II. Liebe macht blind
„Okay, Operation Maulwurf beginnt jetzt.“ Thatch nickte Ace zu, der ernst zurück nickte. „Ich brauche wenigstens zehn Minuten. Viel Glück, Soldat.“
Ace salutierte, ehe er um die Ecke bog und mit einem breiten Grinsen an sein Ziel herantrat.
Thatch beobachtete noch kurz, wie er Marco einen Arm um die Schultern legte und ihn Richtung Hauptdeck zu bugsieren begann, ehe er sich an das Erfüllen seiner eigenen Mission machte und im Inneren des Schiffes verschwand.
Kurze Zeit später stand er vor der Tür des ersten Kommandanten und sah sich verstohlen um, ehe er seinen Dietrich zückte und sich an dem Schloss zu schaffen machte. Er runzelte die Stirn, als nach einer guten Minute noch immer kein Klicken ertönt war, welches üblicherweise den Erfolg seines Einbruchs bestätigte. Normalerweise brauchte er für so einfache Türen höchstens zehn Sekunden.
„Ein kleiner Tipp: benutze die Türklinge. Das klappt in der Regel ganz gut.“
Thatch unterdrückte ein unmännliches Quietschen, als er erschrocken herumfuhr und hastig seinen Dietrich hinter dem Rücken versteckte.
Haruta hob eine Augenbraue, als er sich an die Brust fasste. „Für unseren besten Einbrecher bist du ziemlich schreckhaft.“
„Ich dachte, du wärst Marco.“ So langsam beruhigte sich sein Herzschlag wieder.
Die kleine Kommandantin sah amüsiert zu ihm hoch. „Schreckhaft und schwerhörig. Oder willst du mich beleidigen?“
Thatch hob abwehrend die Hände und grinste. „Nie im Leben würde ich dich mit dem Vogelkopf verwechseln.“ Er blinzelte, als ihre Augen daraufhin funkelten, und zog einen Schmollmund, als ihm klar wurde, dass er gerade zugegeben hatte, schwerhörig zu sein. Diese listige Göre.
Er entschied, sie zu ignorieren – schließlich wollte er ihr nicht noch mehr Angriffsfläche bieten, sie hatte ein Talent dafür, einem jedes Wort im Mund zu verdrehen – und wandte ihr den Rücken zu, um Marcos Türklinge hinunterzudrücken.
Die Tür schwang mühelos auf und Thatch blinzelte. Das war ja zu einfach.
„Gern geschehen“, sagte Haruta hinter ihm und er konnte ihr Grinsen förmlich spüren. „Du solltest dich beeilen, ehe er zurückkommt“, riet sie noch, ehe sie davon wanderte.
Thatch schüttelte den Kopf, als er die Kajüte betrat. Eigentlich hätte er selbst darauf kommen können, dass Marco seine Tür nicht abschloss, schließlich tat niemand seiner Geschwister das. Aber irgendwie hatte er seine Mission wohl ein bisschen zu ernst genommen…
Mit einem geübten Blick verschaffte er sich eine Übersicht über den ihm nur allzu bekannten Raum, in dem sich in den letzten Jahren kaum etwas verändert hatte. Es war wie immer makellos, das Bett in der Ecke war pedantisch gemacht, der Kleiderschrank perfekt eingeräumt und sogar die Papierstapel auf dem Schreibtisch sahen geordnet aus.
Nun, das würde es um einiges einfacher machen, das gewünschte Objekt zu finden.
Also begann er systematisch, sämtliche Schubladen zu durchwühlen und Chaos zu verbreiten, bis es nach fünf Minuten aussah, als hätte ein Wirbelsturm sich in dem Zimmer ausgetobt. Und trotzdem war er noch immer nicht fündig geworden.
Missmutig sah er sich noch einmal in dem Zimmer um und überlegte fieberhaft, wo er vergessen hatte nachzuschauen. Dabei fiel sein Blick auf eine schillernde Kristallfigur eines Phönix, die auf Marcos Schreibtisch stand und in den Bergen an Berichten beinahe nicht zu sehen war, und ein sanftes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er dieser behutsam mit dem Finger über den Kopf fuhr. Es war ein Geschenk von Ace und ihm für Marcos Geburtstag letztes Jahr gewesen, und auch wenn er immer behauptete, er hätte keine Verwendung für unpraktische Dekorationsobjekte, hielt er die Figur doch in Ehren.
