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Der Karton

von

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Die Sommerferien sind gerade vorbei und auch die Wahlen für die nächsten Ämter sind abgeschlossen. Der Schülersprecher dieses Jahres ist Markus Lente, seine Stellvertreterin ist Lili Hunste, welche erst einen Monat vor den Sommerferien in die Schule gekommen ist. Sprich, sie ist neu.
 

Markus steht vor dem Aushang, der ihm mitteilt, dass er nun wirklich Schülersprecher für dieses Schuljahr ist. Seine Stirn runzelt sich als er bemerkte, dass die Neue seine Stellvertreterin war.

Wie hat sie es geschafft? Sie ist doch erst seit anderthalb Monaten hier... Er wird in seinen Gedanken unterbrochen, denn seine Freunde kommen um ihm zu gratulieren.

"Na, Schülersprecher?", neckt ihn René, sein bester Freund.

"Das Amt kommt bei Mädchen immer ganz gut an", flüstert Victor, der Mädchenschwarm der Schule, Markus verschwörerisch in das Ohr.

"Das müssen wir mit Karaoke feiern!", ruft Friedrich, der Karaoke-Freak der Truppe.

Markus lacht ausgelassen, während seine Freunde ihn umringten. Düstere Gedanken sind hier fehl am Platz.

"Sind wir nicht schon letzte Woche gewesen?"

"Man kann nicht zuviel gehen!", behauptet Friedrich.

"Naja, ich muss jetzt aber auch los, die SV-Sitzung fängt gleich an."

"So früh? Ich dachte wir könnten noch ein wenig abhängen..." René wirkt leicht enttäuscht, doch dann wird er wieder der fröhliche Junge von nebenan, als welchen ihn alle kennen. "Naja, da kann man wohl nichts machen, was? Viel Spaß und Erfolg!"

"Dankeschön", lächelt Markus und macht sich langsam auf den Weg.

Er durchschreitet die leeren Flure und Gänge, die Sonne scheint warm durch die vielen großen Fenster herein. Man hört nur seine Schritte, wie sie von den Wänden wiederhallen. Er schließt kurz die Augen, geht ein Stückchen blind und öffnet sie dann wieder.

Ein herrlicher Tag...

Der Wind rauscht in den Bäumen, die Blätter fallen langsam ab, tanzen ein wenig in der Luft und lassen sich dann auf dem Boden nieder. Es ist ein faszinierendes Schauspiel. Viel zu früh erreicht er den Raum, in der die SV ihre Sitzungen und Besprechungen abhält. Er klopft ein, zweimal.

"Herein!", schallt es aus dem Raum, die Stimme kommt ihm bekannt vor. Er öffnet die Holztür und geht in den Raum.

"Bin da", sagt er.

"Das sehe ich", lautet die knappe Antwort. Die Person, die gleichzeitig auch die Einzige ist, die in dem Raum außer ihm ist, sitzt hinten im abgelegenem Teil des großen, gemütlich eingerichtetem Raumes. Hier erkennt man eine klare Ordnung: In der Mitte des Raumes standen ordentlich Tische aufgereiht, an der linken und rechten Seite des Raumes jedoch sind Sitzkissen und Regale zu Leseecken zusammengestellt worden. Und genau in einem dieser vielen, bunten Sitzkissen sitzt Lili. Sie klappt ein Buch zu, welches sie eben gelesen hat.

"Da bist du ja endlich", meint sie etwas mürrisch. Sie stellt das Buch zurück in das Regal, ehe Markus einen Blick auf den Titel erhaschen konnte.

"Findet heute keine Sitzung statt?"

"Nein, ich sollte hierbleiben und dir sagen, dass die SV-Sitzung für heute auf übermorgen verschoben wird. Außerdem sollen wir schon einmal die Besprechung vorbereiten."

"Das heißt...", er überlegt kurz, "Themen festlegen, ungefähren Verlauf bestimmen und unsere Pläne aufschreiben beziehungsweise uns jetzt über die Zukunftspläne beraten?"

"Ja, fürs erste schon."

"Dann setzen wir uns doch!" Er ging vor zu einem der Tische und setzt sich hin. Lili setzt sich ihm gegenüber. Sie nimmt einige Blätter, wahrscheinlich Notizen, aus ihrer Tasche und liest sie schnell durch.

"Was willst du an der Schule erneuern?", fragt sie ihn.

"Uwah... Hmm... Ich fände es schön, wenn wir mehr Events an der Schule hätten." Er sieht Lili an und wartet auf ihre Reaktion. Sie guckt nachdenklich, dann erhebt sie wieder ihre Stimme.

