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Kein zurück

von

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Du stehst am Fenster und du schaust hinaus,

und draußen scheint die Sonne, doch in dir herrscht tiefe Nacht.

Wenn nicht ein letzter Rest von Zweifel in dir wäre,

hättest du schon längst den letzten Schritt gemacht.

...niemand...

Niemand da, der dich versteht,

und weiß, was in dir vor sich geht.
 

Er konnte sein Gesicht schemenhaft in der Fensterscheibe erkennen.

Er sah müde aus. Abgekämpft, ausgelaugt. Er fühlte sich verbraucht, kraftlos. Da war nichts mehr, dass er greifen konnte. Da waren keine Reste mehr an Energie, die er hätte anzapfen können. Er war alleine. Alle hatten sie ihn zurück gelassen, so sah er das. Sie hatten doch sehen müssen, dass er am Ende war. Warum hatte keiner gemerkt, dass er, ausgerechnet er, immer wortkarger wurde? Er hatte sich lieber alleine zurück gezogen als ausgiebige Diskussionen zu führen, wie er es sonst immer getan hatte. Das Essen hatte ihm nicht mehr geschmeckt. Immer weniger brauchte er davon. Tagelang aß er gar nichts mehr. Heute war es der dritte Tag an dem sein Magen leer war. Sein Kopf schmerzte. Ihm war schlecht. Sein Kreislauf spielte verrückt. Sein Körper schrie nach Essen. Verlangte nach Zucker, Kalorien, Fett, Vitaminen. Irgendwas, vollkommen egal. Er wollte nicht.

Und alle hatten sie ihn ignoriert. Keiner hatte gefragt was los war. Keiner schien merken zu wollen, dass er innerlich am Ende war. Er hatte aufgegeben. Die Lebenslust war verflogen. Er konnte sich nicht erklären warum. Er hatte alles was sich der normale Mensch wünschte. Eigentlich müsste es ihm gut gehen, bestens sogar, aber er fühlt sich leer und verlassen. Schlimmer noch. Er denkt an das Ende, das ihm bis vor ein paar Monaten noch so weit entfernt vor kam. Er will das Leben nicht mehr haben. Lieber würde er es verschenken, aber das geht nicht. Er hat nur zwei Optionen: Behalten oder abgeben. Letzteres erscheint ihm seit einigen Tagen viel logischer. Was will er noch erreichen? Was will er noch sehen? Was will er noch hier? Er sieht in den Himmel. Da fällt es ihm ein. Es gibt da noch etwas, das ihn hier hält. Das er so sehr liebt, dass er glaubt, es sogar im Tod vermissen zu würden. Aber auch er scheint ihn nicht zu verstehen – oder doch? Er ist das Letzte was ihn hier noch hält und als er blinzelt merkt er, dass die Sonne ihm durch das Fenster in das Gesicht scheint. Ihm ist es egal. Wie so vieles Andere auch.
 

Geh durch die Straßen und du siehst: Um dich herum, da tobt das Leben.

Doch in dir tobt nur der Tod.

Du würdest alles für 'nen Notausgang aus diesem Leben geben,

oder für ein Rettungsboot.

...hilflos...

Du weißt nicht mehr, wohin mit dir.

Du willst überall sein, bloß nicht hier.

Die Zweifel wurden größer. Dann blieb er eben noch eine Weile hier.

