Im Dunkeln ist gut Munkeln
Einmal im Jahr, wenn im Herbst einige todgeweihte Blätter noch die Baumwipfel zieren, wandern merkwürdige Gestalten durch die nächtlichen Straßen der Klein- und Großstädte.
Ob in Irland oder den USA - an vielen Orten der Welt feiert man heutzutage das altbekannte All Hallow's Eve, welches für die meisten nur noch ein kommerzieller Abklatsch eines Feiertages und ein Grund zum Saufen und Verkleiden ist – das Halloween der heutigen Gesellschaft.
Aber hier und dort weiß man noch, was es heißt, sich wirklich zu gruseln. Wo Vampire, Kopflose Reiter und Hexen mehr als nur Legenden und Kostüme sind.
Einer dieser Orte befindet sich gut verborgen, irgendwo im Norden von Schottland.
Tagsüber werden dort noch Schularbeiten verübt, doch sobald die Sonne hinter dem Horizont verschwindet, decken sich die langen Tische in der Großen Halle an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei.
Die tollsten Leckereien warten nur darauf von den jungen Schülern verschlungen zu werden – und die Auswahl ist groß. Kürbispasteten, Zischende Wissbies, Sirupbonbons, Gummischnecken, Pfefferkobolde, Getrocknete Kakerlaken – im Grunde alles, was das Herz begehrte.
Die mehr oder weniger braven Schüler hatten den ganzen Tag sehnsüchtig darauf gewartet und ihre knurrenden Mägen wollten alsbald gestillt werden.
Ein Jubeln ging durch die Menge, als sich langsam die Pforten zur Großen Halle öffneten und den festlich geschmückten Saal preisgaben.
Woanders war die Stimmung weniger ausgelassen. Dort wo es kalt und ein wenig feucht war, wo man niemanden mehr jubeln hören konnte, jedoch etwas unheilvoll knurren.
„Ich hab' Hunger“, kam es maulend aus einem Busch tief im Verbotenen Wald.
„Hör auf zu nörgeln! Das war eine super Idee, ja?“, meckerte wenige Meter daneben ein anderer Busch zurück.
„Oh ja, eine klasse Idee! 'Lass uns draußen im Verbotenen Wald verstecken und Erstklässler bei der Nachtwanderung erschrecken!' Wenigstens zum Essen hätten wir noch bleiben können!“, zeterte der erste Busch wieder.
„Das braucht halt seine Vorbereitungszeit!“, beschwichtigte der zweite Busch.
„Wieso lass ich mich auch immer wieder von dir überreden?“ Der erste Busch raschelte verdächtig und schließlich sprang ein Mädchen daraus hervor, welches ihre langen, brünetten Haare von etwas zu anhänglichem Gestrüpp befreite.
„Na, weil du auch dran Spaß hast, gib's doch zu Annie.“ Auch aus dem zweiten Busch krabbelte jemand hervor, es war ein rothaariger Junge, kaum jünger als das Mädchen.
Beide hatten sich passend für den Nächtlichen Schrecken verkleidet. Annabeth trug einen Gepardenpelz, ihre Haut war blass und ihre Haare fielen ihr ungekämmt über die Schultern.
Zwar kannten viele ihrer Mitschüler die Geschichte von Tarzan nicht, jedoch fand Annabeth, dass sie eine doch sehr annehmbare, gruselige Jane abgab.
Sie hatte sich extra viel Mühe gegeben, aus zwei Meter plüschigem Stoff etwas zu zaubern, dass nicht ganz unähnlich einem Gepard aussah.
Hugo hingegen hatte es sich deutlich einfacher gemacht und sich eine schwarze, rissige Kutte zusammengezaubert und plante nun im Wald jüngere Schüler als Dementor zu erschrecken.
Sein Kuss würde gewiss dem eines echten Dementors in nichts Nahe stehen, versicherte ihr Hugo.
Annabeth hatte eine Kostprobe dankend abgelehnt.
„Und ich dachte, die Aktion letztes Jahr könnte eigentlich nichts mehr toppen. Wer ist denn auch so doof und verbringt die Nacht auf dem Kürbisfeld, um auf den Großen Kürbis zu warten? Ich wusste, das hätte mir bekannt vorkommen sollen! Bah, und den nächsten Tag habe ich wegen Unterkühlung im Krankenflügel verbracht!“, zeterte Annabeth.
„Aber wie ich den Kürbis zum Fliegen gebracht habe, das war schon eindrucksvoll oder? So mit dem Cape...“
Viel Zeit zum Selbsthuldigen blieb Hugo allerdings nicht, denn er wurde je durch einen von Annabeths bekannten, schneidenden Blicken zum Schweigen gebracht.
