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Geisterstunde

von

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Geisterstunde

Luna hätte aus irgendeiner düsteren Legende stammen können, wie sie, die kleine alte Öllampe in der Hand, vor mir durch den nächtlichen Wald stapfte. Die Kapuze ihres bodenlangen schwarzen Mantels hing ihr bis in die Stirn, ihr blondes Haar schillerte leicht im Licht des Mondes, das zwischen dem Blätterdach über uns hervorschielte. Mir war schon oft aufgefallen, wie schön meine beste Freundin war, doch heute schien es deutlicher als sonst. Genauso deutlich, wie man roch, dass es noch vor wenigen Minuten geregnet hatte. Alles wirkte wie reingewaschen, die Luft war schwer vom Blütenduft, einzelne Wassertropfen hefteten sich an mich, wenn ich mich an Ästen und Zweigen der Büsche vorbeischob, die den Pfad säumten, auf dem wir uns in Richtung Ruine bewegten. Die Ruine war seit ungefähr zwei Jahren der Treffpunkt unserer Clique, Luna hatte ihn entdeckt und uns begeistert vorgeschwärmt, wie genial es dort sei. – Und ganz nebenbei gäbe es einen tollen Nebeneffekt: Wir gingen niemandem auf den Geist und umgekehrt ging uns auch niemand auf den Geist. Es war wirklich unglaublich, was man sich alles anhören durfte, wenn man einmal angefangen hatte, ein bisschen anders zu sein, als die anderen. Und als ‚anders‘ konnte man uns – Momo, Tristan, Cindy, Bastian, Luna und Melina, also mich – ohne Zweifel beschreiben. Für Außenstehende, die absolut keine Ahnung hatten, waren wir ‚Die Gruftis‘, besser zu definieren als ‚Goths‘, was für viele wiederum ein Synonym für Satanismus ist. Aber wie gesagt, diese Leute haben absolut keine Ahnung. Nicht nur, was die Gothic-Szene angeht, sondern auch im Bezug auf uns. Wir selbst betitelten uns liebevoll als Teilzeitfreaks und verkörperten Gothic in abgeschwächter Form. Wir waren düster, aber nicht zu düster, wir gingen als Lebende durch und auch unser Kleidungsstil war höchstens ein bisschen ungewöhnlich. Im Prinzip waren wir einfach nur so anders, dass wir auffielen.

Aber genug geredet. Vor uns tauchte gerade unser Ziel auf: Die Ruine. Sie war – wie es Ruinen nun mal so an sich haben – verfallen und verwahrlost und Efeu zog sich an den Mauern empor. Im Innenhof hockte bereits der Rest der Truppe auf einigen Steinen um ein Feuer herum, Tristan hob die Hand und winkte uns zu. Ich erwiderte den Gruß mit einem Kopfnicken, Luna winkte auf geregt zurück, legte anschließend einen Zahn zu.

„Hey“, begrüßte sie die anderen fröhlich, „da sind wir!“

„Wurde aber auch Zeit“, murrte Momo, fuhr sich durch ihr kurzes schwarzes Haar und sah meine beste Freundin dann erwartungsvoll an. „Dann kann’s ja losgehen, oder?“

Tristan nickte, zog Luna auf seinen Schoß, stupste ihr mit der Nase gegen die Schläfe. „Na dann leg mal los.“

„Ich korrigiere“, warf ich ein, „ICH lege los. Luna hat mir das ganze Zeug gegeben.“ – Was typisch für meine beste Freundin ist. Ich, die liebe Melina, kann das ja mal machen. Seufzend ließ ich mich neben Bastian fallen, bevor ich meinen Rucksack vor mich zog, um darin herumzukramen. Nacheinander tauchten ein Glas und ein Witchboard auf, die ich neben dem Feuer auf unserem Steintisch platzierte. Es war, wie nicht anders zu erwarten, Lunas Idee gewesen, an Cindys Geburtstag geisterbeschwören zu spielen. Und wie immer hatte sie uns alle überredet, sogar Bastian, der kein Fan solcher Aktionen war, sondern am liebsten einfach nur schweigend mit uns am Feuer saß, ohne irgendwas zu tun. Die Einzige, die noch ein wenig Zweifel hatte, was unglücklicherweise das Geburtstagskind selbst – Cindy wusste nicht so recht, ob eine Geisterbeschwörung zu Beginn des siebzehnten Lebensjahres unbedingt die beste Idee war. … Was Luna allerdings herzlich wenig interessierte.

„Also“, sagte meine beste Freundin und sah uns alle nacheinander verschwörerisch an, „als erstes legen wir alle einen Finger auf das Glas.“ Sie machte es vor, wir folgten ihrem Beispiel. Als letztes ließ Cindy zögernd ihre Fingerkuppe zu unseren sinken.

