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Die Jägerin

von

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Kap1

Es ist nicht so, als wäre es besonders schlimm, auf ihn zu treffen. Schließlich hassen wir uns nicht. Wir hatten nur eben so unsere Differenzen. Eigentlich hatte ich nicht mal damit gerechnet, dass er mich erkennt. Seit wir uns das letzte Mal gehen haben, sind Jahre vergangen. Während er immer noch aussieht, wie einundzwanzig- was ich ziemlich unverschämt finde, also genauso, wie ich ihn in Erinnerung habe, hat sich bei mir einiges geändert. Als wir uns das letzte Mal gesehen hatten, kämpfte ich noch mit dem durch meine emotional-psychische Labilität verursachtem Übergewicht. Ich war nicht fett gewesen, allerdings auch nicht wirklich schlank. Meine Mutter hatte mich liebevoll „Walküre“ genannt. Seine Mutter meinte mal zu ihm, sie habe noch nie ein Mädchen gesehen, neben dem er zierlich aussah. Nett, oder? Das war sie wirklich. Also, nett. Ich mochte seine Mum. Seine ganze Familie. Und er mochte meine. Also, das, was er davon kannte.

Wenn ich also meine, es sei nicht besonders schlimm, ihn zu treffen, meine ich das auch so. Wären wir uns auf der Straße begegnet, hätte er mich wahrscheinlich nicht mal wahrgenommen. Ich bin mittlerweile ziemlich gut im unscheinbar machen. Und selbst wenn er mich erkannt hätte- es hätte nichts zu verstecken gegeben. Ich hatte ziemlich abgenommen. Die angefressenen Fettpölsterchen hatten sich in Muskeln verwandelt. An mir war kaum noch etwas Weiches. Ja, ich hatte jetzt andere Methoden, mit meiner emotional-psychischen Labilität umzugehen. Mein Haar war ebenfalls wieder lang. Als wir uns kennengelernt hatten, trug ich es schon Jahrelang kurz. Ab und zu hatte ich versucht, es wieder wachsen zu lassen, aber irgendwie schaffte ich es nie. Mittlerweile gingen sie mir fast bis zur Hüfte und waren so ziemlich das einzige Zugeständnis an meine Weiblichkeit. Sie und mein Busen, für den ich nun wirklich nichts kann.

Das Problem an der Sache ist, und natürlich gibt es ein Problem, sonst wäre es ja nicht mein Leben, dass es nicht unbedingt förderlich ist, ihm in meinem Job zu begegnen. Besonders, wenn er bisher davon ausging, man hätte eine normale, gute Ausbildung zu einer Optikerin genossen. Schön wär‘s. Denn irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass Optiker in einer halben Minute eine Waffe in ihre Einzelteile zerlegen und wieder zusammenfügen können. Oder dass sie sich generell mit Waffen auskennen. Oder mit sonst irgendeinem Kram, der gefährlicher ist, als der Laser, von dem sie die Brillengläser zuschneiden lassen. Oh, der Laser für sich ist gefährlich. Aber versteckt hinter in einem großen Metallkasten und hinter einer Glasscheibe nicht sonderlich gefährlich.

Und irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass Optiker normalerweise einer Schlangenfrau mit schuppigen Haupt, Eberzähnen und ledrigen Flügeln einen altertümlichen Dolch aus der Ausstellung über das antike Griechenland im hiesigen Museum in den Bauch stoßen und sie fast ausweiden, bei dem Versuch, sie zu töten. Nun, mittlerweile dürfte sein Fehlen bemerkt worden sein. Gorgonen sind schon eklige Kreaturen. Und ihr Innerstes draußen zu sehen, macht es irgendwie nicht besser. Wie gesagt, nicht der beste Zeitpunkt, seinem Ex zu begegnen. Leider war er eines der Opfer der Gorgo gewesen. Und ich hatte sie in ihrem Versteck aufgespürt, einem verlassenen Bootsschuppen an einem Fluss. Ich hatte nicht vorgehabt, in meine Heimatstadt zurückzukehren. Aber dem Job ist das manchmal eben egal.

Da bin ich also, über und über bedeckt mit dickem Blut und in Gorgonengekröse stehend. Mein Exfreund starrt mich an, wie eine Erscheinung. Aber ich hab andere Probleme, als sein zerstörtes Weltbild. Ich muss den ganzen Scheiß aufräumen. Ich mag es lieber, wenn ich meine Arbeit still, leise und sauber verrichten kann- man muss ja nicht gleich die ganze Stadt auf sich aufmerksam machen. Aber irgendwie war das nicht wirklich möglich gewesen, nachdem Elias sich heldenhaft zwischen mich und die Gorgo geworfen hatte. So musste ich also nicht nur das Monster töten, sondern auch meinen Verflossenen aus Klauen lösen, und das möglichst unversehrt. Keine leichte Aufgabe. Also war ein riesiges Gemetzel fällig gewesen.

