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Bleeding Hearts

Bis(s) dass der Tod uns nie mehr scheidet
von

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Eine Party mit Überraschung

Die Zeit bis zur Party kroch nur so dahin wie zäher Sirup. Jeder Tag kam mir doppelt so lang vor wie sonst. An Victors Verhalten mir gegenüber hatte sich bisher nicht viel geändert, es blieb immer noch bei ziemlich kurzen Gesprächen auf dem Schulflur und hin und wieder einem Lächeln im Unterricht, bei dem mir jedes mal ganz warm um mein Herz wurde.
 

Am Samstag Abend kam Lilly zu mir. Wir waren noch shoppen gewesen um uns mit anständigen Klamotten einzudecken. Ich hatte etwas von meinem gesparten Geld abgezwackt, weil ich genau wusste, dass mein Dad mir kein Geld für Kleidung geben würde, nur damit ich auf eine Party gehen konnte. Ich konnte froh sein, dass ich mir keine Gedanken darum machen musste wie ich ihm erklären sollte, dass ich auf eine Party ging. Wie vermutlich jedes andere Teenymädchen auch hätte ich mich eigentlich ordentlich bei ihm einschmeicheln müssen oder ihm wirklich gute Argumente geben müssen, damit er mich gehen ließe. Aber das Problem erledigte sich von alleine dadurch, dass Dad Samstag abends sowieso nie Zuhause war. Samstags ging er immer mit seinen Kumpels zum Bowlen und anschließend etwas trinken. Meistens kehrte er erst in den frühen Morgenstunden zurück und war dann die nächsten zwölf Stunden nicht mehr ansprechbar. Bis dahin wäre ich schon längst wieder zurück, oder ich würde ihm auftischen, dass ich kurzfristig bei Lilly übernachtet hätte. Das würde er mir auf jeden Fall glauben. Lilly hatte ihren Eltern von vornherein gegenüber behauptet, dass sie heute Nacht bei mir schlafen würde. Unsere Alibis waren also gesichert.

Lilly hatte auch ihre ganze Schminke mitgebracht und fuhrwerkte nun in meinem Gesicht herum.

„Aber übertreib es nicht! Ich will schließlich nicht aussehen wie ein Clown.“

„Nur keine Sorge, du kannst mir vertrauen. Du wirst schon gut aussehen. Immerhin habe ich ja Übung im Schminken.“

Da hatte sie natürlich recht, immerhin schminkte sich Lilly jeden Tag für die Schule, und es sah nicht schlecht aus. Ich war wirklich heilfroh, dass ich sie bei mir hatte, und dass sie mir heute Abend zur Seite stand. Wenn ich ohne sie auf die Party hätte gehen müssen, ich wäre wahrscheinlich viel zu schüchtern gewesen.

Als meine Freundin fertig war begutachtete ich ihr Werk in Spiegel im Badezimmer. Ein zarter Hauch von hellbraunem Lidschatten, der gut zu meinen leuchtend grünen Augen passte. Ein wenig Wangenrouge. Kajal, Wimperntusche. Und natürlich rosa Lipgloss, dessen Farbton wunderbar zu dem Lidschatten passte. Meine Haare waren auch schon gemacht, Lilly hatte sie mit Hilfe von Lockenwicklern gelockt und anschließend zu einer kunstvollen Hochsteckfrisur aufgetürmt. Eigentlich sah das ganz hübsch, fand ich.

„Du bist wunderschön“, bekräftige Lilly und war sehr zufrieden mit dem, was sie mit mir angestellt hatte.

Ich selber war mir zwar noch nicht ganz so sicher, ob ich mir gefiel, denn immerhin war das ein völlig anderer Style als der, in dem ich mich sonst zeigte, aber vielleicht gewöhnte ich mich ja noch daran. Zumindest hoffte ich das.

Nun konnte ich mir endlich mein Kleid anziehen. Es war aus einem schönen weichen Stoff und dunkelgrün, so dass es wunderbar zu meinen Augen passte, wie Lilly fand. Jedenfalls hatte sie das behauptet, als sie es mir im Laden in die Hand gedrückt und mir befohlen hatte es zu kaufen, nachdem ich es anprobiert hatte. Es war so schmal geschnitten, da konnte man wunderbar meine Figur sehen. Mir war das noch nicht so ganz geheuer, aber das würde schon gehen. Dazu würde ich meine weißen Sandalen tragen. Was anderes hatte ich nicht, nur Turnschuhe und Stiefel. Was Kleidung an betraf war ich eigentlich immer mehr der praktische Typ gewesen. Aber ich konnte ja nicht aussehen wie ein Bauerntrampel, wenn ich mich dem Schulschwarm Victor Blackraven auf eine Party ging!
 

