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Der Regen fällt

von

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Der Regen fällt

„Und über das Wetter informiert sie Yoko Oda! Nun, die aktuelle Außentemperatur beträgt 19°, in der Nacht kann es jedoch auf frostige 10° abkühlen. Morgen rechnen wir mit....“

Halbherzig lauschte das Mädchen dem Wetterbericht im Radio, während es damit beschäftigt war seine Nägel zu lackieren.

Prüfend begutachtete sie den türkisen Lack, welcher ihrer Meinung nach perfekt zu ihren Haaren passte. Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Zwar war das kleine Fläschchen Nagellack nicht ganz billig gewesen, doch gute Qualität hatte nun mal seinen Preis. Um die paar Yen würde sie sich sicher nicht den Kopf zerbrechen.
 

Sekai de ichi-ban OHIME-SAMA Sou-yu atsukai KOKORO-ete....~“,
 

tönte es derweil aus dem Radio. Das Lächeln auf ihren Lippen wurde breiter, verwandelte sich recht bald zu einem triumphierenden Grinsen.

World is mine hatte die Charts geradezu gestürmt. Bereits seit sechs Wochen erfreute das Lied sich größter Beliebtheit und ließ sich von nichts den ersten Platz auf der aktuellen Hitliste streitig machen. Kein Wunder, handelte es sich dabei ja auch um ihren Song.

Von heute auf morgen hatte der Hit sie berühmt gemacht. Erst vor ein paar Wochen war sie eine ganz normale Oberstufenschülerin gewesen, nun war sie Hatsune Miku, die Diva.

Sie war das Gesprächsthema Nummer eins in der gesamten Schule. Von jetzt auf gleich konnte sie sich vor Journalisten und Fans kaum noch retten. Anfangs hatte die Schülerin ihre plötzliche Beliebtheit noch kaum fassen können, doch mit jeder Stunde hatte sie sich mehr daran gewöhnt.

Inzwischen erfüllte es sie mit Stolz, dass man in ganz Japan über sie redete.

Dies war nun mal das Leben, das ihr eigentlich zustand. Ein Leben in Saus und Braus. Sie war jemand. Die Leute drehten sich auf der Straße nach ihr um. Jeder kannte ihren Namen.
 

Das Klingeln ihres Telefons riss sie aus den Gedanken. Missbilligend verzog Miku das Gesicht.

Wer war das jetzt schon wieder?

Sie riskierte noch einen raschen Blick auf ihre frisch lackierten Nägel, wollte sie doch durch das Abnehmen des Hörers nicht direkt wieder unschöne Kitschen im Lack haben.

Schließlich griff sie nach dem Hörer und drückte auf die grüne Taste, um den Anruf entgegen zu nehmen.

„Hallo?“, meldete die Türkishaarige sich zu Wort.

„Hi! Ich bin's, Luka. Endlich erwische ich dich mal.“

„Was heißt hier endlich erwischst du mich mal?“

„Naja, ich versuche schon den ganzen Tag dich anzurufen, aber an dein Handy gehst du ja nicht...“

„Ich hatte ja auch zu tun, Luka.“ Miku verdrehte die Augen. Sie hatte keine Lust auf das Gespräch.

„Das hast du neuerdings ständig. Ich weiß ja, dass du derzeit von einem Interview zum nächsten rennst, aber meinst du nicht auch, dass es mal wieder an der Zeit wäre etwas mit deinen Freunden zu unternehmen?“

„Ach, und an was genau hattest du da gedacht?“ Die Türkishaarige zog abwartend eine Augenbraue hoch.

„Diesen Samstag wollte unsere ganze Gruppe mal wieder ans Meer fahren.“

„Und weiter?“

„Na nichts weiter! Wir wollen uns einfach einen gemütlichen Tag machen und da wollte ich dich natürlich fragen, ob du nicht auch mitkommen möchtest?“

„Jetzt hör mal! Das ist doch albern. Ich hab keine Zeit für so einen Kindergartenkram!“

„Ist die Dame sich etwa zu fein etwas mit ihren Freunden zu unternehmen?“ Die Stimme ihrer Gesprächspartnerin klang verletzt.

