Oh gut, und wie?“, drängte Kiara und wich vorsichtig zur Hauswand.
 

„Gib mir bitte einen Augenblick.“
 

Smola hatte inzwischen genügend Zeit sich zu erholen und sammelte seine geballte Kraft um ihnen nachzujagen. Er bewegte sich erstaunlicher Weise schneller als zuvor und breitete sich über den Bordstein und Gehweg aus.
 

„Oh je, ich fürchte, wir haben ihn wütend gemacht“, murmelte der Doctor und versuchte ein letztes Mal ihn mit seinem Screwdriver zu verscheuchen.
 

Derweil presste sich Kiara gegen die nächste Hauswand und versuchte jeglichen Kontakt mit der schwarzen Masse zu vermeiden. „Doctor!!“, rief sie, ihr Drängen klang nun leicht hysterisch.
 

„Keine Panik, Liebes! Versuch ruhig zu bleiben. Tief durchatmen.“
 

Vom vielen Durchatmen wurde ihr ehrlich gesagt schon ganz schwindelig.
 

„Wie wäre es, wenn wir ein kleines Spiel spielen? Der Boden ist voller Lava!“, schlug der Doctor vor und hoffte, sie Situation so etwas entschärfen zu können. „Solange wir nicht den Boden berühren, ist alles gut.“
 

Mit einem gewagten Sprung schwang sich Kiara auf den gelben Briefkasten und kletterte daran hoch. Gott sei Dank waren die Teile stabil gebaut, obwohl sie als Fliegengewicht eher selten Probleme damit hatte.

Zu ihrem Entsetzen jedoch versank nun auch der Briefkasten langsam im Slakva, während Kiara oben drauf saß und sich an den Ecken festklammerte.
 

„Nicht die Post fressen! Aus! Böses Slakva!“, stieß sie in ihrer Verzweiflung aus.
 

„Eine brilliante Idee!“, rief der Doctor plötzlich.
 

Kiara sah perplex zu dem Mann, welcher an einem Lampenpfosten hing. Was für eine Idee?
 

„So wird er schwer genug! Los, hüpf auf die Stahlrohre!“
 

„Das ist leichter gesagt, als getan!“, beschwerte sich Kiara. Sie müsste gut zwei Meter weit springen und dann auf wackeligen Bauteilen landen. Als Kind hätte sie das ohne viel zu zögern getan, aber als junger Erwachsener hing man doch deutlich mehr an seinem Leben, wenn man die Konsequenzen kannte.
 

„Denk dran, wie im Spiel! Dir wird nichts passieren, ich verspreche es, Liebes!“, ermutigte sie der Doctor.
 

Wie im Spiel. Kiara schloss ihre Augen. Ihr blieb nichts anderes übrig als vom sinkenden Schiff ins Rettungsboot zu springen, wenn sie nicht im eiskalten, alles verschlingenden Ozean landen wollte. Das Boot schwankte leicht aufgrund des Seeganges, doch sie war in Sicherheit. Und als sie ihre Augen wieder öffnete, sah sie das letzte mal den gelben Briefkasten. Da verschwand die Geburtstagkarte an Onkel Klaus im Verdauungstrakt dieser Bestie.
 

Smola riss die Dampfwalze an sich, verdeckte sie komplett mit seiner zähen Masse und verschlang sie komplett, sodass nichts mehr von ihr übrig blieb. Die Laterne war als nächstes dran, das Licht flackerte kurz ehe es erlosch. Kiara half dem Doctor vom Pfosten auf die Rohre und ließ seine Hand nicht mehr los. Da ging die Laterne, zerschlagen in zwei Teile und versank wie die Titanic.
 

Kiara rutschte nervös weiter nach hinten und drückte weiterhin die warme Hand in ihrer. Sie hoffte inständig, dass sein Plan funktionierte.

Das Slakva gelangte gefährlich nahe an sie heran, die ersten Rohrteile gaben nach wie warme Spaghetti. Der Doctor wedelte erneut in ihrer Not mit seinem Sonic Screwdriver, als plötzlich mehrere Blässchen aus dem Alien hervorsprudelten.

Wenige Momente später brach ein Fontäne aus der Mitte hervor und benetzte die Umgebung mit Wasser. Smola kreischte fürchterlich und zog sich zusammen. Nach und nach kamen kaputte Gleise, Lampen und Müll zum Vorschein. Das Ende des zerbrochenen Lampenpfostens steckte noch halb in dem Loch in einem Rohr, aus welchem das Wasser strömte.
 

„Das war knapp...“, keuchte Kiara erleichtert. Sie und der Doctor waren vom künstlichen Regen komplett durchnässt. „Zu knapp.“
 

Der Doctor lachte, wischte sich die feuchten Locken aus dem Gesicht und kletterte emsig in das gigantische Loch im Boden, welches Smola hinterlassen hatte und sich nun wie ein Swimming Pool füllte. Von oben erkannte Kiara, dass er etwas vorsichtig aufhob. Das musste Smola sein, in seiner eingelaufenen Form. Wie klein und hilflos er war. Fast tat er ihr Leid.
 

„Was werden Sie jetzt mit ihm machen?“, fragte Kiara, als sie die Straße zur Polizeizelle hinunter gingen.
 

„Ich werde ihm einen neuen Heimatplaneten finden. Irgendwo, wo er niemanden schaden kann“, antwortete der Doctor.
 

Kiara nickte. Das war wahrscheinlich das Weiseste, was man tun konnte. Und unglaublich nett von ihm, wenn man bedachte, dass Smola vor wenigen Minuten noch vorhatte sie beide zu töten.
 

„Wie wäre es, wenn du mitkommst und mir dabei hilfst, ihm eine passende Bleibe zu finden?“, schlug der Doctor vor.
 

„Mit Ihnen? In der-“ Kiara gestikulierte in Richtung der Polizeizelle.
 

„In meiner TARDIS, ja. Oder möchtest du nicht?“
 

Ihr Herz setzte für einen kurzen Augenblick aus, ehe es wild in ihrer Brust umher sprang, sodass die das Pochen in ihren Ohren spürte. Davon hatte sie so lange geträumt. Nie hätte sie gedacht, dass das alles wirklich wahr würde und dass ausgerechnet sie die Chance bekäme. Immerhin waren es doch immer nur Gerüchte und Theorien gewesen, die im Internet kursierten. Über den Mann, der mit seiner blauen Box überall auftauchte.

Das war die Gelegenheit, ihre Chance mit dem Doctor in der TARDIS auf Reisen zu gehen. Wie könnte sie da nein sagen?
 

„Doch! Ja, ich will! Ich will!“, haspelte sie aufgeregt.
 

Der Doctor öffnete die Tür der TARDIS und bat sie hinein. Kiara holte tief Luft und trat in die blaue Box.

Praeludium

Mit lautem Ächzen hob und senkte sich die kristallene Säule in der Mitte des Kontrollraumes der TARDIS. Beschwingt tänzelte der Doctor um die Konsole herum und bediente Knöpfe und Schalter.

Inzwischen hatte er das Outfit seines Vorgängers abgelegt und sich in dem gigantischen, begehbaren Kleiderschrank des Schiffes neu eingekleidet.
 

Er trug eine grün-gold gemusterte Weste über seinem weißen Hemd mit Stehkragen. Statt der Fliege hatte er sich einen eleganten Seidenschal um den Hals gebunden. Die braune, in Stiefel gesteckte, Hose rundete die Aufmachung eines viktorianischen Gentlemans ab.
 

„Wofür ist das hier gut?“, fragte Kiara, die mit einer kleinen Maschine in den Kontrollraum kam. Während der Doctor die TARDIS steuerte, hatte sie sich ein wenig im Inneren des Schiffes umgesehen.
 

Der Angesprochene wandte sich nach einem letzten Dreher an einem Küchenuhr-ähnlichem Schalter zu seiner neuen Begleiterin um und lächelte freundlich.
 

„Ah, wie ich sehe hast du die Küche gefunden. Das ist ein Eierkocher. Er bereitet dir dein Frühstücksei perfekt zu.“ Er griff in seine Hosentasche und zog ein rohes, braunes Ei heraus und legte es in die Aussparung im Inneren der Maschine. „Wie magst du es am liebsten?“
 

„Weich gekocht.“
 

Sie drückte auf den Einschaltknopf und nach einigen Sekunden, in denen der Egg-O-Mat fröhlich vor sich hin surrte, kam ein Teller mit fertigem Rührei heraus. Irritiert begutachtete Kiara das Ergebnis.
 

„Das ist aber kein weich gekochtes Ei...“, bemerkte sie etwas enttäuscht.
 

„Nun, vielleicht ist ein weich gekochtes Ei einfach nicht die perfekte Wahl für dich, hast du daran schonmal gedacht?“, schloss der Doctor daraus und reichte ihr eine Gabel.
 

Kiara entschloss, nicht über das Wie und Warum seiner Tascheninhalte nachzudenken und bedankte sich einfach, ehe sie ihr persönliches Rührei probierte. Es war sogar perfekt gewürzt!
 

„Und?“, hakte der Doctor nach.
 

„Lecker!“
 

Während Kiara sich genüsslich dem Essen hingab, lehnte sich der Doctor an das Geländer und beobachtete sie, ein zufriedenes Lächeln zierte seine Lippen.
 

„Hast du dir schon etwas überlegt?“, fragte der Doctor plötzlich.
 

Die Angesprochene blinzelte irritiert zu ihm auf. „Bitte was?“
 

„Ob du dir schon ein Reiseziel überlegt hast, Liebes! Das ganze Universum und alle Zeit der Welt stehen dir zur Verfügung!“ Er öffnete theatralisch seine Arme, als wartete er auf eine Offenbarung. „Es gibt doch gewiss einen Ort, den du schon immer mal besuchen wolltest“, lächelte er sie auffordernd an.
 

Kiara starrte nachdenklich auf ihren leeren Teller. Warum war der Kopf in solchen Momenten wie leer gefegt? Als wenn man das ganze Jahr immer mal wieder dachte 'das hätte ich gerne... und das da' aber wenn dann endlich Weihnachten oder der Geburtstag vor der Tür stand, fielen einem plötzlich keine Wünsche mehr ein.
 

Doch dann kam ihr etwas in den Sinn! Ein Wunsch, der so tief in ihr verankert war, dass es eigentlich an Hohn grenzte, dass sie ernsthaft hatte nachdenken müssen.
 