Lilly und ich waren gerade rechtzeitig fertig mit schminken und umziehen, als es vor meinem Haus hupte.

„Oh mein Gott, da sind sie!!!“

Lilly packte mich am Arm und zerrte mich die Treppen hinunter. Sie ließ mir gerade noch genug Zeit die Haustür abzuschließen und den Schlüssel in meiner Handtasche zu verstauen. Draußen auf der Straße stand Jason Blackravens schwarzer Kombi, der mich immer ein wenig an einen Leichenwagen erinnerte. Es war mir nicht ganz geheuer in ein Gefährt einzusteigen, das eine solche Assoziation in mir hervorrief, aber ich hatte doch keine Wahl. Lilly schubste mich unbarmherzig vorwärts, sie freute sich richtig auf den Abend. Wieso auch nicht? Immerhin war dies das erste mal, dass eine von uns beiden explizit zu einer Party eingeladen worden war.

Jason saß hinter dem Steuer und blickte irgendwie finster drein. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich ihn noch nie hatte lächeln sehen. Er fixierte mich mit seinem eiskalten Blick und ich fühlte mich nicht so ganz wohl. Aber sein Bruder Victor, der auf der Beifahrerseite saß, stieg sofort aus, als er Lilly und mich über den Gehweg kommen sah, und begrüßte uns.

„Ah, sehr pünktlich, die Damen. Darf ich ihren Arm nehmen, Madame?“

Er nahm meine Hand und öffnete mir die hintere Autotür, so dass ich einsteigen konnte.

„Deine Freundin kann vorne bei meinem Bruder sitzen.“

Ich hatte Victor erzählt, dass ich Lilly mit auf Richards Party nehmen würde, denn immerhin waren wir beide beste Freundinnen, schon seit unserer Kindheit, und da musste sie einfach mit! Ich war so froh, dass Victor mir dann gesagt hatte, dass das kein Problem sei, und sie dann mit Jason gehen könne. Und Lilly hatte absolut nichts dagegen gehabt.

Sie saß vorne auf dem Beifahrersitz und versuchte sich mit Jason zu unterhalten. Der gab ihr zwar Antworten, aber die waren kurz und einsilbig Offenbar hatte er keine große Lust dazu sich mit seiner Begleitung für diesen Abend zu unterhalten. Und ich fragte mich ob er das hier überhaupt freiwillig mitmachte, oder ob Victor ihn irgendwie dazu überredet hatte. Normalerweise verstanden sich die beiden Brüder sehr gut und waren ein prima Team. Aber ich überlegte ob ich denn Lust dazu gehabt hätte, wenn Lilly ein Date gehabt hätte, der Typ einen Freund mitgebracht hätte und ich mich um ihn hätte kümmern müssen. Das kam dann wohl auf den Jungen an.
 

Die Fahrt zu Richard Deans Haus war nur kurz. Wir fuhren an dem Wald vorbei, der sich östlich von Moores Mill erstreckte, Richard wohnte ein wenig außerhalb der Stadt, aber da diese nicht besonders groß war, war die Strecke nur kurz.

Ich hatte kaum Zeit mich mit Victor zu unterhalten. Das wurde auch dadurch erschwert, dass Jason das Autoradio laut aufgedreht hatte. Es lief irgendeine düstere Rockmusik. Ich hatte vorher nie gewusst, was die beiden Blackraven Brüder für Musik hörten, aber als ich es dann hörte, wunderte es mich nicht. Irgendwie passte die Musik zu den beiden, die sich gerne in Jeans kleideten, schwarze Shirts trugen und dazu schwarze Lederjacken, wenn es nicht zu heiß war. Und natürlich trugen sie während der warmen Monate ständig Sonnenbrillen. Sie waren echt cool, und jeder coole Typ trug eine Sonnenbrille, das war ein ungeschriebenes Naturgesetz. Und ohne Sonnenbrille und Lederjacke konnte ich mir die beiden auch schlecht vorstellen.

Ich hatte einen Moment Zeit wwährend der Fahrt Victor und Jason miteinander zu vergleichen. Victor war blond, Jason hatte schwarze Haare. Sie waren wie Tag und Nacht. Victor war derjenige von ihnen, der mehr extrovertiert war, während Jason den lonesome wolf oder so verkörperte. Victor war derjenige von beiden, der sie anführte, so viel war mir klar. Und trotzdem waren sich die beiden so schrecklich ähnlich. Wenn man mal ihre Frisuren außer acht ließ sahen sie beide absolut identisch aus. Natürlich taten sie das, denn immerhin waren sie beide Zwillinge. Ihre Haut war beinahe schneeweiß. Das sah irgendwie vornehm aus, und ich mochte das. Da kam ich mir selber mit meiner vom Sommer tief gebräunten Haut wie ein Bauernmädchen vor. Die Gesichtszüge der beiden Brüder waren vollkommen eben, als wären sie wie gemeißelt. Sie waren einfach perfekt. Beinahe schon zu perfekt.
 