„Ich hoffe, du gedenkst dieses Chaos auch wieder aufzuräumen.“
Erschrocken wirbelte Thatch herum, nur um sich Marco gegenüberzusehen, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und alles andere als begeistert aussah. Hinter ihm stand Ace, der ihm über Marcos Schulter hinweg einen entschuldigenden Blick zuwarf. Schien, als ob Operation Maulwurf an beiden Fronten gescheitert war.
Verlegen kratzte sich der vierte Kommandant am Hinterkopf, ehe er Marco ein betroffenes Lächeln zuwarf. „Dir gefällt die Umgestaltung des Raumes also nicht?“ Er seufzte theatralisch. „Dabei habe ich mir solche Mühe gegeben, um dich zu überraschen. Aber wenn du darauf bestehst, dann bringe ich den Raum in seinen ursprünglichen, öden Zustand zurück.“
„Ich bestehe darauf.“
Thatch seufzte, als Marco an ihm vorbei zu seinem Schreibtisch ging und dahinter Platz nahm, ehe er eine Augenbraue hob. „Worauf wartest du?“ Sein Lächeln war durch und durch schadenfroh.
Grummelnd machte sich Thatch ans Aufräumen. Ace hatte sich klammheimlich davongeschlichen, ehe er diesen als Hilfe rekrutieren konnte, dieser miese Verräter.
Seine Stimmung erhellte sich kurz, als er sah, wie Marco einen Berg Berichte zu sich heranzog, aber genauso schnell schlug sie wieder ins Negative um, als der Vizekapitän seine Lesebrille aus der Tasche seiner offenen Jacke zog, nicht ohne ihm wissend zuzuzwinkern, und sich an die Arbeit machte.
Die Arme auf die Reling gestützt, blickte Thatch nachdenklich auf die langsam näher kommende Insel. Er brauchte dringend einen neuen Plan, nachdem Marco seinen alten vereitelt hatte, aber er saß gerade ein bisschen auf dem Schlauch. Er hatte einen möglichen Fehlschlag gar nicht erst einkalkuliert, so überzeugt war er von dem Gelingen der Operation gewesen, und jetzt war er etwas vor den Kopf gestoßen.
Er seufzte niedergeschlagen. Dann musste er sich wohl oder übel auf seinen angeborenen Charme verlassen, um die Ladies um den Finger zu wickeln. Und Marco aus dem Weg gehen, ehe dieser ihm seine Beute wieder wegstehlen konnte.
„Oi.“
Thatch schüttelte den Kopf, als er sich zu Marco umdrehte und sich fragte, ob dieser mittlerweile auch noch Gedanken lesen konnte. Als er aber auf sein gedachtes „du oller Ananaskopf“ nicht reagierte, tat er diese Theorie erleichtert wieder ab.
Er blinzelte überrascht, als der Kommandant der ersten Division ein schlankes, ihm nur allzu bekanntes Etui aus der Tasche zog und es ihm hinhielt, und warf ihm einen fragenden Blick zu.
Marco rollte die Augen. „Du hättest einfach fragen sollen. Ich halte es zwar für eine blöde Idee, aber so wie ich dich kenne, wird dich das nicht abschrecken.“
Thatch strahlte, als er die Hand nach der sehnlich gewünschten Brille ausstreckte, aber Marco zog sie im letzten Augenblick außer Reichweite und warf ihm einen warnenden Blick zu.
„Sei vorsichtig damit. Ich brauche sie noch.“
Der vierte Kommandant nickte eifrig und nahm das Etui ehrfürchtig entgegen, als ob Marco ihm gerade das One Piece überreicht hätte. Dieser rollte die Augen, aber als Thatch glücklich grinste, bei dem Gedanken, wie die Ladies nun Schlange bei ihm stehen würden, konnte er sich sein Lächeln auch nicht ganz verkneifen.
Andächtig öffnete Thatch das Etui, nahm Marcos Brille heraus, klappte diese beinahe schon feierlich auf und setzte sie mit funkelnden Augen auf. Die Frauenjagd konnte beginnen.
Er blinzelte. Sobald er sich an die verschwommene Sicht gewöhnt hatte, hieß das.