„Wir können also überall hin, ja?“, vergewisserte sie sich.
 

„Aber natürlich! Fremde Planeten, der Anbeginn der Zeit, der Pionierflug zum Pluto – was dein Herz begehrt!“, bestätigte ihr der Doctor.
 

Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „Ein Queen Konzert.“
 

Der Doctor sah sie verdutzt an. „Wirklich?“
 

Kiara holte tief Luft um möglichst viel Betonung auf ihr beherztes „Jah~“ zu legen. „Wembley '86, bitte.“
 

Damit hatte der Time Lord nicht gerechnet. Es vergingen einige weitere Sekunden, bis er sich wieder gefangen hatte und sie freudig angrinste.
 

„Also gut!“ Er drehte sich beschwingt auf dem Absatz zurück zur Konsole und begann Koordinaten einzutippen. „Eine interessante erste Wahl“, gab er von sich. Anscheinend hatte er etwas spektakuläreres erwartet.
 

„Ich kenne nun mal meine Prioritäten“, verteidigte Kiara ihren Wunsch.
 

Sie war mit der Musik dieser Band aufgewachsen. Zu ihrem größten Leid war sie einfach im falschen Jahrzehnt geboren. Als sie älter wurde, erfuhr sie, dass der Frontsänger, Freddie Mercury, knapp drei Monate vor ihrer Geburt verstorben war. Somit hatte sie nie die Chance, ein echtes Queen Konzert miterleben zu dürfen. Zumindest hatte sie sich mit dieser Tatsache abgefunden, bis zu diesem Tag.
 

„Das ist sehr gut! Man sollte seine Ziele immer im Auge behalten“, stimmte der Doctor zu.
 


 

Während die TARDIS durch den Time Vortex rotierte, kämpfte sich Kiara durch den gewaltigen Kleiderschrank des Schiffes – immerhin wollte sie zu einem der Events der 80er nicht in Schlafshorts erscheinen. Zugegebenermaßen waren sie cool und süß. Die gelbe Hose war bedruckt mit Keksmotiven, welche die 'Yolo' rufend in Milchgläser sprangen und solche, die an Fallschirmen hingen. Für den Abstecher nach Alpha Crateris Minoris II war ein Garderobenwechsel nicht nötig gewesen, dort hatte es, soweit sie es denn beurteilen konnte, eh keine Lebewesen gegeben. Nur Pilze. Der einzige Bewohner war nun Smola, welcher sich zufrieden in die blaue Erde eingegraben hatte.
 

Beim Durchstöbern stieß Kiara auf einige abgefahrene Kleidungsstücke und oft hatte das Mädchen Schwierigkeiten sie überhaupt einem passenden Jahrzehnt zuzuordnen. Hier gab es wirklich alles! Faszinierender Weise sogar Teile in ihrer Größe. Viktorianische Kleider, Kostüme aus den 20ern, Modedesaster aus den 80ern...
 

„Was für ein scheußlicher Patchwork-Mantel. Und wofür ist denn bitte ein fünf Meter langer Schal gut?“, murmelte sie vor sich hin.
 

Schließlich gab sich Kiara mit einem bunten T-Shirt, franseligen Jeans-Shorts und Chucks zufrieden.
 

„Die größte Auswahl der Weltgeschichte und ich zieh das gleiche an, wie sonst auch. Typisch.“
 


 

„Du kommst gerade richtig, wir setzen zur Landung an“, empfing der Doctor seine neue Begleiterin, als sie in ihrem neuen Outfit in den Kontrollraum zurückkehrte.
 

„Das heißt, wir sind da?“, vergewisserte sich Kiara breit grinsend. Aufgeregt sprang sie zu ihm an die Konsole.
 

„In der Tat, ich muss nur-“ Ein letzter Hebel wurde umgelegt. Um sie herum rummste es und das Schiff erschütterte, was die Passagiere leicht in ihre Knie sacken ließ. „Da wären wir.“
 

Das Mädchen stieß ein beinah inhumanes Quietschen aus und klatschte erfreut in die Hände.
 

Es kam alles so plötzlich. Nie hätte sie es gewagt, mehr als nur von diesem Augenblick zu träumen. Einen großen Wunsch hatte sie sich bereits erfüllt, als sie vor ein paar Jahren das Musical We Will Rock You in London besuchte – es berührte sie emotional so sehr, dass sie geweint hatte. Zweimal. Sie liebte es sich Konzertvideos anzuschauen, mit ihren großen DJ-Kopfhörern auf den Ohren – es zog sie in einen Bann als wäre sie dabei. Und nun würde sie wirklich dabei sein. Sie würde in der Menge stehen, live vor Queen. Es kribbelte sie schon im ganzen Körper.
 

Kiara sprang die Treppe hinunter und eilte zur hölzernen Tür. Da draußen wartete das London der 80er Jahre.

Eine Zeit in der sie noch lange nicht geboren war. Eine Zeit welche sie nur aus dem Fernsehen kannte.

So viel des modernen Londons würde fehlen, das London Eye, das Shakespeare's Globe Theatre, die ganzen Glasfrontgebäude... und auch das neue Stadion würde noch nicht stehen.

An seiner Stelle stattdessen das alte mit seinen weißen Zwillingstürmen. Die Kathedrale des Fußballs, wo 127.000 Fans Platz fanden, mit seinen neununddreißig Stufen zur Royal Box, die Heimat der Olympischen Sommerspiele von 1948 und einer der Veranstaltungsorte des Live Aid, dem bis dahin größten Benefizrockkonzerts der Geschichte.
 

Das Herz klopfte so laut in ihrer Brust, dass sie meinte, es würde selbst die TARDIS übertönen. Ihre Finger umschlossen die Griffe und mit einem bestimmten Ruck zog sie beide Türseiten auf und schrie aus vollem Leibe:
 

„Hallo, Wembley!!!“

Erkundungstour

Ein beruhigendes Rauschen drang in Kiaras Ohren. Vor der jungen Frau erstreckte sich ein weites, azurfarbenes Meer, welches sich am Horizont mit dem purpurfarbenen Himmel berührte. Hölzerne Stege schlängelten sich über die Wasseroberfläche und luden zu einem Spaziergang ein. Zwar war dies alles wunderschön idyllisch, aber keinesfalls das, was Kiara erwartet hatte hinter den Türen der TARDIS vorzufinden.
 

Ihre Euphorie fiel in den Keller, sowie auch ihre Arme enttäuscht zu ihren Seiten hinab fielen.
 

„Das ist nicht Wembley“, gab sie trocken von sich.
 

Der Doctor trat hinter Kiara und warf einen Blick über sie drüber, hinaus in die Ferne.
 

„Ah“, machte er nur. „Das tut mir schrecklich Leid, Liebes.“
 

„Wo sind wir?“ Und warum sind wir nicht in London, fügte sie in Gedanken hinzu.
 

Nach einem tiefen Atemzug und einer Kostprobe der Atmosphäre, antwortete der Doctor „Nun, in gewisserweise ist das hier Wembley.“
 

„Im Jahr 4923 oder wie?“
 

„Nein, nein“, der Doctor schüttelte gutherzig den Kopf. „Wir sind auf Planet Wembley 86, dem Venedig des Universums.“
 

Kiara sah den Doctor verständnislos an. Ernsthaft? Wie konnte so etwas bitteschön passieren, wenn er doch die Koordinaten eingegeben hatte? Inklusive Jahreszahl, wohl gemerkt. Ob er das extra gemacht hat? War ihr Wunsch ihm zu langweilig? Oder konnte er die TARDIS weniger genau steuern, als es ihm lieb war zuzugeben?
 

„Sie machen mir Hoffnung, nur um sie gleich darauf wieder zu zerstören“, seufzte sie. „Ich hatte mich so gefreut.“

Einfühlsam legte er ihr eine Hand auf die Schulter.
 

„Vorfreude ist doch bekanntlich die schönste Freude! Das läuft uns ja nicht weg. Aber wenn wir schon einmal hier sind, können wir uns doch etwas umschauen, nicht wahr? Was meinst du?“
 

Das stimmte, sie hatte immer noch Gelegenheit zum Konzert zu kommen. Eigentlich wäre es eine Verschwendung den besten Wunsch schon am Anfang zu verbrauchen.
 

Kiara atmete einmal tief durch und fing dann wieder an zu lächeln. Ein fremder Planet, mit fremden Lebewesen! Eigentlich war das schon ziemlich aufregend. Hoffentlich waren sie freundlich gesinnt.
 

„Klar, gerne!“, grinste sie schließlich.
 

In seiner gentlemanhaftigen Art, bot der Doctor ihr den Arm an. „Wollen wir, Liebes?“
 

Kiara harkte sich glücklich bei ihm ein und sie traten hinaus auf den fremden Planeten.
 


 

Der Holzsteg knarzte unter ihren Schritten und wankte etwas mehr, als Kiara lieb war. Wirklich sicher erschien es ihr nicht. Experimentell hatte sie einen Finger in das Wasser gehalten, um zu prüfen, ob es sich wie sein Pendant auf der Erde anfühlt. Interessanterweise war es wärmer, als sie erwartet hatte, aber auch weicher – sofern eine Flüssigkeit denn überhaupt weich sein konnte. Es umschmeichelte ihre Hand, wie edle Seide. Kiara beschloss keinen Geschmackstest zu machen. Man konnte ja nie wissen, was tödlich für einen sein könnte.
 

„Was ist das hier eigentlich für ein Planet? Wo sind alle?“, fragte Kiara.
 

Der Doctor zeigte bestimmt in eine völlig willkürliche Richtung. „Da hinten, siehst du das? Das ist der Fischmarkt.“
 

Nein, so deutlich wie er, sah sie es tatsächlich nicht. Aber sie war auch Brillenträger und hatte ohnehin keine Adleraugen. Sie folgte seinem Blick und musste die Augen zukneifen, um die Silhouetten von kleinen Buden erkennen zu können.
 

„Oh, das trifft sich ganz gut, ich hab schon seit längerer Zeit Hunger auf Backfisch.“
 

„Ich bin mir nicht ganz sicher, ob du den hier kriegen wirst“, meinte der Doctor entschuldigend und stolzierte voraus.
 

Eilig stolperte Kiara ihm hinterher.
 

„Gibt es eigentlich irgendetwas das ich wissen sollte? Etiketten? Fettnäpfchen, in die ich nicht treten sollte?“
 

„Den Backfisch könntest du im Fettnapf ertränken“, lachte er.
 