„Mir ist schlecht“, murmelte sie leise und ich konnte förmlich fühlen, wie ihre Nervosität sich ausbreitete. Bisher war ich eigentlich ziemlich gechillt – da ich ohnehin nicht glaube, dass es Geister überhaupt gibt –, doch so langsam wurde ich auch unruhig. „Luna, mir ist schlecht!“, wiederholte sie, „Ist das normal?“

„Sht!!“, zischte Luna, schloss die Augen und atmete tief durch. Ich beobachtete, wie Tristan es ihr gleich tat.

„So“, flüsterte meine beste Freundin, „nachdem wir nun alle das Glas berühren, konzentrieren wir uns. Wir bündeln unsere Energie und versuchen, mit ihrer Hilfe einen Geist anzulocken. Bitte schließt alle die Augen.“

Unbehagen kroch durch meinen Körper, es schauderte mich unwillkürlich, als ich gehorchte. Meine Lider senkten sich, mein Atem zitterte, ohne dass ich es verhindern konnte. Vor meinen geschlossenen Augen tanzte das Feuer, doch mir war nicht warm. Viel eher schien die Luft abzukühlen, während ich Luna lauschte, die leise vor sich hin summte. Ich spürte Bastians Schulter an meiner, selbst er wirkte angespannt, auch wenn er wohl derjenige von uns war, der sich am wenigsten vor irgendwas ängstigte oder ähnliches.

„Geist, bist du da?“, fragte Luna in diesem Moment, ihre Stimme klang seltsam dunkel, als hätte sie die Nacht in sich aufgesogen. Mir kroch eine Gänsehaut über den Rücken. Ein zweites Mal: „Geist, bist du da?“

Nichts geschah. Mein Neben mir begann Momo mit dem Fuß zu wippen, ihr Ellenbogen stieß leicht gegen meinen Arm. Ihr wurde langweilig. Ich hingegen atmete tief und ruhig, hielt die Augen geschlossen und wartete.

„Geist, bist du da?“, fragte Luna wieder. Keine Reaktion. Wir warteten.

„Ach, das ist doch bescheuert!“, zischte Momo irgendwann.

„SSSSHHHT!!“, zischte Luna zurück und ich hörte, wie Momo neben mir genervt seufzte, jedoch wieder leise wurde und sich entspannte.

Wieder entstand eine lange Pause. Man hörte nur das Rauschen des Waldes im Wind und ab und an den Ruf irgendeines Vogels. Das Feuer prasselte leise vor sich hin, die roten Pünktchen vor meinen Augen tanzten weiter.

„Geist, bist du da?“

Dieses Mal schien der Wind kühler zu werden, das Rauschen wurde lauter. Ich erschauderte. Bastian neben mir verspannte sich stärker und selbst Momo zuckte überrascht zusammen, als das Glas auf dem Tisch sich zu bewegen begann. Erschrocken riss ich die Augen auf und starrte gebannt, wie alle anderen auch, auf das Glas, das langsam zu „Ja“ glitt. Ich atmete zischend ein und hob den Blick, als es anhielt. Tristan schien interessiert zu sein, Cindys Augen waren panisch aufgerissen, Bastian neben mir hatte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen gepresst, Momo kaute nervös auf ihrer Lippe und Luna, Luna lächelte fasziniert.

„Hallo, Geist. Schön, dass du da bist“, sagte sie und wartete.

Das Glas bewegte sich. Ich freue mich auch.

„Wie heißt du?“, fragte meine beste Freundin, in ihrer Stimme lag noch immer die Dunkelheit von vorhin.

Rasmus.

„W-wie lange bist du sch-schon tot?“ Cindy Stimme zitterte, man merkte ihr an, dass sie hin- und hergerissen war zwischen Angst und Faszination.

Seit ganz genau 600 Jahren. Heute ist mein Todestag.

Mein Magen zog sich zusammen. 600 Jahre, eine sehr lange Zeit. Und dann auch noch genau den Tag zu treffen, an dem Rasmus gestorben war. Ein ziemlich kranker Zufall. Und überhaupt: Das ganze hier war ziemlich krank! Wir unterhielten uns gerade mit einem Geist! Mit einem Wesen, dass es gar nicht geben dürfte!

„Woran bist du gestorben?“, erklang Momos raue Stimme neben mir.

Ich wurde um gebracht.

Mein Kopf begann zu hämmern, mein Atem ging schneller. Ein Mordopfer! Wir kommunizierten mit einem Mordopfer aus dem Mittelalter! Bastian Schulter zitterte, was mich noch nervöser machte, als ich ohnehin schon war. Wenn sogar ihm das Ganze nicht geheuer war, dann hatte ich allen Grund dazu, unruhig zu sein.

