Zum Inhalt der Seite

Angel of Ashes

Wenn Engel die Welt beherrschen
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Wenn Trauer vereint

Die absolute Leere. Ein Nichts in sich selbst, welches den Körper und den Geist schwerelos und unbedeutend zurücklässt.

Genauso fühlte Sheena sich, oder eher genau das fehlte ihr. Sie fühlte nichts, sie war ein Niemand gefangen in einem Körper, den sie nicht spürte.

Menschen…Engel, sie kamen und gingen. Sprachen mit sich oder anderen, aber sie hörte sie nicht. Manchmal sah sie ein Gesicht, dass sie kannte und einmal geliebt hatte. Kinder und Frauen, die um sie weinten, doch Sheena hatte nichts mehr in sich, was sie empfinden konnte.

Der Schmerz hatte das Kind mit sich genommen. Hatte ein junges Leben genommen, bevor es hatte die Sonne erblicken können. Sie hatte das Baby und ihr Schicksal nicht gewollt, aber das Kind war ein Teil von ihr gewesen. Jetzt, da es tot war, blieb von Sheena nicht mehr viel übrig.

Sie aß nicht, sie wollte nichts trinken. Sie vegetierte vor sich hin und hasste die Engel dafür, dass sie sie am Leben erhielten.

Ignatius stand mal wieder an ihrem Bett, schaute sie an ohne ein Wort zu sagen. Er hatte etwas Trauriges in seinem Blick und Sheena musste sich abwenden. Sie drehte sich auf die Seite, geblendet von der Sonne, die sie nicht mehr wärmte.

„Ich weiß, dass du mich nicht hören willst, Sheena. Aber du musst wissen, dass wir ihn gefunden haben. Er lebt. Aber nur noch so gerade eben und er weiß, was geschehen ist.“

Sie spürte seine Hand auf ihrem Rücken. Was hatte er gesagt?

„Bitte komm wieder zu uns zurück.“, flüsterte der Engel. Dann wurde es wieder still.

Von wem sprach er?

Sheena schloss die Augen, blendete alles um sich herum aus. War wieder eins mit dem Nichts.
 

Als die Sonne unterging und die Burg zur Ruhe kam, erwachte alles in Sheena zum Leben. Sie musste hier raus, wollte nicht mehr gefangen sein durch die Fürsorge der Menschen und Engel, die hier lebten. Einsamkeit, mehr wünschte sie sich nicht. Keiner konnte verstehen, wie sie sich fühlte. Wie auch, wenn sie sich selbst nicht verstand.

Sie rollte sich aus dem Bett und kam auf den Knien auf. Ihre Beine waren schwach und ihr Körper wollte ihr den Dienst versagen. Das hatte sie nun davon. Weil sie sich geweigert hatte ihr Leben zu erhalten, war sie womöglich zu schwach um zu fliehen.

Sie zog sich an dem Bett hoch und fixierte den Ausgang. Der Weg schien ihr so unendlich weit, doch wenn sie schon jetzt zögerte, wie sollte sie dann den Weg in die Wüste finden?

Sheena schloss kurz die Augen, beschwor ihr Ziel herauf und machte die ersten Schritte. Bevor sie erneut zu Boden ging, erreichte sie den Türsturz und konnte sich fest halten. Sie blickte an ihren, nur von einem weißen Leinenhemd bedeckten Körper hinab. Nicht einmal die Entbehrungen außerhalb dieser Mauern hatte sie jemals so weit gebracht, dass sie nur noch ein Schatten ihrer Selbst war.

Wo war ihr Kampfgeist geblieben? Ihre Stärke und ihr Mut? Wieso war ihr all das abhandengekommen?

Sheena spürte heiße Tränen auf ihren Wangen, ohne dass sie hätte sagen können, was sie ausgelöst hatte. Sie hob, wütend auf sich selbst, den Kopf und fixierte den Korridor. Sie würde sich von niemanden aufhalten lassen und ganz bestimmt nicht durch sich selber.