Sein Körper hatte gewonnen. Er hatte sich eine Jacke überzogen obwohl die Sonne das ganze Land in eine Hitzewelle gestürzt hatte. Er zog sich die Kapuze über den Kopf, vergrub sein Gesicht im Schatten des überstehenden Stoffes und verließ das Haus. Er musste einfach was essen. Es ging nicht anders. Seine Knie wurden immer weicher, die Übelkeit immer größer. Doch sein Kühlschrank war leer. Die Schränke waren leer. Er hatte keine Lust, keinen Ansporn zum einkaufen gehabt. Stattdessen hatte er lieber gehungert. Das störte ihn weniger als das Haus zu verlassen. Er hatte die ruhige Straße, in der er wohnte, hinter sich gelassen. Sie führte fast direkt in den kleinen Ableger der Innenstadt. Hier war es voll. Überall lachende, schreiende Kinder mit ihren Eltern. Jugendliche beim Bummel durch die Stadt. Er fühlte sich so völlig falsch platziert, dass er am Liebsten wieder nach Hause gegangen wäre. Außerdem wurde ihm warm, aber sein Gesicht wollte er der Welt nicht zeigen. Er wollte nicht erkannt werden. Das würde er nicht ertragen. Dann hätte er freundlich sein müssen und selbst dazu schien ihm die Kraft zu fehlen. Die Menschen um ihn herum machten ihn wahnsinnig. Es war so unglaublich laut hier. Ihm wurde immer schlechter. Er wollte weg. Weg von hier, raus aus der Stadt. Konnte das niemand sehen? Konnte er nicht einfach im Erdboden versinken und verschwinden? In seinem Kopf hämmerte es. Holt mich hier raus, dachte er. Er sah das kleine Café auf der anderen Seite des Platzes. Erst jetzt registrierte er, dass er mitten auf dem kleinen Marktplatz stehen geblieben war. Drinnen sah das Café leer aus. Es zog ihn magisch an. Es kam ihm vor wie eine rettende Insel auf der er sicher war. Alleine. Die hinterste Ecke. Der dunkelste Platz in dem großen Raum voller Tische. Nein, auch hier fühlte er sich nicht wohl. Er wäre am Liebsten schreiend weg gerannt. Einzig der Hunger ließ ihn die Tortour überstehen.
 

Nie wieder Liebeskummer, nie wieder allein.

Nie wieder Pech, nie wieder Glück.

Kein Kuss im Regen und kein Sonnenuntergang.

Mach dir klar, es ist wahr:

Es gibt kein zurück!

Der Weg zurück nach Hause über den belebten Platz kostete ihn größte Überwindung. Er hatte darüber nachgedacht einen Umweg in Kauf zu nehmen. Den Platz zu umgehen, aber er war zu müde. Er wusste nicht ob er den Weg schaffen würde. Mit starrem Blick auf den Boden war er die wenigen Meter nach Hause geeilt. Die Tür hatte er hinter sich verschlossen. Es war ihm eingefallen. Er bekam das ungute Gefühl schon als er das kleine Café betrat. Aber er hatte vermutet, dass es nur der Hunger war, der sich wieder in sein Bewusstsein drängen wollte. Doch die Erinnerung hatte ihn eingeholt. So lange hatte er es verdrängt. War seitdem nicht mehr dort gewesen. Es hatte seinen Grund gehabt. Vielleicht war sein Unterbewusstsein daran schuld gewesen, dass er eine Weile davor stehen geblieben war ohne das er es gemerkt hatte.

Sie hatten hier zu zweit gesessen. Hatten sich getroffen, wie sie es vor einigen Monaten noch regelmäßig getan hatten. Sie wollten reden, was essen. Den Tag gemeinsam verbringen und ihre Freundschaft am Leben erhalten. Er hatte andere Pläne. Es gab Dinge, die er los werden musste. Egal wie sehr sie ihn ängstigten. Sie kannten sich schon so lange. Sie waren immer eine Einheit gewesen. Sie hatten so viel miteinander durch gestanden. Er dachte nicht daran, dass es sie entzweien könnte. Sie hatten in der Ecke gesessen, in der er heute alleine auf sein Essen wartete. Er hatte sogar den selben Platz gehabt. Damals hatte er ihm gegenüber gesessen. Er sah die großen Augen vor sich als endlich die Worte über seine Lippen kamen, die er so oft wiederholt hatte als er noch zu Hause vor dem Spiegel gestanden hatte. Es war ihm leichter gefallen als gedacht. Trotzdem klang seine Stimme in jenem Moment heiser, unsicher. Seinem Blick standzuhalten war nicht einfach. Hunderte Fragen schienen seinem Gegenüber durch den Kopf zu schießen, aber nicht eine hat ihren Weg aus seinen Gedanken gefunden. Seine Mine versteinerte, seine Hände hielten das Besteck fest umklammert. Dann räusperte er sich. Offenbar waren die Worte dort angekommen, wo sie hin sollten. Wo er sie registrieren, verstehen konnte. Als sich ihre Wege nur eine halbe Stunde später trennten, hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt. Es war ein Desaster. Schlimmer als er sich es je vorgestellt hatte. Er hatte seinen besten Freund verloren, so fühlte es sich an. Er hatte ihm nachgesehen, war sofort nach Hause geeilt als er aus seinem Blickfeld verschwunden war.