"Warum das? Das würde ziemlich auf das Budget einschlagen."

"Man kann auch vieles selbstmachen, wie zum Beispiel die Deko oder so. Die Materialien würden zwar auch etwas kosten, aber man kann auf dem entsprechendem Event ja dann noch Leute einladen, die nicht auf der Schule sind und Dinge verkaufen."

"Das stimmt auch wieder... Aber trotzdem, warum willst du so etwas veranstalten?"

"Ich war mal bei anderen Schulen auf ihren Festen und da fand ich es immer so toll, wie die Schüler und Schülerinnen zusammengearbeitet haben und ganz viel Spaß hatten. So etwas wollte ich dann auch mal machen."

Lilis Gesicht wirkt nachdenklich, sie starrt in die Ferne. Nach einer Weile Schweigen, in der er nicht gewusst hat, was er nun machen soll, fängt sie wieder an zu sprechen.

"Das ist eigentlich gar keine schlechte Idee... Ich werde sie notieren." Bevor sie etwas schreiben kann, fällt er ihr ins Wort.

"Warte mal kurz... Schreibt der Vize-Schülersprecher, in unserem Fall eine Vize-Schülersprecherin, oder der Schülersprecher die Sachen auf?" Sein Gesicht spricht von leichter Panik. Sie schaut ihn eine Weile ratlos und unverständlich an, dann bricht sie in Lachen aus. Es kullern ihr einige Tränen aus den Augen, weil sie zu stark lacht.

"Darüber machst du dir Gedanken?", kichert sie. Ihr Lachen ist hell und fröhlich, es war angenehm.

"Ist das schlimm?" Er errötet leicht. Dann fiel auch er in ihr Lachen ein, in ihrer Nähe fühlt er sich unbefangen und fröhlich, doch warum weiß er nicht. Sie lachen noch ein wenig, bis sie allmählich keine Luft mehr haben.

Lili nimmt einmal ganz tief Luft, dann antwortet sie mit ernster Stimme: "Normalerweise macht das der Protokollführer oder auch Schreiber oder wie man sie nun nennt, aber in unserem Fall kann ich es machen, wenn du willst." Sie lächelt.

"Wenn es dir keine Umstände macht..." Er lächelt zurück.

"Gut, dann sollten wir noch ein paar Themen festlegen, die wir morgen besprechen sollten."

"Ja. Ich finde als Thema sollten wir noch nehmen, was wir mit den Hinterlassenschaften von der vorherigen SV anfangen, manches brauchen wir ja nicht mehr."

"Ja, aber wir sollten auch über unser Budget sprechen, findest du nicht?"

"Stimmt. Das heißt wir haben 3 Themen. Ich finde das reicht fürs erste, die anderen haben sich auch noch Ideen."

"Okay, dann können wir jetzt Schluss machen, oder?" Sie ordnet ihre Notizen und packt sie wieder in ihre Tasche. Er bemerkt einen kleinen Plüschanhänger, der ihm irgendwie bekannt vorkommt.

"Lili?"

"Ja?" Sie sieht zu ihm und macht ein fragendes Gesicht. "Was ist los?"

"Woher hast du diesen Anhänger?" Er zeigt mit dem Finger auf das kleine, weiß und schwarz gefleckte Kätzchen mit einem rotem Halsband und einem Glöckchen in Silber.

"Die? Lass mich mal kurz überlegen... Ich glaube, in einem kleinem Laden in der Einkaufsstraße, warum fragst du?"

"Der Anhänger kommt mir so bekannt vor, aber ich weiß nicht mehr woher."

"Echt, er kommt die bekannt vor?" Ihre eine Augenbraue zuckt nach oben, sie ist scheinbar erstaunt darüber, dass ihm der Anhänger bekannt vorkommt.

"Warum bist du so erstaunt?"

"Ach nichts, mir kam es nur irgendwie merkwürdig vor, dass ein Junge so etwas wie einen Anhänger bemerkt und sich Gedanken darüber macht." Ihre Augen blitzen spöttisch auf. Der Wind, welcher durch das offene Fenster hereinweht, lässt das kleine Silberglöckchen fröhlich bimmeln.

"Ist das so ungewöhnlich?" Er ist ein wenig beleidigt.

"Für mich, die mit den ignorantesten Brüdern der Welt aufwachsen musste, schon, ja." Sie grinst frech. Dann schultert sie die Tasche und geht mit wehenden Haaren aus dem Raum. Bevor sie die Tür verlässt, dreht sie sich noch einmal kurz um.

