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Altair und der Wunderapfel

von

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Kapitel I

Kapitel I

Geschichten aus Tausendundeiner Nacht beginnen mit heißem Wüstensand, der unter den bloßen Füßen brennt, mit einem durch die sengende Hitze trottenden Kamel und einem Reiter, der in der nächsten Stadt zur Dämmerung absteigen und seinen Marktstand aufbauen wird. Er könnte ein Händler sein oder ein Verrückter, da er mehr dummes Zeug zusammenfaselt, als er verkaufen möchte. Er könnte ein weitgereister Fremder oder ein einheimischer Sohn Allahs sein. Und er könnte derjenige sein, der die Geschichte erzählt, denn er befindet sich dort, wo alles angefangen hatte: Auf einem Marktplatz in Masyaf.
 

Halt, Moment, die Geschichte habt ihr schon gehört, sagt ihr?
 

Nun ja, ihr habt vielleicht von Aladdin und der Wunderlampe gehört und, dass jene Geschichte des Nachts in der Wüste begann, mit der Wunderlampe. Doch dies ist, wenn ihr noch einmal den Titel eines Blickes würdigen wollt, die Geschichte von Altair und dem Wunderapfel und nicht die Geschichte des Wunderapfels.

Also beginnt die Geschichte, wie gesagt, auf einem Markplatz in Masyaf, beziehungsweise, sie begann dort, denn sie ist schon geschehen.
 

Es begann alles mit einem knurrenden Magen, einem überfüllten Marktplatz zu einer Stunde, in der die knackige Mittagssonne schon ein Stück gen Westen gezogen war und die Schatten sich schon langsam in die Länge zogen, einer Stange Weißbrot und einem jungen Mann, dessen Gesicht zum Schutze vor der Sonne unter einer Kapuze nur vage zu erkennen war. Er stand auf einem der Hausdächer, hatte sich bis eben fast schon in Sicherheit wiegen wollen, doch ein kurzer Blick über seine Schulter bewies ihm das Gegenteil. Ein ganzer Mob wütender Stadtwachen polterte ihm säbelschwingend hinterher.
 

Und das alles wegen einer Stange Weißbrot!?
 

„LASS MICH DEINE HAND FÜR MEINE TROPHÄENSAMMLUNG ABHACKEN!“, schrie der Fetteste von ihnen. Die Wachen verlangsamten ihren Schritt und kamen ihm bedrohlich nahe. Der junge Mann warf einen Blick nach unten. Er hatte die Wahl zwischen einer abgetrennten Hand und einem Sprung in den Wäschehaufen, den er erspähen konnte. Da ihm seine Hand eigentlich recht lieb war entschied er sich sehr schnell dazu mit etwas Anlauf einen mächtigen Satz über die Dachkante zu machen und eine halbe Umdrehung später mit frischem Wind um die Ohren rücklings in dem riesigen Berg an Kleidung, Bettlaken und Sonstigem zu landen.
 

Schnell raffte er sich auf, nachdem er den Zustand des ergaunerten Brotes überprüft hatte, schüttelte alle an ihm hängen gebliebenen Stücke ab und wäre beinahe mit einer dicken Frau zusammengestoßen, die er mit einem Ausfallschritt in letzter Sekunde umsegelte.

„Na Altair, machst du schon wieder Ärger um die Uhrzeit?“, lachte eine andere Frau, die zuvor mit der Dicken in einem wichtigen Gespräch über den neusten Tratsch und Klatsch der Stadt gesteckt hatte.

„Ärger gibt es nur, wenn man sich erwischen lässt“, sagte er mit überzeugter Stimme und knallte beinahe gegen eine weitere Dame von elefantösem Ausmaße – dachte er zumindest. Leider war es er dicke Stadtwächter, an dessen Bauch Altair abprallte. Hätte Fetti ihn nicht in ebender Sekunde am Schlawittchen gepackt, wäre Altair wohl auf seinem Hintern gelandet.

„Dachtest wohl, du könntest mir so leicht entwischen, Bursche!“, brummte er ihn an. Nie um eine aufrichtige Antwort verlegen erwiderte Altair, dass er nicht im Geringsten gedacht habe, es würde leicht werden, als der fette Kerl zu einem mächtigen Faustschlag ausholte, doch jäh von einem Federvieh attackiert wurde. Die Krallen des Vogels zogen Fettsacks Turban so in sein Gesicht, dass er kurzzeitig die Sicht und seine Orientierung verlor, Altairs Kragen los ließ und ihm so die Gelegenheit gab, zu entschwinden.

