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Memory Hunt

von

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Treffen

Die Dinge hatten sich geändert. Alles strahlte ein wenig heller in der Villa und Mary selbst kam sich heller vor, leichter, beschwingter. Beinahe als sei ihr Gefängnis ihr Königreich geworden. Nie hatte sie sich wohler oder mehr zuhause gefühlt. Nirgendwo lauerten mehr Gefahren oder Unsicherheiten. Nicht einmal Gabriels düsteren Momente, in denen er so tat, als bedeute sie ihm nichts, konnten ihrer Fröhlichkeit etwas anhaben. Zu Anfang vielleicht, doch dann wurde sie sich sicher, dass kein Mann sie so küssen würde, wenn ihm nichts daran läge.

So wie jetzt, als er sie zu sich herumzog und zielsicher ihre Lippen ansteuerte. Ihr überraschtes Keuchen wurde sogleich von seinen erstickt. Bevor er ihr gänzlich Atem und Sinne rauben konnte, brachte sie Distanz zwischen sie.
 

“Du bist früh zurück.”, stellte sie zufrieden fest und er stimmte mit einem Brummen zu, während er ihre Wange, Kiefer und Ohr küsste.

“Kann ich dich jetzt weiter küssen?”, hörte sie gleich neben ihrer Ohrmuschel, was sie kitzelte.

“Deine Mutter bekommt das noch mit.”, versuchte sie lachend abzuwehren. Plötzlich sah er ihr todernst in die Augen.

“Mary, sie weiß es schon längst.”

“Okay, aber sie muss ja nicht aktiv daran teilhaben?” Diese Worte waren ihr letzter Widerstand gegen die magnetische Wirkung seines Körpers. Kopfschüttelnd machte er diesen zunichte, indem er mit dem Daumen ihren Mund für ihn öffnete. Nur zu gerne ließ sie sich von seiner Hitze erobern. Ließ ihn ihr Wohlbefinden erkunden und fand erneut die Sicherheit seiner tiefsten Zuneigung.
 

Wenn er sie küsste, war es als spüre sie eine innere Verzweiflung in ihm aufkeimen, welche sich nach Gefühlen sehnte, die er zu verleugnen suchte. Seine Seele war hungrig und so nah er sie hielt, so hitzig er sie küsste, er schien sie nicht sättigen zu können. Es waren diese Momente, in denen er sie kostete, als sei sie vergänglich. Diese, in denen seine Hände sie nicht nur spürten, sondern hielten und in denen seine Lippen stumm nach ihr schrieen, dass er ihr sagte, was er nicht aussprechen konnte.

Das Küchenmesser noch in der Hand schlang sie ihre Arme um ihn und schwelgte im Paradoxon ihrer Emotionen. Naturgemäß sollte er sie abstoßen, ängstigen. Stattdessen trug er sie in den Himmel der Köstlichkeit, öffnete ihre Augen für ein Paradies des Genusses, dessen Herrscher er war. Vielleicht, wunderte sie manchmal, war es genau das. Dieses Gefühl ihm zu gehören gleich von Anfang an. Er hatte ihr Leben besessen, dann ihre Erinnerungen bevölkert, denn es gab keine, die ihn nicht enthielten. Nun besaß er ihr Vertrauen, ihre Leidenschaft, ihr Herz. Sie liebte seine Dunkelheit, weil sie wusste, dass sie hindurch schien. Weil er ihr mit jedem Kuss und jedem gemeinsamen Augenblick auch sich selbst (ihr) gab. Wenn er sie jetzt küsste, war dort keine Küche mehr, kein Messer, keine Mrs Mulciber. Nur seine Zunge, die Fangen mit ihrer spielte und seine Finger, welche sich in ihr Fleisch gruben. Wer und wo sie war, spielte erneut keine Rolle mehr. Das einzig Wichtige war, wie Glück ihre Fasern durch stob.
 


 


 


 


 

Endlich hatte Harry Ruhe gefunden. Erschöpft vom langen Tag und mit schmerzendem Rücken beugte Lily sich ein letztes Mal vor und drückte ihrem Sohn einen Kuss auf die Stirn. Zumindest würde er heute Nacht sorglos träumen. Dem starken Verlangen nach Tee folgend ging sie in die Küche der kleinen Wohnung. Trotz des vielen geerbten Geldes hatten sie und James beschlossen, sich erst einmal hier einzuquartieren. Es erschien sicherer, als ein eigenes großes Haus.

Erst nahm sie nur eine Tasse aus dem Schrank, doch dann griff sie nach einer zweiten, in der Hoffnung James würde tatsächlich bald zurück sein, wie er angekündigt hatte. Sicher genug hörte sie ihn durch die Tür eintreten, sobald sie das heiße Wasser auf die Teeblätter gegossen hatte. Mit der Tasse in der Hand trat sie ins Wohnzimmer, um ihn dort zu empfangen, doch beim Anblick seiner Mine wich ihre gute Laune.

“Ich dachte, du sagtest, du habest gute Neuigkeiten.”, grüßte sie mit trockener Kehle.

“Lily.” Es war eine Entschuldigung, Beruhigung, Warnung. Alles in einem. Sie wollte es nicht hören. Sie wollte nicht wissen, wen sie nun verloren hatten. Sorgsam nahm er ihr das Getränk aus der Hand und stellte es auf den Kaffeetisch. Dann hielt er sie fest bei den Schultern und fixierte sie.

“Lily, deine Eltern sind tot.”
 

In ihr herrschte die Ruhe vor dem Sturm. Sie spürte wie ihr Körper sich wappnete gegen den anrollenden Tsunami, bei dem sie nur Zuschauerin war. Beobachtete, wie der Schmerz sie entzwei riss, alle Barrikaden brach, wie ihr Mund in Agonie aufriss, ohne mehr als ein Krächzen zu entlassen. Sie sah ihre Beine fort knicken, ihren Kopf gegen James Schulter fallen, war Zeuge wie ihr Körper Beherrschung und Kraft verlor. Sie wusste nicht, dass in der Tat Tränen gerollt waren, bis ein Schreien, das nicht ihres war, in ihr Bewusstsein drang. Es war Harry in seinem Bett, der voller Inbrunst nach seiner Mutter brüllte, als spüre er ihren Schmerz. Doch zum ersten Mal konnte Lily nicht zu ihm. Es gelang ihr nicht sich zu erheben und ihrem Baby die Mutter zu sein, die sie sein musste.