„Tse, ich hab diesen Samstag einen Auftritt. Da weiß ich, was mir wichtiger ist.“

„Also sind wir dir plötzlich egal?“

„Meine Karriere steht nun mal im Vordergrund. Eine bessere Chance groß rauszukommen gibt es nicht.“

„Muss ich jetzt sagen, was ich darüber denke?“

„Außerdem : was denkst du dir eigentlich um diese Uhrzeit noch anzurufen?“

„Bitte?! Falls du es vergessen haben solltest – ich bin deine beste Freundin und bisher hast du dich noch nie darüber beschwert, wenn ich dich mal um neun angerufen habe.“

„Beste Freundin hin oder her, morgen ist ein Fotoshooting, dafür muss ich gut aussehen und ausgeruht sein.“

„Ich glaube der plötzliche Ruhm ist dir ganz schön zu Kopf gestiegen. Für wen hältst du dich?!“

„Für wen ich mich halte? Na das ist doch ganz einfach. Hatsune Miku, ein aufsteigender Stern in der Musikwelt.“

„Du tickst doch...-“

Ohne die Antwort ihre Klassenkameradin und besten Freundin abzuwarten, hatte Miku das Telefonat beendet und legte den Hörer bei Seite.

Sie hatte besseres zu tun als sich von Luka irgendwelche Moralpredigten anzuhören. Im Gegensatz zu ihr war die Andere doch...ein Niemand. Was also wusste die Rosahaarige schon von dem Leben eines Stars? Auf Leute wie sie konnte sie gut verzichten. Sie hatte jetzt schließlich unzählige Fans, berühmte Kollegen und ihren Manager. ...und gleich morgen früh ein Fotoshooting natürlich.

Beinahe mitleidig schüttelte die Diva den Kopf.

„Dummes Ding, du verstehst von all dem rein gar nichts.“, sagte sie, obwohl sie das Telefon schon längst zur Seite gelegt hatte.

Schließlich stand sie auf, um ihren Wecker für morgen zu stellen und gleich noch einmal ihr Haar zu kämmen.
 

Sie ist ein Star

Ihr Traum ist wahr

Sie ist oben

Endlich ganz oben

Sie tanzt im Licht

Sie will da sein

Ganz allein

Tausende Hände - Party ohne Ende

Sie stellt sich keine Fragen, kann die Antwort nicht ertragen
 

Drei Wochen waren inzwischen seit dem Telefonat mit Luka vergangen.

„Ich bin wieder zuhause!“, rief das türkishaarige Mädchen, als es aus den Schuhen schlüpfte und die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ. Miku wusste, dass sie keine Antwort bekommen würde, doch einige Angewohnheiten ließen sich nicht so leicht ablegen.

Zuhause wäre sie nun vermutlich von ihren Eltern begrüßt worden, doch sie war nicht daheim.

Das hier war nicht das alte Reihenhäuschen, in dem sie mit ihren Eltern lebte, sondern ein Hotelzimmer eines teuren fünf Sterne Hotels.

Um an ihren Erfolg, den sie mit World is mine erzielt hatte, anzuknüpfen, war Miku derzeit dabei ein Video für ihren neusten Song zu drehen. Für den Dreh hatte sie von Minamikyūshū nach Tokio reisen müssen.

Sie öffnete die Tür zum Wohnzimmer, legte ihre Handtasche auf dem Tisch ab und ließ sich auf das gemütliche Sofa fallen. Endlich Feierabend!

So schön ihr neues Leben auch war, genau so ungewohnt und anstrengend war es auch.

Sie hatte den heutigen Tag fast ausschließlich im Tonstudio und an verschiedenen Drehorten in der Großstadt verbracht.

Bei dem Gedanken daran, dass sie morgen um kurz nach sieben schon wieder von ihrem Manager abgeholt werden würde und die ganze Arbeit weitergehen würde, seufzte sie leise.

Sie war müde und komplett erledigt!

Erneut erhob die Türkishaarige sich vom Sofa um den Fernseher einzuschalten. Vielleicht lief ja noch ein guter Film, den sie sich ansehen konnte, bevor sie sich schließlich ins Bett fallen lassen würde.

Das Mädchen schaltete durch die Programme, doch wieder Erwartens fand sie nichts, was ihr Interesse weckte.

Miku streckte sich, stand erneut vom Sofa auf und zog die Gardine ein Stück weit vom Fenster weg.

Von ihrem Hotelzimmer aus hatte sie einen guten Blick auf die belebten Straßen Tokios. Wie viele Menschen hier doch lebten. Und wie groß die Häuser waren...

Auf ihre Lippen legte sich ein Lächeln. Die unzähligen Lichter der Stadt waren wunderschön.

//Ich wünschte mir die anderen könnten diesen wunderschönen Ausblick auch genießen//

Das Lächeln auf ihren Lippen erlosch so schnell wie es gekommen war. Warum dachte sie jetzt ausgerechnet an ihre Klassenkameraden?

Sie hatte die Anderen nun schon seit einer ganzen Weile nicht mehr gesehen. Meistens war sie viel zu beschäftigt mit ihrem neuen Leben, sodass sie nur selten einen Gedanken an ihre alten Freunde verschwendete.