Die Flure waren bis auf ein paar wenige Fackeln erhellt, die immer zu brennen schienen ohne je zu verbrauchen. Sheena hangelte sich an der Wand entlang und versuchte auszublenden, dass ihr jeder Schritt Schweiß auf die Stirn trieb, wohl in dem Wissen, dass sie noch gar nicht wusste, wie sie die Mauern überwinden sollte. Doch der Wunsch, den Rest ihrer Gruppe in der Einöde zu finden und mit ihnen dort zu sterben war so übermächtig, dass sie sie sogar schon vor Augen sah. Frank und die anderen, wie sie ihr zuwinkten und nach ihr riefen, froh ihre junge Freundin endlich wieder bei sich zu haben.

Sheena lächelte schwach und griff nach dem Bild. Als sie nichts als Leere in den Händen hielt, konnte sie nur knapp verhindern, dass sie laut aufheulte. Tief Luft holend biss sie die Zähne zusammen. Wenn sie jetzt den Verstand verlor, war ihr Plan dahin.

Sie stolperte über ihre eiligen, schwachen Füße und konnte sich gerade eben an einer Türklinke festhalten. Irritiert stellte sie fest, dass dies das erste Mal war, dass sie eine richtige Klinke sah. Alle anderen Türen konnten nur angelehnt werden. Sie versuchte sich daran hochzuziehen und erkannte im gleichen Augenblick ihren Fehler, denn die Tür fiel mit ihr nach innen auf und sie legte sich der Länge nach hin.

Der harte Aufschlag erinnerte Sheena daran, wie das tote Kind aus ihr geholt worden war. Auch wenn der Schnitt aufgrund der Magie der Engel sehr schnell geheilt war, so hatte sie das Gefühl als durchlebe sie den Schmerz erneut und die Narbe spannte augenblicklich. Keuchend schob sie sich in eine sitzende Position und legte eine Hand auf ihren Unterleib, in dem Glauben, dort Blut sehen zu müssen. Doch da war nichts.

Ein wenig erleichtert hob sie den Blick.

Und erstarrte.

Sie war in einem großen, jedoch kargen Raum mit einem Fenster, welches dreimal so groß war wie das in ihrem Zimmer. Wenige Meter vor ihr stand ein schlichtes Bett, welches im Schein eines hohen Feuers lange Schatten in den Raum warf. Unter dem Fenster stand ein einzelner Tisch und ein Stuhl. Mehr gab es hier nicht.

Doch selbst Baldachine und schwere Teppiche oder Gemälde großer Künstler konnte Sheenas Aufmerksamkeit von der Gestalt abwenden, die unter einem dünnen Laken auf eben diesem Bett weilte.

Seine Haut war entsetzlich zerschunden und seine Flügel verbrannt und schwer verwundet. Auch wenn seine Augen geschlossen waren, konnte sie die tiefen Schatten unter ihnen erkennen und seine hohlen Wangen machten das Bild nur noch grausamer.

„Sem!“, stieß Sheena entsetzt hervor.

Sie krabbelte auf allen Vieren auf ihn zu, musste sich einfach vergewissern, dass sie sich nicht täuschte. Sie zog sich am Bett hoch und musterte dass einst so schöne Gesicht. Ihr Magen zog sich zusammen angesichts dieser Zerstörung. Sem musste furchtbare Schmerzen leiden.

Plötzlich trafen Silberaugen auf die ihren. Sheena wäre beinahe zurück gezuckt, doch seine warme Stimme hielt sie zurück.

„Weine nicht, kleiner Vogel.“, flüsterte er heiser. Erst jetzt merkte Sheena die Tränen auf ihren Wangen.

Er hob eine Hand, verbunden und fixiert durch eine Schiene und fuhr ihr kraftlos und doch sanft über das Gesicht. Seine Augen stachen aus einem von Schnitten und Kratzern übersäten Gesicht hervor und waren dadurch nur noch intensiver. Sein freiliegender Oberkörper, noch immer unglaublich muskulös, war mit Stoffbahnen komplett umwickelt und hier und da schimmerte frisches Blut hervor. Beide Arme schienen gebrochen zu sein, denn wie zuvor die rechte Hand, war auch der andere Arm geschient.

Sheena fehlten die Worte. Der Gedanke, dass er einmal ihr allerschlimmster Feind gewesen war, kam ihr angesichts dieses verunstalteten, gequälten Körpers nicht einmal mehr in den Sinn.

„Es tut mir so leid.“, entfuhr es ihm und Sheena unterbrach überrascht ihre Musterung.

„Dir tut es leid? Was sollte dir leid tun?“, sie berührte vorsichtig seinen Arm, das bisschen Haut, was noch zu sehen war, schien schwer verbrannt zu sein.

