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Schicksalsbilder

von

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Motivwahl


 

Julien
 

In den zwei Wochen, in denen sie Linien im Bild besprochen hatten, hatte sich bei Julien eine Idee immer weiter ausgeformt. Herr Sausebrück hatte erklärt, dass das schwierigste, aber auch angesehenste Thema bei Linien "Leichtigkeit" im Bild war. Sozusagen die Königsdiziplin bei Linienfotographien.

Und genau diese Idee hatte Julien fasziniert.

Mit Linien, die starr wirkten und das Bild in einzelne Elemente teilten, einen spielerischen Frohsinn auszudrücken und diesen auch noch bei Nacht, war eine Herausforderung, der sich Julien um jeden Preis stellen musste. Er besprach die Idee mit Herrn Sausebrück, der begeistert war, dass einer seiner Studenten sich daran versuchen wollte. Um das spielerische Element mehr in den Vordergrund zu stellen, hatte Herr Sausebrück ihm empfohlen, eine Person abzulichten. Er hatte Kinder vorgeschlagen, die Ball spielten, doch das war Julien zu eindeutig.
 

Julien saß in der Küche, vor sich einen Block mit einem angespitzen Bleistift und vielen Bleistiftspänen. Auf dem Block hatte er mehrere Kästchen eingerahmt, die verschiedene Fotoformate darstellten. Immer wieder hatte er Linien hinein gezeichnet, auch wenn seine Zeichenkünste seinen Fotokünsten in keinster Weise das Wasser reichen konnten, konnte er doch manchmal besser denken, wenn er krakelte. In mitten jeden der Rahmen waren ein bis vier ovale Formen gezeichnet, die beim besten Willen maximal vage menschliche Gestalt hatten. Neben den Rahmen hatte er Zahlen, die ISO-Werten, Winkeln und Dauern der Belichtungszeit entsprachen, geschrieben. Kurzum, es befand sich auf der Seite ein Chaos, durch das nur er durchblickte.

Zum Glück beschränkte sich das Chaos auf die Bleistiftstriche auf seinem Block. Die Küche war, seit Stefan eine neue Freundin hatte, von dieser blitzsauber gehalten worden. Warum sie sich in dieses Klischeebild fügte, verstand Julien nicht, aber ihr schien es zu gefallen.

Sabine hieß sie. Glaubte Julien, vielleicht hieß sie auch Sabina oder Sabrina oder so. Stefan hatte sie irgendwo auf dem Unigelände aufgegabelt, als sie gerade seltsame Schritte vollführte und beinahe gefallen war. Natürlich hatte der Held sie aufgefangen, so lautete zumindest seine Geschichte.

Gerade dieser Held taumelte aus seinem Zimmer zu Julien. Um 12 Uhr Mittags stand er gerade auf und taumelte noch. Er behauptete, er würde mit Sabine nach Orten suchen, wo er sein Bild machen könnte, doch dass er ganz andere Dinge mit Sabine machte galt für Julien als unumstößliche Gewissheit.

"Hey", grüßte Stefan, "is noch Kaffee da?"

Ohne auf eine Antwort zu warten, suchte er die Kaffeemaschine nach Anzeichen ab, dass Julien welchen gemacht hatte.

"Hättest du welchen gemacht, wäre unter Umständen welcher da", grummelte Julien.

"Hast du immer noch nicht gelernt, wie das geht?", neckte Stefan und pflückte theatralisch den Wasserbehälter aus der Maschine, "dann lass dir mal vom Meister zeigen, wie das geht." Heroisch ließ er den Wasserhahn den Behälter bis zum Rand füllen. Die weiteren Schritte zeigte er unter großem Gehabe seinem Mitbewohner, der nicht umhin konnte, seine Kamera auszupacken.

"Hey!", fluchte Stefan, als das Blitzlicht ihn in Dreiviertelstellung zu Julien gedreht, mit einer Hand auf dem Deckel der Maschine und der anderen dramatisch erhoben, festhielt, "du kannst mich doch nicht halbnackt knipsen!"

"Kann ich wohl", grinste Julien und schoss zum Beweis gleich noch zwei Bilder. Es war einfach ein zu gutes Bild gewesen, der Held der Kaffemaschinen, eingerahmt von den Küchengeräten und -schränken. Außerdem sah Stefan mit seinem zerstrubbelten köterblonden Haaren und Kissenfalten im Gesicht zum Anbeißen aus. Was Julien ihm natürlich nicht sagte.