"Bis übermorgen zur Sitzung, Schülersprecher", wobei sie 'Schülersprecher' mit einem leicht spöttisch-amüsiertem Unterton sagt. Dann ist sie auch verschwunden, er hörte nur ihre Schritte, die immer leiser werden. Aus irgendeinem Grund fühlt er sich erschöpft, er lässt sich auf seinen Stuhl nieder und seufzte.

Das verspricht interessant zu werden..., denkt er und schaut aus dem Fenster. Er sieht noch einmal die kurzen Momente mit ihr vor seinem Auge laufen.

Wie die Konferenz wohl werden wird... Ich sollte mich auch auf den Heimweg machen.

Markus packt seine Sachen ein und schließt das Fenster, doch vorher genießt er noch die Brise, die in der luftigen Höhe von fünf Stockwerken weht. Als er noch die Stühle und alles wieder ordentlich herrichtet, erinnert er sich wieder an das Buch, welches Lili vor seiner Ankunft gelesen hat. Er geht zum entsprechendem Regal und sieht sich dort um. Er schließt die Augen noch einmal und denkt nach, wo sie es hingesteckt hat. Ihm fällt es nicht mehr ein, also gibt er für heute auf.

Nun geht auch er aus dem Raum, er schließt die Tür leise hinter sich. Seufzend lehnt er sich noch einmal kurz an die Tür, dann schreitet er die Flure entlang, bis zum Eingang hinaus. Der Wind frischt auf und zerzaust ihm die Haare. Es ist ein warmer Spätsommertag.

Er bewegt sich auf den Ausgang zu, seine Gedanken werden erwärmt von der langsam abkühlenden Sonne und dem Gedanken an sie. Er weiß nicht, wieso, aber es heitert ihn auf, wenn er an sie denkt. Ihre freundliche Art, wenn sie gerade erst jemand kennengelernt hat, ihren kühlen und alles durchdenkenden Kopf während einer Aufgabe, ihre leicht freche Art, wenn sie ein wenig aufgetaut ist. Es war ihm so, als ob er aus einem neuem Stern angekommen ist, den es zu erkunden gilt. Sein Herz hüpft vor Aufregung, doch er versucht, sich nichts anmerken zu lassen.
 

Die Sonne ist kaum noch zu sehen als Markus endlich zu Hause ankommt.

Unterwegs hat René ihn noch überrascht und sie haben noch etwas geredet und sind ein wenig herumgeschlendert. Markus hat ihm gesagt, dass die Sitzung erst übermorgen stattfinden würde und er mit Lili die Themen besprochen hat. Er hat seinem bestem Freund nichts über die Gedanken und Gefühle erzählt, welche er manchmal kurz gegenüber Lili empfand.

Nun, nach einer geschätzten Ewigkeit, sitzt er in seinem Zimmer auf seinem Bett und starrt an die Decke.

Denkt nach.

Starrt die weiße Decke an.

Und denkt nach.

Seine Gedanken schweifen immer wieder zu ihr zurück, er befürchtet, seine Hausaufgaben nicht mehr machen zu können. Doch, wider Erwarten, geht ihm alles leicht von der Hand, die Gedanken an sie sind wie weggeblasen seit er eine Arbeit hat, die es zu erledigen gilt. Erleichtert und konzentriert rechnet er seine Mathehausaufgaben, löst die Deutschaufgaben und schreibt einen Text über verschiedene Substanzen für Chemie.

Gerade als er den letzten Punkt setzt und seine Sachen einpacken will ruft seine Mutter ihn zum Abendessen.

"Komme!", ruft er zurück und beeilt sich nach unten zu kommen. Unten angekommen wartet schon der Rest der vierköpfigen Familie.

"Wie immer Letzter", tadelt seine zwölfjährige Schwester Joana.

"Ich bin schließlich vielbeschäftigt." Er setzt sich neben seinen Vater, gegenüber von Joana. Seine Mutter kommt gerade aus der Küche und trägt einen großen, dampfenden Topf.

"Hmm... Hast du Eintopf gekocht?", fragt sein Vater und schnuppert in der Luft, bevor er weiterredet, "Eintopf à Lente, gewürzt mit ein wenig Rosmarin und auch einen Hauch von Chili, habe ich recht?" Er lächelt ihr triumphierend zu.

"Ja, aber das war ja zu erwarten von meinem Fünfsternekoch." Sie stellt den Topf in der Mitte ab.

"Du bist doch auch eine!", lacht sein Vater und nimmt den Deckel vom Edelstahltopf. Dampf, viel, viel Wasserdampf steigt auf und verbreitet ihm Raum einen angenehmen Geruch nach vielen Gewürzen.