„.... Hä?“
 


 

Der Fischmarkt stellte sich als anders heraus, als Kiara erwartet hatte. Die Buden standen nicht auf festen Fundament, sondern trieben mithilfe von Luftreifen auf dem Meer. Sie waren auch relativ niedrig. Jemand, der auf dem Steg stand musste sich in jedem Fall zum Verkäufer hinunter beugen.
 

Der Markt war äußerst belebt. Viele verschiedene Lebewesen tummelten sich auf den Stegen und Plätzen, kauften ein und unterhielten sich. Die Verkäufer selbst waren menschenähnlich, abgesehen von ihrer Hautfarbe, welche jede Farbe des Regenbogens enthalten konnte. Bei genauerem Hinsehen bemerkte Kiara, wieso die Verkäufer so viel tiefer im Wasser standen. Es handelte sich um eine Art Meermenschen. Sie staunte nicht schlecht. Also gab es Meerjungfrauen wirklich!
 

„Mit was bezahlt man hier?“, fragte Kiara den Doctor.
 

„Willst du nicht erst einmal wissen, was man hier überhaupt kaufen kann?“, bedachte der Angesprochene.
 

„Das bringt mir nichts, wenn ich weiß, dass ich es ohne Zahlungsmittel nicht kriegen kann“, antwortete sie trocken.
 

„Ich habe nie Bargeld bei mir“, bemerkte der Doctor.
 

„Also könnten Sie mir auch nichts leihen... Damit hat sich das ja dann erledigt“, seufzte Kiara.
 

„Aber, aber, meine Liebe. Nicht verzagen!“
 

Der Doctor ging zu einer Bude und zückte eine Lederbrieftasche, welche er vor dem Verkäufer aufklappte.
 

„Guten Tag, ich bin der Doctor, das ist meine Assistentin Kiara Threepwood, wir sind vom Planetarischen Gesundheitsamt und unterwegs Stichproben zu sammeln“, sprach der Time Lord, ohne auch mit der Wimper zu zucken, den Verkäufer an.

Dieser warf einen Blick auf den Inhalt der Brieftasche und nickte höflich. Er händigte dem Doctor zwei Schalen mit einer Flüssigkeit aus und wünschte ihm noch einen schönen Tag.
 

Moment, hatte Kiara das gerade wirklich verstanden?
 

„Bitteschön, meine Liebe. Zum Wohl!“, lächelte der Doctor und reichte ihr eine Schale.
 

Die junge Frau nahm das Getränk entgegen. „Äh, danke. Wie haben Sie das gemacht?“
 

„Psychic Paper – immer nützlich in den verschiedensten Lebenssituationen. Zeigt jedem genau das, was er erwartet zu sehen.“
 

Der Doctor nippte ungehemmt an der Flüssigkeit. Sie schien ihm gut zu schmecken. Kiara hingegen betrachtete sie mit argwöhnischen Augen. Die Flüssigkeit war beige und am Boden schwammen kleine, schwarze Kügelchen.
 

„Das sieht aus wie Bubble Tea“, stellte sie überrascht fest. Sie nahm einen Schluck und musste feststellen, dass es absolut nicht wie das asiatische Trendprodukt schmeckte.
 

„Das ist Bubble Tea! Faszinierend, nicht wahr?“, bestätigte der Doctor.
 

„Es schmeckt kein Stück wie Bubble Tea! Das ist doch kein Tee! Und die Bubbles... ... ist das Fleisch?“ Sie aß eine weitere Kugel, welche nicht ganz unähnlich einer Kartoffel schmeckte.
 

„Wusstest du, dass Bubble Tea eigentlich nicht aus Asien stammt, sondern tatsächlich von Planet Wembley?“, bemerkte der Doctor.
 

„Was?“
 

Er fuhr unbeirrt fort: „Tapfere Wembleaner wanderten zur Erde aus, passten das Rezept für Menschen an und verkauften es dort, um Fuß fassen zu können.“
 

„Unglaublich!“, entfuhr es Kiara.
 

„Hier ist es eine komplette Mahlzeit, statt nur ein Getränk für Zwischendurch. Hauptgang, Nebenspeise, Soße, Getränk und Dessert in einem! Anfangs vielleicht etwas zu viele Informationen für die gewöhnlichen Geschmacksnerven, aber durchaus bekömmlich.“
 

„Nur, weil es nachher sowieso alles im Magen landet, muss man es nicht vorher schon zusammenmatschen“, murmelte Kiara, welche vier verschieden schmeckende Kügelchen vor sich hin kaute.
 

„Nun gut, Wembleaner sind nicht unbedingt Gourmets. Aber diese Art zu speisen hat durchaus Vorteile, findest du nicht?“, stimmte der Doctor zu.
 

Kiara aß eigentlich sehr gerne und wenn es ging sehr ausgiebig, auch wenn man ihr das nicht anzusehen vermochte. Aber dann an einem Tisch, wenn man sich mit Freunden unterhalten konnte. Sie hatte auch nichts gegen Fast Food und unterwegs zu essen, aber das verband sie häufig mit Stress und dann schmeckte es nur halb so gut.
 

„Wenn man nur isst, um seinen lästigen Hunger zu stillen, ja“, entgegnete sie schließlich.
 


 

Sie schlenderten weiter über den wackeligen Marktplatz und Kiara erhaschte immer mehr Gesprächsfetzen von den Unterhaltungen der verschiedensten Kreaturen. Dabei ging es um Dinge wie das Wetter, Souveniers und irgendwelche Shows in lokalen Etablissements. Kiara konnte nicht anders, als zu stutzen.
 

„Die sprechen hier nicht wirklich... eine irdische Sprache, oder?“, harkte sie nach.
 

„Oh, nein, gewiss nicht. Das Kommunikationszentrum der TARDIS übersetzt es in eine dir verständliche Sprache. In deinem Falle wohl Deutsch“, erklärte der Doctor.
 

„Ich höre aber kein Deutsch“, gab sie verwundert von sich.
 

„Oh. Oder Englisch?“, korrigierte sich der Doctor.
 

Kiara schüttelte erneut den Kopf. „Ich kann nicht sagen, was es ist... aber ich verstehe es.“
 

Wenn sie angestrengt zuhörte, klang es wie ein Misch-Masch aus Deutsch und Englisch, aber einer der keinen Sinn ergab. Als würde man zwei Tonspuren gleichzeitig abspielen. Den Doctor verstand sie auf Englisch, ab und zu waren deutsche Wörter dabei, wenn es um technische Ausdrücke ging, die sie auf Englisch nicht kannte, anderes blieb aufgrund von Unübersetzbarkeit.
 

„Hm, vielleicht sollte ich da bei Gelegenheit ein bisschen nachjustieren“, überlegte der Doctor.
 

Kiara winkte ab. „Ist schon in Ordnung, es ist ja alles verständlich, solange ich nicht drüber nachdenke.“
 

„Ja, Menschen haben die Angewohnheit so durch ihr Leben zu laufen...“
 

Kiara tat so, als hätte sie das überhört. Zwar stimmte sie ihm zu, aber sie wollte nicht gerne in diese Kategorie gehören, geschweige denn es sich eingestehen oder zugeben.
 


 

Die beiden Reisenden fanden heraus, dass man auf Wembey 86 mit einer Währung namens Sand-Shell bezahlte. Dabei handelte es sich aber eigentlich nur um Coupons, welche man im Touristenbüro für Bargeld eintauschen konnte. Diese Coupons hatten dann entweder einen bestimmten Wert oder es stand genau drauf für was man sie einlösen konnte.

Mit dem Touristengeld konnten die Wembleaner mit anderen Planeten Handel betreiben und die Coupons blieben im Umlauf. Kiara fragte sich, ob sie mit Inflation zu kämpfen hatten.
 

Vorbei am Markt fanden sie weitere Touristenattraktionen, wie einen Wasserpark mit Rutschen, prächtigen Brunnen und Sportfeldern. Es gab auch Friseure und Spas und viele Stände, wo man Holo-Postkarten verschicken und Süßigkeiten kaufen konnte. Im nächsten Viertel reihte sich Hotel an Hotel, denn irgendwo wollten die nicht-fischigen Gäste auch nächtigen. Und an jeder Ecke konnte man wembleanischen Bubble Tea kaufen. Kiara fühlte sich fast wie zuhause.
 

Aus einem der Büdchen ertönten ärgerliche Stimmen, es krachte laut und jemand schrie wutentbrand: „Mach dass du verschwindest!!“
 

Ein Meermann sprang in einem hohen Boden aus der Bude, über den Steg zurück ins Wasser.
 

„Und nimm dein abscheußliches Mutantenzeug mit!!“
 

Ein gläserner Behälter flog ihm hinterher, zerschellte jedoch auf den Holzplanken, sodass sich der Inhalt darüber verteilte.
 


 

oOo
 

Langsam sanken die zwei Sonnen des Planeten Wembley in Richtung Horizont und tauchten den Abendhimmel in ein sattes Rot. Die Touristen kehrten langsam zu ihren Shuttle Schiffen zurück oder checkten in die zahlreichen Hotels ein. Die Geschäfte schlossen und erloschen ihre Lichter. Nur wenige Kioske und Bars wurden die ganze Nacht betrieben. Sie waren Rückzugsorte für die Einsamen und Verliebten.
 

Zwei Gestalten schlichen durch das dumpfe Dämmerungslicht und eilten von Schatten zu Schatten der verlassenen Buden. Vereinzelt klopften sie zweimal an die hölzernen Rahmen verschiedener Läden. Weitere Schatten krochen aus dem Meer auf die Stege und folgten dem Pfad der zwielichtigen Gestalten. Sie huschten weiter ins Innere der Stadt.
 

Aus dem Fenster einer Bar heraus beobachteten der Doctor und seine Begleiterin das Treiben auf den Stegen. Keinen von den anderen Gästen schien es großartig zu interessieren, was draußen vor sich ging. Und selbst diese, die melancholisch ebenfalls aus dem Fenster starrten, kümmerte es herzlich wenig. Vielleicht waren sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Oder vielleicht war es nichts besonderes, wenn merkwürdige Kreaturen durch die Nacht huschten.
 