“Sshh. Shhhhh.”, hörte sie James an ihrem Ohr wispern. Er wiegte sie in seinen starken Armen, als sei sie selbst das Kind. Dem Drang, zu seinem Sohn zu eilen, widerstehend wartete James eine Ebbe ihrer Verzweiflung ab, in der sie versuchte tief zu atmen und ihren Schluckauf zu bekämpfen. Sie mit einer Hand haltend zog James einen Spiegel aus der Tasche und sagte: “Bitte, Tatze.”

Sobald erneut die Messerstiche der Wahrheit Lilys Körper und Seele perforierten, war ihr Mann wieder ganz bei ihr. Am Rande nahm sie wahr, wie Sirius erschien und verschwand und wie eine Weile darauf, das Schreien verstummte. Sie krampfte in ihren herzzerreißenden Schluchzern, bis ihre Muskeln diese Leistung nicht mehr erbringen konnten. Von da an lag sie nur noch taub auf dem Boden, während unermüdliche Tränen unbemerkt weiter rannen.
 

“Ich kann nicht mehr.”, sagte sie bald und ihre Stimme war kaum mehr als ein Windhauch. Ihr Mann war an ihrer Seite und streichelte ihr Haupt.

“Doch, das kannst du. Du bist die stärkste Frau, die ich kenne. Ganze sechs Jahre lang hast du mir widerstanden.” Das Lachen, von dem sie sich nicht abhalten konnte, verwandelte sich in ein verstörendes Krächzen, dann ein Husten. Sirius näherte sich erneut. In seinem Arm trug er ihren schlummernden Sohn, den er vorsichtig auf ihrer Brust ablegte, in der Hoffnung, er würde sie beruhigen. Harry, den sie mit ihrem Leben beschützen würde. Sie war froh, dass Sirius ihn nicht alleine gelassen hatte. Ohne diese drei Männer könnte sie nicht weitergehen. Der Krieg verlöre jeden Sinn, wenn sie niemanden mehr hatte, für den sie kämpfen und leben könnte. Niemanden, den es zu lieben gab.
 

“Es gibt immer noch eine gute Nachricht.”, versuchte James leise ein wenig Licht ins Dunkle zu bringen. Obwohl sie nicht wusste, ob die Neuigkeit ihre Trauer lindern konnte, sah sie auf.

“Wir kennen das Gegenmittel für Marys Trank.”

Harry zuliebe unterdrückte Lily das aufkommende Zittern der Verzweiflung.

“Wir haben aber niemanden, den wir heilen können.”, sagte sie bitter.

“Hey, Evans, wir sind der Sache aber einen Schritt näher.” Das war Sirius mit seiner schönen Stimme.

“Haben wir das Gegenmittel?”, forderte sie seine Zuversicht unglücklich heraus.

“Nicht ganz.”, druckste er. “Aber wir wissen, wo man blassgoldene Skarabäi findet.”

“In Ägypten also. Irgendwo in Ägypten.”, vernichtete Lily auch diese letzte Hoffnung mit erstickter Stimme. Rasch nahm Sirius ihr das Baby ab, bevor sie erneut in eine Welt der Machtlosigkeit und des Verlusts versank.
 


 


 


 


 

Gelangweilt hockte Mary in ihrem Stammsessel und beantwortete so gut sie konnte Mulcibers Fragen.

“Kennst du ein Rezept für Kesselkuchen?”

“Ja, natürlich, Gabe. Das von deiner Mutter.”

“Ach, Mist. Kannst du rechnen?”

Frustriert und beleidigt warf sie ein Kissen nach ihm. “Merkst du nicht, wie sinnlos das ist? Müssen wir wirklich mit diesen Fragen weiter machen?”

“Ja.”, bestimmte er stur. “Ich habe immer noch einen Job.”

“Wirst du dafür bezahlt?”

“Nein.”

“Na also.”

Er stieß ein tiefes Seufzen aus. “Bitte, mach es nicht schwerer als es ohnehin schon ist.”

Sie gab sich geschlagen und leierte Antworten herunter, die sie sicherlich schon 20 mal genannt hatte.
 

“Erinnerst du dich an Hogwarts?”

“Nein, verhext noch mal! Ich weiß nur, was du mir erzählt hast. Von der Decke in der großen Halle, vom imposanten Vertrauensschülerbad, von den Haustgeistern-”

“Kannst du mir ihre vier Namen nennen?”, horchte er auf.

“Der fette Mönch, die graue Dame, der blutige Baron. Einen vierten kenn ich nicht.”

“Den hab ich dir ja auch nicht gesagt.”, stöhnte er. “Es ist der fast kopflose Nick.”

“Du hast mir also meinen Hausgeist vorbehalten.”, war ihre tadelnde Feststellung.

“Woher weißt du das?”

“Du hast mir gesagt, dass ich in Gryffindor war und alle anderen Geister einem Haus zugeteilt. Ich habe schon etwas mehr Grips als ein Flubberwurm.”

“Von mir aus.”, stöhnte er erneut.

“Wie sieht Snape aus?”

“Snape? Was hat er denn damit zu tun?”

“Er war einer deiner geliebten Feinde.”

“Was weiß ich! Moment, ist das der mit der krummen Nase aus dem Bild im Flur?”

“Ja.”

“So sieht er aus.” Zufrieden wackelte sie mit den bloßen Füßen. Stille herrschte, während Mulciber sie beobachtete.
 

“Los, wo bleibt die nächste Frage?”, forderte sie, doch er sah nicht auf sein Blatt hinab, bevor er sprach.

“Was für Unterwäsche trägst du?” Seine Miene blieb ernst, doch sie konnte ein schalkhaftes Blitzen in seinen Augen entdecken.

“Ich trage eine weiße Bluse, also offensichtlich keine dunklen Farben.”, war ihre grobe Antwort.

“Weiß also und weiter?”

“Mit Spitze besetzt. Er ist sehr süß. Mit einem kleinen Steinchen in der Mitte.”

“Süß. Ich dachte nicht, dass Mutter dir so einen aussuchen würde.” Ein Grinsen überzog ihr Gesicht in Anbetracht der Konzentration, die es ihn kostete.