Tristan machte weiter: „Wieso?“

Eine längere Pause entstand, ich hatte fast das Gefühl, Rasmus wolle die Dramatik erhöhen.

Weil ich selbst auch jemanden umgebracht habe.

Das war zu viel. Eine Welle der Angst zuckte durch meinen Körper, Adrenalin raste in meinen Adern herum wie ein Rennpferd auf Dope.

„Oh mein Gott“, hauchte Cindy, jetzt eindeutig panisch, „Luna, lass und bitte die Seance beenden! Bitte!“

Meine beste Freundin starrte wie paralysiert auf das Glas. „Ja, ja, lass und das tun. Zieht die Finger zurück!“

Ich versuchte, meinen Finger zu heben, doch es ging nicht. Er bewegte sich keinen Millimeter. Panisch probierte ich es noch einmal, wieder ohne Erfolg. Scheiße, was war das?! Auch Momo, Bastian, Tristan, Cindy und Luna schien es so zu gehen. Cindy begann zu weinen, Tristan funkelte seine Freundin an: „Luna, wie konnte das passieren?“

„Ich …“, setzte sie an, wurde allerdings von dem Glas unterbrochen, das auf einmal begann, zwischen den Buchstaben hin und her zu rasen.

Ihr habt eine dumme kleine Freundin! Sie hat mich nicht gefragt, nicht wahr? Sag es ihnen ruhig, Kleine. Was hast du vergessen?

Bis zu mir konnte man Luna schlucken hören. „Ich … habe vergessen, ihn zu fragen, ob er gut oder böse ist.“

Ja, genau. Dummes kleines Ding. Jetzt ist es zu spät! Hättest du mich gleich gefragt, dann hättet ihr noch abbrechen können. Jetzt kommt ihr hier nicht mehr weg! Ich habe schon viel zu lange auf Kinder wie euch gewartet, um euch jetzt einfach gehen zu lassen!

Cindys Schluchzen wurde lauter, wir alle waren fassungslos. Mit vor Panik weit aufgerissenen Augen beobachtete ich, wie über dem Witchboard Nebel aufstieg, um uns herumwaberte. Was geschah hier? Was sollte das?

„Luna?!“ Meine Stimme klang seltsam schrill, wie eine dieser alten Schulglocken, die mich an Bibi Blocksberg immer so gestört hatten.

„Wir …“, Luna war so panisch, dass sie nicht mehr sprechen konnte, ihren Satz abbrechen musste, während sich aus dem Nebel ein Gesicht formte. Es war jünger, als ein 600-jähriger wirken dürfte, aber so vernarbt, als hätte er schon etliche Jahrzehnte voller Kampf und Leid hinter sich.

„Ich bin ja so froh“, zischte die Nebelgestalt und grinste diabolisch – Ich war mir sicher: Könnte ein Geist stinken, wären wir gestorben an uraltem Mundgeruch – , „euch zu sehen. Immerhin seid ihr die Kinder, die mir … mein neues Leben schenken werden! Noch zehn Minuten, dann ist es Mitternacht! Und dann wird einer von euch statt mir in die Geisterwelt zurückkehren. Einer von euch wird mir seinen Körper für meine Seele schenken. Vielleicht sollte ich mir schon mal den Glücklichen aussuchen!“

Sein Kopf drehte sich hin und her, die gruseligen Augen durchbohrten jeden von uns einzeln. Nacheinander kam er an uns heran. Cindy tat er schnell als kleine Heulsuse ab, Luna war für ihn auch uninteressant, dieser dünne Körper, viel zu zerbrechlich für einen 600 Jahre alten Mörder, der zurück in die Welt der Lebenden kommen wollte. Aber vor Tristan blieb er hängen.

„Ahaa“, grinste er fies, aus seinem Mund quollen dicke Nebelschwaden hervor, die Tristan ins Gesicht stiegen, „kräftig und jung … Genau das, was ich brauche!“

„Nein!“, schrie Luna laut, Rasmus fuhr zu ihr herum.