Jason parkte direkt vor Richard Deans Haus, so dass wir nicht weit laufen mussten. Das war auch ganz gut so, denn meine Sandalen hatten kleine Absätze, und mit den Dingern war ich noch überhaupt nicht geübt. Schließlich trug ich sie ja so selten. Ich befürchtete, dass ich an diesem Abend mindestens einmal umknicken und stürzen würde. Ich wollte mir das gar nicht erst vorstellen, das wäre einfach viel zu peinlich!

Während Jason ausstieg reichte mir Victor schon seinen Arm um mich hinüber zu dem Haus zu geleiten. Hinter uns folgten Lilly und Jason nebeneinander, aber auf die beiden achtete ich nicht besonders. Dazu war ich einfach viel zu aufgeregt und nervös!

Im Vorgarten standen vereinzelt ein paar meiner Mitschüler in kleinen Grüppchen zusammen, und alle starrten uns an, als sie uns bemerkten. Sie fingen an zu tuscheln, als sie mich sahen. Ich wusste nicht so recht ob ich das jetzt gut finden sollte oder nicht. Aber konnte es denn besser sein? Ich ging auf meine erste Party, sah umwerfend aus wie Victor mir im Auto noch versichert hatte, und ging mit dem coolsten Jungen der Schule auf eine Party. Ich fühlte mich wie in einem Traum!

Drinnen schlug uns laute Rockmusik entgegen, aber nicht so schlimme wie die, die Jason in seinem Auto hatte laufen lassen. Das hier war etwas, das auf jedem Musiksender lief. Kid Rock und so ein Zeug. Das war für mich viel erträglicher, obwohl das auch nicht unbedingt meine Musik war. Ich interessierte mich mehr für Pop. Ich mochte die Black Eyed Peas und die Pussycat Dolls, und noch so einige andere Bands und Sänger. Aber trotzdem hieß das nicht, dass die laufende Musik die Party für mich unerträglich machen würde. Nein, ich war absolut willens diesen Abend voll und ganz zu genießen!

Victor und sein Bruder ließen Lilly und mich stehen. Aber bevor er ging sagte er noch zu mir:

„Wir holen euch was zu trinken. Ihr trinkt doch Bier, oder? Wir sind gleich wieder da, also nicht weglaufen, die Damen.“

Er zwinkerte mir noch zu, und war sofort darauf mit seinem Bruder Jason verschwunden.

Ich blickte mich um und erkannte viele Kids aus meiner Schule. Diejenigen, die nicht gerade mit einem Gesprächspartner oder ihrem Becher voll Bier beschäftigt waren, beobachteten Lilly und mich. Anscheinend fanden sie es ziemlich ungewöhnlich, dass wir beide auf dieser Party anwesend waren. Ja, ungewöhnlich war es, und noch viel ungewöhnlicher waren unsere Begleiter. Wahrscheinlich hätte sich niemand von den hier Anwesenden sich träumen lassen, dass Victor Blackraven und sein Bruder mit zwei Außenseitern wie Lilly und mir jemals gemeinsam auf einer Party erscheinen würden.

Ich fühlte mich etwas beklemmt, ich war Parties nicht gewohnt, aber Lilly schien sich sofort wohl zu fühlen. Sie genoss die Aufmerksamkeit, die sie für einen kurzen Moment von den anderen Leuten bekam, bis diese sich wieder um ihre eigenen Angelegenheiten kümmerten und mit dem fortfuhren, was sie vor unserer Ankunft getan hatten. Tanzen, trinken, sich unterhalten. Hier und dort gab es auch knutschende Pärchen. Für einen Moment kam mir der Gedanke, dass ich das auch gerne tun würde. Also jemanden küssen. Ich hatte noch nie einen Jungen geküsst, und ich fragte mich wie das wohl sein würde. In Filmen wurde das immer als furchtbar romantisch dargestellt, und genau so stellte ich es mir vor, als wäre es so toll, dass man nur noch Musik in den Ohren hattte und alles um sich herum vergaß. Vielleicht, nur vielleicht würde ich ja das große Glück haben, dass... wagte ich es, es in Worte zu fassen? Vielleicht würde Victor mich ja küssen! Ich konnte kaum glauben, dass ich daran dachte. Das war absolut unwahrscheinlich, und trotzdem hoffte ich inbrünstig darauf.
 