Der Doctor hatte einige Gegenstände aus seinen Manteltaschen gekramt und sie auf dem Tisch vor sich verteilt. Er nutzte sie um den Inhalt des zerbrochenen Behälters zu untersuchen. Kiara saß ihm mit den Beinen baumelnd gegenüber und schlürfte an einem Cocktail, während ihr Blick immer mal wieder von der idyllischen Abendbeleuchtung der hutzeligen Hütten draußen, zum Treiben des Doctors vor ihr wechselte.
 

Anfangs war sie noch Feuer und Flamme gewesen, herauszufinden worum es sich bei dem fragwürdigen Inhalt handelte, doch seit zwei Stunden gingen ihr die Bemühungen des Doctors etwas auf die Nerven. Bei genauerem Hinsehen hatte sie die Bemerkung fallen gelassen, dass sie die Kügelchen an Poppings erinnerte. Neben Tapioka waren diese ein beliebter Teil des Bubble Teas. Der Doctor hatte lediglich den Kopf geschüttelt und sich an seine Forschung gesetzt.
 

„Wieso denn nicht? Die gibt es bei uns doch auch! Dann können sie doch hier auch welche herstellen?“, hatte Kiara eingewendet.
 

„Die Sache an den Kügelchen in den Speisen hier ist die, dass sie nicht auf einer Art hergestellt werden, wie du sie vielleicht von der Erde kennst“, war die zögerliche Antwort gewesen.
 

Unwissend hatte sie mit den Schultern gezuckt. „Ich habe ehrlich gesagt, keine Ahnung, wie die hergestellt werden. Hat wahrscheinlich etwas mit Mikroküche zu tun.“
 

„Nun, so wie Hühner Eier produzieren oder Kühe Milch, stellen die Wembleaner Bubbles her. Diese besitzen ausreichend Nährstoffe um den Körper zu versorgen, sodass man nur um Langeweile oder unangenehme Beigeschmäcker zu vermeiden, verschiedene Geschmacksverstärker beifügt.“
 

Danach hatte Kiara eine Weile geschwiegen. Das musste sie erstmal schlucken. Sie empfand es allerdings weder als schlimm oder ekelig, dass sie diese Bubbles gerade gegessen hatte. Ein bisschen war sie davon überrascht, andererseits fand sie den Vergleich zu Hühnereiern sehr passend. Nur wo und wie produzierte diese Spezies denn Bubbles? Wenn sie es sich recht überlegte, wollte sie es gar nicht wissen.
 

„Erinnerst du dich an den Lebensmittelskandal kurz nachdem die ganzen Bubble Tea Läden aus dem Boden geschossen kamen? Der Grund für den Existenz dieser schädlichen Stoffe war, dass einige Wembleaner, die eine günstige Möglichkeit, schnell an Geld zu kommen sehr begrüßten, ihre – nennen wir sie – persönliche Zutaten verwendeten. Sie wussten nicht, dass die Bubbles für den menschlichen Markt auf künstlichem Weg produziert werden.“
 

„Das sagen Sie mir, nachdem ich ausgetrunken habe?!“, war Kiaras aufgebrachte Reaktion gewesen.
 

„Keine Sorge, in den Shops wird alles auf Touristentauglichkeit geprüft“, hatte der Doctor ihr versichert.
 

„Ich dachte, die meinen mit dem Aufkleber den Reiz durch Farben und Formen der Produkte.“
 

Kiara wollte Informationen lieber auf einem konventionelleren Weg beschaffen, zum Beispiel durch Befragung der Bewohner. Aber in dem Moment begannen die Geschäfte zu schließen und der Doctor entschied, dass dafür auch noch am nächsten Tag Zeit war.
 

„Unglaublich. Einfach unglaublich!“, murmelte der Doctor.
 

„Was, was?“, drängte ihn Kiara. „Was ist es?“
 

„Diese Poppins sind genau wie normale Bubbles auf natürliche Art und Weise entstanden!“
 

„Das heißt...?“, hakte sie nach.
 

„Wie bei Hühnern, Kiara. Die Bubbles wurden von einem Körper produziert und ausgeschieden.“
 

Kiara verzog leicht angeekelt ihr Gesicht.
 

„Ausgesondert“, korrigierte sich der Doctor.
 

„Und Poppings sind nicht normal für Wembleaner, deshalb müssen sie aufgrund einer Mutation entstanden sein“, schlussfolgerte Kiara.
 

„Präzise!“
 

Zugegeben, nur noch Eins und Eins zusammen zu zählen war keine herausragende Leistung, trotzdem war Kiara stolz etwas zur Lösung beigetragen zu haben. Außerdem war es von Anfang an ihre These gewesen und das freute sie noch mehr.
 

„Sagen Sie, Doctor, haben Sie auch diese Schatten vorhin bemerkt?“, fragte Kiara vorsichtig nach.
 

Der Doctor schien alarmiert. „Was für Schatten? Hast du sie gezählt?“
 

„Da waren Figuren die vorbeigehuscht sind Richtung Innenstadt“, erläuterte Kiara.
 

Nachdenklich kratzte sich der Doctor am Kinn. Langsam erhob er sich von seinem Platz. „Warte hier bitte einen Moment“, bat er sie, ehe er sich auf den Absätzen umdrehte und zur Theke schritt um mit dem Barkeeper zu sprechen.
 

„Wie läuft das Geschäft?“, versuchte er ihn lässig in ein Gespräch zu verwickeln.
 

„Yo“, antwortete der Barkeeper, kurz angebunden während er weiter sein Glas putzte.
 

Der Doctor ließ sich nicht von seiner Verschlossenheit beirren.
 

„Freut mich zu hören. Ist ja auch ein toller Laden.“
 

„Yo“, wiederholte der Barkeeper.
 

„Gibt es hier irgendwelche Spezialitäten?“
 

Der Barkeeper spuckte ins Glas und antwortete mit einem weiteren „Yo“.
 

„Ganz famos! Ich habe da nämlich so ein paar spezielle Wünsche, wenn Sie verstehen.“
 

„Yo.“
 

„Zum Beispiel mag ich es, wenn meine Mahlzeit im Mund zerplatzt. Sie muss richtig poppen, wenn Sie mir folgen können.“
 

Der Barkeeper putzte sein Glas langsamer und sah den Doctor eindringlich an. „Yo.“
 

Dieser beugte sich weiter vor und fuhr mit gesenkter Stimme fort.
 

„Wenn Sie also wissen, wie ich an eine dauerhafte Quelle zur Befriedigung dieser Gelüste käme...“ Der Doctor räusperte sich kurz, als ihm auffiel, wie missverständlich seine Wortwahl klingen konnte. Sein Versuch wie ein verrauchter Privatdetektiv zu klingen, endete etwas zu Femme Fatale für seinen Geschmack.
 

Schließlich packte der Barkeeper sein schmuddeliges Glas beiseite, beugte sich ebenfalls hervor und antwortete mit einem langsamen „Yo.“
 

„Wo muss ich hin?“
 

Kiara hatte es satt untätig rumzusitzen. Natürlich! Der Doctor ging die ganzen coolen Sachen machen, während sie hier stagnieren musste. Ihr kribbelte es in den Fingern und in den Beinen – sie musste endlich etwas tun. Ein weiterer Schatten huschte am Fenster vorbei. Der Doctor war immer noch damit beschäftigt sich zu unterhalten. Kiara fasste den Entschluss ihre eigenen Nachforschungen zu betreiben.
 

Sie ließ ihr leeres Cocktailglas und das Equipment auf dem Tisch zurück und verließ die Bar in Richtung Innenstadt. Vielleicht konnte sie herausfinden wohin die zwielichtigen Gestalten verschwunden waren.
 

„Wunderbar! Vielen Dank, Sie waren mir eine große Hilfe! Auf, auf, Liebes, wir haben einen neuen Anhaltspunkt!“ Schwungvoll drehte sich der Doctor zurück zu ihrem Tisch und klatschte die Hände zusammen. Doch niemand saß mehr dort.

„Kiara?“, stutzte der Doctor und sah sich in der Bar um. War sie kurz auf Toilette verschwunden? Innerlich seufzte er. Wieso hörten seine Mitreisende nie auf ihn, wenn er sie bat auf ihn zu warten?

Forschungsdrang

Weit unter dem Meeresspiegel erstreckten sich einige rostige Tunnelwege, parallel zu den Stegen an der Oberfläche. Es war düster und unbehaglich, nur wenige Lichter erhellten den Ort. Einst waren die Tunnel elegant ausgestattet und verziert gewesen, prächtige Kronleuchter hatten von der Decke gehangen, die enormen Fenster hatten einen wunderschönen Ausblick auf den Rest der Unterirdischen Stadt geboten. Doch nun war alles heruntergekommen und dreckig. Die Kronleuchter kaputt, die Fenster gesplittert und beschmutzt, die hübschen Ornamente waren abgebrochen. Die prächtige Stadt war zu den Slums verkommen.
 

Eine der verhüllten Gestalten lehnte lässig an einer rissigen Säule und ließ ihren Blick schweifen. Sie spielte mit der Zigarettenschachtel in ihrer Tasche. Zu schade, dass der Sauerstoffgehalt in der Luft hier unten so arm war. Sie mit Qualm noch weiter zu verpesten würde die Situation nicht verbessern.
 

Die Gestalt seufzte gelangweilt. Plötzlich öffnete sich eine der großen Türen mit viel Krach. Der Mechanismus war alt und hätte eine Ölung mehr als nötig, Die Gestalt richtete sich auf und breitete ihre Arme aus, um die Neuankömmlinge Willkommen zu heißen.
 

„Da seid ihr also endlich!“, ertönte die weibliche Stimme der Gestalt. Sie zog die Kapuze ihrer Kutte ab und offenbarte ihr Gesicht. Kurze, violette Haare rundeten ihr schuppiges Gesicht ab, ihre gelben Augen leuchteten. „Was hat euch aufgehalten?“
 

„Vitch hat Ärger gemacht“, erklärte eine der männlichen Gestalten aus der Gruppe.
 

„Ich habe nur das Gespräch gesucht!“, verteidigte sich der Beschuldigte.
 

„Als ob die mit sich reden lassen. Du solltest sie inzwischen besser kennen“, erwiderte die Frau.
 

„Nicht alle von ihnen sind so, Delph“, entgegnete Vitch kleinlauter, als er klingen wollte.
 