“Ach, sie kam letztens mit einem Katalog zu mir und hat mich ein paar Dinge auswählen lassen.”

“Ich kenne sie also noch nicht.”, schloss er überrascht das Fazit und sie schüttelte keck den Kopf. Jegliches Vorhaben in den Wind schießend schritt Gabriel zu ihre hinüber und stützte sich auf den Armlehnen ihres Sessels ab.

“Zeig her(.)!”, forderte er mit leiser Stimme, woraufhin ihre Augenbrauen in die Höhe wanderten.

“Berufliches sollte man wirklich von Privatem trennen.”

“Recht hast du.”, verkündete er und hob sie im selben Atemzug auf seine Arme. “Wir sollten das hier nicht im Arbeitszimmer tun.” Kichernd lehnte sie sich an seine Schulter und ließ sich von ihm in den Flur tragen.
 

Anstatt ihr Schlafzimmer anzusteuern, öffnete er eine frühere Tür und sie hielt erstaunt die Luft an, als sie zum ersten Mal sein Zimmer betrat. Es war dunkler eingerichtet als meiste Räume im Haus, sodass es Mary sehr gemütlich erschien. Gerade das riesige Bett gleich gegenüber der Tür hatte eine äußerst einladende Wirkung auf sie. Mulciber setzte sie aber nicht darauf ab, sondern gleich auf demTeppich und nahm in einem Sessel beim Fenster Platz, den er in ihre Richtung drehte.

Ein herausforderndes Schmunzeln lag auf seinen Lippen und so schloss sie die Tür, nahm allen Mut zusammen und öffnete ihre Hose. Wie sein Blick auf ihr ruhte, während sie sich ihrer Jeans entledigte, hatte etwas eigenartig intimes, doch war es wenig bedrohlich. Sie konnte nicht umhin, sich sehr sexy zu fühlen bei dem Glänzen, das in seinen Augen lag.

Einzeln öffnete sie jeden Knopf ihrer Bluse und entblößte mehr und mehr ihrer Haut. Dies war nicht das erste Mal, dass sie in seiner Gegenwart entkleidet war, jedoch erschien es ihr anders und neu. Langsam trat sie auf ihn zu und erreichte ihn, als nur noch ein Knopf das Kleidungsstück verschloss. Große Hände zogen sie auf seinen Schoß und er befühlte ihre Schenkel, während er ihr Schlüsselbein mit Küssen berieselte. Nicht anders als sonst zerschmolz sie unter seinen Berührungen und begrüßte das Bett in ihrem Rücken mit Freude.
 

Ihre Bluse war längst von ihr gegangen und Gabriels Daumen schoben sich unter ihre BH-Träger.

“Wozu ziehe ich hübsche Unterwäsche an, wenn du sie eh nur wieder loswerden möchtest?”, seufzte sie amüsiert. Mit Unschuldsmiene begegnete er ihrem Blick.

“Ich frage mich einfach, wie er dir steht, wenn du ihn nicht trägst.” Damit schnappte der Verschluss auf. Sein Gewicht über ihr erstürmte Gabriel ihren Körper. Er ließ keinen Zentimeter unberührt, während seine Hände ruhelos darüber wanderten. Bald gingen ihre Sinne auf Wanderschaft und das Universum tanzte vor ihren Augen. Bis zu dem Moment, in dem er beide ihre Handgelenke umfasste und über ihrem Kopf zusammenhielt, sodass unerwartete, gewaltsame Panik ihr die Kehle verschnürte. Verzweifelt wand sie sich unter ihm und schüttelte den Kopf zur Abwehr. Verwirrung trat in seinen Ausdruck, als er ihre verwandelte Miene sah. Sobald er sie frei- und von ihr abließ, rutschte sie an die Kante des Bettes und schlang das Laken um sich. Stumme Tränen benetzten ihre Wangen. Ratlos sah er sie an.
 

“Was ist los?”, fragte er besorgt, doch sie schwieg und beruhigte ihren Körper, den Hitze und Kältewellen durchjagten. Beschwichtigend wollte er eine Hand auf ihre Schulter legen, aber seine Berührung erschien ihr plötzlich grob und gefährlich, sodass sie heftig zusammen zuckte.

“Okay, es tut mir leid!” Seine Stimme war viel lauter als zuvor und er rutschte von ihr ab. Rasch legte sie eine Hand auf sein Bein.

“Geh nicht weg.”, bat sie.

“Was soll ich denn tun?” Härte schwang in den Worten mit, welche sie nicht verstand.

“Weshalb bist du wütend?” Bedacht darauf das Zittern in ihrer Stimme zu verbergen, sah sie zu ihm auf, wie er seinen Kiefer malte. Die zornige Fassade brach zu Schuld, Hilflosigkeit und Reue.

“Ich will dir nicht mehr wehtun.”, gestand er seine Wut auf sich selbst. Zaghaft rückte sie näher zu ihm.

“Du tust mir nicht weh.” Ein kurzes, besorgtes Zögern bevor sie weitersprach. “Aber musst du immer die Kontrolle haben?” Überrascht erforschte er ihr Gesicht, erprobte die Bedeutung ihrer Worte.

“Was willst du?” Beschämt sah sie auf ihre Hände. “Zeig es mir.”
 

Nach kurzem Zögern näherte sie sich ihm bedächtig und platzierte einen sanften Kuss auf seinen Lippen. Dann einen weiteren auf seiner Wange. Vorsichtig legte sie eine Hand auf seiner Brust ab und übte leichten Druck aus, um ihn zum liegen zu bringen. Gabriel erwiderte ihre Küsse nun auf dieselbe ruhige Weise. Bedacht und jede Bewegung voll aufnehmend. Sie erlaubte ihm, ihre Hüfte zu halten und genoss die Intensität mit der sie einander nun spürten. Ihm gefiel es, das wusste sie und mit einem Mal hielt er ihr Gesicht in den Händen, als sei es ein kostbares Juwel. Sie streichelten, küssten einander und lauschten dem Herzschlag des andern und beließen es an diesem Nachmittag bei trauter Zweisamkeit.
 