Doch ganz plötzlich fand sie die Stille in dem edlen Hotelzimmer erdrückend.
 

Nachts liegt sie wach

Und die Angst kommt ganz nah

Sie sucht das Mädchen was sie war doch das ist nicht mehr da
 

Miku wandte sich wieder dem Raum zu und suchte ihn kurz nach einem Telefon ab.

Auf dem Sideboard ,direkt neben dem Fernseherschrank, wurde sie schließlich fündig. Nicht einmal eine halbe Minute später hielt sie den Hörer in der Hand und wählte.

Sie brauchte jemanden zum Reden. Bei ihren Freunden hatte sie sich schon lange nicht mehr gemeldet. Vermutlich würden die anderen sich freuen, wenn sie sie nun anrief. Außerdem...wie viele konnten schon von sich behaupten, einmal persönlich mit DER Hatsune Miku gesprochen zu haben?

Nach fünf Wartesignalen nahm ihre Gesprächspartnerin schließlich den Hörer ab.

„Ja? Wer ist da?“ Lukas Stimme klang müde. Miku konnte hören, wie ihre beste Freundin am anderen Ende der Leitung leise gähnte.

„Hey, ich bin's, Miku.“, begrüßte die Türkishaarige die Ältere gut gelaunt.

Für einen Moment herrschte Schweigen.

„Sieh an, du erinnerst dich noch an mich?“ In Lukas Stimme war ein zynischer Ton nicht zu überhören. Die Diva ignorierte diese Tatsache ganz einfach.

„Ja klar, was denkst du denn? Jetzt hör mal : du wirst nicht glauben wo ich gerade bin!...“

„Sag mal ist dir eigentlich klar, dass es schon kurz nach zwölf ist?“, erkundigte Luka sich.

„Eh? Ja, kann sein. Die Straßen von Tokio sehen nachts aus wie ein einziges Lichtermeer.“

„Na ganz toll, ich freu mich für dich.“ Die Ironie in Lukas Stimme war nun nicht mehr zu ignorieren. „Aber im Gegensatz zu dir schreibe ich morgen eine Matheklausur und versuche zu schlafen.“

„Mathe? Bin ich froh damit nichts mehr am Hut zu haben. Ich drehe morgen an dem Video für meinen neusten Song weiter. Love is war heißt er. Und stell dir vor : ich muss morgen schon wieder auf so einen hohen Turm klettern, obwohl ich Höhenangst habe.“

„Miku?“

„Ja?“

„Hör zu. Um es einfach auszudrücken : es ist mitten in der Nacht und ich will jetzt nicht mit dir reden, okay?“

„A-aber ich dachte...?“

Irritiert stellte die Diva fest, dass das Telefon zu Piepsen begonnen hatte. Ihre beste Freundin hatte einfach aufgelegt! So eine Unverschämtheit!

Na fein, dann würde sie ganz einfach eine andere Freundin anrufen. Und erneut wählte sie eine Nummer.

„HEEEY! Sag ma, bis du das, Kaito? Wo bleibste? Wir warten hier schon alle!“ Meikos Stimme klang ziemlich lallend, sodass die Diva fast schon Schwierigkeiten hatte sie zu verstehen.

„Nein, nicht ganz. Ich bin's, Miku.“

„Wer's da? Ich versteh kein Wort!“

Kein Wunder. Miku zog eine Grimasse und hielt sich den Hörer ein Stück weit vom Ohr weg. Allem Anschein nach war die Braunhaarige wieder einmal betrunken. Im Hintergrund konnte sie noch viele andere Stimmen und Gläser klirren hören. Spontan tippte die Türkishaarige darauf, dass Meiko sich gerade in einer Kneipe aufhielt.

„Sag mal, bist du schon wieder besoffen?!“, erkundigte sie sich angenervt.

„Hier is es viel zu laut, ich versteh nichts! Ruf später nochma an~“ Und mit diesen Worten wurde das Gespräch beendet.

Die Türkishaarige verdrehte die Augen. Das war wieder mal so typisch gewesen.

Sie legte den Telefonhörer auf der Fensterbank ab und starrte nach draußen. Das Mädchen gab es nur ungern zu, doch es fühlte sich so allein wie schon lange nicht mehr.
 

