Inu Yasha in der Hölle
Inu Yasha in der Hölle
Am nächsten Tag kam Inu Yasha alleine zu der Praxis. Seine Freunde hatten sich strikt geweigert, ihn zu begleiten und auch er verspürte eigentlich nicht die geringste Lust, in dieses Höllenloch zurückzukehren. Kagome hatte versucht, im Internet mehr über Suhani herauszufinden als nur die Praxisadresse, aber da war nichts zu finden gewesen. Jedenfalls nichts über die Therapeutin, ihre Namensvetterinnen ergaben bei Google immerhin über 1,7 Millionen Treffer. Und bei Facebook gab es ungefähr 40 Profile mit diesem Namen. Allerdings keines von der Suhani, zu der der arme Halbdämon jetzt musste.
Er fragte sich immer noch, wieso er gegen seinen Willen wieder zurück zu der Praxis ging. Als hätte er keine andere Wahl. Ihm war, als würde er wie magisch von diesem Ort angezogen werden. Ob die Bekloppte daran schuld war? Ob die in ihrem Therapiezimmer saß und dort magische Fäden zog? Vielleicht konnte sie das ja mit ihren Haaren machen, ähnlich wie Yura mit dem langen Haar.
Inu Yasha beschloss, dass er dieser Hexe auf die Schliche kommen und sie unschädlich machen musste. Vielleicht müsste er sie auch töten. Seine Finger zuckten schon freudig bei dem Gedanken, ihr den Hals umzudrehen.
„Geh einfach durch. Es wartet schon auf dich“, riss die Stimme der Arzthelferin ihn aus seinen Gedanken.
Der Weißhaarige zuckte etwas zusammen. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er schon in der Praxis angekommen war. Moment … „Es?“
„Wie bitte?“
„Du hast gesagt, es wartet bereits auf mich.“
„Ich hab gesagt, sie wartet bereits auf dich.“
Er schüttelte leicht den Kopf. Jetzt wurde er auch noch paranoid.
Hinter seinem Rücken schlug sich die Empfangsdame mit der flachen Hand vor die Stirn. Sie sollte wirklich besser aufpassen, was sie sagte.
Als Inu Yasha das Therapiezimmer betrat, hob er hastig den Arm vors Gesicht. Ein furchtbarer chemischer Gestank biss ihm in die Nase und ließ seine Augen tränen. Er sah sich um und entdeckte die Therapeutin, die damit beschäftigt war, eines der Fenster zu putzen. Oder zu schrubben. Der Gestank aber kam von einem nassen Fleck auf dem Teppich vor dem Fenster.
„Was ist denn hier los?“, fragte der widerwillige Patient.
Suhani drehte sich zu ihm um. „Mein letzter Patient hat hier eine kleine Sauerei veranstaltet. Keine Sorge, der Geruch zieht ab, wenn du die Tür offen lässt. Oder wenn du tief genug inhalierst. Dann merkst du das gar nicht mehr.“
Er sah sie misstrauisch an. „Das hab ich ja noch nie gehört! Außerdem ist meine Nase sehr viel empfindlicher als deine!“
„Der Kanarienvogel in der Ecke lebt noch, also keine Sorge. Erst wenn der von der Stange fällt, sollten wir gehen.“ Sie deutete auf den Vogelkäfig in der Ecke, in dem ein kleiner gelber Vogel auf einer Stange hockte. „Setz dich, dann können wir anfangen.“
Widerwillig gehorchte der Hanyou und nahm auch die Hand vom Gesicht. „Mit was hast du geputzt? Mit Schwefelsäure?“
„Wickel dir doch den Haori um den Kopf. Oder bastle dir einen Fächer aus Papier.“
„Mach doch einfach das blöde Fenster auf!“
„Damit du rausspringen kannst? Weißt du, wie viel Papierkram das für mich wäre? Wie sollte ich das den Versicherungen erklären? Dass du gestolpert und blöd gefallen bist?“
Inu Yasha verdrehte die Augen. „Was genau bist du eigentlich?“
„Ein seltenes Pokémon aus der Platin-Edition.“
„Äh … was?!“
„Ich sagte, ich bin Therapeutin, die in Heidelberg studiert hat“, sagte Suhani und nahm ihre Schreibunterlagen zur Hand, ehe sie sich setzte. „Also: Wie geht es dir denn heute?“
„Was, machen wir jetzt Smalltalk?“
„Ich versuche, deine psychische Konstitution anhand einer Analyse deiner Stimmung festzustellen. Außerdem sollte zwischen Therapeut und Patient auch ein Vertrauensverhältnis bestehen.“
„Beweis mir, dass ich dir vertrauen kann.“
„Du vertraust mir.“
„Tue ich nicht.“
„Doch. Du hast keine Wahl. Und ich hab keinen Bock, hier jetzt Spiele mit dir zu spielen. Also, wie geht es dir heute? Wie hast du letzte Nacht geschlafen?“
„Ehrlich gesagt hatte ich ziemlich fiese Albträume, in denen du mich umgebracht hast.“
„Und wie habe ich das gemacht?“
„Das kann ich bei dem Rating doch nicht sagen.“ Inu Yasha lehnte sich zurück und betrachtete die Therapeutin, die etwas aufschrieb. „Was notierst du da eigentlich immer?“
„Ich mache mir Notizen zu dir.“
„Zeig mal.“
„Nein.“ Suhani klappte die Mappe zu und drückte sie an ihre Brust, ehe er sie zu fassen bekam. „Das musst du nicht wissen. Was du wissen musst, sage ich dir schon. Also, erzähl weiter. Wie hast du diesen Traum von mir empfunden?“
„Als realistisch, du Irre.“
Sie schürzte etwas die Lippen. „Das ist nicht nett. Ich würde dir doch nicht das Gesicht abziehen und dich dann umbringen.“
„Ach, nicht?“
„Nein. Ich hab zum Einen andere Methoden, um Leute zu quälen und zum Anderen habe ich auch andere Leute für die Drecksarbeit.“
„Wie beruhigend“, meinte der Patient sarkastisch.