„Hmpf“, machte Delph nur und wandte sich dem beschlagenen Fenster zu. „Das ist alles Kretschmas Schuld. Er und seine bescheuerte Trennungs-Politik. Pah!“
 

„Dann handle du wenigstens mit dem besten Ermessen deines Verstandes und nicht aus Wut“, redete Vitch auf sie ein. „Dein kleiner Bruder würde nicht wollen, dass-“
 

„Schweig!“ Delph hob ihre schuppige Hand und brachte ihn zum Schweigen. „Das ist meine Angelegenheit, verstanden? Zum Wohl der Gruppe fälle ich meine Entscheidungen rational. Solltest du das bezweifeln, schlage ich dir vor, dass du verschwindest.“
 

Aus einer Ecke des Saales kam ein lautes Scheppern und Poltern. Einige Dosen rollten über den Boden und verteilten ihren Inhalt. Die Gruppe schreckte auf und beäugte die Quelle des Kraches misstrauisch.
 

„Pursch, geh nachschauen, was das war!“, befahl Delph.
 

„Sofort“, nickte der Angesprochene und begab sich mit zügigen Schritten zur Ecke wo sich über die Jahre viele Kisten und Tonnen angesammelt haben.
 

Mit seinem tentakelbesetzten Krakenarm griff er in den Haufen und zog eine junge, menschliche Frau heraus.
 

„Ein Eindringling!“, meldete Pursch.
 

„Ich habe mich nur verlaufen“, versuchte Kiara sich rauszureden.
 

„Sicher. Durch den Geheimeingang, zweiundvierzig Treppen hinunter. Hast du das Klo gesucht? Nun, hinter den Vorräten ist es nicht!“
 

Kiara zuckte bei seiner letzten lauten Bemerkung zusammen. Die Idee, ihre eigenen Nachforschungen anzustellen, kam ihr mit jedem Moment dämlicher vor.
 

Pursch zerrte sie am Oberarm zum Rest der Truppe. Inzwischen hatten die verhüllten Gestalten alle ihre Kapuzen abgenommen. Jeder von ihnen war eine Art Meermensch. Manche mit mehr, manche mit weniger fischigen Anteilen. Aber jeder von ihnen konnte auf dem halbwegs trockenen Boden laufen. Wie sie das machten, konnte Kiara aufgrund der Kutten nicht sehen.
 

„So, so. Und was hast du hier verloren?“, blaffte Delph sie an.
 

Kiara hatte den Eindruck, dass Fischmenschen allesamt unglaublich unfreundlich waren.
 

„Ich bin euch gefolgt. Ich sah euch draußen vorbei huschen und fand es seltsam, dass sich niemand darum gekümmert hat“, antwortete sie. „Außerdem hab ich mitgekriegt, wie er von dem Shopbesitzer angeschnauzt wurde“, fügte sie hinzu und deutete auf Vitch.
 

„Hmpf“, machte Delph erneut. „Glückwunsch, du hast das wahre, hässliche Gesicht von Wembley gefunden. Dieser ganze fröhliche Touristenkram ist nur eine Fassade. Dahinter steckt bösartiger Rassismus, die Ausgrenzung ihrer eigenen Leute!“
 

„Wegen der Poppings?“, hakte Kiara nach.
 

„Pop- was? Schätzchen, wir sind Mutanten! Nicht so, wie wir sein sollten! Nicht so, wie man den Reisenden von außerhalb zumuten will. Deshalb sind wir hier.“
 

„So schlecht find ich euch gar nicht“, murmelte sie.
 

„Siehst du? Siehst du! Nicht alle sind bösartig!“, warf Vitch aufgeregt ein.
 

„Genau! Ich bin nämlich hier um euch zu helfen!“, bestätigte Kiara. Das war etwas, was der Doctor auch sagen würde, nicht wahr?
 

„Ach. Und wie willst du das bewerkstelligen?“, fragte Delph skeptisch.
 

„Das... muss ich mir noch überlegen.“
 


 

Überzeugt davon, dass das Mädchen schon wieder auftauchen würde, vielleicht sogar im wahrsten Sinne des Wortes, folgte der Doctor dem Weg, den der Barkeeper ihm aufgeschrieben hatte.
 

Durch die Hintertür, mit dem Warenaufzug hinab in den Keller, verschiedene Korridore entlang, bis er schließlich an eine lange Treppe gelangte. Sie führte tief ins Dunkel. Das Ende konnte man nicht erkennen.
 

Der Doctor zuckte mit den Schultern. „Nun, das ist nicht gerade The Staircase to Heaven.“ Vorsichtig stieg er die glitschigen Stufen hinunter.
 

Exakt zweiundvierzig Treppenabgänge später erreichte der Doctor einen gläsernen Gang, welcher ihm einen herrlichen Anblick über den Meeresboden bot.
 

„Ob das die versunkene Stadt ist...?“, murmelte er nachdenklich. Und damit meinte er keinesfalls Atlantis. Dort war er bereits, als es seine Blütezeit erlebte. Eine menschliche Kultur, so zivilisiert und kultiviert, wie es bis ins einundzwanzigste Jahrhundert kein Volk der Erde mehr sein würde.
 

Der Tunnel führte ihn schließlich zu einem Casino, wo zwielichtige Gestalten an kaputten Automaten hingen und immer und immer wieder versuchten den Arm des Banditen zu betätigen.
 

Ein leichter Schauer lief dem Doctor über den Rücken. Irgendetwas war anders an diesen Geschöpfen. Anders war gut, er mochte anders. Nur diesmal erfreute es ihn weniger, als dass es ihm Unbehangen bereitete. Das war neu.
 

Nichtsdestotrotz entschloss sich der Doctor dazu seine gute Laune beizubehalten und erwartungsvoll auf einen der Fremden zuzugehen.
 

„Ich muss nur einmal gewinnen. Einmal gewinnen. Pop. Pop. Pop.“, redete das Oktopuswesen mit sich selbst.
 

„Entschuldigen Sie die Störung, was gibt es denn zu gewinnen?“, warf der Doctor ein.
 

„Ein Leben, das es zu leben wert ist. Nur einmal gewinnen. Pop. Pop. Pop.“, antwortete der Oktopus.
 

„Ich bin mir sicher, dass Sie so etwas bereits besitzen. Sie müssen es nur etwas“, der Doctor klopfte ihm eine zentimeterdicke Schicht Staub von der Schulter, „entstauben und aufpolieren.“
 

Wie lang er hier wohl schon saß? Tiefe, dunkle Augenringe zierten das ausgemergelte Gesicht des Oktopoden. Sein Anzug hing faltig und viel zu groß an seinem Körper.
 

„Hier unten ist nichts. Unter dem Meer. Dort ist man frei, dort ist man froh. Dort scheint das Licht des Mondes. Dort lebt man! Einmal gewinnen. Pop. Pop. Pop.“
 

Der Doctor kam nicht drum herum sich an einen Disneyfilm zu erinnern. Manchmal drückten Lieder einfach am besten aus, was man fühlte und dachte. Diese Erfahrung hatte er ebenfalls bereits gemacht.
 

„Was hält Sie davon ab nach oben zu gehen?“, hakte der Doctor nach.
 

Die Antwort war nur ein trauriges „Pop. Pop. Pop.“
 

Der Doctor rieb sich nachdenklich das Kinn und suchte nach aufmunternden Worten, für den traurigen Oktopoden.
 

„Wissen Sie, ich kannte mal einen Mann, ein genialer Produzent, und jedes Mal, wenn ihm eine herausragende Idee kam, sagte er Pop-Pop-Pop!“, erzählte er ihm.
 

„Nur einmal gewinnen. Pop. Pop. Pop.“
 

Damit konnte er ihn anscheinend nicht erreichen. Vielleicht brauchte er etwas, das ihn ablenkte und Freude bereitete. Der Doctor kramte in seinen Manteltaschen und zog ein paar bunte Jonglierbälle hervor.
 

„Ich bin übrigens der Doctor, wie ist Ihr Name?“, stellte er sich schließlich vor.
 

„Chet.“
 

„Dann schauen Sie mal her, Chet, vielleicht wäre das hier eine Beschäftigung für Ihre acht Arme!“
 

Eine Zirkusmusik summend begann der Doctor vor Chets Augen mit zwei Bällen zu jonglieren. Kurz darauf kam ein dritter hinzu.
 

Zum ersten Mal seit langer Zeit, nahm Chet seine Augen von der Maschine und beobachtete das Treiben des Doctors.
 

Die farbigen Bälle flogen in hohen Bögen durch die Luft und wurden immer mehr.
 

Die Muskeln im Gesicht des Oktopoden zuckten leicht und versuchten das lang vergessene Lächeln wiederzuerlangen.
 

„Pop. Pop. Pop.“, machte Chet, während er begeistert der Jonglierkunst zuschaute.
 


 

oOo
 

„Aber ich verstehe nicht so recht, warum das hier die Slums sind? Wie kann das Ghetto von Wembley mal so prachtvoll gewesen sein?“, fragte Kiara, als sie mit Delph und ihrer Bande von Verstoßenen weiter durch die unterirdische Stadt gingen.
 

„Es gab mal eine Zeit, da war das hier Wembleys ganzer Stolz. Damals gab es an der Oberfläche noch keine Touristenfänger. Hier fand das Leben statt! Es war die High Society, jeder gehörte zu den Schönen und Reichen“, erklärte Delph.
 

„Wie kann das sein? Hattet ihr ein Kommunistisches Prinzip oder wieso waren alle gleich?“
 

„Es gab ein Auswahlprinzip um hier leben zu dürfen. Dieser Planet war einst unbevölkert. Er wurde nur kolonialisiert. Früher waren alle so wie wir. Die ersten Wembleaner konnten alle an Land laufen. Doch dann, mit der Zeit, veränderten sie sich nach und nach.“
 

„Evolution“, murmelte Kiara nickend.
 

„Die meisten entwickelten sich zu Wesen mit Fischschwänzen und mussten aus der Stadt auswandern um überleben zu können. Sie gründeten diese neue Stadt an der Oberfläche, als die ersten Touristen hier ankamen. Ihre Brüder und Schwestern vergaßen sie und ließen sie hier zurück.“
 

„Eine so häufige Mutation kann doch nicht natürlich sein. Waren eure Vorfahren radioaktiv verseucht oder so was?“
 

„Man sagt, sie wären öfter im Meer schwimmen gewesen“, Delph zuckte gleichgültig mit ihren Schultern.
 