Seufzend wische ich mir mit dem Handrücken über die Stirn und hinterlasse höchstwahrscheinlich einen blutigen Streifen an Ort und Stelle, was mir natürlich erst einfällt, nachdem ich gewischt habe. Ich werfe einen Blick auf die gefesselten Kinder. Eine ganze Schulklasse. Anders als ich, war mein Ex genau das geworden, was er sich vorgenommen hatte- Lehrer. Und Gorgonen lieben nichts mehr, als Kinder. Roh, versteht sich. Erst einmal bringe ich die Kinder eines nach dem anderen raus auf den Hof. Glücklicherweise hat die Gorgo sie alle betäubt, und sie schlafen noch. Leider hat sie bei ihrem Lehrer versagt, und dass kommt mich nun teuer zu stehen. Mein Job mag keine Zeugen. Und mein Boss erst recht nicht.

Als ich wieder in das Bootshaus trete, ist Elias schon wieder auf die Beine gekommen. Der Typ ist ein Riese, immer gewesen. Mit seinen 1,93 ist er groß genug, dass ich meinen Kopf deutlich heben muss, um ihm in die Augen zu sehen. Er schwankt noch leicht, kippt aber nicht um. In einem anderen Leben hätte ich meine Hand ausgestreckt, um ihn zu stützen. Heute, hier, stand ich ihm nur gegenüber und schaute in diese mir so vertrauten dunkelbraunen Augen. Immer noch entgeistert schaut er von mir zur Gorgo und wieder zurück. Innerlich seufzend trete ich einen Schritt zur Seite. „Mach, dass du hier raus kommst.“, brumme ich.

Er blinzelt und stutzt. Japp, ich habe mich sehr verändert. Meine Stimme ist auch nicht mehr, was sie mal war. Sie war rau, kratzig und heiser. Früher war sie kraftvoll und laut gewesen, nicht unbedingt schön, aber angenehm. Das hatte sich geändert. Kurz bewegt er den Mund, als wolle er Trockenübungen für’s Sprechen machen, dann spuckt er das Wort aus, das Ihm auf der Zunge brennt. „Svea?“, fragt er tonlos.

Ich gebe keine Antwort. Stattdessen stiefel ich zu der Monsterleiche und gieße das Benzin aus dem Kanister, den ich mitgebracht habe, über sie aus. Dann schraube ich den Kanister wieder zu und suche in den Taschen meiner Jacke nach den Streichhölzern. „Was zum Teufel machst du da?“, höre ich Elias im Hintergrund ungläubig fragen und in dem Moment, als ich endlich die Streichhölzer finde und aus der Tasche ziehe, legen sich starke, lange Finger um mein Handgelenk. Ich kenne den ruhigen, trockenen Griff seiner leicht rauen Hände. Manche Dinge vergisst man nie. „He- Was tust du?“, fragt er wieder, deutlich drängender. Mit einer schnellen Bewegung reiße ich mein Handgelenk los. „Beweise vernichten.“, sage ich ruhig. Mit der anderen Hand ziehe ich eine Zigarette aus meiner Brusttasche und stecke sie in den Mundwinkel. „Das kannst du doch nicht tun! Die Polizei-“ „Wie willst du das hier“, unterbreche ich ihn barsch und nicke zur Gorgo, „ der Polizei erklären? Oder den Eltern? Oder sonst wem?“ Ratlos starrt er das Ungeheuer an. Ich reiße ein Streichholz an und entzünde meine Zigarette an ihm. Dann werfe ich es auf den Leichnam. „Nicht!“, ruft er, doch das benzingetränkte Monster hat schon Feuer gefangen. „Scheiße! Du fackelst hier alles ab!“, flucht er.

Ich schnaube nur und sehe zu, wie die Schlangenfrau langsam im Feuer vergeht. „Geh zu den Kindern. Vergiss das hier.“, rate ich ihm. Ich meine es ernst. Ich will nicht, dass er in meine Welt gezogen wird. Aber er bewegt sich nicht. „Nun geh schon!“, fauche ich ihn an, und er zuckt zusammen wegen meiner Stimme. Ich weiß. Nicht schön, aber selten. Dann setzt er sich in Bewegung und verlässt das Bootshaus.

Als die Polizei kommt, finden sie nichts, bis auf einen kleinen Haufen Asche.
 

Ich dachte, damit hätte es sich erledigt. Aber mal ehrlich- ich hätte Elias besser kennen sollen. Schließlich habe ich ihn mal geliebt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  P-Chi
2012-05-22T19:11:45+00:00 22.05.2012 21:11
Guter Start, finde ich. Man kommt schnell rein, es ist spannend und interessant und ich mag ihren sarkastischen Unterton.
An die Zeitform musste ich mich erst gewöhnen, aber auch dann war es recht flüssig und angenehm zu lesen. :)
War für Svea vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, ihrem Ex zu begegnen, huh? Und mich interessiert natürlich, was es mit ihrer Rückkehr ausgerechnet in ihre Heimatstadt auf sich hat. Sehr mysteriös - gefällt mir. Macht auf jeden Fall neugierig. ;)
Hach, ich persönlich mag ja Gorgonen ... aber vll weil meine Vorstellung von ihnen nicht ganz dem entspricht, was du geschrieben hast.
Oh, apropos, ein paar Umgebungsbeschreibungen wären schön gewesen. Außerdem wäre es sicher nützlich zu wissen, wie die Gorgonin aussieht (für Leser, die diese Wesen vll nicht kennen sollten).
Ansonsten gibt's nichts zu klagen. Bitte weiter so. :)

lg
P.Chi


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