Es dauerte eine Weile bis Victor und Jason wieder zu Lilly und mir stießen, jeder mit zwei Bechern in den Händen, von denen sie jeweils einen mir und Lilly reichten. Wir bedankten uns und Lilly nahm sofort einen Schluck. Man hätte meinen können, dass sie ein echter Partyprofi war, so wie sie sich hier aufführte. Ganz im Gegensatz zu mir, ich stand immer noch stocksteif da wie ein Brett und starrte auf das Bier in meinem Becher. Ich hatte doch noch nie Bier getrunken! Vorsichtig probierte ich einen Schluck und kniff die Augen zusammen. Igitt, war das bitter! Aber die beiden Jungs kippten den Inhalt ihrer Becher hinunter als würde er aus Wasser bestehen. Sie schienen das Zeug wirklich zu mögen, so wie alle anderen hier auch, Lilly eingeschlossen. Ich konnte das nicht wirklich nachvollziehen, aber tapfer trank ich noch mehr, denn schließlich wollte ich nicht wie eine Spielverderberin und Spießerin dastehen. Hoffentlich bemerkte niemand wie unbeholfen ich mich fühlte.
 

Zuerst machten wir nicht viel. Victor schleppte uns durch die Gegend und stellte uns ein paar seiner Freunde vor, die ziemlich erstaunt darüber waren, dass er ausgerechnet MICH mit zu der Party genommen hatte. Ein bisschen tat es schon weh zu sehen wie unbeliebt ich im Grunde doch war. Ich hatte es ja eigentlich immer gewusst, aber so bewusst wie heute war es mir noch nie geworden. Trotzdem versuchte ich cool zu sein, lächelte jeden an und trank tapfer mein Bier. Erstaunt stellte ich fest, dass man es besser runter bekam je mehr man davon trank.

Und dann tauchte Crystal auf.

Crystal war die Anführerin der Cheerleader an unserer Schule und sehr beliebt bei den anderen Schülern. Sie war blond, hübsch und hatte Geld. Und sie stand tierisch auf Victor. Wie eigentlich fast alle Mädchen an unserer Schule, nur dass jeder davon überzeugt war, dass sie die beste Wahl für Victors Freundin wäre. Was könnte denn besser passen als der beliebteste Junge und das beliebteste Mädchen? Eigentlich hatte auch ich immer erwartet, dass die beiden einmal ein Paar werden würden. Victor und Crystal waren auch oft zusammen, sie hing an ihm wie eine Klette. Sie schienen sich ganz gut zu verstehen, aber ein Paar waren sie bisher noch nicht geworden.

„Hey, Victor, da bist du ja endlich! Ich hab schon gehört, dass du da bist, aber dass du dich so lange vor mir versteckt hältst, das geht nicht.“

Sie strich um ihn herum wie eine Katze und versuchte mein Date zu bezirzen. Mich selber beachtete sie zunächst gar nicht.

„Ich hatte gehofft, dass wir uns hier treffen würden. Hast du schon was zu trinken oder soll ich dir etwas bringen.“

„Ich habe schon ein Bier, danke dir, Crystal.“

Mir gefiel nicht wie Victor die Cheerleaderin anlächelte. Und schließlich bemerkte Crystal auch mich, obwohl ich mich stark zurückgehalten hatte. Sie begutachtete mich abschätzend von oben bis unten und verzog ihr Gesicht, in das ich in diesem Moment liebend gern rein geschlagen hätte.

„Was macht DIE denn hier? Hast du dich verlaufen, Deer? Müsstest du nicht schon zuhause in deinem Bettchen liegen?“

Ich wollte ihr gern etwas bissiges erwidern, aber mir fiel auf die Schnelle einfach nichts ein. Leider war ich nicht gerade schlagfertig. Gott sei dank kam mir Victor zu Hilfe. Er legte seinen Arm um meine Schulter und ich wäre am liebsten sofort dahingeschmolzen.

„Ich habe sie eingeladen mich heute zu begleiten. Sie ist doch immer alleine, und ich weiß ganz genau, dass du keine Probleme damit hast ein Date zu finden, Crystal.“

Crystal blieb der Mund offen stehen.

„Aber ich dachte wir beide haben heute Abend ein Date.“

Sie blickte Victor verständnislos an, dann mich. Und als ihr Blick meinen traf war ich sehr froh darüber, dass Blicke nicht töten könnten. Ansonsten wäre ich vermutlich auf der Stelle gestorben.