Er verzog seine Lippen zu einem schrägen, mitfühlsamen Schmollen. Es hatte ihm doch Leid getan.
„Sieh es doch positiv, ich hab dir zu einem freien Tag verholfen!“, versuchte Hugo sie wieder aufzuheitern.
„Du schuldest mir immer noch eine große Packung Bertie Botts Bohnen“, erwiderte Annabeth kurz angebunden.
Hugo nickte leidend – denn er hatte ihr außerdem versprochen, jegliche nach Kotze schmeckenden Bohnen zu essen. Für viele stellte dies ein schweres Schicksal dar, allerdings war er ein Weasley und weitaus schlimmeres gewohnt.
Ein scharfer Wind pfiff durch die Bäume und ließ die beiden Jugendlichen in ihrer beklemmenden Stille erschaudern.
Annie seufzte und ließ ihren Blick durch die Baumwipfel zum wolkenlosen Himmel schweifen und beobachtete ein wenig die Sterne, um sich wieder zu beruhigen. Hugo hingegen schmollte und folgte ihrem Blick nur, um etwas zu finden, woran er sie aufziehen konnte. Bemerkenswert schnell hatte er auch etwas gefunden.
„He, sieh nur! Wir haben Vollmond!“ Er stieß ihr neckisch in die Rippen. „Vielleicht begegnen wir ja einem Werwolf?“ Hugo beugte sich dicht zu Annabeths Ohr und gab ein gräuliches Heulen von sich.
Das Mädchen zuckte zusammen und stieß ihren Treiberpartner sogleich einen Meter von sich. Dieser hob abwehrend und lachen die Hände während er einige Schritte zurückstolperte. Annabeth wünschte, er hätte sich aufs Maul gelegt, das hätte der Holzkopf verdient.
„Das ist nicht witzig! Schließlich ist das schon mal passiert, vor nicht all zu langer Zeit.“ Annabeth rieb sich fröstelnd die Oberarme. „Als mein Papa hier noch zur Schule ging.“
Hugo verdrehte die Augen. „Oh, erzähl mir mehr. Ich habe diese Geschichte doch erst aus drei Perspektiven gehört.“
Inzwischen kannte doch jeder in Hogwarts die Geschichte über den Verteidigung gegen die Dunklen Künste Lehrer, welcher für ein Jahr unterrichtet hatte und insgeheim ein Werwolf gewesen war. Insbesondere weil der Sohn des besagten Ex-Lehrers bis vor ein paar wenigen Jahren in Hogwarts zur Schule ging. Wie so vieles, war es also ein offenes Geheimnis.
„Es war trotzdem eine dumme Idee in den Verbotenen Wald zu gehen. Das hat schon seinen Grund warum der verboten ist. Hier lauern auch Kreaturen! Wir sollten hier nicht alleine sein.“
„Wir sind doch auch bald nicht mehr alleine. Irgendwann wird James hier ja wohl auftauchen.“
„Wehe ihm, wenn nicht.“
Ihr Plan war es immerhin gewesen, dass ihr ältester Mitschüler-Freund und Mannschaftskapitän die Rasselbande an Erstklässlern mit auf eine kleine Nachtwanderung nahm, damit ihnen Annabeth und Hugo einen heiden Schrecken einjagen konnten.
Mitterweile saßen sie bereits eine Stunde alleine im dunklen Wald, warteten und langweilten sich.
„Es war trotzdem eine blöde Idee. Mir ist kalt und ich hab immer noch Hunger“, murmelte Annabeth verbissen.
Als fiele ihm etwas wie Schuppen von den Augen, schnippte Hugo plötzlich auf und steckte im nächsten Moment wieder Hals über Kopf im Buschwerk. Argwöhnisch beobachtete Annabeth ihn, wollte er sich etwa Beeren pflücken?
Nein, seine Tasche lag dort noch irgendwo verborgen und er zog zwei Kürbispasteten hervor, als hätte er sie gerade aus dem Geäst gezaubert.
„Ich hab ganz vergessen, dass ich uns etwas Proviant hab mitgehen lassen“, grinste er sie an und reichte ihr eine Pastete.
Erleichtert verspeisten sie den doch etwas mager ausfallenden Appetithappen, für den Moment sollten sie jedoch reichen.
„Dein Magen knurrt ja immer noch?“, bemerkte Hugo verstört nach einer Weile.
„Das war nicht mein Magen...“, antwortete Annabeth langsam.