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Mycrofts Verrat

[BBC]
von

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Sherlock war jetzt seit einer Woche zurück. Nach 3 Jahren 2 Monaten und 18 Tagen.
 

John hatte ihn mit seiner Faust begrüßt – okay, eigentlich waren es zwei Fäuste gewesen. Aber seiner Meinung nach hatte er das auch verdient. Schließlich hatte John sehr unter dem Verlust gelitten und getrauert – und das, wie es sich nun herausstellte, vollkommen umsonst. Natürlich hatte Sherlock ihm alles erklärt, nachdem John sich ein wenig beruhigt hatte. Und fast schon selbstverständlich hatte John ihm verziehen. Was hätte er auch anderes tun sollen? Er hatte verstanden, dass Sherlock ihn, Greg und Mrs Hudson hatte beschützen wollen. Er hatte verstanden, dass Sherlock erst Moriartys Netz ausschalten musste, bevor er zurückkehren konnte. Und er verstand auch, dass Sherlock es alleine tun musste, da er, John, beobachtet wurde. Und dass er ihm aus dem gleichen Grund nicht sagen konnte, dass er noch lebte, da er dann sein Verhalten wohl geändert hätte.
 

Dennoch war sich nicht sicher, ob er wieder mit Sherlock in 221b einziehen sollte.
 

Was er allerdings nicht verstand, war der schwarze Wagen, der nun neben ihm hielt. In John kochte Wut auf. Mycrofts Verrat war es schließlich gewesen, der es Moriarty ermöglicht hatte, Sherlock so in die Enge zu treiben, dass sein vermeintlicher Selbstmord notwendig gewesen war. Und nein, er wollte nicht mit ihm reden. Daher ignorierte er den Wagen einfach und ging weiter. Er hatte schließlich noch anderes zu tun. Der Wagen fuhr an, sobald er an ihm vorbei gelaufen war, rollte ein paar Meter und hielt erneut, fast erwartungsvoll. Doch abermals hielt John den Blick starr geradeaus gerichtet und war mit einigen langen Schritten an dem Wagen vorbei.
 

Nachdem der Wagen ihn abermals überholt hatte, entstieg ihm diesmal nun eine ihm allzu bekannte Frau. Anthea. Glaubte sie denn, dass er nun mehr Interesse entwickeln würde, wenn er sie sah? Nein, definitiv nicht. Darüber war er hinaus. Er wich ein wenig zur Seite aus und wollte sich an der Dunkelhaarigen vorbeidrücken.

„Steigen Sie ein, Mr. Watson,“ sprach sie ihn an, ohne von ihrem Handy aufzusehen.

„Nein,“ erwiderte er schlicht und setzte seinen Weg fort.
 

„Steigen Sie freiwillig ein oder ich zwinge Sie dazu, einzusteigen,“ erklärte Anthea in neutralem Tonfall, noch immer ohne von ihrem Handy aufzusehen.

„Sie können mich nicht dazu zwingen, ich bin Soldat,“ entgegnete er, ohne sie dabei anzusehen. Er beschleunigte seinen Schritt und bemerkte erst, dass sie es ernst meinte, als ein stechend scharfer Schmerz seinen Kopf durchzuckte. Doch es war zu spät, es wurde bereits schwarz um ihn.
 

**
 

Als John wieder wach wurde, saß er ihn dem weißen Ledersitz des schwarzen Wagens, in den er sich so gewehrt hatte, einzusteigen. Er grummelte etwas Unverständliches vor sich hin, während er sich den schmerzenden Hinterkopf rieb. Dabei fiel sein Blick auf Anthea, die ihm gegenüber saß und ihr Handy bearbeitete, als wäre nichts geschehen. Er verdrehte die Augen und blickte aus dem Seitenfenster, um zu sehen, wo man ihn gegen seinen Willen hinbrachte und stöhnte innerlich, als er Begriff, dass sie auf dem Weg zu Mycrofts Diogenes Club waren.
 

Er überlegte, ob er einfach sitzen bleiben sollte, wenn der Wagen anhielt, aber das würde ihn nicht vor einem Gespräch schützen, Mycroft würde sich einfach zu ihm setzen. Er könnte allerdings einfach weggehen, daran konnte ihn keiner hindern. Genauso wenig, wie er gezwungen wurde, einzusteigen, dachte er sarkastisch bei sich. Er stieg aus, würdigte Mycroft, der ihn bereits am Straßenrand erwartete, keines Blickes. Wozu auch? Mycroft hatte seinen eigenen Bruder verraten, daran würde sich nichts ändern. Entschlossen schlug er den Weg ein, den ihn die Limousine gerade gebracht hatte, um zurück in die Stadt zu kommen. Unterwegs würde er sicherlich ein Taxi finden, das ihn zu seiner neuen Wohnung bringen würde.
 