Der Regen fällt sie ist die Nummer eins

Der Regen fällt sie will nur glücklich sein

Der Regen fällt sie ist allein in der Nacht

Es ist kalt in ihrem Zimmer wenn die Einsamkeit erwacht
 

Der Regen fällt so viele träumen von ihr

Der Regen fällt doch keiner klopft an die Tür

Der Regen fällt sie hält den Druck nicht mehr aus

Sie will weg da wo sie ist aus ihrem Leben raus
 

Am nächsten Morgen war der Himmel bewölkt und die Luft war recht kühl. Glücklicherweise wehte nicht all zu viel Wind. So verrückt es klang, aber der graue Tag war perfekt für ihr Musikvideo geeignet.

Inzwischen war es halb zehn. Miku stand, mit einem Megaphon in der Hand, auf einem hohen Turm am Rande Tokios. Um sie herum hatten sich Dutzende Techniker versammelt.

Auf dem Boden lagen Hunderte Kabel, die man später vermutlich mühsam würde ausblenden musste.

Einige der Mitarbeiter hielten Kameras, wieder andere waren mit Reflexschirmen bewaffnet.

Auf dem Turm waren so gut wie alle Szenen abgeschlossen. Nun blieben nur noch zwei Einstellungen übrig.

„Bist du soweit?“, erkundigte der Chef des Kamerateams sich.

„Ja, ich denke schon.“

„Sehr gut. Dann geht es los, sobald ich den Countdown gezählt habe.“

Das Mädchen nickte, lauschte dem Countdown und trat einen Schritt näher an das Geländer der Aussichtsplattform heran. Für einen Moment schloss sie die Augen.

//Konzentrier dich Miku. Du darfst bloß nicht nach unten gucken...//

„Zwei...eins...und los!“

Die Türkishaarige öffnete die Augen wieder, versetzte sich ganz in das Musikvideo hinein.

Mit einem Fuß trat sie auf das Geländer der Plattform, brachte es zum Wanken. Das Megafon, welches bereits einen Riss aufwies, hielt sie fest in ihrer Hand, sodass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Mit bitterer Entschlossenheit hielt sie es nach vorn, den Arm kerzengerade ausgestreckt, fast so als hielte sie eine Waffe. Im fertigen Video würde an dieser Stelle ein gutes Dutzend Kampfflugzeuge über sie hinwegfliegen.

In Gedanken meinte sie den Sound ihres neuen Songs zu hören. Die Lyrics kannte sie inzwischen in und auswendig. Zum Rhythmus des Songs passend, bewegte sie sich, brachte das Geländer der Plattform weiterhin zum schwanken.

Glühende Eifersucht, Wut, Verzweiflung und Entschlossenheit – all das musste ihre Körpersprache zum Ausdruck bringen.

Doch heute fiel es ihr nicht so leicht wie sonst, sich auf den Dreh ihres Musikvideos zu konzentrieren. Der gestrige Abend schlich sich heimlich und leise in ihre Gedanken zurück.

Die schönen Lichter der Großstadt, das edle Hotelzimmer, aber vor allem die Einsamkeit. In all den Wochen war es ihr noch nie so stark aufgefallen wie gestern Abend.

Seit sie es in die Charts geschafft hatte, war sie zwar beschäftigt, aber einsam. Ihr fehlte die Zeit sich mit ihren Freunden zu treffen. Meist hatte sie so viel zu tun, das sie ihre wenige Freizeit lieber dazu nutzte sich auszuruhen. Da blieb einfach keine Zeit mehr für soziale Kontakte.

Doch dafür war sie nun berühmt. Hatte sich einen Namen gemacht. Dies war das Leben, das sie sich immer erträumt hatte, oder?

„Hey, was ist los mit dir, Miku?“, riss die Stimme ihres Managers sie aus den Gedanken.

„Eh?“

„Du bist heute so unkonzentriert. Stimmt etwas nicht?“

Die Diva hielt inne, blinzelte zwei Mal und setzte dann ein Lächeln auf.

„Es ist alles in Ordnung. Tut mir leid.“

„Na dann ist ja gut.“

„Sollen wir die Szene noch einmal versuchen?“, erkundigte sich der Chef des Kamerateams.

„Ja klar. Es ist ja sowieso nur noch diese Szene.“ Und dann würde sie endlich von diesem schrecklich hohen Turm steigen können, fügte sie in Gedanken hinzu.

Nach wie vor traute sie der Stabilität des Geländers nicht über den Weg. Nur ungern würde sie aus dieser Höhe stürzen, wenn es doch irgendwann nachgeben sollte. Aber trotzdem führte kein Weg an dieser Szene vorbei. Das Musikvideo sollte schließlich ein Hingucker werden. Es würde ihr helfen noch bekannter zu werden. Und dafür nahm sie das Risiko gern in Kauf.