„Pünktlich wie immer, Abu“, schmunzelte Altair und schwang sich hinter der nächsten Ecke auf einen Stapel Fässer, um an ein Gerüst zu gelangen, auf dessen Spitze der Adler namens Abu bereits Platz genommen hatte. Ja, leicht würde das hier nicht werden, dabei hatte er sich doch nur genommen, was er sich nicht leisten konnte. Das betraf zwar einfach alles, dennoch war der Hunger das Einzige, was ihn zum Stehlen antrieb.
 

„Abschaum! Kröte! Schwerenöter!“, schrien sie ihm hinterher und wirbelten ihre Säbel wild herum und zerschnitten dabei Seile, die die Fässer eigentlich zusammenhielten. Altair fragte sich wirklich, ob einer von denen überhaupt mit den scharfen Klingen umgehen konnte. Die Dummheit der Wachen war allerdings keinesfalls ein Grund, um sich weniger Mühe bei der Flucht zu geben – eher im Gegenteil, er musste sich das zu Nutze machen. Von dem Geländer, an dem mittlerweile geruckelt wurde, um ihn abzuschütteln, sprang er an eine Hauswand auf der anderen Straßenseite und hangelte sich in eines der geöffneten Fenster hinein. Es folgten der Adler und ein paar Pfeile, die glücklicherweise nur den Fensterrahmen trafen und nicht die Damen, die sich in dem Zimmer aufhielten zu dessen anderen Seite ihn die Frauen jagten.
 

„Schon wieder auf der Flucht, Altair?“, „Mit dir steigt die Kriminalität bis in den Himmel hinauf!“ und „Hättest du Eltern, würden sie sich für dich schämen!“, quietschten sie und scheuchten in hinaus. Anonym zu sein gefiel ihm zwar besser, jedoch kannten ihn die meisten in diesem Viertel. Alleine und auf der Straße groß geworden blieb ihm ja auch nichts anderes übrig, als sein Überleben mit Diebstahl und anschließender Flucht zu bestreiten. Er zweifelte auch stark an, dass sein Name tatsächlich sein wahrer Name war. Doch man hatte in seit jeher so genannt: Altair, der fliegende Adler. Immer auf der Flucht, den Wachen einen Sprung voraus, waghalsig und vogelfrei.
 

Er landete wieder da, wo die Jagd begonnen hatte: Auf dem Markplatz. Sich hinter einem Kerl, der soeben seinen durchtrainierten Körper und angebliche Kraft und Stärke der staunenden Masse präsentierte, vorbeischleichend, bog er in eine schmale Gasse ein, die mit einer Herde Schafe geflutet worden war. Über der Anhäufung von weißer wattig-flauschiger Wolle, zog Abu seine Kreise und sah sich nach der nächsten Fluchtgelegenheit um. Die Wachen waren ihnen immer noch auf der Spur.

„Packt diesen kleinen Teufel!“, polterte es hinter ihm. Schafe begannen zu blöken, weil sie nicht hin und her bewegt werden wollten und offensichtlich hatte Abu sich sogleich von einem Stand voller Edelsteine, Perlen, Schmuck und Diamanten ablenken lassen.

„Verschwinde, du Scheusal“, kreischte eine hysterische Frau, während ein bärtiger Verkäufer nach dem Adler grabschte. Doch das einzige, was seine Hand erfühlen könnte, war ein warmer Haufen Vogeldreck, den Abu aus Notwehr abgeschossen hatte.
 

Altair hatte keine Zeit, um sich darum zu kümmern. Sie mussten zusehen, dass sie die Beine, bzw. Flügel in die Hand nahmen und in der Menge verschwanden. Vorbei an Fakiren, Schwertschluckern und allerlei virtuosen Körperkünstlern tauchte Altair in der Masse von Menschen unter und erspähte nach kurzer Zeit ein Gebäude, auf das er klettern konnte, um der tobenden Staatsgewalt zu entkommen. Mit etwas Anlauf erklomm er die Mauer an Rissen, hervorstehenden Balken und Fensterbänken, während ihm von der Erde aus aufgeregter Stimmenwirrwarr zukam. Es war Beleidigendes, aber auch Wohlwollendes und leicht Irritierendes, wenn die eine oder andere Dame ins Schwärmen geriet. Altair kletterte höher und höher, doch man war ihm immer noch auf den Fersen. So blieb oben angekommen nur eine Möglichkeit.
 