„Heute Abend nicht, tut mir sehr leid.“

Und schon zog mich Victor davon, weg aus Crystals Einflussbereich. Ich konnte noch hören, dass sie mir irgendeine böse Verwünschung hinterher rief, aber die Musik aus den Boxen dröhnte viel zu laut, als dass ich etwas genauer hätte verstehen können. Das war bestimmt auch viel besser so.

„Mach dir nichts draus, sie ist nur eifersüchtig“, versuchte Victor mich zu trösten. Er drückte mich und ich fühlte mich gleich schon viel besser.

„Hast du Lust zu tanzen?“

Ich nickte, bekam aber gleichzeitig Panik. Ich konnte doch gar nicht tanzen! Ich würde mich bis auf die Knochen blamieren, ich wusste es ganz genau! Hastig nahm ich noch einen großen Schluck aus meinem Becher, dann war er leer. Victor nahm ihn mir aus der Hand und stellte ihn auf eine Kommode.

„Lass den einfach hier stehen. Jetzt tanzen wir ein bisschen, und dann hol ich dir noch ein Bier, wenn du magst.“

„Kann ich vielleicht vorher noch einen Becher bekommen?“

Ich merkte zwar wie der Alkohol mich etwas lockerer machte, aber es war noch lange nicht genug als dass ich mich mit Victor auf die Tanzfläche getraut hätte.

Mein Begleiter zuckte mit den Schultern und grinste lässig.

„Klar doch. Warte hier, ich bin sofort wieder zurück.“

Ich sah ihm nach wie er in einen anderen Raum verschwand wo ich die Küche der Deans vermutete. Mein Blick fiel auf Jason, der mit Lilly tanzte, mich dabei aber unentwegt beobachtete. Langsam fragte ich mich, was mit diesem Kerl los war. Dauernd starrte er mich an! Bei mir dachte ich, dass da doch irgend etwas nicht stimmen könne, aber bevor ich mir weiter Gedanken dazu machen konnte war Victor schon wieder neben mir aufgetaucht und drückte mir einen weiteren Becher Bier in die Hand. Ich bedankte mich, ganz so wie es sich gehörte.

Es war schon komisch, dass Victor ganz plötzlich wie aus heiterem Himmel so aufmerksam mir gegenüber geworden war. Dass das einen besonderen Grund hatte, das konnte ich zu diesem Zeitpunkt ja noch gar nicht ahnen.
 

Nachdem ich meinen zweiten Becher geleert hatte war ich bereits mehr als angetrunken. Ich fand dieses duselige Gefühl ziemlich komisch, schließlich war ich noch nie in meinem eben angeheitert gewesen. Aber es war doch irgendwie lustig, und iich fragte mich, warum ich das nicht schon viel früher ausprobiert hatte. Und langsam machte die Party auch viel mehr Spaß. Ich hatte mich sogar getraut ein wenig mit Victor zu tanzen, was ich mich nüchtern sicherlich nie im Leben gewagt hätte.

Doch nun zerrte Lilly, die Jason in einer Ecke hatte sitzen lassen, in einen der anderen Räume, wo gerade Singstar gespielt wurde.

„Na los, wir müssen mitmachen!“ rief sie mir zu und schleppte mich vor den Fernseher.

„Hier, wir sind die nächsten!“

„Nein, Lilly, das geht doch nicht...“

Ich versuchte mich ihrer zu erwehren, denn um vor allen anderen Anwesenden zu singen, dafür reichte vermutlich alles Bier der Welt nicht um mich betrunken genug zu machen. Leider hatte ich keine andere Wahl, denn mir wurde schnell ein Mikrofon in die Hand gedrückt. Lilly stand neben mir, ebenfalls ein Mikro in der Hand, und grinste mich fröhlich an. Sie schien auf dieser Party wirklich sehr viel Spaß zu haben.

„Na los, Stella, du schaffst das schon!“

Ich bildete mir ein, dass alle anderen um mich herum zu lästern begannen, ich würde bestimmt ganz schlimm singen, man sollte besser Oropax verteilen und solche Dinge. Ich war ein wenig paranoid, dachte ich, was so etwas anging. Ich redete mir gerne ein, dass man sich hinter meinem Rücken, oder in diesem Fall etwas offensichtlicher, über mich lustig machte.

Lilly wählte für uns beide ein Lied aus, „How you remind me“ von Nickelbeck. Ich kannte das Lied, natürlich kannte ich es, obwohl es schon so alt war. Aber gesungen hatte ich es nie. Ich war nur froh, dass ich mich an die Melodie erinnern konnte, und dass der Text über den Bildschirm des Fernsehers lief. Ich verhaspelte mich zwar hin und wieder, aber beim zweiten Refrain hatte ich es schon ganz gut raus und sang so gut ich nur konnte.

Ich sang sehr gerne, zumindest bei mir zuhause, wenn mich sonst niemand dabei hören konnte, denn das wäre mir sonst mehr als peinlich gewesen. Und auch auf dieser Party hätte ich wohl niemals gesungen, wenn ich nicht schon genug Bier in meinem Körper gehabt hätte.

Ich fand eigentlich, dass ich meine Sache gar nicht so schlecht machte, und als das Lied zuende war bekam ich sogar Applaus. Ich! Ich konnte es kaum glauben.

„Ich wusste gar nicht, dass du so gut singen kannst“, sagte einer.

Und von jemand anderem kam: „Wir sollten dich bei einer dieser Castingshows anmelden.“

„Das hast du toll gemacht!“

Ich wurde ganz rot bei so vielen Komplimenten. Das ermutigte mich später noch eine weitere Runde zu spielen, nachdem Lilly und ich für ein anderes Paar Platz an den Mikros gemacht hatten. Und auch diesmal waren alle begeistert. Ich hatte gar nicht gewusst, dass ich SO gut singen konnte, und ich freute mich sehr darüber. Auch Lilly war begeistert.

„Aber noch einmal spiele ich mit dir nicht, gegen dich verliere ich ja dauernd.“

Ich lachte, denn es stimmte. Lilly traf nicht jeden Ton, und punktemäßig lag ich bei jeder Runde stets weit vor ihr. Aber ich war froh, dass sie es mir nicht übel nahm. So war sie eben, meine beste Freundin.

Und später bekam Victor mich noch einmal dazu mit ihm zu tanzen. Es war sehr schön, und ich war schon sehr viel lockerer als zu Anfang. Ich machte mir nicht mehr so viele Gedanken darüber, dass ich beim Tanzen albern aussehen würde. Und wenn es so war, dann war es eben so, dachte ich mir. So spät wie es schon war würde eh kaum noch einer auf mich achten, also genoss ich die Zweisamkeit mit Victor.

Nur dass Crystal immer in seiner Nähe war und versuchte ihn mir abspenstig zu machen, was mir überhaupt nicht gefiel. Aber was sollte ich schon machen? Gegen sie kam ich nicht an. Also hoffte ich darauf, dass Victor nicht auf ihr übertriebenes und albernes Getue hereinfiel und den Abend über bei mir blieb. Ich hatte Glück, er wimmelte die lästige Crystal immer wieder ab, was der blonden Zicke natürlich überhaupt nicht gefiel. Diese blöde Thusnelda...
 

Irgendwann hatte ich völlig den Überblick über die Zeit verloren, oder auch darüber wie viele Becher mit Bier ich nun schon geleert hatte. Aber es musste schon reichlich spät sein, denn das Wohnzimmer, das zu Beginn des Abends noch brechend voll gewesen war, war nun nur noch spärlich bevölkert. Ich nahm mal an, dass viele schon nach Hause gegangen waren.

Ich musste mal auf die Toilette, die sich im oberen Stockwerk befand, und als ich wieder aus dem Badezimmer kam fing mich Victor auf dem Flur ab.

„Da bist du ja endlich.“

Hatte er auf mich gewartet? War es ihm lang vorgekommen? Vielleicht zu lang? Dabei hatte ich mich doch extra beeilt, weil ich ihn nicht hatte zu lange warten lassen wollen.

Ich war total fertig. Ich war es nicht gewohnt so lange auf zu bleiben, Mitternacht war schon lange vorbei. Außerdem hatte ich dazu noch so viel getrunken. Ich wollte eigentlich nichts lieber als nach Hause fahren, mich in mein Bett legen und drei Tage schlafen. Vermutlich sah ich auch genau so fertig aus wie ich mich fühlte. Ohje, dabei wollte ich doch gut aussehen für Victor. Aber selbst die ach so perfekte Crystal sah mittlerweile schon ziemlich fertig aus. Zumindest hatte sie das getan, als ich sie das letzte Mal zu Gesicht bekommen hatte, und das war schon ein Weilchen her. Ich hoffte, dass sie sich bereits nach Hause begeben hatte.