Das Feuer in dem Mannshohen Kamin ließ seine silbrigen Augen flackern.

„Ich habe es gefühlt, Sheena. Ich konnte deinen Schmerz fühlen. Und ich konnte dir nicht helfen. Ich war nicht da. Das tut mir Leid.“

Auch wenn sie sofort die Augen niederschlug, um sich die Blöße ihrer Trauer nicht zu geben, so erkannte sie doch echtes Leid in seinen zerschundenen Zügen.

Sem versuchte sich aufzusetzen, doch selbst die kleinste Bewegung trieb ihm den kalten Schweiß auf die Stirn. Auch wenn Sheena ihn nicht berühren wollte, legte sie ihn beide Hände auf die Brust.

„Bleib liegen. Du machst es nur schlimmer.“

Sem hielt sofort inne, hatte es aber geschafft ein wenig höher zu liegen. Jetzt musterte er sie so durchdringlich, dass sie augenblicklich an Flucht denken musste. Seine bandagierte Hand legte sich auf ihren Arm. Es fühlte sich an, als würde Feuer sie berühren.

„Bitte bleib.“

Die anfängliche Sorge um diese arme Seele, wich ihrer Abneigung gegen die Engel. Sie wollte fort von hier.

„Sheena!“

Unwillig sah sie auf. Sein Blick war so unglaublich intim und hypnotisierend, dass Sheena Herz schneller schlug.

„Ich kenne deinen Schmerz. Ich fühle ihn selbst. Du bist nicht alleine.“

Eine Träne bahnte sich seinen Weg, automatisch fing Sheena sie mit ihren Fingerspitzen auf. Ihr Herz blutete und sie sah dieselbe Pein, wenn sie Sem anschaute.

„Ich konnte es nicht verhindern.“, wisperte sie. „Der Tod riss sie aus mir heraus und ich konnte ihr nicht helfen.“

Ein Schluchzer entfuhr ihr und zum ersten Mal wurde Sheena bewusst, was sie die ganze Zeit verdrängt hatte. Sie hatte dieses Kind akzeptiert als das, was es war. Ihr Baby, ein Teil von ihr. Aus welchem Grund es auch empfangen wurde, es war ihr Kind, ihre Tochter. Dass es ein Mädchen war, wusste sie einfach. Es war so klar und deutlich wie das Morgengrauen und die Abenddämmerung.

„Ich habe versagt.“

Die Tränen, die nun kamen, waren ehrlich. Sheena wusste worum und weshalb sie weinte.

„Es war meine Schuld!“

Sem hatte sich auf die Seite gedreht, frisches Blut sickerte durch den Verband an seiner Schulter.

„Das Kind war ebenso mit mir verbunden, wie wir zwei es sind. Als die Gefallenen mich angriffen, verletzten sie auch euch.“, er umfing Sheenas Gesicht.

„Alles was wir tun, was wir denken und fühlen ist miteinander verwoben und ich kann es nicht verhindern. Bitte verzeih mir Sheena.“

„Ich kann dir nicht die Schuld geben.“, sagte sie und wusste, dass es stimmte. Sem so zu sehen, verletzt und machtlos und tieftraurig, machte ihr bewusst, dass er der einzige war, dem sie in diesem Moment nicht böse sein konnte.

Sie schob sich auf das Bett, sich ihrer zitternden Knie bewusst und schmiegte sich an Sem. Sein Herz setzte einen Augenblick aus und er wagte nicht zu atmen. Fast wäre sie wieder aufgesprungen, da sie fürchtete ihm Schmerzen zu bereiten, als seine geschienten Arme sie umfingen und sein Kinn auf ihrem Scheitel ruhte.

Sein Körper strahlte eine unglaubliche Hitze aus und doch war Sheena froh darum. Als würde die Wärme das Eis in ihre schmelzen. Sie wollte jetzt nicht fliehen. Nicht in diesem Moment.

Sem war in diesem Augenblick der einzige Mensch…oder Engel, der sie verstehen konnte und sie war froh, dass er wusste was sie fühlte. Sie schob sich noch näher an ihn heran und Sem verstärkte den Druck.

„Ich werde auf dich aufpassen.“, flüsterte er und kurz darauf war Sheena eingeschlafen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück