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Blutmond

von

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Engel im Wald

Die Augen des Jungen starrten anklagend nach oben, als hätte er in der letzten Sekunde seines jungen zerbrechlichen Lebens begriffen, das niemand kommen würde um ihn zu retten. Er war verloren und einzig die Sterne in der Finsternis würden ihm beim sterben zusehen, einsam weit ab von seiner Familie im kalten Schlamm des Waldes.

Sheriff Stilinski wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Was mochte dieser kleine Mensch zuletzt gedacht haben?

Er erinnerte sich noch an den Tag, als er frisch in den Job als Gesetztehüter eintratt. Er erinnerte sich an seinen Tatendrang und seine Freude, sich den Verbechern entgegen zu stellen und Schlachten zu gewinnen. Doch schon bald merkte er, das es keine Siege gab. Es gab nur den Kampf und im besten Fall fand man eine Stelle, die man verteidigen und an der man sich zurückziehen konnte.

Doch nicht an diesem Abend. Es war als wäre sein gesamtes Leben nach außen gekehrt worden und er musste sich beherrschen.

Was für ein Monster konnte einem unschuldigen Kind Leid zufügen? Seine Knöcheln traten weiß hervor, als er seine Fäuste ballten und seine Fingernägel schnitten in das Fleisch. Doch er bemerkte es kaum.

Warum?

Was ihm am meisten erzürnte war nicht der Mord oder der Tod an sich, sondern die Grausamkeit und die Sinnlosigkeit, die er nicht verstandt. Doch wenn er ehrlich war, so wollte er es auch gar nicht verstehen. Er wollte nicht wissen, was der Täter sich bei seiner grausamen Tat dachte, nicht was ihn dazu trieb, denn sonst konnte es sein, das er Mitleid mit ihm empfand und das wollte der Sheriff nicht. Nicht heute. Nicht jetzt.

Was hatte dieser Jungen denn getan, das er den Tod verdiente? Sheriff Stilinski wollte sich zu ihm herunter beugen, die kleine Gestalt in seinem Armen wiegen und ihm sagen, das er aufwachen konnte, das Böse war fort. Doch das konnte er nicht. Der Junge war tot und hinter sich konnte der Sheriff einen seiner Männer laut würgen hören, als dieser den Körper des Kindes erblickte.

Wie alt mochte der Kleine sein?

Zehn, Elf?

Ob die Eltern sich Sorgen machten, weil ihr Junge nach dem Spielen nicht Heim kam?

Mit Sicherheit. Er selbst kam jedesmal um vor Sorgen, wenn sein Stiles mal wieder meinte Nachts verschwinden zu müssen. Stiles. Der Sheriff wusste er verbrachte viel zu wenige Zeit mit seinem Sohn. Betrübt schloss er die Augen.

„Welches Monster macht denn sowas?“, hörte er seinen Kollegen Dan neben sich flüstern, andächtig, als wolle er den Jungen nicht wecken.

Stilinski konnte ihm keine Antwort geben. Selbst wenn er es gewusst hätte, er traute seiner Stimme nicht. Die behandschuhten Hände des Leichenbeschauers drehten den Körper des Jungen auf die Seite und besah sich seinen Rücken.

Plötzlich wurde der Sheriff wütend. Konnte man nicht sanfter mit ihm umgehen? Es war doch nur ein kleiner Jungen! Er bekam erst mit das er weinte, als Dan seine Schulter fest drückte. Man sollte meinen, nach all den Leichen, die der Sheriff in seinem Berufsleben schon gesehen hatte, sollte es leichter sein, doch das war es nicht. Es war immer schwer und wenn der Tote wie in diesem Fall ein Kind war, so war es Stilinski, als trage er wie Atlas die gesamte Welt auf seinen Schultern.

Er blickte in den dunklen Wald, auf die moosbewachsenen Bäume und plötzlich kam der weiße engelsgleiche Leib des Jungen ihm wie ein Fremdkörper an diesem Ort vor. Nein, der Wald war der Fremdkörper, nicht der Junge. Der Wald wollte nicht in das Bild passen. Plötzlich fragte sich der Sheriff was der Kleine zu so später Stunde in den Wäldern gesucht hatte. Hatten die Kinder von heute keine Angst mehr vor der Dunkelheit?

Er schluckte. Vielleicht war es doch besser wenn Kinder glaubten unter ihrem Bett hauste ein Ungeheuer.

Er trat näher an den Jungen ran und sah wie der Leichenbeschauers eine der unzähligen Stichwunden am Leib des Jungen auseinander schob und die Wundränder inspizierte.