"Chili?", Joana macht einen entsetzten Gesichtsausdruck.

"Ja, Chili." Das Lächeln seiner Mutter wirkt furchteinflößend. Sie ist normalerweise eine liebevolle Mutter, aber wenn es um ihr oder Vaters Essen geht, besteht sie darauf, dass alles gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Es ist für sie wirklich ein Glück, dass niemand aus der Familie an einer Allergie leidet.

Sein Vater schaufelt sich schon seine erste Portion auf seinen großen Spezialteller. Der Spezialteller ist riesig, er hat ihn irgendwann selbst getöpfert, weil er keine Lust mehr auf die "mickrigen Porzellanteller der Industrie" hatte.

"Ich will auch noch etwas!" Markus versucht seinem Vater die Kelle abzunehmen, hatte aber erst Erfolg als er ihn ihm freiwillig gegeben hat. Er nimmt sich schnell eine Portion, gibt die Kelle weiter und fängt an zu essen. Die Luft ist voller Gemütlichkeit und erfüllt vom Essensgeruch. Sie lachen und reden. Seine Mutter und sein Vater erzählen sich Rezepte, die sie heute neu entwickelt haben und er spricht mit Joana über die Schule und erfährt, was sie verbessern würde.

Es ist ein wirklich schöner Tag heute gewesen, denkt er vor dem Einschlafen.
 

Die nächsten Tage bis zum Ende der Woche verliefen ereignislos, die Sitzung ist ein voller Erfolg gewesen. Mit Lili verstand er sich auch immer besser. Er erfuhr auch, dass sie eine Katze besaß und vieles mehr. Sie wurde ihm von Tag zu Tag lieber.

Am Wochenende ging er zu René die neusten Spiele ausprobieren. Es waren einige Gute, aber auch einige wirklich Schlechte dabei. Die Zeit mit René tat ihm gut, er fand es schön wieder mal Zeit mit ihm verbringen zu können, da beide in den Sommerferien nie Zeit gefunden haben sich zu treffen.
 

Das Wochenende ist vorbei und er steht am Montagmorgen wie jeden Schultag auf um zur Schule zu gehen. Der Bus ist genauso voll wie jeden Montag, wie immer trudeln nach und nach auch René, Victor und Friedrich ein.

Der Himmel ist trüb. Trüb und grau, dicke Regenwolken verdecken das strahlende Blau dahinter.

Gut gelaunt gehen er und meine Freunde durch das Schultor, den kurzen Weg zu dem Schulgebäude entlang. Noch hat der Regen nicht begonnen, aber er ist sich sicher, dass es nicht mehr lange dauern würde. Er entdeckt in den Schülermassen, welche auch zu Schule schlendern, Lili.

Er ruft ihren Namen, doch sie reagiert nicht. Hat sie ihn nicht gehört? Er ruft sie nochmal, wieder nichts. Er gibt es auf, da sie in der Schülermenge verschwindet. Ein wenig verwirrt geht er weiter und schweigt, denkt nach. Die anderen reden weiter, er nicht. Er bemerkt ebenfalls nicht, welcher Art Renés Blick ist, der auf ihn gerichtet ist.

Ich frage mich, warum sie mich nicht gehört hat. Ich habe doch laut genug gerufen, oder? Sie hat ja auch ein erstaunlich gutes Gehör, wie ich finde. Ob sie mich absichtlich ignoriert? Ich sollte aufhören mir Gedanken zu machen, das ist ja peinlich und ich werde noch depressiv...

Er hebt den Kopf und atmet kurz durch, dann wendet er sich wieder seinen Freunden zu und beteiligt sich am Gespräch. Er verbannt sie aus seinem Kopf und denkt nicht mehr weiter darüber nach.

Das Klassenzimmer erreichen sie ohne weitere Zwischenfälle und auch die Stunden und Pausen sind so wie immer. Nach Schulschluss macht er sich auf den Weg zum SV-Raum, da er und Lili sich dort treffen wollten, um über weitere Dinge zu reden. Er klopft kurz an und öffnet dann die Tür. Sie ist noch nicht da. Er setzt sich schon einmal und nimmt einen Notizblock und einen Stift aus meinem Rucksack heraus.

Danach wartet er. Und wartet.

Wann kommt sie denn endlich? Er sieht auf die Wanduhr. Sie war schon eine halbe Stunde zu spät. Normalerweise bin ich ja der Zuspätkommer... Er streckt sich und bettet dann seinen Kopf auf seine Arme ein. Unwillkürlich sinkt er in das Traumland und schläft ein.
 