 


 


 


 


 

In Gedanken versunken streifte Gabriel durch sein Arbeitszimmer und blätterte halbherzig durch seine Unterlagen. Der Dunkle Lord wurde ungeduldig. Es war Zeit eine Lösung für Mary zu finden, einen Nutzen als Geisel, denn sobald der ehrenvolle Orden von ihrem Wohlergehen erfuhr, würden sie eine Rettung versuchen. Würden vielleicht einen Austausch anbieten, verhandelbar sein und eventuell einen nützlichen Hinweis fallen lassen. Das war die Aussicht für Mary gewesen von Anfang an. Er hatte seinen Spaß gehabt, er hatte ihre Nähe genossen, hatte endlich bekommen, wonach er sich immer gesehnt hatte. Doch es war Zeit, nicht nur an sich selbst zu denken. Es war Zeit für ihn, sein Projekt zum Ende zu bringen. Seufzend legte er das Foto in ihrer Ordensakte zurück und räumte seine Notizen fort, sodass sie sicher vor allen Eindringlingen waren.
 

Er war noch nicht bereit. Obwohl er schon zielstrebig auf den Flur getreten war, wandte er sich deshalb um und wechselte die Richtung. Ein Besuch in seinem Schlafzimmer konnte nicht schaden, bevor er sich aufmachte. Als er die Tür öffnete, schlug ihm ihr Duft entgegen, von den Malen, die sie mittlerweile darin verbracht hatten. Eines seiner T-shirts, welches sie in der Nacht getragen hätte, hing am Bettpfosten. Zärtlich hob er es hoch und erinnerte sich an ihr Aussehen darin. Ein wenig verloren in dem weiten Stoff. Es erweckte einen Beschützerinstinkt in ihm. Sie war seins. Sie trug seine Kleidung und schlief in seinem Bett und sie war niemandes als sein. Gleichzeitig musste er sich eingestehen, dass er sie nicht ewig halten konnte. Andere Menschen wollten sie und würden sie ihm nehmen. Weil sie nie dafür gedacht gewesen war, ihm allein zu gehören. Er warf einen letzten Blick auf das aufgewühlte Bett und warf das T-shirt dann in den Wäschekorb. Es war Zeit.
 

Mary war im Badezimmer, was die Angelegenheit nicht einfacher machte. Er klopfte an die Tür und hörte ein überraschtes “Ja?”, woraufhin er eintrat. Ihm bot sich ein göttlicher Anblick. Mit hochgepinnten Haaren entspannte sie in der Badewanne. Ihr Gesicht war ihm verlegen aber erfreut zugewandt und Schaum verbarg ihren Körper.

“Planst du es, nur Zeit mit mir zu verbringen, wenn ich nackt bin?”, fragte sie keck und er schüttelte lachend den Kopf.

“Ich wünschte, es wäre so.” Er zog den Hocker neben sie und setzte sich, die Ellbogen auf die Knie gestützt.

“Sicher?”, neckte sie. “Gib mir wenigstens einen Kuss.” Dieser Aufforderung konnte er sich kaum widersetzen. Als er sich zu ihr herunter beugte, reckte sie sich ihm entgegen, sodass ihr Oberkörper sich über das Wasser erhob. Er spürte, wie seine Willenskraft ihn zu verlassen begann, mit jeder Bewegung ihrer Lippen, jeder flüchtige Blick auf ihre schaumbedeckten Brüste und jede Berührung ihrer nassen Hände. Sein Blutdruck stieg stark und es kostete ihn alle Mühe, den Kuss abzubrechen. Gespielt enttäuscht sank sie zurück ins Wasser.
 

“Okay, was ist los?”

“Du bist wunderschön.”, sagte er ernst und sie lachte verwirrt.

“Danke, was ist wirklich los?” Sie hatte ihn zu gut kennengelernt und nun durchschaute sie ihn. Darüber wollte er schmunzeln, wenn er nicht wüsste, was bevor stand. Zärtlich griff er nach ihrer triefend nassen Hand.

“Ich habe einen Auftrag.” Sorge trat in ihre Augen. “Das heißt, ich werde fortgehen müssen.”

“Wie lange?”

“Ein paar Tage wahrscheinlich.” Sie nickte, sah ihn jedoch nicht an.

“Warum sagst du das so ernst? Wird es gefährlich?”

“Nein, nein.”, versicherte er schnell, aber sie glaubte ihm offensichtlich nicht. Ihre Augenbrauen kniffen sich misstrauisch zusammen.

“Sollte ich mich sorgen?”

“Hör zu,”, begann er ernst, “du erinnerst dich daran, wie es war als ich mit deinen Klamotten zurück gekommen bin. Es ist immer gefährlich und meist weiß ich nicht einmal, weshalb ich raus gesendet werde. Dies mal wollte ich einfach, dass du Bescheid weißt, wenn ich weg bin.” Kurz zuckte er mit den Schultern. “Und dass du weißt, dass ich zurückkommen werde. Ich verspreche es dir.”

“Danke, Gabe.”, wisperte sie und drückte seine Hand. Er stand auf, um zu gehen, und sie tat dasselbe. Stellte sich in die Badewanne und zog ihn in eine feste Umarmung. Das Wasser durchdrang sofort seine Kleidung.

“Viel Glück.”, wünschte sie ihm und er spürte sie gegen seinen Hals lachen. “Ich glaube, du musst dich noch mal umziehen.” Ihre Zuversicht durchbrach auch seine Seriosität, sodass er ihr einen letzten fröhlichen Kuss gab.
 


 


 


 


 

Es war wie immer wenn Gabriel fort war. Zu Beginn ging Mary unbeschwert ihrer Dinge. Sie sang und tanzte während sie Schach spielte, sich ankleidete, putzte, beim Kochen half. Dann wurde sie besorgt und stürzte sich in Arbeit, um ihre Gedanken von ihm zu lenken. Diesen Punkt hatte sie bei seiner derzeitigen Abwesenheit längst erreicht. Denn aus wenigen Tagen waren viele Tage geworden und nun Wochen. Kummer überfiel sie und halbherzig wandelte sie durchs Haus und ging ihrer Tätigkeiten nach. Ihre Konzentration schwand und wenn sie versuchte zu lachen, wollte sie am liebsten gleich weinen. Somit zeigte sie gar keine Emotion, bis sie nicht einmal mehr die Kraft fand irgendwelche Aufgaben im Haus zu verrichten.