Kraftlos lehnte ich mich gegen die Wand, versuchte meine Augen offen zu halten und Victors Augen zu fixieren. Ich dachte er wollte sich noch ein wenig mit mir unterhalten. Mir wurde gar nicht so richtig bewusst, dass er noch völlig nüchtern zu sein schien, obwohl er mindestens 10 Bier getrunken zu haben schien. Ich hatte nicht mitgezählt, aber ich hatte gesehen, wie er das Zeug runter gekippt hatte wie Wasser. Also entweder war er Alkoholiker und gut in Übung, oder er hatte tatsächlich nur Wasser oder Apfelsaft oder was auch immer getrunken. Aber das konnte nicht sein, denn ich nahm seinen alkoholgeschwängerten Atem wahr, als sich sein Gesicht dem meinen näherte. Und wieder einmal stellte ich fest, dass sein Gesicht einfach perfekt war. Gesichtszüge wie in Marmor gemeißelt, und genau so blass, was ihm das Aussehen eines edlen Aristokraten verliehen hätte, wären da nicht seine zerzausten Haare und die Kleidung, die eines Adligen Mannes mehr als unwürdig war.

Victor kam immer näher.

„Darauf habe ich schon den ganzen Abend gewartet.“

Er hatte seine Stimme gesenkt, und sein Atem streifte über meine Haut. Er hatte eine Hand auf meinen Arm gelegt und war mir so nahe, dass kaum noch Platz zwischen uns war. Ein aufgeregter Schauer nach dem anderen jagte über meinen Rücken. Ich spürte die Spannung zwischen uns und wusste ganz instinktiv, was nun folgen würde.

Victor küsste mich.

Ich spürte seine weichen Lippen auf den meinen, und anders als ich es erwartet hatte waren sie ziemlich kühl, als hätte er einen späten Spaziergang in einer kühlen Winternacht gemacht. Aber er war sehr sanft. So sanft wie ich es ihm mit seiner coolen Art gar nicht zugetraut hätte. Ich hörte zwar keine Musik in meinen Ohren klingeln, wenn man einmal von der Partybeschallung aus der Stereoanlage aus dem Wohnzimmer im unteren Stockwerk absah, aber es war trotzdem wunderschön. Besser hätte ich es mir kaum vorstellen können. Das war er also, mein allererster Kuss! Ich war gleichzeitig nervös und und aufgeregt, aber trotzdem wollte ich mehr, und das bekam ich auch.

Ich legte meine Arme um Victors Hals. Er musste sich ein ganzes Stück zu mir hinab beugen, weil er mich um einen ganzen Kopf überragte. Seine Zunge drang in meinen Mund ein und spielte mit meiner. Ich war im 7. Himmel.

Ich weiß nicht mehr wie lange wir so dort herumgestanden und uns geküsst hatten, aber irgendwann löste sich Victor von mir.

„Ich denke es wird langsam Zeit nach Hause zu gehen, findest du nicht? Los, wir suchen Jason und deine Freundin, und dann bringen wir euch heim. Es ist schon spät, und hier ist kaum noch was los.“

Widerwillig stimmte ich ihm zu und nickte. Ich wäre nur mehr als gerne noch ein wenig hier geblieben und hätte sehr gerne noch ein bisschen mit ihm geknutscht. Das war so, als würde man einem kleinen Kind seinen allerersten Lutscher geben, es einmal daran lecken lassen und dann sagen, dass man ihn jetzt weg tut bis zum nächsten Mal irgendwann. Wirklich fies so etwas. Aber ich fügte mich trotzdem, ich war einfach schon viel zu müde. Und offensichtlich viel zu betrunken, um noch einen Aufstand in die Tat umzusetzen.
 

Ich ließ mich von Victor zu unserem Auto führen. Jason saß bereits hinter dem Steuer, Lilly wieder neben ihm. Eigentlich hätte ich es toll gefunden, wenn ich mit Victor hätte vorne sitzen können, aber wir mussten wieder nach hinten auf die Rückbank.

Lilly sah alles andere als fit aus, sie war schon halb am Schlafen. Ihre schminke war ein wenig verschmiert und sie hatte einen nassen Fleck auf ihrem Rock. Ich hoffte, dass es nichts Ekelhaftes war wie Erbrochenes oder Urin. Da ich zuvor noch nie auf einer Party gewesen war und diese nur aus irgendwelchen Filmen kannte, hielt ich alles für möglich.

Ich setzte mich hin und schnallte mich an. Sobald auch Victor neben mir saß und die Autotür geschlossen hatte ließ sein Bruder Jason den Motor an und fuhr los.

Zuerst brachten wir Lilly zu ihr nach Hause, und ich hatte einige Mühe sie bis zu ihrer Haustür zu bringen.

„Willst du ihr nicht helfen“, fragte ich Jason. „Immerhin warst du ihr Date heute. Müsstest du dich nicht darum kümmern?“

Doch Jason blickte mich nur finster an und sagte kein einziges Wort.