Etwas, nein jemand, rüttelt ihn. Murrend schlägt er die Hand weg, er hat doch so gut geschlafen, warum musste ihn jemand wecken?

"Steh auf." Es sind kurze, knappe Worte. Die eisige Stimme kommt ihm vertraut vor. Überrascht schreckt Markus hoch und sieht in das nicht gerade freundlich blickende Gesicht von Lili. Sie wirkt genervt und hat auch eine andere Ausstrahlung als sonst.

Er braucht noch einen Moment um sich zu fassen.

"Oh, entschuldige. Bin ich eingeschlafen?" Er versucht um einen versöhnlichen Tonfall.

"Das bist du anscheinend." Ihre Stimme schneidet durch die Luft wie Eiszapfen.

"Äh.. ja. Ähm... Fangen wir an?" Plötzlich ist das warme Gefühl, welches er immer in ihrer Nähe verspürt hat, verschwunden.

"Das wollte ich schon längst." Sie ist kühler als letzte Woche, kälter und schob ihn immer weiter von sich weg. Da ist keine Nähe mehr, die er verspüren könnte, nur noch dieses eisige Etwas. Knapp und ohne viele Worte besprechen sie die Angelegenheiten, er fühlt sich unwohl. Nachdem alles besprochen ist, geht Lili direkt nach Hause. Er verweilt noch eine Weile im Raum.

Er seufzt. Er sackt zusammen, schüttelt den Kopf und versteht nichts mehr.

War das eben gerade wirklich Lili?

Er schließt die Augen, das Gesicht der Decke zugewandt. Atmet ein, atmet aus. Ein und aus, ein und aus. Beruhigt sich wieder und verbannt Gedanken an sie aus seinem Gedächtnis. Danach steht er auf, packt seine Sachen und verlässt den Raum.

Hinter der Tür steht René gedankenverloren. Sofort breitet sich auf Markus Gesicht ein Lächeln aus. Er tippt seinen Freund an.

"Hey."

Etwas verschreckt zuckt René zusammen, doch als er Markus sieht, lächelt er.

"Was machst du hier noch? Die Schule ist doch schon längst aus."

"Was machst du...", René stupst Markus an der Schulter an, "… noch hier?"

"Wollen wir noch etwas unternehmen? Ist ja noch ein wenig Zeit", umgeht Markus die Frage. René mustert ihn misstrauisch, dann willigt er ein. "Warum nicht?"
 

Sie schlendern den Weg von der Schule bis zu seinem Haus entlang, nehmen Verlängerungen und unterhalten sich über dies und das. Es herrscht eine angenehme Atmosphäre, Markus entspannt sich sichtlich vergisst für eine Weile alles, was bisher geschehen ist. Lacht ungezwungen und bemerkt auch nicht die erleichtert wirkenden Blicke, die René ihm zuwarf. Er fühlt sich wieder wie ein kleiner Junge, der nicht viel weiß, aber weiß, wie wundervoll diese Welt sein kann.

An seiner Tür verabschiedet sie sich und René geht die wenigen Nummern zu seiner Straße allein. Markus verschwindet im Haus und sieht nicht mehr, wie das Lächeln auf Renés Gesicht erstarb und einem nachdenklichem Gesichtsausdruck Platz macht.

"Ich bin wieder da-ha!", sagt Markus laut und schließt die Türe leise hinter sich.

"Ich hab es bemerkt!", ruft Joana noch lauter zurück.

"Keinen Brüllwettbewerb in meinem Haus!", schreit seine Mutter am lautestem zurück.

Markus schüttelt lachend den Kopf und steigt die Treppen zu seinem Zimmer hinauf. Mit Leichtigkeit erklimmt er die wenigen Stufen hüpfend, gut gelaunt. Seine Schwester, die gerade runtergehen will, mustert ihn so, als wäre er ein Alien. Ihm macht das nichts aus, er geht einfach seiner Wege.

In seinem Zimmer angelangt lehnt er sich kurz an die Tür um neue Kraft zu schöpfen, dann nimmt er seine Sachen aus seinem Rucksack und will sich an die Hausaufgaben machen, doch dann überfluten ihn die Gedanken an Lili. Er hält inne und sieht die Bilder vor seinem Auge vorbeilaufen. Lili, wie sie lacht und dann ihre ausdruckslose, kalte Miene. Er schüttelt den Kopf, vertreibt die Gedanken aus seinem Kopf eisern und konzentriert sich auf die Hausaufgaben.

