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Die Fesseln der Menschlichkeit

von

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Ein Ruck der Gliedmaßen.

Ein Kratzen, ein Fauchen, ein verzweifeltes Aufbegehren gegen die Fesseln der Menschlichkeit. Eine Schlacht, die ihresgleichen sucht. Blutig, kalt, brutal und gewissenlos in ihren unvollständigen Definitionen.

Ein Hieb, ein Schlag, ein gezieltes Abhacken der Weichteile ihres Stolzes.

Ein Krieg, wie er seit Anbeginn noch nicht geführt wurde und doch mindestens genauso lang anhält. Ein Krieg seit Angebinn ihrer Zeit, der Geburt ihres Stolzes, der Anfang dessen, was zählt.

Das Schlachtfeld ist ihr von den Leichenteilen ihres Stolzes übersehenes Herz.

Ein Ort, an dem alle Kämpfe stattfinden.

Alle gewonnen, alle verloren. Jeder Kampf Sieg und Niederlage zugleich.

Ein Zugeständnis, vielleicht ein Kompromiss und doch nichts anderes als das vollständige Übergehen ihrer selbst. Womöglich auch ihres Selbst. Ihrer Prinzipien, ihrer grundlegenden Vorstellung dessen, was ist. Was irgendwann mal ist oder sein könnte. Was gerade ist. Was wichtig ist.

Ihre Aufmerksamkeit gefangen in ihrem inneren Kampf, ihr Blick gerichtet auf den, der den ersten Stein warf. Nicht beabsichtigt. Spielt damit herum wie ein kleiner, armer Junge, gepeinigt von endloser Langeweile, der ihn von sich warf, nur um zu sehen, was passiert.

Dass er nichts sah, weil der Blick aufs Schlachtfeld von harten, braunen Augen verwehrt wurde, entlockt ihm nur ein entnervtes Seufzen. Er hat nicht gewusst, was er erwartet hat. Er hat nicht einmal gemerkt, dass er überhaupt etwas ertwartete.

Er ist hier gefangen wie sie und während sie sich leidenschaftlich stoisch ihres Krieges hingibt, versinkt er im Nichtstun und merkt es nicht einmal.

Lässt sich ablenken, wirft weiter mit Steinen und weiß doch nichts mit sich anzufangen.

Wenn sich seine blauen Augen in die ihren fräßen, täte sich der Boden unter ihr auf.

Hungrig nach dem Blut in ihrem Herzen. In dieser ewigen Schlacht trocknet es nicht.

Sie wartet.

Liebt die eine Seite, gibt sich als Heerführer keine Blöße, nur um mit schreienden Zeichen dem Gegner den nächsten Schlag zu präsentieren.

Eine scharfe Klinge. Blut, leuchtend in ihrer inneren Finsternis.

Ihr Stolz ist mächtig, gottgleich. Verliert seinen Körper mehr und mehr und steht doch noch aufrecht. In seiner Hand die schweren Ketten, die sie der Bewegung berauben.
 

Sie steht.

Nur ein Zucken. Ein Zwinkern. Ein Hauch heißer Luft.

Glückseligkeit im eigenen Abschlachten.

Während er lächelt und tut, als sei nichts.

Während er Steine wirft und nichts tut.

Während er foltert und nichts davon weiß.

Auf seiner Stirn bilden sich bereits Schweißtropfen, der eigene Kampf ihn zur Erschöpfung treibend. Sie laufen seinen Nacken hinunter, sammeln sich in seinem Rücken.

Er wischt sie weg, ein halbes Lächeln auf seinen Lippen, während er mit jemanden spricht, sich die Haare aus dem Gesicht streicht, zu ihr rüber blickt.

Während er den nächsten Stein wirft. Fünf auf einmal.

Ihr Stolz steckt den Schlag ein, lacht sie aus, als wäre ihr Untergang besiegelt. Schlägt sie ins Gesicht.

Ihr Kampf dauert an. Fallen auf dem Boden, Holzstämme aus dem Himmel, die alles zerschmettern. In Brand aufgehen. Brennen wie sie. Das Feuer mit jedem Stein mehr anstacheln, es füttern und ihrem Stolz mit seinem gehässigen Grinsen nur in die Hände spielen. Er muss nichts machen, um zu wissen, dass er gewinnt.

Er gewinnt immer. Wie sie. Wie ihr Herz. Wie alles, was ihm widerspricht. Wie jeder Kampf seit Anbeginn ihrer Zeit zur Niederlage allem wird, was sie ist.