„Ich musste es tun, John,“ rief Mycroft ihm hinterher. „Damit ich ihm helfen konnte.“

John hielt im Schritt inne.

„Oder wie glauben Sie, hat sich ein toter Mann drei Jahre lang finanziert?“

Mist, nun hatte Mycroft seine Aufmerksamkeit. Dabei war er so entschlossen gewesen, ihm nicht zuzuhören. Aber jetzt hatte er ihn bei seiner Neugier gepackt. Natürlich hatte Sherlock ihm alles erklärt, doch so etwas Simples wie die Finanzierung war nicht zur Sprache gekommen. Sherlock war zu beschäftigt gewesen, sich einen Job zu suchen, zumal das viel zu kompliziert gewesen wäre, wollte er weiterhin tot sein; vor allem für Moriartys Leute. Und er selbst hatte gar nicht so weit gedacht, war einfach nur froh gewesen, dass Sherlock wieder da war.
 

Langsam drehte er sich um und musterte Mycroft ausgiebig, der das duldsam über sich ergehen ließ und seinerseits ihn genau ins Auge fasste. Eine Weile starrten sie sich gegenseitig abschätzend an, bevor Mycroft schließlich mit der Spitze seines Schirms auf die schwarze Eingangstür des Clubs wies, sich dort hin drehte und einfach voran ging, ohne John noch einmal anzusehen. Der seufzte genervt und verdrehte die Augen. Natürlich ging Mycroft davon aus, dass er ihm folgen würde. Und er hatte leider auch Recht. John wollte jetzt wissen, was das Alles sollte. Also folgte er dem Älteren.
 

Erst in seinem Büro drehte Mycroft sich wieder zu ihm um. „Setzen Sie sich.“

Dem kam John auch nach, jedoch setzte er sich auf die äußerste Kante des Sessels, um sofort aufspringen und gehen zu können, falls ihm Mycrofts Ausreden zu abstrus werden würden. Er wusste mittlerweile selbst nicht mehr genau, warum er Mycroft gefolgt war. Es war doch alles klar, oder? Mycroft hatte Sherlock in den Selbstmord getrieben. Aber wenn die eine Hälfte dieses Satzes nicht stimmte, tat es die andere vielleicht auch nicht.
 

„Tee?“ bot Mycroft höflich an.

John verengte die Augen. „Nein.“ Auf Höflichkeiten hatte er keine Lust. Er war noch immer mehr als skeptisch. Er beobachtete, wie Mycroft sich selbst etwas von dem Getränk aus einer silbernen Kanne in eine ebensolche Tasse goss, bevor er sich auf einem Sessel John gegenüber niederließ und an seinem Tee nippte, während er John über den Tassenrand erneut einer Musterung unterzog.
 

„Ich nehme an, Sie wissen, dass ich einen ähnlich hohen IQ wie Sherlock habe und genauso gut deduzieren kann, wie er?“ begann Mycroft schließlich.

„Ja,“ antwortete John schlicht. Das war nichts neues, man munkelte sogar, dass Mycroft noch besser darin war, als sein jüngerer Bruder.

„Nun, das liegt in der Familie,“ erklärte Mycroft gedankenverloren und schwieg, währen er mehrere kleine Schlucke aus seiner Tasse trank.

John bemerkte, wie er ungeduldig wurde. Normalerweise war er ein Mensch, der sich nicht so einfach aus der Ruhe bringen ließ und Nerven wie Stahlseile besaß, aber er war nicht freiwillig hier und hatte eigentlich keine Lust auf dieses Gespräch – hinzu kam noch, dass Mycroft normalerweise schneller zum Punkt kam.
 

Auch der schien Johns Unruhe zu bemerken und hob wider den Blick von seiner Tasse. „Dann dürfte es Sie nicht überraschen, dass ich über das Gespräch am Pool unterrichtet bin? Ich meine den genauen Wortlaut.“

John rutschte unruhig auf dem Polster umher. Nein, es überraschte ihn nicht, aber er wusste nicht, warum Mycroft so weit ausholte. „Nein, sicherlich nicht.“

Mycroft lächelte schmal. „Es hat damit zu tun, dass Moriarty sagte, er wolle Sherlocks Herz heraus brennen und Sherlocks Erwiderung, er besitze keines. Nun, natürlich besitzt er eines, wie wir beide wissen.“ Erneut schwieg Mycroft, als würde er Johns Zustimmung erwarten.

Also tat John ihm den Gefallen und nickte.
 

„Dieses Herz besteht zum größten Teil aus Ihnen, John, seinem besten Freund.“

John verengte die Augen. Es behagte ihm nicht, als Sherlocks Herz bezeichnet zu werden, denn das war er sicher nicht. Zwar gelang es ihm manchmal, seinen Freund gefühlstechnisch in die richtige Richtung zu lenken, doch das war auch schon alles.