Schnell hat er sie erledigt und hat nun keine Beschäftigung mehr. Er setzt sich auf sein Bett und überlegt, schaut auf seine silberne Wanduhr über seinem Schreibtisch. Seine Mutter würde bald das Abendessen anfangen zu kochen, Joana sitzt wahrscheinlich an ihrem Projekt für Physik, das sie allein machen musst, und sein Vater liest wahrscheinlich.

Er lässt sich nach hintern auf sein Bett fallen und beobachtet die Decke. Während er nichts tuend herumliegt, kommen ihm wieder die Gedanken an sie.

Sie lacht, ist fröhlich. Dann wieder ihre kalten Augen, ihr schneidender Tonfall, die Distanz, welche wieder da war. Unwillkürlich füllten seine Augen sich mit Tränen.

Nein. Nicht, er will jetzt nicht weinen. Nicht deswegen. Er versucht, ruhig zu atmen, es gelingt ihm nach einer Weile.

Sie ist uninteressant, nicht wichtig. Er denkt immer wieder diesen Satz, versucht, es zu glauben. Versucht, es sich selbst einzureden.
 

Die komplette nächste Woche geht Markus Lili soweit wie möglich aus dem Weg, auch sie scheint ihn zu meiden, doch das macht ihm nichts aus, jedenfalls redet er es sich ein. In Wirklichkeit nagte immer etwas an seiner Ruhe, aber selbst wenn die Beiden zusammen sind, fühlte er sich unwohl.

Markus versucht sich nichts anmerken zu lassen und bemüht sich um ein halbwegs normales Gespräch mit ihr. Sie weist ihn aber immer wieder ab und auf SV-Sitzungen schweigt sie auch.

Eine Woche nach ihrer Veränderung sitzen die Beiden wieder bei einer Vorbesprechung zusammen, niemand sagt etwas oder fängt an. Lili scheint ihn komplett zu ignorieren, er gibt sich Mühe, sich nicht allzu sehr aufzuregen.

"Wollen wir anfangen?", fragt er freundlich und mühte sich um eine gefasste Stimme.

"Ja." Ihr Antworten scheinen immer kürzer zu werden.

"Was denkst du denn über ein Event in einem halbem Jahr?", sprach er das Thema an, um das es bei der nächsten SV-Sitzung gehen soll.

"Keine Ahnung." Nun ist sie nicht mehr kalt, nur noch desinteressiert.

"Findest du das nicht verfrüht oder so?" Seine Stimme zittert ein wenig, er versucht ruhig zu bleiben.

"Weiß nicht."

Er atmet ein und aus, versucht Ruhe zu bewahren, bevor er noch einmal versucht, sie zum Reden zu bringen. "Worum soll es in dem Event gehen? Ich finde, es sollte etwas Leichtes sein, was man auch in sechs Monaten schaffen kann."

"Wenn du meinst", lautet ihr Antwort, sie sieht ihn nicht einmal an, starrt nur aus dem Fenster.

Er kann seine Ruhe nicht mehr halten, und schlägt mit flacher Hand beherrscht leise auf sein leeres Blatt, welches vor ihm auf dem Tisch liegt.

"Wieso bist du plötzlich so?!", schreit er fast. Seine Miene zeigt die aufgestaute Wut und Verwirrung wegen ihr, die ihn mehr beschäftigt hat, als er zugeben würde.

"Ich bin was?", feindet sie giftig zurück.

"So... So..." Ihm fehlen die Worte. Er sieht sie kurz noch wütend an, dann sackt er erschöpft und kraftlos in sich zurück. Er legt die Hände vor sein Gesicht und schüttelt den Kopf, seufzt. Er wirkt erbärmlich, kann seine Erschöpfung nicht mehr verbergen, denn er hat sich mehr Gedanken um sie gemacht als ihm lieb ist.

"Du... bist auf einmal so... Wie soll ich sagen...", fängt er an, schafft es jedoch nicht bis zum Ende.

"Sei ruhig ehrlich." Ihre Stimme klingt relativ normal, nicht so unbeteiligt und kalt wie die letzten Tage, die letzte ganze Woche, die letzten Minuten, die ihm den Nerv geraubt haben.

"In der ersten Woche wo wir uns kennengelernt haben warst du so offen, ehrlich und freundlich. Fröhlich, voller Energie und Enthusiasmus. Aber jetzt...", er unterbricht wieder den Satz, bevor er ihn beendet, "… jetzt bist du so kalt, desinteressiert und abweisend. Ich verstehe das einfach nicht!" Seine Stimme zittert ein wenig, er klingt verzweifelt, überfordert. Er sieht die ganze Zeit den Boden an, hebt nicht den Blick. Er hat Angst. Angst, dass ihr eisiger Blick auf ihm ruht.