Stilinski wusste nicht wie viele Stichwunden den Jungen zeichneten, denn er hatte schon lange aufgehört zu zählen. Es mussten weit über Hundert sein. Überall hatte der Mörder auf seinem nackten Körper eingestochen, um ihn dann leblos im Schlamm zurück zu lassen.

Der Junge wurde auf das schwarze Plastik des Leichensacks gelegt und zum ersten Mal störte es den Sheriff. Der Junge sollte nicht wie ein Stück Müll in eine Sack abtransportiert werden.

Minuten später sah Stilinski dem Wagen, der den Jungen in die Gerichtsmedizin brachte betrübt hinterher. Die meisten Beamten fuhren zurück zum Revier und nur eine handvoll Männer blieb um dem Tatort vor unliebsamen Zuschauern zu schützen und für den unwahrscheinlichen Fall, dass der Täter zurück kommen würde.
 

Der Kaffee aus der alten Maschine der Reviers schmeckte schäußlich, doch er tat seinen Dienst und die Müdigkeit in den Venen des Sheriffs verflog für einen Moment. Wobei er sowieso wusste nicht schlafen zu können. Er würde das Gesicht der Jungen vor Augen haben. Und das seiner Eltern, denen er die schreckliche Nachricht überbringen musste. Im Lehrbuch stand, man sollte das ganze nicht zu nah an sich ran lassen. Es nicht persönlich nehmen, doch verdammt, ein kleiner Junge war tot! Dieser Fall war mehr als persönlich!

Er sah das Gesicht der Mutter vor sich, die weinend zusammen brach, die stumpfen Augen des Vaters, die irgendwo in die Ferne blickten und von allem nichts mehr mitzubekommen schienen, die kleine Schwester, die von alle dem nichts verstand und trotzdem weinte, weil sie dem Kummer ihrer Eltern spürte.

Wie sollte Stilinski jemals wieder schlafen können?

Dan trat an seinen Schreibtisch. Seine Augen waren wässrig und mit dunklen Ringen umrandet. Sah der Sheriff selbst auch so aus? Wahrscheinlich schlimmer.

„Der vorläufige Bericht der Gerichtsmedizin ist da.“, sagte Dan und legte ihm eine dieser kartonfarbenen Mappen auf den Tisch.

„Schlimm?“

„Schlimmer.“

Die Hände des Sheriffs zitterten, als er die Zeilen überflog. 333 mal wurde auf den Jungen eingestochen. Die Waffe war eine feststehende zweischneidige Klinge mit einer Länge von circa 25 Zentimeter. Einzig die Tatsache, dass die meisten der Stiche nach dem Tod zugefügt wurden, konnte den Mann ein wenig trösten.

Die Spurensicherung stellte fest, das der Junge nicht im Wald getötet wurde. Im Boden fand man kaum Blut, also ging man davon aus, das der Täter die Leiche nur abgelegt hatte. Doch es gab keine Fußspuren. In dem aufgeweichten Boden hätten Abdrücke zu finden sein müssen, doch nichts. Es war, als wäre der Junge einfach aus der Erde gewachsen, oder vom Wind hergetragen.

Kein Anhaltspunkt auf den Täter und plötzlich wurde dem Sheriff alles zuviel.

Mit wackligen Beinen stand er auf. Er musste hier raus. Er brauchte frische Luft. Ihm war als könne er nicht mehr atmen und mit schweißnassen Fingern knöpfte er sein Hemd auf. Draußen vor dem Revier sank er auf seine Knie und blickte zum Mond, der leichenblass auf Beacon Hill nieder schien.

Wenn es einen Gott gab, wo war er heute Nacht, als der Junge starb?

„Dad?“, eine zaghafte Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Stiles. Der Sheriff sprang auf und schloss seinen Sohn in seine Arme. Er würde ihn nie wieder los lassen.

„Was ist passiert?“

„Sie haben den kleinen Tim Bennett gefunden. Tot. Übel zugerichtet.“

Stilinski schob seinen Sohn von sich weg und betrachtete ihn. Er sah wie dieser Luft holte, um ihn nicht einem Schwall Fragen zu überhäufen. Doch er schüttelte nur den Kopf. Er wollte heute keine Fragen mehr beantworten. Nicht heute, nicht jetzt.

„Lass uns nach Hause gehen.“
 

Und später in der Nacht stahl sich der Sheriff in das Zimmer seines Sohnes, um ihm beim Schlafen zuzusehen, nur um sicher zu gehen, das er noch da war.



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