Er würde die Gefühle nicht erwidern. Nie, das hatte er ihm auch ohne Worte klar gemacht. Niemals würde er ihn küssen dürfen. Nie würde er ihn anfassen dürfen. Sie würden nie gemeinsam alt werden, so wie er es sich vorgestellt hatte. Die Gedanken darüber betäubten seine Sinne damals, sie taten es noch immer. Das Essen rotierte in seinem Magen als er sich an den Tag erinnerte. Er war vor der Toilette in die Knie gegangen. Er schaffte es nicht. Er konnte nicht mehr. Das Leben hatte ihn geschafft. Es war genug.
 

Mit einer Waffe an der Schläfe willst du dich

für alle Ewigkeit von deinem Schmerz befreien.

Soll denn das Zucken deines Zeigefingers tatsächlich

der letzte Akt in deinem Leben sein?

...sterben...

Die eigenen Schmerzen enden zwar,...
 

Er hatte alle Gedanken beiseite geschafft. Er hatte es sich eingestanden als die Sonne unter ging. Kräftiges Orange überzog den ganzen Himmel als er wieder aus dem Fenster sah. Wieder diese Kopfschmerzen, diese Grummeln in seinem Magen. Er fühlte sich stark genug dafür, auch wenn die Tabletten ihn müde machten. Er spürte wie sein Körper immer wieder erschlaffen wollte. Ihn in die Tiefen des Schlafes gleiten lassen wollte. Er wehrte sich. Nur der Schlaf war nicht sein Ziel. Er versuchte sich schöne Augenblicke in Erinnerung zu rufen. Es fiel ihm so schwer. Ein dichter Nebel schien über ihm zu hängen. Verwehrte ihm den Blick zurück auf Tage an denen er meinte das Glück förmlich greifen zu können. Er hatte sich das Bild von ihm aus seinem Geldbeutel genommen, vor sich gelegt. Er sah darauf und erinnerte sich doch immer nur an den Moment im Cafè. Wo waren all die guten Zeiten hin? Es hatte sie doch gegeben. Sie mussten irgendwo sein. Das Denken fiel ihm mit jeder Sekunde schwerer. Der Nebel wurde dichter. Er presste die Lippen aufeinander, biss sich auf die Zunge. So war der Schmerz viel einfacher zu ertragen. Sein Arm zuckte. Das Orange vor ihm verblasste. Es wurde heller, sah sanfter aus als zuvor. Er konnte seinen Arm kaum bewegen. Er musste. Er musste es schaffen seine Hand zu seinem zweiten Arm zu bewegen. Das Leben sollte aus ihm fließen, so wie seine Kraft in den letzten Tagen ohne zu Zögern davon geflossen war. Sie hatte ihn genau so verlassen wie alle Anderen. Er biss fester zu, schmeckte plötzlich Blut als er sich die Zunge auf biss. Dann roch er roch das Blut, das aus seinen Adern rann. Er klammerte sich an dem Messer fest. Er hatte gedacht, dass er weinen würde. Doch da waren keine Tränen. Da kamen keine. Er fühlte sich erleichtert. Er wusste, er hatte das Richtige getan. Auch der letzte Zweifel war verflogen. Es fühlte sich an wie die Erlösung von all den schlechten Dingen um ihn herum, die er sich seit Wochen wünschte. Sein Blick glitt von dem grellen Gelb, dass das Orange jetzt vollständig ersetzte, zurück zu dem Bild. Er lächelte. Gott, wann hatte er das letzte Mal gelächelt? Eine Ewigkeit schien zwischen damals und jetzt zu liegen. Die Müdigkeit war nicht mehr auf zu halten. Er schloss die Augen, sein Gesicht in seinen Gedanken. Lächelnd ließ er zu, dass der Nebel ihn vollkommen einhüllte. Er nahm ihm mit sich. Das letzte Geräusch, dass er in diesem Leben verursachte, war das Messer, das er fallen ließ als seine Hand ein letztes Mal zuckte und seinen Umklammerung von dem Plastikgriff löste.
 