„Okay. Dann das Ganze noch einmal. Bereit?“

//Jetzt konzentrier dich Miku! Du kannst dir später immer noch über dein Privatleben den Kopf zerbrechen.//, mahnte sie sich in Gedanken selbst.

Sie nickte und begann damit sich wieder in das Video hineinzuversetzen.

„Ja, bin ich. Jetzt zähl schon den Countdown.“

Doch obwohl sie sich bemühte möglichst professionell zu sein, ein bitterer Beigeschmack blieb.

Es wäre schön gewesen, hätten ihre Freunde sie jetzt beobachten können, oder hätte sie zwischenzeitlich einmal über ihre Höhenangst klagen können.
 

Ihre Pflicht

Ist ihr Gesicht

Zu lächeln

Immer wieder zu lächeln

Das ist der Traum

Das Glück verbrennt

Niemand erkennt

Sie spielt sich, bis ihr kleines Herz bricht

Keiner weiß was sie will, denn sie bleibt nur süß und still
 

Nur vier Tage später war sie bereits wieder auf der Heimreise, zurück nach Minamikyūshū. Natürlich nahm sie nicht den Zug. Man hatte ihr einen persönlichen Fahrer zur Seite gestellt, der sie zurück in ihre Heimat bringen würde. Das war zwar sehr ungewohnt, doch war es das Beste so.

In der kurzen Zeit, hatte die Diva einen solchen Bekanntheitsgrad erreicht, dass es viel zu gefährlich für sie gewesen wäre, allein mit dem Zug zu fahren.

Die meisten Menschen liebten sie zwar für ihre Musik, die helle, unverwechselbare Stimme und ihr süßes Aussehen, doch Ausnahmen gab es immer.

Wenn man berühmt war, dann konnte man nicht mehr so sorglos reisen wie zuvor. Ein Stalker konnte an jeder Ecke lauern. Selbst ihre Fans und die ganzen Fotographen, die sie mit ziemlicher Sicherheit sofort umringen würden, wären ihr auf Dauer ein wenig zu viel geworden.

Inzwischen hatten sie Minamikyūshū fast erreicht. Die Rückfahrt von Tokio hatte einige Zeit in Anspruch genommen. Anfangs hatte Miku sich noch ein wenig mit dem Fahrer unterhalten, doch nach und nach holten ihre Grübeleien sie wieder ein.

Sie hatte sich gemütlich an die gepolsterte Kopflehne auf der Rückbank gelehnt und starrte aus dem Fenster. Am frühen Nachmittag waren sie heute losgefahren. Mittlerweile war es Abend. Der Himmel war bereits stockdunkel und die nassen Straßen reflektierten das Licht der Scheinwerfer.

Seit gut eineinhalb Stunden regnete es in Strömen und es wurde nicht besser.

Miku war froh, als sie endlich das Viertel erreicht hatten, in dem sie wohnte.

Gleich würde sie ihre Eltern wiedersehen! Wie lange hatte sie nun schon nichts mehr von den beiden gehört? In der Zeit, in der sie ihr Musikvideo in Tokio gedreht hatte, hatte sie nur ein einziges mal Zuhause angerufen. Dementsprechend freute sie sich schon darauf, einmal das Leben in Saus und Braus gegen ihr altes Leben einzutauschen. Zumindest ihre Eltern sahen in ihr immer noch das Mädchen, das sie eigentlich war.

„Wir sind da.“, meldete der Fahrer sich zu Wort.

Die Türkishaarige zog eine Augenbraue hoch. „Stellen Sie sich vor, das sehe ich auch.“

Obwohl sie sich schon so auf Zuhause freute, den bissigen Kommentar konnte sie sich nicht verkneifen. Immerhin war das hier ihr Haus, vor dem sie gerade hielten. Das würde sie auch ohne fremde Hilfe wiedererkennen.

Kurz verabschiedete sie sich noch von ihrem Fahrer, dann verließ sie eiligst das Auto, hielt ihre Tasche schützend über ihren Kopf und lief so schnell wie möglich zu ihrer Haustür.

//Wo habe ich bloß den Schlüssel gelassen?// Doch bevor sie sich ernsthaft den Kopf darüber zerbrechen konnte, ging das Licht im Flur an und ihre Mutter öffnete ihr die Tür.

„Mama!“ Die Türkishaarige ließ ihre Tasche auf der Türschwelle fallen. Stürmisch umarmte sie ihre Mutter. Zwar hatte sie es die ganze Zeit über verdrängt, doch sie hatte ihre Eltern vermisst. Genau so, wie sie ihre Freunde vermisst hatte.

Ihre Mutter drückte sie an sich, genau so froh darüber, die so plötzlich berühmt gewordene Tochter wiederzuhaben.