"Wenns denn unbedingt sein muss, dann zeig mich wenigstens von meiner besten Seite!", forderte Stefan ihn lachend auf und drehte Julien seinen Hintern entgegen und platzierte drei Kaffetabletts auf seiner Wirbelsäule. Während er versuchte, das Gleichgewicht zu halten, musste Julien sich das Lachen verkneifen, um keine verwackelten Bilder zu erhalten. Er machte eins in Sepia, weil das irgendwie angemessen erschien, ebenso eins mit Großaufnahme auf den Bund der Unterhose und die Tabletts und natürlich eins in Vollansicht, sogut das in der kleinen Küche ging. Dann fielen Stefan die Tabletts runter.

"Oh, Scheiße", fluchte er, "meinst du, Sabrine macht es etwas aus, wenn sie auf dem Boden gelegenen Kaffee bekommt?" Julien lachte. "Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß."

"Also ich finde das nicht witzig", kam eine schrille Stimme aus Stefans Zimmertür, "Ihr seid doch keine kleinen Kinder, die mit dem Essen spielen! Diese Tabletts werden sofort entsorgt und die Fotos gefälligst gelöscht! Muss man euch denn jegliche Manieren beibringen?" Julien verdrehte die Augen. Sabrine war wirklich ein Musterbeispiel von Frauenzimmer, die er nicht ausstehen konnte. Zum Glück musste er sich ja nicht um sie kümmern.

"Ja, Schatz", raunte Stefan mit einer Stimme, die er für erotisch hielt, "du kannst mir gerne lauter Manieren beibringen." Und er schlich wie ein Löwe auf seine Zimmertür zu. Mit den Tabletts in der Hand. Julien drehte sich um und lichtete die Beute und den Kaffeetablettlöwen ab, Sabrine machte den perfekten Gesichtsausdruck, angeekelt und ein wenig schockiert. Das kam gleich noch einmal im Portrait auf seine SD-Karte.

Sie wich Stefan aus und nahm ihm mit zwei Fingern die Beutel aus der Hand. Mit ihnen marschierte sie zum Mülleimer und warf sie angeekelt hinein. Dann funkelte sie Julien erbost an.

"Lösche diese Bilder sofort", verlangte sie. Gehorsam tat Julien so, als würde er bedauernd Bilder von seinem Film löschen. Was nicht der Fall war. Sie würden in einen Ordner mit "nicht zeigbar aber nett" wandern, zumindest einige von ihnen.

Während Stefan und Sabrine Frühstück, bzw. Mittagessen zubereiteten und Sabrine Stefan erklärte, was alles in einer Küche zu unterlassen sei, verdrückte Julien sich in sein Zimmer. Dort sortierte er zunächst die gerade gemachten Bilder aus, dabei war er stets sehr ordentlich. Immerhin vergaß man schnell, wann man welches Bild unter welchen Umständen gemacht hatte.

Zwei Bilder waren verwackelt trotz seiner Achtsamkeit und vier waren zwar halbwegs in Ordnung doch kaum professionell. Stefans Hintern mit den Kaffeetabletts bekam das Attribut "süß" zugeteilt und wurde in einen versteckten Ordner verschoben. Als Stefan klopfte, schaute Julien sich gerade einige Fotos bei Fotocommunity an, um auf Ideen zu kommen.

"Willst du mit uns essen, oder willst du hier im Dunkeln weiter Teufelsanbetung betreiben?"

"Als ob dein Zimmer heller wäre", konterte Julien. Beide Studenten hatten die Angewohnheit, bis spät in den Abend hinein die Gardinen geschlossen zu halten. "Natürlich will ich mit euch essen. Hat Sabrine wieder etwas gezaubert?"

"Natürlich", stöhnte Stefan, "sie bestand auf Nudeln mit Pesto." Julien argwöhnte, dass Stefan in seinem früheren Leben Gefängnisinsasse gewesen war, sodass er sich an trockenes Brot und Leitungswasser gewöhnt hatte und seine Zunge alles andere zu intensiv schmeckte.

"Dann ist das Mittagessen ja gerettet", meinte Julien und ging, sich den Bauch reibend, an Stefan vorbei in die Küche. Vorbildlich hatte Sabrine Untersetzer unter ihre Teller gestellt, ordentlich das Besteck aufgereiht und die Nudeln in eine Schüssel gefüllt.

"Du bist eine Fee", lobte Julien und zog sich einen Stuhl zurecht, "solltest du dich je von Stefan trennen werde ich dich als Haushaltssklavin einstellen."