Es herrscht eine Zeit lang Stille zwischen ihnen. Sie bewegt sich nicht, er rührt sich nicht und bleibt in seiner nach vorne gebeugten Haltung sitzen. Die Hände vor dem Gesicht, er hat keine Kraft mehr und das gesagt, was er sagen wollte.

Ganz leise flüstert Lili einige Worte, dann geht sie aus dem Raum und lässt ihn verwirrt und auch einsam zurück.
 

Der nächste Morgen bricht an, Markus will nicht aus dem Bett. Gestern ist er seit langem alleine nach Hause gegangen, denn René ist nicht da gewesen. Er hat es eigentlich auch nicht bemerkt, er war zu gedankenversunken gewesen. Seine Gedanken umkreisten immer wieder dasselbe, jedes Mal nahm es ihm ein bisschen mehr von seiner restlichen Kraft.

Er wälzt sich hin und her, ignoriert gekonnt die Rufe seiner Mutter, die ihn wieder und wieder ruft, er solle aufstehen. Er wälzt sich auf die andere Seite des Bettes und verkriecht sich in seine Decke. Er atmet den Geruch seiner Decke tief ein, fühlt besser, nachdem er etwas Vertrautes in sich aufgesogen hat und schläft nochmal ein.
 

Jemand rüttelt an ihm, mürrisch schlägt er die Hand weg. Etwas Warmes nähert sich seinem Ohr, dann gellte ein Schrei durch die Luft.

"STEH ENDLICH AUF!!!"

Markus schreckt hoch und hält sich unter Schmerzen sein Ohr. Es pocht und schmerzt durch dieses laute Geräusch. Er hört eine Weile auf diesem Ohr nichts mehr, versucht erstmal herauszufinden, was die Geräuschquelle ist. Er sieht zuerst nur zwei vor Wut funkelnde, ihm vertraut vorkommende Augen. Die wütenden Augen seiner Mutter. Sie blickt ihn missbilligend an und redet, doch er versteht nur die Hälfte, da sein eines Ohr halb taub ist.

"Wieso... du? Es ist... Du musst... los! ...dich! … mich?"

Er schüttelte nur den Kopf und sagt laut und langsam: "Ich verstehe dich nicht!"

Daraufhin setzt sich seine Mutter auf seinen Schreibtischstuhl und wartet bis er sein Gehört wieder erlangt hat. Nach ungefähr zehn Minuten hört er wieder normal. Seine Mutter wiederholt die Sätze: "Wieso schläfst du noch? Es ist schon sehr spät. Du musst zu Schule, los! Sag mal, hörst du mich?"

"Wie spät ist es?" Besorgnis zeichnet sich auf seinem Gesicht.

"Du hast die ersten zwei Stunden verpennt und die Pause ist auch fast rum", erklärt sie sachlich und ohne große Sorgen. Die hat aber Markus, er springt aus dem Bett, zieht sich rasch um und schnappt sich seine Tasche. Danach rast er die Treppen hinunter und rennt zur Tür hinaus. Die ganze Zeit bis zur Schule behielt er sein Höchsttempo, keuchend und japsend kommt er an. Er bleibt kurz stehen um Luft zu holen, senkt den Kopf Richtung Boden.

Als er ihn wieder hochhebt, spürt er einen verächtlichen Blick auf ihn ruhen, der jedoch auch ganz dezent noch Sorge beinhaltet. Er sieht sich um, konnte jedoch nicht mehr die Quelle finden, denn der Unterricht beginnt jetzt. Hastig geht in er das Schulgebäude und setzte sich im Klassenzimmer angekommen neben René. Seufzend atmet er aus.

"Was ist denn passiert, dass du so spät dran bist?", flüstert dieser ihm zu, da der Lehrer gerade das Klassenzimmer betritt.

"Habe verschlafen", antwortet er knapp und dann schweigen sie beide und verfolgen den Unterricht.
 

In der Pause spricht René ihn wieder drauf an.

"Wieso hast du denn verschlafen?"

"Mir ging es nicht gut."

"Wieso denn das?"

"Ich hatte gestern einen anstrengenden Tag."

René hört auf zu fragen und nimmt es hin, doch man sieht ihm an, welche Sorgen es ihm bereitet. Markus jedoch bemerkt es nicht, denn er hält nach Lili Ausschau. Er entdeckt sie und entschuldigt sich kurz bei René und läuft auf sie zu. Sie wirft ihm einen vernichtenden Blick zu.