„Willkommen Zuhause, Schätzchen. Wie war es in Tokio?“

Miku ließ sie wieder los, schubste ihre Tasche mit dem Fuß in den Flur und schloss erst einmal die Haustür. Sie konnte schließlich nie wissen, ob nicht ein Fotograph bereits irgendwo in den Büschen im Garten saß und auf einen Schnappschuss lauerte.

„Anstrengend war es! Aber stell dir vor, mein Video ist endlich fertig. Und es ist so toll geworden!“, begann sie zu erzählen. „Und du glaubst nicht wie riesig Tokio ist. Ich hätte nie gedacht, dass ich irgendwann wie selbstverständlich in so schönen Hotels wohnen würde.“

„Das glaube ich dir. Dein Vater und ich, wir haben dich vermisst.“

„Ich euch doch auch! Aber ich hatte so viel zu tun. Man hat eben viel Arbeit, wenn man berühmt ist.“

„Oh, bevor ich es vergesse : du hast Post bekommen. Unser Briefkasten ist täglich vor Fanpost nur so übergequollen. Ich hab dir die Briefe in dein Zimmer gelegt.“

„Wirklich? Die werde ich mir nachher gleich mal ansehen.“

„Ja. Und das Telefon stand auch nicht mehr still, das kannst du mir glauben. Deine halbe Schule hat angerufen.“

„Du meinst Luka, Meiko, Rin und die Anderen?“, hakte Miku erwartungsvoll nach. Hatte sie es doch gewusst! Ihre Freunde hatten sie so schnell nicht vergessen und konnten es gar nicht abwarten, dass sie sich wieder einmal bei ihnen meldete.

Doch ihre Mutter brachte sie schnell wieder auf den Boden der Realität zurück. Sie schüttelte nur ein wenig irritiert den Kopf.

„Nein, von denen hat sich niemand gemeldet. Aber sehr viele Andere. Ich wusste gar nicht, dass du so viele Bekannte hast, Schätzchen.“

Das Lächeln, das bis eben noch auf Mikus Lippen gelegen hatte, erlosch abrupt.
 

Nachts liegt sie wach

Und die Angst kommt ganz nah

Sie sucht das Mädchen was sie war, doch das ist nicht mehr da
 

Was? Aber...das konnte doch gar nicht! Auf ihrem Handy hatten sich ihre Freunde auch nicht gemeldet. Aber vielleicht...

„Ich gehe mal schnell etwas nachsehen!“ Und mit diesen Worten schlüpfte sie aus ihren Schuhen, lief eiligst die Treppe zur ersten Etage hoch und öffnete ihre Zimmertür.

Der Anrufbeantworter! Vielleicht hatten die Anderen den ja inzwischen zugetextet? So drückte sie also den Knopf und lauschte.

Tatsächlich hatten einige Leute eine Nachricht für sie hinterlassen. Während sie den unterschiedlichen Stimmen lauschte, blickte sie sich in ihrem Zimmer um.

Auf ihrem Tisch lag ein riesiger Stapel Briefe. Vermutlich die Fanpost, von der ihre Mutter gesprochen hatte. Die zu lesen würde mit Sicherheit ewig dauern.

An der Wand, genau unter ihrem Fenster, stand ihr Bett. Zwar war es nicht so groß wie das im Hotel, doch es schrie förmlich danach, dass sie sich darauf legte. Sie war so müde.

...keine weiteren Nachrichten.“,hörte sie die elektronische Stimme des Anrufbeantworters sagen.

Was?! Aber die Nachrichten waren doch alle nur von Leuten, die sie gar nicht kannte!

Ihre Laune, die bis eben noch so gut gewesen war, sank schlagartig.

Die ganze Zeit über hatte sie schon die Befürchtung gehabt, dass ihre Freunde nach der ganzen Zeit, das Interesse verloren haben könnten, doch sie hatte diese Angst immer äußert effektiv zurückgedrängt. Jetzt hatte sie die Gewissheit.

Angefangen hatten diese Zweifel ganz still und leise, nachdem Luka das Telefonat neulich so plötzlich beendet hatte. Doch hatte sie immer noch versucht sich einzureden, das ihre beste Freundin einfach nur miese Laune gehabt hatte.

//Ob es sie wirklich so verletzt hat, dass ich ihr in der letzten Zeit nur abgesagt habe?//, überlegte sie.

Miku ging rüber zu ihrem Bett, setzte sich darauf und blickte rüber zu ihrem Nachtschrank.