Ich schnaubte wütend, als ich mich unter Lillys rechten Arm klemmte und sie zu ihrer Tür brachte. Sie schien noch eine ganze Menge mehr getrunken zu haben als ich, aber schließlich war es geschafft, und ich konnte zurück zu dem Auto eilen. Dann fuhr Jason zu mir nach Hause.

Bevor ich die Autotür auf meiner Seite öffnen konnte war Victor schon ausgestiegen, um das Auto gelaufen und öffnete mir.

„Darf ich dich noch nach Hause begleiten?“

er grinste, und ich musste kichern.

„Aber natürlich doch.“

„Bekomme ich auch nichts mit einem Spaten über den Schädel gezogen, weil dein Dad die ganze Nacht aufgeblieben ist und sich fragt wo du steckst?“

Das wahr wohl sehr unwahrscheinlich.

„Nein, mein Dad ist nicht da, ich bin heute ganz alleine Zuhause.“

„Na dann muss ich mir ja wohl keine Sorgen machen. Puh.“

Gespielt erleichtert tat Victor so als würde er sich den Schweiß von der Stirn wischen.

„Wollen wir?“

Ich nickte und ließ mich von ihm bis zu meiner Haustür führen. Ich warf einen Blick auf Jason, der immer noch unbeweglich auf seinem Sitz saß und uns beobachtete. Also langsam wurde es wirklich unheimlich...

Und nun kam es, der Abschied. Das war immer was ganz besonderes, zumindest sagten das ziemlich viele Filme.

„Dann also gute Nacht“, stotterte ich nervös und nestelte an meinen Händen herum. Ich starrte auf meine Füße, die plötzlich unglaublich interessant zu sein schienen. Da war diese betretene peinliche Stimmung, ich wusste nicht was jetzt kommen würde.

„Das war wirklich ein sehr schöner Abend. Ich danke dir, dass du mich eingeladen hast.“

Ich konnte zwar immer noch nicht verstehen, was Victor dazu getrieben hatte ausgerechnet mit MIR bei Richard Dean zu erscheinen, aber ich wollte den Teufel tun mich darüber zu beschweren.

„Ich fand es mit dir auch sehr schön. Mit dir kann man gut etwas unternehmen. Das mag man gar nicht meinen, wenn man dich so in der Schule sieht.“

Ja, ich zeichnete wirklich kein gutes Bild von mir, so schüchtern und hässlich wie ich war.

Wir schwiegen beide eine kleine Weile, und ich wusste nicht so recht was ich tun sollte oder was jetzt passieren würde. Mein Problem erledigte sich von selbst, als Victor mich küsste, und es war sogar noch schöner als beim ersten Mal. Ich konnte immer noch das Bier auf seinen Lippen schmecken, das er heute getrunken hatte. Ich sank in seine zärtliche Umarmung und hätte auf der Stelle sterben können, so schön war es. Doch irgendwann ließ er mich wieder los, legte seinen Finger unter mein Kinn und zwang mich so ihn anzusehen. Als ob ich das nicht freiwillig auch liebend gern getan hätte!

„Also, dann wünsche ich dir eine gute Nacht, wunderschöne Stella Deer. Schlaf schön und süße Träume. Wir sehen uns übermorgen in der Schule.“

Dann wandte er sich von mir ab und stieg zurück in das Auto seines Bruders. Ich stand noch eine ganze Weile auf der Türschwelle meines Hauses und blickte dem schwarzen Gefährt nach, bis ich es nicht mehr sehen konnte.

Dann schloss ich schnell meine Haustür auf und eilte nach oben in mein Zimmer. Ich war furchtbar müde und wollte einfach nur noch schlafen, obwohl ich so aufgeregt war, dass mein ganzer Körper kribbelte und mich bestimmt nicht würde schlafen lassen.

Sobald ich mich meiner Kleidung entledigt hatte und in mein Nachthemd geschlüpft war kroch ich in mein Bett und deckte mich zu. Ich lag noch ein bisschen wach und dachte über alles nach, was mir an diesem Abend auf der Party passiert war, und wie wunderschön das alles gewesen war! Ich meinte immer noch den Druck von Victors Lippen auf den meinen zu spüren, seinen sanften Atem auf meiner Haut, seine zwei blauen Augen, die strahlendsten Saphire, die man sich nur vorstellen konnte. Sein Geruch in meiner Nase. Ich glaube ich hatte mich ernsthaft verliebt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  kiwy456
2012-11-08T08:13:20+00:00 08.11.2012 09:13
die geschichte finde ich echt gut

ich bin mal gespannt was das gemeinnis ist

mach bitte weiter

gruss kiwy456 =)


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