„Ich mach doch nur Spaß. Schließlich sind wir Freunde und ich will dir helfen, damit du ein ausgeglichener junger Mann wirst, der mit sich selbst und seinem sozialen Umfeld im Reinen ist.“
Er seufzte etwas. „Na schön, von mir aus. Ich spiele mit. Fang an mit deinem Therapie-Zeugs.“
„Also gut. Schon mal was von Hermann Rorschach gehört? Der hat gerne mit Tinte gespielt und das seinen Patienten gezeigt und deren Persönlichkeit an ihren Antworten gedeutet. Daraus hat er ein Buch gemacht und noch heute bekommen Patienten die Tintenklecksbilder zu sehen, um analysiert zu werden. Na ja, seit die Bilder samt Normalantworten auf Wikipedia zu finden sind, weniger … Ich zeige dir jetzt zehn Tafeln und du sagst das Erste, was dir dazu einfällt, in Ordnung?“
„Ehrlich? Tintenklecksbilder? Wehe diese Bilder erwachen zum Leben und versuchen mich umzubringen.“
„Du bist paranoid. Hier, was siehst du?“
„Einen Dämonenhundekopf … zwei kämpfende Hunde … ein Dachsdämonenkopf mit Schleife … Darth Vader …. Taigokumaru … ein Schwert mit einer bösen Aura … Gartenzwerge, die sich prügeln wollen … fiese Viecher auf einem Raubzug … zwei kämpfende Hirsche … eine große Dämonenschlacht … meinen nackten Bruder?!“
„Was?“ Suhani sah verwirrt auf die letzte Tafel. „Oh, ups, die … sollte da gar nicht drin sein“, kicherte sie und warf die falsche Karte weg. „Deinen Antworten entnehme ich, dass du sehr aufs Kämpfen fixiert bist, besonders auf die Duelle. Und Star Wars kennst.“
„Das hätte ich dir auch so sagen können.“
„Okay … Überheblich bist du auch noch. Woher kommt diese tiefe kämpferische Fixierung?“
„Vielleicht daher, dass ich mein Leben lang kämpfen musste?“
„Kannst du mir konkrete Beispiele nennen?“
„Solltest du als allwissende Mary-Sue das nicht bereits wissen?“, fragte Inu Yasha süßlich.
„Mary-Sue-Hani.“
„Was?“
„Na ja, Suhani wird ja quasi Sue-Hani ausgesprochen. Darum Mary-Sue-Hani.“
„Solltest du als allwissende Mary-Sue-Hani das nicht bereits wissen?“
„Der Sinn von Psychotherapie ist es, dass die Patienten ihre Probleme selbst erkennen und sich eingestehen, ehe man mit ihnen gemeinsam daran arbeitet, diese Probleme zu lösen.“
„Wow. Ehrlich?“
„Das wurde zumindest bei Private Practice gesagt. Los, erzähl mir von deinen traumatischen Erlebnissen.“
Der Halbdämon seufzte etwas. „Wo soll ich anfangen? Bei den richtigen Traumata oder dem Mist, den so blöde Mädchen wie du mir antun?“
„Ich hab dir gar nichts angetan.“
„Ach dein? Sollen wir mal deine „Werke“ durchgehen?“
„Fang in deiner Kindheit an.“
„Ach, willst du nicht darüber reden?“
„Fang in deiner Kindheit an!“, fauchte sie.
Der Weißhaarige zuckte etwas zusammen. „Meinen Vater habe ich nie kennen gelernt, im Dorf meiner Mutter wurde ich von allen gequält, nach ihrem Tod wurde ich verjagt.“ Mist, das hatte er doch gar nicht sagen wollen! Normalerweise stellte er sich nur vor, dass er das sagen würde und sagte dann etwas ganz anderes.
