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Berlin macht das Leben auch nicht leichter

von

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„...können wir mit Glück heute Nachmittag noch ein paar Sonnenstrahlen einfangen, während gegen Abend eine Schlechtwetterfront aufzieht und dann auch gebietsweise das erste Mal mit Schnee zu rechnen ist. Die Temperaturen liegen derzeit bei einem Grad, es kühlt im Laufe des Tages jedoch immer weiter ab.“ Erstaunt folgte ich der Stimme der Radiowetterfee in die Küche. Entweder das Ding hatte ein Eigenleben entwickelt oder Dirk war ausnahmsweise vor mir wach. Tatsächlich stand er mir den Rücken zugewandt am Herd und bruzelte irgendwas. Es roch verdächtig angebrannt. So lange konnte der Kleine jedoch noch nicht auf den Beinen sein. Zu mehr als Boxershorts hatte er es noch nicht geschafft. Neugierig, was er dort bis aufs letzte zu Kohle verarbeitete, gesellte ich mich neben ihn. Hoch konzentriert blickte er auf sein Werk in der Pfanne.
 

„Solln dat Fischstäbchen sein?“, versuchte ich das laute Zischen der dunkelbraunen Glötze zu übertönen. Neben mir zuckte es. Dirk blickte erschrocken auf. „Mensch erschreck mich doch nich so!“ „Hab ick doch gar nich!“ „Doch haste.“ Er hatte ja Recht. Das sah ich in seinen Augen. Doch übel nehmen durfte er mir das wirklich nicht. Dieser Kerl war von Natur aus unglaublich schreckhaft, weil er ständig vor sich hin träumte. Da konnte man nun wirklich keinem einen Vorwurf machen. „Wat machstn du eigentlich schon hier? Bist doch sonst nich so früh wach?“, lenkte ich vom Thema ab. „Es is um 12 Jan.“ „Ja, ick weeß. Deswegen ja. Wenn es kein Fiebertraum war, biste heute morgen 5 Uhr sturzbetrunken hier aufgetaucht. Vorm späten nachmittag seh ick dick dann nie. Ich glaube, du kannst die Fischstäbchen langsam runternehmen.“
 

Ich wollte gerade zwei Teller aus dem Schrank holen. „Nee nee Finger weg. Ick mach dat schon. Schließlich biste ja krank.“ „Auch gut.“ Ich machte es mir auf der Küchenbank bequem. Das klappte schon sehr viel besser als gestern. „Also erstens war ick nich sturzbetrunken. Und zweitens musste ick mich ja heute vormittag in der Schule abmelden. Und als ick schon mal wach war, dachte ick mir, ick mach uns wat zu essen. Dann kannste dich ausruhn.“ Fröhlich grinsend schob er mir den Teller mit den verkohlten Fischstäbchen unter die Nase. Lecker. Gesund war das sicher nicht. „Jetzt guck nich so. Sin nurn bisscken angebrannt. Kann man schon noch essen.“ „En bisscken?“ Vorsichtig stocherte ich in meinem Essen rum. „Du olle Mimose. Jetzt sei nich so wählerisch, wenn ick uns schon mal wat zu Futtern mache. Musste mich ja nebenbei auch noch um deinen Tee kümmern.“ Schnell sprang er auf und holte meine Tasse. „Bitte der Herr.“ Was war denn mit dem los?
 

Ich kannte Dirk jetzt schon eine ganze Weile, seitdem wir zusammenwohnten auch fast alle seine Macken und Charakterzüge. Er war ein ziemlich einfühlsamer Mensch und ich konnte mich in fast jeder Lebenslage auf ihn verlassen. So war es auch nichts Neues, dass er sich kümmerte, wenn es mir nicht gut ging. Aber diese befremdliche, schon fast gruselige gute Laune, die er heute an den Tag legte, trotz der für seine Verhältnisse kurzen Nacht, war mir neu. So blieb ich auch skeptisch. Da musste irgendwas im Busch sein. Und ich war neugierig. Auch um ihn zum Reden zu animieren, fing ich an, das verbrannte Essen Stück für Stück in mich reinzustopfen.
 

„Wie gehtsn dir? Siehst schon besser aus als gestern.“ „Geht auch schon besser. Ick glaub, dat Schlimmste hab ick überstanden.“ Ich hatte heute Nacht wohl alle Keime erfolgreich aus mir herausgeschwitzt. Die Bettdecke bedurfte jedenfalls dringend einer Wäsche. Meine Nase war zwar immer noch zu und ich musste aufpassen, beim Essen nicht zu ersticken, aber wenigstens waren die Kopfschmerzen weg. Wie Fieber fühlte ich mich auch nicht mehr. Wohl doch nicht das Hantavirus.
 