Es ist heiß. Nicht einfach warm, nicht einmal mehr einfach nur heiß.

Sie verliert den Kopf in dieser Glut und doch nicht das Gesicht.

Verliert den Stand und den Boden unter den Füßen, als er das langweilige Geplänkel endlich aufgibt und zu ihr herüberkommt, und weicht doch keinen Schritt zurück.

Sie schlägt nach ihm, beißt, kratzt, faucht, zieht an ihren Ketten und lächelt ihn an, als er vor ihr stehen bleibt. In seiner Hand hinter seinen Augen spielt er mit dem nächsten Stein, genauso wie er mit ihr spielt. Wirft ihn hoch, fängt ihn auf. Wirft ihn hoch, fängt ihn auf.

Sie wartet nur darauf. Der Stein wird kommen.
 

"Meiko."
 

Seine Stimme ein Streicheln ihrer blutüberströmten Haut, sein Zwinkern der unausgesprochene Hinweis auf den Steinhaufen zu seinen Füßen.

Er ist noch lange nicht am Ende.

Sie sagt nichts, hält den eisernen Hammer hinter ihren Zähnen, nickt nur wie ein Peitschenhieb, hält den Blick und irgendwie das Gleichgewicht, während das Beben der Erde unter ihr immer stärker wird. Dann sieht er weg, kurz, lacht sein kleines Lachen, sagt, dass er die Schlacht gewonnen hat, obwohl er nicht kämpfte. Oder sie es glauben lassen will. Sie an der Nase herumführt und es genießt, wie willig sie folgt.

Ihr Stolz auf seiner Seite, will ihn, will den Mann, den Sieg, die Niederlage, die Endlosigkeit der Zufriedenheit der erfüllten Rache und den Gram des Verlierens. Er will alles. Bekommt alles. Er gewinnt immer. Gewinnt jetzt den Mann, der ihn mit Steinen bewirft.
 

"Wie geht's? Alles klar?"
 

Völlig belanglose, völlig unangebrachte Fragen, auf die er nicht ernsthaft eine Antwort erwartet. Er lacht, zwinkert, spielt. Der Stein geht auf und ab.

Er weiß, dass er keine Antwort bekommen wird.
 

"Hast du gleich noch was vor?"
 

Das Beben ist kein Beben mehr.

Eine Frage, ein Blick, eine Bedeutung und die Apokalypse bricht vom Damm. Die Dämmerung der Götter, die das Ende ihrer Welt verdeutlicht.
 

"Bisher nicht."
 

Knapp. Die Worte frei dessen, was sie durchschüttelt, unberührt vom Ende der Welt.

Er sagt nichts mehr, sondern lacht einfach weiter, kneift die blauen Meere leicht zusammen, fixiert sie.

Ein vieldeutiger Ausdruck, der das Ende deutlicher besiegelt als es ihr Untergang könnte.
 

Mit der Kraft, die zuvor ihr Stolz aufbrachte, sie zu Boden zu bringen, macht er nun das Gleiche, kämpft mit ihr, obwohl sie sich nicht zu befreien versucht. Seine Finger um ihre Handgelenke, an die Wand gedrückt, die Ketten, die vorher nur in ihrem Inneren existierten.

Ein Hauch. Ein Kuss. Ein Lächeln. Ein Blick und sie ist sein Abendessen.

Die Beute, die er sich schon während seiner gesamten Lauer erhoffte, als er sie mit seinen Steinen abwarf, endlich im Netz gefangen.

Sie brennt. Ihre Haut wie gleißende Lava, überall dort, wo sein Mund sie anstachelt. Ihr Hals. Ihr Schlüsselbein. Ihre Brüste. Die blauen Augen kalt wie die tiefste See sind wie Öl auf der bereits hoch züngelnden Flamme. Eisig verschlingt er sie, sein Haar von Schweiß verklebt.

"Warum kamst du nicht früher?"

Sie küsst ihn, die Hände frei, wild und hemmungslos wie sie ihrem Stolz bei der Niederlage zusieht. Vergraben in seinem Haar, in seinem Anzug, den er trotz des Höllenfeuers anbehielt.

Als glorreiche Heilige befreit sie ihn, um ihm die nächsten Fesseln anzulegen.

Gnadenlos nimmt sie sich zwischen Küssen, Bissen und geöffneten Lippen, was noch nicht ihr gehört. Saugt, leckt, frisst, kämpft, kämpft um die Seele des Mannes unter ihr.