Darauf standen zwei Fotos. Das Erste zeigte ihre Freunde und sie, wie sie alle gut gelaunt in die Kamera grinsten. Es war vor etwa einem Jahr in einem Freizeitpark geschossen worden. Damals waren sie alle mit der Wasserbahn gefahren und dementsprechend nass, aber gut gelaunt gewesen.

Das zweite Foto zeigte sie gemeinsam mit ihrer besten Freundin. Luka hatte einen Arm um sie gelegt, während sie selbst die Kamera gehalten hatte und quasi 'blind' das Foto gemacht hatte. Wie alt waren sie auf dem Bild wohl? Vielleicht 13?

Bereits seit ihrer Kindheit waren die beiden Mädchen beste Freundinnen und waren so gut wie nie allein anzutreffen gewesen.

Und jetzt? Die Diva spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete und ihre Augen zu brennen begannen. Seit sie von jetzt auf gleich berühmt geworden war, hatte sie das alles vergessen.

Anfangs hatte die Rosahaarige so oft bei ihr angerufen, hatte so oft versucht sich mit ihr zu verabreden oder wenigstens etwas mit ihr zu telefonieren.

Und was hatte sie gemacht? Jedes Mal aufs Neue hatte sie ihrer besten Freundin gesagt, dass sie keine Zeit hatte. Bei jedem Telefonat war sie arroganter und überheblicher geworden.

War es da verwunderlich, dass Luka irgendwann aufgehört hatte sie anzurufen? War es verwunderlich, dass sie irgendwann aufgehört hatte um die Freundschaft zu kämpfen?

Und Miku? Sie hatte das die ganze Zeit über nicht gemerkt. Sie hatte es nicht wahr haben wollen, das schlechte Gewissen zur Seite gedrängt und nur an sich gedacht.

//Was hab ich nur gemacht?//
 

Der Regen fällt sie ist die Nummer eins

Der Regen fällt sie will nur glücklich sein

Der Regen fällt sie ist allein in der Nacht

Es ist kalt in ihrem Zimmer wenn die Einsamkeit erwacht
 

Der Regen fällt so viele träumen von ihr

Der Regen fällt doch keiner klopft an die Tür

Der Regen fällt sie hält den Druck nicht mehr aus

Sie will weg da wo sie ist aus ihrem Leben raus
 

Ohne weiter darüber nachzudenken, hatte sie ihr Zimmer wieder verlassen und stürmte die Treppe hinunter.

„Pass auf, dass du nicht hinfällst!“, hörte sie ihre Mutter rufen, die ihre schnellen Schritte wohl gehört hatte. „Und das Essen ist gleich fertig.“

„Ich muss noch einmal weg, tut mir leid!“, rief die Türkishaarige nur und bemühte sich ihre Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen.

Im Hausflur angekommen, schlüpfte sie sie eilig in ihre Schuhe und griff nach einer ihrer Jacken, die an der Garderobe hing.

„Aber wo willst du denn um die Uhrzeit noch hin?“, fragend streckte ihre Mutter den Kopf aus der Küche.

„Zu Luka, wohin sonst?“

„Aber hat das denn nicht Zeit bis morgen?“

„Nein, hat es nicht.“ Und mit diesen Worten war Miku schon an der Haustür, öffnete diese und lief los.

Schon immer hatte sie zu überstürzten Reaktionen und kopflosem Handeln geneigt. Dies hatte sich auch jetzt noch nicht geändert. In ihrer Eile hatte sie ganz vergessen einen Regenschirm mitzunehmen, aber das war nicht so schlimm. Wenn sie sich beeilte, dann hätte sie in etwa sieben Minuten das Haus ihrer besten Freundin sowieso erreicht.
 

Während sie lief, begann sie sich zu fragen, was sie gleich eigentlich sagen wollte? Tut mir leid und wird nicht wieder vorkommen? Dafür, das sie ihre Freundschaft mit Füßen getreten hatte? Wohl eher nicht.

Und wie würde die Rosahaarige überhaupt auf eine Entschuldigung reagieren? Ehrlich gesagt, sie wusste es nicht.

Miku hatte es so eilig, dass sie sich nicht den Kopf darüber zerbrach, ob irgendein Fotograph sie so sehen würde oder nicht. Einige Passanten, die zu der späten Stunde noch unterwegs waren, drehten sich fragend und ein wenig ungläubig nach ihr um, als sie an ihnen vorbei lief. Auf den Gesichtern der Menschen konnte man deutlich die Verwirrung lesen. War da gerade wirklich DIE Hatsune Miku, am späten Abend und ohne Schirm, an ihnen vorbeigerannt?

Die Diva ignorierte die Menschen einfach.

Natürlich war es schön berühmt zu sein. Das war das, was sie sich schon immer gewünscht hatte.