Doch mach dir bitte eines klar:

Du hast dein Leid nur gegen anderes eingetauscht.

Nichts ist besser, nicht ein Stück.

Die dich verlieren, werden den Schmerz für immer spüren,

wenn du gehst – du verstehst:

Es gibt kein Zurück!
 

Stunde um Stunde war er durch die Stadt gelaufen. Alleine, wollte niemanden um sich haben. Der Himmel hatte sich zugezogen. Kühler Wind fegte durch die Straße. Die Hitzewelle war vorüber. Offenbar war die Sonne mit ihm gegangen. Er lief ziellos durch die Straßen. Es erschreckte ihn als er feststellte, dass seine Füße ihn zu seinem Haus getragen hatten. Verwirrt starrte er auf das Fenster im oberen Stockwerk. Dort hatte er gesessen. Dort hatten sie ihn gefunden. Zwei Tage später. Zwei Tage saß er auf dem Stuhl. Der Kopf war ihm nach unten gefallen. Trotz der geschlossenen Augen sah es für ihn so aus als hätte er auf das Bild vor ihm gestarrt. Zwei Tage. Zwei verdammte Tage lang hatte er auf das Bild von ihm gestarrt. Er fühlte sich elend. Er musste hier weg. Er bildete sich ein seinen Haarschopf durch das Fenster sehen zu können. Er rannte so schnell er konnte, verlangsamte seine auch nicht als er die Straße hinter sich hatte. Er beruhigte sich erst als er den Platz in der Ecke des Cafés eingenommen hatte. Er wusste, dass hier der Wendepunkt für ihn gekommen sein musste. Hier hatte er aufgegeben. Hatte ihm gestanden, dass er ihn liebte. Das er sich nach ihm verzehrte und es nicht mehr aushielt. Und was hatte er getan? Nichts. Das Selbe wie er jetzt tat. Er hatte hier gesessen und ihn angestarrt. Es dauerte Sekunden bis er die Kontrolle über seinen Körper wieder erlangt hatte. Sein Gehirn hatte die Worte nicht verarbeiten können. Nicht, wenn sie von ihm kamen. Er hatte nicht geahnt... Er hatte nie etwas gemerkt. Er wusste nicht wie er reagieren sollte. Er hatte keine Worte für sein Gegenüber gefunden, dabei hatte er so viel Mut aufbringen müssen. Das war das Einzige, was ihm wirklich bewusst gewesen war. Was es ihn für eine Kraft gekostet hatte – und er? Er hatte verlegen gehustet, schweigend den Teller vor ihm geleert, hatte sofort die Rechnung für sie beide gezahlt und war wortlos mit ihm aus dem Café gegangen. Nicht mal mehr ein Wort des Abschiedes hatte er raus bekommen. Er hatte lediglich genickt und war gegangen. Was hätte er auch sagen sollen?