Von dem Giebel des Daches aus hatte man eine unglaubliche Sicht über die Stadt, der sanfte Wüstenwind fuhr ihm um die Nase und Altair schloss für einen winzigen Moment die Augen, um tief durchzuatmen und an dem Glauben festzuhalten, dass jener Sprung ihn nicht umbringen, sondern sein Leben um zumindest einen Tag verlängern würde. Adlerschreie drangen an sein Ohr und mit einem zufriedenen Schmunzeln ließ er sich fallen, breitete die Arme aus und flog für ein paar Sekunden allen Problemen, all der Armut und der Welt, der er wenig am Herzen zu liegen schien, davon.
 

Er landete rücklings in einem federnden Bett aus kratzigem Heu. Für einige Minuten versteckte er sich im inneren des riesigen Heuhaufens, lauschte den verwunderten und wütenden Wachen, hörte, wie sie sich nicht erklären konnten, dass der Brotdieb direkt vor ihren Augen gesprungen und anschließend verschwunden war. Sie rannten mehrmals an dem mit Heu überdeckten Altair vorbei und gaben schließlich auf, beschlossen ihre Suche in der nächsten Gasse fortzusetzen.
 

Fürs Erste war er gerettet.
 

Altair entstieg dem piekenden Gestrüpp und zupfte sich die an seiner Kleidung hängen gebliebenen Halme vom Leib während er hinter der nächsten Ecke verschwand und mit einem kurzen Pfiff nach Abu rief. An eine Mauer gelehnt glitt er langsam hinab und machte es sich auf dem warmen Boden bequem. Die Mahlzeit hatte er zwar gestohlen, doch sie würde seinem drückenden und unentwegt brüllenden Magenknurren ein wohlschmeckendes Ende bereiten. Er brach eine Ecke ab und überreichte sie Abu, der die Belohnung sanft mit dem Schnabel aus Altairs Hand pickte, um sie anschließend in hastigen Bewegungen und unter aufgeregtem Flügelschlagen zu verschlingen.
 

Altair lächelte schräg. Wenigstens einen Freund hatte er auf dieser Welt.

Er wollte eben voll Wonne in seinen Teil der Beute beißen, als seine Aufmerksamkeit von Klappern und Scheppern auf zwei im Müll und zwischen leeren Krügen wühlenden Kindern angezogen wurde. Sie hielten inne, als sie seinen durchdringenden Blick bemerkten. In ihren großen, dunklen Augen spiegelte sich der trübe Glanz des Hungers wieder. Wie vom Donner gerührt standen sie betreten da, nicht sicher, was sie tun sollten.
 

Und auch wenn sein Magen ein entsetzlich erbärmliches Geräusch von sich gab, erhob sich Altair leise seufzend und schritt langsam auf die beiden zu. Der Junge versteckte sich instinktiv hinter dem etwas größeren Mädchen, welches, überzeugt davon, dass Altair sie wohl gleich zum Teufel jagen würde, schützend ihre dürren Ärmchen ausbreitete. Altair verstand das nur allzu gut. In dieser Stadt konnte man nur den wenigstens Menschen über den Weg trauen. Er beugte sich ein klein wenig vor und reichte dem Mädchen den hart erkämpften Laib Brot mit einem leichten Kopfnicken. Altair war kein Mann großer Worte, doch die Geste wurde dankbar und herzlich angenommen. Den erleichternden Blick in den Kinderaugen zu sehen und das Richtige getan zu haben erleichterte für einen Moment den zerrenden Schmerz in seinem Bauch.
 

Er würde am nächsten Tag sicher wieder die Gelegenheit haben, sich etwas zu beißen zu organisieren. Für ihn war das im Gegensatz zu diesen kleinen Wesen verhältnismäßig leicht. Und außerdem… was hatte er denn auch schon sonst zu tun, außer den ganzen Tag lang nach Essbarem Ausschau zu halten und über die Dächer zu fliegen? Altair entschwand galant in einer anderen Seitengasse, nachdem Abu sich dazu entschlossen hatte auf seiner Schulter Platz zu nehmen und in Ruhe zu verdauen.
 

Lautes Getöse drang in Altairs Ohren. Angetrieben von einer natürlichen Neugierde schlich er zur Hauptstraße von wo der Lärm von Musik, vielen Menschen und aufgeheizter Stimmung herkam. Einige versperrten ihm die Sicht, so, dass er nach vergeblichen Streckversuchen, um besser sehen zu können, beschloss sich durch leichtes Schubsen und Drücken durch die Massen zu schlängeln. Er musste sich immerhin auch bemühen nicht gleich schon wieder auffällig zu werden, nachdem er die Wachen abgeschüttelt hatte.
 