"Ha-Ha", machte Sabrine, "ich mag zwar ein wenig mehr ins Rollenbild passen als du verstehst, doch das heißt nicht, dass ich etwas von der Kette am Herd halte."

"Außerdem sind wir zwei für die Ewigkeit gemacht", steuerte Stefan bei und belud seinen Teller mit der Hälfte der Nudeln, nahm sich allerdings kein Pesto. Sabrine löffelte ihm etwas auf seine Nudeln, er versuchte den Teller rechtzeitig wegzuziehen, sodass die Hälfte der Soße auf dem Untersetzer landete.

"Jetzt schau dir die Sauerei an", keifte sie und stand auf, um einen Lappen zu holen. Julien schüttelte den Kopf. So schön es auch war, eine saubere Küche zu haben, ob es dieses ständige gemeckere wert war, bezweifelte er.

"Du studierst nicht, oder?", hakte Julien zwischen zwei Bissen Nudeln mit Pesto nach. Das Thema zu wechseln, wenn Sabrine anfing über Sauberkeit zu reden, erschien ihm eine gute Idee.

"Nein", bestätigte sie ihm, "was mir nicht das schlechteste zu sein scheint." Sie deutete damit den Zustand ihrer Küche vor ihrem Einzug an. Na toll. Da wollte man sie ablenken und sie dachte doch wieder nur an Ordnung und Unordnung.

"Wie konnte Stefan dich dann auf dem Unigelände auffangen?", fragte Julien, "im wahrsten Sinne des Wortes auch noch, wenn man ihm Glauben schenken darf." Das hatte er bisher nicht nachvollziehen und noch weniger glauben können. Sie warf ihm einen warmen Blick zu, den er heiß erwiderte.

"Ich kam von einer Tanzstunde", erzählte sie, "eigentlich dachte ich ja, dass der Lehrer der perfekte Mann sei, doch dann kam mein Kavalier und hat mich eines besseren belehrt." Sie schnurrte regelrecht und Stefan versuchte es ihr nachzuahmen, es klang allerdings eher wie ein Schnarchen.

"Man kann Tanzstunden belegen?", wunderte Julien sich, bevor die beiden in ein privates Universum abtauchen konnten, "auch, wenn man von außerhalb kommt?" Eigentlich war das nicht verwunderlich, aber Sportkurse waren Erzählungen nach immer überfüllt.

"Es ist nicht direkt so ein Unikram", schränkte Sabrine ein, "schien eher eine privat organisierte Veranstaltung zu sein als eins von euren Seminaren. Ich fand tanzen schon immer faszinierend und habe mich daher dazu angemeldet. Dass der Tanzlehrer so ein Leckerbissen war, gab dem Ganzen die Süße, dabei zu bleiben." Hm, Tanzlehrer und Leckerbissen klang gut. Es führte Julien fast in Versuchung, selbst einmal diesen Tanzkurs zu besuchen.

"Hey, Schatz!", fluchte Stefan, "mach mich nicht nach unseren ersten Wochen schon eifersüchtig, sonst kann dieser Tanzlehrer mal sehen, ob er mit mir Schritt halten kann!" Sabrine lachte.

"Komm doch mal mit", schlug sie vor, "an männlichen Tanzpartnern mangelt es uns immer. Mach ihm allerdings bitte nicht die Hölle heiß, nach seinem Balletttraining ist er so schon froh, dass wir nicht allzu hohe Anforderungen an ihn stellen."

Ballett...

Tanzlehrer... etwas klingelte in Juliens Kopf. Abrupt stand er auf und stürmte in sein Zimmer, Sabrine und Stefan sahen ihm verwundert hinterher.

Julien wühlte in seinem Block mit den Skizzen für die Aufteilung der Bilder. Hier, diese Ausrichtung von Linien passte zu seinem neuen Bild im Kopf. Er radierte die spielenden Kinder, bzw. kleinen ovale aus und malte krumme Linien hinzu. In seinem Kopf formten sich die Linien zu einem Tänzer mit kräfitgem Oberkörper, der eine dieser typischen Ballettstellungen einnahm. Es sah großartig aus, das Bild in seinem Kopf, auch wenn es noch nicht vollständig war, irgendwas fehlte. Bisher drückte es Leichtigkeit, ein Spiel mit den Linien aus, aber seine persönliche Note war noch nicht dem Bild aufgedrückt worden...