„Aber ich verstehe nicht, was das alles mit den Poppings zu tun haben soll. Warum werdet ihr ausgegrenzt und dümpelt hier einsam vor euch hin?“
 

„Weil sich die Herrschaften für etwas besseres halten, deshalb! Sie seien die Auserwählten, diejenigen die das Recht hätten, ein gutes Leben zu führen.“
 

„Oh, Mann... Ich wünschte, dass ich so was noch nie gehört hätte.“
 

Nach einer kurzen Fahrstuhlfahrt und einige Gänge weiter, kam die Gruppe schließlich zu einem Korridor mit einer handvoll Kammern zu jeder Seite.
 

Der tentakelige Typ namens Pursch öffnete die Tür zu einer der Kammern und wies Kiara hinein.

Die junge Frau war den Fremden blindlings gefolgt um die Gelegenheit zu nutzen und Informationen zu kriegen. Inzwischen würde sie den Weg zurück nie wieder finden, ihr Orientierungssinn war hoffnungslos, wenn sie durch Gebäude ging.
 

„Rein da“, blaffte Delph und schubste Kiara in die dunkle Kammer. „Du bist so lange in Gewahrsam, bis wir beschlossen haben, wie wir weiter mit dir verfahren. Einen schönen Abend noch.“
 

Sie knallte die Tür zu und schritt weiter den Gang hinunter.
 

„Na toll“, seufzte Kiara. Das musste ja so enden. Es war unbehaglich kühl und feucht in dieser Kammer und sie konnte schwören, dass aus einer Ecke Wasser tropfte. Hier wollte sie definitiv nicht lange bleiben. Hoffentlich würde sehr bald eine Entscheidung fallen. Eine die in ihrem Sinne war.
 

Zermürbt setzte sich Kiara in eine vermeidlich trockene Ecke auf eine Kiste und ließ die Beine baumeln.
 

„Mama, wo bist du – kannst du mich hören? Mir ist so kalt, nimm mich in den Arm...“, sang sie leise vor sich hin.
 


 

oOo
 

„Sehr gut! Sehr gut! Es wird langsam!“, feuerte der Doctor den jonglierenden Oktopoden an.
 

Dieser hatte deutlich Freude daran die bunten Bälle in die Luft zu werfen und mit einem seiner Arme aufzufangen.
 

„Vielen Dank, Doctor! Pop! Pop! Pop!“, lächelte Chet und konnte seine Augen gar nicht von den Wurfbahnen abwenden. „Wie kann ich mich bei Ihnen revangieren?“
 

„Nun, ich versuche da einigen Vorkommnissen auf den Grund zu gehen. Sagen Sie, Chet, wissen Sie, wo diese poppenden Bubbles herkommen?“
 

„Pop. Pop. Pop?“
 


 

Eindringlinge, an einem solchen Ort! Damit hatte Delph nicht gerechnet. Ihre Pläne waren zu wichtig um von irgendwelchen Touristen zunichte gemacht zu werden. Sie würde die Kleine wieder herauslassen, wenn das alles hier vorbei war. Vier bis fünf Tage sollte sie in ihrer kleinen Zelle wohl aushalten.
 


 

„So ist das also“, nickte der Doctor nachdenklich.
 

Chet hatte ihm alles erzählt was er wusste. Zugegeben, es war nicht sonderlich viel, doch es reichte um die nötigen Puzzleteile zusammen zu setzen. Eine ungerechte Lage, so viel war sicher, aber nichts ungewöhnliches. Sie würden es bestimmt selbst durchstehen. Jetzt war da nur noch die Frage, wo seine junge Begleiterin abgeblieben war.
 

„Und was zum Henker haben Sie hier verloren?!“, schallte die kräftige Stimme einer jungen Fischfrau durch das Kasino. „Ist heute zufälligerweise Tag der offnen Tür?“
 

„Ah, schönen guten Abend, ich bin der Doctor“, stellte sich der Time Lord vor.
 

„Es interessiert mich nicht, wie Sie heißen, sondern nur, was Sie hier zu suchen haben!“, blaffte Delph. „Und was soll das bitte werden, Chet?!“
 

„Ich jongliere, Miss!“, antwortete Chet stolz. „Pop. Pop. Pop!“
 

„Nun, werte Dame, ich kam hierher um zu recherchieren. Ich habe meine Ermittlungen abgeschlossen und bin bereit diese Örtlichkeiten zu verlassen. Entschuldigen Sie die Störung.“
 

Der Doctor drehte sich beschwingt auf den Haken um, Richtung Ausgang.
 

„Ach, aber sagen Sie... Sie haben nicht zufällig ein Mädchen hier unten gesehen, oder? Braune Haare, blaue Augen, trägt eine Brille und ist in etwa so groß“ er hob seine Hand abschätzend zu seiner Brust.
 

„Wenn Ihre Ermittlungen abgeschlossen sind, muss ich Ihnen wohl keine Fragen mehr beantworten“, erwiderte Delph schnippisch.
 

„Also Ja. Wo könnte sie nur stecken...? Hm... Machen Sie’s gut.“
 

Mit diesen Worten verließ der Doctor das Kasino aus der Türe, durch die Delph gekommen war.
 

„Was hast du wieder angestellt, Chet?“, fragte Delph den Jongleur und verschränkte ihre schuppigen Arme.
 

„Ich habe gewonnen“, grinste dieser, seine Augen strahlten förmlich voller Kraft und Lebensfreude. „Pop. Pop. Pop.“
 

Eine komplette Stadt unter Wasser, wie sollte man sich hier zurechtfinden, dachte der Doctor, fünf riesige Hallen später. Er war bereits durch die Kaufhausabteilung und ein Restaurant gelaufen und hatte immer noch keine Orientierung wo er war, geschweige denn, wo seine Begleiterin sein konnte. Sein außerordentlicher Geruchssinn half ihm auch nicht viel weiter, wenn geschätzte dreißig Türen zwischen ihnen lagen.
 

Schließlich fand sich der Doctor in einer Räumlichkeit wieder, die einer Eingangshalle glich. Zerrissene Werbeplakate hingen an den Wänden und von den vielen Sitzbänken konnte man das Treiben auf der Empore und aus dem Panoramafenster betrachten. Der Doctor hatte nur eine Vorstellung davon, was für ein Treiben hier vor langer Zeit geherrscht haben musste.
 

Er blieb vor einer großen Tafel stehen. Sie zeigte die Umrisse der Stadt und führte eine Legende an der Seite. Eine Karte, na endlich.
 

Eilig studierte der Doctor die Korridore und Säle und wog die Möglichkeiten ab, wo man jemanden gefangen halten konnte. Im Grunde war dies überall möglich, solange man den Schlüssel für das Geschäft besaß. Der Doctor war drauf und dran zu Chet und Delph zurückzukehren, um sie zu bitten ihn zu seiner Begleiterin zu führen, als ihm etwas in die Augen sprang.
 


 

Dunkel war gar kein Ausdruck für Kiaras Umgebung. Sie konnte nicht einmal mehr die Hand vor Augen sehen. Es war stockfinster, seitdem Delph die Tür zugeknallt hatte und das Licht im Gang gelöscht hatte. Langsam beschlich sie das Gefühl für immer hier fest zu sitzen. Hätte sie doch auf den Doctor gehört und auf ihn gewartet. Aber nein, sie wollte ja das Abenteuer suchen. Eine wirklich großartige Idee.
 

Eigentlich hatte es keinen Sinn sich selbst fertig zu machen. Das würde ihre Situation auch nicht verbessern. Aber sollte sie jemals wieder aus diesem Loch heraus kommen, gelobte sie immer auf den Doctor hören zu wollen.
 

„Something has changed within me, something is not the same“, sang sie mit leiser, heiserer Stimme.
 

Inzwischen hatte sie drei Musicals aus voller Kehle gesungen. Was blieb ihr sonst um die Zeit zu vertreiben in der Finsternis? Immerhin hatte sie so die Hoffnung, dass sie vielleicht jemand hören und befreien kommen würde.
 

Kiara seufzte tief und kämpfte gegen ihre Tränen an. Sie hatte doch nur ein Queen Konzert sehen wollen. Stattdessen würde sie einsam auf diesem Planeten, weit weg von Zuhause und denen, die sie liebte, sterben. So hatte sie sich das ganz und gar nicht vorgestellt. Verdammt, so konnte das doch nicht enden!
 

Ehe sie sich versah, kullerten doch die ersten Tränen ihre Wangen hinunter. Es war noch nicht die Zeit um den Mut zu verlieren, aber vielleicht tat eine kleine Pause ganz gut. Sie musste einfach mal loslassen. Das tat gut.
 

„Will the circle be unbroken? By and by. By and by“, schluchzte sie.
 

Beinahe war Kiara zu sehr mit sich selbst und ihrem Leid beschäftigt, dass sie das leise Surren von der anderen Seite der Tür überhörte. Sie kannte das Geräusch und verband es durchaus mit etwas positivem. Kiara schniefte und sah auf. Das Türschloss klickte und mit einem Mal strömte Licht in den kleinen Raum. Sie blinzelte und konnte nur die Silhouette der Person erkennen, die sie befreite, doch sie wusste ohnehin genau, wer dort vor ihr stand.
 

„Doctor!“, stieß sie glücklich aus und sprang hastig von ihrer Kiste, um ihre Arme um seinen Körper zu schlingen.
 

Er erwiderte ihre Umarmung herzlich. „Das war ein schönes Ständchen“, sagte er ruhig und wischte ihr die Wangen trocken.
 

Kiara lachte leicht, trotz Kloß im Hals. „Ich bitte Sie, das war voll schief.“
 

„Aber mit sehr viel Gefühl.“
 


 

oOo
 

Schnaufend und ächzend stiegen der Doctor und Kiara die vielen Treppenstufen wieder empor. Runter war es immer leichter als hoch. Warum konnte der Aufzug nicht bis an die Oberfläche gehen?
 

„Woher wussten Sie eigentlich, wo ich war?“, fragte Kiara zwischen Atempausen.
 

„Time Lord Intuition“, antwortete der Doctor schlicht und grinste. Ihm machte der Anstieg nicht annähernd so zu schaffen. Zumindest konnte man ihm keine große Anstrengung ansehen.
 

„Ja, sicher“, spottete Kiara.
 