„Ein anderer Teil, wesentlich kleiner, besteht aus seiner Vermieterin, Mrs Hudson, die ihn wie einen eigenen Sohn behandelt. Sie war ihm mehr Mutter, als es unsere echte Mutter je war, denn diese ist genauso, wie wir.“ Das kalt und gefühllos und soziopathisch ließ er wissentlich weg, doch John konnte sich seinen Teil dazu denken.

„Nun, des weiteren natürlich Gregory Lestrade, auch ein enger Freund. Sie wissen, dass er ihm damals aus der Drogensucht geholfen hat?“ Mycroft sah John forschend an, doch der schüttelte den Kopf. Sherlock hatte nie über seine Drogenvergangenheit geredet, geschweige denn über die Rolle, die Greg offensichtlich darin innehatte.
 

Mycroft lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Sie können sich denken, dass auch ich einen winzigen Teil seines Herzens ausmache. Natürlich behauptet er immer, ich sei sein Erzfeind, dass er mich nicht ausstehen könne und dass ich ihn nerve. Aber wir sind Brüder. Und in dem Fall können wir nicht miteinander aber auch nicht ohne einander. Sie haben doch selbst eine Schwester, die Sie nicht sonderlich mögen. Dennoch würde es sie treffen, sollte ihr etwas Schlimmes zustoßen oder sie gar den Tod finden, denken Sie nicht?“

John brauchte nur wenige Sekunden, bevor er nickte. Natürlich war es furchtbar, dass Harry sich mit dem Alkohol kaputt machte und ja, sie hatten kaum Kontakt. Nur zu Weihnachten eine Karte und an ihren Geburtstagen ein Telefonat. Nichtsdestotrotz würde er um sie trauern, sollte es hart auf hart kommen.
 

„Das wusste Moriarty natürlich. Er hatte eine Liste, die Sherlocks Herz darstellte: Sie, Mrs Hudson, Lestrade und mich. Diese Personen müsste er umbringen, um Sherlock zu treffen. Also musste ich mich von dieser Liste herunter nehmen. Da das Band zwischen Geschwistern natürlich sehr stark ist, musste es etwas sehr drastisches sein, das ich Sherlock antun musste, damit Moriarty glaubt, wir hätten uns endgültig entzweit und dass es nicht mehr zu kitten sei. Dass ich kein Teil mehr von Sherlocks Herz bin. Ich wusste, dass Sherlock irgendwelche Pläne hatte, er ist schließlich nicht dumm. Also beging ich Verrat und zwar einen, den Moriarty mitbekommen musste. Und was lag näher, als Sherlock an Moriarty selbst auszuliefern?“
 

John sah Mycroft ungläubig an und schwieg. Er musste sich das alles erst einmal durch den Kopf gehen lassen.

Mycroft derweil stellte seine Tasse auf die dazugehörige Untertasse zurück und beobachtete seinerseits den ehemaligen Militärarzt.

Sie wussten beide, dass es funktioniert hatte: Moriarty hatte seine Männer nur auf John, Lestarde und Mrs Hudson angesetzt. War das jetzt ein genialer Schachzug oder war es nur erfolgreich, weil Moriarty gegen zwei brillante Spieler gespielt hatte und damit überfordert war?

Und Molly, von der John ja mittlerweile wusste, dass sie Sherlock geholfen hatte, seinen Tod vorzutäuschen, hatte nie auf besagter Lister gestanden, da sie für Moriarty einfach nur eine unwichtige Schachfigur war, da er Sherlocks Vertrauen in sie wohl unterschätzt hatte. Aber glaubte er Sherlock, hatte dieser dieses Vertrauen selbst erst realisiert, als sein Plan gereift war, Moriarty und seine Leute mit seinem fingierten Selbstmord zu überlisten.

Also hatte das Opfer des Königs die Bauern gerettet.
 

„Ich erwarte nicht, dass Sie mir verzeihen, weder jetzt, noch später. Ich möchte nur, dass Sie es wissen und darüber nachdenken und vielleicht irgendwann verstehen, dass ich so handeln musste. Im Übrigen fand Sherlock meine Handlungsweise logisch, weshalb er meine Hilfe annahm, die ich ihm anbot, denn auch mit unseren kleinen Streitigkeiten sind wir noch immer Brüder.“ Mycroft sah John kurz eindringlich an, doch der antwortete nicht. Er stand nur auf, um das Büro und den Club zu verlassen. Natürlich war das extrem unhöflich, doch er konnte nicht anders.
 

Er würde in der nächsten Zeit einigen Stoff zum Nachdenken haben.



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