Als ihre Seele krank war, wurde es auch ihre Körper. Eine heftige Grippe schüttelte sie zum Winteranfang und so war es beinahe wieder wie zu Beginn ihres Aufenthalts. Sie bekam kaum mehr als Suppe hinunter und war an ihr großes Bett gebunden, bis sie Mrs Mulciber bat, ihr beim Umzug in seines zu helfen. Tagelang fristete sie ihr Dasein in seinen Daunen und starrte regungslos zum großen Fenster, als sollte er jeden Augenblick hinein springen.
 

Zu der Zeit, da der Virus ihren Körper entließ, waren bereits drei Wochen seit Gabriels Abreise vergangen und sie war des Wartens müde geworden. Viel länger konnte er nicht brauchen, wenn er denn zurück kam. Doch diesen Gedanken wollte sie sich gar nicht erst erlauben und so erhob sie wieder ihr Haupt. Sollte er sie so sehen, wenn er zurückkam? Ohne Farbe in den Wangen mit plattem Haar und lustlosen Augen? Ihr Wiedersehen sollte schön und leidenschaftlich und fröhlich sein. Mit ihm an ihrer Seite würde sie nur zu gerne ein paar weitere Tage im Bett verbringen. In diesem Sinn fand sie neue Kraft, an sich und der Einrichtung zu arbeiten und sie spürte die Erleichterung der Hausherrin, dass ihr Dauergast sich endlich zusammen gerissen hatte.

Ihr Glückstag war ein Sonntag. Sie wusste es, denn Mrs Mulciber hatte eine weitere Kerze auf dem Adventskranz entzündet. Gerade war sie dabei ihr Bett zu machen, da hörte sie ein ungewohntes Geräusch aus dem unteren Stockwerk. Ohne zu zögern ließ sie alles stehen und liegen und stürmte die Treppe hinab und hinein ins Wohnzimmer. Dort stand ihr Gabriel und wirbelte herum. Innerhalb einer Sekunde war sie in seine Arme geflogen und drückte ihn mit voller Kraft an sich. In diesem Moment, in dem sie seinen starken Griff um sich spürte und seine Wärme und seinen Atem, konnte nichts ihr Glück zerstören. Tränen der Freude füllten ihre Augen und sie küsste jeden Zentimeter seines Gesichts.
 

“Mary.”, sagte er und sie strahlte ihn an. Zu ihrer Erleichterung sah er nicht allzu mitgenommen aus. Bloß müde, aber aufmerksam und ein wenig schmutzig.

“Wo bei Merlin warst du, Gabe? Ich bin fast umgekommen vor Sorge.”

“Es tut mir so leid.”, entschuldigte er sich gleich. “Ich konnte dich nicht benachrichtigen, falls der Brief abgefangen würde. Mary, wir haben nicht viel Zeit.”

Sofort dämmte er ihre Ausgelassenheit.

“Aber, du bist gerade erst zurück.”, wisperte sie enttäuscht. Anders als sonst konnte sie aus seiner Miene nicht lesen, während er ihr Gesicht in den Händen hielt. Ruhelos schnellten seine Augen zwischen ihren hin und her.

“Ich weiß. Der dunkle Lord, er wird bald hier sein.”

Wie hatte sie sich geirrt. Es war so einfach ihre Freude zu zerstören. Fragen schwirrten in ihrem verwirrten Kopf umher.

“Aber -”

“Nein, hör bitte einfach zu. Die Zeit ist gekommen, dass sie dich als Geisel benutzen wollen. Als Lockvogel. Der dunkle Lord denkt nicht, dass ich Ergebnisse erzielen kann. Aber er hat Unrecht.”

“Was?”, konfus überschlug sich ihre Stimme. Er nahm sie bei der Hand und zog sie in ihr Zimmer, wo er rasch einige ihrer Kleider in eine große Tasche stopfte. Ihr Sommerkleid war darunter, sowie einer seiner Pullover.

“Ich war in Afrika. Ich hatte das Gegenmittel schon so lange identifiziert, doch ich wollte nicht...” Er zögerte weiter zu sprechen. Indessen wechselte er ins Badezimmer, um dort einige Utensilien für sie zusammen zu klauben. Dann hielt er inne und fuhr sich durchs Haar.
 

“Ich hatte Angst, dass deine alten Erinnerungen deinen Hass zurück bringen würden. Ich hatte Angst dich zu verlieren.”

“Nein, Gabriel. Du verlierst mich niemals. Wir gehen zusammen fort. Du bleibst bei mir.” Voller Zuversicht griff sie nach seiner Hand, doch er schüttelte sie ab.

“Du verstehst nicht. Sie könnten mich überall hin verfolgen, Mary. Sie würden meine Mutter foltern und töten.”

“Ich will nicht von dir fort!”, sagte sie mit schriller Heiserkeit, während Panik sie erschlug. Wie konnte alles so schrecklich falsch kommen?

“Bald sind sie hier.”, drängte er, doch sie schüttelte hektisch den Kopf. Daraufhin wurde er ruhiger.

“Ich will dir wiedergeben, was meinetwegen genommen wurde. Du sollst alles wissen. Alles über uns und mich und du wirst dich entscheiden. Du wirst herausfinden, was du wirklich für mich fühlst und ich werde niemals sauer sein. Ich liebe dich, Mary.” Ihr Herz stockte, als er das sagte. Zum ersten Mal sprach er diese Worte aus und sie klangen wie ein Anfang, wenn er sie doch zum Abschied gebrauchte. Sie ließ zu, dass er auf sie zu trat und sie küsste. In dem Augenblick, in dem ihre Lippen sich berührten, wurde ihr Körper Übelkeit erregend zusammengequetscht und sie wurde fort gezogen, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte und eiskalte Luft ihren Körper einnahm.
 

Hastig sog sie die Luft ein und stolperte. Die neue Umgebung überwältigte beinahe ihre Kräfte. Um sie herum waren Häuser und Straßenlaternen und Muggleautos. Heftig atmete sie ein und aus, wie ein Tier, dass man aus dem Käfig gelassen hatte, verlor sie die Orientierung. Jedoch holte Gabriel sie zurück. Er zog sie an sich und stellte sicher, dass sie nur ihn sah.