"Du hast auf mich gewartet."

Ein Stoß. Ein Kratzen. Ein Schrei. Die Begeisterung der Endlichkeit. Noch ein Stoß und die Erkenntnis, dass er doch ganz genau wusste, was er tat. Sie verführte, ihrem Stolz ein Glied abschnitt und sich siegessicher wähnte.

Seine nassen Haare in seiner Stirn. Der Schweiß umgibt ihn wie eine Rüstung, lässt ihn wirken wie der König, der seine Armee erfolgreich zum Sieg führte.

Ein Stoß. Ein Stöhnen. Ein Griff um schmalere Schultern, der noch fester wird. Ein Verlangen, das so schnell nicht zu stillen ist.

"Warum dann so spät?"

Überflüssige Frage. Ihr Stolz hat ihr die Antwort schon verraten.

"Weil" - Stoß - "ich es" - Stoß - "wollte."

Wieder dieses Lachen, diesmal auf Lippen, die wie kurz vorm Verhungern gierig ihren Atem verschlingen, als könne er nur noch so überleben.

Der Mann, den sie wollte, gibt ihr das, was er sich in seinem Schlachtplan zurecht gelegt hat. Ließ den Feind in dem Unglauben, im Zweifel versinken und schlug zu, als das reine bange Abwarten zu viel wurde und er sich nur noch selber schadete.

Jetzt, wo er ihr erlaubt hat sich zu nähern, gibt er, weswegen sie sich innerlich zerstückelte.

Ihren Stolz sich selbst opferte. Sowohl ihn als auch das Selbst.

Doch jetzt, da sie in Reichweite dessen ist, was sie begehrt, wird sie sich nehmen.

Wird ihn fressen mit Haut und Haaren. Ihn reiten zur Bewusstlosigkeit. Ihm sein Selbst entreißen und ihren Stolz wiederbeleben. In seinem Blut schwimmen und vor Liebe zergehen.

Gefesselt von dem neu Entstandenen an den Mann unter ihr, der schreit und schreit und sich der Besinnungslosigkeit immer mehr nähert, weil sie ihn immer weiter über die Planke treibt. Sie zwingt ihn weiter zu gehen, weiter als sein Schlachtplan den Weg einkalkuliert hat. Fordert ihn zum Duell und weiß doch, er kommt nicht weiter als sie will.

Der König in seiner glänzenden Rüstung unterliegt ihrem Befehl und wagt es nicht, sich zu erheben. Er biegt den Rücken durch. Schreit. Stößt. Die Hände auf ihren Hüften, ihren Brüsten, drückt zu, streichelt, fordert, verlangt geradezu, dass seinem Takt nachgegeben wird.

Sie verschlingt ihre Beute, wie sie es will.

Will den Mann, wie sie ihn verschlingt. Wie sie es vorgibt.

Sie will. Will ihn ganz.

Kommt ihm entgegen, ohne dem König sein Zepter wiederzugeben. Stattdessen schlägt sie es ihm ins Gesicht, die nassen Haare fliegen, als er den Kopf zur Seite wirft. Sich ihr noch nicht ergibt, aber den Kampf sichtbar verliert.

"Warum tust du das?"

So höhnisch wie ihr Stolz - sie könnte schwören, sie wären ein und dieselbe Person - grinst sie ihn an. Den Mann mit den Augen wie Meere, die sie vor Erschöpfung, unerfüllter Lust beinahe schon verzweifelt ansehen. Ein Lächeln, eine Herausforderung, eine Siegeserklärung, während ihr der Schweiß von der Stirn tropft, ihre Brust herunterläuft und zusammenkommt, wo sie eins sind.

"Weil ich es so will."

Ein Auf und Ab des Steins.

"Und erst, wenn ich es will, wirst du frei sein."

Sie kneift die Augen zusammen, sieht ihn aus feurigen Schlitzen an. Schießscharten, die ihn fixiert haben. Von oben bis unten. Sein Gesicht, seinen Körper, seine Hände auf ihr und er in ihr, seine Zunge in ihrem Mund.

Der Stein geht auf und ab, wie ihre Hüften, doch sie wirft ihn nicht, nur den Verstand über Bord. Dieser Sieg ist ihrer, ist der ihres Stolzes. Der Kampf ist vorbei. Sie muss sich nicht mehr anstrengen, um noch gewinnen zu können. Alles ist vorbei.



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