„Nein, ehrlich! Meine werten Freunde und Reisebegleiter hatten schon immer die Angewohnheit zu verschwinden. Irgendwann entwickelt man ein Gespür dafür, wo sie sich aufhalten könnten.“
 

„Mit anderen Worten, ich habe den Eignungstest bestanden“, scherzte Kiara und vertrat sich beinahe. Eilig klammerte sie sich am Geländer fest. „Ich hasse lange Treppen.“ Am liebsten hätte sie immer zwei auf einmal genommen. Sie wäre doppelt so schnell oben und müsste nur halb so viele Stufen steigen. Doch sie bezweifelte, dass ihre Ausdauer das mitmachen würde.
 

„Nicht verzagen, Liebes, wir haben es bald geschafft.“
 

Kiara empfand die Art vom Doctor als sehr freundlich und überaus britisch. Andauernd entschuldigte er sich, wünschte einem Wohlergehen und sprach die Leute auf diese charmante und doch vertraute Art und Weise an.
 

Der Unterschied zwischen einem Womanizer und einem britischen Gentleman war sehr gering. Etwas mehr in die andere Richtung und Kiara hätte sich unwohl gefühlt. Sie würde sich nicht von irgendwelchen Leuten in ihrer Heimat mit ‚Liebes’ anquatschen lassen. Als sie zu Besuch in London war, hatte sie jedoch kein Problem damit, wenn man sie mit ‚Darling’ ansprach. Alles eine Frage der kulturellen Hintergründe. Wobei sie es schon ziemlich fraglich fand, wieso sie da so stark unterschied. Es kam wahrscheinlich auf die Leute an. Von einem schmierigen, besoffenen Engländer würde sie auch nicht gerne wie-auch-immer genannt werden.
 

Nach einer gefühlten halben Stunde, einige Korridore und ein Warenaufzug später kamen die beiden Reisenden endlich wieder an die erfrischende, kühle Nachtluft. Erleichtert atmete Kiara tief durch.
 

„Was machen wir jetzt?“, fragte sie nach einer kurzen Verschnaufpause.
 

„Zurück zur TARDIS“, wies der Doctor an.
 

„Sollten wir den Leuten nicht helfen? Damit sie wieder Akzeptanz erlagen?“, stutzte Kiara.
 

„Du willst mal eben so eine Gesellschaft umkrempeln?“
 

„Oder sie aus den Slums holen und ihnen ein besseres Leben geben?“, versuchte sie weiter.
 

Der Doctor schüttelte den Kopf. „Hast du nicht mitbekommen, dass sie mit einer Revolution zugange sind? Das schaffen sie schon alleine. Das ist nichts, womit wir ihnen helfen können.“
 

Kiara verschränkte ihre Arme und schmollte. Das war ganz und gar nicht, was sie erwartet hatte. Sie dachte, wo immer der Doctor hinkam, rettete er den Tag. Würde helfen, wo er konnte. Aber das lag anscheinend über seinen Mitteln. Ein wenig war sie enttäuscht.
 

„Und wie endet diese Revolution?“, hakte Kiara nach. Als Time Lord müsste er doch über die zukünftigen Ereignisse Bescheid wissen.
 

„In einem Bürgerkrieg. Wembley 86 wird nie wieder so sein, wie es war. Viele werden sterben und aussiedeln“, sprach er faktisch.
 

„Und das lässt sich nicht verhindern? Das ist doch furchtbar!“, entrüstete sich Kiara.
 

„So ist das Leben und so ist die Geschichte. Das gab es schon immer und das wird es auch immer geben.“
 

Kiara schürzte ihre Lippen erneut und wandte sich vom Doctor ab. Sie konnten doch nicht einfach so gehen, unverrichteter Dinge. Das fühlte sich nicht richtig an. Aber mal eben so eine Gesellschaft aufzuklären war deutlich einfacher gesagt, als getan. Das konnte Jahrzehnte dauern, wenn nicht sogar Jahrhunderte.
 

Nicht nur körperlich machten Wesen eine Evolution durch, auch auf geistigem Wege konnte es viele Generationen dauern, bis sich eine Verhaltensweise durchsetzte. Diese zu zerstören schien allerdings viel einfacher, als sie aufzubauen. Kiara empfand das als ungerecht. Wobei es natürlich auch möglich war, die Natur durch Züchtung oder Gen-Experimenten zu beeinflussen.
 

Dieser Gedankengang machte Kiara auf etwas aufmerksam, was die Anführerin zuvor zu ihr gesagt hatte. Beschwingt drehte sie sich zum Time Lord zurück. Ihr Gesicht war erhellt von der möglichen Auswirkung ihrer Idee. Vielleicht konnten sie nichts ändern, aber wenigstens sollten sie allen Tatsachen auf den Grund gehen.
 

„Doctor, kann es sein, dass das Wasser hier anders ist, als vom Heimatplaneten der ersten eingewanderten Wembleaner?“
 

Der Angesprochene hob interessiert eine Augenbraue.
 

„Obwohl sie Fischähnlich sind, haben sie womöglich nicht auf einem reinen Wasserplaneten, wie diesem gelebt, denn sonst könnten sie an der Oberfläche doch gar nicht leben. Also war ihre Heimat eher feucht oder dickflüssig.

Aber warum haben sie eine Stadt unter dem Meer gebaut? Warum hatten sie sich ausgerechnet diesen Planeten ausgesucht um ihn zu kolonialisieren? Und wieso war das Wasser dafür verantwortlich, dass sich bei einigen Fischschwänze bildeten? Auf der Erde stammen wir alle aus dem Meer und entwickelten Beine – wie ist diese Entwicklung zurück möglich?“
 

Der Doctor hörte bedacht seiner Begleiterin zu und auch sein Gesicht erhellte sich allmählich, während sich ein Grinsen auf seinen Lippen bildete. Ein Anflug von Stolz glänzte in seinen Augen. Deshalb suchte er sich immer wieder Begleiter, die mit ihm auf Reisen gingen. Sie konnten Dinge sehen, die er schon lange nicht mehr beachtete. Sie stellten die wichtigen Fragen. Und sie ließen ihn schlau aussehen und mit seinem immensen Wissen angeben.
 

„Vielleicht steckt noch viel mehr hinter der ganzen Artentrennung“, suggerierte Kiara.
 

„Du willst also weitere Nachforschungen betreiben, nehme ich an“, sagte der Doctor langsam.
 

Sie nickte beherzt.
 

„Dann sollten wir trotzdem zur TARDIS zurückkehren. Die Datenbank hält gewiss einige Antworten für uns bereit.“
 


 

oOo
 

Misstrauisch beobachtete die junge Frau den Doctor, während er an der Konsole verschiedene Knöpfe drückte. Sie traute ihm zu, dass er die TARDIS einfach dematerialisieren und von Wembley verschwinden würde. Zwar war ihr Vertrauen in den Doctor groß, jedoch kannte sie ihn einfach noch nicht gut genug um ihn einschätzen zu können. Er selbst musste ebenfalls noch herausfinden, wer und wie er war.
 

„Da haben wir es!“, stieß der Doctor aus und drehte den von der Konsole hängenden Bildschirm zu Kiara.
 

Die Datenbank der TARDIS spuckte alle eingespeicherten Einträge über die Atmosphäre und Beschaffenheit von Planet Wembley 86, deren Einwohner und ihrer Herkunft aus.
 

Viele fremde Wörter scrollten über den Monitor, zu schnell für das ungeübte menschliche Auge. Ein Time Lord vermochte all diese Informationen auf einen Blick aufnehmen und verarbeiten können, doch Kiara war dazu ganz und gar nicht in der Lage. All die vielen Stunden auf tumblr hatten sie nicht darauf vorbereitet.
 

Die Stimme von Bender aus Futurama kam ihr in den Sinn, die sagte ‚Ich denk’ ja gar nicht dran, das alles zu lesen. Fass es in einem Wort zusammen!’
 

Wie so oft ließen ihre gedanklichen Abschweifungen sie schmunzeln. Eine Angewohnheit, die sie für Außenstehende manchmal als äußerst suspekt erscheinen ließ.
 

Der Doctor schloss aus ihrer Reaktion, dass sie etwas gelesen hatte, was sie triumphieren lies.
 

„Faszinierend, nicht wahr?“, strahlte er sie an.
 

Das war nicht unbedingt das Wort, welches Kiara gerne als Zusammenfassung gehabt hätte. Trotzdem nickte sie.
 

„Und was schließen wir daraus?“, hakte sie deshalb nach.
 

„Als die Kolonialisten hier ankamen, existierte diese Stadt schon. Deshalb gab es ein Auswahlverfahren – nur die High Society durfte hier her ziehen. Wer von diesen Leuten hätte einen Finger krumm gemacht um eine ganze Stadt zu bauen und diese zu versenken, obwohl sie Landgänger waren? Der Planet war demnach vorher schon einmal bevölkert.“
 

Der Doctor tippte auf der alten Tastatur herum um ein Diagramm zu öffnen.
 

„Die Veränderung der Atmosphäre in diesem Zeitraum beweist diese Theorie. Aber was ist passiert? Wohin ist dieses unbekannte Volk verschwunden? Und das offenbar kurz bevor die Immigranten hier ankamen.“
 

„Vielleicht wurden die Ureinwohner von den Einwanderern getötet? Wäre nicht das erste Mal“, warf Kiara ein. „Sie kamen hier an, fanden die unterirdische Stadt, dachten sich ‚oh hübsch’ und schafften kurzerhand Wohnraum.“
 

„Möchtest du im Stadtarchiv die Geschichte von Wembley nachschlagen?“, fragte der Doctor, „dort dürften sich ein paar mehr Informationen zur Einwanderung finden.“
 

Wollte sie sich wirklich durch Stapel und Papiere kämpfen, auf altmodische Art und Weise? Einerseits fand Kiara diese Recherchearbeit unglaublich trocken und langatmig. Andererseits las sie sich mitten in der Nacht durch Wikipedia-Artikel über Mode Erscheinungen bis zurück ins 19. Jahrhundert. Ihr Gehirn war so vollgestopft mit trivialem Wissen, wieso also nicht die Kolonisationsgeschichte einer fernen, außerirdischen Kultur hinzufügen?
 

„Also noch einmal in die Unterstadt?“, hakte Kiara nach.
 