“Bitte, vergiss alles um dich herum und hör mir ganz aufmerksam zu. Alles, was ich dir jetzt sage, wird unglaublich wichtig sein. Zuerst darfst du nie vergessen, was ich dir gesagt habe: Ich liebe dich. Du hast mich verändert und zu dem Menschen gemacht, der dich aufgeben kann, weil er dich liebt. Nimm dies.”

Er drückte ihr eine kleine Schachtel in die Hand. “Darin ist das Tier, dessen Biss deine Erinnerungen zurückholen wird. Sobald ich weg bin, versteckst du dich und dann öffnest du dich die Schachtel.”

“Geh nicht, bitte. Bitte, bleib.”, flehte sie panisch und taub vor Schmerz und Kälte. Sein Gesicht war ebenfalls schmerzhaft verzogen, aber in diesem Augenblick konnte sie nicht nachvollziehen, wie er selbst sich fühlen musste. Es war alles zu viel für sie und sie wusste nicht, wie viel mehr es werden sollte.
 

“Bitte, hör zu.”, flüsterte er eindringlich durch ihre Tränen. “Wenn deine Erinnerungen zurückkehren, wird das überwältigend sein. Es könnte sogar wehtun, ich weiß es nicht. Aber es ist ganz wichtig, dass du sie gleich durchforstest.”

“Wieso nicht jetzt? Wieso kannst du nicht bei mir sein?” Entschuldigend schüttelte er den Kopf und drückte sie an sich, sodass er dicht an ihrem Ohr war, als er weiter sprach:

“Du musst in dem Augenblick stark sein, du musst ganz unbedingt einen Ort finden, an den du apparieren kannst. Ich kann nicht dabei sein, weil ich nicht wissen darf, wohin du gehen wirst. Ich werde zurück nach Hause gehen, wo der Dunkle Lord jeden Augenblick eintrifft. Ich werde dir Zeit kaufen und sobald sie in meinen Erinnerungen sehen, wo ich mich verabschiedet habe, werden sie hierhin kommen. Es ist ganz wichtig, dass du dann nicht mehr hier bist, Mary. Verstehst du das?”

Stumm nickte sie. Ein dichter Nebel verwirrte ihren Kopf und nur Gabriels wundervoller Stimme drang hindurch. Sie sog jeden Klang seiner Worte auf wie lebenswichtige Luft. Etwas dringliches wollte zu ihr durch, doch sie konnte sich nur auf Gabriel konzentrieren und ihm zuhören, wie er verlangte.
 

“Appariere irgendwo hin, wovon sie nicht ahnen können, dass es dein Ziel wäre. Sie werden so lange wie möglich nicht wissen, dass deine Erinnerung zurück ist. Sobald du den ersten Schock überwunden hast, nach dem Apparieren, verschwinde erneut. Möglichst an einen sicheren Ort. Zu deinen Freunden. Ich verspreche, niemand wird dir dorthin folgen können. Hast du alles verstanden?”

“Ja, aber -”, murmelte sie, bis er ihre Finger um einen länglichen Gegenstand schloss. Überrascht keuchte sie. Doch natürlich, natürlich hätte sie seinen Plan nicht ohne dies ausführen können.

“Mein -”

“Ja.”, knirschte er, denn plötzlich war sein Gesicht voller Leid und er drückte die Hand auf seinen linken Unterarm. “Er ist dort.”, presste er hervor und gab ihr einen letzten Kuss.

“Ich liebe dich.”, flüsterte sie und wollte mehr sagen, wollte ihm seine Schmerzen nehmen und ihn bei sich halten.

“Du musst genau tun, was ich gesagt habe.”, drängte er jedoch und seine Augen durchbohrten sie, sodass sie es ihm versprach.

“Es ist grausam von mir, dir nicht erneut die Erinnerung zu nehmen, aber ich bin ein Egoist.”, gestand er hart atmend. “Ich will nicht, dass du vergisst, was geschehen ist. Ich kann dich nicht verlieren.”

Sie verstand nicht. Er sollte einfach bei ihr bleiben, doch mit einem Mal war er fort. Unerwartet stolperte sie nach vorne und fiel auf die pralle Tasche, die er gefüllt hatte. Der Nebel in ihrem Kopf war wie weggeblasen und die wichtige Information, die sich gegen ihren Schädel gepresst und die sie ignoriert hatte, hallte jetzt in ihrem Gehirn wieder.
 

“Sie werden dich töten.”, flüsterte sie und verstand nun. Wenn sie nicht tat, wie er es befohlen hatte, würde sein Tod umsonst sein. Er würde sterben, um ihr Leben zu retten. Heiße Tränen rollten über ihre gefrorenen Wangen und mit steifen Fingern, krallte sie die Tasche mit der Hand, in die er ihren Zauberstab gelegt hatte. So wenig sie sich an das Gefühl erinnern konnte, bemerkte sie, wie sehr ihr diese Verlängerung des Arms gefehlt hatte. Es war ein vertrautes Gefühl, das Holz in der Hand zu halten.

Rasch zerrte sie ihr Gepäck in einen Vordergarten und kauerte sich kniend in den frostig harten Boden unter einer Hecke. Mit dem faden Licht der Straßenlaternen dürfte diese Versteck ihr noch Zeit kaufen, falls die Todesser früher erschienen, als Gabriel erhofft hatte. Aber an ihn durfte sie nicht denken. Sie saß dort und roch noch seinen Duft und erneut kamen ihr die Tränen und sie bekam keine Luft. Doch sie musste weg und sie musste ihn jetzt dort lassen, auch wenn sie sich ansah und dafür hasste.

Mit klammen Händen schob sie den Deckel von der kleinen Schachtel und sie sah kaum wie der große Käfer hinaus kletterte. Er orientierte sich und beinahe hatte sie schon Angst, dass er davon krabbeln und sie ihn im schwachen Licht verlieren würde. Allerdings hörte sie ihn dann wütend brummen und spürte einen stechenden Schmerz in der Handfläche.
 