Jetzt saß er wieder hier. Der Platz ihm gegenüber war leer. Würde für immer leer bleiben. Nie wieder würde sie zusammen hier sitzen, essen, reden und lachen. Seine Stimme war für immer gegangen. Sein Lachen war verstummt. Er würde ihn nicht mehr anrufen können. Er war nicht mehr da um an das Telefon zu gehen. Wie sehr muss er gelitten haben damit er soweit ging? Damit er sein Leid auf ihn übertrug, auf alle die er kannte. Wie sehr musste es ihn verletzt haben? Er fühlte sich schuldig. Er hatte ihn aus dem Leben vertrieben. Sein Verstand versuchte sich verzweifelt gegen diese Erkenntnis zu wehren. Wollte die Gedanken nicht zu lassen, konnte sie aber nicht aufhalten. Er legte die Hände vor das Gesicht, ließ seinen Kopf nach hinten fallen und seufzte. Wie sehr er sich wünschte die Zeit zurück drehen zu können. Nur zwei Tage zurück.
 

Du siehst an allem nur die negativen Seiten,

schwimmst in einem tiefen Meer von Traurigkeit.

Tatsache ist zwar, dass wir alle sterben müssen,

nur die Meisten hätten gerne noch mehr Zeit.

...leben...

Wir haben nur dies eine Leben.

Ein Zweites kann dir keiner geben.
 

Der Kaffee, den er sich bestellt hatte, war kalt geworden.

Er schaffte es nicht auch nur einen Schluck zu nehmen. Egal wie er es drehte und wendete. In diesem Café, an diesem Tisch war es passiert. Er konnte sich nicht erinnern seit dem Tag auch nur einmal an ihn gedacht zu haben. Er hatte ihn aus seinen Gedanken verbannt. Er hatte sich geweigert darüber nach zu denken. War der Verantwortung, die er ihm gegenüber plötzlich hatte, die er nicht hatte auf sich nehmen wollen, aus dem Weg gegangen. Manchmal war ihm etwas durch den Kopf geschossen, dann hatte er gehofft, es würde sich alles im Sande verlaufen und sofort alles aus seinen Gedanken verdängt. Hatte sich in Arbeit gestürzt um zu vergessen. Er dachte, dass er es ebenso handhaben würde. Er war doch immer so ein Mensch gewesen. Jemand, der sich mit Terminen voll lud wenn er etwas verarbeiten musste. Aber er hatte nicht. Stattdessen hatte er den schnellsten, schmerzhaftesten Weg für alle eingeschlagen. Ausgerechnet er. Ausgerechnet der Mann, der sein Leben lang gelacht hatte. Der an allen Dingen, die guten Seiten zuerst gesehen hatte. Er hatte noch so viel vor sich. So viel Zeit, die er freiwillig aufgegeben hatte. Eine kleine Ewigkeit. Er konnte ihn nicht fragen wie es ihm jetzt ging. Wo war er? War er überhaupt noch irgendwo? Er hatte sie alle verlassen. Alle würden ihn vermissen, aber niemand von ihnen musste sich eingestehen, dass er Schuld an seiner Tat war. Er hätte ihn anrufen müssen. Das wäre das Mindeste gewesen. Aber die Worte die er dazu gebraucht hätte, hätte er nicht mal jetzt parat.

Er fuhr sich über das Gesicht. Wollte spüren, dass er noch da war. Das er noch lebte. Die Wärme seiner eigenen Haut. Die Narbe, die er an seinem Finger hatte. Er wollte einfach etwas spüren. Er wollte sein Lachen hören. Er wollte sich an seiner Schulter ausweinen. Egal wie weit er zurück dachte, das hatte er immer getan. Er hatte in jedem Moment die passenden Worte gefunden. Er war doch immer an seiner Seite gewesen. Seit so vielen Jahren waren sie ihre Wege gemeinsam gegangen. Jetzt sollte alles vorbei sein. Einfach weg. Einfach gegangen. Für immer verstummt, für immer verschwunden. Kein Lachen mehr. Kein gemeinsames Essen mehr. Keine Diskussionen mehr über die Kleinigkeiten des Lebens. Seine Stimme würde er nicht mehr hören können. Jetzt war er allein. Sein bester Freund. Tot. Wegen ihm.
 