Es bereitete ihr große Freunde zu singen, Videos zu drehen und von den Leuten erkannt und bewundert zu werden.

Doch was nutzte ihr ihre Berühmtheit, wenn man sie zwar auf der Straße erkannte, sie aber privat niemanden hatte, mit dem sie reden und lachen konnte?

Sie hatte über ihren plötzlichen Erfolg komplett den Bezug zur Realität verloren.

Dies war ihr schon seit einer Weile schleichend klar geworden, doch sie hatte es immer wieder zu verdrängen versucht. Aber so konnte es nicht weiter gehen.

Mit ihren anderen Freunden musste sie auch noch unbedingt reden, doch das Gespräch mit ihrer Kindheitsfreundin war ihr am wichtigsten. Sie wollte die jahrelange Freundschaft nicht einfach so aufgeben. Vielleicht war es ja erst fünf vor Zwölf und noch nicht zu spät für eine Entschuldigung. Wieder fragte sie sich, wie sie so etwas wichtiges einfach so vergessen konnte.

Schließlich konnte sie das Haus, in dem ihre beste Freundin und deren Eltern lebten, bereits sehen.

Je näher sie ihrem Ziel kam, desto nervöser wurde sie. Wie würde Luka wohl reagieren?
 

Ihre Pflicht - Ist ihr Gesicht

Zu lächeln – Immer wieder zu lächeln
 

Nun doch ein wenig zögerlich, schritt sie die drei Treppen vor dem Haus empor. Sie starrte die bronzefarbene Türklingel einen Moment lang an. Sollte sie, oder sollte sie nicht?

Die Türkishaarige fröstelte. Vom Regen war sie komplett durchnässt. Ihre langen Seitenzöpfe hingen klatschnass herunter. Über ihre Wangen bahnten sich heiße Tränen.

Was hatte sie bloß angestellt?

Schließlich drückte sie auf die Klingel, schluckte schwer und wartete ab. Miku wischte sich über die Augen, mit dem Ergebnis, das ihr sofort neue Tränen die Wangen hinunterliefen.

Dann hörte sie Schritte im Flur. Das Licht ging an.

Schließlich wurde die Tür einen Spalt weit geöffnet. Glücklicherweise war es Luka selbst, die die Tür geöffnet hatte und nicht ihre Eltern.

Der Blick der Rosahaarigen war erst ehrlich überrascht und fragend, dann wurde ihre Mimik langsam härter und skeptischer.

„Miku? Was willst du denn hier? Und wie siehst du überhaupt aus?“

Davon, dass die Türkishaarige inzwischen eine berühmte Persönlichkeit war, war derzeit nicht all zu viel zu sehen. Vor Lukas Haustür stand ganz eindeutig nur ein komplett durchnässtes, aufgelöstes Mädchen.

„Es tut mir Leid, Luka! Es tut mir wirklich so leid!“

Anstatt einer Antwort, zog Angesprochene nur eine Augenbraue hoch und starrte die Diva abwartend an.

„Ich habe über den plötzlichen Erfolg komplett den Sinn für die Realität verlorenen und mich wie die Axt im Walde aufgeführt. Ich hätte dich und die anderen niemals so behandeln dürfen!“

Eine Windböe beförderte den Regen unter das kleine Vordach des Reihenhäuschens.

Auf der Straße hielten nach und nach immer mehr Menschen an und starrten zu ihnen rüber. Die meisten davon waren einfache Passanten, die ganz zufällig hier vorbeigekommen waren, aus einem Auto stieg jedoch schon der erste Mann mit Spiegelreflexkamera.

Mit regungsloser Miene starrte Luka ihre Kindheitsfreundin noch einige quälende Sekunden an, dann seufzte sie leise und ging einen Schritt zur Seite.

„Jetzt komm erstmal rein.“

Ihrer Stimme war deutlich anzuhören, dass sie ihr das nicht so einfach verzeihen konnte, doch immerhin hatte sie ihr die Tür nicht wieder vor der Nase geschlossen.

„Danke.“, murmelte Miku leise und folgte ihrer besten Freundin ins Haus.

Sie wusste, dass sie einiges wieder gutzumachen hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Seriwolfy
2013-06-04T20:27:30+00:00 04.06.2013 22:27
Ohh, nice made^^
Das positive ist auf jeden Fall, dass der Ausdruck verdammt gut war und keine (!) Rechtschreibfehler! (Ein Traum heutzutage, ehrlich!) Nur das Ende war etwas abgehackt, für mich sehr schlecht -.-" Naja, egal, sonst fand ich sie sehr gelungen ^O^


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