„Du hattest ne miese Kindheit. Weiter.“
„Willst du das gar nicht näher erarbeiten und analysieren?“
„Schon, aber das ist so traurig, dass ich anfangen würde zu heulen und ich hab keine Lust, dass mein Mascara verläuft und ich aussehe wie ein irrer Waschbär. Also, weiter.“
„Willst du jetzt darüber reden, was so Leute wie du mir ständig antun?“
„Was tun wir dir denn immer an?“
„Ihr … ihr … äh …“
„Na, ist dein Kopf leer?“ Da war es wieder. Dieses diabolische Lächeln, das die Luft einzufrieren schien.
„Hexe! Miese Hexe! Aah!“ Inu Yasha fasste sich mit beiden Händen an den Kopf, sprang auf und ergriff schreiend die Flucht. Weit kam er nicht. Er knallte im vollen Lauf gegen das Fenster und blieb auf dem Teppich liegen. Genau an der Stelle, an der Suhani vorher geputzt hatte. Der scharfe Geruch des Reinigers benebelte ihn zusätzlich.
Sie legte etwas den Kopf schief. „Dein Kopf ist zwar härter als der eines Menschen, aber durch Panzerglas kommst du auch nicht.“
„Miese … Hexe …“
„Dich traumatisiert es also, was andere Leute über dich schreiben? Nerven dich daran die teilweise vielen, furchtbaren Rechtschreibfehler?“
„Die sind mir ziemlich egal. Schlimmer sind die Handlungen. Falls man das als Handlung bezeichnen kann.“
„Magst du mir ein paar Beispiele nennen?“
„Könntest du dann nicht Ärger mit dem Autor bekommen?“
„Kannst ja aufstehen und es mir ins Ohr flüstern.“
„Komm du doch, ist derselbe Weg.“
Suhani, die zugab, mehr als faul zu sein, rutschte aus ihrem Sessel und beugte sich zu ihrem Patienten.
Der flüsterte ihr leise etwas zu.
„Oh ja, die kenn ich, die war echt scheiße. Die hat sogar mich traumatisiert.“
Im nächsten Moment hatte Inu Yasha die Therapeutin gepackt und über die Couch geworfen.
„Au!“, beschwerte sie sich, zog sich an der Rückenlehne hoch und sah zu Inu Yasha, der mit ihren Schreibunterlagen in ihrem Sessel saß und fies grinste. „Was gibt das jetzt?“
„Jetzt wird der Spieß umgedreht und ich therapiere dich.“
„Schlechter als ich kannst du in dem Job kaum sein“, seufzte sie und setzte sich selbst auf die Couch.
Ihr Patient schlug die Mappe auf und stutzte. „Du hast dir gar keine Notizen gemacht! Hier sind nur Schnecken drauf!“
„Auf der nächsten Seite. Die Schnecken hab ich gekritzelt, als ich gestern auf euch gewartet habe.“
Der Halbdämon blätterte um. „Was zum … Du hast ja alles aufgeschrieben! Alles ausformuliert! Du machst hier draus auch so eine blöde Geschichte?!“
„Wie sonst sollte ich hier alles und jeden kontrollieren, du Depp?“
„Na dann wollen wir doch mal sehen, was ich dich so alles machen lassen werde …“
„Du hast keinen Stift.“
„Dann gib mir einen!“
„Seh ich so dämlich aus? Gib mir die Mappe, dann schreib ich für dich.“ Die Braunhaarige streckte die Hand aus.
Inu Yasha seufzte und gab ihr die Mappe. „Mist“, sagte er geschockt, während sein Gegenüber schadenfroh grinste. „Verdammt.“
„Tja, wie gut, dass ich ganz hinten schon aufgeschrieben hatte, dass du auf diesen Trick reinfallen würdest. Und jetzt stell dich in die Ecke und schäm dich, ich geh mir 'nen Kaffee holen. Und Kuchen.“
„Miststück“, grummelte Inu Yasha und stellte sich mit dem Gesicht zur Wand in die Ecke. „Dafür wirst du in der Hölle schmoren.“
„Ich bin Hindu, ich werde wiedergeboren. Das heißt, ich habe dann noch ein Leben, um dich zu ärgern. Und dann noch eins und noch eins. Also solltest du mich besser nicht ärgern.“ Suhani verließ das Zimmer.
Ihre Empfangsdame sah verwundert vom Computer auf. „Schon fertig? Oder hat er versucht, aus dem Fenster zu springen um von dir wegzukommen und du musst den Teppich noch mal reinigen?“
„Ich geh nur zum Starbucks. Er war unartig und hat eine Auszeit verdient. Pass auf, dass er keinen Unfug macht.“ Die Therapeutin legte die Schreibmappe auf den Empfang und ging.
Ihre Angestellte grinste boshaft und krallte sich die Mappe. Wie groß doch die Versuchung war …