Nie wieder Sorgen haben, nie wieder verlieren.

Nie wieder Pech. Nie wieder Glück.

Keine zweite Chance, und erst recht kein Happy End.

Mach dir klar, es ist wahr:

Es gibt kein Zurück!
 

Er hustete leise. Drehte sich dabei weg von dem winzigen, schwarzen Mikrofon, dass an der kleinen Tischablage vor ihm befestigt war. Das Papier knisterte als er aus seiner Hosentasche holte und auseinander faltete. Der Raum war erfüllt von den leisen Geräuschen der weinenden Familienmitgliedern, Freunden die sich leise die Nase putzen oder ungläubig seufzten. Er erkannte gemeinsame Freunde und seine Familie, ihm unbekannte Menschen und Menschen, die sie seit Jahrzehnten begleiteten. Sie alle warteten auf die Worte, die er lesen wollte, mit denen er sich von ihm verabschieden wollte.

„Das wir einen großartigen Menschen verloren haben, muss ich nicht erwähnen. Er war ein guter Freund, ein toller Sohn und Bruder. Er hat sich für jeden von uns aufgeopfert. Er hat ohne zu zögern geholfen, auch wenn man ihn nicht gefragt hat. Dabei hat er so viel von sich gegeben, dass es am Ende vielleicht zu viel wurde. Denn er hat nie gefragt. Er hat versucht niemanden zur Last zu fallen, sondern jedem anderen Menschen die Last ab zu nehmen und sei es nur durch ein einziges Wort gewesen. Sein Lachen war ansteckend. Es war einzigartig, aber es ist ebenso verstummt wie seine Musik, die ihm bis zu einem bestimmten Punkt alles gegeben hat. Seine Werke, egal welche es waren, haben tausende Menschen erreicht und berührt. Ich bin mir sicher, dass sie das auf ewig machen werden. Dadurch wird er niemals wirklich von uns gehen. Er hat uns ein Stück von sich hier gelassen und ich bin mir sicher, dass noch in Jahrzehnten von heute ab, Leute irgendwo sitzen und an ihn denken wenn sie seine Bilder, seine Lieder, seine Worte hören. Ich bin mir nicht sicher ob er gewollt hätte, dass wir um ihn weinen. Aber ich bin mir sicher, dass er sich gewünscht hätte, dass wir ihn nicht vergessen.“

Er stockte. Das Papier in seiner Hand, von dem er die Worte abgelesen hatte um niemanden direkt in die Augen schauen zu müssen, knüllte er in seiner Hand zusammen. Es tat so verdammt weh sie zu lesen. Er wendete seinen Blick von dem Mikrofon ab, drehte sich nach rechts. Inmitten der Blumengestecke stand die graue Säule auf die irgendwer diese winzige, schwarze Urne gestellt hatte. Auf einem kleinen Aufleger, den man an ihr befestigt hatte, prangte seine Name.

Er stellte sich vor, dass er nur zu ihm sprechen würde während sein Blick auf der Urne ruhte: „Ich will mich bei dir entschuldigen. Ich hätte dir so gerne die Hand gereicht um dich davon ab zu halten. Ich hätte nicht so blind und eigensinnig sein dürfen. Aber ich muss einsehen, dass das Leben nicht immer ein Happy End zu bieten hat und mir keine zweite Chance gibt. Ich kann dir nicht mehr helfen. Es gibt kein zurück.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich habe bewusst darauf verzichtet den Protagonisten Namen zu verpassen. Allerdings denke ich, dass gerade die "Hauptfigur" bei 99% der Leser/innen der von mir während des Schreibens gedachte Mann sein wird. Komplett anzeigen

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