„Wie, nein?“

„Nicht. Meinen. Freund.“ Auf einmal war da Sicherheit in der Stimme meiner besten Freundin, ihre Angst vor dem Geist schien angesichts der um ihren Freund unterzugehen. Ihre Augen spien Feuer, sie funkelte das Nebelwesen so wütend an, dass es sich theoretisch hätte in alle Richtungen zerstreuen müssen. „Meinetwegen mach deinen Scheiß, aber nicht mit uns! Nicht mit Tristan! Nicht mit meinem Freund!“

„Ach nein?“, fragte Rasmus und fletschte die Zähne. „Und was, kleines dummes Mädchen, willst du tun, um mich davon abzuhalten?!“

Er schoss auf ihr Gesicht zu und hielt ungefähr einen Zentimeter davor inne. „Was willst du tun? Jetzt noch? Du hast versagt, kleines Mädchen, versagt! Du hättest die Seance beenden könne, früh genug … Jetzt“, er lachte irre und rollte mit seinen Geisteraugen, „ist es zu spääät!!“

Doch Luna wich nicht zurück, wie es wahrscheinlich jeder andere getan hätte. Sie hielt seinem Blick stand und spuckte ihm ihre nächsten Worte geradezu entgegen: „Nichts ist zu spät!“

Mit einem Ruck zog sie den Arm zurück und ihr Finger verließ so schnell das Glas, dass ich es um ein Haar nicht mitbekommen hätte.

Verwirrt starrte Rasmus sie an, sein Nebelgesicht wurde durchsichtiger.

„Wie …?“, fragte er ungläubig und in seinen Augen stand Zorn. Zorn, dass Luna ihm einen Strich durch seinen schönen Plan gemacht hatte. Ein Grollen drang aus seiner Kehle, er versuchte, nach ihr zu schnappen, doch seine Zähne hatten sich bereits in der kühlen nachtluft aufgelöst.

Meine beste Freundin lächelte triumphierend, in ihren Augen stand eine Kälte, die ich so noch nie an ihr gesehen hatte. „Du hättest dir eben nicht die Person aussuchen sollen, die ich liebe!“

Der Nebel begann, sich immer weiter aufzulösen, bis er schließlich – begleitet von einem zornigen Brüllen seitens Rasmus – komplett verschwunden war. Geschockt und gleichzeitig erleichtert starrten wir Luna an. Mein Körper war noch immer so angespannt, dass man mich für eine Statue hätte halten können, noch immer pulsierte das Adrenalin in meinen Adern, in meinen Ohren rauschte es, als hätte man mr einen ganzen Ozean ins Hirn gefüllt. Ich konnte nicht fassen, was sich hier abgespielt hatte. Es war viel zu unbegreiflich. Cindy schluchzte noch immer, jetzt allerdings eher vor Erleichterung, als vor Angst.

Unfähig zu sprechen saßen wir da, bis Bastian irgendwann wortlos aufstand, das Witchboard nahm und es ins Feuer warf. Niemand protestierte. Natürlich nicht. Wir alle sahen zu, wie es funkensprühend in Flammen aufging.

Und dann hörten wir in einiger Entfernung eine Kirchenglocke schlagen. Es war Mitternacht. Jetzt hatte Cindy Geburtstag.
 


 

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Hallüü! :)
 

Ja, das hier ist mein Beitrag zum Story-Losen.

Ich hatte das Thema Mystery und muss ehrlich sagen, ich hatte mein Probleme mit dem Thema. Es interessiert mich sehr, aber ist für mich schwer zu schreiben. Ich habe mich mit einer Freundin von mir beraten, ob Geister in den Bereich Mystery gehören (ich wusste es nur von Vampiren sicher und über die wollte ich nicht schreiben) und wir haben beschlossen: Ja, gehört dazu. :D

Zum Glück ist das Ganze hier ja nur ein Experiment :)
 

Ich jedenfalls hatte wirklich Spaß an der Sache und hoffe, ich hab's ganz gut hinbekommen - was ich ja hoffentlich durch eure Rückmeldung erfahren werde ;)
 

Ich will jetzt auch gar nicht mehr so viel reden, sondern mich für's Lesen bedanken und bye bye sagen.
 

Tschüssi und liebe Grüße,

eure lady



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  KeiKirjailija
2012-07-22T05:26:02+00:00 22.07.2012 07:26
Also ich würde sagen Experiment geglückt :)
Meiner Meinung nach hätte das in eine Episode X-Factor gepasst, also die Mysterieshow und das ist meine ich als Kompliment, ich finde sie nämlich sehr unterhaltsam.
Was mir hier besonders gut gefällt ist, dass du dir so viel Mühe mit den Charakteren gegeben hast und wie du sie beschrieben hast. Es schließt gut in die Story ein und sie sind alle unterschiedlich und überzeugend. Das gefällt mir sehr gut.
Die Story finde ich spannend, ich hab wirklich im Mittelteil gedacht: Oh verdammt, wie kriegen sie das wieder hin. :)
Ich kann da nichts kritisieren, ich hab mag deinen Stil, er passt super zu der Story, besonders schön finde ich wie du die Charaktere untergebracht hast. Hat Spaß gemacht zu lesen :)


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