Vor ihren Augen blitzte es und es war als schließe man ihren Körper kurz. Sie wusste, dass sie fiel und in ihrem Kopf geschah so viel. Bilder über Bilder und laute Geräusche, sodass ihr beinahe schlecht wurde. So musste es sein, wenn man starb, denn ihr Leben zog an ihr vorbei. Nur dass es nicht so friedlich war, wie sie sich immer vorgestellt hatte. Sie steckte in einem Strudel fest, wurde nach allen Seiten geschleudert, denn ihre Erinnerungen taten ihr nicht den Gefallen geordnet zurückzukehren. Es war als stürme eine Masse der Größe eines gesamten Landes durch das Öhr einer Nadel. Sie drängten und kämpften und schubsten und stolperten. Und als der Sog vorbei war spürte sie endlich wie ihre Stirn fest auf den Boden aufschlug, denn sie hatte kurze Zeit das Bewusstsein verloren. Aber sie war zurück und so stark ihre Kopfschmerzen waren, sie war wieder eine Rebellin. Aufmerksam lauschte sie auf die Schritte von Todessern, doch da waren keine, dann folgte sie weiter Gabriels Anweisungen. Alle Informationen, die von ihr anerkannt werden wollten, drängte sie beiseite und fokussierte sich stattdessen auf den ersten unbekannten bekannten Ort, den sie in ihrem ungewohnt großen Erinnerungskatalog finden konnte. Eine andere Straße in hoffentlich einer anderen Stadt und mit einem Ploppen verschwand sie und ließ ihre Möglichkeit der Rückkehr zu Gabriel hinter sich.
 

Gabriel. Sie hatte ihn wieder in ihre Gedanken gelassen und nun wurde sie erneut vom Pochen in ihrem Kopf geblendet. Gefühle tobten in ihr, während Bildsequenzen ihre Netzhaut erstürmten. Teenager Gabriel. Fies und ekelhaft, verabscheuungswürdig. Hass und tiefste Abneigung stießen in ihr empor. Sie wollte ihn verfluchen wie damals. Wünschte ihm die hässlichsten Furunkel an den Hals, wollte ihn so heftig verletzen, wie es in ihrer Macht stand. Er war ein Monster, vor dem sie ihre Freunde beschützen musste. Ihre geliebten Freunde. Ihre wunderschöne, herrliche Lily, zu der sie an jenem Abend gewollt hatte. Bis sie ihm dann gar nichts mehr anhaben konnte. Weil er sie gefoltert hatte. Weil er ihr all die Dinge angetan hatte, die sie ihm ihr Leben lang hatte zufügen wollen.

Solange, bis sie sich verliebt hatte. Bis sie ihn wirklich gesehen hatte. Er war anders gewesen, sonst wäre es vielleicht nie so gekommen. Doch er behielt recht, sie konnte es nun sehen. Damals, als sie ihn schon verabscheut hatte, hatte sie gewünscht, er könne anders sein. Da war sie sicher. Ein Leben lang gepeinigt und gestritten und gekämpft hatten sie. Sich gehasst von dem Moment, in dem ihre Augen sich das erste Mal verhakten. Das Feuer dieses ausgeprägten Hasses loderte in ihrer Brust auf, doch so brannte dort auch die Glut ihrer Liebe. Dieses neue Gefühl, dass sie zu früheren Zeiten nie zu spüren vermocht hätte.

Ich hasse alles an dir, also warum liebe ich dich, fragte sie sich selbst. Weil er sie auch lieben konnte. Sie hatten einander verändert, so wie er gesagt hatte. Er hatte ihr gesagt, sie würde sich entscheiden, doch wie hatte er glauben können, dass es dort eine Entscheidung zu fällen gab? Keine Vergehen der Vergangenheit konnten die wunderschönen Erinnerungen auslöschen, die er ihr beschert hatte. Im Gegenteil verwandelten sie sie in ein noch fabelhafteres Wunder und damit verdrehten sie auch Marys Herz. Dieses Wunder war vergangen. Es würde nur noch dort oben Leben. In ihren so kostbaren Erinnerungen und es würde mit ihr sterben, denn so sehr sie der Gedanke schmerzte, wusste sie, dass der ihr nun wichtigste Mensch fort war.
 

Langsam kam sie wieder zu sich, dort auf dem eisigen Teer des Bürgersteigs auf irgendeiner Straße. Sie hatte das einst einzig wichtige in ihrem Leben verloren. Gabriel war fort, doch er hatte sie noch mehr zu einer Kämpferin gemacht und er hatte ihr etwas zurückgegeben, an dessen Wert sie sich nicht hatte erinnern können. Er hatte ihr mehr zurückgegeben, als er damals genommen hatte, denn nun sah sie all die fabelhaften Dinge das damals in noch schönerem Licht. Hogwarts war ein sicheres Heim, indem Kämpfe Spielereien gewesen waren. Fehden waren Windhauche gewesen in der großen Welt. Die Liebe zu ihren Freunden etwas, für das sie alles aufgegeben hatte. Eine Liebe, für die sie hatte sterben wollen. Ganz so, wie er bereit gewesen war, für sie zu sterben.

Bevor Mary zu ihren Freunden zurückkehrte mit einer monatelangen Verspätung und bevor sie den Sohn ihrer besten Freundin zu Gesicht bekommen würde und sich mit schweren Stunden des Erklärens und Verstehens auseinander setzen musste, machte sie sich ein Versprechen. Erinnerungen an die kleinsten und größten Dinge, waren das kostbarste im Leben. Sie bewahrten die Momente, die einen zu dem formten, was man war. Sie mussten bewahrt und gepflegt werden, ob sie glücklich oder traurig waren. Aber ein Kopf war eben doch nur Nadelöhr im Verhältnis zur Gewalt eines Lebens voller Erinnerungen.
 

Daher versprach sie sich, die signifikante Erinnerungen wohl verwahrt in ihrem Herz zu halten. Gabriel hatte sie mit Freuden gequält. Er hatte Grausamkeit an ihr verübt, sie mit Verachtung gestraft, ihr Unverständnis gegenüber gebracht. Er hatte sie ausgeschlossen und gefangen gehalten. Doch was war all das gegen den Aufwand, den er mit ihrem Zimmer getrieben hatte? Wie er unbeholfen ihren Kopf gewaschen hatte und seine Mutter geschickt hatte, um sie zu pflegen. Wie er ihren Geburtstag erfunden hatte, nur um das Abholen ihres Kleides zu rechtfertigen und wie er den König zu ihrem Sieg wieder auf das Schachbrett gestellt hatte. Seine Neckereien und Zärtlichkeiten, sein Vertrauen sie in sein Zimmer zu lassen, seine warmen Hände und seine Liebe für ihr Haar. Und schließlich seine Mühen, um für ihren kostbarsten Schatz zu kämpfen und seine Entschlossenheit sie zu retten. Sie waren die Erinnerungen, die auf ewig ihr Herz und ihre Seele nähren würden. Wenn sie weinte, würde sie aus Glück und Dankbarkeit weinen, weil sie am dunkelsten Ort Liebe gefunden hatte und weil jemand sie so unerwartet sehr wertschätzen konnte, wie er.