Der Doctor nickte. „Zurück nach Rapture.“
 


 

oOo
 

Das Meer rauschte sanft und wog die kleine Pension am Rande des Touristenviertels in den Schlaf. Nach einem Tag voller ausgiebigem Shopping, kamen die Gäste endlich zur Ruhe und schnarchten in ihren Betten. Es waren nur vier an der Zahl, keiner von ihnen konnte unterschiedlicher je sein.
 

Ein werter Herr war ein Ariate, eine vogelartiger Stamm. Sein prachtvolles Federwerk hob und sank mit jedem Atemzug. Er war ein tüchtiger Businessmann, welcher seine Arbeitszeiten stark nach dem Tageslicht ausrichten musste. Sobald die Sonne unterging, wurde er immer so schrecklich müde.
 

Im Zimmer nebenan hatte sich eine Touristin aus dem Casseopeia System eingebucht. Sie besuchte Wembley bereits zum fünften Mal und kam immer wieder gerne für die heimischen Gourmet-Mahlzeiten und um einen neuen Satz wembleanischen Schmuck zu kaufen.
 

Der dritte Gast füllte ein gesamtes King-Size Bett aus und hatte seit sieben Tagen keine Anstalten mehr gemacht, dieses zu verlassen. Stattdessen ließ er den Zimmerservice seine Speisen bringen. Jede Stunde. Er war ein reicher Gouverneur auf Urlaub, jeder nahm an, dass er seine Rückreise in einem schwarzen Sack antreten würde.

Warmes Kerzenlicht erleuchtete das Zimmer des letzten Gastes. Er war zur späten Stunde noch wach und arbeitete am kleinen hölzernen Schreibtisch einen Stapel Dokumente ab. Es hatte ihn einiges an Überredungskunst gekostet, an diese Papiere zu kommen. Ein zufriedenes Lächeln huschte über seine Lippen, als seine Augen eine bestimmte Information erfassten.
 

„Na also“, erklang seine tiefe Männerstimme.
 

Er hob die Papiere auf und führte seine Hand hinüber zur brennenden Kerze. Binnen weniger Momente fingen sie Feuer und bröselten schwarz und verkohlt zu Boden.
 


 

oOo
 

Ein weiteres Mal in dieser dunklen Nacht huschten Schatten über die Stege der Oberstadt. Doch dieses Mal verweilten sie vor einer wembleanischen Wohnbowle. Diese sieht aus, wie ein überdimensionalgroßes Goldfischglas, welches sich unter Wasser befindet. An den älteren hatten sich bereits Anemonen und andere Spezies angesiedelt und bildeten die interessantesten Formen. Innen war gerade genug Platz für einen Schlaf- und Essbereich.
 

Drinnen lag ein Fischjunge und schlummerte den Schlaf der Gerechten. Er hatte den ganzen Tag hart gearbeitet und war sichtlich erschöpft. Seine etwas längeren violetten Haare fielen über seine schuppigen Schultern. Kleine Bläschen stiegen aus seinem Mund auf, jedes mal, wenn er ausatmete. Eine langer Krakenarm stieß in die Wohnbowle hinein und packte den Jungen mit festen Griff.
 

Er schreckte auf und wollte schreien, doch ein zweiter Tentakel legte sich auf seinen Mund.
 

„Psssh! Ich bin es nur, Peiro“, zischte die raue Stimme von Delph.
 

Sie nickte ihrem Handlanger kurz zu, welcher den Jungen augenblicklich losließ.
 

Peiro rieb sich mürrisch den Arm und blickte zu seiner Schwester und Pursch auf.
 

„Kannst du mich nicht einmal sanft wecken? Vielleicht sogar zu einer fiscianen Zeit?“, beschwerte er sich.
 

„Du weißt genau, dass das nicht möglich ist. Hör zu, ich weiß jetzt, wie wir dich hier raus kriegen“, entgegnete Delph.
 

„Hier raus kriegen? Du redest, als wäre ich ein Gefangener.“
 

„Das bist du doch auch! Du wurdest aus unserer Mitte gerissen um hier für diese Sklaventreiber zu arbeiten!“
 

„Delph, nicht so laut“, versuchte Pursch sie zu beruhigen.
 

„Ich verdiene eine Menge Sand-Shell. Was hätte ich bei euch im Dreck und Schlamm, weit weg vom Sonnenlicht?“
 

Delphs stechende gelbe Augen trafen auf seine. Wann hatte sich ihr Bruder so von ihr abgewandt? Sie waren einmal ein Herz und eine Seele gewesen, dann kam Kretschma und hat Peiro in die Oberstadt entführt. Weil er genauso war wie sie. Seine Mutation entsprach dem der anderen.
 

Bei seiner Geburt war Peiro kaum von seiner Schwester zu unterscheiden. Sie hatten beide die violetten Haare und gelben Augen ihrer Eltern geerbt. Statt Haut hatten sie Schuppen, aber ansonsten besaßen sie Hände und Füße wie ein Mensch.

An seinem zehnten Geburtstag bemerkte Peiro, dass er sich veränderte. Ihm wuchsen Kiemen und machten es möglich Unterwasser zu atmen. Daraufhin besuchte er die anderen Einwohner viel öfter. Sie fragten, wo er herkomme und waren entsetzt von der Tunnelstadt zu hören. Kurze Zeit später kam eine Gruppe Handlanger des hiesigen Präsidenten Kretschma in die Unterstadt und nahm den Jungen mit sich. Seitdem lebte er in Nähe der Oberfläche und Delph schwor Rache.
 

„Das wird sich ändern. Sehr bald sogar.“
 


 

oOo
 

Frustriert ließ Kiara ihren Kopf auf die moderige Tischplatte sinken. Sie war wirklich nicht für diese Art von Forschung gemacht. Es mochte interessant sein und doch ödete es sie unheimlich an.
 

„Schon etwas herausgefunden?“, schallte die Frage des Doctors quer durch das Archiv.
 

„Nur wer 2642 Weltmeister im Bubble Weitspucken wurde. Wieso sind diese Bücher nicht anständig betitelt?“, maulte sie und hob eilig den Kopf, als ihr bewusst wurde, wie viele Keime und Bakterien sich auf diesem ekeligen Stück Holz sammelten.
 

In der Tat hatten sie eine ganze Reihe an Büchern gefunden, welche alle den Titel „Historia Wembley“ trugen. Allerdings waren die Fakten weder chronologisch noch thematisch sortiert. Es war so, als wenn eine Gruppe von Leuten willkürlich irgendwelche Ereignisse niedergeschrieben hätten und sie danach einfach zusammentackerten. In einem heillosen Chaos machte natürlich auch kein Inhaltsverzeichnis Sinn, weshalb sie in jedes Band reinlesen mussten, nur für den Fall, dass dort eine gesuchte Information zu finden war.
 

„Wilbur Bonney“, nickte der Doctor. Er hatte in einem seiner gesammelten Werke ebenfalls diesen Fakt gelesen.
 

„Das war eine dämliche Idee. Aber wer hätte denn auch ahnen können, dass Wembleaner miserable Buchführer sind.“
 

„Aber immerhin sind alle Bände nummeriert. Hast du die Nummer 16?“, fragte der Doctor. Mit einem Stapel Bücher unter jedem Arm kam er zu ihr.
 

Kiara durchsuchte ihr kleines Chaos und versuchte es in die richtige Reihenfolge zu bringen. Der Doctor reihte seine ebenfalls ein. Die Nummerierung reichte von Band Eins bis Band Neunundsechzig – aber mit einer Lücke.
 

„Band 16 fehlt. Haben wir es in den Regalen übersehen?“ Sie sah noch einmal zu den Regalen hoch und versuchte die Titel zu überfliegen.
 

„Die unnötig lange Geschichte von Wembley 86 und es fehlt genau der Band mit der Besiedungsgeschichte - Zufall?“
 

„Unwahrscheinlich.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Runenwölfin
2015-09-11T09:53:12+00:00 11.09.2015 11:53
Gut geschrieben. Du hast einen schönen Schreibstil.
Den Doctor finde ich schon mal sympathisch und ich bin gespannt, wie sich die Geschichte weiterentwickeln wird.
Die Idee mit dem verschlingenden Asphalt verspricht eine interessante Story.
Von:  Eventus
2014-04-29T09:05:45+00:00 29.04.2014 11:05
Sou, nachdem ich mir sämtliche Kapitel durchgelesen habe, nun folgendes Urteil:

Einfach genial!!! Aber eine Frage: Wie zum Teufel kommst Du auf den Namen Threepwood?! Ok die Frage kann ich mir selbst beantworten, wenn ich an Deine Fragen an "Doctor Kauff" denke (ist ewig her aber immernoch in meinem Kopf XD) Bist eben auch ein Monkey Island Suchti, wie ich.

Deine FF ist bis hierhin wirklich richtig gut und ich habe auch keine gravierenden Rechtschreibfehler entdecken können. Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel. Da kommt bestimmt noch so einiges mehr.
Von:  Neflite
2014-02-28T10:01:24+00:00 28.02.2014 11:01
Jaaaa, so was würd ich mir auch wünschen :D Habe vor einem Monat erfahren welche großen Künstler so bei mir in der Stadt waren als ich noch nicht geboren war (danke auch, hättet ruhig auf mich warten können :P) Da würd ich auch zu erst hin wollen :D

Sehr schön wieder geschrieben, mal sehen wie es weitergeht ^^ LG
Von:  Neflite
2014-02-16T16:37:33+00:00 16.02.2014 17:37
Wie gesagt, ich mag deine Art zu schreiben :D Erstmal, Hut ab, dass du dir eine so gute Alienbegegnung für Kiaras Start ausgedacht hast! Aliens und Abenteuer mit ihnen wären für mich das schwierigste :D Und bei allem behält der Doctor seine Eigenart irgendwie ^^

Auch war ich gespannt, wie du das löst, dass sie aus Deutschland kommt - statt eine Serie real werden zu lassen, ähnelt deine Variante dem Herrn, der Rose vom Doctor erzählte und auch dem Typen, dessen Freundin später in einer Gehwegplatte steckte :D

Ich würde gerne weiterlesen, also meinetwegen bleib gern am Ball :D :D
Von:  Neflite
2014-02-16T10:12:08+00:00 16.02.2014 11:12
Ich mag deinen Schreibstil ^^ Du hast ein Händchen für Formulierungen bzw. Beschreibungen! Ich konnte mir den Doctor auch echt gut vorstellen =) Werd mir später das erste Kapitel zu Gemüte führen - bin gespannt wie's weitergeht hehe


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