Vorsichtig machte er sich auf den Weg, etwas unsicher auf den Beinen bei all den komischen Beulen, die der Boden plötzlich aufzuweisen schien. Er hob die Füße höher als nötig und stolperte prompt, aber zum Glück stand ein Baum vor ihm und er streckte die Arme aus, um seinen Sturz abzufangen – und knallte ungebremst in diesen hinein, als er daran vorbeigriff.
Grummelnd rieb er sich die Stirn. Zumindest war die Brille noch ganz; Marco würde ihm die Hölle heiß machen, wenn er diese schrottete.
Er konnte Lachen von der Moby Dick hören, und ohne sich umzudrehen, zeigte er Ace den Finger. Den musste er nicht sehen, um ihn zu erkennen.
„Alles in Ordnung?“
Augenblicklich richtete er sich auf und glättete instinktiv sein offenes Hemd, ehe er sich der lieblichen, weiblichen Stimme zuwandte, die sich so um ihn sorgte. „Jetzt, wo du hier bist, Liebes, geht es mir gleich besser, danke.“
Er mochte die Frau vor sich nur verschwommen erkennen, aber das, was er sah, war durchaus ansprechend. Langes, hellrosa Haar fiel ihr bis zur Taille hinab, dunkle Augen musterten ihn sorgenvoll und ein reizendes Lächeln umspielte ihre vollen, roten Lippen, welches bei seinen Worten umso breiter wurde.
Thatch lehnte sich lässig gegen den Baum, der sogleich vom Feind zum Freund geworden war, und lächelte sein charmantestes Lächeln, welches bisher noch jede Braut zum Schmelzen gebracht hatte.
Ace‘ Lachen wurde lauter, aber das war vollkommen verständlich. Sein Bruder gönnte ihm einfach seinen atemberaubenden Erfolg und freute sich für ihn und Thatch nahm sich vor, diesem auf der nächsten Insel eine eigene Braut zu besorgen. So wie er das sah, würden ihm mit seiner Brille mehr Frauen zufliegen, als er befriedigen konnte.
„Willst du mich heiraten?“
Er stockte und sein Lächeln verblasste etwas. Die Brille wirkte für seinen Geschmack etwas zu gut. Er mochte eine Braut wollen, ja, aber natürlich nicht im wortwörtlichen Sinn. Zumindest nicht direkt. Er war schließlich noch viel zu jung für eine feste Bindung!
Thatch nahm sein Etui aus der Tasche und nahm seine Brille ab, welche er sorgfältig verstaute. Dann rieb er sich die schmerzenden Augen, um noch ein bisschen mehr Zeit zu schinden, bis ihm eine gute Antwort auf den unerwarteten Heiratsantrag einfiel, die ihm vielleicht trotzdem noch die Schnecke für heute Nacht sicherte.
Er grinste, als ein wahrer Geistesblitz ihn traf. „Warum kommen wir nicht einfach sofort zur-“ Das Wort Hochzeitsnacht blieb ihm im Hals stecken, als er seine Auserkorene zum ersten Mal klar sah und er plötzlich verstand, warum genau Ace noch immer nicht mit Lachen aufgehört hatte. Die vollen, roten Lippen nahmen das halbe Gesicht ein und verbargen eine Zahnlücke, während die Knopfaugen viel zu klein waren für den übergroßen Kopf. Und das, was er für wohlgeformte Kurven gehalten hatte, war ein viel zu breiter Körper, an dem viel zu lange, kräftige Arme und viel zu kurze, dürre Beine hingen.
Ein wahrer Albtraum.
„Nein“, krächzte er, während er hastig den Rückzug antrat, ehe er sich an seine Manieren erinnerte und eine Verbeugung andeutete, ein gezwungenes Lächeln auf den Lippen. „Tut mir leid, ich bin nicht der Richtige.“
Zum Glück schien die Frau nicht wirklich traurig darüber zu sein, als sie mit den Schultern zuckte und zu einem seiner Brüder ging, um nun diesem einen Heiratsantrag zu machen.
Noch immer etwas geschockt kehrte Thatch auf die Moby Dick zurück, wo ihm ein noch immer lachender Ace mitleidig auf den Rücken klopfte, während Marco die Augen rollte, als er ihm mit zitternden Händen seine Brille zurückgab.
Vielleicht war das doch keine so gute Idee gewesen.