„Würd mich aber eigentlich mehr interessieren, wat du heute Nacht gemacht hast. Hast ganz schön komisch ausgesehn.“ „Wie komisch?“ Dirk schaufelte das Essen in sich rein, ohne sich an dem eigenwilligen Geschmack zu stören. „Na du warst klitschnass und hast irgendnen Lumpen mit dir rumgeschleppt. Außerdem waret auch schon um 5. Haste dich abschleppen lassen oder wat?“ Wäre nicht das erste Mal gewesen. „Schön wärs. Bin aufm Klo eingepennt.“ „Schon wieder?“ Empört schaute er auf. „Ey komm, dat war einmal und dat war ne Geburtstagsfeier.“ „Ja meine.“ Dirk hatte damals gefeiert, als wäre es seine gewesen. „Is doch auch Wurscht jetze. Es hat geregnet und ick musste auf die erste Sbahn warten. Mehr is nich passiert.“
 

„Und deine Jacke.“ „Vergessen.“ „Und dein Schlüssel?“ „In der Jacke.“ „Und wie biste dann ins Haus reingekommen?“ Er hielt kurz inne und schien zu überlegen. Dann zuckte er mit den Schultern. „Keene Ahnung. War bestimmt die Tür auf.“ Die Geschichte war weit weniger spektakulär, als ich sie mir vorgestellt hatte. Ein bisschen enttäuscht stopfte ich das letzte Stückchen Fischstäbchen in mich rein. Ich sollte ihn nie wieder an den Herd lassen. Jetzt hatte ich meine Gesundheit für nichts aufs Spiel gesetzt.
 

Aber halt. Da war doch noch was. „Und wat hast du da gestern für nen Lumpen mit dir rumgeschleppt?“ Den letzten Brocken gerade heruntergeschluckt schaute er auf und grinste. „Dat is kein Lumpen sondern ne Decke.“ Er stand auf und räumte den Tisch ab. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich musste ihm alles aus der Nase ziehn. „Man Dirk! Und wo haste die her?“, antwortete ich übertrieben genervt, denn ich wusste, dass er mich mit Absicht auf dem Trockenen sitzen lies. „Nich so neugierig Herr Vetter.“
 

Vollidiot. So sehr interessierte es mich auch nicht. Ich war krank und musste mich auf seine Sticheleien nicht einlassen. Bockig stand ich auf. „Dann eben nich. Mir auch egal.“ Lachend hielt der Schwarzhaarige mich am Arm fest. „Man Jan! Du bist aber auch ne olle Zicke.“ „Bin ich nich.“, brummelte ich. „Die Decke gehört nem Mädel, dass ick gestern am Sbahnhof in Spandau getroffen hab.“ Also doch. Meine Missstimmung wich wieder der Neugier und ich grinste ihn fragend an. „Also doch abgeschleppt.“ „Nix da. Sie hat aufn Bus gewartet, icke auf die Bahn. Da haben wer uns zusammen bisscken die Zeit vertrieben. Mehr nich. Die Decke hat sie vergessen.“
 

„Kannst se ihr ja wieder bringen. Sah se gut?“ Dirk wandte sich dem Aufwasch zu und ich bildete mir ein, einen Moment lang Enttäuschung in seinen Augen zu sehen. „Kann schon sein. Is aber egal. Ick weeß weder wie se heißt, noch wo se wohnt.“ „Wieson das?“ „Weeß nich. Ging dann alles irgendwie zu schnell. Is auch egal jetzt.“ Damit war das Thema dann wohl beendet. Dass er sich ärgerte war offensichtlich. Aber helfen konnte ich ihm da jetzt leider auch nicht. Ohne Adresse geschweige denn ohne Namen in Berlin jemanden zu finden, war fast unmöglich.
 

„Die Wetterhexe hat vorhin gesagt, soll noch ma ganz nett werden heut.“ „Und?“ Ich ahnte es schon. „Frische Luft hilft bei der Genesung.“ „Vergisset Felse. Es is arschkalt draußen.“ „Dann musste dich eben warm anziehn. Dr. Bela sagt Spaziergang is angesagt.“ „Aber...“ „Nix da. Schwing deinen hübschen Hintern ins Bad und pack dich ein. Nurn paar Runden um den Block. Da stirbste schon nich dran.“ „Ick...“ „Keine Widerrede.“ Er könnte mich bei seinem altklugen Ansagen ja wenigstens mal anschauen. Ein Spaziergang war das letzte, worauf ich Lust hatte. „Man...“ „Aus!“ Es gab Tage, da könnte ich ihm den Hals um drehen. Heute war definitiv so einer.



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