Als er endlich Sichtkontakt zu der Quelle der allgemeinen Aufregung bekam, verzog er etwas das Gesicht. Er sah einen in Pink und Violett gekleideten Typen auf – natürlich – einem Schimmelaraber. Stolz ließ das Tier den aufgestellten Schweif im Wind wehen. Die alberne Feder auf dem Turban des Kerls wippte dazu im Takt. Irgendwie sah er peinlich aus und sah das selbst eindeutig anders.

„Der will wohl auch zum Palast“

„Ja, is‘ bestimmt wieder so ein Fürst, der seine Schwester oder Tochter mit dem Prinzen verkuppeln will“

„Mit dem, den keiner mehr zu Gesicht bekommt?“

„Ja, wahrscheinlich. Er soll zwar bald Sultan werden, macht aber keinerlei Anstalten zu heiraten, wie es scheint.“
 

Altair kam gar nicht dazu sich darüber Gedanken zu machen, was es mit dem hohen Besuch auf sich hatte. Dieselben Kinder, denen er sein Brot überlassen hatte, rannten soeben unbekümmert in ihrem Spiel über die Straße. Weder Pferd noch Reiter ließen sich dadurch ausbremsen, im Gegenteil. Offenbar war Herr Hochwohlgeboren der Meinung, dass er für nichts und niemanden stehen zu bleiben hatte, erhob stattdessen seine Peitsche und holte zu einem kräftigen Schlag aus.

„Aus dem Weg ihr dreckigen Rotzlöffel“, schimpfte er, doch seine Peitsche berührte nichts anderes, als Altairs Arm, als dieser sich zwischen die Kinder und das nun vor dem wilden Flügelschlagen Abus scheuende Pferd stellte. Mit einem kräftigen Ruck zog er den Reiter von seinem hohen Ross hinunter. Der feine Herr landete in einer riesigen Matschpfütze.

„Was fällt dir ein, du dreckige Straßenratte?“, zischte dieser. Sein schrecklicher Schnauzbart zitterte vor Ärger.

„So reich, wie ihr seid, sollten sie sich ein paar Manieren kaufen“, entgegnete Altair murmelnd und warf ihm seine Peitsche ins Gesicht, als der beschmutzte Edelmann sich soeben aufraffen wollte.

Wie ein zickiges Waschweib zeterte der Mann zurück: „Oh, na warte nur, du Lump! Dir bringe ich gleich ein paar Manieren bei!“ Und er hob in drohender Gebärde die Faust, seine Augenbrauen stellten sich auf wie das Fell einer Katze. Doch ehe er auch nur ansatzweise etwas unternehmen konnte, hatte Altair sich schon wieder in der Menge verdrückt und nahm am Rande einen Platz auf einer schmalen Bank zwischen einer verhüllten Frau und einem alten Tattergreis ein. Er beobachtete noch, wie Abu zum Abschied eine kleine Wenigkeit Vogeldreck auf dem Turban mit der albernen Feder hinterließ und wie der nicht mehr ganz so schillernd gekleidete Kerl sich erst noch verdutzt umsah, sich dann auf sein Pferd schwang und noch rief, in der Erwartung, dass Altair nah genug war, es zu hören: „Wie auch immer. Du bist nichts weiter, als ein ungehobelter Straßenköter. Du kommst aus der Gosse und du wirst auch in der Gosse sterben!“ Dann ritt er fort, durch das Tor des Palastes hindurch, welches mit einem lauten Knall hinter ihm ins Schloss fiel.
 

Die hohlen Worte prallten an Altair ab. Er wusste genau, dass dieses Leben nicht jenes sein konnte, das für ihn bestimmt war. Es musste mehr für ihn drin sein. Er war mehr, als ein armer Straßenjunge. Die Welt schien es nur noch nicht sehen zu wollen.

„Heh, und ich habe noch nie zuvor ein Pferd mit zwei Hintern gesehen“, lachte der Alte neben ihm heiser. Altair schmunzelte dezent und nickte dem senilen Greis kurz zu, bevor er sich langsam erhob und durch die sich auflösende Menschenmasse an der nächstbesten Hauswand hochklettere, um über den Dächern Masyafs davonzujagen und einen Schlafplatz für die Nacht zu suchen. Wenn es ein Heuhaufen nicht tat, so würde einer der Dachbalkone ausreichen.
 

Und trotz alldem, trotz der klirrenden Kälte in der Nacht, den Anstrengungen des Tages und seinem knurrenden Magen, konnte er den Anblick den Sonnenuntergangs hinter dem prächtigen Palast nicht nur bewundern, sondern auch genießen.

Eines Tages würde sich sein Leben ändern. Er musste es nur abwarten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Myu
2012-11-23T22:42:05+00:00 23.11.2012 23:42
Sehr schön,gefällt mir. :D


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