"Können wir heute nach der Schule nochmal kurz reden?"

Sie sieht ihn misstrauisch an, willigt jedoch ein. Erfreut geht er durch die nächsten Stunden und verabschiedet sich nach Schulschluss von seinen Freunden. Er wartet vor dem Schultor auf Lili. Sie kommt nach einer Weile heraus, bemerkt ihn und gesellt sich zu ihm.

"Was willst du mit mir besprechen?", fragt sie ungeduldig.

"Können wir ein Stückchen zusammen gehen?", weicht er zuerst noch aus.

Sie brummt zustimmend und sie gehen los. Er wirft ihr immer einen verstohlenen Blick zur Seite. Er atmet tief ein, dann fängt er an sein Anliegen zu erklären.

"Weißt du, ich habe nochmal nachgedacht und würde wirklich gerne verstehen, wieso du dich so verändert hast. Gestern bist du ja einfach...", er stockt kurz, lacht aber leise und führt den Satz sofort wieder zum Ende, "… gegangen." Lili schweigt und sieht nachdenklich den Weg an.

"Ich habe gestern nochmal nachgedacht und ich will mich gerne gut mit dir verstehen. Wirklich", sagt er weiter, als sie ihm nicht antwortet. "Wenn ich etwas falsch gemacht habe, sag es ruhig."

Sie öffnet den Mund um etwas zu sagen, klappt ihn dann aber wieder zu und überlegt weiter. Sie schlendern eine Zeit lang schweigend nebeneinander her. Wieder ergreift er das Wort: "Was muss ich tun, um nicht mehr in deiner Missgunst zu stehen?"

"Verschwinde. Komm mir nicht zu nahe." Ihre Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. "Bitte."

Das überrascht ihn. Er hat gedacht sie würde ihm nicht antworten, das war mehr, als er erwartet hatte.

"Warum?" Trotzdem trifft ihre Bitte ihn, er will ihn ihrer Nähe bleiben, bei ihr sein. Still wartet er auf ihre Antwort.

"Weil du sie wieder hervorgeholt hast." Knapp, sachlich und mit einem wütend wirkendem Unterton.

"Ich habe was?" Verwirrung zeichnet sich auf seinem Gesicht. Was soll er getan haben? Was hervorgeholt?

"Du hast diesen verdammten Karton wieder geholt!" Ihre Stimme wurde mit jedem Wort lauter bis sie ihn schließlich anschreit. "Nur wegen dir... Ich habe ihn doch ordentlich verschlossen!" Sie klingt fast hysterisch.

"Bitte Lili, beruhige dich." Er kommt langsam auf sie zu und versucht ihr eine Hand auf den Arm zu legen, doch sie weicht schnell aus. Ihre Haare verdecken ihr Gesicht und er weiß nicht, was sie gerade für ein Gesicht macht.

"Geht es dir gut?", fragt er zögerlich und nimmt seine Hand zurück.

"Warum... Ich habe doch...", murmelt sie vor sich hin, den Rücken ihm zugewandt.

"… was?"

"Einen Stein auf den Deckel getan", beendet sie den Satz.

"Wovon redest du eigentlich?" Er versucht die Ruhe zu bewahren, nicht auszurasten.

Sie dreht sich zu ihm um, ihr Gesicht hat keinen besonders definierbaren Ausdruck, doch es kommt ihm vor, als ob sie lächeln würde.

"Du hast den Karton mit diesem Gefühl wieder herausgekramt." Sie erklärt es bis hier, dann stoppt sie.

"Gefühl?" Langsam versteht er. Er prustet leise. "Du hast eine wirklich witzige Weise die Welt zu sehen, weißt du?" Der Wind frischt auf, Stille, nur das Rauschen des Windes durch die Blätter ertönt.

"Das hat man mir schon oft gesagt." Sie lächelt spöttisch. Dann sieht sie nach oben in den wolkenlosen Himmel. Zu ihm flüstert sie etwas leise, Markus hört es jedoch nicht.

"Jetzt da ich weiß was das ist, werde ich dir dein Leben noch schwerer machen, aber das ist dir sicherlich bewusst", er grinst frech. Nichts lässt an den verzweifelten Jungen von gestern erinnern.

"Natürlich."



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  nufan2039
2013-06-04T22:20:19+00:00 05.06.2013 00:20
Wirklich gute GEschichte und sie passt sehr gut zu dem Song. :)

Ich finde die Idee hinter der Geschichte ganz gut und du hast einen guten Stil, diese zu beschreiben. :)

DANke fürs Einsenden.


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