Er schaltete den Bildschirm wieder ein und suchte nach Bildern von Balletttänzern. Da. So ein seltsames Kleid trugen die Mädchen manchmal. Wenn er das dem Tänzer anziehen konnte... Ja, das war es.

Das Spiel mit den Linien, das Spiel mit den Konventionen und die Leichtigkeit, mit diesen umzugehen. Das war es, was er schon immer hatte ausdrücken wollen. Und dazu noch die Nacht... in der man sich so vieles erlaubte, was man am Tage nicht gewagt hätte, perfekt. Das war das perfekte Bild, das er aufnehmen wollte.

Seine Finger flogen über die Tasten, als er einen Ausdruck vorbereitete, in dem er einen Tänzer darum bat, für sein Foto Modell zu stehen. Nach Vereinbarung gegen Bezahlung.
 

Leo
 

Unbeholfen manövrierte Leo die Tüten und Schachteln in seine Wohnung im dritten Stock. Ohne es sehen zu können fischte er in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel und steckte ihn beim dritten Versuch richtig ins Schloss. Heute war er guter Laune, er hatte einen weiteren Job bekommen, in einer bereits existierenden Tanzschule sollte er als Lehrer für Gruppentänze eintreten. Wenn alles gut liefe, würden sie ihn übernehmen und er dürfte dann weitere Kurse anbieten und nach Anfrage auch Einzelunterricht geben. So konnte er schon Erfahrungen für seine spätere Tanzschule sammeln.

Summend stellte er die Tüten und Kästchen neben die Tür ab und lehnte sich halb in den nächsten Raum, um zu sehen, wo Tinker und Peter blieben, seine beiden Katzen. Er sah sie nicht, daher schloss er die Tür wieder und zog sich Schuhe und Jacke aus.

"Meine Süßen, wo seid ihr denn?", rief er in die leere drei-Raum-Wohnung hinein. Von irgendwo aus dem Wohnzimmer antwortete ein müdes Maunzen. Das war wahrscheinlich Tinker. Sie machte sich eher die Mühe zu antworten, wohingegen Peter oftmals weiter schlief, bis er etwas zu Essen hervorholte.

"Es gibt etwas zu feiern, meine Kleinen", sagte er, während er die Tüten einzelnd zu der Küche trug. "Aber für verschlafene Könige wird wohl nichts übrigbleiben!" An seiner Stimme erkannten sie wohl, dass etwas Besonderes anstand, denn zunächst ließ sich Peter blicken, ein großer, braunschwarz getiegerter Kater. Er setzte sich mitten in die quadratische Küche und gähnte fordernd. Tinker kam etwas später herein geschlichen, schnupperte an dem leeren Fressnapf und strich dann um Leos Beine. Langsam kramte Leo aus einer der Tüten eine Dose Whiskas Katzenfutter hervor. Irgendwie bemerkten die beiden Schmarotzer immer, wann er etwas für sie hervor holte, denn nun stellten sie sich eifrig vor ihn hin, schnurrten und hatten ihn plötzlich furchtbar lieb. Er öffnete die Dose und sie rochen den Inhalt, maunzten voller Vorfreude und versuchten, an den Inhalt zu kommen. Leo lachte, hielt die Dose in unerreichbare Höhe und kraulte Tinker und Peter, bis sie sich an ihn schmiegten und nur noch begehrliche Blicke zu der Dose warfen. Dann nahm er sich einen Löffel und füllte ihnen großzügige Portionen in ihre Näpfe.

"Aber schön teilen", warnte er sie, "Peter, wenn ich noch einmal mitbekomme, dass du Tinker das Essen klaust, geb ich dir demnächst weniger und sperr dich aus der Küche aus, bis Tinker aufgefressen hat." Dann machte er selbst sich ein kleines Festmahl, nahm es mit ins Wohnzimmer und schaltete den "Herrn der Ringe" an. Nachdem er den leeren Teller sauber geschleckt hatte, gesellte sich Peter zu Leo und kuschelte sich schnurrend in dessen Schoß. Tinker kam bei der Szene, in der Pippin und Merry von Elrond entdeckt wurden und zur Gemeinschaft des Rings hinzugenommen wurden. Sie schob Peter ein Stück zur Seite, trat Leos Knie weich und rollte sich dann ebenfalls zu einem Bündel Katzenhaare zusammen. Beim Abspann nickte Leo über seinen beiden Mitbewohnern ebenfalls in einen leichten Schlummer ein.



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