Mit traurigem Lächeln auf den Lippen, fuhr sie mit dem Zauberstab hinauf an ihre Kopfhaut und trennte eine mittlerweile sehr lange Strähne ihres Haares ab. Diese wickelte sie um einen Ast und band eine Schleife.

“Ich liebe dich.”, flüsterte sie ein letztes Mal und disapparierte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: irish_shamrock
2014-02-07T12:10:55+00:00 07.02.2014 13:10
So, meine Liebe,

dann wollen wir mal das letzte Kapitel deines Gesamtkunstwerkes mit einem Kommentar versehen!!~♥
Erst einmal möchte ich dir für dein Vertrauen danken und dass du mich hast ein Auge auf deine Geschichte werfen lassen, die ja nun leider hier ihr Ende indet. Es hat mir auf jeden Fall sehr viel Spaß gemacht, in die Welt von Mary und Gabe einzutauchen und ich finde, dass dir die Umsetzung der Vorgaben ganz hervorragend gelungen ist. _Natsumi_Ann_ kann sich wahrlich glücklich schätzen, so einen Schatz bekommen zu haben (das nur nebenbei ;)).

Die tiefen Gefühle zwischen den Charakteren hast du wunderbar beschrieben. Die pinken, flauschigen Wattewöklchen, auf denen sich Mary bewegte und die doch so tragische „Realität“ prallen hier unbarmherzig aufeinander. Das Verlangen der beiden Liebenden, so schmerzlich, scheint beinahe greifbar zu sein.
(ich hatte dir ja bereits geschrieben, dass ich fast geheult hab)

Und dann, als Umbruch, wird der Leser mit den Rettern, der Gegenseite des Schreckens, konfrontiert, nur um dann vom Tod der Eltern der frischgebackenen Mutter zu erfahren. Wieder ein Verlust und herber Schlag für die junge Frau, deren Lebensglück nun allein mit dem Dasein des Kindes beinahe vollkommen schien, trotz der Gefahr, die draußen lauert. Die Eltern sind fort und die beste Freundin entführt von dem Feind, ohne jegliche Erinnerungen. Doch Hoffnung keimt auf. Das Gegenmittel scheint gefunden, doch niemand ahnt, was dem, unter dem Verlust des Gedächtnisses leidenden, Mädchen widerfuhr.

Wieder stellt er Fragen, verlangt nach Antworten und die Geisel müht sich um Auskunft, jedoch nicht ohne Hintergedanken. Doch so erfüllend das Zusammensein auch ist, ihm bleibt keine Wahl. Sein Herr und Meister will seine Macht demonstrieren und duldet keinen weiteren Aufschub zurückgehaltener Informationen. Die Geisel soll reden, denn viel zu lang schon hat sich der junge Hausherr herausgeredet, nur, um die Liebste zu schützen.
Schwer, viel zu schwer scheint die Bürde, die Last und die Angst, dass seiner Gefährtin böses widerfährt. Herzzerreißend und elend weidet sich Zweifel an ihm und zerrt und zurrt, bis es nur noch einen Ausweg gibt. Sie muss fort - weg von ihm. Schnell und schleunigst, da ihr Ende sonst unweigerlich besiegelt ist. Der Bösewicht naht und dem Helden beliebt nicht viel Zeit, um das Opfer an einen sicheren Ort zubringen. Das Gegenmittel, unter enormer Anstrengung beschafft, während die Liebste ungeduldig ausharrte, ist die einzige Möglichkeit, um das Leben der Frau seines Herzens zu retten.
(verzeih die Unterbrechung, aber auch an dieser Stelle hatte ich einen dicken, fetten KLOß im Hals)

Flucht scheint der einzige Weg zur Rettung. Wenn das Gegenmittel seine Wirkung tut, so befürchtet er, labt sich tiefster Hass an ihrem wiedergekehrten Gedächtnis. Dann verlässt er sie, nicht ohne zu beteuern, wie lieb und wertvoll sie ihm war, trotz der ihr zugefügten Grausamkeiten durch seine Person. Beide fanden, an dem dunkelsten aller Orte, einen Schimmer der Hoffnung, der in Liebe mündete. Ihre letzte Tat, als Zeichen tiefster Verbundenheit, zeigt jene Tiefe, ihrer Verbindung. Ob noch ein Wunder geschieht? Eilt er ihr zur Rettung – oder ist sie die Tapfere, die ihren Liebsten aus den Fängen des Bösen befreit? Das Ende bleibt, zum Bedauern, unvollendet – offen.

Meine liebe Petulia,
ich bin wahnsinnig stolz auf dich, dass du der Geschichte ein würdiges Ende beschreibst, das seines Gleichen sucht. Ich freue mich, dir zur Seite gestanden zu haben und wünsche mir weiterhin so viele, schöne Werke aus deiner Feder!!


Alles Liebe,
irish C:
Antwort von:  Petulia
08.02.2014 02:29
Oh mein Gott, irish :')
Du bistdoch die süßeste überhaupt!! Vielen vielen Dank für all deine Mühe und diesen fabelhaften kommentar. Wenn ich nicht einmal um die welt waer wuerd ich dich fest knuddeln! Dein kommentAr ist mal wieder ein meisterwerk in sich und ich fuehle mich zutiefst geehrt dass meine geschichte dich so sehr geruehrt hat . Das ist doch das schoenste komiment wenn man menschen erreichen lkann :)
Fall meine antwort hundert fehler enthaelt liegt das daran das mein handy spinnt und ich nicht seen kann was ich hier tippe :
Vielen lieben dank und wir lesen iuns bald, tuli :*


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